Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Verläßliche, prognostizierbare Rechtsprechung in angemessener Zeit - ich mache es jetzt so ähnlich wie Sie, Frau Däubler-Gmelin, gewisse Dinge, um die wir uns weiterhin bemühen müssen möglichst gleich am Anfang immer zu wiederholen, - bedeutet u. a., daß dieses Parlament bei der Gesetzgebung, wenn nicht äußerste Dringlichkeit gegeben ist, sorgfältig zu Werke geht, prüft, die Beteiligten anhört, vernünftige Gespräche in angemessener Zeit führt und daraufhin - das spricht am ehesten dafür, daß das dann auch so zustande kommt - anständige Gesetze macht.
Deshalb besteht ein gutes halbes Jahr nach Zusammentreten dieses Bundestages überhaupt keine Veranlassung, angesichts der Vorlagen, die bereits jetzt für jedermann sichtbar geworden sind und für die wir der Bundesjustizministerin danken, etwa von versäumter Zeit zu sprechen.
Der Druck der vergangenen Legislaturperiode mit den unglaublichen Anforderungen, die sich aus der deutschen Einigung ergeben haben, ist im wesentlichen abgebaut worden. Deshalb müssen wir hier zu einem gediegenen Arbeitsstil zurückfinden. Das gilt für eine Fülle von Vorhaben, die man am besten nur ganz vorsichtig oder gar nicht anfaßt. Ich denke zum Beispiel an die Regelungsfülle - zum allergrößten Teil überflüssig -, die der SPD vorschwebt. Nachdem sie kunstvoll das Phantom der Bankenmacht aufgebaut hat, läßt sie ihrem Regelungsbedürfnis großzügig freien Lauf. Wir prüfen gern mit Ihnen gemeinsam, was davon wohl sein muß. Wir sagen gar nicht, daß da überhaupt nichts wäre, um das man sich kümmern und bei dem vielleicht auch hier und da etwas geregelt werden müßte. Aber alles zu regeln, was irgend geht, geht zu weit.
Dazu gehört im übrigen auch, daß wir möglichst immer weiter - das bedarf offenbar einer langwierigen und gründlichen Überzeugungsarbeit - auf außergerichtliche Einigungen hinarbeiten, daß wir möglichst viele Anreize zu außergerichtlichen Einigungen geben. Wenn heute schon 70 % aller potentiellen Streitfälle mit Hilfe der Anwaltschaft außergerichtlich erledigt werden, ist das der wirksamste Beitrag zur Gerichtsentlastung, den wir uns vorstellen können. Auch dafür muß man dankbar sein.
Das muß man weiter so betreiben.
Ich könnte mir auch vorstellen, daß gewisse Überlegungen über die Art, wie wir die Richter der obersten Bundesgerichte wählen, mit in diesen Zusammenhang gehören. Wir könnten sowohl den Vertretungen der Richter wie gleichzeitig denen der Anwälte mehr Möglichkeiten geben, ihre Vorstellungen vorzutragen, um damit etwas mehr Transparenz in die Vorgänge zu bringen, so daß sich die Richterschaft in ihrer Stellung und hinsichtlich der Grundsätze, die dazu führen, daß Richter in diese verantwortungsvolle Position der Rechtsentwicklung gebracht werden, sicherer fühlt. Dazu, meine ich, wären vernünftige Gedanken sehr angebracht.
Gleichzeitig finde ich die insbesondere nach kürzlichen sehr heftigen Auseinandersetzungen über ein Verfassungsgerichtsurteil sofort einsetzenden Diskussionen über eine Veränderung der Mehrheiten, mit denen das Gericht entscheidet, oder über ein verändertes Wahlverfahren weniger angemessen, um das einmal so zurückhaltend auszudrücken.
Ich möchte mich zu der nach dem Kruzifix-Urteil entstandenen Diskussion in der gleichen Weise zurückhaltend äußern. Es hat immerhin - soviel darf man sagen; ich glaube, ich bin darin mit Herrn Kollegen Schily im wesentlichen einig - zu einer in vielen Teilen - keineswegs überall - sehr niveauvollen Diskussion geführt. Es hat bei vielen Menschen, bei denen der Umgang mit christlichen Symbolen zur Routine geworden zu sein scheint, dazu geführt, daß sie neu darüber nachgedacht haben, aus welchen Gründen und gar aus welchen Rechtsgründen solche Symbole Verwendung finden. Rechtsgründe dafür sollte es im gegebenen Zusammenhang allerdings nicht geben. Das war der Sinn des Urteils; darum geht es in Ordnung.
Wenn daraufhin die Kreuze - weil die Eltern sie übereinstimmend wünschen oder weil niemand widerspricht - in den Schulen und anderwärts als ein Bestandteil unserer Kulturgeschichte und unserer Einstellung zu diesen Grundwerten weiterhin hängen, dann werden wir das begrüßen.
Nur: Die staatliche Anordnung ist eine ganz andere Geschichte; sie durfte nicht sein.
Detlef Kleinert
Wir werden auch über Ihre Vorschläge in bezug auf Änderungen beim Bundesverfassungsgericht gerne diskutieren. Herr Kollege Eylmann, Sie wissen, daß ich neulich bei einer Gelegenheit in Gegenwart unserer argentinischen Kollegen laut über die Möglichkeit nachgedacht habe, dort eine Zweidrittelmehrheit einzuführen, wofür tatsächlich einiges spricht. Bei weiterer Überlegung habe ich mir gedacht, ich könnte zu leicht in die Gefahr kommen, in der sich zur Zeit Herr Beck vielleicht - ich sage das ganz vorsichtig - befindet, daß ich mir nämlich in dem Augenblick, in dem mir etwas nicht so sehr gefällt, sage: „Darauf mußt du so und so reagieren" und nicht das Ende bedenke - respice finem. Man sollte immer im Auge behalten, daß bei einer Änderung der Verhältnisse diese Änderung sehr massiv ins eigene Fleisch schneiden könnte, so daß man es, wenn man den Gedanken zu Ende geführt hat, am liebsten bei dem läßt, was wir schon haben, so wie Frau Däubler-Gmelin die Ehre hatte, das als Berichterstatterin 1990 dem Hause vorzutragen.