Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem Budget des Innenministeriums und auch mit dem Budget des Justizministeriums beraten wir zwei Haushalte, die für die Prägung des inneren Zustandes und der rechtsstaatlichen Sicherheit unseres Landes entscheidend sind. Ebenso wie der gesamte Bundeshaushalt sind auch diese beiden Einzelhaushalte von den notwendigen Einsparungen bekanntlich nicht verschont geblieben. Dabei handelt es sich um Einsparungen, die zur Konsolidierung der Bundesfinanzen, zur Eindämmung der Staatsverschuldung und damit insgesamt zur Senkung der Staatsquote unabdingbar sind. Wir stehen also auch hier vor einer Politik der knappen Kassen. Das ist aber zugleich - wie immer bei notwendigen Beschränkungen - eine Chance für eine Besinnung auf das Wesentliche und das wirklich Wichtige der Innen- und Rechtspolitik aus der Sicht unserer Bürger.
Unser Gemeinwesen hat sich, wie inzwischen nahezu jeder Bürger spürt, vielfältig und buchstäblich übernommen. Wir haben lange Zeit - im Zeichen unseres großen wirtschaftlichen Erfolgs, des großen Wohlstands, den wir uns über Jahrzehnte erwirtschaftet hatten - auch in dem Bewußtsein gelebt, daß der Staat, staatliche Zuständigkeiten, Verteilungsstaatlichkeit und staatliche Transferpolitik nahezu grenzenlos möglich sind. Jedermann weiß heute aber, daß das nicht der Fall ist, daß wir buchstäblich an die Grenzen des Machbaren, namentlich an die des Finanzierbaren gestoßen sind. Deshalb ist heute Besinnung angesagt.
In diesem Sinne birgt das Datum der so knapp gewordenen Staatshaushalte auch eine besondere Chance zur Wiederbesinnung, zur Erneuerung und zur Reform unseres Gemeinwesens überall dort, wo es notwendig geworden ist. Die auch in vorangegangenen Beiträgen schon deutlich gewordenen Reformen in diesem Sinne heißen vor allem Notwendigkeit und Bekenntnis zum schlankeren Staat.
Der Bundesinnenminister hat bereits darauf hingewiesen, daß wir auf Beschluß der Bundesregierung in den kommenden Tagen den Sachverständigenrat „Schlanker Staat" konstituieren werden. Mitglieder dieses Sachverständigenrates sind angesehene Persönlichkeiten aus der Wissenschaft, den Bundesländern, den Kommunen, der Wirtschaft, auch den Gewerkschaften, Herr Schily, den Parteien und der Bundesregierung. Die Einsetzung des Sachverständigenrates ist Teil der Initiativen der Koalition, um staatliches Handeln im normativen, administrativen und gerichtlichen Bereich auf das notwendige Maß zu beschränken.
Aber darüber hinaus - Herr Schily, das entgegen Ihrer Kritik an der Bundesregierung - hat die Koalition in diesem Jahr bereits eine ganze Reihe von Initiativen ergriffen, um Überreglementierungen und Überbürokratisierungen zu bekämpfen. So wurden z. B. auf der Basis der Schlichter-Kommissionen Vorschläge zur Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren erarbeitet, die Überprüfung der ca. 230 Bundesstatistiken begonnen und die gesetzespolitischen Eckpunkte zur Reform des öffentlichen Dienstrechts vorgestellt. Alle diese und weitere Initiativen, die sich mit dem Thema „schlanker Staat" befassen, werden durch diesen Sachverständigenrat fachlich und politisch begleitet, gefördert und mit zusätzlichen Impulsen versehen werden.
Dr. Rupert Scholz
Eine wirklich effektive Verschlankung des Staates muß - hier erhoffe ich mir wiederum wesentliche Impulse von der Arbeit des Sachverständigenrates - bei einer substantiellen Aufgabenkritik beginnen. Ich freue mich, daß die Aufgabenkritik auch in dem SPD-Papier, auf das Sie Bezug genommen haben, Herr Schily, so zentral genannt wird.
- Das Papier ist sehr gemischt. Aber wir diskutieren noch darüber; dann werden wir feststellen, was wirklich drinsteht. Das ist ein Punkt, der positiv ist.
Ich freue mich, auch Sie einmal loben zu können.
Meine Damen und Herren, eines steht jedenfalls fest: Bund, Länder und Gemeinden müssen sich endlich und ernsthaft fragen, ob alle Aufgaben, die sie in den vergangenen Jahrzehnten in die eigene öffentliche Regie genommen haben, wirklich nur in staatlich-öffentlicher Verantwortung wahrgenommen werden können. Es ist ernsthaft zu fragen, was an Privatisierung möglich ist. Da ist mir z. B. Ihr Ansatz, Herr Schily, in der Abwägung von Privatisierung - ja oder nein - zu eng und methodisch nicht richtig angesetzt.
Wichtig ist bei alledem aber auch eines: Wir brauchen in unserer Bevölkerung das Bewußtsein für eine solche Reduzierung staatlicher Zuständigkeiten. Mancher in unserem Lande ist nämlich im Lichte - ich sage es bewußt ironisch - „allzu gut gemeinter" staatlicher Überregulierungen, auch staatlicher Übervorsorge, bequem geworden. Solche Bequemlichkeit verträgt sich nicht mit der geforderten Rückkehr zu mehr gesellschaftlicher Eigenverantwortung und, verbunden hiermit, mit der Bereitschaft zu mehr eigenverantwortlichem Mut, Wagnis und Innovationsbereitschaft.
In diesem Sinne ist das Thema „schlanker Staat" nicht nur ein Thema des Staates, sondern ein gesellschaftspolitisches Thema von zentraler Bedeutung.
Jedermann bei uns bekennt sich - zumindest verbal - inzwischen zum Subsidiaritätsprinzip. Aber wenn es zur Sache geht, wird es meistens nicht mehr sehr ernst genommen.
Aber wir müssen das Subsidiaritätsprinzip wirklich ernst nehmen. Wir müssen uns besinnen, daß das Subsidiaritätsprinzip fordert: Der Staat hat sich prinzipiell auf die hoheitlichen Kernaufgaben zu konzentrieren.
Es geht ganz entscheidend erstens um Subsidiarität, zweitens - damit im übrigen verbunden - um Solidarität, nämlich die Solidarität auf der Grundlage gesellschaftlicher Eigenverantwortung, und drittens um Konzentration. In diesem Sinne werden wir uns in den kommenden Jahren in vielfältiger Hinsicht um eine neue Philosophie der Staatstätigkeit bemühen müssen.
Es wird nicht mehr so weitergehen, daß wir dem Grundsatz „möglichst viel staatliche Zuständigkeit" folgen, nein, wir werden den Grundsatz „multum, non multa" verfolgen müssen.
- Sie, lieber Herr Penner, sehen sich offenkundig schon wieder als Angeklagten. Sie haben das Recht natürlich immer.
Der Bürger fragt sich heute an zentraler Stelle: Wo und wie ist der Staat für mich da? Die Antwort muß lauten, daß der Staat vor allem seine genuinen Staats- und Hoheitsaufgaben kraftvoll wahrnimmt. Das ist ein entscheidender Aufgabenbereich der Innen- und Justizpolitik.
Der Staat muß vor allem seine rechtsstaatliche Verantwortung wirklich und wirksam wahrnehmen. Unsere Bürger sind nicht nur an der Einhaltung der liberalen Freiheitsrechte interessiert, sie sind ebenso an der vom Staat und seinem Gewaltmonopol zu gewährleistenden Rechtssicherheit interessiert. Liberalität ist ohne Rechtssicherheit niemals denkbar. Liberalität verfällt in schlichte und unverantwortliche Libertinage, wenn der Staat seine genuine Verantwortung für die Rechtssicherheit nicht wahrnimmt. Deshalb steht die CDU/CSU-Fraktion mit dem Bundesinnenminister für eine aktive und verantwortliche Rechtsstaatspolitik,
die die Rechtssicherheit der Bürger ebenso kontinuierlich wie verstärkt in den Vordergrund stellt.
Verbrechensbekämpfung und innere Sicherheit behalten ihren zentralen Rang und sind zu stärken. Da geht es ganz entscheidend darum - heute wurde bereits mehrfach darauf Bezug genommen -, daß das auch in den Ländern geschieht. Vorkommnisse wie die Chaostage in Hannover sind unerträglich und dürfen sich niemals wiederholen.
Wohlgemerkt: Wenn man schon Hannover zitiert - das ist heute ja ein bleibendes Thema -, erinnere ich daran, daß es nicht nur die Chaostage sind, in denen eine verfehlte Politik unter dem scheinbar legitimierenden Stichwort sogenannter Deeskalation gemacht wird. Ich erinnere auch an den Fall „Castor", wo entgegen klaren gesetzlichen Vorgaben, klaren verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen das Chaos durch
Dr. Rupert Scholz
die Landesregierung in Hannover buchstäblich mit befördert und ermutigt wurde.
Die CDU/CSU-Fraktion und die Koalition werden auch die Politik der SPD und der Grünen zur Entkriminalisierung sogenannter Kleinkriminalität nicht akzeptieren. Was heißt das eigentlich: Entkriminalisierung von Kleinkriminalität? Es bedeutet im Grunde die Förderung von Einstiegskriminalität. Herr Schily, Sie haben auf die Kinder hingewiesen: Ihr Vergleich mit der Bestechung. Sie hätten an etwas ganz anderes denken müssen. Was ist denn mit dem Ladendiebstahl, den Sie „entkriminalisieren" wollen? Das ist Einstiegskriminalität.
Wir hatten im letzten Jahr im Einzelhandel rund 131 000 Ladendiebstähle mit einem Gesamtschaden von 2,35 Milliarden DM. Das ist nicht erträglich. Wer eine solche kriminelle Einstiegsentwicklung fördert, der vergeht sich am Rechtsbewußtsein und - ganz entscheidend - auch an unseren Kindern, denen rechtzeitig deutlich gemacht werden muß, daß das nicht Recht, sondern Unrecht ist.
Das gleiche gilt für Ihre Politik bezüglich der Freigabe von Drogen. Wer in Mißdeutung des Bundesverfassungsgerichtsurteils meint, er könne Drogen weitgehend - den sogenannten Eigenverbrauch - entkriminalisieren, vergeht sich vor allem an unserer Jugend, an den jungen Menschen.
Die Beispiele lassen sich fortsetzen.
Wo sind die entscheidenden Aufgaben? Der Bundesinnenminister hat auf entscheidende und zentrale Aufgaben hingewiesen. Es geht ganz maßgeblich darum, eine verantwortliche Politik der inneren Sicherheit bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität, und zwar in wachsamer Orientierung am Wandel der tatsächlichen Gefährdungslagen, vor denen wir stehen, wirklich nach vorn zu bringen.
Die Bekämpfung der organisierten Kriminalität muß sich an ihrer Internationalität orientieren. Sie muß sich an der Nutzung moderner technischer Möglichkeiten und am gesamten Spektrum dessen, was hier heute in der Konfrontation auftritt, orientieren, und zwar durch wirksame Prävention und wirksame, abschreckende Repression. Dazu gehört natürlich die akustische und optische Überwachung von Gangsterwohnungen.
Wir brauchen - darauf hat der Bundesinnenminister weiter hingewiesen; wir werden das in Angriff nehmen - an allererster Stelle eine Bekämpfung der Korruption und müssen sie gesetzlich verankern. 1994 wurden hier über 7 000 Straftaten registriert. Die Dunkelziffer ist, wie ich fürchte, noch sehr, sehr viel höher. Das wird kaum zu bestreiten sein, das wissen wir alle.
Dringender gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht natürlich bei der Kronzeugenregelung.
Vor allem bedarf der Gesamtkomplex der Geldwäsche einer gründlichen gesetzgeberischen Überprüfung. Meine Fraktion hat dazu vor wenigen Tagen eine Expertenanhörung durchgeführt. Angesichts der enormen und ständig zunehmenden Gewinne aus der organisierten Kriminalität brauchen wir eine effektive, für die Betroffenen buchstäblich schmerzhafte Gewinnabschöpfung, um den Lebensnerv der organisierten Kriminalität zu treffen.
Strafandrohungen allein reichen aber nicht aus. Die Verbrechensgewinne müssen abgeschöpft werden. Der Zugriff auf sogenanntes bemakeltes Vermögen muß im Interesse einer wirksamen Verbrechensbekämpfung erleichtert werden. Hier tut sich allerdings - auch das müssen wir sehr wohl beachten - das geltende Recht im Lichte der Eigentumsgarantie des Art. 14 des Grundgesetzes nicht ganz leicht. Beim Thema der Beweiserleichterungen, die unter den Aspekten der effektiven Verbrechensbekämpfung sicherlich wünschenswert sind, werden wir sehr behutsam vorzugehen haben.
Ein letztes Beispiel, das ich nennen will, ist die Novellierung des Gesetzes über das Bundeskriminalamt. Der entsprechende Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt dem Bundestag inzwischen vor. Der Gesetzentwurf enthält differenzierte Regelungen für die vielfältigen Aufgaben des Bundeskriminalamts als Zentralstelle für die Verbrechensbekämpfung, als Strafverfolgungsbehörde sowie in den Bereichen des Personen- und Zeugenschutzes.
Außerdem wird mit der Aufnahme von bereichsspezifischen Datenschutzregelungen für die Tätigkeit des Bundeskriminalamts dem Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts - ich sage sehr bewußt: endlich - Rechnung getragen. Die Umsetzung dieser Rechtsprechung ist überfällig, der sogenannte Übergangsbonus läuft allmählich aus oder ist, wie es der Hessische Verwaltungsgerichtshof kürzlich ausgeführt hat, möglicherweise bereits abgelaufen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, eine Rückführung staatlicher Tätigkeitsbereiche kann und muß also, richtig verstanden, eben nicht einen geschwächten Staat, der die Erwartungen und Ansprüche der Bürger nicht erfüllt, bewirken. Im Gegenteil, der Staat ist dort zu stärken, wo es um die zentralen Aufgaben geht, deren Erfüllung der Bürger von uns erwartet, insbesondere in der Rechts- und Sicherheitspolitik.
In diesem Sinne will die Koalition mit dem Haushalt 1996 auch insoweit entscheidende Weichen stellen, um den Bürger einerseits von überflüssiger Bürokratie und Überreglementierung zu entlasten, ihm auf der anderen Seite aber das Vertrauen in die in-
Dr. Rupert Scholz
nere Sicherheit und die Geltung des Rechts wieder stärker zu vermitteln. Die Koalitionsfraktionen werden diese Ziele mit allem Nachdruck anstreben, und wir werden diese Ziele in dieser Legislaturperiode gemeinsam erreichen.
Ich danke Ihnen.