Rede von
Dr.
Ludger
Volmer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als wir vor fünf Jahren begannen, dieses schwierige Thema der deutschen Einigung zu diskutieren, gab es einen anderen ganz dramatischen Umwälzungsprozeß in Europa, nämlich auf dem Balkan. Ich glaube, wir müssen uns im nachhinein sagen, daß wir auch auf Grund der eigenen Probleme damals nicht die Augen für die dramatischen Entwicklungen, die dort begonnen haben, geöffnet haben. Zumindest war das damals kein Hauptthema der offiziellen Politik.
Ohne das dieser Politik in die Schuhe schieben zu wollen, stehen wir vor der Situation, daß die grausame Entwicklung einen dramatischen Höhepunkt erreicht hat. Es sind faschistische Mörderbanden in Srebrenica und Sepa eingefallen, um dort die Bevölkerung zu massakrieren. Es gibt immer noch Nationalisten auf serbischer Seite, die Sarajevo terrorisieren. Das muß man so beim Namen nennen.
Ich sage ganz deutlich: Emotional stehe ich auf der Seite derer, die sagen: Man muß jetzt irgendwie dazwischenhauen, man muß diesem grausamen Treiben ein Ende setzen. Aber gleichzeitig glaube ich, es muß politische Kräfte geben, die die Frage stellen, ob die Methoden, die heute angewendet werden, über den Tag hinaus nicht mehr Nach- als Vorteile haben werden.
Gewiß, das ist ein folgerichtiger Schritt. Die Bombardierung ist ein Schritt, der auf die Grausamkeit der serbischen Nationalisten zurückzuführen ist. Aber er ist auch ein folgerichtiger Schritt im Rahmen einer von Beginn an falschen und verfehlten Politik des Westens.
Ich glaube, wenn es die gleiche Entschlossenheit, die jetzt bei der Bombardierung an den Tag gelegt wurde, schon drei Jahre zuvor gegeben hätte, dann wäre es möglich gewesen, diesen Konflikt mit zivilen Methoden, mit Wirtschaftsembargos einzudämmen und auch zu lösen. Das wäre damals möglich gewesen. Es gab auch die entsprechenden Forderungen. Kein Geringerer als Hans-Dietrich Genscher sagt heute: Wenn das Wirtschaftsembargo insbesondere im Bereich Mineralöl wirklich durchgeführt worden wäre, dann wäre der serbischen Kriegsmaschinerie der Sprit ausgegangen, und man hätte die serbische Seite früher an den Verhandlungstisch bekommen als heute.
Ich glaube, es wäre eine völlig falsche Konsequenz aus dem Bosnien-Krieg, wenn jetzt geschlußfolgert würde, europäische Politik, europäische Sicherheitspolitik und europäische Regionalpolitik, könne im großen und ganzen so weiterbetrieben werden wie bisher. Wenn es denn schiefgeht und wenn jemand gegen Humanität und Menschenrechte verstößt, dann haben wir immer noch die UNO, die bereit ist, die NATO zu Hilfe zu holen. - Wir akzeptieren eine solche Struktur als zukünftigen Konfliktlösungsmechanismus nicht.
Wir glauben, es ist eine Konsequenz aus dem Bosnien-Krieg, daß über eine völlig neue europäische Sicherheitsarchitektur nachgedacht werden muß. Wir stellen fest, daß die Megasysteme, daß die NATO, daß die Westeuropäische Union gerade nicht in der Lage sind, den Typ von Konflikt zu lösen, der für die Zukunft der wahrscheinlichste ist. Wir registrieren eine Zunahme von ethnischen, von nationalistischen, von tribalistischen Konflikten mit sehr großer Barbarei weltweit. Ich kann mir nicht vorstellen, daß man mit dem NATO-Instrumentarium, das im Kalten Krieg gegen den Warschauer Pakt entwickelt worden ist, in Zukunft solche Konflikte in den Griff bekommen wird.
Deshalb fordern wir, daß als Konsequenz aus dem Bosnien-Krieg über eine neue moderne europäische Sicherheitsarchitektur nachgedacht wird,
die auf erheblich anderen Grundlagen fußt als auf dem klassischen Militarismus.
Wenn man den Nationalismus, wenn man den Militarismus und wenn man den einzelstaatlichen Wirtschaftsegoismus als die Grundlagen des trotz europäischer Einigung immer noch vorhandenen europäischen Übels sieht, dann muß man überlegen, wie man über die klassischen Bündnissysteme hinauskommt, und man muß über ein System kollektiver Sicherheit nachdenken, in das all die Nationalstaaten einbezogen werden. Dann ist es völlig falsch, die NATO als Struktur auszudehnen, die immer einen Gegner voraussetzt oder einen Gegner provoziert.
Ludger Volmer
Wir fordern deshalb, daß Sie über den Ausbau der OSZE nachdenken. Im Unterschied zu all den schönen Worten, die ich hier höre, stelle ich fest: Mittel werden im Haushalt dafür kaum bereitgestellt. Es gibt insgesamt 7 Millionen DM für die OSZE. Aber allein 6,5 Millionen DM wird die nächste Außenministerkonferenz der NATO kosten. Der BundeswehrReservistenverband bekommt 27 Millionen DM. Daran erkennt man die Disparitäten in Ihrer Politik. Was zukunftsträchtig ist, was ein Element neuer Sicherheitsarchitektur beinhalten könnte, wird von Ihnen kaum gefördert, es sei denn verbal. Gefördert wird aber die alte konservative Militärstruktur. Man weigert sich, mit Phantasie und Kreativität, wenn man denn schon am Hause Europa arbeitet, auch die Sicherheitspolitik in den Blick zu nehmen.
Statt dessen höre ich heute von Herrn Schäuble, daß man darüber nachdenken müsse, ob nicht die französischen Atomwaffen einen Schutzschild für ganz Europa bilden könnten.
Dazu muß ich sagen: Das stößt auf allergrößten Widerstand, nicht nur bei uns, sondern auch bei französischen Oppositionsbewegungen und sonst in Europa.
Ich kann mir einfach nicht vorstellen, Herr Schäuble, daß man glaubwürdig gegen den Test von Atomwaffen sein kann, wenn man auf der anderen Seite wiederum glaubwürdig - anders würde der Schutzschild nicht funktionieren - ihren Einsatz androhen will.
Zu dieser gesamten atomgestützten Politik möchte ich Sie mit einem Satz Ihres Vorgängers im Amt des Fraktionsvorsitzenden konfrontieren, der ja wirklich nicht als Pazifist bekannt ist, der aber in einem Anflug von Altersweisheit in der Debatte über den Nichtverbreitungsvertrag etwas Endgültiges über die Atomwaffen gesagt hat. Alfred Dregger sagte am 16. Februar 1995 dazu:
Kein Land kann seine Sicherheit und die seiner Partner auf Waffen gründen, die niemand in seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen einsetzen könnte. In letzter Konsequenz heißt das: Die Atomwaffenstaaten sollten sich fragen, ob die, wie ich meine, fragwürdigen Vorteile des Besitzes von Atomwaffen das Risiko wettmachen, sich und die Welt der atomaren Vernichtung preiszugeben.
Dies war die Antwort von Dregger auf die Frage der Atomwaffen. Wir schließen uns ihr an.
Ich hoffe, Herr Schäuble, daß Sie und Ihre Fraktion auf die Weisheit Ihres ehemaligen Vorsitzenden hören.