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    Plenarprotokoll 13/47 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 47. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 Inhalt: Erweiterung und Abwicklung der Tagesordnung 3753 A Absetzung von Tagesordnungspunkten 3754 A Begrüßung des Präsidenten des Parlaments der Republik Estland, Dr. Toomas Savi, und seiner Delegation 3776 C Zusatztagesordnungspunkt 1: a) Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Sexualaufklärung, Verhütung, Prävention vor ungewollten Schwangerschaften und Beratung (Drucksache 13/402) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Hubert Hüppe, Monika Brudlewsky und weiteren Abgeordneten eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutz des ungeborenen Kindes - Neufassung des Abtreibungsstrafrechts und Regelung der staatlichen Obhut (Drucksache 13/395) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Christina Schenk, Petra Bläss und der weiteren Abgeordneten der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung der Unantastbarkeit der Grundrechte von Frauen - Ergänzung des Grundgesetzes (Artikel 2) und entsprechende Änderungen des Strafgesetzbuches (Drucksache 13/397) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs ei- nes Gesetzes zur Hilfe für Frauen bei Schwangerschaftsabbrüchen in besonderen Fällen (Drucksache 13/375) Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetzes (Drucksache 13/285) Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung des Schwangeren- und Familienhilfegesetzes an die Vorgaben des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Mai 1993 (Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetz) (Drucksache 13/27) Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetzes (Drucksache 13/268) (Drucksachen 13/1850, 13/1851, 13/1852, 13/1853, 13/1854) b) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu dem Antrag der Abgeordneten Kerstin Müller (Köln) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Selbstbestimmungsrecht der Frauen (Drucksachen 13/409, 13/1850) Maria Eichhorn CDU/CSU 3755 A Inge Wettig-Danielmeier SPD 3757A Heinz Lanfermann F.D.P. . . . . . . 3759 B Rita Grießhaber BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 3762C, 3771A Christina Schenk PDS 3764 A Claudia Nolte CDU/CSU 3766A Dr. Edith Niehuis SPD 3767 B, 3770 D Kerstin Müller (Köln) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 3769A Ina Albowitz F.D.P. . . . . . . . . . 3771 B Petra Bläss PDS 3773 A Gerhard Scheu CDU/CSU 3773 C Dr. Jürgen Meyer (Ulm) SPD 3774 D Hubert Hüppe CDU/CSU . . . . 3776D, 3780 A Karin Rehbock-Zureich SPD 3778 A Gerhard Scheu CDU/CSU 3778 C Konrad Kunick SPD 3779 A Cornelia Schmalz-Jacobsen F.D.P. . . 3779 B Christel Hanewinckel SPD 3780 C Dr. Reinhard Göhner CDU/CSU . . . 3782 B Hanna Wolf (München) SPD 3783 D Dr. Rita Süssmuth CDU/CSU 3784 D Namentliche Abstimmungen . 3786 C, D, 3787A, B Ergebnisse . . . . 3787C, 3790A, 3792D, 3795D Tagesordnungspunkt 18: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung wehrrechtlicher Vorschriften (Wehrrechtsänderungsgesetz) (Drucksache 13/1801) . . 3798B Tagesordnungspunkt 19: Antrag der Fraktion der SPD: Einsetzung eines Untersuchungsausschusses (Drucksache 13/1833) 3798B Tagesordnungspunkt 21: Überweisungen im vereinfachten Verfahren a) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes (Drucksache 13/1207) b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 15. März 1994 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Litauen über die gegenseitige Hilfeleistung bei Katastrophen oder schweren Unglücksfällen (Drucksache 13/1665) c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der Vereinbarung vom 21. Juni 1994 zur Durchführung des Abkommens vom 5. März 1993 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Chile über Rentenversicherung (Drucksache 13/1810) d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Zweiten Zusatzabkommen vom 6. März 1995 zum Abkommen vom 7. Januar 1976 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika über Soziale Sicherheit und zu der Zweiten Zusatzvereinbarung vom 6. März 1995 zur Vereinbarung vom 21. Juni 1978 zur Durchführung des Abkommens (Drucksache 13/1811) e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Zusatzabkommen vom 12. Februar 1995 zum Abkommen vom 17. Dezember 1973 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel über Soziale Sicherheit (Drucksache 13/1809) g) Antrag der Abgeordneten Halo Saibold, Elisabeth Altmann (Pommelsbrunn), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Goldabbau in der Westtürkei unter Einsatz zyankalihaltiger chemischer Stoffe durch Unternehmen aus der Bundesrepublik Deutschland (Drucksache 13/ 1017) h) Antrag der Präsidentin des Bundesrechnungshofes: Rechnung des Bundesrechnungshofes für das Haushaltsjahr 1994 — Einzelplan 20 — § 101 BHO (Drucksache 13/1668) i) Antrag der Abgeordneten Dr. Eckhart Pick, Dr. Herta Däubler-Gmelin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Entlastung der Zivilgerichtsbarkeit durch vor- bzw. außergerichtliche Streitbeilegung (Drucksache 13/1749) 3798 B Tagesordnungspunkt 22: Abschließende Beratungen ohne Aussprache a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Ande-rung des Gesetzes über die elektromagnetische Verträglichkeit von Geräten (Drucksachen 13/670, 13/1595) b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung wehrpflichtrechtlicher, soldatenrechtlicher, beamtenrechtlicher und anderer Vorschriften (Drucksachen 13/1209, 13/ 1634, 13/1635) c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll Nr. 11 vom 11. Mai 1994 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Drucksachen 13/ 858, 13/1849) e) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag des Abgeordneten Dr. Jürgen Rochlitz und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Widerspruchsrecht für die Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Drucksachen 13/352, 13/1506) f) Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Grenzüberschreitender Zahlungsverkehr in der EU; Transparenz, Effizienz und Stabilität - Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, das Europäische Währungsinstitut und den Wirtschafts- und Sozialausschuß - Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über grenzüberschreitende Überweisungen - Entwurf einer Mitteilung über die Anwendung der EG-Wettbewerbsregeln auf grenzüberschreitende Überweisungssysteme (Drucksachen 13/343 Nr. 2.17, 13/1514) g) Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Geänderter Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 85/611/ EWG zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW) (Drucksachen 13/725 Nr. 69, 13/1585) h) Beschlußempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses zu dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen: Einwilligung gemäß § 64 Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung zur Veräußerung bundeseigener Grundstücke in Wiesbaden, ehemaliges Camp Lindsey (Drucksachen 13/1293, 13/1601) i) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Gerald Thalheim, Anke Fuchs (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Gewährung von Beihilfe bei der Sortenumstellung von Hopfen (Drucksachen 13/601, 13/1625) j) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft zu der Verordnung der Bundesregierung: Aufhebbare Sechste Verordnung zur Änderung der Verordnung zur Regelung von Zuständigkeiten im Außenwirtschaftsverkehr (Drucksachen 13/1140, 13/1233 Nr. 2.1, 13/1746) k) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu dem Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Rita Grießhaber und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten der PDS zu der vereinbarten Debatte zum Thema „Internationaler Frauentag" (Drucksachen 13/703, 13/701, 13/705, 13/699, 13/1627) 1) Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zu der dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsache vor dem Bundesverfassungsgericht 2 BvE 4/95 (Drucksache 13/1830) m)Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses: Sammelübersicht 46 zu Petitionen (Drucksache 13/1766) n) Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses: Sammelübersicht 47 zu Petitionen (Drucksache 13/1767) Helmut Rauber CDU/CSU (Berichterstatter) 3801 B Zusatztagesordnungspunkt 4: Weitere abschließende Beratung ohne Aussprache Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P.: Einhaltung des Stromeinspeisungsgesetzes zu dem Antrag der Fraktion der SPD: Respektierung des Stromeinspeisungsgesetzes - Für erneuerbare Energien zu dem Antrag der Abgeordneten Michaele Hustedt, Ursula Schönberger und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Durchsetzung der Einhaltung des Stromeinspeisungsgesetzes zu dem Antrag der Abgeordneten Rolf Köhne, Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS: Bürgschaftsverpflichtung der Bundesregierung zur Umsetzung des Stromeinspeisungsgesetzes (Drucksachen 13/1397, 13/1384, 13/ 1303, 13/1309, 13/1783) 3800D Tagesordnungspunkt 3: Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die humanitäre Hilfe für durch Blutprodukte HIV-infizierte Personen (HIV-Hilfegesetz) (Drucksachen 13/ 1298, 13/1831, 13/1847) Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid) CDU/ CSU 3803B Horst Schmidbauer (Nürnberg) SPD . 3805 C Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid) CDU/CSU 3807 B Monika Knoche BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 3808B Dr. Dieter Thomae F.D.P 3809 C Dr. Ruth Fuchs PDS 3811A Dr. Hans-Hinrich Knaape SPD 3811 D Horst Seehofer, Bundesminister BMG . 3813 B Horst Schmidbauer (Nürnberg) SPD (Er- klärung nach § 30 GO) 3815C Tagesordnungspunkt 4: a) Antrag der Abgeordneten Waltraut Schoppe und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Forum der Nichtregierungsorganisationen auf der VN-Weltfrauenkonferenz in Peking (Drucksache 13/1427) b) Antrag der Abgeordneten Dr. Edith Niehuis, Christel Hanewinckel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Vierte Weltfrauenkonferenz der Vereinten Nationen vom 4. bis 15. September 1995 in Peking (Drucksache 13/1441) c) Antrag der Abgeordneten Waltraut Schoppe, Rita Grießhaber, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Menschenrechte und Demokratie für Frauen verwirklichen (Drucksache 13/1551) d) Antrag der Abgeordneten Christina Schenk, Petra Bläss, weiterer Abgeordneter und der Gruppe der PDS: Weltfrauenkonferenz (Drucksache 13/1622) e) Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P.: Vierte Weltfrauenkonferenz vom 4. bis 15. September 1995 in Peking - Mehr Chancen für Frauen in Entwicklungsländern (Drucksache 13/1837) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 2: Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P.: Forum der Nichtregierungsorganisationen und Vierte VN-Weltfrauenkonferenz 1995 in Peking (Drucksache 13/ 1836) Rita Grießhaber BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 3816C Claudia Nolte, Bundesministerin BMFSFJ 3817C Dr. Edith Niehuis SPD 3819C Dr. Irmgard Schwaetzer F.D.P 3821 C Petra Bläss PDS 3822 D Erika Reinhardt CDU/CSU 3824 A Adelheid Tröscher SPD 3825A Bärbel Sothmann CDU/CSU 3827 A Tagesordnungspunkt 5: Beschlußempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Friedbert Pflüger, Hans-Dirk Bierling, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Ulrich Irmer, Dr. Olaf Feldmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.: Weitgehende Einsatzbeschränkungen für Landminen zu dem Antrag der Abgeordneten Volker Kröning, Uta Zapf, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der SPD: Verbot von Landminen und Unterstützung der Lander der Dritten Welt" bei der Lösung ihrer Probleme durch Minen und andere gefährliche Munition zu dem Antrag der Abgeordneten Steffen Tippach, Andrea Lederer, weiterer Abgeordneter und der Gruppe der PDS: Weltweite Achtung der Landminen zu dem Antrag der Abgeordneten Angelika Beer und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ächtung von Landminen (Drucksachen 13/1299, 13/1308, 13/ 1302, 13/1304, 13/1780) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 3: Antrag der Abgeordneten Anneliese Augustin, Dr. Erich Riedl (München) und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Rudolf Bindig, Dr. Ingomar Hauchler und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Dr. Olaf Feldmann, Dr. Irmgard Schwaetzer und der Fraktion der F.D.P.: Minenräumung zu humanitären Zwekken als Beitrag sinnvoller Demobilisierung sowie zur Förderung des Wiederaufbaus (Drucksache 13/1844) Dr. Friedbert Pflüger CDU/CSU 3829A Volker Kröning SPD 3830A Angelika Beer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 3831 C Volker Kröning SPD 3832 B Dr. Friedbert Pflüger CDU/CSU 3833 A Dr. Olaf Feldmann F.D.P 3833D Steffen Tippach PDS 3835 A Anneliese Augustin CDU/CSU 3835 D Helmut Schäfer, Staatsminister AA . . 3836C Tagesordnungspunkt 6: a) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Berufsbildungsbericht 1995 (Drucksachen 13/1300, 13/1502 [Berichtigung] ) b) Antrag der Abgeordneten Stephan Hilsberg, Günter Rixe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Gemeinschaftsinitiative Ausbildungsplatzsicherung (Drucksache 13/1838) Dr. Jürgen Rüttgers, Bundesminister BMBF 3838C Dr. Christine Bergmann, Senatorin (Berlin) 3840 C Elisabeth Altmann (Pommelsbrunn) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 3843 A Dr. Karlheinz Guttmacher F.D.P. . . . 3844 B Rosel Neuhäuser PDS 3845 C Dr.-Ing. Rainer Jork CDU/CSU 3846B Doris Odendahl SPD 3847 C Stephan Hilsberg SPD 3848 B Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn) CDU/ CSU 3849 C Hans Büttner (Ingolstadt) SPD . . . 3850 B Günter Rixe SPD 3850D Elisabeth Altmann (Pommelsbrunn) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 3851 B Tagesordnungspunkt 7: a) Beschlußempfehlung und Bericht des Ältestenrates zu den Empfehlungen der Kommission des Ältestenrates für die Rechtsstellung der Abgeordneten in den Vorlagen vom 16. Juni 1995 (Drucksache 13/1803) b) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Drucksache 13/1824) c) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Achtzehnten Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes und eines Fünfzehnten Gesetzes zur Änderung des Europaabgeordnetengesetzes (Drucksache 13/1825) Dr. Rita Süssmuth CDU/CSU 3852A Schmidt (Salzgitter) SPD 3854 C Dr. Norbert Lammert CDU/CSU . . 3856D Gerald Häfner BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 3858D Dr. Burkhard Hirsch F D P 3860 B Dieter Wiefelspütz SPD . . . . . . 3861 C Manfred Müller (Berlin) PDS 3862 C Gerhard Scheu CDU/CSU 3863 D Dr. Burkhard Hirsch F.D.P. . . . . . 3864 B Tagesordnungspunkt 8: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (Drucksache 13/1826) Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid) CDU/ CSU 3867 A Rudolf Dreßler SPD 3868 C Marina Steindor BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 3870D Dr. Dieter Thomae F.D.P 3871 D Dr. Ruth Fuchs PDS 3872 C Horst Seehofer, Bundesminister BMG . 3873 B Tagesordnungspunkt 9: a) Antrag der Abgeordneten Otto Reschke, Achim Großmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Neugestaltung der Wohneigentumsförderung (Drucksache 13/1501) b) Antrag der Abgeordneten Dieter Maaß (Heme), Achim Großmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Wohnungsbaugenossenschaften stärken - Mitglieder steuerlich fördern (Drucksache 13/1644) Otto Reschke SPD . . . . . . . . . 3875 B Werner Dörflinger CDU/CSU 3877 B Franziska Eichstädt-Bohlig BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 3879 A Hildebrecht Braun (Augsburg) F.D.P. . 3880B Dr. Karl-Heinz Hornhues CDU/CSU . 3880 C Klaus-Jürgen Warnick PDS 3882 C Dr. Michael Meister CDU/CSU . . . . 3883 C Achim Großmann SPD 3884 A Hannelore Rönsch (Wiesbaden) CDU/ CSU 3884 B Dieter Maaß (Herne) SPD 3886 A Hildebrecht Braun (Augsburg) F.D.P. . 3887 B Dr. Klaus Töpfer, Bundesminister BMBau 3887 D Achim Großmann SPD 3890 B Tagesordnungspunkt 10: Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zu dem Antrag der Abgeordneten Franziska Eichstädt-Bohlig und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sofortprogramm zum Abbau von Obdachlosigkeit zu dem Antrag der Abgeordneten Gabriele Iwersen, Achim Großmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Wohnungslosigkeit - Obdachlosgkeit und Wohnungsnotfälle in der Bundesrepublik Deutschland und Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung zu dem Antrag der Abgeordneten Dr.-Ing. Dietmar Kansy, Werner Dörflinger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Hildebrecht Braun (Augsburg), Dr. Klaus Röhl und der Fraktion der F.D.P.: Obdachlosigkeit - eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung zu dem Antrag der Abgeordneten Andrea Fischer (Berlin), Franziska Eichstädt-Bohlig und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Maßnahmen zur Vermeidung von Wohnungsverlust und zur Bekámpfung der Obdachlosigkeit (Drucksachen 13/96 [neu], 13/247, 13/ 288, 13/1617, 13/1848) Dr.-Ing. Dietmar Kansy CDU/CSU . . 3891 A Gabriele Iwersen SPD 3893 A Andrea Fischer (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . 3894 D Lisa Peters F.D.P. . . . . . . . . . . . 3895C Klaus-Jürgen Warnick PDS 3896 C Tagesordnungspunkt 12: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Tierseuchengesetzes (Drucksachen 13/672, 13/1764) . . . . 3897 C Tagesordnungspunkt 13: Antrag der Abgeordneten Helmut Wilhelm (Amberg), Michaele Hustedt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Einstellung des Betriebs im Endlager Morsleben (ERAM) (Drucksache 13/1378) Helmut Wilhelm (Amberg) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 3898A, 3906 D Kurt-Dieter Grill CDU/CSU . . 3898D, 3903 A Reinhard Weis (Stendal) SPD . . 3900A, 3906 C Dr. Rainer Ortleb F.D.P. . . . . . . . 3901 B Rolf Köhne PDS 3901 B Wolfgang Behrendt SPD 3902A Kurt-Dieter Grill CDU/CSU 3902 C Walter Hirche, Parl. Staatssekretär BMU 3904A, 3907 A Dr. Winfried Wolf PDS 3906A Tagesordnungspunkt 14: Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Robert Antretter, Wolf-Michael Catenhusen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Entwurf einer Bioethik-Konvention des Europarates (Drucksachen 13/ 321, 13/1816) . . . . . . . . . . . 3907C Tagesordnungspunkt 15: a) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung der Korruption durch die Abschaffung der steuerlichen Absetzbarkeit von Schmier- und Bestechungsgeldern (Steuerliches Korruptionsbekämpfungsgesetz) (Drucksache 13/742) b) Antrag der Abgeordneten Christine Scheel, Manfred Such, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Maßnahmen gegen Korruption (Drucksache 13/617) c) Antrag der Abgeordneten Dr. Ingomar Hauchler, Frank Hofmann (Volkach), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Eindämmung der internationalen Korruption (Drucksache 13/ 1717) Frank Hofmann (Volkach) SPD 3908 C Dr. Kurt Faltlhauser CDU/CSU . . . 3909 B Christine Scheel BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 3911A Dr. Barbara Höll PDS 3912B Dr. Ingomar Hauchler SPD . . . . . . 3913 B Tagesordnungspunkt 16: Antrag der Abgeordneten Amke Dietert-Scheuer, Angelika Beer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Keine Hermes-Bürgschaften für Handelsgeschäfte mit dem Iran (Drucksache 13/1620) . . . 3915B Zusatztagesordnungspunkt 5: Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung des Pflegeversicherungsgesetzes (Drucksachen 13/99, 13/ 1845) Gerd Andres SPD 3915D Nächste Sitzung 3916 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 3917* A Anlage 2 Erklärungen nach § 31 GO zur Abstimmung über die in Zusatztagesordnungspunkt 1a aufgeführten Vorlagen (Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetz - § 218 StGB) Robert Antretter CDU/CSU 3917* C Monika Brudlewsky CDU/CSU 3918* A Werner Dörflinger CDU/CSU 3918* B Wolfgang Engelmann CDU/CSU . . . 3918* C Ernst Hinsken CDU/CSU 3918* C Dr. Barbara Höll PDS 3918* D Dr. Dionys Jobst CDU/CSU 3919* B Peter Keller CDU/CSU 3920* A Jürgen Koppelin F.D.P 3920* A Hartmut Koschyk CDU/CSU 3920* B Armin Laschet CDU/CSU 3920* B Werner Lensing CDU/CSU 3921* A Heidemarie Lüth PDS 3921* C Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn) CDU/ CSU 3922* A Kurt J. Rossmanith CDU/CSU . . . . 3922 * A Christian Schmidt (Fürth) CDU/CSU . 3922* C Dr. Edzard Schmidt-Jortzig F.D.P. . . . 3922* D Hans Peter Schmitz (Baesweiler) CDU/ CSU 3923 * A Johannes Singhammer CDU/CSU . . . 3923* B Dr. Klaus-Dieter Uelhoff CDU/CSU . . 3923* C Alois Graf von Waldburg-Zeil CDU/CSU 3924* A Benno Zierer CDU/CSU 3924* B Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Rolf Köhne (PDS) zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung zu den Anträgen „Stromeinspeisungsgesetz" (Zusatztagesordnungspunkt 4) 3924* C Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Hans Büttner (Ingolstadt) (SPD) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung wehrpflichtrechtlicher, soldatenrechtlicher, beamtenrechtlicher und anderer Vorschriften (Tagesordnungspunkt 22 b) 3924 * D Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 12 (Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Tierseuchengesetzes) Siegfried Hornung CDU/CSU 3925* A Marianne Klappert SPD 3926 * A Ulrike Höfken BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 3927' C Günther Bredehorn F.D.P. 3928* C Eva Bulling-Schröter PDS 3929* B Jochen Borchert, Bundesminister BML 3930* A Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 14 (Beschlußempfehlung zu dem Antrag: Entwurf einer BioethikKonvention des Europarates) Peter Altmaier CDU/CSU 3930* D Margot von Renesse SPD 3932* C Gudrun Schaich-Walch SPD 3933* D Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 3934* C Heinz Lanfermann F.D.P 3935* C Dr. Uwe-Jens Heuer PDS 3936* C Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin BMJ 3937* A Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 15 (Steuerliches Korruptionsbekämpfungsgesetz) Dr. Susanne Tiemann CDU/CSU . . . 3937* D Dr. Winfried Pinger CDU/CSU 3939* A Hans Michelbach CDU/CSU 3940* A Gisela Frick F.D.P. 3941* C Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 16 (Antrag: Keine Hermes-Bürgschaften für Handelsgeschäfte mit dem Iran) Erich G. Fritz CDU/CSU . . . . . . . 3942* C Siegmar Mosdorf SPD 3943* B Amke Dietert-Scheuer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 3944* B Paul K. Friedhoff F.D.P 3945* A Dr. Winfried Wolf PDS 3945* D Dr. Heinrich L. Kolb, Parl. Staatssekretär BMWi 3946* B Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zu Zusatztagesordnungspunkt 5 (Entwurf eines Gesetzes zur Ergänzung des Pflegeversicherungsgesetzes) Karl-Josef Laumann CDU/CSU 3947* A Gerd Andres SPD 3947* D Andrea Fischer (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 3948* D Dr. Gisela Babel F.D.P 3949* C Petra Bläss PDS 3950* A Dr. Norbert Blüm, Bundesminister BMA 3950* C 47. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 Beginn: 9.00 Uhr
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    *) Anlage 9 Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Adler, Brigitte SPD 29. 6. 95 Andres, Gerd SPD 29. 6. 95 * Antretter, Robert SPD 29. 6. 95 * Behrendt, Wolfgang SPD 29. 6. 95 * Bindig, Rudolf SPD 29. 6. 95 * Böttcher, Maritta PDS 29. 6. 95 Bühler (Bruchsal), CDU/CSU 29. 6. 95 * Klaus Erler, Gernot SPD 29. 6. 95 * Fischer (Unna), CDU/CSU 29. 6. 95 * Leni Horn, Erwin SPD 29. 6. 95 * Hornung, Siegfried CDU/CSU 29. 6. 95 * Jung (Düsseldorf), SPD 29. 6. 95 Volker Junghanns, Ulrich CDU/CSU 29. 6. 95 * Koschyk, Hartmut CDU/CSU 29. 6. 95 * Lengsfeld, Vera BÜNDNIS 29. 6. 95 90/DIE GRÜNEN Dr. Luft, Christa PDS 29. 6. 95 Lummer, Heinrich CDU/CSU 29. 6. 95 * Marten, Günter CDU/CSU 29. 6. 95 * Pfannenstein, SPD 29.6.95 Georg Dr. Probst, Albert CDU/CSU 29. 6. 95 * Dr. Scheer, SPD 29. 6. 95 * Hermann Schlauch, Rezzo BÜNDNIS 29. 6. 95 90/DIE GRÜNEN Schmidt (Hitzhofen), BÜNDNIS 29. 6. 95 Albert 90/DIE GRÜNEN Schumann, Ilse SPD 29. 6. 95 Siebert, Bernd CDU/CSU 29. 6. 95 * Terborg, Margitta SPD 29. 6. 95 * Wallow, Hans SPD 29. 6. 95 Zierer, Benno CDU/CSU 29. 6. 95 * * für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 2 Erklärungen nach § 31 GO zur Abstimmung über die in Zusatztagesordnungspunkt 1 a aufgeführten Vorlagen (Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetz o 218 StGB) (Namen der Abgeordneten alphabetisch) Robert Antretter (CDU/CSU): Es ist zu begrüßen, daß die embryopathische Indikation abgeschafft und damit klargestellt wird, daß behindertes Leben vom Gesetzgeber nicht als unwert betrachtet wird. Ich kann mich jedoch aus folgenden Gründen auch nicht damit abfinden, daß Behinderung zu einer medizinischen Indikation führen kann. Durch die technischen Fortschritte in der medizinischen Therapie und Diagnostik verwischen sich zunehmend Stadien der menschlichen Existenz, die einst klar definiert waren. Das gilt nicht nur für das Ende des menschlichen Lebens, sondern auch für seinen Beginn. Die neuen Möglichkeiten der Medizin bieten Chancen und bergen Gefahren. Als besonders gefährdet sehe ich das Leben behinderter Menschen, vor allem ungeborener behinderter Kinder, an. Der Ruf nach einem Fürsprecher für das ungeborene Leben muß deshalb heute lauter sein als jemals, weil der „Respekt vor dem Leben", wie ihn beispielsweise Albert Schweitzer eingefordert hat, insgesamt an Stellenwert zu verlieren droht. Wir müssen feststellen, daß sich bei Teilen der Wissenschaft eine vor allem für die behinderten Menschen gefahrvolle Denkweise breitmacht. Rechts-und Sozialphilosophen formulieren bereits unmißverständlich eine „großzügige" neue Ethik, wonach ungeborene Kinder noch keine „Personen" seien und deshalb auch keinen Anspruch auf verfügbares Lebensrecht hätten. Es verwundert deshalb nicht, daß manche auch bereits wieder von „lebensunwertem Leben" sprechen. Werden wir uns demnächst mit der Vorstellung auseinanderzusetzen haben, es gebe ein abgestuftes Recht auf Leben, etwa für Ungeborene, Behinderte oder Alte, also „unnütze" und deshalb ungewollte Menschen? In einer zunehmend materiell geprägten Leistungs- und Ellbogengesellschaft, in der Egoismus, soziale Kälte und ein menschenverachtender Umgang mit diskriminierten Minderheiten um sich greift, könnten populistische Philosophien dieser Art auf fruchtbaren Boden fallen. Die Folgen wären fatal. Angesichts dieser mehr als bedenklichen Tendenzen muß dem Schutz des Lebens am Beginn, am Ende und wenn es krank ist Vorrang vor allen anderen Zielen gegeben werden. Gerade einige Artikel des noch heute von uns zu beratenden Entwurfs einer Bioethik-Konvention des Europarates belegen auf aktuelle Weise, daß Wachsamkeit angezeigt ist. Keine der Kolleginnen und Kollegen, die sich der Mühe unterzogen haben, den hier vorliegenden Gesetzentwurf zu erarbeiten, möchte ich in die Nähe der aufgezeigten Entwicklung bringen. Aber ich befürchte, daß der Antrag hier - ungewollt - eher entgegenkommt. Deshalb stimme ich dagegen. Monika Brudlewsky (CDU/CSU): Ich werde diesen Gesetzentwurf ablehnen. Zur Begründung nenne ich nur einige Fakten. Die embryopathische Indikation ist nur augenscheinlich verschwunden. Sie ist in die medizinische Indikation eingeschmolzen und läßt die Tötung der behinderten ungeborenen Kinder zu unter dem Deckmantel, für werdende Mütter Schaden abzuwenden. Offiziell ist damit der Schein gewahrt, behindertes Leben zu schützen. In der Praxis wird es anders aussehen. Eine Frau braucht sich nicht mehr zu rechtfertigen, um ihr Kind töten zu lassen. Sie muß sich nicht vor der Beratungsstelle und nicht vor dem Arzt rechtfertigen, so im Interview von Frau Wettig-Danielmeier im „Morgenecho" vom 27. Mai 1995 geäußert. Es ist in dem neuen Gesetz wieder von Verantwortung der Frau die Rede, in Artikel 1, § 5 Abs. 1. Das Wort „Verantwortung" wird benutzt im Zusammenhang mit der Entscheidung über Leben und Tod. Verantwortung kann nur eine Entscheidung zum Leben bedeuten; ansonsten wäre dieser Ausdruck in einem solchen Gesetz verfehlt angewandt. Die Beratung sollte zielorientiert geführt werden und dann ergebnisoffen bleiben; aber im vorliegenden Gesetz soll die Beratung schon ergebnisoffen geführt werden. Damit ist die Beratung der subjektiven Meinung des Beraters ausgesetzt. Es dient nicht der Meinungsbildung zum Schutz des Lebens, wenn eine Abtreibung zuerst einmal von der Krankenkasse finanziert werden soll. So wird weiterhin der Eindruck entstehen, daß die Abtreibung einer Krankheit gleichzustellen ist. Die Krankenkassenfinanzierung trägt zur Verharmlosung der Tatsache einer Tötung von Leben bei. Fazit: Das vorliegende fraktionsübergreifende Gesetz wird in der Praxis keine Verbesserung für den Schutz der ungeborenen Kinder bedeuten. Es dient nicht zur Bewußtseinsbildung der Menschen in die Richtung, daß das Leben des Menschen in all seinen Phasen wirklich nicht verfügbar ist. Wir öffnen mit diesem Gesetz die Möglichkeit zur nächsten Diskussion, das menschliche Leben wie zu Beginn mit Fristen auch am Ende in Krankheit und Alter beenden zu können. Es gibt genügend Beispiele, wie z. B. in den Niederlanden, daß der Wertewandel in der Gesellschaft, die sich in diesem Fristengesetz ausdrückt, mehr und mehr die Ehrfurcht vor dem Leben schwinden läßt. Ich hoffe, daß die jüngeren Generationen diesen Fehler rechtzeitig bemerken werden und unserem Parlament diese Fehlentscheidung verzeihen. Werner Dörflinger (CDU/CSU): Ich erkenne an, daß der gemeinsame Antrag der Fraktionen von CDU/CSU, SPD und F.D.P. zum Schwangeren- und Familienhilfe-Änderungsgesetz Verbesserungen im Sinne von mehr Lebensschutz Ungeborener bringt - auch gegenüber der seit dem Jahre 1976 geltenden Rechtslage. Dies trifft insbesondere für die Beratung schwangerer Frauen zu, die eindeutiger als bisher das Ja zum Kind als Ziel hat. Trotzdem vermag ich der Neuregelung nicht zuzustimmen, weil ich eine, wie auch immer geartete, Fristenlösung nicht mit meinem Gewissen vereinbaren kann. Wolfgang Engelmann (CDU/CSU): Dem vorliegenden Antrag der Fraktionen von CDU/CSU, SPD und F.D.P. kann ich nicht zustimmen. Durch die vorgesehenen Regelungen betrachte ich den Schutz des vorgeburtlichen Lebens in keiner Weise gesichert, er wird vielmehr durch die Fristenregelung mit Pflichtberatung sowie insbesondere durch die Einbeziehung der embryopathischen Indikation in die medizinische Indikation - an Stelle einer wirklichen Streichung - völlig aufgegeben. Eine solche Schutzfunktion gewährleistet meiner Überzeugung nach der von Herrn Hüppe und anderen eingebrachte Gesetzesentwurf, den auch ich unterzeichnet habe. Ernst Hinsken (CDU/CSU): Der Kompromißvorschlag zur Neuregelung des Abtreibungsrechts entspricht nach meiner Auffassung in Teilbereichen nicht der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zu einem besseren Schutz des ungeborenen Lebens. Es ist unbestritten, daß der jetzige Entwurf im Vergleich zu dem vorherigen deutliche Verbesserungen beinhaltet. Allerdings bestehen aus meiner Sicht nach wie vor schwerwiegende Bedenken. So ist z. B. offen, ob der Arzt eine Beratungsbescheinigung auch dann erteilen darf, wenn die schwangere Frau nicht mitteilt, welche Gründe sie zu einem Abbruch der Schwangerschaft bewegen, eine Voraussetzung, die nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts unbedingt erfüllt sein muß. Darüber hinaus wird die Konfliktsituation bei der Beratung für die straflose Abtreibung der Schwangeren nicht mehr wie bei der medizinischen und kriminologischen Indikation berücksichtigt. Aus diesem Grund werde ich dem parteiübergreifenden Gesetzentwurf nicht zustimmen. Dr. Barbara Höll (PDS): Als gewählte Vertreterinnen und Vertreter des Volkes stimmen wir heute über vier verschiedene Gesetzesanträge zur Regelung einer für Frauen existentiellen Frage, zur rechtlichen und damit auch moralischen Bewertung eines Schwangerschaftsabbruchs und dessen Rahmenbedingungen, ab. Ich werde dreimal mit Nein stimmen und nur dem von der PDS eingebrachten Vorschlag zur Grundgesetzänderung zustimmen. Mit dieser meiner Entscheidung folge ich nicht nur meinem Gewissen und meiner politischen Überzeugung, sondern weiß gleichzeitig eine Vielzahl von Frauen dieser Republik hinter mir. Als Mitglied des Demokratischen Frauenbundes, der größten Frauenorganisation in den neuen Bundesländern, weiß ich aus vielen Briefen, Diskussionen und Aktionen insbesondere dieser engagierten Frauen, daß sie wie ich gerade in der Frage des Umgangs mit dem Grundrecht jedes Menschen, über den eigenen Körper selbst zu bestimmen, von der bundesrepublikanischen Demokratie zutiefst enttäuscht sind und sich schwer getäuscht fühlen. Gerade die im Einigungsvertrag fixierte Verpflichtung, eine für alle in Deutschland lebenden Frauen bessere Regelung zum Schwangerschaftsabbruch zu finden, gab uns die Hoffnung, endlich nicht nur einer zwar praktikablen Fristenlösung zu unterliegen, sondern das verbriefte Selbstbestimmungsrecht umfassend zu erhalten. Vielleicht war unsere Erwartungshaltung an einen sich demokratisch bestimmenden und organisierten Staat zu hoch, aber nach meiner Überzeugung ist die Respektierung der Würde der Frau ein entscheidender Gradmesser tatsächlicher Demokratie. Freie Entscheidung der Frau, mehr und vielfältige Beratungsmöglichkeiten, frauenwürdige Bedingungen des Abbruchs wie gewährleistete Anonymität und Erstattung der anfallenden Kosten - all dies ist nicht verwirklicht worden. Ich kann auch dem vielgepriesenen Kompromißvorschlag nicht zustimmen, da er weder das Selbstbestimmungsrecht der Frau garantiert - wozu wir Parlamentarier und Parlamentarierinnen mit Grundgesetzänderung ja in der Lage wären -, noch schöpft er den möglichen Rahmen des BVG-Urteils aus. Was ist eine anonyme Beratung, wenn diese dann mit vollständigem Namen und Vergleich des Namens mit dem Personalausweis durch die Beraterin abgeschlossen wird? Wo ist der sichere Rechtsrahmen, wenn Ärzte Frauen nach erfolgtem Abbruch die dreitägige Krankschreibung verweigern können? Es ist unzumutbar, wenn selbst bei der kriminologischen Indikation die Entscheidungsfrist für die Frau nur 12 Wochen beträgt. Die seelische Belastung durch die Vergewaltigung macht es Frauen oft unmöglich, die Schwangerschaft festzustellen und zu handeln. Dr. Dionys Jobst (CDU/CSU): Wir stehen erneut vor einer verantwortungsbewußten Entscheidung. Der Kompromißvorschlag der Fraktionen CDU/CSU, SPD und F.D.P. bemüht sich, sich an das Urteil des Bundesverfassungsgerichts anzulehnen. Es gibt Dinge, die bei allen Bemühungen, einen Ausgleich zu finden, nicht kompromißfähig sind. Beim ungeborenen Leben geht es um Leben. Nach dem Grundgesetz hat jeder das Recht auf Leben. Die Würde des Menschen ist unantastbar. Es steht nicht in der menschlichen Verfügungsbefugnis. Dieser Schutz steht auch dem werdenden Kinde zu. Der Schutz des menschlichen Lebens ist unteilbar. Neben dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das das Grundgesetz auslegt, gibt es noch höhere Normen, sittliche Normen. Es geht nicht darum, die eigene Moral anderen aufzuzwingen. Es geht eher vielmehr um ein grundlegendes Menschenrecht. Jede Regelung, die das Leben zur Disposition stellt, ist mit der staatlichen Schutzpflicht nicht vereinbar und somit verfassungswidrig. Das Kind im Mutterleib hat ein eigenständiges Recht auf Leben. Das ungeborene Leben ist auch gegenüber der Mutter zu schützen. Eine Abtreibung ist deshalb nur in einer besonderen Ausnahmesituation zu verantworten. Der Gesetzentwurf der Fraktionen CDU/CSU, SPD und F.D.P. stellt eine Fristenlösung dar. Eine Abtreibung ist danach innerhalb der Frist straffrei, wenn eine Beratung vorausgeht. Die Beratung muß zwar zielorientiert geführt werden, nämlich auf die Austragung des Kindes hinwirken - dies ist positiv zu beurteilen -, die Beratung ist aber auch ergebnisoffen zu führen. Dadurch wird der Wert geschmälert. Fristenlösung bedeutet Erlaubnis zur Abtreibung, zum Töten. Der Schutz des werdenden Lebens ist mit dem Gesetzentwurf der Fraktionen CDU/CSU, SPD und F.D.P. nicht mehr gewährleistet. Es ist kein aliud gegenüber den früher getroffenen Regelungen, die dann durch das Bundesverfassungsgericht wieder aufgehoben worden sind. Gerade für die Mehrheit von CDU/CSU war früher eine Fristenlösung nicht hinnehmbar. Fristen, innerhalb derer ein Schwangerschaftsabbruch vertretbar wäre, sind nicht zu rechtfertigen. Eine parlamentarische Mehrheit kann dem einzelnen nicht einräumen, über das werdende Leben zu befinden. Kein menschliches Leben kann in Frage gestellt werden. Die Frau kann aber nach diesem Kompromißvorschlag frei verfügen, wenn sie sich einer Beratung unterzogen hat. Diese Beratung ist nicht nachprüfbar. Die Fristenlösung wird negative Auswirkungen auf das Rechtsbewußtsein in unserer Gesellschaft haben. Die erforderliche Beratung hat ihren Wert. Ob sie den Schutz des werdenden Lebens verbessert, ist sehr zweifelhaft. Die in den ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft straffrei durchgeführte Abtreibung wird als eine Freigabe des Lebens des Kindes verstanden werden. Bei dem Gesetzentwurf von CDU/CSU, SPD und F.D.P. kommt noch hinzu, daß bei dem Tatbestand nach § 218 Abs. 2, der medizinischen Indikation, auch die soziale Indikation mit einbezogen wurde. Diese meine Haltung bedeutet keine Entmündigung der Frau. Das Selbstbestimmungsrecht der Frau hat jedoch seine Grenze, wenn es um ein anderes Leben geht. Gerade in Deutschland als einem Land mit großem Wohlstand kann grundsätzlich das Argument nicht zählen, daß aus sozialen Gründen abgetrieben werden muß. Ich verkenne nicht, daß es bei einer Schwangerschaft nicht nur Sorgen und Probleme gibt, sondern daß es auch Fälle gibt, die für die betroffene Frau Zwangs- und Notsituationen bedeuten können. Deshalb ist das Institut der Beratung hoch zu veranschlagen. Hier muß aufgezeigt werden, welche Hilfen des Staates und der Verbände es gibt, um Not- und Zwangssituationen abzumildern und zu bereinigen. Staat und Gesellschaft haben die Aufgabe, in bedrängten Situationen ausreichend zu helfen. In erster Linie müssen wir familien- und kinderfreundliche Verhältnisse schaffen. Die Bundesregierung Kohl hat beachtliche Leistungen erbracht und die Situation der Familien mit Kindern enorm verbessert. Diese Maßnahmen müssen weiter ausgebaut werden. Vor allem muß in unserem Lande durch Politik und durch moralische Autoritäten das Bewußtsein wieder gestärkt werden, um was es beim ungeborenen Leben und bei einer Abtreibung geht. Ich sehe mich als Christ, Staatsbürger und Abgeordneter nicht in der Lage, einer Regelung zuzustimmen, die eine Fristenlösung darstellt und das Verfügungsrecht über das werdende Leben der Mutter einräumt. Es gilt auch, ein Signal für den Schutz des werdenden Lebens zu setzen. Durch das Institut der Beratung erhält das werdende Leben nicht den notwendigen Schutz. Es ist letzten Endes eine Regelung, bei der die Entscheidungsbefugnis der Mutter im Vordergrund steht, das Leben des Kindes erst an zweiter Stelle steht. Peter Keller (CDU/CSU): Dem vorliegenden Antrag der Fraktionen von CDU/CSU, SPD und F.D.P. zum Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetz stimme ich nicht zu. Durch die hier vorgesehenen Regelungen sehe ich den Schutz der ungeborenen Kinder wenig gesichert. Er wird vielmehr durch die vorgesehene Fristenregelung mit obligatorischer Beratung sowie insbesondere auch durch die Eingliederung der embryopathischen Indikation in die medizinische Indikation - anstelle einer Streichung - weitgehendst aufgegeben. Eine bessere Schutzfunktion hätte meiner Überzeugung nach nur der in der zweiten Lesung mehrheitlich abgelehnte Entwurf eines Gesetzes zum Schutz des ungeborenen Kindes, Drucksache 13/395, bewirkt. Da dieser Entwurf aber in der dritten Lesung nicht mehr zur Abstimmung steht, kann ich heute nicht zustimmen. Jürgen Koppelin (F.D.P.): Bei diesem Gesetzentwurf finden die Möglichkeiten eines Abbruchs bis zur 22. Woche bei einer zu erwartenden Behinderung des ungeborenen Kindes nicht meine Zustimmung. Trotz dieser Bedenken werde ich dem Gesetzentwurf zustimmen. Hartmut Koschyk (CDU/CSU): Den vorliegenden Gesetzentwurf der Fraktionen von CDU/CSU, SPD und F.D.P. zum Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetz muß ich ablehnen, da ich durch diesen Gesetzentwurf den Schutz der ungeborenen Kinder für nicht hinreichend gesichert ansehe. Vor allem halte ich die in dem Gesetzentwurf vorgesehene „medizinische Indikation" für zu weit gefaßt mit der Folge, daß sie möglichem Mißbrauch in hohem Maße ausgesetzt ist. Die notwendige Schutzfunktion für die ungeborenen Kinder sehe ich nur durch den auch von mir eingebrachten Gesetzentwurf auf Drucksache 13/395 gegeben. Da dieser in der dritten Lesung nicht mehr zur Abstimmung steht, kann ich bei der Abstimmung über den Gesetzentwurf von CDU/CSU, SPD und F.D.P. nur mit Nein stimmen. Armin Laschet (CDU/CSU): Weder die menschenverachtende Fristenregelung, die im Unrechtsstaat DDR galt, noch das Indikationenmodell, das in der Bundesrepublik Deutschland galt, haben in befriedigender Weise zum Schutz des ungeborenen Lebens beigetragen. Für mich als katholischer Christ ist der Schutz menschlichen Lebens, auch des ungeborenen und des zu Ende gehenden, Ziel und Maßstab aller Politik. Abtreibung ist immer eine Tötung ungeborener Kinder, so daß es keinen interfraktionellen Kompromiß im Streit um das Lebensrecht geben kann. Kom- promisse kann es immer nur im Streit über den richtigen Weg dorthin geben. Deshalb legt der neue § 219 fest, daß der Frau bewußt sein muß, „daß das Ungeborene in jedem Stadium der Schwangerschaft auch ihr gegenüber ein eigenes Recht auf Leben hat". Menschliches Leben ist unverfügbar. Dies ist nicht nur eine Position, die die Kirchen auch in diesen Tagen mit großem Ernst anmahnen, sondern die Werteüberzeugung unseres Grundgesetzes. In Art. 1 GG heißt es: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. In diese Grundgesetzformulierung sind sowohl christliche als auch humanistische Überzeugungen eingeflossen. Leider ist ein gesellschaftlicher Grundkonsens, daß auch das ungeborene Leben durch diesen Grundsatz unserer Verfassung geschützt ist, verlorengegangen. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 28. Mai 1993 dennoch unterstrichen, daß der Schutzauftrag des Staates ihn verpflichtet, „den rechtlichen Schutzanspruch des ungeborenen Lebens im allgemeinen Bewußtsein zu erhalten und zu beleben". Dazu ist eine strafrechtliche Normierung erforderlich, so wie sie die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vorsieht. Richtig ist aber auch das, was in der gemeinsamen Erklärung der evangelischen und katholischen Kirche „Gott ist ein Freund des Lebens" im Jahr 1989 formuliert wurde, daß nämlich das ungeborene Leben nur mit der Frau und nicht gegen sie geschützt werden kann. Insofern ist der „Dritte Weg" zwischen Fristenregelung und Indikationenmodell ein Beratungsmodell, von dem das Bundesverfassungsgericht sagt, daß es dem Gesetzgeber grundsätzlich nicht verwehrt ist, „zu einem Konzept für den Schutz des ungeborenen Lebens überzugehen, das in der Frühphase der Schwangerschaft in Schwangerschaftskonflikten den Schwerpunkt auf die Beratung der schwangeren Frau legt, um sie für das Austragen des Kindes zu gewinnen, und dabei auf eine indikationsbestimmte Strafdrohung und die Feststellung von Indikationstatbeständen durch einen Dritten" zu verzichten. Dieses Modell ist besser als eine Verschärfung des Strafrechts, da dem Recht dadurch eine Funktion zugewiesen würde, die es nicht erfüllen kann. Indem die Beratung dem Schutz des ungeborenen Lebens dient, so wie es im § 219 vorgesehen ist, besteht die Möglichkeit, die Frau zur Fortsetzung der Schwangerschaft zu ermutigen und ihr Perspektiven für ein Leben mit dem Kind zu eröffnen. Die Beratung gewinnt an Gewicht, so daß die Arbeit der kirchlichen Beratungsstellen um so bedeutsamer wird. Ein Ausstieg der Kirchen aus der Beratung würde dem Leben nicht dienen. Der Gesinnungsethiker im Sinne Max Webers fühlt sich nicht verantwortlich für die Folgen seines Handelns. Ich teile zwar die ethische Position der Unterzeichner des Entwurfs des Abgeordneten Hüppe, aber ich bestreite, daß dieser Gesetzentwurf einen wirksamen Beitrag zum Schutz des ungeborenen Lebens leistet. Deshalb habe ich diesem Gesetzentwurf nicht zugestimmt. Ich teile viele Gründe und Debattenbeiträge von Abgeordneten der SPD und der F.D.P. zwar nicht, aber halte den gemeinsamen Entwurf für die mit den Mitteln des Gesetzgebers beste Möglichkeit, zum Schutz des ungeborenen Lebens beizutragen. Da dieser Gesetzentwurf auch die ethisch nicht zu rechtfertigende embryopathische Indikation abschafft, ist er in einem wesentlichen Punkt im Vergleich zu Gesetzentwürfen der 12. Wahlperiode verbessert worden. Ich stimme ihm deshalb zu. Werner Lensing (CDU/CSU): Gerade in einer rechtsstaatlichen Demokratie muß das ursprüngliche, unveräußerliche Recht auf Leben Grundlage der Gesetzgebung und des menschlichen Zusammenlebens sein und bleiben. Hört doch das Recht auf, Recht zu sein, wenn es nicht mehr fest auf die unantastbare Würde des Menschen gegründet ist, sondern jeweils dem Willen des Stärkeren bzw. - parlamentarisch gesprochen - der Mehrheit unterworfen ist. Dies war im übrigen - während des Monats Mai - auch der Grundtenor aller Veranstaltungen zum 50. Jahrestag des Kriegsendes. Die Botschaft an alle Staaten lautete: Die menschliche Gesellschaft hat alle Menschenrechte zu achten und zu schützen - und dies gilt natürlich besonders für das Lebensrecht eines jeden. Nach meiner Auffassung wird das vorliegende Gesetz zur Fristenlösung - zugegebenermaßen und erfreulicherweise nunmehr mit Beratungspflicht - dieser hohen moralischen Verantwortung nicht gerecht, ermöglicht doch die Fristenlösung innerhalb der ersten drei Monate die Abtreibung, im Klartext: die Tötung eines schützenswerten Lebens. Dies steht für mich im Widerspruch zum fünften Gebot „Du sollst nicht töten" und zu den beiden ersten Artikeln unseres Grundgesetzes, wo es u. a. heißt: „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit." Bedenkt man weiterhin, daß nach übereinstimmender Ansicht vieler Beratungsstellen für mehr als die Hälfte der betroffenen Frauen eine Abtreibung die zentrale destruktive Entscheidung ihres Lebens ist, so schützen wir mit der Fristenlösung weder die Mutter noch das Kind in ausreichendem Maße. Dieser Gedanke des Schutzes ist mir wichtiger als jede Form irgendwelcher Bestrafungen. Allerdings muß man befürchten, daß wir die Anzahl der Abtreibungen durch dieses neue Gesetz nicht werden reduzieren können. Im übrigen bleibt eine Abtreibung nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts ganz eindeutig eine rechtswidrige Handlung. Der Staat wiederum hat - nicht einmal auf der Basis breitester parlamentarischer Mehrheiten - keinerlei Verfügungsrecht über menschliches Leben. Er kann daher dieses Recht auch nicht anderen einräumen. Auch vor dem Hintergrund dieser Überlegungen wurde seinerzeit bei uns die Todesstrafe bewußt abgeschafft. Gewiß, der geplante Beschluß geht von der IstLage und der Grundbefindlichkeit weiter Kreise unserer Gesellschaft aus. Das ist für mich allerdings keine ausreichende Begründung, um unter Bezug auf eine einseitige Interpretation positiv besetzter Begriffe wie „Offenheit", „Toleranz" und „Pluralität" meine persönliche Gewissensentscheidung dem vermeintlichen Zeitgeist zu opfern. Zum Zeitgeist gehört schließlich auch die traurige Beobachtung, daß Frauen, die ihr Kind austragen und zur Adoption freigeben, heute vielfach scheel angesehen und sogar verunglimpft werden, während werdende Mütter, die meinen, ihrem Kind keine Chance zum Leben geben zu können, zumindest stillschweigend toleriert werden. Die Inanspruchnahme der Gewissensfreiheit gilt natürlich für alle und damit auch für die, die sich anders entscheiden werden. Heidemarie Lath (PDS): Ich lehne den Kompromiß ab; denn es bleibt dabei, daß nicht die Frau über sich selbst entscheiden kann. Entscheidet sich die Frau gegen das Kind, ist das ihr Entscheid, der zu akzeptieren ist. Ich möchte in meinem Selbstbestimmungsrecht nicht durch andere eingeschränkt werden, indem der Abbruch nach wie vor im Strafgesetz verbleibt. Damit wird die Entscheidung nicht erleichtert, sondern sie wird geradezu kriminalisiert. Da dieser Entwurf für Jahre angelegt ist, wird er auch noch meine drei Töchter und zwei Enkelinnen betreffen. Langfristig werden auch sie entmündigt. Schutz des ungeborenen Lebens wird mit höherer Wertschätzung bedacht als der Schutz des Kindes. Denn ist das Kind geboren, hört die großzügige Zuwendung auch schon auf. Nicht ausreichende Betreuungsplätze für Kinder, unzureichende Vereinbarkeit von Familie und Beruf werden durch die Befürworter des Kompromisses hingenommen oder sollen später geklärt werden. Aber zuerst wird in die Lebensplanung der Frauen eingegriffen. Es ist für mich ungeheuerlich, daß die Ministerin Frau Nolte entgegen all ihren moderaten Äußerungen im Vorfeld der Entscheidung nun heute eindeutig gegen das Selbstbestimmungsrecht der Frauen entscheidet. Auch einzelne Regelungen im Kompromiß unterstreichen meine Ablehnung, so z. B. die Regelung im § 170b StGB: Verweigerung der Unterhaltspflicht gegenüber einer schwangeren Frau, die deshalb einen Abbruch vornehmen läßt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren bestraft. Ist das Kind geboren, ist die Problematik sofort entschärft. So ist die Existenzgefährdung durch Verweigerung der Unterhaltspflicht weit geringer bestraft. Mit einem Wort: Ist das Kind geboren, ja dann hat die Frau die wirkliche eigene Verantwortung. Dann muß sie selbst entscheiden. Plötzlich wird sie solcher Entscheidungen für Wert befunden. Auch hier zieht sich der unerträgliche Fakt durch die vorgeschlagene Regelung, die befruchtete Eizelle genießt eine höhere Wertschätzung als die geborenen Kinder. Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn) (CDU/CSU): Ich erkenne zwar an, daß dieser Gesetzentwurf gegenüber dem Beschluß des Deutschen Bundestages von 1992 einen besseren Schutz des ungeborenen Kindes gewährleistet und zur Zeit ein weitergehender gesetzlicher Schutz nicht erreichbar ist. Dennoch stimme ich gegen diesen Gesetzentwurf, weil besonders im Hinblick auf die allgemeine Bewußtseinsbildung der Schutz für die ungeborenen Kinder nicht klar genug zum Ausdruck kommt. Kurt J. Rossmanith (CDU/CSU): Der Schutz des menschlichen Lebens, des geborenen und ungeborenen, ist eine der wichtigsten und höchsten Aufgaben, denen ich mich als Abgeordneter verpflichtet fühle. Den Schutz des ungeborenen Kindes sehe ich am ehesten im Gesetzentwurf der Abgeordneten Hubert Hüppe, Monika Brudlewsky, Wolfgang Bosbach und weiterer Abgeordneten, Drucksache 13/395, an dem auch ich mitgearbeitet habe, verwirklicht. Ich werde daher für diesen Entwurf stimmen. Sollte dieser Gesetzentwurf jedoch nicht die erforderliche Mehrheit finden, werde ich vor ein noch größeres Gewissensproblem gestellt. Papst Johannes Paul II. hat in der „Enzyklika Evangelium vitae" vom 25. März 1995 u. a. ausgeführt: Ein besonderes Gewissensproblem könnte sich in den Fällen ergeben, in denen sich eine parlamentarische Abstimmung als entscheidend dafür herausstellen würde, in Alternative zu einem bereits geltenden oder zur Abstimmung gestellten ungleich freizügigeren Gesetz ein restriktiveres Gesetz zu begünstigen, das heißt ein Gesetz, das die Anzahl der erlaubten Abtreibungen begrenzt. Später führt der Papst weiter aus, es sei einleuchtend, „daß es einem Abgeordneten, dessen persönlicher absoluter Widerstand gegen die Abtreibung klargestellt und allen bekannt wäre, dann, wenn die Abwendung oder vollständige Aufhebung eines Abtreibungsgesetzes nicht möglich wäre, gestattet sein könnte, Gesetzesvorschläge zu unterstützen, die die Schadensbegrenzung eines solchen Gesetzes zum Ziel haben und die negativen Auswirkungen auf das Gebiet der Kultur und der öffentlichen Moral vermindern. Auf diese Weise ist nämlich nicht eine unerlaubte Mitwirkung an einem ungerechten Gesetz gegeben; vielmehr wird ein legitimer und gebührender Versuch unternommen, die ungerechten Aspekte zu begrenzen". Auch unter Einbeziehung dieser Aussage des Papstes sehe ich keine andere Möglichkeit, als dem gefundenen Kompromiß, Drucksache 13/1850, zuzustimmen. Ich weise aber ausdrücklich auf meine nach wie vor bestehende innere Ablehnung hin. Bei diesem Kompromißvorschlag bzw. Änderungsantrag auf Drucksache 13/1850 ist für mich wesentlich, daß er eine embryopathische Indikation ausschließt. In der gemeinsamen Begründung hierzu wird wörtlich festgehalten: Damit wird klargestellt, daß eine Behinderung niemals zu einer Minderung des Lebensschutzes führen kann. Andere diesbezügliche Regelungen waren für mich immer ein wichtiger Grund, Gesetzentwürfe abzulehnen. Insoweit verweise ich auf meine Erklärungen nach § 31 GO vom 25. Juni 1992, Nachtrag zum Plenarprotokoll 12/99, und vom 26. Mai 1994, Plenarprotokoll 12/230. Als Nichtjurist vertraue ich auf die auch schriftlich vorgelegte Aussage der Justitiare meiner Fraktion, durch den gemeinsamen Antrag werde gerade nicht die Tötung behinderter Kinder in einer Indikation oder gar im Rahmen einer erweiterten medizinischen Indikation bis zur Geburt ermöglicht und gerechtfertigt, die Behinderung selbst also überhaupt kein Grund zum Schwangerschaftsabbruch sein könne. Christian Schmidt (Fürth) (CDU/CSU): Ich stimme schweren Herzens dem zwischen den Koalitionsfraktionen und der SPD gefundenen Kompromißvorschlag zu. Er trifft bei weitern nicht alle meine Vorstellungen zum Schutze des ungeborenen Lebens und bleibt in vielem hinter dem zurück, was ich mit meiner gemeinsam mit vielen anderen Kollegen geführten Klage gegen die gesetzliche Regelung des Jahres 1993 zum Bundesverfassungsgericht erreichen wollte. In dem Wissen und der Überzeugung, daß bei einer Ablehnung des jetzigen Vorschlages eine aus Sicht des ungeborenen Lebens noch weniger Schutz bietende Rechtslage folgen würde und schon aus Gründen der Rechtssicherheit und Entscheidungsnotwendigkeit eine weitere Klage vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe für mich kein gangbarer Weg ist, stimme ich zu. Dabei macht es mir die obligatorische Konfliktberatung der Schwangeren und die Klarstellung, daß das Ungeborene ein eigenes Recht auf Leben hat, leichter ebenso wie die Aufnahme von Strafvorschriften für das Umfeld der Schwangeren. Bedenken bestehen hinsichtlich der Übernahme von Handlungsmöglichkeiten nach der embryopathischen Indikation in die medizinische Indikation. Letztendlich bin ich jedoch davon überzeugt, daß nur eine auf Erhalt des Lebens orientierte und die Folgen des Schwangerschaftsabbruchs darstellende Beratung der betroffenen Frau ihr auch die schwere Last deutlich macht, die sie im Falle eines Schwangerschaftsabbruchs für sich selbst psychisch und physisch auf sich nimmt und nur wenn die Frau von der Fortsetzung der Schwangerschaft überzeugt werden kann, das Leben des ungeborenen Kindes besseren Schutz erfährt. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (F.D.P.): Ich kann dem „Entwurf eines Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetzes", Drucksache 13/1850, nicht zustimmen, weil für mich einfach unvorstellbar ist, daß der Staat außerhalb unausweichlicher kriegerischer Anlässe - auf Grund welcher Abwägungen auch immer - seine Hand zur Tötung menschlichen Lebens soll reichen dürfen. Hans Peter Schmitz (Baesweiler) (CDU/CSU): Dem Entwurf eines Schwangeren- und Familienhilfegesetzes muß ich meine Zustimmung versagen. Unumstößliche Maßstäbe für den Schutz jedes menschlichen Lebens sind die allgemeinen Menschenrechte sowie die jedem Menschen zukommenden Grundrechte unserer Verfassung. Das Grundgesetz geht von einer wertgebundenen Verfassung aus, die den einzelnen Menschen und seine Würde in den Mittelpunkt des gesamten Regelwerkes stellt. Dem liegt die Vorstellung zugrunde, daß der Mensch in der Schöpfungsordnung einen eigenen selbständigen Wert besitzt, der die Achtung vor dem Leben jedes einzelnen Menschen unabdingbar fordert. Diese Wertvorstellungen gelten für den geborenen Menschen ebenso wie für den ungeborenen. Menschenrechte und Menschenwürde sind unteilbar. Sie zu achten und zu schützen gegenüber jedermann ist vornehmste Pflicht des Staates. Diese Überzeugungen hat das Bundesverfassungsgericht in seinen Leitsätzen vom 28. Mai 1993 eindrucksvoll bestätigt, indem es formuliert hat: „Rechtlicher Schutz gebührt dem Ungeborenen auch gegenüber seiner Mutter" und „Der Schwangerschaftsabbruch muß für die ganze Zeit der Schwangerschaft grundsätzlich als Unrecht angesehen und demgemäß rechtlich verboten sein." In jedem Falle also muß unsere Rechtsordnung die Mißbilligung jeder Abtreibung deutlich markieren. An dieser deutlichen Mißbilligung mangelt es dem Entwurf eines Schwangeren- und Familienhilfegesetzes. Im übrigen hat das Bundesverfassungsgericht einen Rahmen aufgezeigt, der die Mindestanforderung an den rechtlichen Schutz ungeborener Kinder gewissermaßen katalogisiert. Dabei war dem Zweiten Senat nicht zur Prüfung aufgegeben, wie der bestmögliche Schutz Ungeborener gewährleistet werden kann; es stand lediglich die Frage an, welche Mindestanforderungen für einen solchen Schutz unsere Verfassung stellt. Auf dieser Grundlage obliegt es nun uns, dem Deutschen Bundestag, ein Gesetz zu formulieren, das gleichermaßen bestmöglichen Schutz und größtmögliche Hilfe gewährt. Zum Erhalt schützenswerter Güter steht dem Rechtsstaat ein breit angelegtes abgestuftes Instrumentarium zur Verfügung, das den Bürgerinnen und Bürgern auch die Rangordnung der Werte aufzeigt. Der vorliegende Entwurf eines Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetzes mißt vor dem Hintergrund dieses Instrumentariums dem in Rede stehenden Gut „menschliches Leben" nicht den außerordentlichen Stellenwert bei, der ihm nach meiner Überzeugung zukommt. Einer Regelung aber, die dem ohnmächtigen ungeborenen Kind nicht mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu seinem Recht verhilft, kann ich nicht zustimmen. Johannes Singhammer (CDU/CSU): Dem vorliegenden Antrag von CDU/CSU, SPD und F.D.P. zum Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetz kann ich nicht zustimmen. Die heutige Abstimmung wird für die Rechtspraxis im Umgang mit dem ungeborenen Leben in Deutschland, wie auch im Hinblick auf die Bildung des Rechtsbewußtseins über Jahre, wenn nicht Jahrzehnte prägende Kraft entfalten. Für mich hat eine Prüfung ergeben, daß der Mehrheitsentwurf das ungeborene Leben nicht dauerhaft zu schützen vermag. Entscheidend ist für mich, daß die Ausweitung des neuen § 218a Abs. 2 die Gefahr mit sich bringt, daß in der Praxis eine neue „Generalindikation" geschaffen wird. Die Verflechtung von medizinischen und sozialen Prognosen ohne Befristung eröffnet dem Mißbrauch einen weiteren Spielraum. Dem kann ich nicht zustimmen. Dr. Klaus-Dieter Uelhoff (CDU/CSU): Dem inter- fraktionellen Antrag von CDU/CSU, SPD und F.D.P. zum Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetz kann ich nicht zustimmen, weil er dem Art. 2 unseres Grundgesetzes und dem dort verbürgten Recht auf Leben eines jeden Menschen nicht gerecht wird. Das Lebensrecht des ungeborenen Kindes wird durch die Fristenregelung mit obligatorischer Beratung in den ersten drei Lebensmonaten vom Staat nicht in der gebotenen Weise gesichert. Der § 218 Abs. 1 des interfraktionellen Entwurfs geht von der Zulässigkeit einer Abtreibung mit Beratungspflicht aus, wenn „seit der Empfängnis nicht mehr als 12 Wochen vergangen sind". Dies ist genau die Fristenlösung, die ich bereits in früheren Debatten des Bundestages weder mit meinem Gewissen noch mit unserer Verfassung als vereinbar bezeichnet habe. Der rechtliche Schutz eines möglicherweise behinderten ungeborenen Kindes wird durch den vorliegenden interfraktionellen Entwurf sogar noch verschlechtert. Es ist zwar richtig, daß dieser Gesetzentwurf auf eine ausdrückliche embryopathische Indikation verzichtet. Dies wäre jedoch nur dann zu begrüßen, wenn der Verdacht einer möglichen Behinderung des ungeborenen Kindes nicht zum Anlaß einer medizinischen Indikation werden könnte; diese dient als übergesetzlicher Notstand dem Schutz des Lebens der Mutter und ist deshalb nicht an eine Frist gebunden. Da nach dem interfraktionellen Entwurf die embryopathische Indikation in der medizinischen Indikation aufgeht, wird dieser bisher klar umrissene Tatbestand ausgeweitet und ausgehöhlt. Eine derartige medizinische Indikation eröffnet die Möglichkeit zur Verschleierung einer nach wie vor bestehenden embryopathischen Indikation, die zusätzlich nicht mehr durch eine Zwölfwochenfrist begrenzt ist. Dies entspricht genau der Regelung im SPD-Gesetzentwurf, der am 26. Mai 1994 von der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag aus guten Gründen abgelehnt wurde. Ich teile die Sorge der Bundesvereinigung Lebenshilfe, die für die heutigen parlamentarischen Beratungen auf die Verschlechterung der Rechtslage für das behinderte ungeborene Kind in ihrer Stellungnahme vom 20. April 1995 aufmerksam gemacht hat. Ich will ausdrücklich anerkennen, daß der interfraktionelle Entwurf in § 219 bei der Beratungsregelung wichtige Klarstellungen zum Schutz des unge- borenen Kindes enthält, insbesondere den Hinweis auf das gegenüber der Mutter eigenständige Lebensrecht des Kindes. Um so mehr bedauere ich, daß dieser Entwurf in der entscheidenden Frage des Schutzes des ungeborenen Kindes in den ersten zwölf Wochen und des Schutzes eines möglicherweise behinderten ungeborenen Kindes keine Konsequenzen zeigt. Im Gegenteil: Der staatlich gebotene Schutz des Lebensrechts wird gerade denen fast verwehrt, die als besonders Schwache dieses Schutzes besonders bedürfen. Ich werde auch nicht diesem interfraktionellen Gesetzentwurf zustimmen, weil etwa über die Opposition und deren Mehrheit im Bundesrat unter Umständen noch Schlimmeres droht. Ich bin zum Kompromiß nicht bereit, weil dies zur Aufgabe wesentlicher Grundsätze führt, die ich in meiner Familie gelernt und später auch in meiner politischen Arbeit über Jahrzehnte vertreten habe. Alois Graf von Waldburg-Zeil (CDU/CSU): Dem Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetz kann ich, trotz der vorgenommenen Änderungen, nicht zustimmen. Ausdrücklich möchte ich zwar den Verhandlungsführern danken, daß sie als Ziel und Aufgabe der Beratung gemäß § 219 StGB den Schutz des ungeborenen Lebens, die Ermutigung zur Fortsetzung der Schwangerschaft sowie die Eröffnung von Lebensperspektiven mit dem Kind klar herausgestellt haben. Ebenso positiv empfinde ich die Abschaffung der embryopathischen Indikation mit der Klarstellung, daß eine Behinderung niemals zur Minderung des Lebensschutzes führen darf. Wenn ich dennoch für den Hüppe-Entwurf und gegen den Entwurf der CDU/CSU, SPD und F.D.P. stimme, dann deshalb, weil ich das vom Bundesverfassungsgericht als verfassungskonform angesehene Prinzip „rechtswidrig aber straffrei" nicht akzeptieren kann. Beim Schutz der Gesundheit der Mitmenschen und Mitgeschöpfe setzt der Staat das Strafrecht intensiv ein, beim Lebensschutz für Geborene noch stärker. Der völlige Verzicht auf Strafandrohung beim Schutz für das ungeborene Kind berücksichtigt zwar dessen einmalige Daseinsweise, nimmt ihm aber andererseits den Schutz, der den Geborenen zusteht. Ich möchte mit meinem Abstimmungsverhalten ein Zeichen dafür setzen, daß wir trotz aller bisherigen Bemühungen Ernst und Bedeutung des Lebensrechtes ungeborener Kinder im Auge behalten müssen. Benno Zierer (CDU/CSU): Keinem der vorliegen- den Entwürfe kann ich meine Stimme geben. Begründung: Der Entwurf des fraktionsübergreifenden Gruppenantrags regelt, daß unschuldige Menschen ohne Strafsanktion getötet werden dürfen. Ich sehe darin einen Verstoß gegen das fünfte Gebot „Du sollst nicht töten". Weitere Ablehnungsgründe sind die Willkür der Festsetzung einer Zwölfwochenfrist. Auch lehne ich es ab, daß die Bescheinigung einer Beratung den Tatbestand des § 218 StGB ausschließt und die Tötung eines Menschen damit im Strafrecht nicht als Unrecht behandelt wird. Im Entwurf des Kollegen Hüppe wird ebenfalls willkürlich eine Zwölfwochenfrist festgelegt, während der die Tötung eines Kindes straflos erfolgen darf. In beiden Fällen kann ich eine Zustimmung mit meinem Gewissen nicht vereinbaren. Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Rolf Köhne (PDS) zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung zu den Anträgen „Stromeinspeisungsgesetz" (Zusatztagesordnungspunkt 4) Selbstverständlich werde ich dem gemeinsamen Antrag aller Fraktionen dieses Hauses zustimmen, obwohl ich sehr enttäuscht darüber bin, daß es keinerlei Versuche gegeben hat, meine Gruppe mit in diesen gemeinsamen Antrag einzubeziehen. Ich stimme diesem gemeinsamen Antrag insbesondere deshalb zu, weil er sehr deutlich zum Ausdruck bringt, daß der Deutsche Bundestag in seltener Einmütigkeit zu den umweltpolitischen Zielstellungen des Stromeinspeisungsgesetzes steht und die Versuche einiger Stromkonzerne, dies durch Gesetzesbruch zu unterlaufen, verurteilt. Ich werde aber auch dem Antrag der PDS zustimmen, da ich es nach wie vor für notwendig halte, den Unternehmen, die durch die Zahlungsverweigerung in finanzielle Schwierigkeiten geraten könnten, unbürokratisch zu helfen. Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Hans Büttner (Ingolstadt) (SPD) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung wehrpflichtrechtlicher, soldatenrechtlicher, beamtenrechtlicher und anderer Vorschriften (Tagesordnungspunkt 22 b) Das hier zur Abstimmung stehende Gesetz „Änderung wehrpflichtrechtlicher, soldatenrechtlicher, beamtenrechtlicher und anderer Vorschriften" - Drucksache 13/1209 - ändert die ethischen und politischen Prinzipien des Gedankens der allgemeinen Wehrpflicht in einer Weise, die ich mit meinem Gewissen nicht verantworten kann. Unter weitgehendem Ausschluß der Öffentlichkeit versucht die Mehrheit dieses Hauses damit die schleichende Aushöhlung des auf dem Prinzip des Rechts der Landesverteidigung beruhenden Wehrpflichtgedankens. Aus der Verteidigungsarmee soll so auf kaltem Wege eine Interventionsstreitmacht geformt werden. Längst überfällig ist die in dem Gesetz vorgesehene sozialrechtliche Absicherung von Angehörigen der Bundeswehr bei Einsätzen im Ausland. Da die Koalitionsmehrheit jedoch nicht bereit war, diese sozialrechtliche Frage von der Grundsatzfrage der Legitimation der Wehrpflicht zu trennen, muß ich dem gesamten Gesetzentwurf meine Zustimmung versagen. Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 12 (Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Tierseuchengesetzes) Siegfried Homung (CDU/CSU): Die notwendige Anpassung des Tierseuchengesetzes an die geänderte Situation in der Landwirtschaft ist der Ausgangspunkt der heutigen Debatte im Deutschen Bundestag. Im Normalfall wäre dieser Punkt ohne Aussprache verabschiedet worden, zumal die SPD einhellig mit der Koalition im Ausschuß gestimmt hat. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN aber wollten ein Spektakel. Deshalb haben sie beharrlich auf eine öffentliche Aussprache im Plenum gedrungen. Ihnen geht es aber nicht um die Sache, in der wahrlich um das Vertrauen unserer Verbraucher in eine effiziente Seuchenbekämpfung in Deutschland gerungen wird. Sie meinten, einen Anlaß gefunden zu haben, um gegen die sogenannte Massentierhaltung und gegen die nach ihrer Meinung industrialisierte Landwirtschaft zu wettern. Dies unterstreichen sie mit ihrem Änderungsantrag ganz deutlich. Einerseits geben sie sich als Hüter der kleinen bäuerlichen Familien aus, andererseits wollen sie den meist etwas flächenärmeren Betrieben auch noch die Tierhaltung vermiesen, indem sie ausgerechnet hier höhere Beiträge einfordern. Nun ist aber - wahrscheinlich zu Ihrem Entsetzen - ausgerechnet in dieser Gesetzesänderung in § 17 das Wort „Massentierhaltung" durch „Viehhaltung" ersetzt worden, was ich näher erläutern möchte. Der Begriff „Massentierhaltung" wird in der Regel gezielt zur Verteufelung der landwirtschaftlichen Tierhaltung benutzt, obwohl mir bisher noch niemals definieren konnte, was dies in der Schweine- oder Rindviehhaltung bedeutet. Wo fängt denn die sogenannte Massentierhaltung an? Sind es 50, 100 oder 1 000 Schweine? 20, 100 oder 200 Milchkühe? Es macht keinen Sinn, wie hypnotisiert allein auf die Gesamtzahl der Tiere in einem Betrieb zu schauen, denn das Wohlbefinden der Tiere hängt nicht von ihrer Zahl ab, sondern in erster Linie von der Qualifikation des Betriebsleiters sowie vom Haltungssystem und den baulichen, technischen und hygienischen Voraussetzungen. Gerade in dieser Beziehung bieten größere Tierzahlen folgende Vorteile: Erstens. Die Kenntnisse eines spezialisierten Tierhalters ermöglichen eine bedarfsgerechte Fütterung, eine Optimierung der Haltungsbedingungen sowie eine verbesserte Hygiene und gesundheitliche Betreuung der Tiere. Zweitens. Teilweise werden tiergerechte Haltungsverfahren erst bei größeren Bestandszahlen praktikabel, so z. B. die Haltung von Milchkühen in Boxenlaufställen oder die Gruppenhaltung von niedertragenden Sauen. Drittens. Oft sind umwelt- und tiergerechte Ställe mit aufwendiger Isolierung, optimaler Be- und Entlüftung, ausreichendem Güllelagerraum etc. erst bei bestimmten Bestandsgrößen finanziell tragbar. Zweifellos hat in der Vergangenheit der Zwang zur Rationalisierung • in der landwirtschaftlichen Tierhaltung teilweise zu Fehlentwicklungen geführt. Man muß aber auch gleichzeitig sehen, daß hier schon seit Jahren entgegengesteuert wird; ich nenne hier als Beispiel die Schweine- und Kälberhaltungsverordnung sowie die zahlreichen Umweltauflagen. Die Viehhaltung in Deutschland bewegt sich auf einem schmalen Grat zwischen den Anforderungen an Tierschutz und Umwelt sowie denen der Wirtschaftlichkeit. Ich darf an dieser Stelle darauf hinweisen, daß in dem Wort „Landwirtschaft" auch „Wirtschaft" steckt und der einzelne Landwirt ohne Beachtung der betriebswirtschaftlichen Kriterien die Existenz seines Betriebes nicht sichern kann. Die Schweine- und Rindviehhaltung in Deutschland hat in den letzten Jahren einen drastischen Rückgang zu verzeichnen; deshalb müssen wir die landwirtschaftliche Tierhaltung stärken und nicht verteufeln. Es kann doch auch von grüner Seite nicht gewollt sein, daß die deutsche Landwirtschaft immer mehr Marktanteile verliert und daß wir unser Fleisch zunehmend aus dem Ausland importieren müssen, wo wir keinerlei Einfluß auf die Art der Erzeugung haben. Der Erhalt der Rindviehhaltung steht zudem im unmittelbaren Zusammenhang mit der Erhaltung unserer Kulturlandschaft, besonders in den Mittelgebirgsregionen sowie in den für den Ackerbau weniger geeigneten Gebieten. Ich habe versucht, Ihnen einige Fakten näherzubringen, die uns jetzt zur Änderung des Tierseuchengesetzes bewegt haben. Es war nämlich meine eigene Fraktion, die 1991 es gerechtfertigt hielt, bei kleineren Tierbeständen ein geringeres Seuchenrisiko zu unterstellen und demzufolge die Beiträge zur Tierseuchenkasse entsprechend zu verringern. Der letzte große Schweinepestzug in Deutschland hat uns aber deutlich gezeigt, daß die Größe der Bestände allein kein Indiz für eine erhöhte Gefahr eines Seuchenausbruchs ist. Nur allzu deutlich wurde uns hier vor Augen geführt, daß die Seuchenabwehrorganisation des Betriebes der entscheidende Faktor ist. Stichworte sind hier das „Rein-Raus-Verfahren", sachgerechte Gülleentsorgung, Art und Weise des Tierzukaufs und anderes. Aufgrund dieser Erfahrungen ist es nur konsequent, wenn der Gesetzgeber auf neue Erkenntnisse reagiert. Ich begrüße es deshalb, daß die als ungerechtfertigt erkannte Staffelung der Beiträge zur Tierseuchenkasse aufgehoben wird und das seuchenhygienische Risiko als zusätzliche Bemessungsgrundlage eingeführt wird. Mit der jetzigen Gesetzesänderung können die Beiträge etwas individueller auf die Bedingungen des einzelnen Betriebes abgestimmt werden. Natürlich geht die Größe der Bestände nach wie vor in die Gewichtung ein, da sie im Seuchenfall durch eine höhere Entschädigungssumme die Solidargemeinschaft der Landwirte stärker belastet. Somit ist eine sachliche Lösung gefunden. Ich würde mir wünschen, wenn diese Sachlichkeit auch in die öffentliche Diskussion über Tierhaltung Einzug fände. Hier ist nämlich in den Medien in letzter Zeit immer wieder behauptet worden, daß sowohl an den BSE-Erkrankungen als auch an den EHEC-Infektionen die sogenannte Massentierhaltung Schuld sei. Richtig ist, daß bei BSE die Fütterung von Schlachtabfällen und Tiermehl an Rinder die Ursache war, was jedoch bei uns in Deutschland grundsätzlich nicht praktiziert wurde und ohnehin nicht gestattet ist. Zur Frage der EHEC-Infektionen haben anläßlich einer Sitzung des Ausschusses für Gesundheit Experten des Robert-Koch-Instituts und des Bundesinstitutsfür gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin ausgeführt, daß diese Kolibakterien ubiquitär sind, aber nur etwa 2,5 Prozent der Tierbestände befallen sind und es dabei keine klinisch erkrankten Bestände gibt und andererseits der Befall ebensowenig wie bei der Salmonellose auf eine bestimmte Haltungsform beschränkt ist. Es ist also besser, in Zukunft beim Thema landwirtschaftliche Tierhaltung nicht mit Schlagworten und falschen Fakten um sich zu werfen und damit auch noch unsere Verbraucher zu verunsichern; vielmehr setzen Sie sich besser im Sinne unserer Bauern für bessere Bedingungen für die landwirtschaftliche Tierhaltung ein, indem Sie besonders deutsche Nahrungsmittel wieder verstärkt nachfragen. Marianne Klappert (SPD): An sich bleibt mir der Sinn einer solchen Debatte schleierhaft, da im Agrarausschuß weitgehende Einigkeit bestand, der von der Bundesregierung vorgeschlagenen Änderung zuzustimmen, und da die vielleicht noch gewünschten Änderungen nach dem Verlauf der Ausschußsitzungen eine so exponierte Behandlung eigentlich kaum rechtfertigen. Es kann sich bei dieser Debatte deshalb nach meinem Dafürhalten wohl lediglich um eine „Schaufensterveranstaltung" handeln, bei der es weniger um den Inhalt dieses Gesetzes geht, als vielmehr um eine grundsätzliche Behandlung der Tierseuchenproblematik bzw. der Agrarstrukturpolitik. Denn der Änderungsentwurf beinhaltet eigentlich nichts, was zu großen Kontroversen Anlaß gäbe; es sei denn, man wollte diese Gesetzesänderung als Vehikel für eine Änderung der Agrarstrukturen gebrauchen. Da es aber nun einmal so ist, wie es ist, will ich für die SPD-Bundestagsfraktion noch einmal deutlich machen, warum wir diesem Gesetzentwurf zustimmen, auch wenn wir im Ausschuß selbst Einwände gegen zumindest eine Regelung in der Beschlußvorlage erhoben haben. Ohne Zweifel haben die Schweinepestseuchenzüge der Jahre 1993 und 1994 für die betroffenen Landwirte zu einer erheblichen finanziellen Belastung geführt. Und es ist natürlich legitim, darüber nachzudenken, ob die Ausbreitung von Seuchen dadurch abgewehrt werden kann, daß man die Entschädigung für Tierverluste von den Bestandsgrößen abhängig macht. Natürlich ist es möglich, über eine gestaffelte Entschädigungszahlung zu versuchen, Einfluß auf die Einhaltung seuchenrechtlicher Bestimmungen und die Anwendung möglicher Präventivmaßnahmen zu nehmen. Die Frage ist aber, ob die Entschädigungszusagen des Tierseuchengesetzes tatsächlich der richtige Ort sind, um Präventivmaßnahmen durchzusetzen oder - anders herum ausgedrückt - die Risikobereitschaft von tiermästenden Landwirten herabzusetzen. Das Tierseuchengesetz ist nach Ansicht meiner Fraktion eben nicht der richtige Ort, eine vielleicht wünschenswerte Änderung der Agrarstrukturpolitik sozusagen durch die „kalte Küche" bewerkstelligen zu wollen. Es geht zunächst einmal um Entschädigung im konkreten Schadensfall und dann um die Möglichkeit, die Beitragsbemessung auch von der seuchenhygienischen Risikoprognose des Betriebes abhängig zu machen. Nur das steht hier zur Debatte. Ich will noch einmal in Erinnerung zurückrufen, daß diese gesetzliche Neuregelung auf die Schweinepestfälle der Jahre 1993 und 1994 zurückzuführen ist. Und dabei ist deutlich geworden, daß die bis jetzt gültigen Entschädigungsleistungen zu unzumutbaren Härten bei den Landwirten geführt haben und daß deshalb eine Änderung dringend erforderlich ist. Um einen Eindruck von der Größenordnung zu vermitteln, in der sich die Seuchenfälle bewegen, weise ich darauf hin, daß bis Ende 1994 für Entschädigungen, Ankauf, Folgeschäden etc. nach einer Schätzung des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten etwa 1,5 Milliarden DM aufgebracht werden mußten. Allein in Niedersachsen mußten für die Schweinepestbekämpfung bis Mitte April 1994 ca. 65 Millionen Mark ausgezahlt werden. Für den Ankauf verseuchter Schweine mußte Niedersachsen bis zum September 1994 schon 400 Millionen Mark aufwenden. Aus diesen Zahlen lassen sich leicht Rückschlüsse auf die finanzielle Belastung der einzelnen Betroffenen ziehen. Darüber hinaus muß eben auch in die Debatte einbezogen werden, daß die enormen Entschädigungsleistungen nicht nur durch die tatsächlichen Keulungen erzwungen worden sind. Zur Quantifizierung der tatsächlichen Schäden, z. B. auch durch Sperroder andere Schutzmaßnahmen, muß diese Zahl nach Auskunft von Sachverständigen mit fünf multipliziert werden. Wenn dabei wie in der Vergangenheit die Minderungen der Entschädigungsleistungen ausschließlich nach Betriebsgrößen um bis zu 40 % erfolgen, dann geht das vielfach an die Existenz der entsprechenden Betriebe. Darüber kann man nicht achselzuckend und mit der Bemerkung „Selbst schuld" hinweggehen. Zudem haben die Schadensverlaufsstudien der Tierseuchenkassen nachgewiesen, daß es keine automatische Abhängigkeit zwischen der Bestandsgröße und dem seuchenhygienischen Risiko gibt, wie normalerweise zu vermuten wäre. Denn offensichtlich verfügen größere Betriebe in der Regel über das bessere Seuchenmanagement bzw. über eine effektivere Vorsorge. Klar ist allerdings, daß im Seuchenfall große verseuchte Bestände die Solidargemeinschaft der Landwirte durch eine höhere Schadenssumme erheblich belasten. Meine Fraktion hat in den Aus- schußberatungen deutlich gemacht, daß sie dieses Faktum sehr wohl kennt und daß auch sie der Meinung ist, daß mit dem Wegfall der Minderung unter Umständen eine Begünstigung der Großbetriebe gegeben ist, da zumindest im Hinblick auf deren Gülleausbringung ein zusätzliches Gefahrenpotential geschaffen ist. Womöglich sind auch bei hoher Konzentration im Tierbestand die Folgen für viele kleinere Bestände im Hinblick auf das Andauern eines Seuchenzuges leichter in den Griff zu bekommen. Gleichwohl halten wir die jetzt gefundene Regelung für tragbar, da es bei der Neuregelung ja eben nicht nur um die Abschaffung der nach Bestandsgrößen gestaffelten Tierseuchenentschädigung geht, sondern auch um die stärkere Berücksichtigung seuchenhygienischer Risikofaktoren bei der Beitragserhebung. Das erscheint uns nach den Beratungen im Landwirtschaftsausschuß ein gangbarer Weg, um die eine Ungleichbehandlung nicht durch eine andere zu ersetzen oder gar Agrarstrukturpolitik über das Tierseuchenrecht betreiben zu wollen. Deshalb haben wir letztendlich im Ausschuß dem Vorschlag zugestimmt, die bisher geltenden Regelungen hinsichtlich der Minderung der Entschädigung in Abhängigkeit von der Bestandsgröße aufzuheben. Das unter Umständen größere tierseuchenhygienische Risiko größerer Tierbestände bleibt ja nicht unbeachtet bei dieser Regelung. Es kann nun bei der Beitragsbemessung zu den Tierseuchenkassen als eine Beitragsbemessungsgrundlage herangezogen werden. Dabei spielt natürlich die Organisation der Betriebe eine große Rolle. Auch hier geht es nicht lediglich um die Bestandsgröße. Gedacht werden muß darüber hinaus vor allem auch an die Gülleentsorgung und an die Art und Weise des Tierzukaufs. Es unterliegt keinem vernünftigen Zweifel, daß gerade der Tierzukauf ein erheblicher Risikofaktor im Hinblick auf die Ausbreitung einer Tierseuche ist. Wenn z. B. Ferkel für die Schweinemast in manchmal 50 bis 60 Betrieben gesammelt und dann gemeinsam über weite Entfernungen in die Veredelungsbetriebe gefahren und/oder in noch nicht vollständig geräumte und desinfizierte Ställe eingestallt werden, dann liegt das seuchenhygienische Risiko auf der Hand. Und umgekehrt: Wenn Betriebe sich tatsächlich um eine effektive Seuchenvorsorge bemühen, dann muß die Möglichkeit bestehen, über eine günstigere Bemessung der Beiträge zur Tierseuchenkasse dem Rechnung zu tragen. Deshalb ist die diesbezügliche Neuregelung des Gesetzes unserer Auffassung nach sehr begrüßenswert. Natürlich hätte ich mir auch da noch Weiterungen vorstellen können, wie sie z. B. jetzt - aber leider erst jetzt und nicht schon im Ausschuß - durch BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in einem Änderungsantrag eingebracht worden sind. Denn auch mir erscheint unbestreitbar, daß es eine Korrelation des Seuchenrisikos mit der Höhe der Konzentration in einem geographischen Raum gibt, daß also die Viehdichte einer Region einen unter Umständen wesentlichen Einfluß auf deren Seuchensituation hat. Wenn wir uns heute bei diesem Entschließungsantrag der Stimme enthalten, dann tun wir das deshalb, weil dieser im Ausschuß nicht diskutiert worden ist und weil wir der Regierungsvorlage in der zur Abstimmung vorgelegten Form zugestimmt haben. Wie gesagt, ich hätte mir vorstellen können, daß auch dieses Kriterium in die Neuregelung mit eingeflossen wäre. Aber es war offenkundig, daß dafür - auch bei den Bundesländern - keine Mehrheit zustandegekommen wäre. Insgesamt gesehen hält meine Fraktion die hier vorgelegten Neuregelungen im Tierseuchengesetz für eine tragfähige Grundlage, im Falle einer Seuche angemessene Entschädigungen zahlen zu können. Deshalb werden wir dieser Änderung des Tierseuchengesetzes zustimmen. Ich persönlich verstehe eine möglichst breite Zustimmung zu diesem Gesetz auch als ein Signal an die Landwirte, daß wir einerseits die oftmals existenzgefährdenden Folgen einer Tierseuche zu mindern bereit sind, andererseits aber auch darauf dringen, daß in den Betrieben selbst - unabhängig von der reinen Betriebsgröße - die notwendige Seuchenvorsorge betrieben wird. Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der vorliegende Gesetzentwurf zur Änderung des Tierseuchengesetzes hebt die bisherige Minderung der Entschädigungsleistungen nach Bestandszahlen auf. Eine Minderung wird nun von der Seuchenlage und der jeweiligen „Betriebsorganisation" abhängig gemacht. Was diese allgemeine und undifferenzierte Aussage in der Praxis heißt, wird jedoch offengelassen und bietet genügend Raum für willkürliche Interpretationen. Eines ist und bleibt aber Tatsache und nicht Interpretation: Große Betriebe, die in der Regel wirtschaftlich bessergestellt sind, werden nun den kleineren Betrieben bei den Entschädigungsleistungen gleichgestellt. Die Intention und das Prinzip der geltenden Entschädigungsregelung des Tierseuchengesetzes wird durch den Vorschlag der Bundesregierung auf den Kopf gestellt: Der vorliegende Entwurf führt indirekt zu einer Förderung hoher Viehdichte, zur Konzentration von Tierhaltungsbetrieben und zur Benachteiligung bäuerlicher Gemischtbetriebe. Dabei herrscht bereits auf Grund der unterschiedlichen Schlachtkosten von Klein- und Großbetrieben genügend Ungerechtigkeit. Die Beitragsbemessung wird aber weiterhin von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich gehandhabt, was im Seuchenfalle zu erheblichen wirtschaftlichen Verzerrungen zwischen den konkurrierenden Betrieben in den einzelnen Bundesländern führt, welche durch den Bundesratsvorschlag einer „KannVorschrift" noch weiter verstärkt werden. Die Probleme und Handlungsnotwendigkeiten sind spätestens seit den letzten großflächigen Schweinepestseuchen deutlich geworden: Vor allem die Viehdichte, d. h. die Konzentration der Viehmast-betriebe in einer Region mit den dort anfallenden Güllemengen ist entscheidend für Ausbreitung der Seuche. Die letzten Fälle der Schweinepest mit großen Tierverlusten ereigneten sich vor allem in Regionen mit hoher Schweinedichte, beispielsweise im Landkreis Cloppenburg und Vechta. Viele große Mastbetriebe mit Massentierhaltung und die dabei anfallenden Güllemengen vergrößern das Risiko der Erkrankung und Verbreitung von Tierseuchen. Gerade diese Regionen verursachen nach Ausbruch einer Tierseuche auch die größten ökonomischen Schäden. Intensivviehhaltungsregionen sind daher nach dem Verursacher-Risiko-Prinzip in der Beitragsbemessung stärker heranzuziehen; ähnlich wie dies bei der Auto-Haftpflichtversicherung üblich ist. Eine Reihe von Erstausbrüchen der Schweinepest in Bayern, Nordrhein-Westfalen und Mecklenburg-Vorpommern konnte auf die Verfütterung von Fleischabfällen von Wildschweinen aus Gaststätten zurückgeführt werden. Auch der direkte Kontakt mit Wildschweinen oder der indirekte über Futtermittel und Lagerstroh sowie der unkontrollierte Zukauf gehören zu den möglichen Ansteckungswegen des Schweinepestvirus. Das sind Tatsachen, die belegen, daß die Betriebe adäquate Vorbeugemaßnahmen ergreifen müssen. Wir schlagen daher als Grundlage für die Beitragsbemessung zur Tierseuchenkasse die Berücksichtigung von konkreten vorbeugenden Gesundheitsschutzmaßnahmen in den Tierhaltungsbetrieben vor, die solche Ansteckungswege vermeiden. Betriebliche Prävention als Hauptkriterium für die Staffelung der Beiträge senkt effektiv die tierseuchenhygienischen Risiken; letztendlich können nur die Betriebe selbst den Ausbruch, die Ansteckung und Verbreitung einer Tierseuche verhindern. Bei Ausbruch einer Seuche müssen die Sammelviehtransporte und Viehmärkte gemieden werden - Maßnahmen, die heute oft nicht eingehalten werden. Die Betriebe müssen ihr Augenmerk auf diese Schwachstellen richten und entsprechende Maßnahmen bei der betrieblichen Vorbeugung ergreifen, nämlich Zukäufe nur aus bekannten Herkunftsbeständen tätigen, eine Quarantäne für zugekaufte Tiere einrichten, selbstverständlich keine Abfälle an Tiere verfüttern und geschlossene Systeme praktizieren und anderes. Das sind Maßnahmen, die sich deshalb als wichtig erweisen, weil Seuchen wie die Schweinepest in den letzten Jahren nicht durch ein kontinuierliches und latentes Vorkommen des Virus, sondern durch wiederholte Neueinschleppungen hervorgerufen wurden. Betriebe, die einen adäquaten vorbeugenden Gesundheitsschutz ihrer Tiere nachweisen können, sollen deshalb auch in der Beitragsgestaltung bevorzugt behandelt werden und weniger Beiträge zahlen. Problematisch ist die von der Bundesregierung vorgeschlagene Novellierung des Tierseuchengesetzes, die als indirekte Förderung einer hohen Viehdichte und Konzentration der Betriebe wirken wird. Damit klappt die wirtschaftliche Schere zwischen Groß- und Kleinbetrieben weiter auseinander und die unterschiedlichen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in den Bundesländern werden weiter verstärkt. Die Bundesregierung ist daher aufgefordert, eine verbindliche Definition konkreter vorbeugender Gesundheitsschutzmaßnahmen in den Tierhaltungsbetrieben festzuschreiben und eine intensive Aufklärung der Tierhalter hinsichtlich der hygienischen Standards und vor allem in Bezug auf Tierkrankheiten und ihre Ausbreitung zu entwickeln. Günther Bredehorm (F.D.P.): Durch die Novellierung des Tierseuchengesetzes wird die jetzt geltende Regelung einer Minderung der Entschädigung bei Seuchenfällen in größeren Betrieben aufgehoben. Der aktuelle Schweinepestseuchenzug hat ganz eindeutig gezeigt, daß die Gefahr eines Seuchenausbruchs unabhängig von der Größe des Bestandes ist. Von daher ist die jetzige Änderung richtig und notwendig. Eine weitere Änderung im Gesetz gibt es bei der Beitragserhebung zur Tierseuchenkasse. Beiträge können zukünftig nach der Größe der Bestände und unter besonderer Berücksichtigung der seuchenhygienischen Risiken, insbesondere auf Grund der Betriebsorganisation sowie zusätzlich nach Alter, Gewicht oder Nutzungsart gestaffelt erhoben werden. Die Schweinepest mit den enormen Schäden für die betroffenen Landwirte war, insbesondere für die Veredlungsregion Weser-Ems, eine einzige Katastrophe. Durch die bisherige EU-Seuchenpolitik mußten über 1,4 Millionen Schweine gekeult werden, von denen 95 Prozent gesund waren. Diese Keulungen verursachten direkte Kosten von ca. 500 Millionen DM Steuergeldern. Der volkswirtschaftliche Schaden beträgt ca. 1,5 Milliarden DM. Leider ist die Schweinepest nach wie vor ein Thema. Die Situation ist insofern schwieriger, als die Virulenz des Erregers nachgelassen hat und deshalb der Nachweis und die Rückverfolgung der Verschleppungsursachen sich schwierig gestalten. Ich fordere die Bundesländer, die ja für die Durchführung der Seuchenbekämpfung zuständig sind, auf, unbedingt die Bekämpfungs- und Vorbeugemaßnahmen intensiv und effektiv umzusetzen. Wir brauchen einsatzfähige Krisenstäbe auf allen Verwaltungsebenen. Wir brauchen aber auch eine grundlegende Änderung des Produktions- und Vermarktungssystems. Das Hygienemanagement in den Betrieben, beim Tierzukauf und beim Tierhandel muß grundlegend verbessert werden. Trotzdem: Ohne Ringimpfung mit einem markierten Impfstoff ist eine konsequente Seuchenbekämpfung wohl nicht möglich. Markierte Impfstoffe sind in der Entwicklung und zum Teil schon in der Erprobung. Die Weiterentwicklung muß vorangetrieben werden, damit diese Impfstoffe bald zum Einsatz kommen können. Der markierte Impfstoff soll nicht zur flächendeckenden Impfung, sondern regional und zeitlich begrenzt um einen Seuchenherd herum eingesetzt werden. Bundesregierung und insbesondere die EU-Kommission fordere ich auf, nun auch den Einsatz markierter Impfstoffe zuzulassen. Wir können die Schweinepest nicht nur mit großflächigen Sperrmaßnahmen und Keulungen bekämpfen, die zu ungeheuren wirtschaftlichen Folgeschäden führen. Zur Zeit ist auch die Rinderseuche BSE oder „Rinderwahnsinn" wieder in der Diskussion. Die Seuche hat inzwischen in Großbritannien - wohl als Folge des seit 1988 bestehenden Verfütterungsverbots von Tiermehl an Wiederkäuer - seinen Höhepunkt überschritten. Gleichwohl gelten im Handel mit Rindern und Rindfleisch aus Großbritannien gewichtige Restriktionen, urn dem Prinzip des vorbeugenden Verbraucherschutzes Rechnung zu tragen. Nachdem nun kürzlich in Großbritannien ein nach dem 1. Januar 1992 geborenes Rind an BSE erkrankt ist, ist natürlich zu fragen, ob die bisherigen Auflagen für britisches Rindfleisch zum Schutz unserer Verbraucher noch ausreichend sind. Für die F.D.P. fordere ich eine erneute Überprüfung der EU-Einfuhrregelung für Rindfleisch aus Großbritannien. Künftig sollte nur noch Fleisch von Tieren, die nicht älter als zwei Jahre sind, eingeführt werden dürfen. Insgesamt kann man aber auch festellen, daß inzwischen der deutsche Verbraucher über den Markt dafür gesorgt hat, daß kaum noch britisches Rindfleisch eingeführt wird, weil es nicht absetzbar ist. Eine intensive und optimale Tierseuchenbekämpfung ist die Grundlage einer verantwortlichen Verbraucher- und Agrarpolitik. Nicht zuletzt eine undifferenzierte Diskussion um Tierseuchen hat bei uns zu einem Rückgang des Fleischkonsums und zu erheblichen Einkommensverlusten der deutschen Bauern geführt. Unseren Verbrauchern möchte ich sagen, daß durch die rechtlichen Bestimmungen im Bereich der Tierseuchenbekämpfung, der Fleischhygiene und der Lebensmittelüberwachung gerade in Deutschland sichergestellt ist, daß nur gesundheitlich einwandfreie, qualitätsvolle Ware angeboten wird. Eva Bulling-Schröter (PDS): Das Thema Tierseuchen war in den letzten Wochen und Monaten zunehmend Gegenstand von Sorgen und Angsten von Verbraucherinnen und Verbrauchern. Mit Recht fordern sie gesunde Lebensmittel und Fleisch, das frei von Hormonen und anderen Rückständen verzehrt werden kann. Nahrungsmittel werden auf Grund des wachsenden Umweltbewußtsein immer sensibler beurteilt, und immer mehr Verbraucherinnen und Verbraucher wollen mit Recht über Ergebnisse, Probleme und Gefahren, die mit der Tierhaltung verbunden sind, informiert werden. Die Bauern in Deutschland nehmen berechtigte Sorgen sehr ernst, da letzendlich auch davon ihr Ruf und somit ihre Existenz abhängen. Oftmals gezwungen durch Dumpingpreise der Einzelhandelsketten und der Lebensmittelindustrie, versuchen bäuerliche Betriebe, wirtschaftlich effektiv zu arbeiten. Massentierhaltung mit all ihren Nachteilen kann jedoch zwangsläufig zu erhöhter Seuchengefahr führen. Es muß deshalb sowohl im Interesse der Politik als auch der Landwirtschaft selbst liegen, wenn alles dafür getan wird, daß Tiere so gehalten werden, daß Seuchen und Krankheiten soweit wie möglich ausgeschlossen werden. Nur gesunde Tiere können Leistungen erbringen, und nur die Produkte gesunder Tiere lassen sich vermarkten. Dazu gehören tiergerechte Haltung, umfassender Seuchenschutz, moderne Hygienebedingungen und eine Preispolitik, die Bauern nicht weiter zu unsinnigen Leistungssteigerungen und damit verbundenen Folgeerscheinungen zwingt. Deshalb ist auch mehr Transparenz über die Haltungs- und Produktionsmethoden und die Möglichkeit der Verbraucherinnen und Verbraucher, sich umfassend und authentisch über Tierhaltung und Produktion zu informieren, erforderlich. Tierseuchen sind im allgemeinen keine „Naturereignisse", denen die Bauern machtlos gegenüberstehen. Es gibt Zusammenhänge zwischen Haltung, Fütterung, allgemeiner Tiergesundheit, Betreuung der Tiere, Tierkonzentration einerseits und dem Auftreten von Seuchen andererseits. Diese Zusammenhänge allein am Tierbestand im Betrieb aufzuhängen ist völlig falsch. Insofern geht der vorliegende Gesetzentwurf in die richtige Richtung. Unserer Meinung nach sollte die Entschädigungsregelung aber noch stärker vom seuchenhygienischen Risiko abhängig gemacht werden. Dazu könnte man an Hand von Kriterien, die betriebsspezifisch zu prüfen sind, eine entsprechende Entschädigungsregelung festlegen. Kriterien könnten z. B. naturgemäße Haltungsbedingungen wie Platzbedarf, Bewegungsfreiheit, Futterregime, veterinärmedizinische Betreuung, Stallhygiene, Zutrittssicherheit, ökologische Verwertung der Abprodukte und ähnliches sein. Die Tierbestandsgröße allein ist kein Kriterium für Seuchengefahr. Fast alle Ausbrüche von Schweinepest in Niedersachsen wurden z. B. in kleinen und mittleren Betrieben mit schlechtem Hygieneregime registriert und hatten ihre Ursachen in unzureichend behandeltem Futter sowie im unkontrollierten Personenverkehr und in der meist unzureichenden veterinärmedizinischen Betreuung. Nicht zu akzeptieren ist, daß im Bundestag ein Gesetz beschlossen wird, dessen Kosten die Länder tragen sollen. Das ist besonders kritisch für die neuen Bundesländer, die auf Grund ihrer Finanzschwäche vielfach nur den Mindestbeitrag zu den Entschädigungsleistungen erbringen. Das ist ein weiteres Beispiel, wo länderspezifisch Betriebe benachteiligt werden, keine gleichen Wettbewerbsbedingungen herrschen. Auch der hessische Bauernverband beklagt gravierende Wettbewerbsnachteile als Folge zu hoher Pflichtbeiträge zur Tierseuchenkasse. Im Lichte der Tierbestandsentwicklung in Ost-, aber auch in Westdeutschland und des ständig sinkenden Selbstversorgungsgrades mit Fleischerzeugnissen fordern wir deshalb von der Bundesregierung, daß sie sich an den Kosten der Tierseuchenversicherung beteiligt. Sie könnte dadurch auch einen EU-rechtlich zulässigen Beitrag zum Wiederaufbau der Tierproduktion in Ostdeutschland leisten. Deshalb stimmt die Gruppe der PDS dem Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu. Jochen Borchert, Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Tierseuchen haben trotz aller medizinischen und technischen Fortschritte ihre Schrecken noch nicht verloren. Ein Schrecken, der besonders die von der Schweinepest betroffenen Regionen in Atem hält. Zur Straffung und Verbesserung der Tierseuchenbekämpfung hat die Bundesregierung - vielfach gemeinsam .mit den für die Tierseuchenbekämpfung zuständigen Ländern - wichtige rechtliche und organisatorische Änderungen vorgenommen. Ein weiterer Mosaikstein für eine effektive Tierseuchenbekämpfung bildet nunmehr die Änderung des Tierseuchengesetzes. Mit dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf soll die Entschädigung bei Tierseuchen und die Beitragszahlung zur Tierseuchenkasse neu geregelt werden. Derzeit werden bei größeren Betrieben die Entschädigungszahlungen um bis zu 40 % gekürzt. Diese einseitige Minderung der Entschädigung hat viele Tierhalter hart getroffen und ungerechtfertigterweise benachteiligt. Denn das jüngste Schweinepestgeschehen hat eben die alte Annahme nicht bestätigt, daß mit zunehmender Betriebsgröße das Seuchenrisiko zunimmt. Richtig ist vielmehr, daß das seuchenhygienische Gesamtrisiko von weit mehr Faktoren abhängig ist als nur von der Anzahl der Tiere. Dies muß sich in den Entschädigungszahlungen und in den Beiträgen zur Tierseuchenkasse niederschlagen. Nach bisheriger Rechtslage haben die Länder die Tierseuchenkassenbeiträge in Abhängigkeit von der Bestandsgröße nach dem Motto erhoben: Je größer der Bestand, umso höher der Beitrag pro Tier. Das bedeutete - überspitzt formuliert: Dafür, daß ein Landwirt mit einem größeren Bestand mehr in die Tierseuchenkasse einzahlen durfte, mußte er im Seuchenfall eine Kürzung der Entschädigung hinnehmen. Das kann so nicht bleiben. Mit dem vorliegenden zweiten Gesetz zur Änderung des Tierseuchengesetzes hat die Bundesregierung vorgeschlagen, die Entschädigung bestandsgrößenunabhängig und für alle Betriebe auf 100 % festzusetzen. Diesen Änderungsvorschlag hat auch der Bundesrat in seiner ersten Lesung gebilligt. Außer bei den Entschädigungen muß auch bei der Erhebung der Tierseuchenkassenbeiträge mehr sachlich fundierte Gerechtigkeit einkehren. Die Bundesregierung hat daher als zweite Änderung im Tierseuchengesetz die Staffelung der Tierseuchenkassenbeiträge in Abhängigkeit vom seuchenhygienischen Risiko des Betriebes vorgeschlagen. Dies kommt besonders kleineren Betrieben entgegen. Denn der Vorsorgestandard kann in kleineren Betriebseinheiten einfacher durch technische und organisatorische Umstellungen erhöht, und damit können die Beiträge gesenkt werden. Mit der seuchenhygienischen Risikostaffelung kann über die Beitragsseite sichergestellt werden, daß sinnvolle Seuchenvorsorge auch honoriert wird. Denn das Seuchenrisiko ist in geschlossenen Beständen kleiner als beim Ferkelzukauf und beim Zukauf aus tierärztlich überwachten Betrieben mit bekanntem Gesundheitsstatus kleiner als beim unkontrollierten Zukauf über Sammelstellen. Es ist doch nicht mehr als richtig, Seuchenvorsorge nicht zu bestrafen, sondern zu honorieren und Anreize zu geben. Dies gilt für große wie für kleine Bestände. Die Bundesregierung ist der festen Überzeugung, daß die risikobezogene Beitragsstaffelung und die volle Entschädigung im Seuchenfall unverzichtbare Voraussetzungen für eine Anhebung des allgemeinen Vorsorgestandards gegen Seucheneinschleppungen sind. Ich versichere, die Bundesregierung wird diesen Weg der Betriebe für eine konseqente Seuchenvorsorge auch weiterhin mit ihren Möglichkeiten nachdrücklich unterstützen. Die besten Regelungen zur Seuchenvorsorge können nur so gut sein, wie sie in der Praxis umgesetzt werden. Ich appelliere daher eindringlich an Landwirtschaft und Handel, die Seuchenvorsorge ernst zu nehmen. Wir müssen in einem Gemeinschaftswerk aller Beteiligten alles daransetzen, die seit Frühjahr 1993 bei uns grassierende Schweinepest zu stoppen. Die Bundesregierung setzt sich dabei auch für eine Änderung der EU-Tierseuchenpolitik ein. Ich freue mich, daß die SPD den Änderungsvorschlag der Bundesregierung zum Tierseuchengesetz unterstützt. Vielleicht konnte diese Debatte sogar die Grünen überzeugen, dem Entwurf der Bundesregierung zuzustimmen. Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 14 (Beschlußempfehlung zu dem Antrag: Entwurf einer Bioethik-Konvention des Europarates) Peter Altmaier (CDU/CSU): Die vorliegende Entschließung ist das Ergebnis einer intensiven und umfassenden Diskussion, die wir in den vergangenen Monaten in den zuständigen Ausschüssen unter Beteiligung der interessierten Öffentlichkeit geführt haben. Der Bundestag macht dadurch von seinem Recht Gebrauch, noch vor Abschluß der Verhandlungen über eine „Bioethik-Konvention" des Europarates zu den wesentlichen Fragen, die in dieser Konvention zu regeln sind, unmißverständlich Stellung zu nehmen und die Bundesregierung auf diese Weise bei ihrer weiteren Verhandlungsführung zu unterstützen. Damit wird für jedermann sichtbar der Eindruck widerlegt, die Verhandlungen würden hinter verschlossenen Türen unter Ausschluß der Betroffenen geführt: Bei der öffentlichen Anhörung, die die Bundestagsausschüsse für Recht, Forschung und Technologie und Gesundheit am 17. Mai durchgeführt haben, haben Sachverständige, Vertreter von Verbänden und Bürgerinitiativen die Möglichkeit gehabt, ihre Vorstellungen zum Konventionsinhalt ausführlich darzulegen und zu begründen. Vieles davon ist in den Entschließungsentwurf eingeflossen. Wir sollten daher gemeinsam dafür sorgen, daß sich die künftigen Diskussionen weniger um Form- und Verfahrensfragen als vielmehr um die inhaltlichen Probleme drehen, die mit dem Konventionsentwurf verbunden sind. Die vorliegende parteiübergreifende Entschließung leistet dazu einen Beitrag. Sie enthält zunächst ein eindeutiges Bekenntnis zur modernen humanbiologischen und -medizinischen Forschung, indem sie deren Fortschritt und Verdienste anerkennt und darauf hinweist, daß auch künftig ausreichende Rahmenbedingungen für weitere Forschungsfortschritte gewährleistet sein müssen. Gleichzeitig verharmlosen wir jedoch nicht die möglichen Gefahren und Mißbräuche, die sich aus dem atemberaubenden Tempo der immer schnelleren Weiterentwicklung unserer technischen Möglichkeiten ergeben. Die Würde des Menschen ist für uns eine absolute Grenze für die Anwendung dessen, was technisch und medizinisch „machbar" ist; diese Grenze werden wir weder jetzt noch in Zukunft überschreiten. Insoweit sind wir uns mit allen Fraktionen des Bundestages einig. Dies kommt auch im Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zum Ausdruck. Seine kardinale Schwäche liegt jedoch darin, daß er nur die eine Seite der Medaille sieht: Er erwähnt ausschließlich die möglichen negativen Aspekte biologischer und medizinischer Forschung, ohne auch nur mit einem Wort auf die Chancen einzugehen, die sich für die Betroffenen aus verbesserten Behandlungs- und Heilmethoden ergeben. Wir von der CDU/CSU wollen beides: Wir wollen, daß Deutschland und Europa in den Bereichen Humanbiologie und Humanmedizin auch künftig eine führende Stellung behält, aber wir wollen ebenso führend sein, wenn es darum geht, die Achtung und Einhaltung unserer gemeinsamen ethischen Standards zu jedem Zeitpunkt wirksam und umfassend sicherzustellen. Wir lassen nicht zu, daß Forschungsfreiheit und Menschenwürde gegeneinander ausgespielt werden, weil wir davon überzeugt sind, daß das Spannungsverhältnis zwischen dem, was technisch machbar ist und dem, was ethisch verantwortbar ist, durch geeignete staatliche Regelungen erträglich gemacht und beherrscht werden kann, ohne daß die menschliche Würde und weitere unverletzliche Schutzrechte dadurch in Frage gestellt werden. Derartige Regelungen benötigen wir auch auf europäischer und internationaler Ebene. Ihre Notwendigkeit ergibt sich aus der raschen Zunahme der internationalen Verflechtungen und der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in diesem Bereich. Nur wenn es gelingt, durch die Schaffung geeigneter rechtlicher Regelungen mit den tatsächlichen Entwicklungen im europäischen und internationalen Rahmen Schritt zu halten, können wir diese Entwicklungen mit ruhigem Gewissen hinnehmen und sogar fördern. Durch die Diskussion der letzten Monate und die Ergebnisse der Anhörung sehen wir uns in unserer Auffassung bestätigt, daß das Zustandekommen einer Konvention, die von möglichst vielen Staaten des Europarates unterzeichnet wird, nicht nur in unserem Interesse liegt, sondern angesichts der Unterschiedlichkeit oder gar des Fehlens der bestehenden nationalen Regelungen sogar dringend geboten ist. Ich möchte daher nachdrücklich feststellen, daß unsere Fraktion die Bemühungen, die auf den Abschluß einer „Bioethik-Konvention" abzielen, begrüßt und die Bundesregierung ausdrücklich ermutigt, auf dem von ihr schon bisher eingeschlagenen Weg fortzufahren. Mit gleichem Nachdruck wiederhole ich jedoch, was ich bereits in der Debatte vom 26. Januar zum Ausdruck gebracht habe, daß wir keine Konvention wollen, die sich darauf beschränkt, auf kleinstem gemeinsamen Nenner Minimalstandards festzuschreiben, sondern daß sie an Regelungen von Staaten mit hohem Schutzniveau ausgerichtet sein muß. Wir wollen eine wirkliche Verbesserung im Vergleich zur bestehenden Situation, keine „Placebo-Konvention", die in Wirklichkeit nichts oder kaum etwas ändert. Deshalb sind wir - so wie auch alle anderen Fraktionen - der Auffassung, daß der Konventionsentwurf vom Juli 1994 noch in entscheidenden Punkten verbessert werden muß. Soweit wir über die einzelnen Punkte, bei denen wir Handlungsbedarf sehen, zwischen den Fraktionen Einigkeit erzielt haben, kann ich auf den Text der vorliegenden Entschließung verweisen. Dies gilt sowohl für das absolute Verbot von Eingriffen in die menschliche Keimbahn in Art. 16 als auch für das Verbot der verbrauchenden Forschung an Embryonen in Art. 15 prädiktive genetische Tests und die dabei zu beachtenden datenschutzrechtlichen Standards in Art. 17 und 18 oder den Sanktions- und Überwachungsmechanismus sowie alle anderen in die Entschließung einvernehmlich aufgenommenen Punkte. Wir befinden uns mit diesen Forderungen in weitgehender Übereinstimmung mit der Parlamentarischen Versammlung des Europarates, deren Mitgliedern ich an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich für ihr Engagement danken möchte. Eingehen möchte ich statt dessen auf diejenigen Punkte, bei denen wir im Rechtsausschuß zunächst unterschiedlicher Auffassung waren. Art. 6 des Konventionsentwurfs beschreibt die Voraussetzungen, unter denen medizinische Eingriffe an nicht einwilligungsfähigen Personen vorgenommen werden dürfen. Die ursprüngliche Formulierung war viel zu weit und unbestimmt und ging damit über das hinaus, was wir für ethisch vertretbar halten. Wir sind deshalb dankbar, daß die Parlamentarische Versammlung des Europarates auch diesen Punkt aufgegriffen und ihre Ablehnung der ursprünglichen Formulierung deutlich gemacht hat. Gleichwohl zögern wir, uns den in der Entschließung der Parlamentarischen Versammlung vom Februar 1995 enthaltenen neuen Vorschlag schon jetzt vollständig zu eigen zu machen. Dieser Vorschlag sieht vor, daß medizinische Forschungseingriffe an einer nicht einwilligungsfähigen Person ohne deren höchstpersönliche Zustimmung nicht vorgenommen werden dürfen, sofern diese Eingriffe keinen unmittelbaren Nutzen für die Gesundheit dieser Person haben. Viele Sachverständige sind in der Tat der Auf- Fassung, daß bei sogenannten „fremdnützigen" Eingriffen in die körperliche Unversehrtheit die fehlende Zustimmung des Betroffenen in keinem Fall durch die Zustimmung z. B. seines gesetzlichen Vertreters wie Eltern oder Vormund ersetzt werden darf. Andererseits hat die Anhörung vom 17. Mai auch ergeben, daß Situationen vorstellbar sind, in denen die Erforschung und möglicherweise Heilung der betreffenden Krankheit auf anderem Wege nicht möglich erscheint. Dies soll insbesondere für einige Krankheiten gelten, die typischerweise in einem sehr frühen Lebensabschnitt auftreten und auch nur dann ausreichend erforscht werden können. Wir sehen uns bisher nicht in der Lage, uns in dieser Frage eine abschließende Meinung zu bilden, und ich weiß, daß auch in anderen Fraktionen der Diskussionsprozeß noch nicht völlig abgeschlossen ist. Deshalb wollen wir in den kommenden Wochen und Monaten versuchen, zu einer vertretbaren Lösung zu gelangen. Andernfalls sehe ich die Gefahr, daß diejenigen, die zu Recht auf die Unzulänglichkeiten der ursprünglichen Formulierung von Art. 6 hingewiesen haben, uns schon bald vorwerfen könnten, mit einer zu restriktiven Formulierung das Kind mit dem Bade ausgeschüttet zu haben. Abgelehnt haben wir den Vorschlag, in der Konvention die Patentierbarkeit menschlicher Gene auszuschließen, weil wir der Auffassung sind, daß der vorliegende Konventionsentwurf zur Regelung dieser Frage nicht der geeignete Ort ist: Die Konvention behandelt die Frage nach der Zulässigkeit und Verantwortbarkeit humanbiologischer und humanmedizinischer Forschung, nicht jedoch die Frage nach der wirtschaftlichen Verwertung ihrer Ergebnisse. Hinzu kommt, daß die Patentierbarkeit menschlicher Gene in den bisherigen Verhandlungen keinerlei Rolle gespielt hat. Wer zum jetzigen Zeitpunkt diese Frage neu in die Verhandlungen einführen will, muß sich vorhalten lassen, daß er dabei eine erhebliche Verzögerung der weiteren Verhandlungen und damit des Konventionsabschlusses in Kauf nimmt. Dies halten wir angesichts der bestehenden Situation für nicht vertretbar. Selbstverständlich schließt dies nicht aus, daß sich in dieser Frage in anderem Zusammenhang, etwa im Hinblick auf eine zu erwartende neue Initiative der EG-Kommission zur Biotechnologie, schon bald Diskussionsbedarf ergeben wird. Abschließend möchte ich feststellen, daß sich aus unserer Sicht das zeit- und beratungsaufwendige Verfahren, für das wir uns zur Behandlung des Konventionsentwurfs entschieden haben, gelohnt hat. Wir haben wichtige Verbesserungsvorschläge formuliert, von denen wir hoffen, daß sie in den endgültigen Konventionstext Eingang finden. Wir haben darüber hinaus aber auch einen wichtigen Beitrag zur Versachlichung der Diskussion und zum Abbau von Ängsten und Vorbehalten bei vielen Bürgerinnen und Bürgern geleistet. Es ist klar geworden, daß es sich bei den Bemühungen zum Abschluß einer „Bioethik-Konvention" gerade nicht darum handelt, nationale Standards, wie z. B. das deutsche Embryonenschutzgesetz, auszuhöhlen oder zu umgehen. Es geht vielmehr darum, die bestehenden nationalen Regelungen durch eine Konvention mit hohem Schutzniveau derart zu ergänzen, daß künftig europaweit ein vergleichbares Schutzniveau gewährleistet ist. Der Abschluß einer Konvention, die den in der Entschließung des Bundestages skizzierten grundlegenden Anforderungen gerecht wird, bedeutet für die europäischen Bürger daher nicht weniger, sondern mehr Schutz und Sicherheit vor mißbräuchlicher Anwendung der neuen technischen Möglichkeiten im Bereich der Medizin. Der deutsche Bundestag wird die weiteren Verhandlungen mit großer Aufmerksamkeit begleiten und der Bundesregierung die erforderliche Unterstützung bei der Verwirklichung ihrer Verhandlungsziele zuteil werden lassen. Margot von Renesse (SPD): Das Projekt „Konvention zur Bio-Medizin" krankt bisher an einem entscheidenden Mangel: Die Bundesregierung hat es versäumt, die Öffentlichkeit umfassend zu informieren, sich der öffentlichen Diskussion zu stellen und die Ergebnisse eines öffentlichen Diskurses in ihre Meinungsbildung einzubeziehen. Damit hat sie sich den entstandenen Verdacht selber zuzurechnen, es gehe ihr bei der Konvention mehr um die Interessen des Wirtschafts- und Wissenschaftsstandorts Deutschland als um die potentiellen Opfer neuer Technologien, die sie „draußen vor der Tür" lasse. Der Initiative einiger Abgeordneter, insbesondere des Kollegen Antretter, ist es zu danken, daß der öffentliche Diskurs, der sich gleichwohl engagiert entwickelt hat, politische Stimme in der parlamentarischen Versammlung des Europarates und nun auch im Bundestag erhalten hat. Wir Sozialdemokraten wollen, daß während der weiteren Verhandlungen eine wohlinformierte Öffentlichkeit alle Gegenstände der Konvention erörtern kann, bis eine verabschiedungsfähige Konvention vorhanden ist. Ein überzeugender Textentwurf liegt bisher nicht auf dem Tisch. Bei allem Respekt vor der ganz anderen Rechtstradition und -sprache des Völkerrechts ist mehr Präzision bei den Bestimmungen möglich und nötig. Eine mißtrauisch gewordene Öffentlichkeit will wirksam geschützt werden vor jedem Machtmißbrauch durch Kenner und Könner, durch wirtschaftliche und politische Interessen. Die unerhört neuen Möglichkeiten von Wissenschaft und Technik, in das menschliche Erbgut einzugreifen, lösen keineswegs nur Hoffnungen von Kranken und Leidenden auf neue Therapiemethoden aus. Gleichzeitig steigt die Angst davor, daß den Herren dieser Techniken neue Macht zuwächst, die sich auf urumkehrbare Weise mißbrauchen läßt. Der einzelne Mensch in seiner Wehr- und Hilflosigkeit, vor allem in den Grenzsituationen besonderer Verletzlichkeit bei Krankheit und Behinderung, im Prozeß des embryonalen Werdens und des Sterbens, ist der Ernstfall für unsere kulturellen Traditionen in Europa. Wir brauchen einen wirksamen rechtlichen Schutzwall um Menschenwürde und Menschenrecht, damit nicht Fluch wird, was als Erkenntnis- und Kompetenzgewinn Segen für viele sein kann und soll. Ich bin dankbar, daß dieses Anliegen von allen politischen Kräften im Bundestag geteilt wird, daß auch die Bundesregierung keine aus der Gewaltenteilung herrührenden Einwände gegen die „Einmischung„ des Parlaments in die Erarbeitung einer völkerrechtlichen Konvention erhoben hat. Mit der Koalition können wir Sozialdemokraten eine Entschließung verabschieden, die auf erfreuliche Weise - nach Anhörung engagierter Sachverständiger, von Fachleuten und sogenannten Laien - unser gemeinsames Produkt ist. Wir hätten den Text in zwei Punkten noch gerne ergänzt um das Verbot der Patentierung menschlicher Gene und um die Unverzichtbarkeit der persönlichen Einwilligung bei nur fremdnützigen Eingriffen in das Erbgut. Die Koalition hat diese beiden Forderungen nicht in den Text aufnehmen wollen. Wir haben insoweit auf eigene Ergänzungsanträge verzichtet, dies aber nur, weil wir wissen, daß die Koalition diese Anliegen nicht in der Sache ablehnt. Wir werden im weiteren Verhandlungsverlauf Gelegenheit haben, gemeinsam nach überzeugenden Antworten auf die schwerwiegenden Fragen zu suchen. Auch hier wird der öffentliche Diskurs von Bedeutung sein. Den Ergänzungs- und Änderungsanträgen der Grünen stimmen wir nicht zu. Teils sind die Forderungen bereits in dem gemeinsamen Text enthalten - so z. B. das Verbot der Keimbahntherapie -; teils müssen sie Gegenstand weiterer Beratungen werden - so das Verbot der Patentierung menschlicher Gene -; teils sind sie in den ebenfalls öffentlich zu diskutierenden Zusatzprotokollen zu klären - wie der transplantationsmedizinische Umgang mit Embryonen und Föten -; teils sind sie aus grundsätzlichen, auch verfassungsrechtlichen Gründen in der Sache verfehlt, so die Forderung nach gesetzlichen Einschränkungsmöglichkeiten für die Forschungsfreiheit. Mit unserer Entschließung bekommt die Bundesregierung schweres Gepäck auf den Weg der weiteren Verhandlungen. Wir wissen, daß die deutsche Position schon bisher im Verhältnis zu den internationalen Verhandlungspartnern nicht ganz einfach ist. Wir haben in unserer Geschichte Erfahrungen gespeichert, die uns das Mißtrauen gegen alle nahelegt, die Macht über Menschen innehaben. Wir haben gesehen, daß der Mensch zu allem fähig ist, was den Menschen zum Objekt macht, peinigt und erniedrigt. Gegen die Versuchung der Macht, die sich sogar durch scheinbar philanthropische Ziele verführen läßt, hilft keine Sonntagspredigt. Das deutsche Verfassungs- und Rechtsverständnis, gewachsen auf dem Hintergrund schauriger Erfahrungen, läßt sich international schwer vermitteln. „Querelles allemandes" mögen andere unsere Einwände gegen Lücken und Unschärfen im Konventionstext nennen, ja uns vielleicht sogar verdächtigen, wir wollten schon wieder die internationale Öffentlichkeit am deutschen Wesen genesen lassen. Ich meine, die Bundesregierung muß darauf hinweisen, daß unsere Geschichte nicht nur eine deutsche, sondern vielmehr eine europäische Erfahrung ist, gemacht in Mitteleuropa, in einem Land mit klassisch europäischer kultureller Tradition. Die bittere Lehre, daß man rechtliche Grenzen setzen muß, wo sich Macht von Menschen über Menschen konzentriert, sollten wir anderen vermitteln können. Gerade um unserer Erfahrungen willen begrüßen wir, daß die Konvention zur Biomedizin den Geist der Europäischen Menschenrechtskonvention atmen soll. Dort ist der Vorrang des einzelnen - seines unverletzlichen Rechts und seiner Würde - vor dem Recht der Allgemeinheit oder der Gruppe verankert. Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof hat wesentlich zur Präzisierung und Durchsetzbarkeit der individuellen Menschenrechte beigetragen. Diesen Verrechtlichungsprozeß wollen wir auch der Konvention zur Biomedizin sichern. Auch hier wollen wir deshalb die Individualklage ermöglichen, und zwar bei demselben Gerichtshof, der die Europäische Menschenrechtskonvention wachsam und sensibel handhabt. Wir wollen mit der Konvention nicht Forschung und Wissenschaft als wesentlichen Ausdruck menschlichen Erkenntnisstrebens behindern oder gar einschränken. Bei aller begründeten Furcht vor dem, was an Schrecknissen durch die Ergebnisse von Forschung und Wissenschaft bewirkt wurde: Die Suche nach mehr Verständnis der Zusammenhänge in der Natur ist Teil des Menschen selbst. Sie abzustellen ist nicht möglich, solange es Menschen gibt. Alle Erkenntnis aber hat nicht nur positive und erhebende, sondern auch abgründige Seiten. Aus diesem Gesetz tragischer Dialektik menschlichen Denkens und Handelns ist kein Entkommen. Um so mehr ist der Gesetzgeber verpflichtet, die Gefahren mit wirksamen Regelungen einzugrenzen, die mit der Wissensvermehrung einhergehen. Der Gesetzgeber muß verhindern, daß der Mensch in seiner Selbstherrlichkeit all das tut, was er tun kann. Solche Regelungen muß in überzeugender Weise auch die Konvention zur Bio-Ethik bringen. Daß dieses Werk gelingt, ist für uns alle von zentraler Bedeutung. Gudrun Schaich-Walch (SPD): Der vorliegende Antrag wird von den Gesundheitspolitikerinnen und Gesundheitspolitikern der SPD-Bundestagsfraktion mitgetragen. Allerdings haben wir Sorge, daß wesentliche Aspekte nicht im notwendigen Maße durch diesen Antrag hervorgehoben werden. Dies möchte ich verdeutlichen: Erstens. Ein wesentlicher Kritikpunkt bei der Auseinandersetzung um den Konventionsentwurf ist der Art. 6, der medizinische Forschung an geschäftsunfähigen oder einwilligungsunfähigen Menschen erlaubt. Wir sind der Auffassung, daß sehr deutlich gemacht werden muß, daß jede Forschung in diesem Bereich verhindert werden muß. Vor dem Hintergrund unserer Geschichte ist gerade von deutscher Seite ein deutliches Zeichen in diese Richtung notwendig. Daher hätten wir gern in den Antragstext die klare Formulierung aufgenommen: „An geschäftsunfähigen Personen, an einwilligungsunfähigen Personen und an Personen, die in ihrer Einsichtsfähigkeit eingeschränkt sind, dürfen Eingriffe nur zu ihrem unmittelbaren Wohl und mit ihrer ausdrücklichen persönlichen Zustimmung erfolgen. Nur bei Gefahr für Leib und Leben oder bei einer dauerhaften schweren Schädigung kann mit Zustimmung des Vormundschaftsgerichts der gesetzliche Vertreter einwilligen. " Geschäftsunfähigkeit und Einwilligungsunfähigkeit sind zu differenzieren. Geschäftsunfähige können durchaus in der Lage sein, ihre Einwilligung zu geben, so daß mit dieser Formulierung lediglich diejenigen von vornherein von einem medizinischen Eingriff zu Forschungszwecken ausgeschlossen sind, die die Tragweite der Entscheidung nicht mehr einschätzen können und daher auch nicht in der Lage sind einzuwilligen. Denjenigen, die in einer solchen Formulierung eine gravierende Behinderung der Forschung zu Lasten der Kranken, beispielsweise der Alzheimer-Kranken, der Behinderten und von Kindern sehen, kann ich nur entgegnen, daß innovative Forschung nach wie vor möglich sein wird. Die im Formulierungsvorschlag enthaltene hohe Priorität des Selbstbestimmungsrechts eines jeden Menschen - das betone ich - hält die Möglichkeit offen, beispielsweise bei lang währenden Krankheiten wie Alzheimer, deren Verlauf so ist, daß die Patienten anfangs sehr wohl noch einwilligungsfähig sind, schon zu diesem Zeitpunkt ihre Einwilligung zu späteren Untersuchungen zu Forschungszwecken einzuholen. Zweitens. Des weiteren hätten wir gern noch deutlicher in den Antragstext aufgenommen, daß die Verwendung und Weitergabe von Untersuchungsergebnissen nur unter strikter Einhaltung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung, nämlich nur mit Zustimmung des Betroffenen erfolgen darf. Drittens. Ich möchte noch einen weiteren wichtigen Punkt ansprechen: Das sind die im Konventionstext erwähnten Ethikkommissionen. Dieser Ansatz ist nicht zu beanstanden. Die Kontrolle, die jedoch damit gewährleistet werden soll, kann aber bei uns in Deutschland durch das existierende Ethikkommissionswesen nicht garantiert werden. Dies ist bei der Sachverständigenanhörung lin vergangenen Monat sehr deutlich geworden. Ethikkommissionen nach jetzigem Muster erfüllen nicht die Kriterien, die notwendig sind, um einen gesellschaftlichen Diskurs anzuregen und die notwendige Kontrolle über medizinische Eingriffe und Forschung zu gewährleisten. Unsere Ethikkommissionen sind mit Fachvertretern besetzt, die unter spezifisch medizinischen Aspekten ein Vorhaben betrachten, jedoch nicht in der Lage sind, einen breiten gesellschaftlichen Diskurs über alle Gesichtspunkte medizinethischer Fragen zu führen. Deshalb hat die SPD-Bundestagsfraktion schon wiederholt gefordert, daß ein Instrument geschaffen werden muß, um frühzeitiger als bisher den gesellschaftlichen Diskurs über ethische und moralische Fragen und gesellschaftliche Auswirkungen im Zusammenhang mit Medizin, Forschung und Technik führen zu können. Ein mögliches Instrument sehen wir in der Einsetzung einer unabhängigen, überparteilichen und fachübergreifend mit Vertretern verschiedenster gesellschaftlicher Gruppen zusammengesetzten Bundesethikkommission. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es ist uns gelungen, mit dem gemeinsamen Antrag von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN den Entwurf einer Bioethik-Konvention des Europarates nun endlich auch zum Gegenstand parlamentarischer Beratung im Deutschen Bundestag zu machen. Dieser Schritt war längst überfällig, gilt es doch, ethisch-medizinische Standards im Bereich der Anwendung von Biologie und Medizin am Menschen auf europäischer Ebene festzuschreiben und hierdurch Weichen für nachfolgende Generationen zu stellen. Derartige entscheidende Fragen dürfen nicht irgendwelchen Geheimgremien überlassen bleiben. Sie müssen öffentlich diskutiert werden. Eine Entschließung des Deutschen Bundestages, die den Willen des Parlaments formuliert und die der Bundesregierung konkrete Verhandlungsaufträge erteilt, ist daher durchaus ein - wenn auch angesichts des Beratungsverfahrens auf europäischer Ebene nicht zu überschätzender - Fortschritt. Wir haben uns daher bemüht, eine parteiübergreifende Initiative mitzugestalten. Das, worauf Sie, meine Damen und Herren von der SPD-Fraktion und der Regierungskoalition, sich aber hier verständigen konnten, ist für uns nicht zustimmungsfähig. BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN wollen strenge ethische Standards zur Kontrolle von Forschung und Anwendung von Biologie und Medizin. Der von Ihnen vorgelegte Entwurf kann aber einen wirksamen Schutz vor den Gefahren der Biomedizin noch lange nicht gewährleisten. Die Anlage der Konvention ist schon im Ansatz verfehlt. Sie stellt die fundamentalen Menschenrechte wie Leben und körperliche Integrität mit der Freiheit bei Forschung und Anwendung von Biologie und Medizin am Menschen auf eine Stufe, unterlegt sie denselben Beschränkungen! Die in Ihrem Entschließungstext gewählte Eingangsformulierung greift diese Bedenken erst gar nicht auf, vielmehr werden die Fortschritte und Verdienste der Forschung blauäugig begrüßt. Vor allem bei der zunehmenden Sorge um den biotechnischen Forschungsstandort scheinen sich Wissenschaftler und Politiker schwerzutun, die Ängste großer Teile der Bevölkerung überhaupt ernst zu nehmen. Zunehmend scheint die Sorge um den Wissenschaftsstandort Priorität zu haben. Bedeutet diese Sorge jedoch nicht auch, daß sich die Menschenrechte langfristig dem biomedizinischen Fortschritt unterzuordnen haben? Wir verwahren uns nachdrücklich gegen den Vorwurf, die Forschungsfreiheit über Gebühr einschränken zu wollen. wir wollen diese bei der Anwendung der Biomedizin auf den Menschen - dies sei nochmals betont - lediglich den gleichen Einschränkungen unterwerfen wie andere Grundrechte der Europäischen Menschenrechtskonvention auch. Demgegenüber legen wir Wert auf die Feststellung, daß die Würde des Menschen, die Integrität und das Wohlergehen einer Person - ähnlich wie in der EMRK beim Recht auf Leben und dem Verbot der Folter - durch keine vergleichbaren Möglichkeiten eingeschränkt werden dürfen. Es geht doch wohl nicht an, der Forschungsfreiheit denselben Stellenwert wie dem Schutz der Menschenwürde einzuräumen! Nur zur Klarstellung: Bei der Einschränkung der Forschungsfreiheit halten wir im wesentlichen an den Beschränkungen dieses Rechts im Konventionsentwurf fest. Diese Beschränkungen ergeben sich aus Art. 2 in Verbindung mit Art. 14. Beim Schutz der Integrität und des Wohlergehens einer Person in Art. 2 wollen wir die Möglichkeit der Beschränkung dieser elementaren Rechte jedoch auf das unbedingte Mindestmaß zurückfahren. Der vorliegende Entwurf zu einer Entschließung enthält im einzelnen durchaus zustimmungsfähige Passagen und stellt in Teilen eine Verbesserung der Fassung des Europarates sowie der Fassung der Parlamentarischen Versammlung dar. Hervorzuheben ist etwa die Forderung nach Einräumung einer individuellen Klagemöglichkeit bei Verstößen gegen die Konvention vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Man könnte sich zurücklehnen und sagen: Immerhin ein Fortschritt! Wer dies tut, verkennt jedoch die Bedeutung dessen, worüber wir hier beschließen. Letztlich geht es bei der sogenannten Bioethik-Konvention um Eingriffe am Menschen; das darf man nicht vergessen. Der Text kann daher weniger daran gemessen werden, was in ihm steht, sondern er muß daran gemessen werden, wozu er keine Aussage enthält. Die Voraussetzungen, unter denen Eingriffe an nicht einwilligungsfähigen Personen vorgenommen werden dürfen, werden nicht geklärt. Mit der von Ihnen gewählten Formulierung werden mißbräuchliche Eingriffe nicht ausgeschlossen. Sie beinhaltet die Option, Eingriffe an einwilligungsfähigen Menschen allein zu Forschungszwecken vorzunehmen. Hierdurch wird die Menschenwürde von Behinderten relativiert, wie uns auch die Sachverständigen in der Anhörung bestätigt haben. Die Parlamentarische Versammlung des Europarates hat die Bedeutung der Einwilligung in biomedizinische Eingriffe klargestellt; diese Haltung sollte sich auch der Entschließungstext zu eigen machen. Gerade der Schutz der Behinderten muß bei der weiteren Beratung dieser Konvention im Zentrum unserer Bemühungen stehen. Der Gesundheitsausschuß hat mehrheitlich für eine eindeutige Beschränkung der Freiheit der Forschung an Behinderten votiert. Daß dies im federführenden Rechtsausschuß nicht durchsetzbar war, ist Anlaß zu großer Sorge. Auch in anderen Fragen läßt der Entschließungstext zu vieles offen. Wir begrüßen die Forderung eines Verbotes des Klonens und der Chimärenbildung. Dennoch vermissen wir gerade im Bereich der Gentechnologie an einigen Punkten klare Vorgaben. Die Gefahr von Gentests, die Selektion von Menschen nach angeblich genetischen Defekten und die Nutzung der Technik zu eugenetischen Zwecken, wird nicht begriffen. Für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist aber nur ein Entschließungstext zustimmungsfähig, der deutlich macht, daß Gentherapie nur zu therapeutischen, nicht aber zu prophylaktischen oder diagnostischen Zwecken erlaubt ist. Auch darf niemand gegen seinen Willen mit Erkenntnissen über genetisch bedingte Krankheiten oder Dispositionen für derartige Krankheiten konfrontiert werden. Vergeblich sucht man auch nach einer Aussage zur Patentierbarkeit der Gene. Auch diesbezüglich hat sich der mitberatende Gesundheitsausschuß für ein Verbot ausgesprochen. Leitlinien für die Organtransplantation werden ebenfalls nicht aufgestellt. Angesichts der immensen Bedeutung dieser Fragen ist eine Regelung im Rahmen der Zusatzprotokolle nicht tragbar. Wir hoffen, daß wir Sie im weiteren Verlauf der Beratungen dieser Konvention noch von unseren weitergehenden Vorstellungen überzeugen können. Heinz Lanfermann (F.D.P.): Der Entwurf einer Bioethik-Konvention des Europarates hat uns bereits in der Plenardebatte am 26. Januar und anläßlich einer Expertenanhörung am 18. Mai dieses Jahres beschäftigt. Darüber hinaus hat der Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages zu einem Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eine Beschlußempfehlung und einen Bericht abgegeben. Insgesamt ist erfreulich, daß in Deutschland über die Parteigrenzen hinweg in grundlegenden Fragen der Bewertung des Entwurfs einer Bioethik-Konvention weitgehender Konsens besteht. Leitlinie unserer Beratungen muß die Würde des Menschen, eine tragende Säule unserer Verfassung, sein. Sie muß dem Zugriff des Staates entzogen bleiben und darf auch nicht im Interesse von Forschung sowie Entwicklung neuer Technologien preisgegeben werden. Das schließt aber nicht aus - das möchte ich ebenso deutlich sagen -, daß Wissenschaft und Forschung für die Fortentwicklung Europas, aber auch und gerade für den Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort Deutschland von zentraler Bedeutung sind. Von einer breiten Akzeptanz moderner Technologien wird es abhängen, ob Deutschland ein innovativer, entwicklungsfähiger Zukunftsstandort sein wird. Hier können und müssen wir einen wichtigen Beitrag leisten. Dabei bedarf es einer verantwortbaren Güterabwägung. Nicht alles, was technologisch machbar ist, darf umgesetzt werden. Aber moderne, fortschrittliche Technologie ist auch nicht grundsätzlich von Übel. Innnovation und Forschung sind der Motor gesellschaftlicher Entwicklung. Deshalb ist eine europäische Konvention zur biomedizinischen Ethik zu begrüßen, denn sie schafft über die bisherigen Empfehlungen des Europarates hinaus einen gemeinsamen rechtlichen Rahmen. Dieser ist auch erforderlich, um die rapide staatenübergreifende Entwicklung von medizinischer Forschung, Diagnose und Therapie ethisch-rechtlich zu bewältigen. Gleichwohl ist in diesem Zusammenhang zu beachten, daß die Konvention die Aufgabe hat, den gebotenen rechtlichen Rahmen festzuhalten, nicht aber alles ethisch Relevante zu umschreiben. Die Mindestnormen, die den rechtlichen Rah- men ausmachen, müssen ethisch konsensfähig sein, können aber nicht alles im Rahmen der verschiedenen ethischen und rechtlichen Traditionen Gebotene enthalten. Um den Anspruch des rechtlichen Charakters der Konvention zu betonen, begrüße ich die Einigung im Rechtsausschuß, den bislang gewählten Kurztitel „Bio-Ethik" durch den Titel „Konvention zur Biomedizin" zu ersetzen, der darüber hinaus den Sachverhalt auch konkreter erfaßt. Insgesamt muß es das Anliegen des Gesetzgebers sein, Akzeptanz für neue, moderne Technologien bei den Bürgerinnen und Bürgern zu erreichen. Diese Aufgeschlossenheit wird sich aber nur dann einstellen, wenn wir uns vorbehaltlos und offen mit den Ängsten der Menschen auseinandersetzen und sie im Gesetzgebungsverfahren berücksichtigen. Deshalb ist es sinnvoll, den Deutschen Bundestag in angemessener Form über den Fortgang der Verhandlungen zu informieren, damit er auch in Zukunft seine Vorschläge einbringen oder Weiterungen Einhalt gebieten kann, die unzulässig in die Rechtspersönlichkeit des Individuums eingreifen. Besondere Aufmerksamkeit verdient in diesem Zusammenhang Art. 6, der Eingriffe bei einwilligungsunfähigen Personen regelt. Ausgehend von dem Grundsatz, daß entweder die eigene Einwilligung oder ersatzweise die Einwilligung des gesetzlichen Vertreters für einen ärztlichen Eingriff vorliegen muß, darf ein Eingriff bei Einwilligungsunfähigkeit jedenfalls nur zum unmittelbaren gesundheitlichen Wohl des Betroffenen erfolgen. Darüber hinausgehende Eingriffe in die körperliche Integrität zu fremdnützigen Forschungszwecken, die mit einem tiefergehenden, über das alltägliche Maß hinausgehenden Risiko verbunden sind, müssen an die freie Zustimmung gebunden bleiben. Eine andere Auffassung kann auch nicht durch das allgemeine Interesse am Fortschritt der medizinischen Wissenschaft gerechtfertigt werden. Auch wenn hier weiterer Beratungsbedarf besteht, führt meines Erachtens an dieser grundsätzlichen Haltung kein Weg vorbei. Richtigerweise unstreitig ist, daß Embryonen nur zur Herbeiführung einer Schwangerschaft erzeugt werden dürfen, die sogenannte verbrauchende Forschung also unzulässig ist. Unverrückbar muß jetzt und in Zukunft auch das Verbot von Eingriffen in die menschliche Keimbahn sein. Ich begrüße es sehr, daß wir noch einmal festgestellt haben, Gentests nur zu gesundheitlichen Zwekken zuzulassen und die Weitergabe der gewonnenen Daten in diesem außerordentlich sensiblen Bereich an hohe datenschutzrechtliche Standards zu knüpfen, um jeglichen Mißbrauch auszuschließen. Nach alledem bewerte ich die einvernehmlichen Beratungen im Rechtsausschuß als diesem Thema sehr angemessen und meine, daß die Abwägung zwischen dem hohen Gut der Würde des Menschen einerseits sowie der notwendigen, weil gesundheitserhaltenden Forschung andererseits gelungen ist. All dies macht deutlich, daß dem ethischen Grundkonsens unserer Staats- und Gesellschaftsordnung im Rahmen der Bioethik-Konvention Rechnung getragen wird. Ich erwarte für die Zukunft, daß sich sowohl die entsprechenden Ausschüsse als auch das Hohe Haus selbst weiter dieses Themas annehmen werden, um die nun einsetzenden Nachverhandlungen kritisch zu begleiten. Dr. Uwe-Jens Heuer (PDS): Die Geschichte des Entwurfes der sogenannten Bioethik-Konvention des Europarates hinterläßt den deutlichen Eindruck, daß hier das Parlament im letzten Moment noch Einfluß auf eine Entwicklung genommen hat, die andernfalls die Tür für Forschungen und Experimente geöffnet hätte, die möglicherweise die Menschenwürde zu beeinträchtigen geeignet wären und die das gegebene Schutzniveau in der Bundesrepublik eher untergraben, auf keinen Fall aber verbessert hätte. Die Besorgnis, daß diese Sache bei der Bundesregierung nicht in guten Händen sei, wurde durch die Rede von Bundesminister Dr. Rüttgers in der Debatte zur Regierungserklärung am 25. November 1995 genährt. Herr Rüttgers hatte dort prononciert gegen Fesseln für die Forschung, für ein „freizügiges und kreatives Forschen und Entwickeln", für „forschungs- und innovationsfreundlichere Rahmenbedingungen" plädiert. Dahinter war die Erinnerung an die „Grenzen, ... die nicht überschritten werden dürfen," deutlich zurückgetreten. Da auch die „Bioethik-Konvention" vorgeblich der Fixierung dieser Grenzen dienen sollte, da sib tatsächlich aber ihre Ausweitung mit sich bringen würde, schien und scheint größte Vorsicht am Platz. Wenn man fragt, ob der ursprüngliche Konventionsentwurf in erster Linie die Menschenwürde oder die Forschungsfreiheit schützt, so kommt man bei kritischer Betrachtung zu dem Schluß, daß die Ausweitung der Forschungsfreiheit auf Kosten der Menschenwürde bewirkt würde. Dies schien allen Kräften in diesem Hause nicht hinnehmbar. Die Debatte hier im Hause und in den Ausschüssen sowie nicht zuletzt die öffentliche Anhörung am 17. Mai hat unsere Sachkenntnis gefördert. Sie hat uns aber auch deutlich gemacht, daß eine Reihe unserer Fragen im Bereich der biologischen und medizinischen Forschung nicht befriedigend beantwortet werden können. Dies hat zu der jetzt vorliegenden Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses geführt. Sie enthält Forderungen, die wir begrüßen und unterstützen, etwa was die Konkretisierung der Eingriffsmöglichkeiten in Individualrechte in Artikel 2 Abs. 2 betrifft. Wir sind allerdings der Meinung, daß Eingriffe an einwilligungsunfähigen Personen, die nicht deren unmittelbarem Nutzen dienen, ausgeschlossen werden sollten. Insofern bedauern wir, daß die im Ausschuß für Gesundheit mehrheitlich angenommene Formulierung nicht in die Beschlußempfehlung aufgenommen wurde. Wir sind weiterhin der Meinung, daß Verstöße gegen die Konvention wirksam sanktioniert werden müssen und daß den möglichen Opfern von Verstö- Ben gegen die Konvention weitestgehender und wirksamer Rechtsschutz gewährleistet werden muß. Auch wir erheben die Forderung, ein Verbot der Patentierung von Genen in die Konvention selbst aufzunehmen. Der Verweis auf die noch ausstehenden Protokolle überzeugt in diesem Zusammenhang keineswegs. Dieses Problem ist nicht weniger grundsätzlich und bedeutend als andere in der Konvention ausdrücklich geregelte Gegenstände. Auch hinsichtlich des Datenschutzes halten wir die vom Gesundheitsausschuß vorgeschlagene Formulierung für überzeugender. Die Anhörung hat erneut deutlich gemacht, daß fortwährend in hohem Tempo durch die internationale Forschung auf biologischem und medizinischem Gebiet Tatsachen geschaffen werden, die die Bioethik-Konvention überholen. Insofern ist die Formulierung der Beschlußempfehlung, es solle ohne Zeit- und Termindruck weiter verhandelt werden, zumindest problematisch. Es muß natürlich ein substantieller Fortschritt erreicht werden. Aber die Entwicklung drangt auch zu einem schnellen Ergebnis. Wegen der genannten weitergehenden Forderungen können wir der Beschlußempfehlung nicht zustimmen und werden uns der Stimme enthalten. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin der Justiz: Wir debattieren heute zum zweiten Mal über den vom Lenkungsausschuß für Bioethik beim Europarat ausgearbeiteten Entwurf der sogenannten Bioethik-Konvention. Als dieser in der Sitzung des Bundestages am 26. Januar 1995 erstmals behandelt wurde, zeigte sich bereits damals breite Übereinstimmung darin, daß dieser Entwurf so nicht Bestand haben könnte. Bedenken, die damals geäußert wurden, haben sich inzwischen verstärkt und sind schärfer konturiert herausgearbeitet worden, nicht zuletzt unter dem Eindruck des Ergebnisses der Sachverständigenanhörung, die am 17. Mai 1995 stattgefunden hat. Die Vorbehalte gegen den Entwurf haben nunmehr ihren Niederschlag in dem Entwurf einer Entschließung gefunden, die heute beschlossen werden soll. Ich hoffe, daß diese Entschließung von möglichst vielen Kolleginnen und Kollegen mitgetragen werden kann. Ich hoffe dies, weil ich der Auffassung bin, daß es nunmehr gelungen ist, die für Deutschland wichtigsten Ziele für die Verhandlungen in Straßburg, und zwar weitestgehend einvernehmlich, zu konkretisieren. Ich empfinde Genugtuung, daß sich keine wesentlichen Diskrepanzen zwischen der Auffassung des Parlaments und meiner Auffassung, wie sie auch bisher in Straßburg vertreten worden ist, ergeben haben. Wir sind uns über die Parteigrenzen hinweg alle darüber einig, daß erstens der Schutz einwilligungsunfähiger Personen, der im Entwurf des Lenkungsausschusses nicht befriedigend geregelt ist, wesentlich verstärkt werden muß, daß es zweitens mit uns kein Zurückgehen hinter dem mit dem Embryonenschutzgesetz erreichten Schutzstandard geben wird und daß drittens die Grenzen der Zulässigkeit von Gentests verdeutlicht werden müssen sowie die. Weitergabe der Ergebnisse solcher Tests nur ganz ausnahmsweise zulässig sein darf und im übrigen an strenge Voraussetzungen zu binden ist. Auch zu den übrigen in dem Entschließungsantrag angesprochenen Vorschriften, zu denen Änderungsbedarf angemeldet wird, kann ich feststellen, daß keine grundlegenden Auffassungsunterschiede bestehen. Das gilt insbesondere für die folgenden Punkte. Erstens. Auch nach meiner Auffassung ist es dringend erforderlich klarzustellen, in welchen Fällen im einzelnen ein Abweichen von Rechten und Grundsätzen, die in der Konvention festgelegt werden, erlaubt sein soll, wie es in Art. 2 Abs. 2 festgelegt ist. Zweitens. Das Verbot der Keimbahntherapie in Art. 16 darf in gar keiner Weise in Frage gestellt werden, auch nicht etwa durch abschwächende Bemerkungen im erläuternden Bericht, was die deutsche Delegation im Lenkungsausschuß bisher hat verhindern können. Nebenbei: Meines Wissens hat sich kein Parlament eines anderen Mitgliedstaates des Europarats - und vor allem nicht so intensiv - mit dem Konventionsentwurf befaßt wie der Deutsche Bundestag. Ich habe von dieser Stelle aus am 26. Januar 1995 gesagt, daß ich die Debatte über den Konventionsentwurf im Bundestag begrüße und hoffe, daß die Position der Bundesregierung durch Beratungen in den Ausschüssen und durch eine hoffentlich breite Konsensfindung Unterstützung erfährt. Diese Hoffnung hat sich erfüllt. Ich bin sicher, daß eine Entschließung des Deutschen Bundestages, wie sie jetzt zur Beschlußfassung ansteht, ihren Eindruck nicht verfehlen wird und die Position der deutschen Delegation bei den weiteren Beratungen im Lenkungsausschuß wesentlich verbessert. Dafür habe ich zu danken. Besonders dankbar bin ich aber auch den Berichterstattern dafür, daß es ihnen gelungen ist, einen Text auszuarbeiten, der von einem breiten Konsens getragen wird und der hoffentlich auch weitestgehend Zustimmung findet. Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 15 (Steuerliches Korruptionsbekämpfungsgesetz) Dr. Susanne Tiemann (CDU/CSU): Bestechung und Korruption sind nicht nur wie „Rostfraß", wie der Präsident des Bundeskriminalamts sagt. Sie sind eine grobe Verletzung der Treuhänderstellung, die jeder Amtsträger einnimmt. Sie kosten unter Umständen viel Geld für die Steuerzahler. Sie erzeugen Ungerechtigkeiten des staatlichen Handelns, und jeder Bürger fragt sich, wieso er sich eigentlich rechtmäßig verhalten soll, wenn in und um Amtsstuben herum Korruption gewittert werden muß. Dann kommt er sich nämlich als der Dumme vor. Es ist eine alte Weisheit: Der Staat muß immer und überall mit gutem Beispiel vorangehen, wenn er seinen Bürgern redliches Handelns abfordern will. Nun ist unser öffentlicher Dienst nicht insgesamt von korrupten Amtsträgern durchsetzt. Panikmache ist hier ebensowenig angezeigt wie auf allen anderen Gebieten, ja ist unverantwortlich, weil sie zu weiterem Vertrauensschwund gegenüber staatlichem Handeln beiträgt. Aber den schwarzen Schafen, die es eben gibt, und manchmal nicht zu knapp, muß das Handwerk gelegt werden, und wo ein Sumpf besteht, muß er ausgetrocknet werden. Denn schon ein einziger Korruptionsfall ist einer zuviel. Nur: Der vorliegende Gesetzentwurf der SPD springt eindeutig zu kurz, um das Problem wirksam anzugehen. Er bezieht sich allein auf die steuerliche Seite des Problems, zu dem mein Kollege Michelbach ja schon Stellung genommen hat. Es bedarf schon erheblich weitergehender Überlegungen, bevor durch ein Abzugsverbot vom Nettoprinzip unseres Steuerrechts und von seiner moralischen Neutralität des „non olet" abgewichen werden könnte. Schmiergelder werden eben in den anderen Industrienationen im wesentlichen wie bei uns als Betriebsausgaben anerkannt. Die Bundesrepublik Deutschland arbeitet deshalb in der Arbeitsgruppe der OECD-Staaten mit, um eine internationale einheitliche Regelung zu erreichen, die dann eben nicht deutsche Exportunternehmen gegenüber ausländischen Unternehmen im Regen stehen läßt, das heißt, Wettbewerbsnachteile mit allen unkalkulierbaren Folgen für die Arbeitsplätze aussetzt. Um Korruption wirksam zu Leibe zu rücken, ist aber mehr nötig. Wir prüfen derzeit ein ganzes Paket von Maßnahmen: Diese beginnen bei der Sensibilisierung der Öffentlichkeit für das Problem. Denn Korruption ist bei uns vor allem bei der Vergabe von Bauaufträgen, Führerscheinen, Fahrzeugpapieren, Aufenthaltsgenehmigungen und Sozialwohnungen anzusiedeln, und zwei Drittel der Bestechungsversuche werden spontan gemacht. Hier muß jeder wissen, daß er kein Kavaliersdelikt begeht, und in der öffentlichen Meinung darf Korruption nicht als clever gelten, sondern als schweres Vergehen gegen die Allgemeinheit. Was aber die organisierte Korruption angeht, so müssen ganz allgemein die Prävention und die Aufdeckungsmöglichkeiten verbessert werden. So müssen wir alle Kontrollmöglichkeiten stärken einschließlich der Innenrevision der Behörden. Überlegt werden muß in diesem Zusammenhang eine Zusammenführung des Sachverstandes - von Rechnungshöfen, Strafverfolgungsbehörden, Finanzämtern und Kartellämtern. Allerdings muß größte Zurückhaltung bestehen, auf diese Weise das Steuergeheimnis allgemein zu durchbrechen, auch wenn dies zum Zwecke der Korruptionsbekämpfung geschähe. Überlegt werden muß die Einrichtung von Vergabeausschüssen für bestimmte Baubereiche ebenso wie die Trennung der Genehmigungen für die Bauplanung und die Ausführung. Auch eine häufige Rotation der die Genehmigung erteilenden Beamten könnte helfen. Erforderlich ist aus meiner Sicht auf jeden Fall, die geltenden Strafbestimmungen für Bestechung und Vorteilsannahme erheblich zu verschärfen, und zwar auf hohe Geldstrafen und Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr. Dies würde nämlich bedeuten, daß dann der bestochene Beamte unmittelbar sein Amt verlieren würde. Dies ist eine Folge, die wir fordern müssen, um die Integrität des öffentlichen Dienstes zu wahren. Keiner kann Verständnis dafür haben, wenn bestechliche Amtsträger dann auch noch gewissermaßen am Tatort weiterwirken können. Dabei ist es ja keineswegs so, daß das Problem nicht schon sehr viel früher erkannt worden wäre und nicht heute schon Abwehrmaßnahmen gegen die Korruption getroffen würden. Jetzt schon - vergessen wir es nicht - ist die Unterrichtung über die strafrechtlichen und disziplinarischen Konsequenzen einer Vorteilsannahme obligatorischer Bestandteil berufsqualifizierender Aus- und Fortbildung in der öffentlichen Verwaltung. Jetzt schon gibt es die Verdingungsordnungen für die Vergabe öffentlicher Aufträge, die der Korruption vorbeugen, und nach dem Haushaltsgrundsätzegesetz können Vergabeverfahren seit relativ kurzer Zeit durch neutrale Stellen auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft werden. Rufen wir also nicht gleich auf der ganzen Ebene nach neuen Bestimmungen und Sanktionen, obwohl dies natürlich immer das Leichteste ist! Nicht unbedingt neue Vorschriften sind in unserem ohnehin schon allzu dichten deutschen Regelungswald angezeigt. Vielmehr muß in jedem Fall gewährleistet werden, daß die Vorschriften, die bereits bestehen, strikt eingehalten werden. Hierauf müssen wir das ständige Augenmerk legen. Unbedingt nötig ist darüber hinaus eine aussagekräftige Strafverfolgungsstatistik, wie sie gegenwärtig entwickelt wird. Sie soll künftig die Fälle Bestechung gesondert ausweisen. Außerdem soll ein Bundeslagebild „Korruption" im Bundeskriminalamt erstellt werden. Beides ist in Vorbereitung. Nun zum internationalen Bereich: In den Mitgliedstaaten der Europäischen Union wird auf Grund des Beschlusses des Rates vom Dezember 1994 eine Ausdehnung der Bestechungsdelikte auf Amtsträger der Europäischen Union erfolgen. Eine solche Regelung kann freilich nicht so ohne weiteres auch auf NichtEU-Staaten ausgedehnt werden. Hierfür muß im Rahmen der Arbeitsgemeinschaft der OECD verhandelt werden. Fest steht: Maßnahmen gegen Korruption im internationalen Wirtschaftsverkehr können nachhaltig nur im multilateralen Rahmen ergriffen werden. Es nützt nichts, allein auf weiter Flur hehre Grundsätze für die Sauberkeit der öffentlichen Amtsträger zu verkünden, so richtig sie sein mögen. An deutschen Sauberkeitsforderungen und -bestimmungen wird die Welt - und schon gar nicht außerhalb Europas - nicht genesen, auch wenn wir dies gern hätten. Bis heute teilen uns die meisten anderen Länder nicht einmal ihre Erkenntnisse über Bestechungs- und Korruptionsfälle mit. Die Bundesrepublik Deutschland arbeitet deshalb auf eine Vereinbarung im Rah- men der OECD hin. Denn Verhaltensweisen wie Bestechung sind dazu geeignet, wie die OECD festgestellt hat, „die Entwicklung des internationalen Handels und der Investitionen durch die Erhöhung der Kosten von Transaktionen und die Verzerrung der Wirkung von freien Märkten zu behindern". Multilateral muß geprüft werden, wie Bestechung und Vorteilsannahme auch über die nationalen Rechtsordnungen hinweg unter Strafe gestellt werden können, d. h. auch die Bestechung eines ausländischen Amtsträgers. Denn nach wie vor gilt der Grundsatz: Jeder Staat ist für die Bestrafung seiner eigenen Bürger zuständig. Eine unmögliche Vorstellung wäre es, wenn der deutsche Bürger wegen Bestechung bestraft wird, der ausländische Beamte wegen der entsprechenden Vorteilsannahme jedoch nicht. Dies wäre aber die Folge eines nationalen Alleingangs. Wir sind uns alle darüber einig: Die Bekämpfung der Korruption ist eine gesellschaftspolitisch ganz besonders wichtige Aufgabe, für die wir alle Verantwortung tragen. Um sie zu bewältigen, müssen alle diejenigen zusammenarbeiten, denen das öffentliche Vertrauen in die Integrität der Amtsführung des öffentlichen Dienstes ein Anliegen ist. Viel hängt für unseren Rechtsstaat davon ab, wie wir hier vorgehen und wie effizient wir dabei sind. Ihr vorliegender Entwurf bringt dabei viel zuwenig. Die Regierungskoalition ist dabei, ein wirksames Maßnahmenpaket auszuarbeiten und in Kürze vorzulegen. Dr. Winfried Pinger (CDU/CSU): Die Bundesregie- rung hat zusammen mit den anderen OECD-Partnern am 27. Mai 1994 Empfehlungen zur Bekämpfung der internationalen Korruption beschlossen. Diese Initiative wird von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion nachdrücklich begrüßt. Nach den Aussagen von Experten nimmt die schwere Korruption international zu. Wurden früher noch ca. 2 % der Auftragssumme als „Schmiergeld" gezahlt, so sind es heute zum Teil 15 bis 20 %. Das heißt, es fließen oft Millionen-Beträge an hohe Staatsbeamte in den Entwicklungsländern. Dadurch werden Aufträge für unsinnige Millionen-Projekte erteilt oder sinnvolle Vorhaben zu weit überhöhten Preisen durchgeführt, die oft mit Entwicklungshilfegeldern gezahlt werden. Die Empfehlungen des OECD-Ministerrates müssen in nationales Recht umgesetzt werden. Hier helfen keine Alleingänge, auch nicht der Bundesrepublik Deutschland. Alleingänge hätten allenfalls eine eingeschränkte Wirkung und würden vor allem Wettbewerbsverzerrungen zu Lasten der deutschen Unternehmen verursachen. Die Umsetzung des OECD-Beschlusses hat sich nach der Empfehlung des Rates auf das Strafrecht, das Steuerrecht und auf zivilrechtliche Regelungen zu erstrecken. Die hier notwendigen Veränderungen müssen möglichst gleichzeitig in Kraft treten. Ein abgestimmtes Verhalten der wichtigsten OECD-Länder ist nicht im Schnellverfahren zu erreichen. Die Straftatbestände, steuerrechtlichen Regelungen und zivilrechtlichen Sanktionsmechanismen sind in den einzelnen OECD-Ländern außerordentlich unterschiedlich. Exakt gleiche Regelungen werden nicht erreichbar sein. Sie müssen jedoch gleichartig sein und möglichst gleiche Wirkung ent- falten. Die Bundesregierung befindet sich zusammen mit den anderen OECD-Ländern in den notwendigen, schwierigen Abstimmungsprozessen. Die SPD-Opposition und die Grünen verlangen nun aus populistischen Gründen einen Schnellschuß und einen Alleingang der Bundesrepublik. Wo nur mit fundiertem Sachwissen und präziser Formulierung durchgreifende Regelungen gefunden werden können, soll jetzt mit heißer Nadel genäht werden, um innenpolitisch Aufmerksamkeit und Zustimmung zu erheischen. Dies lehnen wir ab. Die CDU/CSU-Fraktion wird die Bundesregierung bei der schwierigen Aufgabe der Bekämpfung der internationalen Korruption weiterhin unterstützen. Sie erwartet von allen OECD-Ländern ernsthafte Bemühungen, um die in den Empfehlungen angesprochenen Ziele so bald wie möglich zu erreichen. Das Phänomen der internationalen Korruption kann jedoch nicht nur über Strafrecht, Steuerrecht und zivilrechtliche Sanktionsmechanismen bekämpft werden. Es ist notwendig, das Übel an der Wurzel zu packen. Gründe für weite Verbreitung dieses Phänomens in der Dritten Welt sind: stark verbreitete staatswirtschaftliche Strukturen, weitgehend unkontrolliert regierende und entscheidende Machteliten. Mit der neuen Entwicklungspolitik haben wir hierzu wichtige Akzente gesetzt: marktwirtschaftliche Strukturen mit echtem Leistungswettbewerb, Partizipation auch der großen Bevölkerungsmehrheit der Armen und Ärmsten - das bedeutet auch Transparenz von Entscheidungen und Kontrolle dieser Entscheidungen -, Entstaatlichung der EZ soweit möglich, unmittelbare Zusammenarbeit mit den Selbsthilfegruppen und Selbstverwaltungsorganisationen vor Ort, Unterstützung beim Aufbau einer leistungsfähigen, an die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit gebundenen Verwaltung, Dezentralisierung und kommunale Selbstverwaltung mit einer unmittelbaren Verantwortlichkeit und Überprüfbarkeit der Entscheidungselifen. Und vor allem Anwendung des Kriterienkataloges mit einer regionalen und sektoralen Konzentration der EZ-Mittel auf reformbereite Länder, Aufbau einer korruptionsfreien Verwaltung. Diese Elemente der neuen Entwicklungspolitik sollen auch stärker auf internationaler Ebene umgesetzt werden. Restriktive Positionen zur Mittelaufstockung für EEF sollen gezielteren Mitteleinsatz auch dort bewirken. Damit Möglichkeiten für Mißbrauch einschränken. Die SPD hat leider nur allzu oft auf eine EZ über und durch den Staat gesetzt. Nicht nur falscher entwicklungspolitischer Ansatz, sondern auch scheunengroßes Einfallstor für Mißbrauch, Bestechung und Korruption. Fazit: Notwendig ist eine Doppelstrategie: 1. Vor allem Ursachen des Übels bekämpfen, 2. ergänzend dazu strafrechtliche und steuerrechtliche Sanktionen, zivilrechtlichen Schutz entziehen. Bei dieser Doppelstrategie wird die CDU/CSU die Bundesregierung unterstützen. Wir hoffen sehr, daß wir nach se- riösen Vorbereitungen bereits in absehbarer Zeit zu wirksamen Erfolgen und guten Ergebnissen kommen. Hans Michelbach (CDU/CSU): Vertreter der deutschen Wirtschaft sind weltweit angesehene Partner. Gelobt werden Disziplin, Korrektheit, Verläßlichkeit und hohe Zahlungsmoral. Wir bauen auf eine freiheitliche, eigenverantwortliche und marktwirtschaftliche Unternehmerethik in Verbindung mit einer konsequenten Verfolgung von Mißbrauch und Korruption. Von erfolgreicher Korruptionsbekämpfung profitiert die deutsche Wirtschaft, denn Korruption verursacht Kosten und verschlechtert die fairen Wettbewerbschancen. Jedoch: Mit irreführenden Schlagzeilen wie „Schmiergelder sind steuerlich absetzbar", „Bonn fördert Schmiergeldzahlung", versucht die Opposition in diesem Zusammenhang, bei den Bürgern falsche Vorstellungen zu wecken und Emotionen zu schüren. Es muß hier einmal klar gesagt werden: Diese Meldungen sind schlichtweg falsch, denn Bestechungsgelder im engen Sinne sind steuerlich eben nicht abzugsfähig. Zahlungen werden doch in der kriminellen Praxis erst dadurch zu „Schmiergeldern", daß ihr Empfänger nicht benannt wird. Und gerade dann sind die Geldleistungen nach § 160 der Abgabenordnung nicht absetzbar und können eben gerade dann nicht steuerlich geltend gemacht werden. Wozu also die ganze Aufregung? Trotz aller Versuche der skandalträchtigen Aufarbeitung ist für Korruption im deutschen Wirtschaftslauf relativ wenig Platz, sie spielt im Vergleich zu anderen Ländern eine eher untergeordnete Rolle, und von sicher vorhandenen strafrechtlich relevanten Einzelfällen darf nicht auf die gesamte Wirtschaft geschlossen werden. Es ist der aktuellen Debatte über die steuerliche Abzugsfähigkeit von Betriebsausgaben aller Art sicherlich dienlich, wenn man sich einmal Gedanken über die Aufgaben des Steuerrechts macht und diese denen des Strafrechts gegenüberstellt. Steuer- und Strafrecht betreffen differierende Arbeitsfelder, sie werden verschiedenen Ansprüchen gerecht. Während es beim Steuerrecht um das „Grundprinzip der steuerlichen Gewinnermittlung" und damit völlig wertungsfrei um die steuerliche Erfassung auch des Einkommens aus gesetzes- oder sittenwidrigen Geschäften geht, ist es die Aufgabe des Strafrechts, Vergehen zu verfolgen und zu ahnden, also eine Bewertung z. B. von Einnahmequellen oder Zahlungen vorzunehmen. Besteuerung ist wertneutral, es gilt der Grundsatz der „Wertungsindifferenz", der in mehreren Urteilen ausdrücklich unterstrichen wurde. Es geht nicht um „ungestraft bestechen", sondern um „wirtschaftlich besteuern". Gemäß § 40 der Abgabenordnung ist es „für die Besteuerung unerheblich, ob ein Verhalten, das den Tatbestand eines Steuergesetzes ganz oder zum Teil erfüllt, gegen ein gesetzliches Gebot oder Verbot oder gegen die guten Sitten verstößt". So wird gewährleistet, daß derjenige, der durch eine strafbare Handlung einen Gewinn erzielt, nicht auch noch durch Steuerfreiheit der Erträge begünstigt wird, da es wohl sehr schwer zu vermitteln wäre, wenn der redliche Bürger der Steuerpflicht unterläge und der Kriminelle seine Gewinne steuerfrei erwirtschaften würde. Das Steuerrecht kann nicht nach der Moralgeschichte der Erträge fragen. Die Rolle des „Moralhüters" kann das Steuerrecht einfach nicht ausfüllen. Was soll es eigentlich noch alles leisten? Dagegen: Spezialprüfungen, Kronzeugenregelungen oder Ausschluß von Korruptionsfirmen bei öffentlichen Aufträgen sind der erfolgversprechende Weg zur Bekämpfung der Korruption. Die Damen und Herren von der Opposition sollten dagegen im Steuerrecht zunächst einmal wissen, daß Provisionszahlungen gem. § 4 Einkommensteuergesetz im Rahmen des Grundprinzips der steuerlichen Gewinnermittlung nur dann abzugsfähig sind, wenn sie „betrieblich veranlaßt sind", wie es im Gesetz heißt. Dies ist in erster Linie dann der Fall, wenn die Ausgaben dem korrekten Wirtschaftsstreben dienen oder Nachteile von Unternehmen abwenden sollen. Sie sollten auch erkennen und der Öffentlichkeit nicht verschweigen, daß die steuerliche Absetzfähigkeit nicht möglich ist, wenn der Empfänger der Gelder verschwiegen wird, und das ist - wie erwähnt - bei Bestechung in der Praxis immer der Fall. Es wird so deutlich, daß die heute geltende Steuervorschrift einen wesentlichen Vorteil hat: Sie muß den Empfänger der Gelder bekannt und den Fluß der Mittel transparent machen. Die Verabschiedung Ihres Gesetzes, meine Damen und Herren von der SPD, hätte gerade die Untergrabung einer möglichen Informationsquelle zur Folge und könnte erst recht zu mehr Illegalität und krimineller Schattenwirtschaft führen. Da im Inland der Empfänger der Zahlungen im Steuerrecht ja auch der Steuerpflicht unterliegt, gehen dem Staat im Inland darüber hinaus auch keine legalen Einnahmen verloren, obwohl Sie dies behaupten. Sie sollten in den Medien keine polemischen Scheinrechnungen zu möglichen Verlusten aufstellen, die sich angeblich aus dem geltenden Recht ergeben. Ein weiterer, interessanter Aspekt ist im aktuellen Zusammenhang noch der des Steuergeheimnisses und konkret die Frage, ob die Finanzbehörden ihnen bekannte Bestechungsfälle an die Strafverfolgungsbehörden weiterleiten dürfen. Und das geltende Recht sagt: Sie dürfen! Voraussetzung dafür ist, daß ein „zwingendes öffentliches Interesse" besteht. Wozu dann überhaupt noch ein Steuergesetz, das nicht weiterhilft? Wir dürfen ein politisches Geschäft mit der Korruption nicht zulassen. Eine Kriminalisierung der steuerzahlenden Wirtschaft, wie sie von der Opposition versucht wird, müssen wir verhindern. Wir sollten anerkennen, daß in keinem Land der Welt das staatliche Auge der steuerlichen Korrektheit so wachsam ist wie in Deutschland. Überhaupt tut ein Blick über den deutschen Tellerrand auch beim Thema Korruption ganz gut und zeigt uns, wie unser System funktioniert. In einer Vielzahl von Ländern wird mit den Zahlungen genauso verfahren wie im deutschen Steuerrecht - sie werden wertneutral als Betriebsausgaben anerkannt. In einigen Fällen, wie z. B. den Niederlanden und unter gewissen Bedingungen auch in Belgien, ist sogar noch nicht einmal die Nennung der Empfänger erforderlich. Das halte ich zur Korruptionsbekämpfung allerdings für unbedingt notwendig. Ich frage Sie: Warum sollen die Deutschen wieder einmal einen nationalen, steuerrechtlichen Alleingang starten und dabei ihrer eigenen Wirtschaft und deren Wettbewerbsfähigkeit eventuell Schaden zufügen? Es versteht sich von selbst, daß ein deutsches Solo für die deutschen Betriebe eine drastische Benachteiligung gegenüber der ausländischen Konkurrenz bedeuten würde. Es ist zwar schwierig, Bewertungen über die Versagung des Betriebsausgabenabzugs der Gelder anzustellen, aber eines ist klar: Leidtragende werden die Unternehmen sein, die ohnehin schon eine tonnenschwere Steuerlast auf ihren Schultern tragen. Aber ihre „Unternehmerfreundlichkeit" hat die SPD ja bereits bei ihrer Dauerblokkade der Gewerbesteuerreform bewiesen. Ich freue mich, daß unsere Argumente nun endlich Wirkung gezeigt haben und hoffe, daß wir die Sache im Herbst zum Wohle der Wirtschaft und der Kommunen in Deutschland zum Abschluß bringen können. Die Deutschen werden in der Rolle des „Einzelkämpfers gegen Korruption" wenig Erfolg haben, da die Dimension des Problems zu groß ist für einsame steuerliche Initiativen à la SPD-Antrag. Korruptionsbekämpfung in Theorie und Praxis muß weltweit erfolgen, und ich halte die OECD hier für ein geeignetes Forum. Bereits im letzten Jahr haben sich die OECD-Staaten auf eine gemeinsame, multilaterale Bekämpfung der Korruption geeinigt. In einer Abschlußerklärung haben sie sich dazu verpflichtet, „konkrete und bedeutsame Schritte", wie es heißt, auf der jeweiligen nationalen Ebene zu unternehmen und diese in der Anerkennung ihrer gemeinsamen Verantwortung im internationalen Bereich zu verstärken. Der Antrag enthält u. a. eine Empfehlung zur Überprüfung der Steuergesetzgebung. Dies müssen dann alle gemeinsam tun. Ein Symposium zur internationalen Bekämpfung der Korruption, das die OECD vom 13. bis 14. März 1995 organisierte, war ein weiterer Schritt hin zu einer effektiven, konstruktiven multilateralen Zusammenarbeit. Mehr als 250 Teilnehmer aus der ganzen Welt diskutierten gemeinsam über Möglichkeiten der Korruptionsbekämpfung in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft. Man einigte sich auf die Bildung eines „Informellen Netzwerks", das unter Koordination der OECD dem multilateralen Austausch von Informationen und Erfahrungen dienen soll. Vereinzeltes Vorpreschen wie die heutigen Anträge werden zur Bekämpfung der Korruption nicht beitragen, erst die internationale Dimension macht Bestechung zum großen Problem. Internationale Fragestellungen verlangen internationale Antworten. Gefragt ist deshalb multilateraler Einsatz für ein weltweites Problem. Eine einseitige Diskriminierung der deutschen Wirtschaft darf es dabei nicht geben. Gisela Frick (F.D.P.): Wir beraten heute Anträge der Opposition zur Bekämpfung der Korruption, insbesondere den SPD-Entwurf eines Steuerlichen Korruptionsgesetzes. Auch wenn die Opposition das offensichtlich anders sieht, stelle ich hier klar: Auch die F.D.P. ist gegen Korruption - wie übrigens wohl alle Fraktionen hier im Hause. Uneinigkeit besteht allenfalls in der Frage der erforderlichen Maßnahmen zur wirksamen Bekämpfung der Korruption. Auch die F.D.P. sieht mit Sorge, daß einzelne spektakuläre Fälle geeignet sind, das Vertrauen der Bürger auf „saubere Entscheidungen" in der öffentlichen Verwaltung zu erschüttern, und damit den Eindruck erwecken, in einigen Bereichen sei das Zahlen von Schmier- und Bestechungsgeldern bereits gängiges Geschäftsgebaren. Andererseits möchte ich jedoch darauf hinweisen, daß nach einer Studie des BKA für das Bundesinnenministerium, in der die Korruptiondelikte für das Jahr 1994 erstmals statistisch erfaßt wurden, knapp 2 000 Fälle von Beamtenbestechung registriert wurden. In Relation zur Gesamtzahl der Beschäftigten im öffentlichen Dienst bewegen sich die registrierten Fälle unterhalb der 1-Promille-Grenze. In einer „Bananenrepublik" leben wir deshalb wohl nicht, aber die Entwicklung bereitet gleichwohl Anlaß zum Nachdenken über wirksame Gegenmaßnahmen. Die F.D.P. setzt dabei nicht so sehr auf strafrechtliche, sondern auf präventive Maßnahmen. Strafrecht kann präventive Maßnahmen nur flankieren, nicht aber ersetzen! Im übrigen gilt auch hier - wie sonst in der Kriminalitätsbekämpfung auch -, daß die bestehenden gesetzlichen Vorschriften zunächst konsequent angewendet werden müssen, ehe neue Strafvorschriften geschaffen werden. Präventionsmaßnahmen, wie wir sie befürworten, sollen bereits im Vorfeld korruptiven Verhaltensweisen den Boden entziehen und ein korruptionsanfälliges Umfeld gar nicht erst entstehen lassen. Das ist allemal wirksamer, als im nachhinein - und damit zu spät - mit den Mitteln des Strafrechts zu reagieren. Als konkrete Schritte schlagen wir vor: verstärkte Kontrolle bei der Auftragsvergabe, Rotation der mit der Auftragsvergabe befaßten Beamten, Ausschluß von der Bestechung überführten Unternehmen bei öffentlichen Vergabeverfahren in der Zukunft. Bei der steuerlichen Absetzbarkeit von Schmier- und Bestechungsgeldern als Betriebsausgaben wollen wir etwas differenzierter vorgehen, als es die Opposition in ihren Anträgen vorschlägt. Die geltende Rechtslage ist bekannt: Nach der Systematik des Steuerrechts sind Schmier- und Bestechungsgelder Betriebsausgaben im Sinne des § 4 Abs. 4 EStG, wenn sie durch den Betrieb veranlaßt sind. Grundsätzlich sind Betriebsausgaben für ein Unternehmen eher unerwünscht, da sie den Gewinn mindern. Kein Unternehmen wird sich deshalb danach drängen, Schmier- und Bestechungsgelder zu verteilen, wenn es sich davon nicht konkrete Vorteile für die Auftragvergabe verspricht. Das Unternehmen will mit dem Zahlen sogenannter „nützlicher Abgaben" sozusagen mit dem „Speck nach der Wurst werfen". Damit handelt es sich bei diesen Zahlungen dem Grundsatz nach um Betriebsausgaben. Allerdings sind diese nur abzugsfähig, wenn gemäß § 160 AO der Empfänger dieser Leistungen benannt wird. Für den nationalen Bereich wird dieses Erfordernis eng gehandhabt, für den internationalen Bereich ist diese Verwaltungspraxis unter gewissen Voraussetzungen etwas großzügiger. Bisher sind wir davon ausgegangen, daß durch diese Pflicht, den Empfänger zu benennen, zumindest im Inland ein sehr gutes Regulativ vorhanden ist, Bestechen und Schmieren gerade nicht steuerlich zu honorieren, denn welcher Unternehmer gibt den Empfänger seiner Leistungen schon an und enttarnt damit sein illegales Verhalten? Allerdings müssen wir inzwischen doch zugestehen, daß mit der grundsätzlichen Abzugsfähigkeit solcher Schmiergelder unter Hinweis auf die „Wertneutralität" des Steuerrechts gemäß § 40 AO - pecunia non olet (Geld stinkt nicht), wußte schon der römische Kaiser Vespasian - in der Öffentlichkeit doch ein falsches Signal gesehen wird. Die Einheitlichkeit der Rechtsordnung läßt die Abziehbarkeit von Schmiergeldern im Steuerrecht als Wertungswiderspruch erscheinen, der in seiner Symbolwirkung in unserer Gesellschaft nicht unterschätzt werden darf. Deshalb soll auch nach den Vorstellungen der F.D.P. die Absetzbarkeit von Schmiergeldern im nationalen Bereich aufgehoben werden; insoweit könnten wir dem SPD-Antrag immerhin einiges abgewinnen, nicht aber, wenn es um die verlangten Aufzeichnungspflichten geht. Hier zeigt sich wieder einmal die „große Wirtschafts- und Realitätsnähe" der SPD: Denn welcher Unternehmer wird sich wohl - in Anbetracht steuerlicher und strafrechtlicher Sanktionen - um eine penible Aufzeichnung seiner illegalen Zahlungsströme bemühen? Was den internationalen Bereich angeht, sind wir allerdings der Auffassung, daß ein nationaler Alleingang nicht sinnvoll ist. Nur eine international verbindliche Regelung kann verhindern, daß unsere Unternehmen und damit auch unsere Arbeitsplätze beim Wettbewerb um internationale Aufträge einseitig benachteiligt werden. Die F.D.P. wird sich aber dafür einsetzen, daß die Bundesregierung im Rahmen der EU und insbesondere im Rahmen der OECD auf eine möglichst schnelle und einheitliche Regelung der steuerlichen Abzugsfähigkeit von Schmier- und Bestechungsgeldern dringt und dabei konstruktiv mitarbeitet. Bis zu einer solchen baldigen Regelung wollen wir in diesem internationalen Bereich keine Steuerrechtsänderung und erteilen insoweit den Anträgen der Opposition eine Absage. Auch der weiteren Aufweichung des Steuergeheimnisses durch einen neuen § 31 b AO können wir wegen seines unbestimmten Inhaltes nicht zustimmen. Der geltende § 30 Abs. 5 Nr. 5 Buchstabe b AO reicht aus, um entsprechende Kenntnisse der Finanzverwaltung in den einschlägigen Verfahren an die Staatsanwaltschaft weiterzuleiten. Eine weitere Klarstellung ist nach unserer Auffassung nicht notwendig. Für uns ist die Bekämpfung der Korruption ein überaus ernstes Anliegen. Wir wollen aber wirksame Maßnahmen und keine Alibiregelungen. Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 16 (Antrag: Keine Hermens-Bürgschaften für Handelsgeschäfte mit dem Iran) Erich G. Fritz (CDU/CSU): Uns verbindet mit den Verfassern des Antrages die Sorge um die Entwicklung der Menschenrechtssituation im Iran. Die Menschenrechtskommission des Wirtschafts- und Sozialrates der Vereinten Nationen hat in ihrer 51. Sitzung im März 1995 noch einmal dargestellt, in welcher Weise die Menschenrechte in der Islamischen Republik Iran verletzt werden durch die weiterhin hohe Zahl an Hinrichtungen, Folter, fehlende rechtliche Absicherung bei Gerichtsverfahren, die Diskriminierung von Minderheiten, Einschränkung der Meinungsfreiheit, Unterdrückung des Demonstrationsrechts und der Frauenrechte. Es besteht also weiterhin genügend Anlaß, sich mit der Situation im Iran auseinanderzusetzen und die Einhaltung der Menschenrechte in diesem Land einzufordern, das die Internationale Menschenrechtskonvention unterschrieben hat. Der Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fordert die Beschlußfassung, die Bundesregierung aufzufordern, umgehend mit den Mitgliedstaaten der EU ein abgestimmtes Konzept für Maßnahmen gegenüber dem Iran zu entwickeln, um auf eine Verbesserung der Menschenrechtssituation im Iran hinzuwirken. Die Auseinandersetzungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Iran in Sachen Menschenrechte haben seit der Errichtung des Khomeini-Regimes nie aufgehört. Die Bundesrepublik war an verschiedenen Anklagen von Menschenrechtseinrichtungen der Vereinten Nationen beteiligt. Das Vorgehen gegenüber dem Iran ist nach Aussagen der Bundesregierung mit den europäischen Partnern abgestimmt. ES gibt deshalb zur gegenwärtigen Situation keinen Bedarf an zusätzlicher Abstimmung gegenüber den Mitgliedstaaten der EU. Es gibt allerdings Bedarf, das weitere Vorgehen mit den USA abzustimmen, die ihre Haltung in letzter Zeit, vor allem wegen des Atomkraftwerkgeschäftes mit Rußland, geändert haben. Die Bundesre- gierung ist bemüht, eine abgestimmte Vorgehensweise auch weiterhin aufrechtzuerhalten. Im Rahmen der Entwicklung einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union wird auch die Frage der Durchsetzung der Menschenrechte auf der Tagesordnung stehen. Einen unmittelbaren Bedarf für die Entwicklung eines besonderen europäischen Konzeptes gegenüber dem Iran sieht meine Fraktion zur Zeit nicht. Wir unterstützen die Bemühungen der Bundesregierung, in einem kritischen Dialog auf den Iran einzuwirken. Sollte sich dieser Dialog immer stärker zu einem deutschen Monolog entwickeln, so muß neu darüber nachgedacht werden, ob es andere Vorgehensweisen gibt, die erfolgversprechender sind. In der weiterzuführenden Diskussion sollte die Bundesregierung in den nächsten Monaten auch deutlich klarstellen, wie ihr Verhältnis zur iranischen Oppositionsbewegung ist. Insbesondere sollte die Bundesregierung dem Eindruck entgegenwirken, sie sei in ihrer Haltung gegenüber der Oppositionsbewegung durch das iranische Regime unter Druck zu setzen. Das Vorgehen der Bundesregierung in der Auseinandersetzung um die Wiederherstellung der Menschenrechte im Iran muß zur gegenwärtigen Zeit auch vor dem Hintergrund des Friedensprozesses im Nahen Osten beurteilt werden. In dieser Zeit ist jede Gesprächsmöglichkeit mit dem Iran, die aufrechterhalten werden kann, auch zur Einflußnahme in dieser Frage zu nutzen. Der Iran versucht nach wie vor, den Friedensprozeß zu stören. Die Bundesregierung, die - wie der Bundestag - den Friedensprozeß im Nahen Osten mit allen Kräften unterstützt, ist deshalb gut beraten, ihre Einflußmöglichkeit auf den Iran zu nutzen, um eine Verhaltensänderung in Teheran zu erreichen. Diese Einflußnahme definiert sich zu einem Teil auch aus den vergleichsweise umfangreichen wirtschaftlichen Beziehungen mit dem Iran. Diese Wirtschaftsbeziehungen werden genau beobachtet und unterliegen, soweit es sich um empfindliche Güter handelt, strengster Überprüfung. Dennoch ist die Bundesregierung auch verpflichtet, alles zu tun, damit der Iran seinen Zahlungsverpflichtungen gegenüber Deutschland nachkommt. Aus diesem Grunde haben nach wie vor auch Hermes-Bürgschaften ihren Sinn. Wir lehnen deshalb den Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ab, sind uns aber in der Beurteilung der Menschenrechtssituation und dem Anspruch, etwas zur Verbesserung der Situation im Iran zu tun, einig. Siegmar Mosdorf (SPD): Beim Handel zwischen den Ländern hat sich schon immer die Frage gestellt, ob dabei nur ökonomische oder auch gesellschaftspolitische Kriterien zugrunde gelegt werden. Dabei gab es immer zwei Schulen. Die einen haben den Standpunkt vertreten, daß man Handel nur mit solchen Ländern betreiben kann, in denen Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gesichert sind, und daß zu den Ländern, in denen z. B. Menschenrechte eklatant verletzt werden, die Handelsbeziehungen eingefroren werden sollen. Die andere Schule hat den Standpunkt vertreten, daß Handel immer auch zu Beziehungen zwischen Individuen und zwischen Gesellschaften führt und daß damit mindestens Transparenz über die Verhältnisse in den jeweiligen Ländern hergestellt werden kann. Außerdem wurde von dieser Schule in den letzten Jahren immer nachdrücklicher auf den Erfolg des Konzepts „Wandel durch Annäherung", das der deutschen Ostpolitik in den 70er und 80er Jahren zugrunde lag, verwiesen. Ich neige eher zu dieser zweiten Schule, weil ich auch auf „Wandel durch Handel" setze. Allerdings darf es nach meiner Auffassung keine Ökonomie ohne Moral, keine Wirtschaft ohne Ethik geben. Deshalb muß insbesondere da, wo der Handel durch staatliche Instrumentarien unterstützt wird, sehr wohl geprüft werden, unter welchen Bedingungen der Handel stattfindet und welche Auswirkungen mit ihm auf die Entwicklung der Länder verbunden sind. Die Berichte über den Iran in den letzten Jahren sind sehr zwiespältig. Auf der einen Seite scheinen die fundamentalistischen Kräfte eher an Einfluß verloren zu haben, auf der anderen Seite ist der Bericht des UN-Berichterstatters für den Iran, Geynaldo Galindo Pohl, ein eindrückliches Dokument der alltäglichen Verletzung von Menschenrechten im Iran. Im Iran gibt es heute noch eklatante Menschenrechtsverletzungen, die Anwendung von Folter gegenüber Oppositionellen, inhumane Strafen, Bestrafung ohne Rechtsstaatlichkeit, und es werden außerdem viele Grundrechte nicht eingehalten. Das und andere Beweggründe haben die USA dazu geführt, jetzt ein Wirtschaftsembargo gegen den Iran zu verhangen. Die Bundesregierung hat für unsere entwicklungspolitische Zusammenarbeit im Oktober 1991 durch ihren Bundesminister Spranger fünf Kriterien für die Entwicklungszusammenarbeit formuliert: Menschenrechte, Beteiligung der Bevölkerung an politischen Entscheidungen, Rechtssicherheit, Wirtschafts- und Sozialordnung, Entwicklungsorientierung staatlichen Handelns. Dabei sind alle Menschenrechte und die Fragen der Rechtssicherheit sowie der Wirtschafts- und Sozialordnung orientiert an der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 sowie den beiden UN-Pakten von 1966 über bürgerliche und politische sowie über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. Trotz dieser Kriterien-Politik hat die Bundesregierung im Februar dieses Jahres die Hermes-Bedingungen für Iran-Geschäfte verbessert. Wie sehen nun die Fakten im Handel mit dem Iran aus? In den Jahren 1993 und 1994 hatte die Bundesrepublik Deutschland einen Import aus dem Iran in der Größenordnung von ungefähr 1,3 Milliarden DM. Im Jahre 1993 haben wir in den Iran für 4,1 Milliarden DM exportiert. Im Jahre 1994 betrug der Export knapp 2,6 Milliarden DM. Der Bürgschaftsrahmen beträgt bei kurzfristigen Geschäfen 50 Millionen DM, bei mittel- und langfristigen Geschäften 100 Milionen DM. Der kurzfristige Bürgschaftsrahmen ist ausgeschöpft, der mittel- und langfristige ist noch frei. In den nächsten Jahren wird der Iran für den Welthandel eine nicht unbedeutende Rolle bekommen. Dazu wird seine geostrategische Lage zwischen Orient und Okzident beitragen. Wir Sozialdemokraten sind für ein abgestimmtes Vorgehen in der Europäischen Union, weil ein Alleingang der Bundesrepublik Deutschland dann, wenn andere europäische Länder in diese Lücke hineingehen würden, weder positive Auswirkungen auf die Lage im Iran noch auf die Wirtschaft in Deutschland haben dürfte. Wir werden aber für die Überweisung dieses Antrages in die Ausschüsse stimmen, weil wir wollen, daß die eklatanten Verletzungen der Menschenrechte und der Grundrechte im Iran auf europäischer Ebene beraten werden und dann ein abgestimmtes Vorgehen vereinbart wird. Fest steht jedoch schon jetzt, daß bei der Genehmigung von Hermes-Bürgschaften an den Iran strikt darauf zu achten ist, daß keine Dual-use-Güter oder Technologien aus einem sensitiven Bereich für eine Förderung in den Iran für uns in Frage kommen. Uns ist eine Verbesserung der Grundrechts- und Menschenrechtssituation im Iran von großer Wichtigkeit. Wir werden auch sehr genau verfolgen, wie der han sich im Fall von Salman Rushdie weiter verhält. Außerdem verlangen wir von der Bundesregierung Aufklärung darüber, was an den Spekulationen dran ist, der deutsche Nachrichtendienst hätte mit dem iranischen Nachrichtendienst zusammengearbeitet, ihn unterstützt und mit ihm kooperiert. Auch diese Fragen müssen rückhaltlos aufgeklärt werden. Hier ist vor allem die Bundesregierung gefordert. Danach wird es darum gehen, in einem abgestimmten Verhalten die Linie der Europäischen Union festzulegen. Darüber hinaus raten wir der Bundesregierung, die selbst formulierten Kriterien für die Entwicklungszusammenarbeit auch ernst zu nehmen. Kriterien, die nur auf dem Papier stehen, sind Luftnummern. Kriterien, die einseitig nach parteipolitischen und ideologischen Kriterien angewandt werden, sind unglaubwürdig. Es wird jetzt darauf ankommen, die Entwicklung im Iran genau zu verfolgen, in Europa eine einheitliche Strategie festzulegen und von diesen Resultaten weitere Schritte abhängig zu machen. Amke Dietert-Scheuer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Im Februar diesen Jahres hat sich die Bundesregierung entschieden, die bis dahin eingefrorenen Hermes-Bürgschaften für Handelsgeschäfte mit dem Iran wieder aufzunehmen. 150 Millionen DM: keine aufsehenerregend große Summe, aber doch ein eindeutiges politisches Signal. Es stellt sich die Frage, was die Bundesregierung zu diesem Schritt bewogen hat. Die Lage der Menschenrechte im Iran hat sich in keiner Weise verbessert. Experten und Menschenrechtler berichten vielmehr von einer Verschärfung der Repression. Dabei geht es nicht vorrangig darum, islamische Wertvorstellungen umzusetzen. Die im Westen populäre Vorstellung einer mittelalterlichen Herrschaft der Mullahs ist weit entfernt von der politischen Realität im Iran. Das iranische Regime wird von einer modernen Elite gestellt, die die Religion instrumentalisiert, um durch Repression und Willkür eine Machtposition zu sichern, die durch die wirtschaftliche und politische Krise im Lande mehr und mehr geschwächt wird. Die umfangreichen Menschenrechtsverletzungen führten auf der diesjährigen Tagung der UN-Menschenrechtskommission in Genf zu einer Verurteilung des Iran. Sowohl von Amnesty International als auch vom bisherigen UN-Berichterstatter für den Iran, Galindo Pohl, dem seit seinem letzten Bericht die Einreise in den Iran nicht mehr gestattet wird, werden diese Menschenrechtsverletzungen unverändert dokumentiert. Sie müssen hier im einzelnen nicht aufgezählt werden. Für die Bundesregierung scheint diese Situation offensichtlich kein Hinderungsgrund zu sein, ihre Wirtschaftsbeziehungen mit dem Iran weiter auszubauen. Als Reaktion auf Kritik daran verweist sie in der Regel auf ihren angeblich mit der iranischen Regierung geführten kritischen Dialog" - eine Unternehmung, deren Ziele, deren Akteure und deren Ergebnisse allein der Bundesregierung bekannt sind und auch bleiben sollen, da nach ihrer Ansicht nur so ein Erfolg erzielt werden kann. Diese Geheimhaltungspolitik legt die Vermutung nahe, daß im Grunde genommen nichts geschieht. Selbst der wohlwollendste Beobachter kann sich nicht des Eindrucks erwehren, daß die Bundesregierung auch weiterhin konsequent ihre bisherige Linie verfolgt, nämlich in ihrer Außenpolitik der Wirtschaftspolitik eine eindeutige Priorität einzuräumen. Nun kann man ja durchaus darüber streiten, ob z. B. das US-Handelsembargo das richtige Mittel ist, die menschenrechtliche Situation im Iran zu verbessern. Wenn man, wie die Bundesregierung, diese Maßnahme ablehnt, reicht es auf der anderen Seite nicht aus, nur wieder auf den vielbeschworenen „kritischen Dialog" zu verweisen und im übrigen der deutschen Wirtschaft zu ermöglichen, völlig unbeeindruckt ihre Geschäfte zu machen, wenn nicht sogar noch von dem Handelsembargo zu profitieren. Motiv für das Einfrieren der Hermes-Bürgschaften war von vornherein nicht die menschenrechtliche Situation. Vielmehr ging die Deckungssperre, wie die Bundesregierung selbst erklärt hat, auf akute Zahlungsschwierigkeiten des Iran zurück. Daraus ergibt sich im Umkehrschluß ein weiteres Motiv für die Wiederaufnahme der Hermes-Bürgschaften. Der Iran leistet mittlerweile einen jährlichen Schuldendienst von 3,3 Milliarden DM. Dem Bundesfinanzminister wäre es schon unangenehm, wenn diese Zahlung ausbliebe. Die Bundesregierung weiß sich in ihrer Politik in engem Einvernehmen mit ihren europäischen Nachbarn. Auch der französische Außenminister Juppé setzt auf einen „kritischen Dialog" und gleichzeitig intensive Wirtschaftsbeziehungen mit Teheran. Ein gemeinsamer europäischer Versuch, in Sachen Menschenrechten gegenüber dem Iran tätig zu werden, ist zumindest am 22. Juni diesen Jahres in Paris gescheitert. Die Verhandlungen mit Vertretern der iranischen Regierung, eine Aufhebung der Fatwa gegen Salman Rushdie zu erwirken, sind erfolglos geblieben. So begrüßenswert es ist, daß es hier eine gemeinsame europäische Initiative gab, als punktuelle Maßnahme reicht sie nicht aus. Nur durch einen differenzierten, innerhalb der EU-Staaten gemeinsam abgestimmten Katalog von Maßnahmen und Konditionierungen kann die iranische Regierung zu einem Kurswechsel in ihrer Menschenrechtspolitik gebracht werden. Wir plädieren nicht dafür, eine Isolierung des Irans zu betreiben, vielmehr muß der Dialog mit veränderungsbereiten demokratischen Kräften in der iranischen Gesellschaft gesucht werden. Eine Wiederaufnahme der Gewährung von Hermes-Bürgschaften ohne eine Veränderung im Menschenrechtsbereich ist jedoch das falsche Signal und gibt ein mögliches Druckmittel leichtfertig aus der Hand. Paul K. Friedhoff (F.D.P.): „Keine Hermes-Bürgschaften für Handelsgeschäfte mit dem Iran" lautet der moralische Imperativ. Nicht von Mensch zu Mensch Waren gegen Geld sollen wir tauschen, sondern vage darauf hoffen, für einen Boykott Menschenrechte zu erlösen. Nicht, daß hier ein Mißverständnis entsteht: Die F.D.P.-Fraktion läßt sich in ihrem Eintreten für Menschenrechte von niemandem übertreffen. Nur, im Gegensatz zu anderen verlieren wir die Beziehung zwischen Ziel und Mittel nicht aus den Augen. Dies ist das eine. Das andere ist: Moral ist doch wohl unteilbar. Und wenn das so ist, müssen wir für unsere Politik die Folgen bedenken, die unser Handeln im Iran und in Deutschland hat. Wer diesen Antrag unterstützt, muß doch wohl der Meinung sein, daß wirtschaftliche Boykottmaßnahmen dazu beitragen, die Menschenrechtssituation im Iran zu verbessern. Wenn wir zurückschauen, werden wir jedoch feststellen müssen, daß das Abschotten eines Landes eher zur Radikalisierung der Unterdrückungsmaßnahmen der Machthaber führt. Friedlicher Warenaustausch kann dagegen viel eher durch den Ausbau von Beziehungen und das Vorleben menschenrechtsorientierter Werte dazu beitragen, in einem anderen Land ein Klima der Veränderung zu erzeugen. Ich kann mich nicht erinnern, daß die Politik der sozialliberalen Koalition ebenso wie die Politik der gegenwärtigen Koalition gegenüber den Staaten des damaligen Ostblocks seitens der Grünen mit der Forderung nach Boykottmaßnahmen begleitet wurde. Was aber wird passieren, wenn wir dem Antrag folgen würden? Nun, durch neue Hermes-Deckungen kann die Einbringlichkeit unserer hohen Iran-Forderungen gesichert werden. Wer dies gefährden will, erweist der deutschen Wirtschaft in schwierigen Zeiten einen Bärendienst. Handeln wir jetzt nicht, drohen zahlreiche Projekte, die wegen der Aufhebung der Deckungsmöglichkeiten nicht fertiggestellt werden konnten, zu Investitionsruinen zu werden. Daß dadurch der Ruf der deutschen Industrie nachhaltig geschädigt würde, muß ich wohl nicht weiter ausführen. Viele deutsche Unternehmen, die traditionelle Lieferbeziehungen mit dem Iran unterhalten, sind durch die Aufhebung von Deckungsmöglichkeiten in Absatz- und Beschäftigungsschwierigkeiten geraten. Mit der Entscheidung der Bundesregierung vom 15. Februar, erneut Deckungsmöglichkeiten zur Verfügung zu stellen, ist wieder ein gutes Stück Berechenbarkeit in die Handelspolitik gegenüber dem Iran zurückgekehrt, das den deutschen Unternehmen hilft, ihre Märkte zu halten und so Beschäftigung in Deutschland zu sichern. Welchem deutschen Exporteur möchten Sie die Aufrechterhaltung der Hermes-Sperre erklären, wenn gleichzeitig ein lebhafter, vor allem auf Produkte der Spitzentechnologie konzentrierter Iran-Handel der USA floriert? Möchten Sie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Unternehmen, die dann nicht mehr konkurrieren dürfen, erklären, ihre Arbeitsplätze seien geopfert worden für eine Menschenrechtsdividende, deren Auszahlung aller Erfahrung nach nicht erfolgen wird? Die Fraktion der F.D.P. möchte das nicht. Die Deckungspolitik der Bundesregierung unterliegt einer laufenden Prüfung. Jeder Fall wird sorgfältig nach Projekt und Warenart geprüft. Unsere Exportbestimmungen stehen gewiß nicht in dem Ruf laxer Fahrlässigkeit. Auch andere Staaten übernehmen bereits wieder in beschränktem Umfang Iran-Deckungen; ich denke an Frankreich, die Schweiz, Österreich. Alle diese Gründe sprechen dafür, die HermesBürgschaften für Handelsgeschäfte mit dem Iran nicht zurückzunehmen. Wir würden nichts gewinnen und viel verlieren. Für jeden, der Verantwortung trägt und ernst nimmt, ist die Art von Symbolpolitik, die aus •dem Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht, keine Handlungsalternative. Dr. Winfried Wolf (PDS): Gestatten Sie mir zu Beginn ein Zitat: „Im ewigen Kampf zwischen der Schönheit der Welt und ihrer Grausamkeit gewann die Grausamkeit täglich an Boden." Dieser Satz findet sich in den „Satanischen Versen" an der Stelle, wo Salman Rushdie ein Massaker, begangen von Hindus an Moslems, und Attacken gegen einen „liberalen" Politiker, begangen von islamischen Fundamentalisten beschreibt. Bekanntlich sprach die iranische Führung 1989 einen Mordaufruf gegen Salman Rushdie, den Advokaten der Toleranz, aus. Bekanntlich hat das Regime in Teheran dieses „Todesurteil" oder auch Fatwa immer wieder bestätigt, so vor wenigen Tagen in einem Interview, das die staatliche Nachrichtenagentur Irna mit dem Vizeaußenminister des Iran, Vaesi, geführt hatte. Bekanntlich ist die Bundesrepublik Deutschland - je nach Statistik - der wichtigste oder zweitwichtigste Handelspartner des Iran. Bekanntlich kommt der Iran seit einigen Monaten wieder in den Genuß von Hermes-Bürgschaften, d. h., deutsche Exporte in den Iran werden steuerlich abgesichert. Zur Diskussion steht heute ein ebenso richtiger wie dürftiger Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Richtig ist: Solche Hermes-Kredite sind abzulehnen. Es ist widersinnig, wenn in der Erklärung des G 7-Treffens von Halifax einerseits steht: „Wir fordern die iranische Regierung auf, dem Terrorismus eine Absage zu erteilen und insbesondere den fortlaufenden Morddrohungen gegen Salman Rushdie und anderen ... ihre Unterstützung zu entziehen." und andererseits mit diesem Regime privilegierte Wirtschaftsbeziehungen unterhalten werden. Soweit also uneingeschränkte Zustimmung zu dem Antrag der Grünen. Dürftig an dem Antrag ist: Seine Beschränkungen auf die Hermes-Kredite und die nur ausschnitthafte Darstellung der Menschenrechtssituation im Iran und der gefährlichen Dimension der deutsch-iranischen Zusammenarbeit. In dem Antrag tauchen nicht auf die deutsche-iranische nukleare Zusammenarbeit, die teilweise über Rußland vermittelt läuft; das Thema Rush die; die Weigerung der Lufthansa, Rush die zu befördern; die Aussageverweigerung deutscher Beamten im Mykonos-Prozeß; das massive Entgegenkommen der Bundesregierung beim Umschuldungsabkommen des Iran 1993/94. Aus all diesen Punkten müssen heute konkrete Forderungen gegenüber dem Iran entwickelt werden. Sie laufen darauf hinaus, daß jede Art privilegierter Wirtschaftsbeziehungen zwischen dem Iran und der Bundesregierung abzulehnen sind. Die Grünen wollen laut Begründung ihres Antrags „prüfen", ob ein allgemeines Wirtschaftsembargo, wie seitens der US-Regierung gefordert und praktiziert, „eine geeignete Maßnahme zur Durchsetzung der Menschenrechte im Iran" sei. Unsere Prüfung ergibt hier einen negativen Befund. Ein solches allgemeines Embargo ist vielmehr geeignet, eine weitere Eskalation der Konflikte in dieser Region zu begünstigen. Es wirkt sich überwiegend negativ gegenüber der zivilen Bevölkerung aus. Im übrigen ist nicht zu erkennen, daß die Menschenrechtssituation in Saudi-Arabien eine qualitativ andere als die im Iran wäre. Allein diese Einseitigkeit spricht Bände über die Großmachtinteressenpolitik. Zum Schluß zurück zu den Hermes-Krediten. Wenn derart Exporte geschmiert werden und die Menschenrechtsfrage ausgeklammert erscheinen, dann fällt einem Karl Kraus' Zeilen aus dem Jahr 1917 ein: Ich geb mein deutsches Ehrenwort, Wir Deutschen brauchen mehr Export ... Wir schlagen uns mit Vehemenz .. . Wir schlagen kühn die Konkurrenz ... Krieg ... war einmal, doch jetzt ist's aus, Walhalla ist ein Warenhaus. Dr. Heinrich L. Kolb, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Die Bundesregierung teilt die Besorgnis der US-Regierung hinsichtlich der Verbreitung von Terrorismus, Fundamentalismus und Massenvernichtungswaffen. Auch die Bundesregierung ist nicht bereit, eine Politik zu unterstützen, die internationale Spannungen verschärft sowie Normen des Völkerrechts und weltweit anerkannte demokratische Grundwerte mißachtet. Deshalb verfolgt sie seit Jahren eine sehr restriktive Exportkontrollpolitik gegenüber dem Iran. Es werden auch in Zukunft keine Rüstungsexporte oder Exporte sensitiver Güter in den Iran von der Bundesregierung genehmigt werden. In Übereinstimmung mit den Partnern der Europäischen Union hält die Bundesregierung die Fortführung eines kritischen Dialogs mit Iran für sinnvoll. Ziel dieses Dialoges ist es, den Einfluß der gemäßigten Kräfte im Iran zu stärker. Diese Politik schließt die kontrollierte Aufrechterhaltung der wirtschaftlichen Beziehungen ein. Mit der begrenzten Öffnung von Hermes-Plafondmitteln sollen die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, die zum Stillstand geratenen Projekte fortzuführen. Zudem zeigen die Erfahrungen der jüngeren Geschichte, daß begrenzte ökonomische Sanktionen, wie die Verweigerung von Ausfuhrkreditbürgschaften - wenn überhaupt - nur geringe Wirksamkeit entfalten und den radikalen Kräften in dem betroffenen Land Auftrieb geben. Jedenfalls mobilisieren sie nicht die innerstaatlichen Gegner des jeweiligen Regimes. Dieses ist auch der Grund, warum sich die Bundesregierung nicht an dem totalen Embargo der USA beteiligen, das diese vor kurzem gegen den Iran verhängt haben. Die totale Verweigerung der Gewährung von Hermes-Bürgschaften für Handelsgeschäfte würde auch die privaten iranischen Besteller treffen, die nichts mit der Politik der iranischen Regierung zu tun haben. Dies wollen wir nicht. Entscheidend ist, daß keine sensitiven Waren in den Iran geliefert, geschweige denn mit Hermes-Bürgschaften unterstützt werden. Es liegt im Interesse dieser Politik, daß die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse im Iran gestärkt werden. Dazu gehören neben der Pflege der Wirtschaftsbeziehungen, soweit dadurch zivile Aktivitäten gestärkt werden, nun einmal auch ein Mindestmaß an Unterstützung für ausschließlich zivile Iran-Exporte. Gemessen am deutschen Iran-Exportvolumen und an der Größe und Bedeutung des Irans sind die Anfang dieses Jahres bereitgestellten Hermes-Plafondmittel von insgesamt 150 Millionen DM in ihrer Höhe ausgesprochen moderat. In diesem Zusammenhang sollte auch erwähnt werden, daß es erhebliche iranische Rückzahlungsverpflichtungen gegenüber Deutschland gibt, an deren Sicherung wir ein Interesse haben. Dem sollte eine angemessene Bereitstellung von Hermes-Deckungsmöglichkeiten entsprechen. Im übrigen verfolgt die Bundesregierung die Politik, die Höhe der Hermes-Bürgschaftsmittel für Iran-Geschäfte so auszugestalten, daß das langfristige Ziel, unser Iran-Obligo kontinuierlich abzubauen, erreicht wird. Ich meine daher, daß die besseren Gründe dafür sprechen, den Antrag der Fraktion von BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN abzulehnen. Anlage 9 zu Protokoll gegebene Reden zu Zusatztagesordnungspunkt 5 (Entwurf eines Gesetzes zur Ergänzung des Pflegeversicherungsgesetzes) Karl-Josef Laumann (CDU/CSU): Das Zustandekommen der Pflegeversicherung war von langwierigen politischen Auseinandersetzungen begleitet. Jetzt befinden wir uns in der Umsetzungsphase des PflegeVersicherungsgesetzes. Trotz nicht hinwegzudiskutierender Erfolge - z. B. Ende April etwa 1,1 Millionen Menschen im Leistungsbezug der Pflegeversicherung - gibt es auch Probleme, insbesondere beim Übergang von Sozialhilfeleistungen zu Pflegeversicherungsleistungen. Bei der Pflegeversicherung geht es um die Pflegebedürftigen und deren Angehörige, die oftmals in einer ganz schwierigen Lage sind. Dies muß jedem bewußt sein, der mit der Umsetzung der Pflegeversicherung betraut ist. Seine Devise muß darum lauten: Helfen, helfen, wo immer möglich. Von vielen Sozialhilfeträgern wird dies offenbar verkannt, wenn sie bereit sind, Zweifelsfragen, die sie mit der Besitzstandsregelung des PflegeVersicherungsgesetzes haben, auf dem Rücken der Behinderten und Pflegebedürftigen auszutragen. Die Besitzstandsregelung in Art. 51 PflegeVG wird - wie die Erfahrungen aus vielen Regionen zeigen - nicht entsprechend dem Willen des Gesetzgebers angewandt. Eingaben aus allen Teilen Deutschlands beklagen bitter, daß die Sozialhilfeträger bei der Anwendung der Besitzstandsregelung unterschiedlich verfahren und insbesondere dem vom BMG im Einvernehmen mit dem BMA verfaßten Rundschreiben vom 8. März 1995 oftmals keine Beachtung schenken. Viele Sozialhilfeträger haben ohne Rücksicht darauf ihre Leistungen eingestellt, obwohl alle Voraussetzungen für die vom Gesetzgeber gewollte Besitzstandswahrung nach Art. 51 PflegeVG vorliegen. Statt Sozialhilfe praktizieren die Sozialhilfeträger Sozialverweigerung. Angesichts dieser mit dem Pflege-Versicherungsgesetz nicht vereinbaren Verwaltungspraxis halten wir es für dringend geboten, daß der Deutsche Bundestag zur Wahrung der Rechte und des Wohls der Betroffenen ein deutliches Signal setzt und bekräftigt, was Inhalt der Besitzstandsregelung ist. Erstens. Art. 51 PflegeVG ist eine Besitzstandsregelung, die auf alle Personen Anwendung findet, die am 31. März 1995 Pflegegeld nach § 69 Bundessozialhilfegesetz alte Fassung erhalten haben. Zweitens. Die Besitzstandsregelung ist auch anzuwenden auf Personen, die nicht mindestens der Pflegestufe I - erheblich pflegebedürftig - nach dem SGB XI zuzuordnen sind. Auch der Personenkreis, der bisher keine Leistungen nach dem § 57 SGB V - Pflegegeld bei Schwerpflegebedürftigkeit im Rahmen der GKV- erhalten hat, fällt unter diese Regelung. Drittens. Ebenfalls erfaßt werden die Personen, bei denen infolge einer niedrigeren Einstufung nach dem SGB XI die dieser Zuordnung entsprechenden Einkommensgrenzen gemäß §§ 79, 81, BSHG überschritten werden. Die Besitzstandsregelung des Artikels 51 PflegeVG bezweckt, daß niemand durch die Schaffung der Pflegeversicherung schlechter gestellt werden soll. Wer also nach dem bisherigen Recht der Sozialhilfe höhere Leistungen beanspruchen konnte, als sie nach dem Pflege-Versicherungsgesetz zu gewähren sind, soll keinen Nachteil haben. Nachdrücklich zu kritisieren ist zudem die Verwaltungspraxis vieler Sozialhilfeträger, laufende Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz einfach einzustellen, obwohl Leistungen der Pflegeversicherung noch nicht erbracht wurden. Auch wenn über die oft sehr spät gestellten Anträge auf Leistungen der Pflegeversicherung noch nicht entscheiden werden konnte, rechtfertigt dies keinesfalls die allgemeine Einstellung der Hilfe zur Pflege durch die Sozialhilfeträger. Diese haben vielmehr bei unverändert fortbestehender Hilfebedürftigkeit auf Grund des Bedarfsdeckungsprinzips der Sozialhilfe die bisherigen Pflegeleistungen so lange in voller Höhe weiterzugewähren, bis der vorrangig verpflichtete Träger, die Pflegekasse, seine Leistungen tatsächlich zur Verfügung stellt. Dies allein entspricht der eindeutigen und durch eine ständige Rechtsprechung bestätigten Rechtslage. Um so mehr erwarten wir, daß sich die Sozialhilfeträger rechtmäßig verhalten und den Betroffenen die benötigten Leistungen weitergewähren. Es kann doch nicht in unserem Sinne sein, die Besitzstandsregelung in Art. 51 PflegeVG zu Lasten von Pflegebedürftigen oder Behinderten auszulegen oder ihnen gesetzlich vorgesehene Leistungen zu verweigern. Es ist jetzt dringend erforderlich, daß alle Sozaialhilfeträger dem Sinn und Zweck des Art. 51 PflegeVG Rechnung tragen. Auch die übergangsweise Weitergewährung von Sozialhilfeleistungen, bis diese durch die Leistungen der Pflegeversicherung abgelöst werden, darf keinem Zweifel unterliegen. Die vorliegende Entschließung will zum Wohle besonders betroffener Mitbürgerinnen und Mitbürger genau dies erreichen. Deshalb wird die CDU/CSU-Fraktion der Entschließung gemeinsam mit den anderen Fraktionen des Hohen Hauses zustimmen. Gerd Andres (SPD): Seit dem 1. April 1995 ist die erste Stufe der Pflegeversicherung in Kraft. Damit erhalten Behinderte und Pflegebedürftige erstmals Leistungen aus dieser neuen Pflegeversicherung. Allen am Beratungsverfahren Beteiligten war aus vielen Diskussionen, aus den Anhörungen, aus Fachdebatten und den Gesetzesberatungen klar: Mit der Einführung der Pflegeversicherung dürfen Behinderte und Pflegebedürftige, die bisher Leistungen aus anderen Gesetzen erhalten haben, nicht schlechter gestellt werden oder aus Leistungen herausfallen. Mit dem heutigen Entschließungsantrag verabschiedet der Deutsche Bundestag nach einem ungewöhnlichen Verfahren eine Position, mit der er dazu beitragen will, diesen politischen Willen des Gesetzgebers nochmals deutlich zu formulieren. Ungewöhnlich ist, daß sich der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung einstimmig auf diesen Entschließungsantrag verständigt hat. Ungewöhnlich ist auch, daß alle Fraktionen zugestimmt haben, daß dieser Entschließungsantrag noch auf die Tagesordnung des Deutschen Bundestages gesetzt wurde und damit noch vor der Sommerpause beraten und beschlossen werden kann. Die SPD-Bundestagsfraktion nimmt für sich in Anspruch, auf die Verabschiedung einer solchen Position noch vor der Sommerpause gedrungen und damit diese Entschließung initiiert zu haben, damit Rechtsunsicherheit und eine unterschiedliche Auslegung des Pflege-Versicherungsgesetzes ausgeschlossen werden. Das Pflege-Versicherungsgesetz, das nach mehreren Vermittlungsrunden zwischen Bundesrat und Bundestag mit Zustimmung der SPD-Bundestagsfraktion verabschiedet wurde, sollte nach dem erkennbaren Willen aller am Gesetzgebungsprozeß Beteiligten nicht dazu führen, daß Schwerstbehinderte, die bisher Leistungen aus dem Bundessozialhilfegesetz erhielten, schlechter gestellt werden. Aus diesem Grunde wurde im Vermittlungsverfahren der Art. 51 des Pflege-Versicherungsgesetzes eingefügt. Im Text der Entschließung, die der Deutsche Bundestag heute verabschiedet, heißt es in Ziffer 2: „ Zahlreiche Sozialhilfeträger haben das bisher gewährte Pflegegeld nach § 69 BSHG ab dem 1. April 1995 mit Hinweis auf das Pflegeversicherungsgesetz eingestellt, obwohl alle Voraussetzungen für die vom Gesetzgeber gewollte Besitzstandswahrung nach Art. 51 des Pflegeversicherungsgesetzes vorlagen". In zahlreichen Städten der Bundesrepublik Deutschland befassen sich in der Zwischenzeit Gerichte mit den Klagen Betroffener. So hat beispielsweise das Verwaltungsgericht Hannover im Wege einer einstweiligen Anordnung in einem Abgrenzungsstreit um Kosten zwischen der neuen Pflegeversicherung und dem Bundessozialhilfegesetz für zulässig erklärt, daß einem Rollstuhlfahrer nach Inkrafttreten der Pflegeversicherung vom Sozialamt kein Pflegegeld mehr gewährt wird. Der Berufstätige Hannoveraner, dessen Beine gelähmt sind, hatte nach dem Bundessozialhilfegesetz bislang 1 031 DM Schwerstpflegegeld erhalten. Seit April hatte das Sozialamt jedoch nicht mehr gezahlt, weil der Medizinische Dienst der Krankenkasse den Rollstuhlfahrer nicht einmal in die unterste Pflegekategorie eingestuft hatte. Dieser Fall macht deutlich, daß offensichtlich unterschiedliche Interpretationen des Gesetzes bzw. der Absicht des Gesetzgebers dazu führen, daß betoffene Behinderte oder Pflegebedürftige auf einmal ohne jede Leistung dastehen, ein Zustand, den wir für unerträglich halten. In Ziffer 3 des Entschließungsantrages, der heute vorliegt, wird deshalb noch einmal bekräftigt, daß die Besitzstandsregelung nach Art. 51 Pflege-Versicherungsgesetz auf alle Empfänger von Bundessozialhilfepflegegeld anzuwenden ist, die bis zum 31. März 1995 Pflegegeld bezogen haben, daß die Besitzstandsregelung nicht voraussetzt, daß ein Pflegegeldanspruch nach § 37 SGB XI oder nach § 69 BSHG besteht, daß sie nicht voraussetzt, daß ein Pflegegeld der Krankenversicherung bezogen wurde und die Bedürftigkeitsprüfung nach BSHG auf die Einkommens- und Vermögensgrenzen abgestellt wird, die am 31. März 1995 maßgebend waren, also nicht die neuen Grenzen ab 1. April 1995 maßgebend sind. Mit dieser Entschließung fordert der Deutsche Bundestag die Sozialhilfeträger auf, den Art. 51 Pflege-Versicherungsgesetz dem Willen des Gesetzgebers entsprechend, zum Wohle der Behinderten und Pflegebedürftigen anzuwenden. Da aus grundsätzlichen Erwägungen und aus zeitlichen Gründen vor der Sommerpause eine Änderung des Art. 51 ausschied, wurde der Weg gewählt, eine einstimmige Beschlußempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung und eine Beschlußfassung des Deutschen Bundestages sehr kurzfristig und unter Aussetzung aller sonst üblichen Fristen durchzuführen. Wir verbinden mit diesem Beschluß die Absicht, den Rechtsanwendern den übereinstimmend formulierten Willen des Gesetzgebers mitzuteilen, um zu verhindern, daß betroffene Schwerstbehinderte durch unterschiedliche Rechtsauslegungen Nachteile erleiden. Deshalb geht von dieser Stelle mein Appell an die Sozialhilfeträger und an die befaßten Gerichte, das Recht so anzuwenden, wie es der dafür zuständige Gesetzgeber gewollt und in der Entschließung noch einmal zum Ausdruck gebracht hat. Meinen ausdrücklichen Dank spreche ich den Beteiligten im Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung, den Vertretern der Fraktionen, dem Ausschußsekretariat des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung und den Fraktionsgeschäftsführern aus, die mitgeholfen haben, diesen Beschluß des Deutschen Bundestages zu ermöglichen. Ich hoffe sehr, daß es gelingt, mit dieser Beschlußfassung Rechtssicherheit herzustellen. Ich hoffe sehr, daß es Schwerbehinderten und Pflegebedürftigen erspart bleibt, persönlich benachteiligt zu werden, weil der Wille des Bundesgesetzgebers unterschiedlich ausgelegt und interpretiert wird. Die Lage der betroffenen Menschen und die Absicht, weitere solcher Fälle zu verhindern, haben dazu geführt, daß der Bundestagsausschuß einstimmig votiert hat. Ich wünsche mir ein solches Votum auch für den Deutschen Bundestag. Andrea Fischer (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Angesichts der Finanznöte, in die viele Kommunen geraten sind, ist es nur allzu verständlich, daß sie und ihre Spitzenverbände versuchen, möglichst viele Pflege- und Betreuungsleistungen, mit denen bisher die örtlichen Sozialhilfeetats belastet wurden, an die Pflegeversicherung abzugeben. Wenig verständlich und geradezu zynisch ist es allerdings, wenn solche Befreiungsschläge diejenigen treffen, die auf Leistungen angewiesen sind - und genau dies findet derzeit mit der restriktiven Auslegung der Bestandsschutzregelung im Pflegeversicherungs-Gesetz durch die Träger der örtlichen Sozialhilfe statt. Um so erfreulicher ist es, daß im Sozialausschuß die Initiative ergriffen wurde und wir heute diesen interfraktionellen Antrag beschließen können. Von jetzt an ist unmißverständlich klar: alle, die vor dem Inkrafttreten des Pflegeversicherungsgesetzes Pflegegeld erhalten haben, erfüllen die Voraussetzung für seine Weitergewährung, unabhängig davon, ob sie Ansprüche auf Leistungen der Pflegeversicherung haben oder nicht. An der Pflegeversicherung wird noch viel verändert, verbessert und ergänzt werden müssen. Bei diesen langwierigen Bauarbeiten ist der heutige Beschluß nur ein erster Arbeitsabschnitt. Das wird einem deutlich, wenn man sich anschaut, weshalb er überhaupt notwendig geworden ist. Die Klarstellung zum Bestandsschutz wird vor allem zwei Betroffenengruppen zugute kommen, zum einen denjenigen, deren Antrag in dem noch immer nicht aufgelösten Antragsstau steckt. Ihnen haben viele Sozialämter die bisherigen Sozialhilfeleistungen gestrichen, obwohl sie noch keine Geld- oder Sachleistungen aus der Pflegeversicherung erhalten. Zum zweiten kommt er aber auch den schwer Körperbehinderten zugute, die bisher Pflegegeld nach dem Bundessozialhilfegesetz erhalten haben, aber von der Pflegeversicherung nichts mehr zu erwarten haben. Denn Pflegegeld nach dem BSHG konnten auch die Schwerbehinderten bekommen, die „nur" einen mehrfach wöchentlichen Hilfebedarf haben. Dagegen gibt es Leistungen der Pflegeversicherung nur für die Menschen, die täglich Hilfe brauchen. Durch diese hohe Zugangsschwelle bleiben fast eine halbe Million Hilfs- und Pflegebedürftige ohne Ansprüche an die Pflegeversicherung, darunter viele Behinderte, die sich mit viel Anstrengung und Mühe ein Stück ihrer körperlichen Leistungsfähigkeit selbst zurück erkämpft haben. Die zu hohe Hürde vor der Pflegestufe I „bestraft" damit diejenigen, die ihre Rehabilitation in die eigenen Hände nehmen, ja sie führt das Prinzip „Rehabilitation und Prävention vor Pflege" ad absurdum. Die Menschen müssen erst „richtig" pflegebedürftig werden, bevor sie Unterstützung erhalten. Der vorliegende Antrag wird denen, die bisher schon Pflegegeld erhalten haben, über diese Zugangsschwelle zumindest fürs erste hinweghelfen. Damit ist das Problem aber noch nicht gelöst. Denn für all diejenigen, die jetzt und in den nächsten Jahren noch pflegebedürftig werden und sich nicht auf den Bestandsschutz berufen können, steht eine Regelung noch aus. Zu denen, die auf eine schnelle Lösung warten, gehören auch die Behinderten, die ihre Pflegekräfte selbst eingestellt haben. Die Bestandsschutzregelung nach Art. 51 des Pflegegesetzes hilft den behinderten Arbeitgebern wenig, da das Pflegegeld nicht ausreicht, um die Pflegekräfte zu bezahlen. Was diese Meinen selbstorganisierten Pflegebetriebe brauchen, ist eine Übergangsregelung, wie sie das SGB XI für ambulante, teilstationäre oder Kurzzeitpflegeeinrichtungen vorsieht, die schon vor dem 1. Januar 1995 Pflegeleistungen erbracht haben. Wenn es nicht schnell gelingt, das „Arbeigebermodell" bis zu einer endgültigen Regelung abzusichern, wird diese Form der Selbstorganisation und Eigenerantwortlichkeit behinderter Menschen in wenigen Monaten von der Bildfläche verschwunden sein. Wir werden also in der nächsten Zeit mit den Bauarbeiten an der Pflegeversicherung noch alle Hände voll zu tun haben. Der wichtigste Baustoff wird dabei der gute Wille und die Bereitschaft sein, im Interesse der Betroffenen zusammenzuarbeiten. Bei der Klarstellung des Bestandsschutzes für das Pflegegeld waren sie gegeben. Ich hoffe, daß dies auch für die weiteren Fragen gilt. Dr. Gisela Babel (F.D.P.): Wir wissen alle, daß es bei jedem neuen Gesetz und bei jeder Gesetzesnovelle enorme Anfangsschwierigkeiten gibt. Bei der Einführung der Pflegeversicherung, ein ganz neuer Zweig der Sozialversicherung, war dies unausweichlich. Jeder, der wie ich an dem Gesetzespaket mitgearbeitet hat und um die Vielzahl der Dinge wußte, die gerade am Anfang zu regeln und aufzubauen waren, mußte mit erheblichen Anfangsschwierigkeiten rechnen. Seit fast drei Monaten werden ambulante Pflegeleistungen durch die Pflegekassen gewährt. Für die Pflegebedürftigen und ihre Familien bedeutet dies in fast allen Fällen eine deutliche Verbesserung ihrer Situation. Medizinischer Dienst, Pflegekassen und Pflegedienste leisten hier seit drei Monaten trotz aller Anfangsprobleme ganz hervorragende Arbeit. Womit wir allerdings nicht rechnen konnten, ist, daß eine Vielzahl von Sozialhilfeträgern die Besitzstandsregelung in Art. 51 Pflege-Versicherungsgesetz grob fehlerhaft anwenden, obwohl der Gesetzgeber im Gesetz, in den gesetzlichen Erläuterungen und auch in sonstiger Art und Weise seinen gesetzgeberischen Willen ganz deutlich erklärt hat. Sinn des Art. 51 Pflege-Versicherungsgesetz war und ist, daß kein Pflegegeldempfänger durch die Einführung der Pflegeversicherung schlechter gestellt werden soll. Wer also nach dem bisherigen Recht der Sozialhilfe höhere Leistungen beanspruchen konnte, als sie nach dem Pflege-Versicherungsgesetz zu gewähren sind, soll keinen Nachteil haben. Wer nach heutigem Pflegeversicherungsrecht noch keinen Anspruch auf Leistung hat, wohl aber nach altem Sozialhilferecht, soll seine Ansprüche behalten. Dies regelt Art. 51 Pflege-Versicherungsgesetz, die sogenannte Besitzstandswahrung. Es ist von daher überhaupt nicht nachvollziehbar und zu tolerieren, daß zahlreiche Sozialhilfeträger dennoch das bisherige Pflegegeld nach § 69 BSHG ab dem 1. April 1995 mit Hinweis auf das Pflege-Versicherungsgesetz eingestellt haben, obwohl alle Voraussetzungen für die von uns gewollte Besitzstandswahrung nach Art. 51 Pflege-Versicherungsgesetz vorliegen. Selbst ein gemeinsames Rundschreiben des Bundesarbeits- und Bundesgesundheitsministeriums an die Obersten Landessozialbehörden und die Kommunalen Spitzenverbände, in dem auf die klare Rechtslage hingewiesen wird und eine vernünftige Verfahrensweise vorgeschlagen wird, konnte in vielen Fällen die Sozialhilfeträger nicht dazu bewegen, entsprechend den gesetzlichen Vorgaben zu verfahren. Ich gehe in diesem Zusammenhang auch davon aus, daß die Sozialhilfeträger ihre Leistungen auch im Rahmen des sogenannten Arbeitgebermodells von Behinderten uneingeschränkt weiter erbringen und so diesem Personenkreis ein selbstverantwortliches Leben ermöglichen. Ich hoffe, daß die Sozialhilfeträger durch die Verabschiedung des heute vorliegenden Entschließungsantrages, in dem wir nochmal ganz deutlich und dezidiert unseren gesetzgeberischen Willen bezüglich Art. 51 Pflege-Versicherungsgesetz formuliert haben, bewegt werden, jetzt auch in der Praxis für die Betroffenen in unserem Sinne zu verfahren. Der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung hat den Entschließungsantrag über Fraktionsgrenzen hinweg einstimmig beschlossen. Ich begrüße dies hier ausdrücklich. Es verstärkt das Signal an die Sozialhilfeträger. Petra Bläss (PDS): Erneut diskutieren wir über die Pflegeversicherung, und es ist klar, daß das nicht das letzte Mal sein wird. Das betrachtet die PDS als positiv, gibt es uns doch die Hoffnung, besonders mißlungene und unausgegorene Bestimmungen dieser Pflegeversicherung doch noch korrigieren zu können. Auch die heute zur Debatte stehende Entschließung ist im wesentlichen eine Bekräftigung des schon einmal geäußerten Willens des Gesetzgebers. Da damit keine Korrektur auslegbarer und unklarer Gesetzesformulierungen verbunden ist, ist auch ein Erfolg zweifelhaft. Die nicht überzeugende Arbeit der Bundesregierung bei der Formulierung des Pflegeversicherungsgesetzes sowie die Hast bei der Beschlußfassung im Bundestag trägt ihre bitteren Früchte. Bitter ist auch, daß der jetzt mit Vehemenz angemahnte Bestandsschutz nicht ausreichend ist. Beseitigt ist nicht die Einschränkung des Wahlrechts zwischen Geld- und Sachleistung. Pflegegeld kann nur gewählt werden, wenn dadurch „keine zusätzlichen Sozialhilfeaufwendungen im Bereich der Hilfe zur Pflege erforderlich" werden. Das pauschale Pflegegeld nach dem BSHG wird nur neben einer Sachleistung (nach § 69b BSHG oder nach § 36 PflVG) gewährt. Damit hat kein behinderter Arbeitgeber, der Pflegegeld der Pflegekasse in Anspruch nimmt, Anspruch auf anteiliges pauschales Pflegegeld nach dem BSHG, weil es sich hier um eine gleichartige Leistung handelt. Die Besitzstandsklausel nach Art. 51 PflVG für Personen, die bisher das pauschale Pflegegeld nach § 69 BSHG bezogen haben, kann hier keine Anwendung finden. Nur wer die Sachleistung des PflVG beantragt, kann mit einer Weitergewährung eines Aufstocksungsbetrages im Sinne § 51 durch den Träger der Sozialhilfe rechnen - wenn das bisher gewährte pauschale Pflegegeld der Sozialhilfe zusammen mit dem zu berücksichtigenden Freibetrag von 200 DM nach § 57 Abs. 1 SGB V das pauschale Pflegegeld nach § 37 PflVG übersteigt. In jedem Fall ist das bisherige Pflegemodell „behinderte Arbeitgeber" nicht weiterzuführen, da entweder bei einem Antrag auf Pflegegeld nach der PflV die Leistung nicht ausreicht oder bei einem Antrag auf Pflegesachleistung fremde, ambulante Dienste mit der Leistungserbringung beauftragt werden. Nach wie vor stehen damit gewachsene Strukturen in der Behindertenpflege zur Disposition. Für die PDS besteht realer und umfassender Bestandsschutz dann, wenn bisher mögliche Pflegestrukturen weitergeführt werden können. Wir fordern deshalb von der Bundesregierung eine öffentliche Klarstellung. Das Modell der persönlichen Assistenz wird im Pflegeversicherungsgesetz an keiner Stelle erwähnt, weder ablehnend noch zustimmend. Wir fragen die Bundesregierung: Besteht für dieses Modell Bestandsschutz? Wir halten nur bei Bestandsschutz für dieses Modell den § 2 im ersten Kapitel des PflVG über die Selbstbestimmung für eine ehrliche Zielbestimmung. Die PDS hält an der Entschließung für unterstützenswert, daß mit ihr die von der Bundesvereinigung kommunaler Spitzenverbände angestrebte Verschlechterung im Bestandsschutz zurückgewiesen wird. Leider liegt mit dem uns vorliegenden Schriftwechsel des BMA mit der Bundesvereinigung Kommunaler Spitzenverbände die Vermutung nahe, daß hier die Absichten des BMA zur Einschränkung der Besitzstandswahrung nur vorweggenommen wurden. Das Ansinnen der Bundesvereinigung Kommunaler Spitzenverbände wird vom BMA nicht eindeutig zurückgewiesen. Eine eindeutige Klarstellung in dieser Sache - oder auch eine Bekräftigung entsprechender Positionen - würde manche Ängste abbauen helfen. Dr. Norbert Blüm, Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung: Vor etwas über einem Jahr ist es uns gelungen, in einem besonderen Kraftakt die Pflegeversicherung Wirklichkeit werden zu lassen. Die Einführung der Pflegeversicherung am 1. Januar 1995 und der Beginn der ambulanten Leistungen am 1. April 1995 sind Meilensteine einer aktiven, am Menschen orientierten Sozialpolitik. Nun ist es wichtig, die Pflegeversicherung mit Leben zu erfüllen, sie entsprechend dem Willen des Gesetzgebers zum Wohle der Bürger umzusetzen. Die ersten Monate haben gezeigt, daß die Pflegeversicherung ihre Startphase sowie den Beginn der ambulanten Leistungen insgesamt gut hinter sich gebracht hat und die bundeseinheitliche Anwendung des Gesetzes weitgehend gewährleistet ist. Der Aufbau der Pflegekassen hat reibungslos funktioniert. Mittlerweile erhalten 1,1 Millionen in häuslicher Pflege betreute Menschen entweder erstmals überhaupt Pflegeversicherungsleistungen oder wesentlich höhere Leistungen als bisher. Dies ist ein Erfolg! Dennoch wird heute in der Öffentlichkeit nur über die Dinge geredet, die nicht klappen. Die kleinsten Probleme scheinen einen größeren Nachrichtenwert zu besitzen als die größten Anstrengungen und die Dinge, die funktionieren. Dabei konnte bei realistischer Betrachtung niemand eine völlig reibungslose Umsetzung des Pflege-Versicherungsgesetzes erwarten. Der Aufbau eines völlig neuen Sozialversicherungszweiges für rund 81 Millionen Menschen kann einfach nicht gelingen, ohne daß es an verschiedenen Ecken knirscht. Und im übrigen: Es ist auch nicht immer eine Folge des Pflege-Versicherungsgesetzes, wenn etwas nicht klappt, und auch nicht die Schuld der Pflegekassen oder des Medizinischen Dienstes. Denn die reibungslose Umsetzung des Pflege-Versicherungsgesetzes muß durch alle Beteiligten auf Bundes-, Landes- und Ortsebene gemeinsam sichergestellt werden. Heute muß sich der Bundestag mit Schwierigkeiten der Pflegeversicherung im Verhältnis zur Sozialhilfe beschäftigen, die nicht „hausgemacht" und ganz offensichtlich nicht auf das Pflege-Versicherungsgesetz zurückzuführen sind. Dabei geht es um zwei Punkte, nämlich die Besitzstandsregelung in Art. 51 des Pflege-Versicherungsgesetzes sowie die übergangsweise Weitergewährung von Leistungen durch die Sozialhilfeträger, bis die Pflegeversicherung ihre Leistungen erbringt. Vielen Sozialhilfeträgern bereitet die Anwendung der sogenannten Besitzstandsregelung in Art. 51 des Pflege-Versicherungsgesetzes Probleme. Und dabei ist die Besitzstandsregelung eindeutig: Nach Art. 51 Pflege-Versicherungsgesetz soll niemand, der bis zum 31. März 1995 Pflegegeld nach dem Bundessozialhilfegesetz erhalten hat, durch die Einführung der Pflegeversicherung schlechtergestellt werden. Trotz dieser klaren Regelung wurde aber vielfach das bisherige Pflegegeld nach § 69 Bundessozialhilfegesetz - alte Fassung - ab dem 1. April 1995 mit dem Hinweis auf das Pflegeversicherungsgesetz eingestellt, obwohl alle Voraussetzungen für die vom Gesetzgeber gewollte Besitzstandswahrung nach Art. 51 Pflege-Versicherungsgesetz vorliegen. Im wesentlichen wird behauptet, daß der Besitzstand bei den Personen ausgeschlossen sei, die nicht mindestens der Pflegestufe I - erheblich pflegebedürfig - nach dem SGB XI zuzuordnen sind, die bisher keine Leistungen nach dem § 57 SGB V - Pflegegeld bei Schwerpflegebedürftigkeit im Rahmen der GKV - erhalten haben, bei denen infolge einer niedrigeren Einstufung nach dem SGB XI die dieser Zuordnung entsprechenden Einkommensgrenzen -§§ 79, 81 BSHG - überschritten sind. Alle diese Begründungen sind sowohl nach dem Wortlaut als auch nach dem Sinn und Zweck des Art. 51 Pflege-Versicherungsgesetz rechtlich nicht haltbar, weil sie vor allem den gesetzgeberischen Willen bei der Auslegung dieser Vorschrift entweder gar nicht oder nicht in ausreichendem Maße berücksichtigen. Vor allem lassen sie den Grundsatz einer dem Pflegebedürftigen möglichst günstigen und wohlwollenden Auslegung und Anwendung des Gesetzes außer Betracht. Es war erklärter Wille des Gesetzgebers, daß die bisherigen Pflegegeldempfänger nach § 69 Bundessozialhilfegesetz - alte Fassung - unabhängig von ihrer Einstufung nach dem Pflege-Versicherungsgesetz keine Nachteile durch die Einführung der Pflegeversicherung erleiden sollen. Dieser in der amtlichen Begründung nachzulesende Sachverhalt zeigt eindeutig und ohne Spielraum für sonstige Auslegungsvarianten, daß für die Feststellung des Besitzstandes einzig und allein auf die Rechtsvorschrift des § 69 BSHG in seiner am 31. März 1995 geltenden Fassung abzustellen ist. Im übrigen drängt sich der Verdacht auf, daß die Begründungen von den Sozialhilfeträgem nur vorgeschoben sind, um die von ihnen gewollte Befristung der Besitzstandsregelung zu erreichen, die bisher im Gesetz nicht vorgesehen ist. Es ist allein Sache des Gesetzgebers, ob er insoweit eine Änderung des Art. 51 Pflege-Versicherungsgesetz vornimmt; sie stellt jedoch keinerlei Rechtfertigung dafür dar, auf dem Rücken der Betroffenen Leistungen mit der Begründung, Art. 51 Pflege-Versicherungsgesetz sei unklar, einfach zu verweigern. Das, was von den Sozialhilfeträgern hierzu in den letzten Wochen zu Lasten der Pflegeversicherung praktiziert wurde, ist nach meiner Erfahrung eine bisher einzigartige und erstmalige Weigerung, den erklärten Willen des Gesetzgebers auszuführen. Besonders schlimm ist dabei, daß die örtlichen Träger bei diesem Boykott des Sozialstaats auch noch von den kommunalen Spitzenverbänden unterstützt werden. Ein weiteres Beispiel dafür, wie sich der Gesetzgeber die Auswirkungen der Pflegeversicherung auf die Sozialhilfe nicht vorgestellt hat, ist die Einstellung bisheriger Pflegegeldzahlungen durch die Sozialhilfeträger, obwohl Leistungen der Pflegeversicherung noch nicht erbracht werden können, weil die Anträge bei den Pflegekassen noch nicht entschieden sind. Durch diese Verfahrensweise ist große Unruhe und Verängstigung bei den Pflegebedürftigen entstanden. Nach dem in der Sozialhilfe geltenden Bedarfsdekkungsprinzip kann es nicht zweifelhaft sein, daß die bisherigen Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz weiter zu gewähren sind, bis die Pflegekasse als vorrangig verpflichteter Träger tatsächlich ihre Leistungen erbringt. Die Praktiken mancher Sozialhilfeträger sowohl bei der Anwendung der Besitzstandsregelung in Art. 51 PflegeVG als auch bei der übergangsweisen Weitergewährung von Sozialhilfeleistungen müssen im Interesse und zum Wohl der Behinderten und Pflegebedürftigen, aber auch im Interesse der Akzeptanz der Pflegeversicherung in der gesamten Bevölkerung, umgehend beendet werden. Wenn im Zusammenhang mit dem Beginn der Pflegeleistungen am 1. April von Chaos und Skandal die Rede war, so kann damit nicht der Antragsstau gemeint gewesen sein; der Stau war wegen der vielen verspätet gestellten Anträge unvermeidbar. Wenn es beim Anlaufen der Pflegeversicherung einen Skandal gegeben hat und noch gibt, so liegt das an der Verweigerungshaltung der Sozialhilfeträger. Es ist den Betroffenen nicht zumutbar, zunächst auf dem Rechtswege eine Korrektur dieser Praktiken zu erstreiten, sondern es muß eine sofortige gesetzeskonforme Verwaltungspraxis im Interesse der Betroffenen erreicht werden. Diesem Ziel dient die vorliegende Beschlußempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung. Sie soll ein deutliches Signal an die Sozialhilfeträger sein, den im Entschließungstext noch einmal klargestellten Willen des Gesetzgebers bei ihrer Verwaltungspraxis zu beachten und die Bestimmungen des Pflege-Versicherungsgesetzes richtig anzuwenden. Alle sonstigen Hinweise, beispielsweise übereinstimmende Äußerungen des Bundesgesundheitsministeriums, des Bundesarbeitsministeriums und der Arbeits- und Sozialminister der Länder, sind bisher wirkungslos geblieben. Ich bin den Mitgliedern dieses Hohen Hauses sehr dankbar dafür, daß sie heute hier noch einmal in großer Einmütigkeit klarstellen, daß es keine Streitigkeiten über die Finanzverantwortung auf dem Rücken der Pflegebedürftigkeit geben darf. Kein Stadtkämmerer, kein Bürgermeister und kein Landrat kann sich nach diesem Votum noch hinter der Schutzbehauptung verstecken, er habe nicht erkennen können, was der Gesetzgeber gewollt habe. Jeder, der die Besitzstandsregelungen nun immer noch nicht so anwendet, wie das Gesetz es vorsieht, darf sich nicht wundern, wenn ihm vorgehalten wird, er wolle nur eines: Die kommunale Kasse ohne Rücksicht auf die hilfsbedürftigen Pflegebedürftigen und deren Sorgen und Nöte sanieren. Solches Verhalten ist nicht nur ungesetzlich, sondern auch herzlos. Es bleibt zu hoffen, daß die heutige einstimmige Erklärung des Bundestagsplenums als Wink mit dem Zaunpfahl auch vom letzten Sozialhilfeträger richtig verstanden wird.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Hubert Hüppe


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Gerne.


Rede von Karin Rehbock-Zureich
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Kollege, nachdem Sie „Strafe statt Hilfe" zu Ihrem Grundprinzip gemacht haben, -

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Hubert Hüppe


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Nein.