Rede von
Renate
Rennebach
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Alles, was bisher gesagt worden ist, hilft nicht. Wir diskutieren schon jahrelang öffentlich über eine notwendige gesetzliche Regelung zur Angleichung der Arbeitsbedingungen bei der Entsendung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Es scheint mir, daß in diesem Falle, ohne es scharf zu formulieren, insbesondere die Damen und Herren von der F.D.P. immer noch nicht verstanden haben, worum es dabei eigentlich geht und warum ein Entsendegesetz so notwendig ist.
Ich sage das, obwohl Frau Babel hier wirklich zu Herzen gehende Worte gefunden hat, um ihre wahren Absichten zu verschleiern.
Ich möchte Ihnen dies auch als Vorbereitung für die Ausschußberatung gerne anhand der Situation in Berlin und des hauptsächlich betroffenen Bereichs, des Bauhauptgewerbes, verdeutlichen, was nicht heißt, daß ich die Nebengewerke außer acht lassen möchte.
Tatsache ist, daß wir erfreulicherweise in Berlin seit einiger Zeit einen regelrechten Bauboom registrieren können, was sich z. B. dadurch belegen läßt, daß die Auftragsbestände zum Ende des ersten Halbjahres 1995 ein Volumen von 6,2 Milliarden DM ausmachten.
Dem steht jedoch ein stetes Ansteigen der Arbeitslosenzahlen gegenüber, paradoxerweise speziell im Baugewerbe. So ist nach Angaben des Landesarbeitsamtes die Zahl der Arbeitslosen in Berlin in diesem Bereich zwischen Mitte 1994 und Mitte 1995 von 13,4 auf 15,7 % gestiegen.
Weiterhin ist Tatsache, daß sich die Verwirklichung des EU-Binnenmarktes auch dadurch auszeichnet, daß im Zuge des zunehmenden grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehrs immer mehr Unternehmen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen anderer Mitgliedsstaaten der EU entsenden. Wir haben jedoch leider immer noch stark unterschiedliche Arbeitsbedingungen in den EU-Mitgliedsstaaten und vor allem das rechtliche Problem, daß in der Regel bei diesen Entsendungen für die betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die Bedingungen des Heimatlandes gelten und nicht die des tatsächlichen Arbeitsortes.
Wir wollen nicht den freien Dienstleistungsverkehr verhindern, Herr Louven, sondern wir wollen uns um die Arbeitsbedingungen kümmern.
Daraus resultiert als weitere Tatsache, daß wir auf den Baustellen geradezu absurde und in hohem Maße ungerechte und unsoziale Verhältnisse feststellen müssen. Hier arbeiten, so zynisch es klingt, im besseren Fall Arbeitnehmer mit unterschiedlichen Löhnen und unterschiedlicher sozialer Absicherung bei jedoch gleicher Arbeit und im schlechteren Fall keine Arbeitnehmer mehr, die nach deutschen Sozialstandards abgesichert und tarifvertraglich entlohnt werden, sondern nur noch Arbeitnehmer unter Lohn- bzw. Sozialdumpingbedingungen.
Nicht besser ist es im Beschäftigungsbereich. Hier steigen, wie schon gesagt, die Arbeitslosenzahlen und die Kurzarbeiterzahlen, und das, obwohl z. B. in Berlin die Auftragsbestände innerhalb des letzten Jahres im Bauhauptgewerbe um 15 % und in Brandenburg sogar um 31,5 % gestiegen sind. Das heißt, der Bauboom trägt in keiner Weise zu einer Entlastung auf dem deutschen Arbeitsmarkt bei. Eher ist sogar das Gegenteil der Fall. Nach Angaben des Bauindustrieverbandes Berlin/Brandenburg ist in der Region zwischenzeitlich jeder zweite Arbeitsplatz am Bau durch Lohndumping gefährdet.
Nicht vergessen möchte ich die Auswirkungen auf den Unternehmensbereich. Insbesondere Klein- und Mittelbetriebe - Herr Louven, die gehören ja mit zu Ihrer Klientel -, die nach den bei uns üblichen Bedingungen entlohnen und somit auch kalkulieren, werden zunehmend aus dem Markt herausgedrängt, und zwar durch hauptsächlich in den Niederlanden ansässige Briefkastenfirmen, die Arbeitnehmer aus Irland und Großbritannien anbieten, diesen Niedriglöhne zahlen und auf diese Weise deutsche Unternehmen regelmäßig um bis zu 25 % unterbieten.
Renate Rennebach
So hat sich z. B. in der Region Berlin/Brandenburg die Zahl der Konkurse und Vergleiche von Bauunternehmen im Zeitraum von 1991 bis 1994 fast verdreifacht, und das - ich wiederhole es - bei deutlich ansteigenden Auftragsbeständen. Das kann man mit einem CDU/CSU-Gesetz, das befristet ist und mit einer Allgemeinverbindlichkeit operiert, die herzustellen überhaupt nicht notwendig ist, nicht ändern.
Neben dieser untragbaren wirtschaftspolitischen und beschäftigungspolitischen Situation dürfen wir einen weiteren Aspekt nicht aus den Augen verlieren, nämlich die Gefährdung der grundgesetzlich verbrieften Tarifautonomie. Diese müssen wir inzwischen, wenn ich das „Handelsblatt" vom 26. Juli richtig gelesen habe - da Herr Schreiner es ebenfalls zitiert hat, werde ich es wohl richtig gelesen haben -, zu allem Überfluß aber bezeichnenderweise auch noch vor der F.D.P. und namentlich dem Kollegen Lambsdorff verteidigen. Ich zitiere:
Natürlich gehöre ein Arbeitnehmer-Entsendegesetz zur Konsequenz der Tarifautonomie und des Flächentarifvertrages. Doch müsse es zu Veränderungen dieses Arbeitsmarktkartells kommen.
Das hört sich wie „Mafia" an.
Das Günstigkeitsprinzip ist ein Ungünstigkeitsprinzip für Arbeitslose, die sich nicht unter Tarif anbieten dürfen. Es ist ihnen verboten, ihre Arbeitskraft zu einem untertariflichen Entgelt einzubringen.
- Sie haben es im Sommer vorigen Jahres gemacht und sind nicht angenommen worden.
Unser Tarifvertragssystem ist ein Schutzzaun für Arbeitsplatzbesitzer und eine unfreundliche Maßnahme gegen Arbeitslose.
Wenn Frau Dr. Babel annimmt, daß Herr Lambsdorff mit diesem Satz die Tarifautonomie schützen und unterstützen wolle, dann hat sie etwas falsch verstanden.
Nach dieser Melodie will der Graf sicherlich alles abschaffen, was uns von der Sklaverei unterscheidet.
Meine Damen und Herren, die von mir vorher beschriebene Situation im Baugewerbe führt dazu, daß in Deutschland ansässige Firmen förmlich dazu gezwungen werden, die Tarifbindung zu umgehen, indem sie beispielsweise Subunternehmer aus europäischen Billiglohnländern beauftragen. So wird hintenherum die Tarifautonomie ausgehebelt, werden Tarifverträge zunehmend belangloser und die weitere Verbreitung des Sozialdumping gefördert sowie der soziale Friede nachträglich und fahrlässig weiterhin gefährdet. Und nicht wir sind ausländerfeindlich, Frau Babel.
Entgegen der Lambsdorffschen Ignoranz gegenüber den Bereichen des Grundgesetzes, die die soziale Komponente unserer Gesellschaftsordnung garantieren, haben wir nun doch verschiedene Entwürfe zur Diskussion vorliegen, die auf gesetzlichem Wege das Entsendeproblem lösen wollen. Dabei können wir seit gestern abend feststellen, daß offensichtlich der Entwurf des Bundesarbeitsministers fast schon wieder vom Tisch ist, weil die Arbeitgebervertreter im BDA-Tarifausschuß nicht mitziehen wollen. Sie haben die vorgesehene Allgemeinverbindlichkeitserklärung abgelehnt, wodurch dieser Gesetzentwurf zu einer „sozialpolitischen Ozon-Verordnung" verkommt, wie es mein Kollege Schreiner heute vormittag so treffend formuliert hat.
Es ist nicht nur die Allgemeinverbindlichkeit Kappes, sondern auch noch die Befristung auf zwei Jahre. Sie suggeriert, als hätten wir danach eine heile Welt, was sicherlich nicht der Fall sein wird.
Daraus kann für Sie, meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, eigentlich nur folgen, daß Sie sich dem Entwurf der SPD anschließen, denn darin entfällt ein förmliches Verfahren zur Allgemeinverbindlichkeit. Wir wollen vielmehr tarifliche Löhne und Arbeitsbedingungen verbindlich festschreiben, wenn Arbeitgeber mit Sitz im Ausland Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen zur Erbringung von Dienstleistungen nach Deutschland entsenden.
Noch ein Wort speziell an die Berliner Kolleginnen und Kollegen von der CDU und an die Kollegen der CDA, die ja in Ihrer Fraktion noch ein bißchen vertreten sind. Überlegen Sie sich gut, ob Sie den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in unserer Stadt helfen wollen oder ob Sie weiter in blindem Gehorsam etwas die Treue schwören, was sich seit der Sitzung des BDA-Tarifausschusses letzte Nacht als völlig sinnlos erwiesen hat. Wenn Sie unserer Stadt und ihren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern tatsächlich helfen wollen, dann stimmen Sie unserem Gesetzentwurf zu, der, ebenso wie der Bundesratsentwurf des Landes Berlin, diese Allgemeinverbindlichkeitserklärung nicht vorsieht. Die Sozialdemokraten im Berliner Senat haben einen Gesetzentwurf für den Bundesrat vorbereitet, der in weiten Teilen dem der SPD-Bundestagsfraktion entspricht.
Zwar wurde dieser Entwurf durch die CDU-Senatorin in der großen Koalition etwas abgeschwächt - hier reden wir über Einigkeit, Frau Babel -; es ist jedoch eine Tatsache, daß der Berliner Entwurf unserem Entwurf wesentlich näher ist als der Entwurf der Bundesregierung. Damit sind sich die Vertreter der CDU untereinander nicht einig.
Renate Rennebach
Von daher sollte nicht nur für alle Berlinerinnen und Berliner im Deutschen Bundestag eine Zustimmung zum SPD-Entwurf eine logische Konsequenz sein. Unser Entsendegesetz abzulehnen heißt nichts anderes, als aus ideologischen Gründen ausschließlich das Wohl der Altherrenriege beim Bund der Arbeitgeberverbände im Auge zu behalten,
sprich: den Profit der großen Firmen,
die keine Rücksicht auf ihre Baukollegen nehmen. Das muß man auch einmal feststellen. Es interessiert die einen feuchten Kehricht, wie es der Bauwirtschaft geht!