Rede von
Joseph
Fischer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Schäuble, wenn man Ihnen zugehört hat, dann kann man nur sagen - ich habe es Ihnen vorhin zugerufen -: Krokodil, dein Name sei Wolfgang!
Ich kann Sie ja verstehen. Ich bekenne ganz offen: Wir würden es im umgekehrten Falle ähnlich halten. Nur, wenn Sie so reden und gleichzeitig die politische Kultur in Gefahr sehen und sagen, daß es hier nur noch um persönliche Rivalitäten und um Machtauseinandersetzung gehe, und dies in einer derartig durchsichtigen Art tun, dann frage ich Sie, worin der Beitrag zur politischen Glaubwürdigkeit von Ihrer Seite tatsächlich liegt.
Wissen Sie, für Sie ist ja der Bundeskanzler sozusagen in den Zustand des ewigen Lebens aufgerückt, weil es ohne ihn nicht mehr gehen wird. Das entnehme ich auch Ihren Worten. Sie haben vergessen, ihm ein recht, recht langes Leben zu wünschen, damit Sie ja nicht in die Verlegenheit, die Nachfolgefrage beantworten zu müssen, kommen. Denn das würde Ihren Laden ähnlich zerlegen, wie es die SPD in den letzten Wochen leider erlebt hat. Das wissen Sie auch ganz genau.
Ich darf Sie nur, Herr Kollege Schäuble, an folgendes erinnern - der richtige Adressat steht ja neben Ihnen -: Auf welch solidarische Art und Weise wurde denn die Frage der Nachfolge in der bayerischen Ministerpräsidentschaft geregelt?
Mit welch üblen Verdächtigungen gegen einen Konkurrenten ist denn da ein anderer vorgegangen, und welche Verdachtsmomente übelster Art wurden damals gestreut, und zwar nicht vom politischen Gegner, sondern vom innerparteilichen Rivalen, der sich dann auch noch durchgesetzt hat? Sie wissen, wovon ich rede.
Herr Kollege Schäuble, nachdem Sie sich derart engagiert über die Hannoveraner Auseinandersetzungen, über die dortigen Gewalttätigkeiten und den Krawall ausgelassen haben und gleichzeitig die Frage nach der Glaubwürdigkeit der Politik, der Verletzung des Vertrauens in die Politik und der Störung der inneren Sicherheit gestellt haben, möchte ich erwidern: Ich habe seit zwei Tagen darauf gewartet, daß ein Ereignis des Sommertheaters, das bis in meinen Urlaubsort drang, hier zur Sprache kommt. Ich meine die Auseinandersetzung führender CSU-Politiker mit dem Kruzifix-Urteil des Bundesverfassungsgerichts.
Man hat dazu nicht einen Ton gehört, nicht ein Mäusepiepsen haben Sie in diesen zwei Tagen von sich gegeben, obwohl das ein regelrechter Aufruf zum Verfassungsbruch war.
- Das mögen Sie jetzt auf die bayerisch-folkloristische Schulter nehmen und sich sagen: Das darf man schon einmal machen. Ich sehe das völlig anders, mein lieber Herr Waigel. Was da gesagt wurde, war ein Anschlag auf die Gewaltenteilung.
Sie haben hinterher versucht, das Bundesverfassungsgericht an die Kette zu legen.
Diese Heuchelei - die CSU entdeckt plötzlich das Kruzifix - muß hier einmal offen angesprochen werden. Man kann ja bei diesem Urteil unterschiedlicher
Joseph Fischer
Meinung sein. Aber wir haben den religiös neutralen Staat. Wer dieses Urteil liest, der wird mitnichten das herauslesen können, was die führenden CSU-Politiker gemacht haben.
Wenn dann ausgerechnet der Vorsitzende der CSU München das Kreuz wieder als politisches Thema entdeckt - obwohl das eigentlich in die Käseschachtel hineingehört -, wenn sich diese Partei in München ernsthaft vorhalten muß, ob ihre nachrückenden Stadträte nicht besser vorher ein polizeiliches Führungszeugnis vorlegen,
damit klar ist, daß sie nicht zurücktreten müssen, dann muß man schon einmal die Frage stellen, wie weit diese Partei in der Auseinandersetzung mit der Gewaltenteilung noch gehen will. Wenn das die PDS oder wir gemacht hätten, hätten Sie schon längst nach einer Überwachung durch den Verfassungsschutz gerufen. Das wissen Sie nach dem, was da geäußert wurde, so gut wie ich.
Da hört meines Erachtens der Spaß auf. Wer Urteile des Bundesverfassungsgerichts, die nicht passen, mit den Worten kommentiert: „Dann muß eben dieses Gericht geändert werden, denn Mehrheit ist schließlich Mehrheit, und gegen die Mehrheit darf nicht entschieden werden", der legt nicht nur Hand an die Wurzeln der Gewaltenteilung, sondern stellt auch den Kern unserer Verfassung in Frage.
Denn es gibt unveräußerliche Minderheitenrechte, die auch von einer Mehrheit nicht angegriffen werden können. Daran halten wir fest.
Eine solche Aussage hätte Ihrem Beitrag zur politischen Glaubwürdigkeit in diesem Lande, den Sie, Herr Schäuble, hier mit Krokodilstränen vorgetragen haben, schon gutgetan.
Es wäre gut gewesen, wenn Sie gesagt hätten, was Sie von diesem CSU-Theater halten. Aber ich habe nicht allen Ernstes erwartet, daß Sie sich dazu äußern.
Sie haben zwei Punkte angesprochen - zu Recht -: Die heutige Debatte wird überschattet durch den Krieg in Bosnien und den ersten Atomversuch Frankreichs im Südpazifik.
- Ich komme noch zu China und zu dem Besuch des chinesischen Präsidenten hier bei Herrn Kohl. Machen Sie sich keine Sorgen!
Herr Schäuble, es reicht nicht, hier das Bedauern auszudrücken. Unter Freunden muß man sich die Wahrheit sagen können, nötigenfalls auch in aller Schärfe.
Ich frage Sie, jenseits der Risiken für die betroffene Region, für die Menschen, für die Umwelt - das ist die Kernfrage, die auch Sie gestellt haben -: Wie soll dieses Europa eigentlich zusammenwachsen, wenn wir nach wie vor nationale Abgrenzung, nationale Souveränität ausüben und nicht begreifen, daß wir nicht mehr im Jahre 1965, sondern im Jahre 1995 sind und es hier um einen Vorgang europäischer Innenpolitik geht?
Demnach hat auch die Bundesregierung die Pflicht, mehr zu tun, als nur - wie Sie, Herr Bundeskanzler, beim Treffen mit Herrn Chirac - verschämt zu hüsteln und hier das Bedauern auszusprechen, während Sie gleichzeitig unsere Anträge ablehnen respektive sie mit Ihrer Mehrheit an die Ausschüsse überweisen, damit sie erst dort unter dem Ausschluß der Öffentlichkeit irgendwann zur Abstimmung kommen.
Wenn wir eine europäische Innenpolitik wollen, dann werden wir, wie auch unsere Bündnispartner, unsere Freunde in der Europäischen Union, gemeinsam lernen müssen, daß es so etwas wie die notwendige Auseinandersetzung mit falschen Entscheidungen einer noch nationalen Regierung geben muß, ja, daß dies die europäische Pflicht ist, wenn dieses Europa demokratisch zusammenwachsen soll.
Wir sind nicht gegen Frankreich. Meine Partei war gegen einen Boykott, weil wir das als europäisch-innenpolitisches Problem ansehen. Aber wir protestieren nachdrücklich gegen diese fatal falsche Entscheidung des französischen Präsidenten. Ich möchte nochmals die Bundesregierung auffordern, endlich ihre Zögerlichkeit aufzugeben und ihre Möglichkeiten zu nutzen. Ich möchte Sie auffordern, endlich eine Protestresolution zu ermöglichen, die wir auch der französischen Nationalversammlung zustellen können.
Nun hört man in Frankreich allerdings, Herr Kohl habe zwar mit Herrn Chirac darüber geredet; man hätte sich aber gefreut, wenn er das zu dieser Frage auch mit dem chinesischen Staatspräsidenten getan hätte.
Natürlich werfen uns die Franzosen zu Recht vor:
Nach den Erfahrungen mit dem Besuch von Li Peng,
dem Schlächter vom Tiananmen-Platz - überall in
Joseph Fischer
Deutschland, in Ost und West, haben wir durch diesen Besuch eine sehr positive und menschenrechtliche Protesterfahrung gemacht; dieser Besuch ist dann an den Protesten gescheitert -, hat die Bundesregierung nichts Besseres gewußt, als den chinesischen Staatspräsidenten dieses Mal von der Bevölkerung und möglichen Menschenrechts- und Antiatomprotestlern weitgehend abzuschirmen und fernzuhalten. Worauf Sie gesetzt haben, ist, daß Sie damit ins Geschäft kommen. Das zeigt die ganze Doppelbödigkeit dieser Argumentation.
Natürlich wird Herr Chirac Sie fragen: Was haben Sie dem chinesischen Staatspräsidenten denn gesagt? Sie werden wahrheitsgetreu antworten müssen: Nicht viel; wir haben über Geschäfte gesprochen. Das ist die Politik dieser Bundesregierung. Sie machen Geschäfte mit einem Regime, das wir gerade dabei erleben können, wie es mit Gästen der Weltfrauenkonferenz umgeht - ganz zu schweigen davon, wie es mit der inneren demokratischen Opposition umgeht. Das ist die Realität in diesem Lande.
Kommen Sie mir nicht mit der These: Arbeitsplätze machen diese Kompromisse notwendig. Das sage ich auch in Richtung mancher Sozialdemokraten, die mittlerweile der Meinung sind, Jäger 90 oder anderes müsse gebaut werden können.
Wenn in diesem Land das Tabu bricht, Arbeitsplätze im Rüstungssektor, wenn sie überhaupt vorhanden sind, nur äußerst restriktiv unter dem Gesichtspunkt der Produktion besetzen zu können, dann werden wir erleben, daß das Schwergewicht dieser Argumentation - Arbeitsplätze im Rüstungssektor zu schaffen, statt die Rüstungsproduktion abzubauen - zu einem Aufblähen der Rüstungsproduktion und konsequenterweise zu einer entsprechenden Eskalation deutscher Rüstungsexporte führen wird. Deswegen sind wir entschieden dagegen.
Ich möchte - Kollege Schäuble hat es angesprochen - hier ganz offen die Frage Bosnien ansprechen. Herr Kollege Schäuble, ich sage es Ihnen ganz offen: Für mich persönlich war Srebrenica ein Wendepunkt. Warum? Wir haben - und zwar gemeinsam - immer darauf gesetzt, daß UN-Schutzzonen - so unzulänglich sie geschützt waren; sie wurden beschossen; das war nicht nur die Granate in Sarajevo; es gab Tuzla, wo viele junge Menschen ebenfalls durch eine solche Granate ermordet wurden - Hunderttausenden von Menschen das Überleben ermöglichen. Wir waren nie gegen die Einrichtung der Schutzzonen; wir waren auch nicht gegen die humanitäre Unterstützung, die die Bundeswehr da geleistet hat. Ich habe Ihnen das alles bereits nach dem Bundestagsbeschluß gesagt.
Das, was Sie hier beschlossen haben, hat die Katastrophe nicht verhindert; das müssen Sie ehrlicherweise sagen. Allein Herr Schwarz-Schilling und Marieluise Beck aus meiner Fraktion haben das hier angesprochen. Aber wenn UN-Schutzzonen, wo die Menschen auf die glaubwürdige Zusicherung vertrauen, Schutz vor der Gewalt zu finden, zur Auslieferungsstätte der dort lebenden Menschen an ihre Mörder werden, dann gerate ich in einen tiefen Grundwertekonflikt. Da mögen Sie noch so höhnen: Nachdem ich Ihnen hier zugehört habe, muß ich Ihnen sagen, daß man sich trotz allem, wenn es notwendig wird - das ist meine persönliche Überzeugung -, entweder für den Schutz der Schutzzonen oder für den Abzug und das Recht der Selbstverteidigung entscheiden muß.
Ich kann nur davor warnen, gewaltfreie Positionen aufzugeben. Was Sie hier über die französische Nuklearrüstung gesagt haben, läßt mich fragen, lieber Herr Schäuble: Warum gilt es nicht auch für die Ukraine, ein solches Abschreckungspotential vorzuhalten? Was Sie hier letztendlich unter dem Vorwand menschenrechtlicher Betroffenheit, die ich Ihnen sogar an diesem Punkt abnehme, formulieren, bedeutet, daß Sie ganz andere politische Interessen verfolgen. In Bosnien geht es nicht um eine Krise des Pazifismus, sondern um das Wiederauftauchen eines blutigen und aggressiven Nationalismus. Genau dagegen müssen wir uns wenden.
Ich sage Ihnen noch einmal: Meine Partei tut sich damit sehr schwer - das finde ich auch gut -, und wir diskutieren das öffentlich nachvollziehbar. Die Mehrheit meiner Partei ist auf Grund der deutschen historischen Erfahrungen eindeutig gegen den Einsatz von Gewalt. Wir sind jedoch in einen Grundwertekonflikt geraten, und den werden wir austragen und diskutieren, ohne daß wir uns von Ihnen mit Ihrer Häme irgendwie beeinflussen lassen.
Herr Schäuble, zu dem, was Sie heute zur Nuklearrüstung ausgeführt haben - da mußte man wirklich spitze Ohren kriegen -, kann ich Ihnen nur sagen: Die Friedensbewegung ist alles andere als unnötig geworden, bedenkt man, wohin das führen würde, was Sie vorgetragen haben.
Der Friede wird nicht kommen, es sei denn, er wird mit Gewalt herbeigeschossen. Das wäre dann kein Friede, sondern Unterjochung.