Rede von
Helmut
Schäfer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unser heutiges Thema ist zu ernst und zu wichtig, als daß es sich - Herr Kollege Volmer, bei all Ihrem verständlichen Hang zum Drama - für künstliche Aufregungen eignen würde und schon gar nicht, finde ich, für Karneval auf dem Rhein. Überhaupt nicht eignet es sich zu der Behauptung - ich muß das in aller Deutlichkeit noch einmal sagen, auch wenn es jetzt nicht der Bundeskanzler selbst oder der Bundesaußenminister ist, aber es ist die Bundesregierung, die gelegentlich auch in Gestalt von Staatsministern hier erscheint -, daß die Bundesregierung einen deutschen Nuklearwaffenverzicht unterlaufen will, was hier unentwegt in all ihren Reden angedeutet wird. Das ist absolut grotesk und unsinnig, meine Damen und Herren.
Wir sollten uns zunächst noch einmal nüchtern betrachten, was in Frankreich eigentlich geschehen ist. In den letzten Wochen wurde dort in Interviews und Reden natürlich im Zusammenhang mit den Atomtests die Frage einer - ich zitiere - möglichen europäischen Dimension der französischen Nuklearwaffen thematisiert. Dabei geht es um eine Überprüfung und Weiterentwicklung der Vorstellungen Frankreichs über den Sinn und Auftrag des vorhandenen
französischen Nukleardispositivs. Völlig abwegig ist die Interpretation - das ist in keiner dieser Äußerungen jemals auch nur angedeutet worden -, die Bundesrepublik Deutschland durch die Hintertür zu einer Nuklearmacht zu machen. Das unterstellen Sie, aber kein französischer Politiker hat das bisher auch nur angedeutet.
Die französische Regierung hat vielmehr erklärt, mit den französischen Partnern in einen Dialog über eine modifizierte Rolle der französischen Nuklearwaffen einzutreten. Dazu Premierminister Juppé am 7. September:
Wir sollten uns auch alle mit dem Gedanken anfreunden, daß die europäischen Länder ihre Verteidigungspolitik überdenken müssen und daß in diesem Zusammenhang die Rolle der Atomwaffen, über die zwei europäische Länder verfügen, auch überprüft werden muß. Nichtsdestoweniger ist eine Diskussion über all diese Fragen mit unseren europäischen Partnern, an erster Stelle mit Großbritannien und Deutschland, erforderlich. Eine neue Form der Konzertation muß gefunden werden.
Ähnliche Äußerungen - Herr Lamers hat darauf hingewiesen - hat Präsident Mitterrand bereits 1992 gemacht.
In der Logik der im Vertrag über die Europäische Union angelegten Perspektive einer gemeinsamen europäischen Verteidigung liegt es durchaus, daß auch die Frage nach der Rolle der Nuklearwaffen Frankreichs und Großbritanniens in diesem Rahmen zu gegebener Zeit gestellt wird. Es ist auch naheliegend, daß der Denkanstoß dazu von Frankreich ausgeht.
Wir sollten die Frage einer solchen zukünftigen Rolle der französischen Nuklearwaffen in Europa aber nicht mit der Frage der Nukleartests, Frau Kollegin Wieczorek-Zeul, vermengen. Die Bundesregierung ist - ich, und nicht nur ich, sage das zum wiederholten Male - gegen solche Tests. Auch das ist hier wiederholt gesagt worden. Wir müssen aber zur Kenntnis nehmen - auch das ist hier gesagt worden, ich wiederhole es, und wir stellen das mit Befriedigung fest -, daß Frankreich inzwischen erklärt hat, sich gemeinsam mit uns für den Abschluß eines umfassenden Teststoppabkommens im nächsten Jahr einzusetzen. Das ist immerhin ein Fortschritt, den man zur Kenntnis nehmen sollte.
Herr Kollege Volmer, die Bereitschaft, mit unseren französischen Freunden über deren Ideen zu sprechen, ändert nichts an unserer grundsätzlichen Haltung, was den Verzicht auf den Besitz von und die Verfügungsgewalt über Atomwaffen angeht. Dazu bleibt unsere Position eindeutig.
Ich darf weiter sagen:
Staatsminister Helmut Schäfer
Erstens. Der Verzicht der Bundesrepublik Deutschland auf Herstellung und Besitz von und auf Verfügungsgewalt über atomare, biologische und chemische Waffen ist im Zwei-plus-Vier-Vertrag, im Nichtverbreitungsvertrag und in anderen Vereinbarungen vertraglich festgeschrieben. Dieser Verzicht ist endgültig. Darauf hat im übrigen auch der französische Premierminister in seiner Rede hingewiesen. Er weiß das.
Zweitens. Für die Verteidigung unseres Landes bleibt das Nordatlantische Bündnis die entscheidende Grundlage. Der transatlantische Sicherheitsverbund in der NATO hat die Sicherheit Deutschlands über die schwierigen Jahrzehnte der Teilung und der Bedrohung gesichert. Auf die Kernfunktion dieses Bündnisses wollen und werden wir auch zukünftig nicht verzichten.
Drittens. Im Rahmen der NATO-Strategie gibt es eine Mitwirkung der nichtnuklearen Partner an der Formulierung dieser Strategie; die gab es, auch in nuklearen Fragen, übrigens immer. Niemand kommt auf die Idee, daraus eine Verfügungsgewalt der Bundesrepublik Deutschland oder anderer Partner über die amerikanischen oder britischen Nuklearwaffen abzuleiten; dies würde im Widerspruch zu unseren klaren internationalen Verpflichtungen stehen.
Für die heutige Debatte haben die PDS und die Grünen Anträge vorgelegt, mit denen der Bundesrepublik verboten werden soll, sich an den heute geltenden Vorkehrungen zur Mitsprache über die Nuklearpolitik innerhalb der NATO zu beteiligen. Dies würde uns der Möglichkeit berauben - ich sage das in allem Ernst -, zu diesem wichtigen Thema innerhalb des Bündnisses noch unsere Auffassungen einzubringen. Mit Deklarationen im Deutschen Bundestag allein, Frau Kollegin Wieczorek-Zeul, werden Sie nicht erreichen, daß Frankreich seine Nuklearwaffen aufgibt. Aber ganz wesentlich ist, daß ein permanenter Dialog über die zukünftige Rolle solcher Waffen geführt werden muß.
Meine Damen und Herren, Tatsache ist doch, daß es Nuklearwaffen gibt, ob wir wollen oder nicht. Entscheidend ist nun einmal, daß es gemäß dem unbefristet verlängerten Nichtverbreitungsvertrag, zu dem wir allesamt und in gemeinsamen Resolutionen und die Bundesregierung durch ihre Verhandlungen beigetragen haben, fünf Länder als legitimierte Nuklearmächte gibt, darunter drei Verbündete der Bundesrepublik Deutschland.
Es muß daher grundsätzlich unser Bestreben sein, unsere politischen Auffassungen und Interessen in bezug auf diese Nuklearwaffen mit in die Waagschale werfen zu dürfen. Um mehr geht es nicht. Aber das ist ungeheuer wichtig, gerade für solche Staaten, die über Nuklearwaffen nicht verfügen und auch nicht verfügen wollen.
Die Bundesregierung hat sich stets nachhaltig für Fortschritte in der nuklearen Abrüstung eingesetzt. Es ist manchmal ein bißchen erschreckend, wie schnell hier vergessen wird. Haben Sie eigentlich vergessen, daß es die Bundesrepublik war, die in herausragender Weise dafür gesorgt hat, daß die völlige
Abschaffung der bodengeschützten Kurzstreckensysteme oder die drastische Reduzierung der sogenannten substrategischen Waffen der NATO beschlossen wurde? Das ist passiert. Wie lange haben wir hier darüber diskutiert, bis es so weit war!
Wir hoffen auf die baldige Ratifizierung und Umsetzung des START-II-Vertrags. Wir werden uns auch in Zukunft für weitere Schritte der nuklearen Abrüstung einsetzen. Hier braucht die Bilanz der Bundesregierung keinen Vergleich zu scheuen. Mit ihrer Abrüstungshilfe leistet die Bundesregierung auch bei der tatsächlichen Umsetzung der Vereinbarungen über den Abbau der Nuklearwaffen einen praktischen Beitrag.
Gerade weil wir ein Nichtkernwaffenstaat sind und bleiben, müssen wir unsere Belange bei der Entwicklung einer vorhandenen und nicht einfach aus der Welt zu diskutierenden Nuklearstrategie einbringen dürfen. Im strategischen Konzept der NATO von 1991 haben wir zusammen mit unseren Partnern festgestellt, daß die unabhängigen Nuklearstreitkräfte des Vereinigten Königreichs und Frankreichs zur Abschreckung und damit auch zur Sicherheit der Verbündeten insgesamt beitragen.
Nun muß ich Ihnen sagen: Wenn Frankreich zum allererstenmal seit 1966, also seit 30 Jahren, erlaubt, daß überhaupt über seine Nuklearstrategie geredet wird, daß es einen Dialog gibt, dann kann ich mich doch nicht hier hinstellen und sagen, diesen Dialog lehne ich ab. Das wäre geradezu ein Witz, meine Damen und Herren. Zum erstenmal erlaubt Frankreich überhaupt, über diese Waffen zu sprechen, die es bisher nicht in der NATO zur Verfügung gestellt hat und für die es seine eigenen Vorstellungen in bezug auf die Strategie hatte - Sie wissen das noch -, zum Teil auch, was Kurzstreckenwaffen mit Reichweiten bis in unser Territorium hinein betraf.
Nun kommt Frankreich und sagt: Wir wollen einen Dialog. Aber Sie verlangen heute von uns in Ihren Anträgen, daß wir diesen Dialog verweigern. Meine Damen und Herren, so können Sie keine Politik machen.
Die französische Regierung hat erste Überlegungen geäußert, nicht mehr und nicht weniger. Es entspricht der Logik des europäischen Integrationsprozesses, zu diesen Überlegungen zu gegebener Zeit, vor allem dann, wenn Frankreich selber hierzu die Initiative ergreift, in ein Gespräch im Geiste der deutsch-französischen Partnerschaft einzutreten.
Herr Kollege Volmer, nicht mehr und nicht weniger habe ich auch dem Auswärtigen Ausschuß gesagt. Die Unterstellung, wir warteten geradezu und seien lüstern darauf, bei diesem Dialog endlich Atomwaffen zu bekommen, muß in seltsamen Gehirnen entstanden sein.
Staatsminister Helmut Schäfer
Am Gespräch, am Dialog, an der zukünftigen Gestaltung solcher Strategien, die möglicherweise eines Tages - ich sage das sehr deutlich - ohne Atomwaffen auskommen werden - das hoffen wir alle -, sollten wir uns grundsätzlich beteiligen. Um nicht mehr und nicht weniger geht es uns.
Ich glaube, die ganze Aufregung, die hier inszeniert worden ist, bricht schon langsam in sich zusammen. Das wird bei dieser Debatte immer deutlicher. Es besteht nicht der geringste Anlaß zu Spekulationen oder zu künstlich gemachtem Wahlkampf.
Vielen Dank.