Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wird es auf eine Anerkennung der
Joseph Fischer
ethnischen Säuberung hinauslaufen, und zwar nicht nur in Bosnien? Was wird aus den vertriebenen Serben in der Krajina? Ich glaube, die Frage der Minderheiten ist die entscheidende Frage dieses Konflikts.
Ich weiß, daß wir uns da einig sind. Deswegen spreche ich das jenseits aller Polemik an; denn die Haltung der Bundesregierung interessiert mich wirklich. Ich argumentiere nicht in polemischer Absicht oder krokodilhaft, wie der Kollege Schäuble das an diesem Punkt getan hat. Sie können die Frage, so wie sie gestellt wurde, ernst nehmen.
Ich frage Sie, Herr Bundeskanzler, Herr Bundesaußenminister: Was wird mit der Unterstützung für die Minderheiten? Gibt es ein Rückkehrrecht? Was tut die Bundesregierung dafür, daß es ein Rückkehrrecht gibt? Eines darf doch nicht wahr sein - dann würde der Bosnien-Krieg Europa und die europäische Einigung in seinem Kern angreifen -: Wenn sich ethnische Säuberungen, wenn sich ein aggressiver, blutiger Nationalismus dort letztendlich mit nackter Gewalt durchsetzen, dann stellt das den europäischen Einigungsprozeß insgesamt in Frage.
Ich fordere Sie deshalb auf, nichts, aber auch gar nichts zu tun, was in einem solchen Prozeß des Friedens, der Friedenserarbeitung in diese Richtung geht, sondern das ganze Gewicht - dafür werden Sie unsere volle Unterstützung haben - dafür einzusetzen, daß es einen garantierten Minderheitenschutz gibt, daß es im Rahmen dieses garantierten Minderheitenschutzes Rückkehrrechte für alle Vertriebenen gibt, auch und gerade in der Krajina.
Meine Damen und Herren, die zweite große Frage betrifft die Entwicklung in Deutschland, die Modernisierung unserer Industriegesellschaft. Nun habe ich gelesen, fünf Jahre nach der Einheit hat der Bundeskanzler die blühenden Landschaften gesichtet. Es gibt sie doch.
- Herr Bundeskanzler, man sieht es Ihnen an, Sie blühen ja auch, eine wahre Blüte.
- Es ist nett, daß Sie wenigstens mir konzedieren, daß ich blühe. Allen anderen haben Sie es ja abgesprochen. Wie auch immer, warten wir ab, wie die Nachwuchspflänzlein hier blühen. Das ist eine ganz andere Frage.
Sie haben die blühenden Landschaften entdeckt. Auf die Frage, die sich stellt - das wissen Sie -, würde mich die Antwort interessieren. Die entscheidende Schwäche ist, daß es im wesentlichen transferabhängig ist. Der Kollege Scharping hat die Zahlen genannt, auch das Verhältnis von Investitionen und notwendigen sozialen Ausgaben. Ich sage gar nicht, daß sie nicht notwendig sind.
Der entscheidende Punkt ist, daß die neuen Bundesländer beim Selbständigwerden unter Produktivitätsgesichtspunkten hoffnungslos im Hintertreffen sind: maximal ein Drittel eigene Wertschöpfung. Wie - das frage ich Sie, und darauf hätten wir fünf Jahre nach der Einheit gerne eine Antwort - soll dieser Prozeß der Entindustrialisierung dort rückgängig gemacht werden? Meine feste Überzeugung ist, daß ein dauerhafter Transfer, sozusagen das Entstehen eines langjährigen Mezzogiorno-Problems, auf Dauer große Probleme des inneren Zusammenhalts dieses Landes mit sich bringen wird.
Deswegen müssen Sie als entscheidende Figur in dieser Regierung die Antwort darauf geben: Was wollen Sie tun, um die Wertschöpfung in den neuen Bundesländern, sprich: um dort Arbeitsplätze, die sich selbst tragen, Unternehmen, die sich selbst tragen, in einem Ausmaß zu fördern, wie es notwendig ist, und in welchen Zeiträumen?
In diesem Zusammenhang wäre es, denke ich, sehr wichtig, daß die Bundesregierung nicht mehr wie früher einen „Bericht zur Lage der Nation", sondern - so haben wir es beantragt - einen „Bericht zur Lage der Einheit" vorlegt, damit endlich jenseits der Rhetorik anhand von harten Fakten nachvollziehbar wird, wie die Entwicklung tatsächlich ist, und damit wir uns nicht auf Ergebnissen des Transfers ausruhen. Wir müssen die Kernfrage, nämlich die Wertschöpfung dort zu erhöhen, tatsächlich immer im Auge behalten, weil - ich wiederhole es - alles andere auf mittlere Sicht das Zusammenwachsen gefährden würde.
Meine Damen und Herren, was Sie, Kollege Schäuble, zum Strukturwandel Ost und Strukturwandel West abgeliefert haben, finde ich schon beeindruckend. Sie stehen mit dem Bundeskanzler in einer heftigen Kontroverse. Der Krach bei der SPD hat es überdeckt. Sie als präsumtiver Nachfolger denken ja über die Ära Kohl hinaus. Kohl ist der Meinung, mit seiner schmalen Mehrheit und den Konflikten, die dann aufbrechen, möglichst wenig Bewegung zu zeigen; denn damit wird die nächste Wahl gewonnen. Vielleicht wird er sogar recht haben. Schäuble müßte das dann ausbaden, es sei denn, das ewige Leben kommt über ihn.
Schäuble weiß: Wenn dieser Strukturwandel verschlafen wird, dann hat er die riesigen Probleme. Genau das ist das Thema.
Wenn man sich den Haushalt 1996 anschaut, wenn man den Nebel, den Theo Waigel gestern um sich herum verbreitet hat, einmal lichtet, dann kann man Rolf Dietrich Schwartz nur zustimmen, der heute in der „Frankfurter Rundschau" schreibt:
Joseph Fischer
Seine in Zahlen ausgedrückte Regierungserklärung vernebelt allerdings mehr die Kursänderung in Richtung voriges Jahrhundert, als daß sie aufklärt über die Konsequenzen der neuen Ziele. Kürzungen im Sozialetat neben Zulagen für die Rüstungsausgaben; gut eine Milliarde Mark für den Umweltschutz, knapp 50 Milliarden Mark für die Verteidigung; immer mehr Exporthilfen für Kriegsgerät, immer weniger Entwicklungshilfe für die Dritte Welt; Bildungsförderung nach unten, Luftwaffenförderung nach oben; Umschichtungen vom sozialen Wohnungsbau zur künftigen Verkehrsruine der Magnetschwebebahn Transrapid und - nicht zuletzt - Bekämpfung der Arbeitslosen „beim Verweilen im sozialen Netz statt der Arbeitslosigkeit.
Das ist die Realität. Da mögen Sie lachen, Herr Waigel, wie Sie wollen, das sagen die Zahlen Ihres Haushaltes, das kann man ihm entnehmen. Aber das ist nur der eine Punkt.
Der zweite, viel entscheidendere Punkt ist: Wie sehr gehen Sie auf den notwendigen Strukturwandel ein? Wenn man mit den führenden Vertretern der deutschen Wirtschaft spricht, dann kommt jedesmal ein wahres Klagelied: In Deutschland werde nicht mehr investiert, es würde sich nicht mehr rentieren, die Lohnnebenkosten seien zu hoch und ähnliches mehr. Ich frage dann jeweils: Aber ihr habt doch alle Kohl gewählt, ihr wolltet doch Kohl, ihr wolltet doch Waigel. Darauf gibt es dann keine Antwort mehr.
Ich werfe der Bundesregierung vor, daß sie die entscheidende Frage nicht beantwortet, nämlich wie wir neue Arbeitsplätze schaffen können, und zwar Arbeitsplätze, die nicht unbedingt nur in HamburgerBratereien oder im Bereich persönlicher Dienstleistungen angesiedelt sind, sondern in Bereichen mit hohem technischen Niveau und mit Zukunft.
Das Stichwort Biotechnologie wird oft genannt. Sie verlieren 4 000 oder 10 000 Arbeitsplätze in der Grundstoffchemie und bekommen in Hessen maximal 400 Arbeitsplätze bei einem Werk in der Biotechnologie.
- Wir haben überhaupt nichts vertrieben. Das wurde dort genehmigt, Graf Lambsdorff - das sollten Sie sich einmal anschauen -,
und zwar nicht von Ihnen; das ist der entscheidende Punkt.
Nach der Biotechnologie wird von Ihnen dann die Kommunikationstechnologie genannt. Da frage ich Sie: Ist die Umweltbewegung, ist die Opposition daran schuld, daß deutsche Unternehmen in der Kommunikationstechnologie weltweit kaum eine Rolle spielen? Wer trägt dafür nach zehn, zwölf Jahren Helmut Kohl die Verantwortung in diesem Lande? Sie werden sich täuschen - klinken Sie sich einmal in das Internet ein! - , wenn Sie glauben, daß in diesem Bereich viele Arbeitsplätze entstehen könnten. Das, was da gegenwärtig an Schrott sozusagen über die Datenautobahn fährt, wird teilweise nur noch von dem überboten, was Sie an Regierungserklärungen abgeben.
Die Arbeitsplätze, die Sie dort suchen, werden Sie nicht finden.
Ein Weiteres: der Transrapid. Gleichzeitig kürzen Sie die Mittel für die notwendigen Ausbaumaßnahmen im Zusammenhang mit dem Personenverkehr und dem Güterverkehr in den Ballungsgebieten. Es ist eine grotesk falsche Verkehrspolitik, die Sie betreiben.
Meine Damen und Herren, wenn Sie - leider kann ich nicht mehr detailliert darauf eingehen - den Strukturwandel hin zur umweltgerechten Industriegesellschaft verschlafen, wenn Sie mit einer Energiewende nicht Ernst machen, dann werden Sie sich nicht nur an der Umwelt versündigen, sondern dann werden Sie sich auch an der Zukunft dieses Landes als Industriestandort und an den Arbeitsplätzen versündigen. Da wären die Liberalen, Herr Kinkel, wirklich gefragt. Wann kommt denn, Herr Rexrodt - Herrn Rexrodt frage ich lieber gar nicht mehr; er wird nach der Berlin-Wahl bei den Abgeordneten sitzen -,
die Deregulierung des Stromsektors? Wann werden denn diese Monopole endlich geknackt? Wann gibt es endlich eine ökologische Energiepolitik, die den dezentralen Ansatz - was Liberale ja eigentlich vertreten müßten - tatsächlich umsetzt? Da findet man nichts. Man findet hingegen im Zusammenhang mit dem Haushalt der Bundesumweltministerin, daß an einem abenteuerlichen Projekt wie dem Forschungsreaktor Garching festgehalten wird. Dafür werden dann noch entsprechende Beträge eingestellt. Das ist, was Forschungsförderung betrifft, eine völlig falsche Richtung und zudem hochgefährlich.
Lassen Sie mich noch ein Letztes anfügen. Wir müssen Ernst machen mit der Energiewende. Wir müssen Ernst machen mit der Verkehrswende. Das alles muß aber mit einer ökologischen Steuerreform überwölbt werden. Herr Kollege Schäuble, Sie sagen, Sie würden das mitmachen. Ist das ernst gemeint? Sie sind doch die Mehrheit. Sie sollen nicht mitmachen und diese Bundesregierung hinterherschleifen, sondern Sie sind verfassungsrechtlich dazu verpflichtet, es zu tun, wenn Sie es für richtig halten.
Dann müssen Sie sich halt gegen solch einen störrischen Menschen wie den Waigel durchsetzen. Es
sind doch nicht wir, die hier die Mehrheit haben.
Joseph Fischer
Wenn wir die Mehrheit hätten, wäre er nicht mehr Finanzminister. So einfach ist das.
Deswegen sage ich Ihnen: Wenn wir die Strukturen unserer Gesellschaft nicht grundsätzlich erneuern - das kann nur in Richtung umweltverträgliche Industriegesellschaft gehen, weil das weltweit der Gesellschafts- und Produktionstyp von morgen sein wird -, dann werden wir die entscheidenden Herausforderungen verschlafen. Voraussetzung dafür ist, daß noch in diesem Jahr mit einer fundamentalen Änderung unseres Steuersystems hin zu einer ökologischen Steuerreform Ernst gemacht werden muß, meinetwegen Schritt für Schritt und sicherlich kostenneutral.
Der abenteuerliche Unfug, daß wir Arbeit verteuern und gleichzeitig den Umweltverbrauch oder gar die Umweltzerstörung verbilligen, muß ein Ende haben. Denn wenn wir daran festhalten, dann vertun wir die Zukunft. Wir müssen jetzt umkehren. Da sind Sie als Mehrheit mit Ihrem formidablen Bundeskanzler gefragt.