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    Plenarprotokoll 13/48 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 48. Sitzung Bonn, Freitag, den 30. Juni 1995 Inhalt: Zurückweisung von Äußerungen des Abgeordneten Gerhard Zwerenz 3953 B Gerhard Zwerenz PDS (Erklärung nach § 32 GO) 3953 D Benennung der Abgeordneten Gerhard Scheu und Horst Schmidbauer (Nürnberg) als Mitglieder für den Stiftungsrat HIV-Hilfegesetz 3954 C Abweichung von den Richtlinien für die Fragestunde, für die Aktuelle Stunde sowie der Vereinbarung über die Befragung der Bundesregierung in der Sitzungswoche ab 4. September 1995 3954 C Erweiterung der Tagesordnung 3954 D Tagesordnungspunkt 17: Beschlußempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Deutsche Beteiligung an den Maßnahmen zum Schutz und zur Unterstützung des schnellen Einsatzverbands im früheren Jugoslawien einschließlich der Unterstützung eines eventuellen Abzugs der VN-Friedenstruppen zu dem Entschließungsantrag der Fraklion der SPD zum Antrag der Bundesregierung zu dem Entschließungsantrag der Fraklion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zum Antrag der Bundesregierung zu dem Entschließungsantrag der Gruppe der PDS zum Antrag der Bundesregierung (Drucksachen 13/1802, 13/1835, 13/1828, 13/1808, 13/1855) Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister AA . 3955 B Rudolf Scharping SPD 3959A Dr. Wolfgang Schäuble CDU/ CSU 3965B, 4006A, 4008 C Rudolf Scharping SPD 3968 B Dr. Helmut Lippelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 3969 A Joseph Fischer (Frankfurt) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 3970D, 4008 B Dr. Wolfgang Gerhardt F.D.P 3975 C Dr. Gregor Gysi PDS 3978 C Dr. Otto Graf Lambsdorff F.D.P. . . . . 3982 A Hans-Ulrich Klose SPD 3982 D Michael Glos CDU/CSU 3983A, 4009A Norbert Gansel SPD 3985 B Günter Verheugen SPD . . 3987D, 4006B, 4008 C Winfried Nachtwei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 3991 B Dr. Burkhard Hirsch F D P. 3993 A Ulrich Irmer F.D.P 3993 B Manfred Opel SPD 3994 B Uwe Hiksch SPD 3994 D Hans Büttner (Ingolstadt) SPD . . . 3995 B Freimut Duve SPD 3995 D Marieluise Beck (Bremen) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 3997 A Gerhard Zwerenz PDS 3997 A Volker Rühe, Bundesminister BMVg . 3997 D Gernot Erler SPD 4001 A Marieluise Beck (Bremen) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 4001D, 4009 D Gerd Poppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 4003 C Günther Friedrich Nolting F.D.P. . . . . 4005 C Dr. Theodor Waigel CDU/CSU 4006 C Andrea Lederer PDS 4007 A Karl Lamers CDU/CSU 4009 B Norbert Gansel SPD 4011A Michael Glos CDU/CSU 4012 D Dr. Helmut Lippelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Erklärung nach § 31 GO) . . 4014 A Dr. Christian Schwarz-Schilling CDU/CSU (Erklärung nach § 31 GO) 4014 D Margitta Terborg SPD (Erklärung nach § 31 GO) 4015D Marieluise Beck (Bremen) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN (Erklärung nach § 31 GO) . 4016A Dr. Angelika Köster-Loßack BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN (Erklärung nach § 31 GO) . 4022 C Namentliche Abstimmungen . . .4013C, 4019C, D Ergebnisse 4017A, 4020A, 4023A, 4026A Zusatztagesordnungspunkt 6: Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zu dem Siebzehnten Gesetz zur Änderung des Bundesausbildungsfôrderungsgesetzes (Drucksachen 13/1301, 13/1553, 13/ 1813, 13/1872) 4025 C Zusatztagesordnungspunkt 7: Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zu dem Gesetz zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Drucksachen 13/1524, 13/1754, 13/1812,13/1890) 4025D Tagesordnungspunkt 20: Antrag der Abgeordneten Dr. Uwe-Jens Heuer, Dr. Ludwig Elm, weiterer Abgeordneter und der Gruppe der PDS: Einsetzung einer Enquete-Kommission „Gleichstellung von Menschen mit Behinderung" (Drucksache 13/813) . . . 4028B Zusatztagesordnungspunkt 8: Abschließende Beratungen ohne Aussprache a) - e) Beschlußempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelübersichten 50, 51, 52, 53 und 54 zu Petitionen (Drucksachen 13/1867, 13/1868, 13/1869, 13/1870, 13/1871) . . 4028A Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 4029* A Anlage 2 Erklärungen nach § 31 GO zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung zu dem Antrag der Bundesregierung: Deutsche Beteiligung an den Maßnahmen zum Schutz und zur Unterstützung des schnellen Einsatzverbands im früheren Jugoslawien einschließlich der Unterstützung eines eventuellen Abzugs der VN-Friedenstruppen und zu den Entschließungsanträgen der Fraktionen von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie zu dem Entschließungsantrag der Gruppe der PDS Dr. Eberhard Brecht SPD 4029* B Hans Martin Bury SPD 4030* B Dr. Marliese Dobberthien SPD 4030'D Gerald Häfner BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 4031* D Antje Hermenau BÜNDNIS/DIE GRÜNEN 4032' D Stephan Hilsberg SPD 4033* A Dr. Burkhard Hirsch F D P. 4033* A Birgit Homburger F D P. 4033* C Gerhard Jüttemann PDS 4034* B Volker Kröning SPD 4034* D Horst Kubatschka, Uwe Hiksch, Christa Lörcher, Antje-Marie Steen (alle SPD) . 4034* D Konrad Kunick SPD 4035* B Waltraud Lehn SPD 4036' A Margot von Renesse SPD 4036* B Waltraud Schoppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 4036* D Josef Vosen SPD 4037* C Heidemarie Wieczorek-Zeul SPD . . . 4037* D Dr. Winfried Wolf PDS 4038* C Anlage 3 Erklärungen nach § 31 GO der Abgeordneten Gerd Andres, Ingrid Matthäus-Maier, Rudolf Purps, Verena Wohlleben, Horst Schild, Dietmar Thieser, Christine Kurzhals, Dieter Schloten, Sabine Kaspereit, Volkmar Schultz (Köln), Reinhard Schultz (Everswinkel), Reinhold Robbe, Kurt Palis, Wieland Sorge, Susanne Kastner, Arne Börnsen (Rittershude), Peter Zumkley, Manfred Hampel, Karl Hermann Haack (Extertal), Brigitte Schulte (Hameln), Walter Kolbow, Robert Leidinger, Rolf Schwanitz, Christian Müller (Zittau), Hans Berger, Hermann Rappe (Hildesheim), Volker Neumann (Bramsche), Erwin Horn, Ernst Kastning, Tilo Braune, Thomas Krüger, Markus Meckel, Johannes Singer, Karsten D. Voigt (Frankfurt), Renate Jäger, Hans-Ulrich Klose, Gerhard Neumann (Gotha), Dr. Eberhard Brecht (alle SPD) zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung zu dem Antrag der Bundesregierung: Deutsche Beteiligung an den Maßnahmen zum Schutz und zur Unterstützung des schnellen Einsatzverbands im früheren Jugoslawien einschließlich der Unterstützung eines eventuellen Abzugs der VN-Friedenstruppen und zu den Entschließungsanträgen der Fraktionen von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie zu dem Entschließungsantrag der Gruppe der PDS . 4039* A Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 20 (Antrag: Einsetzung einer Enquete-Kommission „Gleichstellung von Menschen mit Behinderung") Heinz Schemken CDU/CSU 4039* D Karl Hermann Haack (Extertal) SPD . . 4040* B Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 4040* D Uwe Lühr F.D.P 4041* C Petra Bläss PDS 4042* C Anlage 5 Amtliche Mitteilungen 4043* D 48. Sitzung Bonn, Freitag, den 30. Juni 1995 Beginn: 9.05 Uhr
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    Horst Friedrich Rainer Funke Hans-Dietrich Genscher Dr. Wolfgang Gerhardt Joachim Günther (Plauen) Dr. Karlheinz Guttmacher Dr. Helmut Haussmann Ulrich Heinrich Walter Hirche Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Ulrich Irmer Dr. Klaus Kinkel Detlef Kleinert (Hannover) Roland Kohn Dr. Heinrich L. Kolb Jürgen Koppelin Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann Dr. Otto Graf Lambsdorff Heinz Lanfermann Sabine LeutheusserSchnarrenberger Uwe Lühr Jürgen W. Möllemann Günther Friedrich Nolting Dr. Rainer Ortleb Lisa Peters Dr. Günter Rexrodt Dr. Klaus Röhl Helmut Schäfer (Mainz) Cornelia Schmalz-Jacobsen Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Dr. Irmgard Schwaetzer Dr. Hermann Otto Sohns Dr. Max Stadler Carl-Ludwig Thiele Dr. Dieter Thomae Jürgen Türk Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) Enthaltungen SPD Klaus Barthel Konrad Kunick BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN Gila Altmann (Aurich) Monika Knoche F.D.P. Dr. Burkhard Hirsch Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Adler, Brigitte SPD 30. 6. 95 Antretter, Robert SPD 30.6. 95 Behrendt, Wolfgang SPD 30. 6. 95 Bierstedt, Wolfgang PDS 30.6. 95 Böttcher, Maritta PDS 30. 6. 95 Bühler (Bruchsal), Klaus CDU/CSU 30.6. 95 Erler, Gernot SPD 30. 6. 95 Fischer (Unna), Leni CDU/CSU 30.6. 95 Horn, Erwin SPD 30.6. 95 Hornung, Siegfried CDU/CSU 30. 6. 95 Jung (Düsseldorf), Volker SPD 30.6. 95 Lengsfeld, Vera BÜNDNIS 30.6. 95 90/DIE GRÜNEN Dr. Luft, Christa PDS 30.6. 95 Lummer, Heinrich CDU/CSU 30. 6. 95 Marten, Günter CDU/CSU 30.6. 95 Pfannenstein, Georg SPD 30.6. 95 Dr. Probst, Albert CDU/CSU 30.6. 95 Dr. Scheer, Hermann SPD 30.6. 95 Schulte (Hameln), Brigitte SPD 30.6. 95 Schumann, Ilse SPD 30. 6.95 Siebert, Bernd CDU/CSU 30.6. 95 Such, Manfred BÜNDNIS 30.6. 95 90/DIE GRÜNEN Terborg, Margitta SPD 30. 6. 95 Wallow, Hans SPD 30.6. 95 Zierer,Benno CDU/CSU 30. 6. 95 Anlage 2 Erklärungen nach § 31 GO zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung zu dem Antrag der Bundesregierung: Deutsche Beteiligung an den Maßnahmen zum Schutz und zur Unterstützung des schnellen Einsatzverbands im früheren Jugoslawien einschließlich der Unterstützung eines eventuellen Abzugs der VN-Friedenstruppen und zu den Entschließungsanträgen der Fraktionen der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie zu dem Entschließungsantrag der Gruppe der PDS (Tagesordnungspunkt 17) Dr. Eberhard Brecht (SPD): Auf der Grundlage des Beschlusses 998 des VN-Sicherheitsrates vom 16. Juni 1995 ist eine Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland beim Schutz und bei der UnterstütAnlagen zum Stenographischen Bericht zung des schnellen Einsatzverbandes vorgesehen, der für die Sicherheit der in Bosnien-Herzegowina stationierten Blauhelmsoldaten sorgen soll. Da die bosnischen Serben UNPROFOR zur Kriegspartei erklärt haben, ist ein solcher Schutz im Zusammenhang mit einer Umgruppierung erforderlich. Deutschland sollte den internationalen Einsatzverband mit denjenigen Mitteln unterstützen, die aller Voraussicht nach nicht zu einer Eskalation des Konfliktes führen. Ich vermag nicht zu erkennen, warum der Einsatz einiger weniger deutscher ECR-Tornados zu einer Eskalation des Konflikts führen soll, zudem diese erst dann einen Einsatzbefehl erhalten, wenn Blauhelme in Gefahr geraten sind. Weder werden die ECR-Tornados militärische Attacken fliegen noch sich an der Überwachung des Flugverbotes im Rahmen von Deny Flight beteiligen. Dieser defensive Auftrag kann daher kaum für serbische Propagandazwecke nutzbar gemacht werden. Wenn ECR-Tornados einen Schutz gewähren, den andere Waffensysteme nicht zu leisten vermögen, kann ich diese deutsche Schutzkomponente für die Blauhelmsoldaten und die sie schützende Eingreiftruppe nicht verweigern. Dies hat nichts mit einer Militarisierung deutscher Außenpolitik zu tun, sondern mit der moralischen Verpflichtung, jenen jungen Blauhelmsoldaten zu helfen, die - auch für uns - in Bosnien-Herzegowina den Versuch unternehmen, zu deeskalieren und einen derzeit nur schwer vorstellbaren Friedensprozeß zu befördern. Zudem befinden sich die Vereinten Nationen im Jahr ihres fünfzigjährigen Bestehens in einer schweren Krise, da sich zuwenig Länder solidarisch an der Finanzierung sowie an der Material-und Truppenbereitstellung für friedenserhaltende Maßnahmen beteiligen. Die von der Bevölkerung unseres Landes mehrheitlich befürwortete Beteiligung Deutschlands an Blauhelmaktionen der Vereinten Nationen kann aus historischen Gründen für das ehemalige Jugoslawien nur eingeschränkt gelten. So wird sich die Bundeswehr nicht unmittelbar am Mandat von UNPROFOR beteiligen, sondern nur Hilfe für deren Schutzkomponente übernehmen. Dennoch habe ich Probleme mit meiner Zustimmung zur Regierungsvorlage. Meine Kritik bezieht sich vor allem auf drei Punkte: Erstens. Durch die Umgruppierung der Blauhelmsoldaten wird zwar deren persönlicher Schutz erhöht, die Ausübung des Mandates aber faktisch eingeschränkt, da sich dann keine UNPROFOR-Soldaten mehr auf jenem Gebiet Bosnien-Herzegowinas aufhalten, das von den bosnischen Serben kontrolliert wird. Damit kann physisch nur noch auf das Verhalten einer Konfliktpartei Einfluß genommen werden. Angesichts der zudem weitgehenden Schutzlosigkeit der Schutzzonen, der Remilitarisierung der Umgebung von Sarajevo, der immer schlechter werdenden Versorgung der Zivilbevölkerung mit Wasser, Lebensmitteln und Medikamenten sowie der sich verfestigenden Absicht der Kriegsparteien, den Konflikt militärisch lösen zu wollen, stellt sich immer zwin- gender die Frage, ob nicht die UNPROFOR-Mission gescheitert ist. Ich vermag nun nicht zu entdecken, inwieweit der Eingreifverband und dessen Unterstützung durch die Bundeswehr die Durchsetzung des Mandates befördern werden. Weder werden die Grenzen zu Restjugoslawien undurchlässiger, über die die bosnischen Serben ständig mit militärischen Gütern versorgt werden, noch können humanitäre Transporte nun ungehindert an ihren Bestimmungsort gelangen. Damit gewährt der schnelle Einsatzverband lediglich einen begrenzten Aufschub für die Beantwortung der entscheidenden Frage: Verändertes Mandat im Sinn einer „mission defense" oder Abzug? Dabei gebe ich der ersten Option angesichts der Position Rußlands innerhalb der Kontaktgruppe kaum eine Chance. Wenn ich dem Regierungsantrag dennoch zustimme, so zugunsten der geschundenen Menschen in Bosnien-Herzegowina, denen durch das kleine Zeitfenster zwischen Verstärkung und Abzug noch eine kleine Hoffnung auf eine friedliche Konfliktlösung eingeräumt wird. Zweitens. Ich teile eine wesentliche Kritik des Antrages der SPD-Bundestagsfraktion. Sowohl im deutsch-französischen Feldlazarett in Kroatien als auch auf dem italienischen Flugplatz Piacenza werden Wehrpflichtige eingesetzt, deren eigentliche Aufgabe die Landes- und die Bündnisverteidigung ist. Sicherlich befindet sich die Basis Piacenza auf NATO-Gebiet, und die Wehrpflichtigen in Kroatien sind mit nichtmilitärischen Aufgaben betraut. Dennoch ist die Bundesregierung bemüht, mit diesem und früheren Einsätzen ein Gewohnheitsrecht zu installieren, das mit meinem Rechtsverständnis unvereinbar ist. Mein Ja zum deutschen Einsatz auf dem Balkan ist daher kein Präjudiz für spätere Entscheidungen in dieser Frage. Drittens. Nach wie vor habe ich formaljuristische Vorbehalte gegen den Antrag der Bundesregierung. Sicherlich ist die Rechtsauffassung der Abteilung VNMH des Auswärtigen Amtes zutreffend, der entsprechend für den Abzug einer zeitlich begrenzten friedenserhaltenden Mission kein gesonderter Rückzugsbeschluß notwendig ist. Wenn jedoch die NATO und andere Staaten den Abzug von Blauhelmsoldaten militärisch absichern müßten, wäre eine entsprechende Mandatierung durch den Sicherheitsrat erforderlich, wovon übrigens auch die NATO-Planung für den Rückzug ausgeht. Somit wäre meines Erachtens für die Unterstützung eines UNPROFOR-Rückzuges durch die Bundeswehr eine erneute Befassung und ein weiterer Beschluß des Deutschen Bundestages erforderlich. Diese juristische Frage sollte unbedingt geprüft und gegebenenfalls durch einen zweigeteilten Beschluß korrigiert werden. Dieser Vorbehalt berührt jedoch nicht meine inhaltliche Entscheidung zur Solidarität mit den Entsenderstaaten des Blauhelmkontingents in Bosnien-Herzegowina und den in diesem Land leidenden Menschen. Hans Martin Bury (SPD): Wir leben auf Kosten der Welt, die wir zur zweiten und dritten degradiert haben. An den Gedanken haben wir uns zwar gewöhnt, doch ein schlechtes Gewissen plagt uns mitunter dennoch. Dessen Dasein verdanken diverse Spendenorganisationen das ihre. Wenn weder Geld noch Ausreden uns aus der Klemme helfen, schicken wir neuerdings Soldaten mit blauen Helmen in die Welt, auf daß sie dazu beitragen, die garstigen Bilder aus den Nachrichten zu vertreiben oder wenigstens dadurch zu camouflieren, daß deutsche Blauhelme Brunnen bohren und Schulen bauen. Diese helfen zwar genauso wenig, die Ursachen von Elend und (Bürger-)Krieg zu bekämpfen wie die Spendenmilliarden, aber die Hilfe für einzelne entlastet die Millionen zu Hause. Neuerdings, da die zweckentfremdeten Soldaten mit den blauen Kopfbedeckungen selbst der Hilfe bedürfen, ist eine Schwarz, Blau+Gelb = Grün und Rote-Koalition zur Stelle, um den bedrohten Beschützern richtige Soldaten nachzuschicken. Die sollen freilich auch nicht in den eigentlichen Konflikt eingreifen, sondern nur die eigene Vorhut schützen. Die schnellen Eingreiftruppen wiederum sind entweder die Vorhut für Kampftruppen oder sie flankieren den Rückzug. Kein Zweifel, die internationale Politik hat sich gründlich verheddert. Neu dabei ist nur, daß Deutschland aus Angst vor dem Freund - sie ist weniger neu - diesmal militärisch mitmacht. Das Scheitern ist zwar programmiert aber die Alternative wäre offenbar schmerzhafter: Wir müßten Konsequenzen aus Predigten und Parteitagsbeschlüssen ziehen und unseren Beitrag leisten, um den Boden anders zu bestellen, auf dem heute ethnische, religiöse, nationale Konflikte gedeihen. Das aber kostete materiellen Wohlstand und ökonomische Hegemonie. Es würde uns politisch Handelnde auch zwingen, uns wieder Grundfragen zuzuwenden, statt mit tagespolitischen Antworten zu glänzen. Die Konsequenz für die Entscheidung um den Einsatz von Bundeswehrsoldaten im ehemaligen Jugoslawien? Ein klares Nein, verbunden mit dem Eingestehen des Scheiterns der UN-Intervention und einem Ende der Heuchelei unter der Überschrift „Die Blauhelme müssen bleiben" . Ihr Einsatz ist gescheitert, sie sollten sich zurückziehen. Es gibt keinerlei Voraussetzungen dafür, daß sie zu einer Beendigung der Kämpfe und der zugrundeliegenden Konfliktsituation beitragen könnten. Es gibt zu viele Plätze auf der Welt, auf denen grausame Kämpfe ausgetragen - aber nicht übertragen! - werden, als daß wir uns von den Geldspenden auf das Opfern junger Männer in Uniform verlegen könnten und dürften. Wer sich nicht nur den Deckmantel der Mitmenschlichkeit umhängt oder eigene Hilflosigkeit bemänteln möchte, soll - wenn er für eine militärische Option votiert - für einen Kriegseinsatz auch von Bodentruppen eintreten - und sich möglichst gleich selbst dafür melden. Der Krieg light wird nicht zu gewinnen sein. Wer auf die Militarisierung der Außenpolitik setzt, beginnt sich, so fürchte ich, aus der politischen Verantwortung zu stehlen. Dr. Marliese Dobberthien (SPD): Ich werde dem heute vorgelegten Antrag der SPD trotz grundsätzlicher Bedenken, die ich hier formulieren möchte, zustimmen. Die Diskussion um den Krieg im ehemaligen Jugoslawien und über die Frage, welche Maßnahmen zu ergreifen sind, um diesen Krieg zu beenden oder wenigstens einzudämmen, zeigen in erster Linie, wie hilflos und ratlos die Völkergemeinschaft und damit auch wir sind. Nicht einmal das Embargo funktioniert. Wir finden heute im ehemaligen Jugoslawien eine nahezu aussichtslose Situation vor. Diese hat sich ergeben, weil eine Eskalation des Krieges hingenommen wurde, weil viele Fehler seitens der UNO, der EU und einzelner Staaten gemacht wurden, die den Krieg weiter angeheizt haben, und weil keine politische Zielvorstellung - weder supranational noch national - formuliert wurde, wie das ehemalige Jugoslawien dauerhaft befriedet werden kann. Die UNO hat sich in diesen Konflikt offenkundig weitgehend unvorbereitet und konzeptionslos immer tiefer verstrickt und steht heute mehr hilflos als planvoll einem brutalen Krieg gegenüber, der unter der Zivilbevölkerung die meisten Opfer findet. Um zukünftig nicht in vergleichbare Situationen zu geraten, ist es unverzichtbar, gemeinsam Strategien zur Früherkennung von Konflikten, die das Potential von Bürgerkriegen in sich tragen, zu entwickeln, sich auf Deeskalisierungsmaßnahmen zu einigen, alternative Sicherheitskonzepte zu erarbeiten und eine Reform der UNO voranzutreiben. Der Antrag der Bundesregierung läßt eine überzeugende Konzeption zur Förderung der Friedensherstellung vermissen. Eher ist das Leitmotiv erkennbar: „Dabeisein ist alles" . Der Einsatz von Tornados, wie ihn die Regierung vorsieht, wird mit großer Wahrscheinlichkeit zu einer Eskalation des Krieges beitragen. Es ist nicht auszuschließen, daß der Antrag der Bundesregierung Auftakt einer breiten, nicht mehr steuerbaren Militäraktion außerhalb des NATO-Gebietes werden kann; denn die geplanten Maßnahmen enthalten weder einen schlüssigen friedenspolitischen Ansatz, noch sind der Zeitrahmen und Umfang klar begrenzt. Und die Militarisierung unseres politischen Denkens schreitet kontinuierlich voran. Während wir gestern noch darüber gestritten haben, ob und in welchem Rahmen Blauhelmeinsätze erlaubt sein sollen, streiten wir heute bereits über den Einsatz bestimmter Waffensysteme. Auch die Regionen eines Einsatzes werden beliebig. Gestern Somalia, heute Rest-Jugoslawien. Und morgen? Was bewirkt der Einsatz deutscher Tornados? Wird er als offene Provokation verstanden? Werden neue Geiseln genommen? Ist er der letzte Versuch, das Scheitern der Blauhelmmission zu kaschieren? Streiten wir morgen über eine militärische Einsatztruppe, jederzeit einsetzbar und gesteuert durch jene Atommächte, deren Votum im Weltsicherheitsrat nur sie selber korrigieren können? Mehr Fragen als Antworten, und die Bundesregierung behauptet, sie sei isoliert, wenn sie nicht dabei sei. Dabei gibt es bis heute keine Anforderung seitens der NATO oder der UNO, deutsche Tornados im Kriegsgeschehen einzusetzen. Mit dem von der Bundesregierung vorgeschlagenen Einsatz wird sich die Bundesrepublik also aus freien Stücken erstmals an einer kriegerischen Auseinandersetzung aktiv beteiligen. Das ist ein historischer Wendepunkt mit unübersehbaren Konsequenzen, verantwortet vom Bundestag, aber nicht abgeklärt in einer breiten öffentlichen Diskussion. Es ist ein falscher Weg, wenn die NATO, bisher Verteidigungsbündnis, sich eine Eingreiftruppe schafft, ohne daß ein globales Friedenskonzept entwickelt worden wäre. Der aus der Erfahrung zweier von Deutschland entfesselter Kriege gewonnene Konsens „Nie wieder Krieg" darf nicht ins Wanken geraten. Es gibt viele Wege der unblutigen Konfliktbewältigung. Sie sind mit allen Mitteln zu fördern, nicht die militärischen Maßnahmen. Die Verkürzung der Konfliktlösung auf militärischen Aktionismus kann langfristig nur scheitern. Doch politische Grundsätze und Zielsetzungen entheben hier und heute niemanden des Zwangs, sich mit der aktuell vorhandenen Situation in Ex-Jugoslawien auseinanderzusetzen. Jeder Pragmatismus greift zu kurz und ist dennoch unverzichtbar, wenn er hilft, dem Frieden näher zu kommen. Den Verbleib der UNO-Truppen zur Ausübung ihres humanitären Auftrags gilt es zu unterstützen. Die im SPD-Antrag aufgeführten Maßnahmen sind von zwei Grundsätzen geleitet. Unterstützung dieses humanitären Auftrages, keine militärische Eskalation. Eine Zustimmung für die Maßnahmen, wie sie im SPD-Antrag aufgeführt sind, ist der Versuch, ohne militärische Eskalation der Zivilbevölkerung weiteres schweres Leiden zu ersparen. Daher stimme ich dem Antrag der SPD zu und lehne den Antrag der Bundesregierung entschieden ab. Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich kann dem Antrag der Bundesregierung nicht zustimmen. Aber ich habe dafür andere Gründe als der Großteil meiner Fraktion. Unsere heutige Abstimmung stellt eine entscheidende Weichenstellung in der deutschen Geschichte und Politik, aber auch in der internationalen Politik dar. Sie wird von den verschiedensten Seiten und auf den unterschiedlichsten Ebenen gewürdigt werden. Deshalb ist es mir wichtig, die Gesichtspunkte meiner Entscheidung, die in wichtigen Punkten von der Mehrheitsposition meiner Fraktion abweichen, darzulegen. Erstens. Im ehemaligen Jugoslawien tobt kein „Bürgerkrieg". Die verbreitete Haltung, wir sollten uns heraushalten, wenn, wie es so oft behauptet wird, „die sich im Balkan wieder einmal die Köpfe einschlagen", ist zynisch und hat mit den Realitäten im ehemaligen Jugoslawien überhaupt nichts zu tun. Der Krieg in Bosnien-Herzegowina und Teilen Kroatiens ist ein Eroberungs- und Vernichtungskrieg. Er fiel nicht vom Himmel, „brach" nicht „aus", sondern wurde über lange Zeit angekündigt, erstmalig etwa in der viel zu wenig wahrgenommenen Akademierede von Slobodan Milosevic schon in den 80er Jahren. Das diesem Krieg zugrundeliegende Konzept, überall, wo Serben leben, müsse auch Serbien sein, trägt faschistische Züge und ist in einer pluralistischen, multiethnischen Welt unerträglich. Seit Jahren wurden Hunderttausende ermordet, vertrieben, vergewaltigt, gefoltert. Die Weltgemeinschaft schaut zu. Milosevic, Karadzic und andere verhöhnen und demütigen die Vereinten Nationen fast täglich, spielen geschickt und gewissenlos die unterschiedlichen Interessen der Staatengemeinschaft gegeneinander aus. Kein Waffenstillstand wird eingehalten, kein Friedensvertrag wird akzeptiert, die von der UNO sichergestellten schweren Waffen wurden gewaltsam zurückerobert, praktisch täglich wird von serbischen Stellungen aus auf Zivilisten, Frauen, Kinder in Sarajevo geschossen. Zweitens. Ich möchte ein eindeutiges Bekenntnis zum Ziel des Friedens, der Menschenrechte und der weltweiten konsequenten Abrüstung ablegen. Von diesem Ziel, das viele von uns politisiert und zusammengeführt hat, werde ich nicht ablassen. Aber - das habe ich nie anders gesehen - gerade eine dem Ziel des Friedens und der Menschenrechte verpflichtete Politik darf nicht zulassen, daß der Frieden zerstört, Menschenrechte mit Füßen getreten, friedliche, waffenlose, pluralistische Gesellschaften ausgelöscht und „ethnische Säuberungen" betrieben werden. Die Lehre, die den Menschen im ehemaligen Jugoslawien und insbesondere in Bosnien-Herzegowina gegenwärtig nahezu täglich erteilt wird, ist eine schwere, tragische, folgenschwere Lehre: Gewalt zahlt sich aus. Wer zur Waffe greift, andere vertreibt und erschießt, wird belohnt. Er bekommt und darf behalten, was er sich genommen hat. Wer dagegen gewaltlos und friedlich bleibt, wird zur Zielscheibe, muß um sein Leben fürchten, ohne daß ihm jemand beisteht. Es ist eine schreckliche, unmenschliche Lehre, die unter den Augen der Weltgemeinschaft nicht weit von uns den Menschen Tag für Tag erteilt wird. Was wundert es da, daß inzwischen die Saat der Gewalt aufgegangen ist und sich die verschiedenen am Krieg beteiligten Seiten im Hinblick auf die Rücksichtslosigkeit und Grausamkeit immer mehr annähern. Wer nicht hilflos zuschauen und mitschuldig werden will, wie nicht weit von uns Menschen auf Grund ihrer ethnischen Zugehörigkeit umgebracht werden und eine über lange Zeit multikulturelle und -ethnische Gesellschaft ausgelöscht wird, der muß sich der Debatte über eine internationale Streitmacht stellen, die im Namen und unter dem Befehl der Vereinten Nationen Friedensbrecher in die Schranken weisen und den Menschen Schutz bieten kann. Dies sollen dann allerdings nach meiner Auffassung gerade nicht mehr nationale Armeen oder die NATO sein, sondern Soldaten eines supranationalen Kontingentes unter alleiniger Verfügung der Vereinten Nationen. Drittens. Die Menschen in Sarajevo und anderen Teilen Bosniens sind zum Teil von jeder Nahrungsmittel- und humanitären Versorgung abgeschnitten. Ohne die internationale Hilfe des UNHCR und anderer Hilfsorganisationen werden sie dem sicheren Tod ausgeliefert. Ohne UNO-Blauhelmsoldaten im Kriegsgebiet wird diese Hilfe nicht mehr fortgesetzt werden können. Schon heute kommen zum Teil monatelang keine Flüge und keine Transporte mehr durch. Die Serben blockieren die Versorgungswege, lassen Transporte nur nach Gutdünken und oft nach Plünderung oder Beschlagnahme eines Großteils der Hilfsgüter durch und machen sich so die Bevölkerung wie die Hilfsorganisationen zu Geiseln. Ein Abzug würde den Krieg verschärfen und den Tod zigtausender weiterer Menschen zur Folge haben. Aber die vor Ort stehenden Blauhelmsoldaten wurden spätestens durch die serbischen Geiselnahmen zu Marionetten gemacht. Ihr Auftrag war von Anfang an unzureichend und Folge der Unentschiedenheit der europäischen und internationalen Mächte. Ihre Entsendung war eher Ausdruck schlechten Gewissens als einer klaren Politik. Sie haben nicht einmal das Recht, Hilfskonvois zu schützen und die wenigen lebensnotwendigen Versorgungswege freizuhalten. Die serbische Seite hat das früh erkannt und die Blauhelme immer wieder als Werkzeug oder Geiseln ihrer Politik genutzt. Nicht erst die jüngsten Demütigungen haben NATO und UNO zu Plänen geführt, alle Blauhelmsoldaten abzuziehen. Viertens. Die Beteiligung der Bundeswehr ändert an dieser Lage nichts. Der Auftrag für die UN-Soldaten in Kroatien und Bosnien-Herzegowina wurde nicht geändert. Damit hängt der Einsatz buchstäblich in der Luft. Er ändert nichts an den Realitäten und Verhältnissen. Das Morden wird weitergehen. Schon durch das jahrelange Zögern ist eine vernünftige, wirkungsvolle Politik immer schwerer geworden. Was jetzt geschieht, ist weit mehr symbolische als reale Politik. Dafür hebe ich nicht die Hand in der vielleicht schwersten politischen Entscheidung dieses Jahrzehnts, schon gar nicht, wenn ich mit meiner Entscheidung nicht nur einem denkbar vagen Auftrag, sondern - gänzlich gegen meine Überzeugung und mein Gewissen - möglicherweise sogar der Vorbereitung eines Abzuges der UNO-Truppen aus dem ehemaligen Jugoslawien meine Zustimmung erteilen müßte. Fünftens. Die Entscheidung über die aktive Rolle der Bundeswehr und damit Deutschlands in der Welt stellt eine entscheidende Weichenstellung dar, über die nicht nur wir, sondern auch die Bürgerinnen und Bürger gründlich diskutieren müssen. Es ist eine Frage, die mehr als viele andere in ihrer Konsequenz das ganze deutsche Volk berührt. Wir alle sollten uns deshalb die Frage stellen, wie wir die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes an dieser dringend notwendigen Entscheidung beteiligen können. Ich möchte diese Debatte führen, sie ist dringend erforderlich. Aber sie verlangt einen Konsens sowie vernünftige, ehrliche Grundlagen. Sie muß Antwort auf all die Fragen geben, die der Antrag der Bundesregierung heute offenläßt. Antje Hermenau (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Toleranz bedeutet für mich nicht unbeteiligtes Danebenstehen, heißt auch nicht Laissez-faire, sondern Toleranz bedeutet für mich, dem anderen bei der Wahrung seiner Eigenständigkeit und seiner Rechte zur Seite zu stehen. Sicher tun wir uns alle schwer mit dem Verlust des Glaubens daran, daß wir einen neuen Grad des zivilisierten Umganges miteinander erreicht hätten. Die so deutlich vorgeführte Anfällig- keit und Zerbrechlichkeit des zivilisatorischen Prozesses nach dem Zweiten Weltkrieg machen uns erneut die große Ambivalenz des Menschen bewußt. Vielleicht ist es meine Schwäche, nicht mitansehen zu können, daß die Bosnier wegen der Entscheidungsunfähigkeit des UN-Sicherheitsrates geopfert werden sollen. Deshalb lehne ich den Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in dieser Konsequenz ab. Dem Antrag der Bundesregierung kann ich nicht zustimmen, weil er eine so deutliche Klausel zur Rückzugssicherung der UN-Truppen enthält und ich diese Verknüpfung der Hilfe mit der Androhung, sich ansonsten zurückzuziehen, nicht mittragen kann. Stephan Hilsberg (SPD): Ich schließe mich den von Norbert Gansel in seiner Rede dargelegten Positionen an. Dr. Burkhard Hirsch (F.D.P.): Ich kann mich nicht dazu entschließen, dem Antrag der Bundesregierung, Drucksache 13/1802, zuzustimmen, bewaffnete Streitkräfte zur Unterstützung des sogenannten schnellen Einsatzverbandes einzusetzen. Wir sind in eine politische Lage geraten, in der jede Entscheidung falsch ist. Für jeden bewaffneten Einsatz, früher Krieg genannt, muß zuvor eindeutig bestimmt werden, welches politische Ziel erreicht werden soll, für das das Leben von Soldaten eingesetzt und geopfert wird. Dieses Ziel kann ich nicht erkennen. Inhaltlich läuft die geforderte Beteiligung auf eine Teilnahme an dem Einsatz der Blauhelme UNPROFOR hinaus. Blauhelme sollten ursprünglich mit Zustimmung der kriegführenden Parteien durch Neutralisierung einen unbeabsichtigten Ausbruch kriegerischer Auseinandersetzungen verhindern. Diese Aufgabe kann weder mit den vorhandenen, noch mit den nun geforderten Streitkräften erreicht werden. Wir werden vielmehr Schritt für Schritt in einen Krieg hineingezogen, den wir nicht verhindern, und in dem die Beteiligung deutscher Soldaten - nach allen bisherigen und berechtigten Erklärungen der Bundesregierung - eher eskalierend wirken wird. Solidarität im Bündnis ist nowendig. Sie entbindet aber nicht von der Verpflichtung, rationale Entscheidungen zu treffen. Ich könnte es verstehen, wenn bewaffnete Hilfe angeboten werden soll, um den Abzug der UNPROFOR-Einheiten zu ermöglichen. Ich könnte es auch verstehen, wenn die Demütigung der Völkergemeinschaft durch Geiselnahme von Soldaten der UNPROFOR beantwortet werden soll mit der entschlossenen Sicherung der Schutzzonen im Kriegsgebiet mit jeder Form militärischer Macht unter Beteiligung aller Staaten der NATO oder mit eigenen militärischen Einheiten der Vereinten Nationen, wie sie in ihrer Charta vorgesehen sind. Ich könnte es auch verstehen, wenn das Waffenembargo für das gesamte Kriegsgebiet konsequent mit allen denkbaren Mitteln der Völkergemeinschaft durchgesetzt werden soll. Noch besser wäre es allerdings, die Mittel, die jetzt für militärische Einsätze aufgewendet werden sollen, dafür einzusetzen, durch den Bau von Wohnungen, Straßen, Krankenhäusern, Schulen und Infrastruktur soziale und ethnische Konfliktherde zu beseitigen. Ich kann es aber nicht akzeptieren, daß wir uns immer weiter in eine aussichtslose Lage hineinziehen lassen und dafür das Leben unserer Soldaten einsetzen. Das Ziel, entweder nur humanitäre Hilfe zu leisten oder sich an einem wirksamen militärischen Einsatz der gesamten Völkergemeinschaft zu beteiligen, kann ich durch keine Form der Stimmabgabe zu den vorliegenden Anträgen erreichen. Darum werde ich mich der Stimme enthalten. Birgit Homburger (F.D.P.): Die heutige Entscheidung läutet eine neue Epoche in der deutschen Außenpolitik ein. Grundlage der heutigen Entscheidung ist der Gedanke, den Menschen in Bosnien helfen zu wollen. Wir müssen uns bewußt sein, daß diese Hilfe im Rahmen der internationalen Staatengemeinschaft auch den Tod deutscher Soldaten bedeuten kann. Wir alle hoffen, daß es dazu nicht kommt. Wir dürfen aber nicht allein im Glauben auf diese Hoffnung entscheiden. Jedem einzelnen von uns muß bewußt sein, welche Konsequenzen diese Entscheidung haben kann, und wir sind es den Bürgerinnen und Bürgern schuldig, dies ehrlich anzusprechen. Mit Blick auf die deutsche Geschichte und zur Sicherung des Friedens in Europa ist es konsequent, daß die Bundesrepublik Deutschland sich in die internationale Staatengemeinschaft integriert. Dies bedeutet, daß nach intensiver Diskussion und Erörterung des Einzelfalls auch ein Einsatz deutscher Soldaten bei allen militärischen Einsätzen im Rahmen der internationalen Staatengemeinschaft möglich sein muß. Den politischen Auftrag, den wir heute der Bundeswehr erteilen, ist verantwortbar. Ich fordere die Verantwortlichen bei der Bundeswehr, an ihrer Spitze den Bundesminister der Verteidigung, auf, sicherzustellen, daß nur entsprechend gut ausgebildete Soldaten für den Einsatz ausgewählt werden und daß alle organisatorischen Maßnahmen für eine optimale Vorbereitung und für die Sicherheit der deutschen Soldaten getroffen werden. Darüber hinaus vertraue ich auf die Zusage des Verteidigungsministeriums, daß bei einem eventuellen Einsatz von Wehrpflichtigen oder Reservisten nur Freiwillige zum Einsatz kommen. Ich halte es weiterhin für notwendig, freiwillige Wehrpflichtige oder Reservisten nur dann zum Einsatz zuzulassen, wenn es von deren Ausbildungsstand und der individuellen Leistungsfähigkeit verantwortbar ist. Ich akzeptiere, daß es weit über die Bundesrepublik Deutschland hinaus eine große Übereinstimmung gibt, die den Verbleib der UNO-Soldaten in Bosnien als notwendig erachtet. Ich bin persönlich anderer Auffassung. Angesichts der Lage in Bosnien glaube ich nicht daran, daß die internationale Staatengemeinschaft es mit den derzeitigen Maßnahmen schaffen wird, Frieden in Bosnien zu sichern. Die Verantwortlichen für den Tod vieler Menschen in Bosnien sind auch die Verantwortlichen für die Gefangennahme von UNO-Soldaten. Sie zeigen keiner- lei Reue. Es ist deshalb nicht davon auszugehen, daß sie sich ändern. Ich befürchte im Gegenteil, daß Männer wie Karadzic die Beteiligung deutscher Soldaten für eine unberechtigte, aber bewußt vorangetriebene Eskalation mißbrauchen wollen. Die Verantwortlichen, insbesondere der bosnische Serbenführer Karadzic, sind in meinen Augen Mörder. Sie handeln internationale Vereinbarungen aus und brechen sie jedesmal. Sie versuchen mit unwürdigen Mitteln, die internationale Staatengemeinschaft vorzuführen. Mit solchen Männern sollte nicht weiter verhandelt werden. Sie sollten zur Rechenschaft gezogen werden. Daher bin ich persönlich der Meinung, daß die UNO-Soldaten aus Bosnien abgezogen und das Waffenembargo aufgehoben werden sollte. Da ich mit dieser Meinung als einzelne gegen eine große Mehrheit stehe, werde ich diese persönliche Auffassung nicht zur Grundlage meiner heutigen Entscheidung machen. Wenn auf der Grundlage einer derart großen Übereinstimmung für den Verbleib der UNO-Soldaten in Bosnien deutsche Soldaten sich nun freiwillig zum Einsatz melden, weil sie davon überzeugt sind, daß sie anderen Menschen helfen können, wenngleich sie sich persönlich in Lebensgefahr begeben, müssen sie dafür die Unterstützung und Hilfe der deutschen Politiker haben. Da ich außerdem den Einsatz für verantwortbar halte, werde ich dem Antrag der Bundesregierung zustimmen. Gleichwohl halte ich fest, daß in der Zukunft eine intensive politische Diskussion über eine klare Umstrukturierung und moderne Organisation der Bundeswehr mit Blick auf neue Anforderungen geführt werden muß. In diesem Zusammenhang erkläre ich, daß ich bei meiner Auffassung bleibe, daß wir den zukünftigen Herausforderungen an die Bundeswehr nur mit einer Freiwilligenarmee gerecht werden können. Gerhard Jüttemann (PDS): Stundenlang und leidenschaftlich ist in diesem Hohen Hause über die folgenlose Frage der Verhüllung des Reichstages diskutiert worden. Nun wollen Sie die Frage entscheiden, ob Deutschland wieder tauglich ist, sich an Kriegen zu beteiligen, und möchten möglichst wenig darüber debattieren. Warum eigentlich, was haben Sie denn zu verbergen? Hat es vielleicht damit zu tun, daß Ihre Motive doch nicht so lauter und redlich sind, wie Sie es glauben machen möchten? Ich vermute es, und zwar deswegen, weil Deutschland im jugoslawischen Konflikt von Anfang an eine sehr unrühmliche Rolle gespielt hat. Zunächst als EU-Vorreiter für die Anerkennung Kroatiens. Es war der bosnische Präsident Izetbegovic, der damals dringend vor dieser Anerkennung gewarnt hat. Denn wenn es unmöglich war, daß Kroaten noch länger mit den Serben in einem einzigen multikulturellen Jugoslawien zusammenleben konnten, dann galt die gleiche Logik doch auch für das multikulturelle Bosnien-Herzegowina. Die Anerkennung Kroatiens hat also den Krieg sehr wahrscheinlich gemacht, die wiederum von Deutschland forcierte Anerkennung Bosniens hat dann maßgeblich zu seiner Auslösung beigetragen. Izetbegovic hat das gewußt, und die verantwortlichen deutschen Politiker wollen das nicht gewußt haben? In der Folgezeit haben dann z. B. England und Frankreich immer wieder versucht, politische Lösungen zu vermitteln, was ja nur möglich ist, wenn man in dem Konflikt nicht Partei ergreift. Für Deutschland dagegen waren von Anfang an die Serben die blutrünstige Bestie und Moslems und Kroaten das unschuldige Lamm. Dabei will ich gar nicht in Frage stellen, daß der Nationalismus der größten Nation, also der serbischen, natürlich der gefährlichste ist. Der Krieg aber ist Ausdruck des Auf einandertreffens aller drei unvereinbaren Nationalismen in Jugoslawien, des serbischen, des kroatischen und des moslemischen. Der deutschen Politik werfe ich vor, daß sie in dieses ohnehin so hochexplosive Gemisch noch ihren eigenen Nationalismus hineinkatapultiert. Sie versuchen seit geraumer Zeit, Ihr Standort-DeutschlandSüppchen nun auch mit militärischen Zutaten zu würzen. Ich fordere Sie deshalb zur radikalen Umkehr auf: Beteiligen Sie sich an der Suche politischer Lösungen, die die Rechte aller beteiligten Konfliktparteien berücksichtigen. Lassen Sie ab von dem abenteuerlichen Versuch, deutsches Militär wieder deutsche Außengrenzen überschreiten zu lassen. Ich jedenfalls verweigere den von Ihnen gewünschten Kriegskrediten die Zustimmung. Ich sage nein zu Kampfeinsätzen der Bundeswehr im Krisengebiet des ehemaligen Jugoslawien oder irgendwo sonst auf der Welt. Volker Kröning (SPD): Der anhaltende Völker- und Menschenrechtsbruch in Bosnien-Herzegowina, die Leiden der Zivilbevölkerung und die Gefährdung der Blauhelmsoldaten verlangen von der Staatengemeinschaft eine politische Antwort, die dem Recht zur Durchsetzung verhilft und vor allem der Beendigung des bewaffneten Konflikts dient. Die deutsche Politik kann im ehemaligen Jugoslawien nur wenig tun, doch das muß sie tun. Ich stimme deshalb der Maßnahme zu, um deren Billigung die Bundesregierung den Deutschen Bundestag ersucht, und enthalte mich bei dem SPD-Antrag. Die Entscheidung enthebt die Bundesrepublik nicht der Pflicht zu weiteren Anstrengungen im Zusammenwirken mit den anderen Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen, der Europäischen Union und der NATO. Horst Kubatschka, Klaus Barthel, Uwe Hiksch, Christa Lörcher, Antje-Marie Steen (alle SPD): Der Deutsche Bundestag trifft heute eine historische Entscheidung: Er entscheidet über einen Kriegseinsatz von deutschen Soldaten. Wir sind politisch aktiv geworden, in die SPD eingetreten, um den Frieden zu erhalten - eine Politik gegen den Krieg zu betreiben. Krieg löst keine Probleme. Dies ist sozialdemokratische Überzeugung. Nach diesem Beschluß wird die NATO ihr Gesicht geändert haben. Das Verteidigungsbündnis wird sich zum Interventionsbündnis wandeln. Gleichzeitig verändert sich die Bundeswehr. Auch sie wird von einer Verteidigungs- zu einer Interventionsarmee umstrukturiert. Aus der Wehrpflichtigenarmee wird mittelfristig eine Berufsarmee. Damit wird nach unserer Auffassung der Auftrag und Rahmen des Grundgesetzes verlassen. Bisher konnte der Staat von seinen Bürgern die Selbstverteidigung verlangen. Diese fand in einem Bündnis statt, dessen Verteidigungsauftrag auf das Gebiet der verbündeten Länder beschränkt war. Mit dem Eingreifen im ehemaligen Jugoslawien, also außerhalb des Bündnisgebietes, wird der bisherige Auftrag grundlegend negativ verändert. Aus diesen Gründen können wir dem Entschließungsantrag der SPD-Fraktion nicht zustimmen. Helfen wir mit dem Einsatz der Bundeswehr den Opfern dieses Krieges? Nein, der Krieg wird angeheizt. Es wird noch mehr Opfer geben. Wollen wir nochmals Blauhelme als Geiseln erleben? Wollen wir noch einmal in die Falle der Kriegsparteien laufen? Jede deutsche Beteiligung wird zu einer Eskalierung des Krieges führen. Dadurch entsteht die Gefahr, daß mit deutschen Soldaten und deutschen Waffen trotz historischer Erfahrung eine Kriegsbeteiligung in Gang gesetzt wird. Mit Bomben und Raketen kann dieser Konflikt nicht gelöst werden. Helfen können nur Verhandlungen. Die Kriegsparteien lassen sich nicht an den Verhandlungstisch bomben. Dies zeigt der bisherige Verlauf des Krieges. Das Versagen der Außenpolitik kann nicht durch militärische Handlungen ersetzt werden. Von der Außenpolitik - auch von der deutschen - wurde bisher keine politische Lösung für Bosnien-Herzegowina erarbeitet. Bomben und Raketen sind keine politischen Konzepte. Die Außenpolitik hat insofern abgedankt. Die Antragsbefürworter setzen Zeichen der Hilflosigkeit. Innerhalb von 6 Monaten wird dieser Militäreinsatz mindestens 345 Millionen Mark verschlingen. Statt dessen sollten wir einen Plan vorlegen, das geschundene Land wieder aufzubauen. Diese 345 Millionen Mark könnten wir als Starthilfe einsetzen. Die Mittel müßten allen Konfliktparteien angeboten werden. Damit könnten Zeichen gesetzt werden. Wir leiden an den Kriegsbildern im ehemaligen Jugoslawien, an den Morden in Bosnien-Herzegowina, wir leiden mit den Menschen in Bosnien. Doch Krieg mit Krieg bekämpfen zu wollen ist falsch und wird den Konflikt noch massiv verschärfen. Mit der Anerkennung von Slowenien und Kroatien hat der ehemalige Außenminister Genscher historische Schuld auf sich geladen. Wir sollten durch den Einsatz deutscher Soldaten nicht erneut Schuld auf uns nehmen. Durch diese Maßnahme wird der Krieg ernährt und nicht verzehrt. Aus diesen Gründen lehnen wir den Antrag der Bundesregierung entschieden ab. Konrad Kunick (SPD): Zur Erklärung meines Abstimmungsverhaltens gebe ich unverkürzt den Brief zu Protokoll, den ich dem Vorsitzenden meiner Fraktion - Rudolf Scharping - in dieser Angelegenheit geschrieben habe: Lieber Rudolf, ich möchte Dich in Kenntnis setzen, daß ich aus der ganzen Erfahrung meines Lebens einen Antrag ablehne, der dem Bundestag anträgt zu beschließen, einen schnellen Einsatzverband zum Schutz der UN-Friedenstruppen auch mit Kräften der Bundeswehr zu unterstützen. Ich will auf keinen Fall, daß meine Söhne an einer solchen Operation teilnehmen müßten und dementsprechend mute ich es auch nicht den Söhnen anderer Bürger unseres Staates zu. Ich habe der alten Bundesrepublik den Kriegsdienst verweigert, nachdem ich zwei Jahre Wehrdienst abgeleistet hatte; meine Söhne haben statt dessen Behinderte gepflegt. In der gegenwärtigen politischen Situation sehe ich überhaupt keinen Anlaß, daß die SPD irgendeinen militärischen Einsatz mitträgt, weil unsere Verbündeten nicht in Europa angegriffen werden und mit Hinweis auf die Bündnispflichten militärische Unterstützung durch deutsche Truppen anfordern. Erst in einem solchen Fall bin ich bereit, zu differenzieren zwischen meinem individuellen Verhalten als Kriegsdienstverweigerer und politischen Beschlüssen, die in einer bestimmten Situation geboten sind. Im Augenblick sehe ich die SPD in der Situation, daß sie mit ihren Beschlüssen zwar zu bremsen versucht, aber letztlich doch Stück für Stück Verantwortung übernimmt für die Umwandlung der um sechs hilfsbedürftige Länder größer gewordenen Bundesrepublik zu einer mitteleuropäischen Großmacht und in einem Prozeß, der leicht enden kann in einem Krieg zwischen Serbien und einer Anzahl europäischer Staaten. Den Weg dorthin will ich mit meinem Stimmverhalten so schwer wie möglich machen. Deshalb lehne ich den Antrag der Regierung und den Antrag der SPD-Fraktion ab. Anträgen anderer Fraktionen oder Gruppen werde ich auch nicht zustimmen. Meine derzeit ablehnende Haltung wird zusätzlich noch durch die historischen Ereignisse getragen, die Deutschland und das ehemalige Jugoslawien verbinden. Die unerträgliche Rolle, die die zweite ehemalige deutsche Wehrmacht im zweiten Weltkrieg auf dem Balkan gespielt hat, erzeugt auch für mich verständliche Vorbehalte der serbischen Bevölkerungsgruppen, ohne daß ich damit die von serbischer Seite auszugehenden Aggressionen rechtfertigen will. Ferner widerspricht ein Einsatz deutscher Truppen auf dem Balkan auch dem sinnvollen Grundsatz der UNO, nach Möglichkeit die UN-Truppen nur aus Ländern zu rekrutieren, die mit dem Einsatzland nicht eng historisch verbunden sind. Die Lage im früheren Jugoslawien, lieber Rudolf, wirft für mich die Frage auf, ob wir den Krieg als Mittel deutscher oder europäsicher Politik im Obergang zu einem neuen Jahrhundert sich wieder einschleichen lassen in das Selbstbewußtsein unserer Bevölkerung. Ich weiß, daß das niemand aus den seriösen Parteien des Bundestages will. Trotzdem kann das die Folge auch unseres Handelns sein. Ich verstehe natürlich Deinen Antrag als Versuch, Militärpolitiker und Außenpolitiker der Fraktion da- von abzuhalten, daß sie dem Regierungsantrag zustimmen. Nur glaube ich, daß wir auch mit diesem Versuch der Entwicklung „neue Leine" geben. Und das Schlimme ist ja, daß die meisten Kriege im Bewußtsein begonnen worden sind, daß irgendeine Situation so unerträglich sei, daß nunmehr die Anwendung und Steigerung militärischer Mittel geboten sei. Ich halte die Situation in Bosnien auch für unerträglich, denke aber auch an Kennedys Steigerung militärischer Mittel in einem Krieg, der nicht zu gewinnen war. Und gänzlich unerträglich ist es mir, mit ansehen zu müssen, wie die frühere westdeutsche Friedensbewegung tröpfchenweise den Willen zum Kriege gebiert. Waltraud Lehn (SPD): Ich habe keine Bedenken, dem Antrag der Bundesregierung nicht zuzustimmen. Den Antrag der SPD-Fraktion „Deutsche Unterstützung im ehemaligen Jugoslawien" kann ich nur eingeschränkt unterstützen. Vor allem die in Punkt 4 d geforderte Unterstützung des schnellen Einsatzverbandes bei seinen Operationen für die VN-Friedenstruppen durch Aufklärungsflugzeuge findet nicht meine Zustimmung. Ich habe erhebliche persönliche Bedenken, wenn zum jetzigen Zeitpunkt deutsche Streitkräfte zur Unterstützung des schnellen Eingreifverbandes nach Bosnien entsandt werden, da die Gefahr besteht, daß im Falle einer Provokation die schnelle Eingreiftruppe gezwungen sein könnte, ihr Mandat zu überschreiten, und somit eine Eskalation des Konfliktes entstehen könnte. Wenn ich dem SPD-Antrag dennoch unter großen Bedenken zustimme, dann vor allem wegen der Gesamtintention des Antrags, den Menschen in diesem Kriegsgebiet Schutz zu gewähren, und auf Grund der Tatsache, daß die Zustimmung zu einem deutschen Einsatz zeitlich befristet ist, um dem Parlament unter veränderten Umständen eine Überprüfungsund Korrekturmöglichkeit zu geben. Margot von Renesse (SPD): Dem Antrag der Bundesregierung kann ich nicht zustimmen. Er entspricht nicht den Anforderungen des Verfassungsgerichtsurteils zu Out-of-area-Einsätzen der Bundeswehr. Danach kann die Bundesregierung nur dann die Zustimmung des Parlaments zu Out-of-area-Einsätzen beantragen, wenn zunächst eine Anforderung der UN dazu ergangen ist. Diese aber liegt für den Teil des Beschlußantrags, der den Bundeswehreinsatz für einen eventuellen Abzug der UN-Friedenstruppen vorsieht, nicht vor. Bezöge sich der Beschlußantrag der Bundesregierung allgemein auf einen Unterstützungsplan zugunsten von UN-Friedenstruppen und des schnellen Einsatzverbandes, so könnte sie - bei Zustimmung - wegen ihrer Entscheidungsprärogative auch dazu ermächtigt sein, den genehmigten Sicherungsbeitrag auf einen Abzug der Blauhelme zu erstrecken. Statt eines allgemein gehaltenen Antrags hat sie aber detaillierte Absichten in ihrer Beschlußvorlage dargelegt und dafür um Genehmigung durch das Parlament nachgesucht. Ich stimme dagegen, da ich hier - mangels UN-Anforderung - verfassungsrechtliche Bedenken habe. Zusätzlich verweigere ich meine Zustimmung, da ich es für politisch - wenn auch nicht rechtlich - verfehlt halte, die Einbeziehung von Wehrpflichtigen in Out-of-area-Kampfeinsätze nicht auszuschließen. Die Bundesregierung will den Einsatz zwar, wie sie im Rechtsausschuß kundgetan hat, von der Zustimmung der Wehrpflichtigen abhängig machen. Eine solche Zustimmung hebt aber die vorrangige Verantwortung des Staates für jede Form des Einsatzes von Wehrpflichtigen nicht auf. Sie sind als Soldaten nur auf Grund der gesetzlichen Wehrpflicht eingezogen, als solche sollten sie auch eingesetzt werden. Wehrpflicht ist nur mit Verteidigungsbereitschaft zu begründen, nicht mit anderen - noch so nachvollziehbaren - Zielen und Absichten. Auch darum lehne ich den Antrag 13/1802 ab. Bei der Abstimmung zum Antrag der SPD kann ich mich nur enthalten. Er überzeugt mich deshalb nicht, weil ich seine Logik nicht erkennen kann. Das Bleiben der UN-Friedenstruppe wird bejaht,, ihre Unterstützung durch eine schnellere Einsatztruppe wird begrüßt, Hilfeleistung durch Sanitätssoldaten, Stabsmitglieder aus der Bundeswehr, Transportflüge und Aufklärungs-Tornados werden zugesichert. Nur der Einsatz von ECR-Tornados soll „ausdrücklich" ausgeschlossen sein. Da aber nicht nur die Verwendung dieser Waffe, sondern schon die Beteiligung an Einsatzstäben und die Aufklärung in der Luft als Beteiligung von Kombattanten an möglichen ECR-Kampfhandlungen zu werten ist, scheint mir der dezidierte Ausschluß der Tornados, der als neue Qualität für mich nicht erkennbar ist, schwer zu begründen. Das gilt um so mehr, als ECR-Tornados erst dann eingesetzt werden können, wenn zuvor von Raketenstellungen gegen die Blauhelme und die Einsatztruppe eine Aggression ausgegangen ist. Die Sorge, der Einsatz der ECR-Tornados könne zu einer weiteren Eskalation des Kriegsgeschehens führen, kann ich deshalb nur schwer teilen, auch wenn ich in den vergangenen Tagen intensiv nach plausiblen Argumenten dafür gesucht habe. Zu meinem Kummer muß ich mich daher bei der Abstimmung zum Antrag meiner Fraktion der Stimme enthalten. Ich kann - weil mir die außen-und militärpolitischen Kenntnisse und Erfahrungen fehlen - nicht ausschließen, daß es überzeugende Argumente gibt, die mir nicht begegnet sind. Da ich mir dessen bewußt bin, stimme ich nicht mit Nein, sondern enthalte mich. Waltraud Schoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Heute möchte ich am liebsten nicht in meiner Haut stecken. Vor zwölf Jahren in der Nachrüstungsdebatte habe ich eine persönliche Erklärung abgegeben, in der ich mich gegen die Nachrüstung und für die Abschaffung von Waffen ausgesprochen habe. Ich halte an der Position fest, daß die Produktion von Waffen menschliche Kompetenzen bindet, die im Sinne der Gestaltung einer friedlicheren Welt notwendig anders eingesetzt werden müßten. Ich halte auch an der Position fest, daß der Handel mit Waffen und die Anhäufung von Waffenarsenalen der Armut von Menschen besonders in den Entwicklungsländern Vorschub leisten. Ich weiß heute die überstaatli- chen Institutionen wie die UN, die NATO, die OSZE u. a. zu schätzen, die sich der friedlichen Konfliktregelung, der Vermeidung von Kriegen, der Verteidigung der Menschenrechte und der Demokratieentwicklung verpflichtet haben. Ich halte ihre Existenz für notwendig, politisch richtig und unentbehrlich, auch wenn sie an vielen Stellen reformiert werden müssen und ich nicht alle in ihrem Namen durchgeführten Maßnahmen billigen kann. Heute werde ich einer Beteiligung deutscher Soldaten in Bosnien zustimmen. Diese Entscheidung werden viele nicht verstehen, das ist mir klar; denn wir leben in einem Land mit einem pazifistischen Grundton, der als Resultat unserer Geschichte entstanden ist, die sich aus der Sicherheit nährt, die uns die Westbindung gewährt hat. Ich möchte meine Entscheidung an drei Punkten verdeutlichen: Erstens. Auf dem Boden des ehemaligen Jugoslawien findet ein Eroberungskrieg statt, dessen Ziel die Bildung eines ethnisch homogenen faschistisch-großserbischen Reiches ist. Der Einsatz der Blauhelme durch die Weltgemeinschaft ist der Versuch, den Krieg einzudämmen und durch Verhandlungen Frieden zu erreichen. Die heute zu entscheidende Verstärkung der Blauhelme ist der letzte Versuch, wenigstens den Status quo zu sichern. Die Kontaktgruppenmitglieder haben den Eroberungen Karadzics durch den Vorschlag der 51/49 Regelung im Grunde genommen ihre Zustimmung gegeben. Ein Abzug der Blauhelme aber würde die Ausdehnung des Krieges bedeuten, denn die Wahnvorstellung eines großserbischen Reiches würde vor dem Kosovo und anderen Gebieten nicht haltmachen. Zweitens. Man mag die Arbeit der Kontaktgruppe an vielen Stellen kritisieren. Ihre unterschiedlichen nationalen Interessen und sich widersprechenden Grundkonzeptionen haben sie auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner agieren lassen; dazu kam die mangelnde Bereitschaft der Europäer, dem Aggressor entgegenzutreten. Aber die Bildung der Kontaktgruppe unter Einschluß Rußlands deutet doch auf sich abzeichnende Konturen einer europäischen Friedens- und Sicherheitspolitik hin. Der sich vorsichtig anbahnende Prozeß einer europäischen Friedensordnung durch die Partnerschaft für den Frieden, den NATO-Kooperationsrat und durch die Bildung der Kontaktgruppe unter Einschluß Rußlands kann gefährdet werden, wenn Deutschland sich durch Abstinenz auf Dauer in eine isolationistische Haltung bringt. Die Gefahr eines deutschen Sonderweges stände wieder am Horizont. Deshalb bin ich dafür, daß deutsche Soldaten sich beteiligen, weil eine gemeinsame europäische Politik auch bedeutet, gemeinsam die Risiken zu tragen. Drittens. Die Vergeiselung der Blauhelme bedeutet den Rückfall in die Brutalisierung internationaler Beziehungen. Es bedeutet den Bruch aller menschenrechtlichen Verträge und Vereinbarungen. Es bedeutet den Angriff auf die UN als die Organisation, die einzig und allein den weltweiten Problemen und Konflikten entgegentreten kann. Wer dem Versuch der Denunziation der Weltgemeinschaft nicht entgegentritt, begibt sich nicht nur in die Gefahr der Renationalisierung von Sicherheitspolitik, sondern gefährdet auch die notwendige übernationale Zusammenarbeit, die bei anderen Problemen wie ökologischen Fragen oder organisierter Kriminalität notwendig sind. Ich stimme für die Beteiligung deutscher Soldaten im Bewußtsein, daß Entscheidungen auch falsch sein können. Josef Vosen (SPD): Weder kann ich dem Antrag der Bundesregierung „Deutsche Beteiligung an den Maßnahmen zum Schutz und zur Unterstützung des schnellen Einsatzverbandes im früheren Jugoslawien einschließlich der Unterstützung eines eventuellen Abzugs der VN-Friedenstruppen", Drucksache 13/1802, zustimmen, noch kann ich dem Entschließungsantrag der SPD-Bundestagsfraktion zum Antrag der Bundesregierung, Drucksache 13/1835, zustimmen. Ich werde gegen beide Anträge stimmen. Zur Begründung meiner ablehnenden Haltung erkläre ich: Ich lehne den Einsatz deutscher Flugzeuge, einschließlich Aufklärungsflugzeuge, über dem Kriegsgebiet von Bosnien-Herzegowina ab. Ich nehme international bemannte AWACS-Flugzeuge ausdrücklich von meiner Ablehnung aus. Der Antrag der SPD ist meines Erachtens vor allem im Punkt 4 d - „Unterstützung des schnellen Einsatzverbandes bei seinen Operationen für die VN-Friedenstruppen durch Aufklärungsflugzeuge"- nicht konsequent. Er stellt einen Formelkompromiß dar, den ich in dieser schwierigen Frage des Einsatzes der Bundeswehr im Kriegsgebiet für mich nicht akzeptieren kann. Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD): Ich stimme gegen den Antrag der Bundesregierung, der deutsche Kampfflugzeuge ins ehemalige Jugoslawien schikken will. Der Einsatz deutscher Kampfflugzeuge im ehemaligen Jugoslawien wird den Krieg verschärfen und führt dazu, daß Deutschland in den Krieg im ehemaligen Jugoslawien schlittert und zum Truppensteller wird. Die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien laden damit schwere Schuld auf sich. Die Bundesregierung hat von Anfang an eine Politik im ehemaligen Jugoslawien verfolgt, die die Konflikte verschärft und geschürt hat. Die Anerkennung der einzelnen Republiken ohne Sicherung der Rechte der jeweiligen Minderheiten und der gewaltfreien Trennung der Republiken voneinander hat von Anfang an die Gewalt mit verschärft. Die westlichen Länder haben und verfolgten über lange Zeit absolut unterschiedliche Politikansätze gegenüber den einzelnen Republiken des ehemaligen Jugoslawien. Sie haben es alle zusammen nicht geschafft, die Waffenexporte in die unterschiedlichen Republiken zu verhindern, im Gegenteil, manche von ihnen lassen es ganz bewußt zu, daß das Waffenembargo gebrochen wird. Die Bundesregierung hat sich bisher als unfähig erwiesen, politische Lösungen im ehemaligen Jugo- slawien zusammen mit den europäischen und den westlichen Partnern zu bewirken. Hätte die Bundesregierung genausoviel politische Diplomatie und politische Phantasie aufgewandt, um dazu beizutragen, die Konflikte im ehemaligen Jugoslawien zu entschärfen, wie sie in den letzten Jahren aufgewandt hat, um Schritt für Schritt die Hürden für den militärischen Einsatz der Bundeswehr zu senken, dann wären vielleicht politische Lösungen im ehemaligen Jugoslawien leichter vorangekommen. Aber sie will ihre eigene Verantwortung dafür, daß sie Deutschland zum Truppensteller macht, nicht offen zugestehen. Da wird von „Hilfe" und „Solidarität" für die Verbündeten gesprochen. Aber die Konsequenz wird das Hineinschlittern in einen Krieg sein - in einem Land, einer Region, die Deutschland einst mit Krieg überzogen hat. Meine Partei hat niemals Krieg über unser Land und Europa gebracht. Willy Brandt hat aus den schrecklichen Erfahrungen unseres Volkes mit den Kriegen dieses Jahrhunderts die Sehnsucht der Menschen nach Frieden, nach Versöhnung und Gewaltverzicht in seiner Ostpolitik und in seinen Vorschlägen zum Ausgleich zwischen Nord und Süd verwirklicht. Dies ist die Tradition des Helfens und des Rufbauens. In dieser Tradition steht die Sozialdemokratische Partei in den Beschlüssen ihrer Willensbildungsgremien und auch in ihrer Entscheidung heute. In dieser Tradition stimme ich gegen den Antrag der Bundesregierung, Kampfflugzeuge im ehemaligen Jugoslawien einzusetzen. Ich habe große Skepsis, ob der sogenannte schnelle Einsatzverband seine Aufgaben im geplanten Sinne im ehemaligen Jugoslawien tatsächlich verwirklichen kann. Wenn er sein Mandat im Sinne von Peace-keeping wirklich wahrnehmen kann und wahrnimmt, steht er vor den gleichen Problemen wie bisher die Blauhelme. Wenn er sein Mandat überschreitet, werden die Auseinandersetzungen zunehmen. Wir können also nur hoffen, daß die Blauhelme tatsächlich wirkungsvoll ihre Aufgabe der Verhinderung weiterer Eskalation wahrnehmen können, daß der Rahmen des Mandates nicht überschritten wird, damit die Blauhelme in letzter Konsequenz nicht abgezogen werden müssen. Das wäre der Beginn eines weiteren schrecklich eskalierenden Krieges. Deshalb führt an der Suche nach einer politischen Lösung kein Weg vorbei. Die Regierungsparteien behaupten, die gemeinsame europäische Außen- und Sicherheitspolitik mache den Einsatz der ECR-Tornados notwendig, er sei quasi ein Beitrag dazu. Mit dieser Art und Weise würdigen und werten sie die Perspektive gemeinsamer europäischer Außen- und Sicherheitspolitik ab, die für Europa erst entwickelt werden muß. Die Frage, wie die Bundesrepublik ihren Beitrag zur Hilfe im Rahmen der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union leistet, kann sie selbst entscheiden. Volker Rühe und die Bundesregierung selbst haben den Einsatz der ECR-Tornados angeboten. Die deutsche Außenpolitik sollte vielmehr zu einer anderen gemeinsamen europäischen Außen- und Sicherheitspolitik beitragen, aus der Europa und die Welt große Vorteile ziehen könnten. Eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, die aus friedenspolitischen Traditionen und Verpflichtungen gemeinsames Handeln ableitet und die Europas Stärke in der Welt zur Verhinderung von Waffenexporten, zur Konversion und zu einer vorausschauenden Außenpolitik und vorbeugender Konfliktlösung sieht und einsetzt. Dr. Winfried Wolf (PDS): Mein Nein zu dem Beschluß, Bundeswehrtruppen in das ehemalige Jugoslawien zu entsenden, begründet sich in einer antimilitaristischen Haltung, die ich seit 28 Jahren vertrete. Erstens. 1967 stimmte ich mit Nein zur Bundeswehr und wurde mit politischer Begründung Kriegsdienstverweigerer. Den Hintergrund bildete der Militärputsch in Griechenland vom 21. April 1967 unter Führung einer faschistischen Junta, die u. a. Internierungslager für die politischen Gefangenen, darunter Mikis Theodorakis, eingerichtet hatte. Den Bezug zur Bundeswehr sah ich insbesondere in der Tatsache, daß der dem Putsch zugrunde liegende Plan „Prometheus" im Rahmen der NATO entwickelt wurde. In den achtziger Jahren nahm ich zur Kenntnis, daß die NATO-Innenstruktur „Gladio" für die meisten NATO-Staaten vergleichbare Putschpläne entwickelt hatte. Zweitens. In den 70er und 80er Jahren sagte ich nein zur militarisierten DDR-Gesellschaft und solidarisierte mich mit der demokratischen DDR-Opposition und deren Losung „Schwerter zu Pflugscharen". Drittens. In den 80er Jahren sagte ich nein zur beschleunigten atomaren Hochrüstung von NATO und Bundeswehr und zum „NATO-Doppelbeschluß", verabschiedet von der Mehrheit in der SPD, CDU, CSU und F.D.P., und nahm an den Mobilisierungen der bundesdeutschen Friedensbewegung teil. Viertens. Nach dem Ende des Kalten Krieges sah ich im Golfkrieg 1990/91 den Beginn einer neuen Ära heißer Kriege von Regierungen und Militärs der Ersten Welt gegen Länder an der Peripherie und in der Dritten Welt, u. a. um Weltmarkt und Rohstoffe, z. B. Erdöl, zu kontrollieren, und engagierte mich gegen diesen Krieg, u. a. mit der Herausgabe der Antikriegszeitung „desert!" Fünftens. Meinem heutigen Nein zum Beschluß, Bundeswehr auf den Balkan zu entsenden, liegt die Auffassung zugrunde: Ohne die inneren Wurzeln des Krieges im ehemaligen Jugoslawien zu verkennen, sehe ich in diesem ein Experimentierfeld der militärisch stärksten Mächte dieser Welt, die in der NATO zusammengeschlossen sind, doch zugleich eigene machtpolitische Interessen verfolgen. Wenn erneut der Balkan als Testgebiet der Händler des Todes dient und wenn die hier bestehenden nationalen Spannungen genutzt und angeheizt werden, so sehe ich darin eine unselige Tradition, die u. a. in den Balkan-Kriegen vor dem Ersten Weltkrieg ihre Parallele findet. Wenn wieder deutsche Truppen in einen Balkankrieg entsandt werden, so knüpft dies fast nahtlos an die vorausgegangenen prokroatischen und an- tiserbischen Engagements deutscher Militärs in den vorausgegangenen Kriegen auf dem Balkan an. Nein zum neuerlichen Einsatz deutscher Militärs auf dem Balkan heißt für mich Ja zur Kriegsdienstverweigerung und Ja zur Desertion - z. B. von serbischen, bosnischen, kroatischen oder deutschen Soldaten. Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Gerd Andres, Ingrid MatthäusMaier, Rudolf Purps, Verena Wohlleben, Horst Schild, Dietmar Thieser, Christine Kurzhals, Dieter Schloten, Sabine Kaspereit, Volkmar Schultz (Köln), Reinhard Schultz (Everswinkel), Reinhold Robbe, Kurt Palis, Wieland Sorge, Susanne Kastner, Arne Börnsen (Ritterhude), Peter Zumkley, Manfred Hampel, Karl Hermann Haack (Extertal), Brigitte Schulte (Hameln), Walter Kolbow, Robert Leidinger, Rolf Schwanitz, Christian Müller (Zittau), Hans Berger, Hermann Rappe (Hildesheim), Volker Neumann (Bramsche), Erwin Horn, Ernst Kastning, Tilo Braune, Thomas Krüger, Markus Meckel, Johannes Singer, Karsten D. Voigt (Frankfurt), Renate Jäger, Hans-Ulrich Klose, Gerhard Neumann (Gotha), Dr. Eberhard Brecht (alle SPD) zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung zu dem Antrag der Bundesregierung: Deutsche Beteiligung an den Maßnahmen zum Schutz und zur Unterstützung des schnellen Einsatzverbands im früheren Jugoslawien einschließlich der Unterstützung eines eventuellen Abzugs der VN-Friedenstruppen und zu den Entschließungsanträgen der Fraktionen von SPD und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie zu dem Entschließungsantrag der Gruppe der PDS (Tagesordnungspunkt 17) Erstens. Die Unterzeichner werden in der Abstimmung über die Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland an Maßnahmen im Rahmen des UNO-Mandats (UNPROFOR) den Vorschlägen der Bundesregierung zustimmen und sich bei der Abstimmung über den SPD-Antrag enthalten. Zweitens. Zu dieser Entscheidung sind wir nach reiflicher Diskussion und Überlegung gelangt und begründen diese Haltung kurz wie folgt: Wir sind der Überzeugung, daß durch den Einsatz der UN-Blauhelmsoldaten im ehemaligen Jugoslawien Hunderttausende von Menschen gerettet wurden. Deshalb unterstützen wir die Position, die Vereinten Nationen in die Lage zu versetzen, den UNPROFOR-Einsatz fortzusetzen. Die Entwicklung insbesondere der vergangenen Monate hat uns deutlich gemacht, daß die Sicherheit der UN-Soldaten gefährdet ist und daß zur Durchführung des UNO-Auftrages zusätzliche Maßnahmen erforderlich sind. Deshalb unterstützen wir ausdrücklich die Entscheidung der Vereinten Nationen, ihre in Bosnien eingesetzten Friedenstruppen mit Hilfe des schnellen Einsatzverbands zu schützen und zur wirkungsvollen Erfüllung ihres Auftrages zu befähigen. Wir stimmen der Entsendung deutscher Soldaten im Rahmen der Beschlußfassung zu. Wir wollen damit einen Beitrag zur Unterstützung und zum Schutz der Blauhelme sowie zur Solidarität mit den Soldaten der Entsendestaaten leisten, die Verläßlichkeit der Bundesrepublik Deutschland in kritischen Phasen kollektiver Sicherheit unterstreichen und der besonderen Verantwortung Europas für die Wiederherstellung von Frieden auf unserem Kontinent Rechnung tragen. Dazu gehört nach unserer Auffassung auch die Bereitstellung von ECR-Tornados, die nach genau festgelegten Kriterien zusammen mit den Einheiten des schnellen Einsatzverbandes den Schutz der UN-Friedenstruppen mit gewährleisten sollen. Sie sollen Raketenangriffe auf UN-Flugzeuge verhindern und dadurch vorbeugend zur Deeskalation beitragen. Drittens. Darüber hinaus verweisen wir auf den Redebeitrag unseres Kollegen Norbert Gansel, der in der Debatte für diejenigen gesprochen hat, die so wie wir votieren. Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 20 (Antrag: Einsetzung einer Enquete-Kommission „Gleichstellung von Menschen mit Behinderung") Heinz Schemken (CDU/CSU): Mit dem von der PDS eingebrachten Antrag auf Einsetzung einer Enquete-Kommission „Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen" ergibt sich die Frage nach der Notwendigkeit einer solchen Kommission. Die gleichberechtigte Teilnahme behinderter Menschen am Leben in der Gesellschaft ist eine Aufgabe, die trotz zahlreicher erzielter Verbesserungen noch nicht abgeschlossen ist, sondern sich immer wieder in neuen Zusammenhängen stellt. Im vergangenen Jahr hat der Gesetzgeber den Belangen von Behinderten insofern Rechnung getragen, als durch die Ergänzung des Grundgesetzes ein Benachteiligungsverbot zugunsten behinderter Menschen erreicht werden konnte. Damit sind wir auf dem Weg zu einer gleichberechtigten Teilnahme behinderter Menschen am gesellschaftlichen Leben einen wesentlichen Schritt weitergekommen. Wichtig ist insbesondere für die Einschätzung des Benachteiligungsverbotes behinderter Menschen, daß es bereits jetzt unmittelbar geltendes Recht ist. Der Grundgesetzartikel 3 Abs. 3 Satz 2 gibt dem einzelnen Behinderten einen Anspruch darauf, daß Maßnahmen der öffentlichen Gewalt grundsätzlich nicht wegen der Behinderung - ob körperlich, geistig oder seelisch -, zu einer Ungleichbehandlung führen darf. Das Benachteiligungsverbot ist somit ein Grundrecht und bindet als Vorschrift unmittelbar Ge- setzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung. Das Grundrecht des Benachteiligungsverbots gilt innerhalb von Rechtsbeziehungen Privater untereinander nicht unmittelbar, sondern entfaltet als element einer objektiven wertgebundenen Ordnung seine Gültigkeit im Rahmen der sogenannten Drittwirkung, d. h., die Rechtsbeziehungen Privater untereinander müssen mehr unter Berücksichtigung der betroffenen Grundrechte ausgelegt werden. Beispiel dafür ist ein Gerichtsurteil aus Flensburg, wonach einer Familie die Minderung des Reisepreises zugebilligt worden war, weil sie die Mahlzeiten im Hotel gemeinsam mit einer Gruppe behinderter Menschen einnehmen mußte. Solches Urteil darf es und wird es heutzutage auf Grund des Benachteiligungsverbotes, das damals noch nicht galt, nicht mehr geben. Artikel 3 Abs. 3 Satz 2 GG erfordert kein Handeln des Gesetzgebers, so daß es daher eher sinnvoll erscheint, das Benachteiligungsverbot im Rahmen der einfachen Gesetzgebung zu konkretisieren und zu ergänzen. Danach müßten Regelungen geändert werden, die als diskriminierend oder benachteiligend für Behinderte anzusehen sind, daß z. B. Fristen zu vereinbaren sind, innerhalb derer Behinderte vollen Zugang zu öffentlichen Verkehrsmitteln usw. erhalten sollen. Diese Regelungen sollen allerdings nicht im Rahmen eines sogenannten Antidiskriminierungsgesetzes getroffen werden, sondern eines schon in der vergangenen Legislaturperiode begonnenen Gesetzgebungsvorhabens, nämlich der Neuordnung des Rehabilitations- und Schwerbehindertenrechts ins Sozialgesetzbuch, SGB IX. Die Bundesregierung wird dazu voraussichtlich Ende des Jahres einen Gesetzentwurf vorlegen. Diese Gesetzesvorlage ist im übrigen auch Bestandteil der Koalitionsvereinbarung. Es ist sinnvoller, Regelungen, die Benachteiligungen Behinderter entgegenwirken sollen, im Zusammenhang mit einer Neugestaltung der besonderen Rechtsvorschriften für Behinderte im SGB IX zu fixieren, als durch ein „Antidiskriminierungsgesetz", das die Vielfalt und Unübersichtlichkeit der einschlägigen Regelungen weiter erhöhen würde. Auf Grund dessen ist nicht zu erwarten, daß eine einzusetzende Enquete-Kommission bessere oder sachgerechtere Vorschläge erarbeiten würde, als dies auf dem obengenannten Weg möglich ist. Eine solche von der PDS geforderte Enquete-Kommission würde den bereits eingeleiteten Abklärungsprozessen hinterherlaufen und die Erarbeitung von Regelungen, die auf eine gleichberechtigte Teilnahme Behinderter am gesellschaftlichen Leben zielen, verzögern. Der Antrag der PDS ist daher aus den genannten Gründen abzulehnen. Karl Hermann Haack (Extertal) (SPD): Wir alle haben den Auftrag bekommen, ein neues Grundrecht, welches längst überfällig war, in den Alltag umzusetzen. Ich meine den Auftrag unserer neuen Verfassung, formuliert in den Worten: „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden" - so die Ergänzung zu Art. 3 Abs. 3 GG. Diese Hinzufügung zum Art. 3 GG ist auf Antrag der SPD erfolgt und fand die notwendige Zweidrittelmehrheit im Deutschen Bundestag. Gerade deswegen, weil wir zu unserem Antrag stehen, sehen wir die Verpflichtung, schnelle Schritte einzuleiten, dieses Grundrecht Alltag werden zu lassen. Der Antrag der PDS erweckt den Eindruck, daß hier bei der Umsetzung des Grundrechtes auf ein Benachteiligungsverbot für Behinderte Neuland zu betreten ist. Nicht Neuland ist zu betreten, sondern Bewährtes bei manchem Überholtem durch die Zeit und neues Denken sind weiterzuentwickeln. Ich bemerke: Die Fraktion der SPD hat eine Große Anfrage - Drucksache 13/1333, Arbeitswelt und Behindertenpolitik, die auch Fragen zur Problematik der Gleichstellung beinhaltet - eingebracht. Wir erwarten dazu eine Antwort der Bundesregierung Ende September dieses Jahres. Sobald die Antworten vorliegen, wird auch eine aktuelle Bestandsaufnahme möglich sein. Im Rahmen der Debatte wird dann den Parteien dieses Hauses erstmalig in dieser Legislaturperiode die Gelegenheit gegeben, ihre Vorstellungen zum zukünftigen Umgang und den Chancen von Behinderten in unserer Gesellschaft vorzustellen. Des weiteren ist beabsichtigt, in dieser Legislaturperiode das Sozialgesetzbuch IX einzuführen und damit zu einer generellen Neuordnung u. a. des Behindertenrechts zu kommen. Auch hier gibt es also die Chance, Gerechtigkeit gegenüber Benachteiligten in unserer Gesellschaft zu üben. Koalition und SPD haben die Absicht, mit den parlamentarischen Beratungen 1996 zu beginnen und diese - so die SPD - hoffentlich 1996 zum Abschluß zu bringen. Im Rahmen der Gesetzgebung zum SGB IX sind auch Schritte eingeleitet, die das soziale Recht jedes Behinderten auf Eingliederung in Gesellschaft, Beruf und Arbeit sichern. Der PDS-Antrag auf Einsetzung einer EnqueteKommission hinkt dieser Entwicklung hinterher. Somit bitten wir dafür um Verständnis, daß wir als SPD dem Antrag der PDS nicht folgen können. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Gegen anfänglich große Widerstände aus der Koalition ist es der Behindertenbewegung gelungen, im Grundgesetz ein verfassungsrechtliches Benachteiligungsverbot zu verankern. Diesem Benachteiligungsverbot in Art. 3 Abs. 3 Satz 2 kommt unmittelbare Wirkung nur gegenüber der öffentlichen Gewalt zu. Es bindet die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht. Diese Wertentscheidung unserer Verfassung ist aber auch eine Aufforderung an den Gesetzgeber, im einfachen Recht Benachteiligungen von Behinderten zu beseitigen und im Hinblick auf das Sozialstaatsgebot Behinderte so zu fördern, daß ihnen eine gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglicht wird. Unsere Gesellschaft muß die diskriminierten Minderheiten endlich „einbürgern". BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wollen daher mit einem Antidiskriminie- rungsgesetz den Gleichheitsartikel des Grundgesetzes im einfachen Recht verankern. Niemand darf auf Grund seiner Hautfarbe, Nationalität, ethnischen Herkunft, seiner sexuellen Identität, Kultur und Religion oder auf Grund seiner Behinderung benachteiligt werden. Es geht uns darum, allen Menschen gleiche demokratische Rechte und - das ist bei Behinderten besonders wichtig - gleiche soziale Chancen zu geben. Es geht dabei nicht um Mitleid oder die Gewährung eines Gnadenrechts. Gleichstellung ist eine zentrale Frage unserer Demokratie. Wir schlagen ein Antidiskriminierungsgesetz vor, das neben einer Generalklausel für alle Minderheiten ein Verbandsklagerecht und zivilrechtliche Sanktionsregelungen vorsieht. In Artikelgesetzen wollen wir rechtliche Diskriminierungen einzelgesetzlich beseitigen. Antidiskriminierungsgesetze bestehen in vielen europäischen Ländern und in den Vereinigten Staaten. Sie haben sich bewährt. Deutschland ist beim rechtlichen Schutz von Minderheiten dagegen ein Entwicklungsland. Das müssen wir ändern! Mit der Verfassungsänderung von 1994 haben wir hierfür auch eine gute Grundlage. Sie verpflichtet uns, niemand auf Grund seiner Behinderung bei der Wahrnehmung seiner Grundrechte zu benachteiligen. Um dieses zu gewährleisten, gibt es für Legislative und Exekutive noch einiges zu tun. Nur zwei Beispiele: Art. 33 Abs. 2 unserer Verfassung garantiert jedem Deutschen nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung Zugang zu jedem öffentlichen Amt. Was ist aber, wenn schon auf Grund von Zugangshindernissen für gehbehinderte Bewerber diese faktisch ausscheiden. Berücksichtigen wir beim Umzug nach Berlin, bei den neuen Bauten von Bundesregierung und Bundestag die Bedürfnisse von Rollstuhlfahrern, Blinden und anderen Behinderten ausreichend? Hier im Hochhaus Tulpenfeld kann z. B. kein Blinder allein Aufzug fahren. Wir sollten bei der Beratung des Antrages von der Bundesregierung einen Bericht über die Berücksichtigung der Bedürfnisse von Behinderten bei den Neu- und Umbauten in Berlin verlangen. Wie ich höre, soll hier manches im Argen liegen. Hier müssen wir handeln, bevor vom Bundesbauministerium zu viele Fakten geschaffen werden. Ein zweites Beispiel: Professor Herdegen weist in seinem Gutachten für den Deutschen Bundestag darauf hin, daß faktische Zugangshindernisse für Gehbehinderte in einem nicht rollstuhlgerecht gestalteten Schulgebäude nach der Grundgesetzänderung nun verfassungswidrig sind. Zwei Beispiele, die zeigen wie dringlich eine Überprüfung rechtlicher Normen und der Verwaltungspraxis von Bund, Ländern und Kommunen hinsichtlich der Verheißung dieses neuen Verfassungssatzes ist. Lassen Sie uns die von Behindertenverbänden erarbeiteten Vorschläge zur Novellierung der Sozialgesetzgebung (u. a. SGB IX), Personenbeförderungsrecht, Baurecht und Reisevertragsrecht überprüfen und zu einem umfassenden Antidiskriminierungsgesetz zusammenfassen. An sich wäre es ja die Aufgabe der Bundesregierung, uns einen Vorschlag für die Umsetzung des neuen Verfassungsgrundsatzes ins einfache Recht zu unterbreiten. Aber da können wir ja wahrscheinlich lange warten. Aber auch eine Enquete-Kommission kostet uns nur unnötige Zeit. Sie würde unsere Arbeit nur verzögern. Dringend notwendige Reformen würden mit Hinweis auf die Enquete-Kommission vertagt. Lassen Sie uns statt dessen lieber nach der Sommerpause damit beginnen, mit konkreten parlamentarischen Initiativen für Behinderte gleiche soziale und demokratische Rechte in allen Lebensbereichen zu schaffen. Uwe Lühr (F.D.P.): „Einander verstehen - miteinander leben" , war das anspruchsvolle Motto des Internationalen Jahres der Behinderten 1981. Weltweit gab es die bekannten Beteuerungen, daß es mit den Aktionen in diesem Jahr nicht sein Bewenden haben dürfe. 1992 erklärten die Vereinten Nationen, im Dezember jeden Jahres solle ein Tag den Menschen mit Behinderung gewidmet werden, um deren besondere Situation nicht ins vergessene Abseits gelangen zu lassen. Vor wenigen Wochen fand ein europaweiter Protesttag für die Gleichstellung behinderter Menschen statt. Wenn die Bundesrepublik auch international zur Spitze der Staaten gehört, in denen die objektive Entwicklung dem Anspruch am nächsten kommt, so muß doch auch bei uns noch weit mehr getan werden, um den Behinderten das Miteinanderleben mit Nichtbehinderten in unserer Gesellschaft zu ermöglichen. Bloße Appelle und Jahrestage helfen da nur wenig. Da hilft aber auch keine Enquete-Kommission! Die Probleme behinderter Menschen in unserer Gesellschaft sind bekannt! Alle freien Träger, die in der Arbeit mit Behinderten stehen, ihre Verbände, aber auch die Mitarbeiter in den zuständigen Behörden verfügen über hohe fachliche Kompetenz. Wenn die PDS da nicht auf Kenntnisse und Erfahrungen in ihrem Erbe zurückgreifen kann, sollte das für den Deutschen Bundestag nicht Veranlassung sein, eine Enquete-Kommission mit Recherchen zu beauftragen. Entgegen dem Votum in der Verfassungskommission hat die F.D.P. engagiert mit für die Aufnahme des Diskriminierungsverbotes ins Grundgesetz gestritten. Seit der Grundgesetzänderung des letzten Jahres schützt unsere Verfassung Behinderte ausdrücklich vor Diskriminierung. Diese Wertung des Grundgesetzes wirkt sich nicht nur auf die öffentliche Gewalt aus, sondern sie wirkt auf unsere gesamte Rechtsordnung. Damit sind, denke ich, auch in Zukunft solche beschämenden Urteile ausgeschlossen, die - wie in der Vergangenheit vereinzelt geschehen - z. B. Reiseveranstalter zur Minderung des Reisepreises verpflichteten, wenn Urlauber an ihrem Urlaubsort auf Behinderte trafen. Nach dieser Verfassungsänderung wäre es allerdings - entgegen der hier erhobenen Forderung - nicht sinnvoll, ein Diskriminierungsverbot zusätzlich in zahlreiche einfache Gesetze aufzunehmen, da diese Verbote keinen besseren tatsächlichen Schutz Behinderter vor Diskriminierung sicherstellen können. Die Gleichstellung behinderter Mitbürger geschieht in der Praxis. Behinderte brauchen und sie haben ein Recht auf unsere Hilfe, aber sie wollen und dürfen nicht in ein Korsett von Regelungen der öffentlichen Verwaltung und Fürsorge eingezwängt werden. Nicht bevormundende Betreuung, sondern Begleitung in rechtlich und finanziell gesichertem Lebensraum, das muß die Devise sein. Die Politik hat die Pflicht, dafür die notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen. Die öffentliche Verwaltung auf allen Ebenen, die freien Träger und schließlich wir alle haben für die konkrete Umsetzung zu sorgen. Das beginnt, wie wir wissen, ganz lapidar bei der Ausstattung und dem Service unserer öffentlichen Verkehrsmittel. Das betrifft die Zugänglichkeit öffentlicher Straßen, Wege und Plätze, Gebäude, Geschäfts- oder Betriebsräume. Dazu gehört, daß die öffentliche Hand als helfende Hand bei der Beschäftigung von Behinderten endlich ihre Vorbildfunktion wahrnimmt. Es ist ja erfreulich, daß der Bund vor einigen Tagen die Erfüllung der gesetzlichen Auflagen im Durchschnitt vermelden konnte, aber die geforderten sechs Prozent stellen das Minimum dar. Es gehört dazu, daß die gemeinsame Erziehung von behinderten und nichtbehinderten Kindern in Kindergarten und Schule nicht die Ausnahme bleibt, sondern möglichst bald zum Regelfall wird. Diese Verpflichtung umfaßt z. B. auch die Verbesserung der Rechtsstellung der Behinderten in den Werkstätten (WfB). Gerade Behinderte brauchen Ausbildungs- und Arbeitsplätze. Behinderte brauchen eine materielle und soziale Sicherung, die sie der existentiellen Abhängigkeit von Dritten soweit wie möglich enthebt. Diese Sicherung muß erreichbar sein, ohne einen Pfad schlagen zu müssen durch einen Dschungel von Gesetzen, Verordnungen und Richtlinien. Seit dem 15. November 1993 liegt der Referentenentwurf zum IX. Buch des Sozialgesetzbuches vor. Das IX. Buch soll endlich die unübersichtlichen Einzelregelungen im Behindertenrecht zusammenfassen und das Sozialrecht auch in diesem Teil übersichtlicher gestalten. Die Koalitionsvereinbarung mit der Union sieht diese ebenso wichtige wie schwierige Arbeit in dieser Legislaturperiode, und zwar im 2. Halbjahr 1995 vor. Der Bundesminister für Arbeit ist aufgefordert, in Abstimmung mit dem Bundesminister für Gesundheit erneut einen Referentenentwurf vorzulegen. Ich gehe davon aus, daß nach einer Anhörung eine intensive Beratung stattfinden wird, in der die unterschiedlichen Belange eingehend erörtert werden können. Dann ist Handeln angesagt, nicht Diskussion in der Enquete-Kommission mit Zwischenbericht 1996! Die F.D.P.-Fraktion lehnt diesen Vorschlag der PDS, der nur weitere Verzögerungen bedeuten würde, ab. Petra Bläss (PDS): Menschen mit Behinderungen sind in vielen Lebensbereichen nach wie vor erheblichen Benachteiligungen ausgesetzt. Sie werden in ihren Entfaltungsmöglichkeiten behindert, in ihren Entscheidungen bevormundet. Sie werden in vielfacher Weise bei der Teilnahme am gesellschaftlichen Leben diskriminiert und sind häufig von Dauerarbeitslosigkeit betroffen. Selbst das Lebensrecht behinderter Menschen wird verstärkt zur Disposition gestellt. Nach wie vor haben Menschen mit Behinderungen unter alltäglicher, oft schwer faßbarer gesellschaftlicher Ausgrenzung und Isolierung sowie einer Diskriminierung und Ungleichbehandlung im Recht und in der Rechtsprechung zu leiden. Erstmals in der deutschen Verfassungsrechtsgeschichte wurde nun in das Grundgesetz der BRD ein eigenes Grundrecht zugunsten behinderter Menschen aufgenommen. Mit der Grundgesetzergänzung um den Zusatz „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden" im Art. 3 Abs. 3 wurde ein sehr bedeutsamer Schritt zum Abbau und zur Beseitigung von Diskriminierungen und Benachteiligungen behinderter Menschen gegangen. Die Rechtsstellung von Menschen mit Behinderungen ist hierdurch grundsätzlich verbessert worden. Das wurde von einer breiten Öffentlichkeit, namentlich durch die Behindertenverbände freudig begrüßt. Zugleich wurde sowohl von seiten der behinderten Menschen als auch von Politikern darauf verwiesen, daß allein mit der Grundgesetzergänzung noch keine einzige reale Diskriminierung beseitigt ist. Gefordert wurde und wird der nächste Schritt: konkrete Umsetzung und Ausgestaltung des neuen Verfassungsgrundsatzes auf einfachgesetzlicher Ebene. Obwohl diese Aufgabe spätestens seit der Annahme der Verfassungsreform im Herbst 1994 auf der Tagesordnung steht, wartete die PDS mit der Einbringung ihres Antrages. Mit der Koalitionsvereinbarung der regierenden Parteien wurden jedoch ihre Hoffnungen auf weitere Schritte der Bundesregierung zum zügigen Abbau von Benachteiligungen behinderter Menschen enttäuscht. Nicht ein Wort zu dem sich aus der Grundgesetzergänzung ergebenden Verfassungsauftrag ist in der Koalitionsvereinbarung zu finden. Demgegenüber versteht die PDS die Grundgesetzergänzung als „Ermahnung und Ermunterung, eine offensive, Impulse gebende Gesellschaftspolitik zu entfalten, die behinderten Menschen in allen Lebensbereichen gleiche Chancen anbietet wie Nichtbehinderten" - und sieht sich damit in Übereinstimmung mit Behinderten- und Sozialverbänden. Auch die Bundesregierung anerkennt auf diesem Gebiet Handlungsbedarf. So ist im 3. Bericht zur Lage der Behinderten und zur Entwicklung der Rehabilitation nachzulesen, daß die Bundesregierung bei der notwendigen Beseitigung von Diskriminierungen behinderter Menschen davon ausgeht, „daß es an Stelle eines Antidiskriminierungsgesetzes wesentlich erfolgversprechender ist, in den konkreten Gesetzen für die verschiedenen Rechtsbereiche . . . diskriminierende oder eingliederungshemmende Regelungen abzuschaffen oder zu verändern." Obwohl also der Handlungsbedarf seitens der Bundesregierung nicht in Frage gestellt wird, passiert auf diesem Gebiet nichts. Bereits vorhandene Vorschläge, insbesondere des Forums behinderter Juristlnnen und der Bundesarbeitsgemeinschaft Hilfe für Behinderte, werden nicht aufgegriffen. Diese Vorschläge zeigen jedoch den Umfang und die Kompliziertheit der Aufgabe, die Grundgesetzergänzung einfachrechtlich umzusetzen und auszugestalten. Dabei ist zu unterstreichen, daß es nicht nur um die Sozialgesetzgebung geht, sondern um alle Rechtsbereiche, die im Lichte der neuen Norm des Grundgesetzes angepaßt bzw. geändert werden müssen. Das betrifft z. B. die Sozialgesetzbücher einschließlich des noch zu schaffenden SGB IX, das Personenbeförderungsgesetz, das Allgemeine Eisenbahngesetz, das Fernmeldegesetz, das Strafgesetzbuch, das Zivil-, Straf-, Verwaltungs- und Sozialprozeßbuch, das Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen - um nur die wichtigsten zu nennen. Diese Vielzahl der anzupassenden und zu verändernden Gesetze, der dazugehörenden Verordnungen und Regelungen, darf nicht der Zufälligkeit anheimfallen. Im Selbstlauf wird sich nichts ändern. Die von der Bundestagsgruppe PDS beantragte Enquete-Kommission „Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen" soll wichtige Arbeiten zur Beseitigung bestehender Benachteiligungen behinderter Menschen anregen und bündeln. Insbesondere soll mit der Enquete-Kommission das historisch gewachsene und gültige Recht der Bundesrepublik mit dem Ziel überprüft werden, alle Regelungen, Festlegungen, Formulierungen sowie Tatbestände im deutschen Recht, die Menschen mit Behinderungen benachteiligen oder diskriminieren, zu benennen und Veränderungen vorzuschlagen. Es geht also darum - wie in einem unlängst von Kollegen Regenspurger vorgestellten Rechtsgutachten ausgeführt wird -, „das einfache Gesetzesrecht nach Regelungen ,durchzuforsten', bei denen das rechtspolitische Anliegen einer verbesserten Integration Behinderter Änderungen indiziert" . Da die Bundesregierung einerseits Handlungsbedarf im Sinne der Veränderung einfacher Gesetze anerkennt, andererseits für die laufende Legislaturperiode nur die seit Jahren anstehende Schaffung eines SGB IX als Aufgabe benennt, hält die PDS es für die originäre Aufgabe des Bundestages als höchstem Gesetzgeber, hier weitergehende Impulse zur Umsetzung des Grundgesetzes zu geben. Bei der Besetzung der Enquete-Kommission „Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen" sind auf möglichst vielfältige Art und Weise behinderte Menschen und ihre Organisationen unmittelbar zu berücksichtigen und an der Arbeit zu beteiligen. Ohne den Einsatz, die Sachkenntnis und die Überzeugungsarbeit, die viele Menschen mit Behinderungen in den vergangenen drei Jahren engagiert leisteten, würde es keine Grundgesetzergänzung geben. Auch jetzt haben behinderte Menschen uns Parlamentarier erneut mit ihren Vorschlägen für unumgängliche Veränderungen auf einfachgesetzlicher Ebene aufmerksam gemacht. Ihr Mitwirken an Veränderungen in den Rechtsbereichen sowie die Einbeziehung von Vertretern der Behindertenorganisationen in die Arbeit sind für den Erfolg der EnqueteKommission unerläßlich. Lassen Sie mich abschließend nochmals aus dem Gutachten „Der neue Diskriminierungsschutz für Behinderte im Grundgesetz " zitieren: Der Diskriminierungsschutz für Behinderte verstärkt in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip und der Gewährleistung der Menschenwürde die Möglichkeiten - und die Verpflichtung - des Gesetzgebers, der Verwaltung und der Justiz, bestimmten diskriminierenden Auswüchsen im Privatrechtsverkehr entgegenzutreten. Dies gilt sowohl für Einschränkungen der Privatautonomie durch neue Gesetze als auch durch die Anwendung schon bestehender Normen des bürgerlichen Rechts. Davon ausgehend möchte ich Sie auffordern: Betrachten Sie den Antrag zur Einrichtung der Enquete-Komission „Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen" als einen Weg, möglichst schnell und umfassend bestehende Diskriminierungen und Benachteiligungen behinderter Menschen zu benennen und zu beseitigen. Zugleich schaffen wir uns damit ein Forum, um über einen längeren Zeitraum die Problematik einer realen Gleichstellung behinderter Menschen ergebnisorientiert zu diskutieren. Anlage 5 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner 686. Sitzung am 23. Juni 1995 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß § 77 Abs. 2 GG nicht zu stellen: - Zweites Gesetz zur Änderung des Futtermittelgesetzes - Zweiunddreißigstes Gesetz zur Änderung des Lastenausgleichsgesetzes (32. ÄndG LAG) - Erstes Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Festlegung eines vorläufigen Wohnortes für Spätaussiedler - Gesetz über die Rechtsstellung ausländischer Streitkräfte bei vorübergehenden Aufenthalten in der Bundesrepublik Deutschland (Streitkräfteaufenthaltsgesetz - SkAufG) - Gesetz zu dem Abkommen vom 25. März 1981 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königgreich Marokko über Kindergeld - Gesetz zu dem Abkommen vom 20. September 1991 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tunesischen Republik über Kindergeld - Drittes Gesetz zur Änderung des Sozialgesetzbuchs (3. SGBÄndG) - Gesetz zur Anpassung vermögensrechtlicher und anderer Vorschriften Vermögensrechtsanpassungsgesetz - VermRAnpG) Zu dem letztgenannten Gesetz hat der Bundesrat folgende Entschließung gefaßt: Der Bundesrat verzichtet zu dem vom Bundestag beschlossenen Gesetz zur Anpassung vermögensrechtlicher und anderer Vorschriften (Vermögensrechtsanpassungsgesetz — VermRAnpG) auf die Anrufung des Vermittlungsausschusses, obwohl der Bundestag nicht in vollem Umfang dem Anliegen des Bundesrates aus dem am 4. November 1994 beschlossenen Gesetzentwurf (BRDrucks. 893/94 - Beschluß -) gefolgt ist. Er befürwortet ebenfalls die vom Bundestag zusätzlich in das Gesetz aufgenommenen Regelungen. Der Bundesrat verweist in diesem Zusammenhang auf den mit Beschluß vom 2. Juni 1995 beim Bundestag eingebrachten „Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des Schutzes der Nutzer und zur weiteren Erleichterung von Investitionen in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet (Nutzerschutzgesetz - NutzSchG)" (BR-Drucks. 184/95 - Beschluß -), der weitere Regelungen im Bereich der offenen Vermögensfragen und benachbarter Rechtsgebiete enthält. Seine baldige Verabschiedung ist nach Ansicht des Bundesrates - vor allem wegen der derzeit bestehenden Möglichkeit einer Umgehung des Vermögensgesetzes durch Klage vor den ordentlichen Gerichten - dringend erforderlich. Der Bundesrat nimmt insbesondere wegen des Interesses der Wohnungsunternehmen der neuen Länder an einem baldigen Inkrafttreten des Vermögensrechtsanpassungsgesetzes von der Möglichkeit Abstand, die im Entwurf eines Nutzerschutzgesetzes enthaltenen Regelungen im Rahmen der Beratung des Vermögensrechtsanpassungsgesetzes erneut einzubringen. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung aus diesem Anlaß auf, ihre Stellungnahme zum Entwurf eines Nutzerschutzgesetzes unverzüglich vorzulegen. Zugleich bittet er den Bundestag, den Gesetzentwurf so bald wie möglich zu behandeln. In diesem Zusammenhang weist der Bundesrat auf die von der Conference on Jewish Material Claims against Germany, Inc. vorgebrachten weiteren Vorschläge zur Anderung vermögensrechtlicher Vorschriften hin. Der Bundesrat spricht sich für die schnellstmögliche abschließende Behandlung der Vorschläge im Rahmen der Beratung des Entwurfs eines Nutzerschutzgesetzes aus. Die Fraktion der SPD hat mit Schreiben vom 28. Juni 1995 ihren Antrag „Einsetzung eines Untersuchungsausschusses" - Drucksache 13/1781- zurückgezogen. Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EU-Vorlagen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische Parlament zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat: Petitionsausschuß Drucksache 12/7795, 13/725 Nr. 1 Auswärtiger Ausschuß Drucksache 13/44, 13/269 Nr. 11 Ausschuß für Wirtschaft Drucksache 13/725 Nr. 94 Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Drucksache 13/218 Nr. 87 Drucksache 13/269 Nr. 2.1 Ausschuß für Verkehr Drucksache 13/343 Nr. 2.1 Drucksache 13/725 Nr. 162 Drucksache 13/725 Nr. 163 Drucksache 13/725 Nr. 164 Drucksache 13/837 Nr. 2.1 Drucksache 13/1096 Nr. 2.3 Drucksache 13/1096 Nr. 2.17 Drucksache 13/1234 Nr. 1.8 Ausschuß für Post und Telekommunikation Drucksache 13/1096 Nr. 2.22 Drucksache 13/1442 Nr. 1.5 Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung Drucksache 13/1338 Nr. 2.12 Ausschuß fit. Fremdenverkehr und Tourismus Drucksache 13/725 Nr. 175 Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union Drucksache 13/478 Nr. 1.1 Drucksache 13/478 Nr. 1.3 Drucksache 13/478 Nr. 1.4 Drucksache 13/614 Nr. 1.2 Drucksache 13/1096 Nr. 1.1 Drucksache 13/1096 Nr. 1.2 Drucksache 13/1096 Nr. 1.3
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    Rede von Günter Verheugen


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte die Peinlichkeit der letzten 25 Minuten nicht dadurch verlängern, daß ich mich dem Stil anschließe, den Herr Glos gerade praktiziert hat.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

    Aber eins, Herr Glos, werden Sie sich jetzt anhören müssen: Was sind Sie für ein Mensch, daß Sie nicht die geringste Vorstellung davon zu haben scheinen, was es bedeutet, wenn man ein Kampfflugzeug losschickt mit dem Auftrag, Raketen auf eine Stellung abzufeuern, in der aber auch Menschen sind? Was für ein Mensch sind Sie, lieber Herr Kollege Glos, wenn Sie Zweifel an einem Kampfeinsatz als zynisch und menschenverachtend betrachten?

    (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Es gehört zu den besseren Traditionen der deutschen Geschichte und des deutschen Parlamentarismus, daß man Zweifel hat und sich fragt, ob es richtig ist, in internationalen Beziehungen Gewalt anzuwenden. Es stünde besser um unser Land, um unser Ansehen in der Welt, um das Sie so besorgt sind, wenn sich Ihre politischen Vorgänger, Herr Glos,

    Günter Verheugen
    häufiger gefragt hätten, ob es richtig ist, militärische Gewalt anzuwenden oder nicht.

    (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS Zurufe von der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, der Herr Außenminister hat davon gesprochen, daß heute augenpolitisches Neuland betreten werde.

    (Zurufe von der CDU/CSU und der F.D.P.)

    An diesem Wort möchte ich ihn festhalten, weil er nicht darüber gesprochen hat, was das eigentlich Neue an dem ist, was der Bundestag heute zu entscheiden hat. Es ist ja nicht der erste Einsatz der Bundeswehr, über den wir beraten und entscheiden. Wir haben über den Einsatz der AWACS-Flugzeuge entschieden, wir haben über den Einsatz der Marine in der Adria entschieden, Sie haben über den fehlgeschlagenen Einsatz in Somalia entschieden. Und jetzt sagt Herr Kinkel, es sei etwas Neues. Was ist die neue Qualität dessen, was heute beschlossen werden soll?
    Ich will es Ihnen sagen, meine Damen und Herren: Die neue Qualität dessen, was heute beschlossen werden soll, ist, daß zum erstenmal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, im Jahre 50 nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, die Bundeswehr einen Auftrag erhalten soll, der mit einem direkten Kampfauftrag verbunden ist. Das ist das Neue. Und das ist die Grenze, die Sie überschreiten und von der Rudolf Scharping heute morgen gesprochen hat.
    Da denke ich schon, daß es richtig ist, einen Augenblick etwas ernsthafter darüber nachzudenken, was das bedeutet, was es für die Welt, für unsere Nachbarn und für uns selber bedeutet. Hier sitzen ja noch welche, die, anders als ich, das Erlebnis des Zweiten Weltkrieges und der ersten Nachkriegsjahre unmittelbar gehabt haben und die wissen, was das deutsche Volk als Konsequenz aus dem Erlebnis eines furchtbaren Krieges gedacht hat: Weg mit den Waffen!
    Ich erinnere mich an das Wort von Konrad Adenauer von der Hand, die abfallen soll, wenn sie noch einmal ein Gewehr anfaßt.

    (Zustimmung bei der SPD)

    Ja, das ist Geschichte. Aber das gehört zur Geschichte unseres Landes dazu. Man muß sehen, wohin wir uns entwickeln, und sich fragen: Wohin bewegen wir uns Schritt für Schritt mit dem, was uns die Regierung heute vorschlägt?

    (Beifall bei der SPD)

    Wir können nicht so tun, als hätten wir nicht über all die Fragen, die sich unsere Nachbarn stellen müssen, hinaus noch andere Fragen zu stellen. Wir haben die Frage zu stellen: Wie paßt das, was wir außen- und sicherheitspolitisch tun, zusammen mit unserer Geschichte und unseren historischen Erfahrungen? Damit sind wir sehr wohl bei der Frage, was die moralische Grundlage der Entscheidung ist, die heute zu treffen ist.
    Kollege Schäuble hat mich in dem Zusammenhang heute bereits zitiert, aber unvollständig. Darum will ich den Gedankengang noch einmal ganz vortragen: Ich habe volles Verständnis für diejenigen, die der Auffassung sind - wie die Bundesregierung bis vor kurzem -: Es kann nicht sein, daß deutsche Uniformen dort auftauchen, wo im Zweiten Weltkrieg die Wehrmacht und die Waffen-SS gewesen sind. Dafür, daß die Bundesregierung das gesagt hat - auch wir haben dies gesagt -, gibt es so unendlich viele Belege, daß das niemand im Hause bestreiten wird. Ich habe volles Verständnis für diese Position. Es gibt aber auch eine andere: Gerade weil das in den größten Teilen Europas geschehen ist, dürfen wir uns nicht versagen, wenn wir um Hilfe gerufen werden.
    Ich habe hinzugefügt: Diese beiden moralischen Positionen sind nicht miteinander zu vereinbaren, sind nicht zu versöhnen. Der Außenpolitiker, der handeln muß, der Entscheidungen treffen muß und der für seine Entscheidungen auch eine moralische Richtschnur braucht, kann dann nichts anderes tun, als in jedem Einzelfall zu prüfen: Ergibt sich in der gegebenen Situation und in der gegebenen Region aus der deutschen Geschichte eine Belastung, die dazu führt, daß man mit militärischen Beiträgen der Deutschen besonders zurückhaltend sein muß, oder nicht? Das muß in jedem Einzelfall geprüft werden. Diese Prüfung ist gerade im Falle Bosnien von ganz besonderer Bedeutung.
    Wir sind uns sicherlich alle einig darüber, daß es um die politische Lösung des Konflikts geht. Selbst wenn jemand der Meinung wäre, eine militärische Lösung sei möglich - ich weiß das nicht, ich bin kein General und will keiner werden; ich kann das gar nicht beurteilen -, muß man zur Kenntnis nehmen: Niemand auf der Welt ist bereit, die Beiträge zu einer vielleicht denkbaren militärischen Lösung zu leisten. Schon deshalb muß man sich damit nicht beschäftigen.
    Es geht vielmehr darum: Wie ist die politische Lösung möglich? Nur durch Gespräche, nur durch Verhandlungen - übrigens mit allen Seiten. Ich frage mich schon, ob die deutsche Außenpolitik auf dem Balkan in den letzten Jahren immer sehr klug gewesen ist.
    Ich las in der „Süddeutschen Zeitung" von heute, daß der von mir sehr geschätzte deutsche Vertreter bei den Vereinten Nationen und derzeitige Präsident des Sicherheitsrates, Graf Rantzau - ein hochbefähigter, erfahrener Diplomat -, auf die Frage, was Deutschland im Sicherheitsrat in diesem Jahr eigentlich bewirkt hat, sagt: „Ohne Deutschland hätte es mit Sicherheit mehr pro-serbische Entscheidungen" gegeben.
    Jetzt gehe ich einmal der Frage nach, wie diese Aussage - neben den anderen, die Sie noch im Kopf haben - in Serbien ankommt. Kann man in diesem Haus wirklich annehmen, daß eine deutsche Beteiligung an einer Friedensoperation der Vereinten Nationen - die auf dem strikten Grundsatz der Unparteilichkeit beruhen muß; das ist der strikteste Grund-

    Günter Verheugen
    Satz, der eingehalten werden muß - in diesem Konflikt als unparteilich angesehen wird? Ich glaube nicht, daß das noch möglich ist. Diese Aussage von Graf Rantzau ist ein weiterer Beleg dafür.
    Nebenbei bemerkt wäre es, Herr Kinkel, vielleicht auch interessant, zu erfahren, was Sie davon halten, daß der deutsche Präsident des Sicherheitsrates in demselben Gespräch sagt: Der Sicherheitsrat hat „keine Glaubwürdigkeit" mehr. Das mächtigste Gremium der UNO werde manipuliert von den nationalen Interessen einiger weniger Mitglieder,

    (Manfred Opel [SPD]: Hört! Hört!)

    weshalb ihm die Unterstützung des größten Teils der 185 UNO-Mitgliedstaaten verlorenzugehen drohe. Das ist im Zusammenhang mit einer Entscheidung des Bundestages, die auf einer Resolution des Sicherheitsrates basiert, natürlich eine sehr weitreichende Aussage. Der Sicherheitsrat habe „keine Glaubwürdigkeit" mehr, sagt Ihr Vertreter in New York.
    Wir sagen Ihnen: Tun Sie mehr, um die politische Lösung zu erreichen! Über Sanktionen und Embargo ist bereits gesprochen worden. Ich will Ihnen zum Punkt Embargo noch etwas sagen. Wir haben seinerzeit - nach Klärung der Rechtsfrage - den Überwachungsmaßnahmen zugestimmt. Die politische Frage war eine ganz andere. Aber man muß doch erkennen, daß dieses Embargo von allen möglichen interessierten Seiten behandelt wird, als sei es ein Fetzen Papier, und daß wirklich nichts Ernsthaftes geschieht, um das Embargo durchzuhalten. Wenn man einen Krieg austrocknen will, dann gibt es eine einzige Möglichkeit: Man muß den Zufluß von Waffen und Material in das Kriegsgebiet unterbinden.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Wer setzt das durch?)

    Ich verstehe nicht, wie die CSU-Landesgruppe und die F.D.P. als Partei - ich weiß nicht, wie Ihre Meinung als Bundestagsfraktion dazu ist - zu dem Ergebnis kommen konnten, das Waffenembargo müsse aufgehoben werden. Eines ist klar: Die Aufhebung des Waffenembargos führt automatisch zum Abzug der UNO-Blauhelme, und der Abzug der UNO-Blauhelme führt - das ist heute mehrfach gesagt worden -automatisch zum Ausbruch des Krieges in einer Form, wie wir uns sie im Augenblick vielleicht noch nicht einmal vorstellen können.

    (Abg. Ulrich Irmer [F.D.P.] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

    - Ich möchte keine Zwischenfragen beantworten, Kollege Irmer, sondern meinen Gedanken zu Ende bringen.
    Ich will Ihnen sagen, was mich an dieser Absage an das Waffenembargo durch zwei demokratische Parteien beunruhigt: die Gleichzeitigkeit mit der Meldung, daß Deutschland zum zweitgrößten Rüstungsexporteur geworden ist. Ich sage Ihnen in allem Ernst: Denken Sie einmal darüber nach, ob nicht
    eine stärker werdende Abhängigkeit unseres Landes vom Rüstungsexport im politischen Denken Auswirkungen auf die Außen- und Sicherheitspolitik haben muß! Ich wäre sehr dagegen, daß es solche Auswirkungen gibt.

    (Beifall bei der SPD)

    Meine Damen und Herren, die politische Lösung setzt voraus, daß die Menschen noch leben, für die man eine politische Lösung haben will. Deshalb muß ihnen an Ort und Stelle geholfen werden. Das ist unsere Position. Aber die Hilfe muß doch sinnvoll sein. Nicht jedes Angebot an Hilfe hilft wirklich. Man kann auch - ich unterstelle Ihnen gute Absichten - mit guten Absichten das Gegenteil erreichen. Aber die Instrumente müssen stimmen.
    Nun zitiere ich Herrn Kinkel und Herrn Rühe aus einem Gespräch mit Rudolf Scharping und mir, in dem sie auf unsere Frage, warum die Bundesrepublik Deutschland eigentlich keine Blauhelme ins ehemalige Jugoslawien schicken kann - in allem Ernst; ich teile diese Argumentation -, gesagt haben: Jeder deutsche Soldat auf dem Boden dort ist für die serbische Seite eine solche Provokation, daß er unmittelbar zur Zielscheibe und damit zur Gefahr nicht nur für sich und seine deutschen Kameraden, sondern auch für die der anderen Nationen wird. - Das ist ein ernsthaftes und wichtiges Argument. Mir leuchtet es ein. Deshalb unterstreiche ich die Position der Regierung, die lautet, keine Bodentruppen dorthin zu entsenden, weil bei Bodentruppen eben die Gefahr der Verwicklung in Kampfhandlungen besteht.
    Aber erklären Sie mir bitte eines: Wo liegt der Unterschied zwischen der angenommenen eskalierenden Wirkung eines einzigen deutschen Soldaten, vielleicht gar eines Sanitäters auf dem Boden, und der eines Kampfflugzeugs in der Luft, das den Auftrag hat, Raketen abzuschießen? Ich würde denken, daß der strikt gewaltfreie Auftrag beispielsweise eines Sanitäters, der Verwundete zu bergen hätte, weniger eskalierend ist als der mit Gewalt verbundene Auftrag eines ECR-Tornados.

    (Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Das ist nicht mit Gewalt verbunden!)

    Diesen Widerspruch können Sie nicht aufklären.

    (Beifall bei der SPD)

    Sie errichten ein Krankenhaus in Split - eine gute Sache. Aber es sind nicht die Deutschen, sondern die Franzosen, die die Verwundeten aus Bosnien dahin bringen sollen. Das heißt, ein deutscher Hubschrauber mit dem roten Kreuz darauf darf nicht die Verwundeten nach Split holen, wohl deshalb nicht, weil das eine Provokation für die serbische Seite ist. Einen anderen Grund scheint es nicht zu geben. Aber Tornados mit dem deutschen Hoheitszeichen und mit Kampfauftrag über diesem Gebiet halten Sie für möglich.

    (Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Ist abstrus, was Sie vortragen!)


    Günter Verheugen
    Das ist eine widersprüchliche, unsinnige und unlogische Position.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS Bundesminister Dr. Klaus Kinkel: Absolut Unsinn!)

    Sie sind von dem hier einzig geltenden Grundsatz abgegangen, daß deutsche Soldaten dort nicht in die Gefahr kommen dürfen, in Kampfhandlungen verwickelt zu werden. Statt dessen, lieber Herr Kinkel, benutzen Sie Schlüsselworte wie „Solidarität”, „Ansehen", „Glaubwürdigkeit", „aus der Verantwortung stehlen" .
    Ich sage Ihnen etwas: Solidarität mit den Vereinten Nationen können Sie auch anders zeigen als durch ECR-Tornados. Sie könnten z. B. endlich das tun, wozu ich Sie von diesem Pult aus schon mehrfach aufgefordert habe: deutsche Beiträge bei Friedensoperationen der Vereinten Nationen anzubieten, bei denen keine historische Belastung besteht und bei denen nicht die Gefahr besteht, in Kampfhandlungen verwickelt zu werden. Das würde den Vereinten Nationen mehr helfen als die Tornados, die Sie schikken wollen.

    (Beifall bei der SPD)

    Sie können für das deutsche Ansehen eine ganze Menge tun, z. B., wenn Sie sich leidenschaftlich dafür einsetzen, daß die geradezu lebensgefährlich falsche Behauptung, die Kollege Schäuble hier heute morgen aufgestellt hat, nämlich, es gebe kein Gewaltmonopol der Vereinten Nationen, aus der deutschen Politik verschwindet. Das Gewaltmonopol der Vereinten Nationen ist die Grundlage aller Friedenspolitik in der ganzen Welt. Wer dieses Gewaltmonopol nicht anerkennt, der öffnet dem Krieg überall auf der Welt Tür und Tor.

    (Beifall bei der SPD)

    Anders als bei Kambodscha, anders als bei Namibia, anders als bei Somalia, anders als beim AWACS-Einsatz und anders beim Adria-Einsatz wollen Sie jetzt den wirklich entscheidenden Schritt weitergehen, und Sie können das nicht begründen. Sie können nicht begründen

    (Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Sicher kann man das begründen! Es ist begründet worden! Sie haben nicht zugehört!)

    - nein, Sie haben das nicht begründet -, warum Sie eine mit Gewalt verbundene Aktion für möglich halten,

    (Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Wer wendet denn Gewalt an?)

    das Mitwirken an einer prinzipiell gewaltfreien Aktion aber nicht. Der Widerspruch, warum Sie nicht Truppensteller sein können unter den neuen Bedingungen, unter dem, was Sie inzwischen gelernt haben, wie eben Graf Lambsdorff in seiner Kurzintervention gesagt hat, und dem, was Sie tatsächlich anbieten, ist unauflöslich. Aber er erklärt sich vielleicht mit dem historischen Ablauf.
    Angefangen hat es mit der Abzugsdiskussion im vergangenen Dezember. Das Argument „Das, was wir für den Abzug anbieten, müssen wir erst recht für das Bleiben anbieten” hat auf den ersten Blick eine Menge für sich. Es übersieht aber etwas Entscheidendes, einen kleinen, aber verfassungsrechtlichen Haken, nämlich daß auch über den Abzug, die deutsche Beteiligung und den deutschen Schutz der Deutsche Bundestag erst entscheiden muß. Der Bundestag hat aus gutem Grund eine solche Entscheidung nicht getroffen, und zwar, weil die Vereinten Nationen den Abzug überhaupt nicht beschlossen haben und bisher auch niemanden auf der Welt gebeten haben, einen Abzug, der noch gar nicht beschlossen worden ist, zu schützen.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Darum haben wir Entsprechendes auch nicht beschlossen. Darum kann ja auch keiner sagen: Das, was für den Abzug gilt, gilt auch für das, was jetzt gemacht werden soll.
    Das ist übrigens keine Umgruppierung, wie hier mehrfach dargestellt worden ist, sondern eine schlichte Verstärkung der vorhandenen UNPROFOR-Truppen. Die Verstärkung arbeitet nach denselben Regeln wie auch die vorhandenen Truppen: unparteiisch und unter dem Grundsatz der striktesten Vermeidung von Gewalt.
    Die schnelle Eingreiftruppe, um die es jetzt geht, ist nicht das, was unsere Partner ursprünglich gewollt haben, vor allem Frankreich. Frankreich hat viel mehr gewollt. Frankreich hat sehr weitreichende Vorschläge gemacht. Diese Vorschläge sind von unseren Bündnispartnern nicht akzeptiert worden. Sie sind nicht weiter verfolgt worden. Übrig geblieben ist die schnelle Eingreiftruppe.
    Es ist nicht so gewesen, daß irgendwer Deutschland aufgefordert hätte, das und das anzubieten, sondern die Wahrheit ist, daß die Bundesregierung ein Angebot gemacht hat. Ja, ich würde sagen: Die Bundesregierung hat gemeint, sie müsse ein Angebot machen, weil sie sich in eine Lage hineingeredet hat, in der sie aus der selbstgebauten Falle nicht mehr anders herauskam, als jetzt endlich dabeizusein. Sie haben sich in eine Situation hineingeredet,

    (Beifall bei der SPD)

    die Sie jetzt zu einer Aktion zwingt, von der ich sagen möchte: Sie hat eher symbolische Bedeutung, kann aber sehr, sehr gefährliche Auswirkungen haben.
    Ich finde nicht, daß die Bundeswehr dazu da ist, die Folgen einer verfehlten Jugoslawien-Politik dieser Bundesregierung zu kaschieren. Dazu sind uns die Männer und Frauen doch zu schade.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Ich wäre wie die gesamte SPD-Bundestagsfraktion sehr daran interessiert gewesen, wenn ernsthaft der Versuch gemacht worden wäre, bei dieser sehr schwierigen und so tief bewegenden Entscheidung einen gemeinsamen Weg zu finden und einen Kon-

    Günter Verheugen
    sens zu finden. Aber so geht das nicht, meine Damen und Herren. Sie verlassen den bisherigen Konsens. Denjenigen, die das nicht wollen, werfen Sie dann vor, sie seien unsolidarisch, unglaubwürdig, unzuverlässig - oder was weiß ich nicht alles.
    Das, was wir gemeinsam tragen können, das wird nicht von der Regierung oder von der Koalition diktiert, sondern das haben wir gemeinsam miteinander zu bereden. Da müssen beide Seiten aufeinander zugehen.
    Wir sind ein großes Stück auf Sie zugegangen. Der Antrag der SPD-Bundestagsfraktion hat ganz wesentliche Teile des Beschlusses der Bundesregierung übernommen. Sie brauchen nur einen aus Ihrer Sicht relativ Meinen Schritt zu tun: Verzichten Sie auf das Instrument, das in diesem Beschluß der Bundesregierung widersinnig, gefährlich und unverständlich ist. Verzichten Sie darauf! In dem Augenblick haben Sie das, was Sie wollen: die Unterstützung auch der SPD für die Hilfe der Bundesrepublik Deutschland bei der Aktion im ehemaligen Jugoslawien.

    (Ina Albowitz [F.D.P.]: Nicht was wir wollen: Was die Situation erfordert!)

    Sie haben dann nicht die Situation, daß wir uns hier auseinanderdividieren und daß der Eindruck entsteht, die Deutschen wüßten nicht so recht, was sie wollen.
    Ich finde, wir sollten uns darauf verständigen, was wir wollen. Das, was wir wollen, kann immer nur sein, mit den uns möglichen und für die gegebene Situation jeweils besten Instrumenten den Vereinten Nationen dabei zu helfen, Frieden zu bewahren, Frieden zu sichern und Menschenleben zu retten.
    Vielen Dank.

    (Anhaltender Beifall bei der SPD sowie Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von Dr. Antje Vollmer
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Das Wort hat jetzt der Kollege Winni Nachtwei.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Winfried Nachtwei


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! In der Frage, ob deutsche Soldaten nach Ex-Jugoslawien, ob deutsche Tornados nach Bosnien sollen, ist die deutsche Bevölkerung völlig gespalten - aber nicht nur die deutsche Bevölkerung, sondern auch die Anhängerschaft der Parteien, die hier im Parlament sitzen. Eine letzte Umfrage ergab z. B.: 48 % der Anhänger von CDU/CSU sind gegen diesen Einsatz, 47 % sind dafür. Bei uns ist das Echo gespalten, bei der PDS ebenfalls, bei allen Parteien.
    Dieser Meinungsriß geht nicht nur durch die Parteianhängerschaften, sondern er geht auch bei vielen von uns hindurch. Ich denke, es ist ein Zeichen von Ehrlichkeit, daß es wenigstens zwei Fraktionen hinbekommen, hier auch Minderheitenpositionen zu
    Wort kommen zu lassen. Die Geschlossenheit von vor allem CDU/CSU und F.D.P. macht mich, muß ich sagen, nur mißtrauisch. Diese Geschlossenheit ist offensichtlich nur simuliert.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)

    Wir haben heute vor allem die politischen Begründungen und mutmaßlichen Wirkungen des Bundeswehreinsatzes zu prüfen. Der Auftrag der ECR-Tornados könnte kaum begrenzter und moralischer formuliert sein: Sie sollen die NATO-Flugzeuge schützen, die die Eingreiftruppe zum Schutz der Blauhelme schützen. Dabei sollen sie erst zum Einsatz kommen, wenn Blauhelme angegriffen werden und wenn der Tornado vom serbischen Feuerleitradar erfaßt wird - sozusagen als Akt der doppelten Selbstverteidigung.
    Doch die Bundesregierung läßt sich Hintertüren offen: Der Bundeswehreinsatz ist weder zeitlich noch zahlenmäßig begrenzt. Minister Rühe gibt wohl die mündliche Zusage, die Obergrenze von 1 700 bzw. 2 000 Soldaten solle nicht überschritten werden. Aber ist schon vergessen, daß die Bundesregierung noch vor einem Monat die Teilnahme an einer Umgruppierung oder Verstärkung der UN-Truppen kategorisch ausschloß?
    Für die Zukunft heißt es - Minister Rühe im Verteidigungsausschuß -: Enge Zahlengrenzen können in spezifischen Situationen Schwierigkeiten machen. Oder ein führender Verteidigungspolitiker der CDU am selben Orte: „Der Verzicht auf eine klare zahlenmäßige Begrenzung ist angemessen, damit die Bundesregierung die nötige Handlungsfreiheit hat. Wir wollen verhindern, daß bei einer Lageveränderung eine Anpassung parlamentarisch abgefragt werden muß." Im Klartext: Nach dem Einstieg mit einer solch engen zahlenmäßigen Begrenzung soll eine pragmatische Anpassung an die Lageentwicklung möglich sein.
    Viele Menschen sehen Militär als eine Art robuste Feuerwehr oder Polizei an. Sie trauen dem Militär die Fähigkeit zum schnellen Durchgreifen zu. Eine solche Erwartung mag vor allem in Situationen verzweifelter Ohnmacht naheliegen; sie wird überwiegend durch unsere Fernseherfahrung von Militär begünstigt. Eine solche Erwartung aber ist völlig illusorisch. Vor allem wissen Militärs, daß, wenn der erste Schritt hinein klar ist, darüber hinaus aber das politische Gesamtkonzept und damit auch der Weg hinaus unklar ist, die Wahrscheinlichkeit hoch ist, daß das Gesamtunternehmen scheitert. Dann besteht das erhebliche Risiko, in einen Konflikt bzw. Krieg hineinzuschlittern. Wenn ich in den letzten Tagen und Wochen bilateral mit Militärs gesprochen habe, sah ich bezüglich dieser Bedenken immer nur ein Kopfnikken.
    Viele Befürworter des Bundeswehreinsatzes in Ex-Jugoslawien suggerieren - das ist uns von Herrn Gerhardt besonders deutlich vorgeführt worden -, daß derjenige, der diesen Einsatz ablehne, den ge-

    Winfried Nachtwei
    schundenen Menschen in Bosnien die Hilfe verweigere und daß es im Grunde nur zwei Möglichkeiten gäbe: Tornado oder Wegsehen. Dies ist eine Scheinalternative, die mit der Wirklichkeit nichts zu tun hat.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Nennen Sie mal ihre Alternative!)

    - Herr Nolting, ich komme direkt darauf zu sprechen.
    Es gibt drei Beispiele. Erstens. Aggressoren und Kriegführende brauchen Material; sie brauchen Munition, Waffen und Treibstoff. Das Embargo ist seit langem beschlossen. Es ist heute schon mehrfach angesprochen worden, wie die Realität dieses Embargos aussieht: 1992 und 1994 wurde ausgiebig darüber berichtet. 1994 erschien der Bericht, in dem es hieß, daß Ex-Jugoslawien inzwischen zum größten Waffenmarkt der Welt geworden sei. In einer Reportage über die rumänisch-serbische Grenze vom Juni hieß es, daß es im rumänischen Grenzgebiet so viele Tankstellen gebe wie nirgendwo sonst und daß über dieser Gegend ein Dunst von Benzin liege. - Das sind deutliche Zeichen dafür, daß es ein funktionierendes Embargo praktisch nicht gibt.
    An der bosnisch-serbischen Grenze gibt es eine Überwachungsmission, bestehend aus ungefähr 200 Mann. Anfang Januar erfuhren wir im Verteidigungsausschuß, daß gewünscht wurde, auch 20 Mann aus der Bundesrepublik zu entsenden, daß zu diesem Zeitpunkt allerdings nur 2 Personen gestellt werden konnten. Auf Anfrage mußte Minister Kinkel jetzt im Verteidigungsausschuß zugestehen, daß bisher, also seit Oktober, nur 3 Freiwillige für diese Mission gefunden seien,

    (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!)

    daß man aber jetzt, acht Monate später, Methoden gefunden habe, die gewünschte Zahl zu erreichen. Das zeigt die Ernsthaftigkeit, mit der solche Wünsche unterstützt werden.

    (Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein Skandal!)

    Zweites Beispiel. Aggressoren und Kriegführende brauchen Soldaten; auch dies ist mehrfach angesprochen worden. Wem ist aber hierzulande schon bekannt, daß sich dem Dienst in der serbischen Armee insgesamt 300 000 Männer entzogen haben, denen erhebliche Strafen drohen? Von ihnen sind ungefähr 10 000 in der Bundesrepublik. Was aber geschieht mit ihnen? Diese Flucht aus der kriegführenden Armee wird nicht als Asylgrund anerkannt. Im Gegenteil: Der Abschiebestopp wird aufgehoben. Entsprechende Anträge, diesen Abschiebestopp wieder einzuführen, wurden vom Innenausschuß des Bundestages noch in der vorletzten Woche kategorisch abgelehnt.

    (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Menschen helfen nennt man das!)

    Das heißt im Klartext: Die Bundesregierung ist bereit und willens, den Kriegsparteien, ja sogar den Aggressoren wieder Soldaten frei Haus zu liefern.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

    Ein drittes Beispiel. Die Medien, die bei der emotionalen Mobilmachung für den Krieg eine zentrale Rolle spielten, sollten vielmehr bei der Überwindung dieses Krieges eine zentrale Rolle spielen. Hierzu gibt es ausgezeichnete Einzelinitiativen; eine konzertierte Politik gibt es nicht.