Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen! Vor wenigen Tagen jährte sich zum fünftenmal der Tag der Unterzeichnung des Einigungsvertrages, und in wenigen Wochen feiern wir den fünften Jahrestag der Wiedervereinigung. Frau Bundesministerin, Sie haben deshalb dankenswerterweise die Gelegenheit zu einem kurzen rechtspolitischen Rückblick ergriffen, zumal die
Rechtspolitik der letzten Jahre in der Tat im Zeichen der Wiedervereinigung stand.
Mir ist es deshalb unverständlich, wenn von Ihnen, Frau Herta Däubler-Gmelin, das Fehlen rechtspolitischer Konzepte beklagt wird. Ich glaube, in der Rechtspolitik ist noch nie soviel passiert wie in den letzten Jahren. Noch nie waren die Rechtspolitiker so beschäftigt.
Die Aufarbeitung des Unrechtsstaats DDR, soweit noch möglich, die Schaffung einer einheitlichen Rechtsordnung in Deutschland und der Aufbau der Justiz im Osten waren in der Tat zentrale Themen und Aufgaben, die ganze Arbeit erforderten.
Am schwierigsten war es, den Menschen zu helfen, deren Lebenschancen vom SED-Regime beeinträchtigt oder gar zerstört worden waren. Soweit noch möglich, haben hier die beiden SED-Unrechtsbereinigungsgesetze versucht, einen Ausgleich zu schaffen, wenn auch oft nicht das erreicht werden konnte, was vielleicht wünschenswert gewesen wäre. Ich bedanke mich ganz ausdrücklich dafür, daß Sie hier weitere Gesprächsbereitschaft in bezug auf die Fristen usw. signalisiert haben. Wenn wir irgendwelche Spielräume in der Politik haben, dann sollten wir versuchen, den Opfern der DDR noch zu helfen.
Bei der Rechtsangleichung haben wir das Werk des Einigungsvertrages fortgesetzt und einen weitgehenden Abschluß erreicht. Während der Ausgangsgrundsatz des Vermögensgesetzes Rückgabe vor Entschädigung im Osten nach wie vor - ich drücke es einmal vorsichtig, parlamentarisch aus - umstritten bleibt, werden die nachfolgenden Gesetze wie z. B. das Sachenrechtsbereinigungsgesetz, das Schuldrechtsanpassungsgesetz und das Entschädigungsgesetz in der Bundesratsfassung überwiegend als sachgerechter Interessenausgleich empfunden. Wenn man bedenkt, daß es sich um Gesetze von vitalem Interesse für Hunderttausende von Familien handelt, die elementarste Lebensgrundlagen wie die Wohnung betreffen, dann muß man anerkennen, daß es eine großartige Leistung ist, daß diese Gesetze jetzt so unspektakulär vollzogen werden.
Sie, Frau Ministerin, haben wesentlichen Anteil an diesem sachgerechten Ausgleich.
Schließlich ist auch der Aufbau der Justiz in den östlichen Bundesländern weitgehend abgeschlossen, wozu der Bund eine beachtliche Anschubfinanzierung in Höhe von ungefähr 300 Millionen DM geleistet hat. Besonders erfreulich ist, daß jetzt die Verlagerung zweier oberster Bundesgerichte, des Bundesverwaltungsgerichts nach Leipzig und des Bundesarbeitsgerichts nach Erfurt, in die Gänge kommt und diese beiden Gerichte um das Jahr 2000 ihren Sitz im Osten Deutschlands haben werden.
Gerade der Vergleich mit Osteuropa zeigt, wie wichtig der Rechtsstaat und wie wichtig eine rechtsstaatliche Justiz als Investitionsrahmenbedingung ist.
Manfred Kolbe
Es bleibt aber auch für die Rechtspolitik noch manches zu tun. Auf dem Gebiet der Rechtsangleichung haben wir noch einige schmerzhafte Lücken. Ich erwähne hier nur - davon bin ich in meinem Wahlkreis besonders betroffen - das immer noch geteilte Bergrecht im wiedervereinigten Deutschland. Im Osten gehören nach wie vor zahlreiche Bodenschätze wie Sand, Kies und Steine nicht wie im Westen dem Grundeigentümer. Mir ist es nach wie vor unverständlich, Frau Ministerin, warum die Bundesrepublik Deutschland hier erstens das DDR-Volkseigentum perpetuiert, zweitens die ansonsten immer beschworene Eigentumsgarantie des Art. 14 des Grundgesetzes nicht beachtet und drittens auf den elementaren Grundsatz der Rechtsgleichheit verzichtet.
Meine Fraktion hat dazu für diese Woche endlich eine erste Initiative ergriffen, die meiner persönlichen Ansicht nach aber nicht ausreicht. Wichtig wäre es meines Erachtens, daß Sie als Bundesjustizministerin und die Rechtspolitiker sich endlich einmal dieses Themas annähmen, damit es nicht nur im Bundeswirtschaftsministerium behandelt wird, wo wahrscheinlich handfeste Interessen den Gang der Dinge bestimmen.
Besonders beschäftigen muß uns auch die Sorge gerade der Bürger im Osten um die innere Sicherheit. Nach der Arbeitslosigkeit ist die Kriminalität das drängendste Problem. Wir alle können nur mit Sorge eine Allensbach-Umfrage vom Frühjahr registrieren, nach der auf die Frage, ob die Bürger mit dem Schutz durch die Polizei zufrieden seien, im Westen etwa gleich viele mit Ja und mit Nein geantwortet haben - 43 % zu 44 % -, während im Osten nur 13 % zufrieden waren; 76 % waren nicht zufrieden.
Mich bedrückt es immer, wenn mir die Bürger im Wahlkreis sagen: Lieber Herr Kolbe, wir sind durchaus zufrieden mit der Bundesrepublik Deutschland, aber in der DDR waren wir besser vor Kriminalität geschützt. - Es darf nicht so sein, daß nur eine totalitäre Diktatur in der Lage ist, die Bürger vor Kriminalität zu schützen. Das muß auch der demokratische Rechtsstaat leisten. Dazu sind wir alle aufgefordert.
Gerade die 40 Jahre DDR zeigen, glaube ich, mit einer kaum zu überbietenden Deutlichkeit die Bedeutung des Rechtsstaats für uns alle. Der Rechtsstaat verkörpert das Wesen der Bundesrepublik Deutschland und ist Grundlage unseres friedlichen Zusammenlebens und auch unseres wirtschaftlichen Wohlstands. Der Rechtsstaat kann deshalb für eine freie Gesellschaft nie zu teuer sein. Dennoch sind wir hier in einer Haushaltsdebatte. Wir müssen natürlich dem steuerzahlenden Bürger auch über die Kosten der Justiz Rechenschaft ablegen.
Was mir bei der Befassung mit den Kosten der Justiz in den letzten Wochen aufgefallen ist, ist, daß wir dazu wohl im Augenblick keinen exakten Überblick haben. Wir beraten heute den Haushalt Ihres Hauses, Frau Ministerin, rund 700 Millionen DM. Dort sind aber auch justizfremde Kapitel wie das Bundespatentamt enthalten, während andererseits oberste Gerichte, Bundesgerichte wie das Bundesarbeitsgericht und das Bundessozialgericht, fehlen. Die Justizhaushalte der Länder haben ein Gesamtausgabevolumen von rund 15 Milliarden DM, enthalten aber auch nicht gewisse Kosten, etwa die Gebäudekosten oder die Pensionslasten. Ich glaube, wir sollten einmal versuchen, eine Aufstellung der Kosten der Justiz zu erarbeiten: zum einen, um mehr Transparenz zu erreichen, zum anderen aber auch, um dem steuerzahlenden Bürger Rechenschaft abzulegen.
- Ja, durchaus. Das kann auch das Ergebnis sein, Herr Kleinert.
Wir müssen uns dabei auch dem internationalen Vergleich stellen; denn eine rechtsstaatliche effiziente Justiz ist auch ein wichtiger Standortfaktor. Wir haben in Deutschland heute rund 75 000 zugelassene Rechtsanwälte, beschäftigen 20 600 Richter, 5 000 Staatsanwälte und 12 500 Rechtspfleger. Ein vergleichbarer Industriestaat wie Japan kommt bei einer Bevölkerungszahl von 120 Millionen Einwohnern mit 14 000 zugelassenen Rechtsanwälten, 2 800 Richtern und 1 200 Staatsanwälten aus. Auch hier wäre einmal eine vergleichende Untersuchung angebracht.