Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Trotz massiver internationaler Proteste hat Frankreich seinen ersten Atomtest gezündet, und es steht zu befürchten, daß weitere folgen, wenn wir nachlassen, dagegen zu protestieren.
Deshalb fordere ich hier als erstes, daß der Bundestag noch einmal unmißverständlich sagt, daß keine weiteren Atombomben gezündet werden sollen.
Leider hat Frankreich, statt diese üble Testserie einzustellen, versucht, die Notwendigkeit der Tests damit zu begründen, daß die französischen Atomwaffen eine sicherheitspolitische Funktion für Gesamteuropa haben könnten. Jaques Chirac und Juppé haben angeboten, daß die französischen Atomwaffen zum europäischen Atomschirm ausgebaut werden könnten. Darauf wäre meines Erachtens, meine Damen und Herren, eine eindeutige Antwort der Regierung fällig gewesen. Es hätte gesagt werden müssen: Wir weisen dieses Angebot von Chirac zurück.
Es ist schlimm genug, daß die Franzosen selber noch Atomwaffen besitzen und sich nicht daran beteiligen, die Atomwaffen insgesamt zum Verschwinden zu bringen und eine Sicherheitspolitik zu entwickeln, die insbesondere auf einer ökologisch-so-
Ludger Volmer
zialen Strukturpolitik basiert, die in der Lage ware, konfliktpräventiv zu handeln.
Statt solcher eindeutigen Töne hörte man einen vielstimmigen Chor von seiten der Bundesregierung und aus der CDU/CSU. Der einzige, der das Anliegen der Franzosen einigermaßen klar zurückgewiesen hat, war Verteidigungsminister Rühe, zwar mit einem Argument, das wir nicht schätzen, nämlich daß der amerikanische atomare Schutzschirm ausreiche, aber immerhin wurde die Europäisierung der Atomwaffen abgelehnt.
Anders Außenminister Kinkel. Er fand den Vorschlag sehr interessant. Staatsminister Schäfer, der zum Glück hier anwesend ist, wies zwar das Anliegen in der jetzigen Form im Auswärtigen Ausschuß zurück, meinte aber, man müsse warten, was da sonst noch kommt, und die Dinge diskutieren.
Da frage ich: Was macht denn die Regierung? Weist sie zurück oder wartet sie ab, um das Angebot weiter zu diskutieren? Ich glaube, wir können da eine eindeutige Antwort verlangen. Die Bundesregierung muß eine eindeutige Politik formulieren.
Die Uneindeutigkeit hat Tradition. Heute führende CDU-Kollegen haben sich schon immer sehr interessiert an den französischen Atomwaffen geäußert, so z. B. Kollege Karl Lamers, der schon 1989 im Bundestag dazu sagte:
Die französischen und natürlich auch die britischen Nuklearwaffen müssen eine europäische Funktion erhalten. Die Bundesrepublik Deutschland muß ihre Haltung vor allem zur Zukunft des Nuklearen deutlicher machen als bisher. Auch wenn die Verteidigung in europäischen Händen läge, wäre für Frankreich zugleich die beste Versicherung gegen ein deutsches Abirren gegeben.
Sein jüngerer Kollege Friedbert Pflüger legitimiert heute die französischen Atomwaffen und darf zur Belohnung, wie ich erfahren habe, als erster deutscher Politiker das Plateau d'Albion betreten und die Force de frappe besichtigen.
Deshalb glaube ich nicht, daß die Bekundung der Bundesregierung, sie wolle nie und unter keinen Umständen die Mitverfügung über Atomwaffen erringen, so ohne weiteres haltbar ist.
Schon bei den Diskussionen über den Nichtverbreitungsvertrag für Atomwaffen haben wir skeptisch angemerkt, daß sich die Verzichtserklärung der Bundesrepublik bisher auf die Zusagen im WEUVertrag gründet. Der aber läuft in zwei Jahren aus.
Selbst wenn die Bundesregierung darauf verzichtet, im nationalen Rahmen, als Nationalstaat Atomwaffen zu haben oder darüber zu verfügen, so ist dadurch noch überhaupt nicht ausgeschlossen, daß sie im Rahmen einer europäischen Verteidigungsgemeinschaft eine Mitbestimmung, eine Mitverfügung über Atomwaffen erhält. Schließlich werden die Vorgespräche über eine europäische nukleare Planungsgruppe schon geführt. Wir fordern in unserem Antrag, daß solche Verhandlungen sofort eingestellt werden und daß unmißverständlich Abschied von der Perspektive einer europäischen Atommacht genommen wird.
- Der Zwei-plus-Vier-Vertrag bezieht sich im wesentlichen auch darauf, Herr Irmer, daß die WEU-Bestimmungen bekräftigt werden. Er geht zunächst noch nicht einmal darüber hinaus, wie Sie Ihren ehemaligen Außenminister Hans-Dietrich Genscher fragen können, denn der hat das damals dort hineingeschrieben.
Es gibt führende, CDU-nahe Wissenschaftler, die auch meinen, daß die Absage der Bundesregierung an Atomwaffen nur halbherzig und nicht ernst gemeint sei. So formulieren z.B. Ernst Häckel und Karl Kaiser von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik - bekanntermaßen regierungsnah -:
Deshalb wäre es ein Beitrag zu einer die europäischen wie die globalen Bedingungen im Auge behaltenden Nichtverbreitungspolitik, wenn schrittweise beide
- nämlich die französischen und die britischen -
Potentiale miteinander verbunden und in eine europäische Struktur eingeordnet würden. Dies könnte aus einer europäischen nuklearen Planungsgruppe bestehen, welche die Einsatzoptionen definiert, sowie einer Entscheidungsstruktur mit europäischer politischer Spitze, die analog zu den NATO-Verfahren ein nationales Vetorecht Frankreichs und Großbritanniens erhalten kann, bis diese politische Spitze tatsächlich den Charakter eines konföderativen oder föderativen Organs annimmt.
Dann kommen Kaiser und Häckel zu der Schlußfolgerung:
Man muß ... sehen, daß der deutsche Kernwaffenverzicht zwar ohne Vorbehalt ausgesprochen wurde, aber nicht vorbehaltlos gemeint sein kann.
Dazu hätte ich gern einmal Ihre ganz klare Stellungnahme. Das müssen Sie zurückweisen. Schließlich sind das Berater in Ihrem Umfeld.
Ludger Volmer
Ich frage Sie in diesem Zusammenhang: Warum trainieren eigentlich deutsche Tornados den Atombombenabwurf? Wir wissen doch, daß deutsche Stützpunkte neben den Atomwaffenlagern der Amerikaner existieren - in Nörvenich, in Büchel und in Memmingen -, und dort werden von deutschen Tornados Atombombenabwürfe trainiert. Warum wird das gemacht? Was soll der Sinn sein? Warum wird das nicht verboten? Warum sagt der Verteidigungsminister nicht, damit müsse sofort Schluß gemacht werden? Ich glaube, der Grund kann nur darin liegen, daß man sich gewisse Optionen immer noch offenhalten will. Ich glaube, daß dies auch von höchster Stelle, von seiten des Bundeskanzlers, in gewisser Weise abgedeckt ist. Auch dafür gibt es bestimmte Belege. Ich möchte sie Ihnen vortragen und um eine klare Stellungnahme bitten.
So hat der ehemalige Berater von Mitterrand, Jacques Attali, nun seine Memoiren verfaßt. Er hat dort fein säuberlich ausgeplaudert und aufgeschrieben, was Helmut Kohl mit Mitterrand besprochen hat.
Ich zitiere aus dem Buch von Attali:
2. Februar 1984: Helmut Kohl : Sogar auf dem Gebiet der Atomwaffen kann man viel mehr gemeinsam machen: Es gibt einen Geheimvertrag zwischen dem Präsidenten der USA und mir über den Einsatz von Atomwaffen. Ich habe hierzu von Reagan einen Brief bekommen. Man könnte sich einen Brief gleichen Typs von Ihnen an mich vorstellen.
François Mitterrand: Warum nicht?
Dann wurde vereinbart, daß Teltschik, der damalige Sicherheitsberater des Kanzlers, mit Attali das Weitere bespricht.
François Mitterrand schlug außerdem vor:
Man muß hinsichtlich des Haushalts der Europäischen Gemeinschaft einen Geheimpakt zwischen Frankreich, der Bundesrepublik und Großbritannien abschließen, um diesen Haushalt zu kontrollieren.
Helmut Kohl: Ja. Sehr gerne!
Am Mittwoch, dem 24. Mai 1985, war Horst Teltschik in Paris. Attali schreibt über das Gespräch:
Er
- Teltschik -
spricht mit mir - Attali -
auch über die Möglichkeit einer Partnerschaft zwischen Matra und Messerschmidt, um ein tatsächlich europäisch-autonomes nukleares Schutzschild zu entwickeln.
Ich denke, das sind Zitate, die doch sehr zur Sorge Anlaß geben.
Nun ist das zehn Jahre her. Geschichtsbücher haben in der Regel die Eigenschaft, daß sie keine Lebenden mehr treffen. Aber der Kanzler, dessen Vorhaben von 1984/85 hier zitiert worden sind, ist noch heute im Amt.
Wir haben ein Recht darauf, daß Bundeskanzler Kohl selbst hier die Regierungslinie darstellt und dies nicht durch den Staatsminister Schäfer tun läßt. Wir haben ein Recht darauf, daß der vielstimmige Chor der Bundesregierung zu einem Machtwort des Bundeskanzlers zusammengefaßt wird. Der Bundeskanzler möge bitte seine Richtlinienkompetenz in Anspruch nehmen und sagen, ob er bei seinen Vorhaben von 1984/85 geblieben ist, was daraus geworden ist und ob die Äußerungen der CDU/CSU-Fraktionskollegen, die gewisse Sympathien für den französischen Vorschlag hegen, aus der Kanzlerpolitik des letzten Jahrzehnts abgeleitet sind. Wir haben einen Anspruch darauf, weil wir meinen, daß alle Chancen genutzt werden sollten, die die Jahre 1989 und folgende geboten haben: die Chance, wegzukommen von der Bipolarität in Europa, wegzukommen von einer Abschreckungspolitik und wegzukommen von der Idee, Atomwaffen könnten überhaupt irgendeine Form von Sicherheit bieten.
Wir erwarten von der Bundesregierung, daß sie den Vorstoß der Franzosen eindeutig zurückweist. Auch wir sagen: Wir haben großes Interesse an einer Vertiefung der deutsch-französischen Freundschaft auf allen Gebieten - aber nicht auf dem Gebiet der Waffenbrüderschaft. Wir fordern von der Bundesregierung, daß sie mit uns über neue europäische Sicherheitssysteme nachdenkt, die in erster Linie konfliktpräventiv wirken, die den Dialog mit dem Osten vertiefen, statt neue Fronten aufzubauen, und die ein für allemal allen Atomwaffen in allen historischen Situationen eine eindeutige Absage erteilen.
Danke.