Gesamtes Protokol
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die verbundene Tagesordnung erweitert werden. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt:
1. a) - Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Sexualaufklärung, Verhütung, Prävention vor ungewollten Schwangerschaften und Beratung - Drucksache 13/402 - und
- Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Hubert Hüppe, Monika Brudlewsky, Dietrich Austermann und weiteren Abgeordneten eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutz des ungeborenen Kindes - Neufassung des Abtreibungsstrafrechts und Regelung der staatlichen Obhut - Drucksache 13/395 - und
- Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Christina Schenk, Petra Bläss und der weiteren Abgeordneten der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung der Unantastbarkeit der Grundrechte von Frauen - Ergänzung des Grundgesetzes und entsprechende Änderungen des Strafgesetzbuches - Drucksache 13/397 - und
- Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Hilfe für Frauen bei Schwangerschaftsabbrüchen in besonderen Fällen - Drucksache 13/375 - und
- Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetzes - Drucksache 13/285 - und
- Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung des Schwangeren- und Familienhilfegesetzes an die Vorgaben des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Mai 1993 - Drucksache 13/27 - und
- Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetzes - Drucksache 13/268 -
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend - Drucksache 13/1850 -
bb) Berichte des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksachen 13/1851, 13/1852, 13/1853, 13/1854 -
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu dem Antrag der Abgeordneten
Kerstin Müller und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN: Selbstbestimmungsrecht der Frauen
- Drucksachen 13/409, 13/1850 -
2. Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P.: Forum der Nichtregierungsorganisationen und Vierte VN-Weltfrauenkonferenz 1995 in Peking - Drucksache 13/1836 -
3. Beratung des Antrags der Abgeordneten Anneliese Augustin, Dr. Erich Riedl und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Rudolf Bindig, Dr. Ingomar Hauchler und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Dr. Olaf Feldmann, Dr. Irmgard Schwaetzer und der Fraktion der F.D.P.: Minenräumung zu humanitären Zwecken als Beitrag sinnvoller Demobilisierung sowie zur Förderung des Wiederaufbaus
- Drucksache 13/1844 -
4. Weitere abschließende Beratung ohne Aussprache
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft
- zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und
F.D.P.: Einhaltung des Stromeinspeisungsgesetzes
- zu dem Antrag der Fraktion der SPD: Respektierung des Stromeinspeisungsgesetzes - Für erneuerbare Energien
- zu dem Antrag der Abgeordneten Michaele Hustedt, Ursula Schönberger, Werner Schulz und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Durchsetzung der Einhaltung des Stromeinspeisungsgesetzes
- zu dem Antrag der Abgeordneten Rolf Köhne, Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS: Bürgschaftsverpflichtung der Bundesregierung zur Umsetzung des Stromeinspeisungsgesetzes - Drucksachen 13/1397, 13/1384, 13/1303, 13/1309,13/1783 -
5. Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung des Pflegeversicherungsgesetzes - Drucksachen 13/99, 13/1845-
Von der Frist für den Beginn der Beratung soll, soweit es bei einzelnen Punkten der Tagesordnung und der Zusatzpunktliste erforderlich ist, abgewichen werden.
Weiter ist interfraktionell vereinbart worden, daß zu folgenden Tagesordnungspunkten die Reden ausnahmsweise zu Protokoll gegeben werden können. Es handelt sich hierbei um Tagesordnungspunkt 12 - Tierseuchengesetz -, Tagesordnungspunkt 14 - Bioethik-Konvention -, Tagesordnungspunkt 16 - Hermes-Bürgschaften -, Zusatzpunkt 5 - Ergänzung des Pflegeversicherungsgesetzes.
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Außerdem sollen der Tagesordnungspunkt 11 - Gesetzentwurf zu befristeten Kündigungsmöglichkeiten -, Tagesordnungspunkt 18b - Antrag der Gruppe der PDS zur Abschaffung der Wehrpflicht - und Tagesordnungspunkt 21 f - Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. zur Anpassung des Bergrechts - abgesetzt werden.
Der Tagesordnungspunkt 18a - Wehrrechtsänderungsgesetz - und der Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses, der die neue Drucksachennummer 13/1833 hat - das ist Tagesordnungspunkt 19 -, sollen ohne Aussprache an die Ausschüsse überwiesen werden. Die Vorlagen ohne Aussprache unter den Tagesordnungspunkten 21 und 22 werden heute nach der Beratung zum Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetz aufgerufen.
Sind Sie mit all diesen interfraktionellen Vereinbarungen einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich rufe jetzt die Zusatzpunkte 1 a und 1 b auf:
a) - Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Sexualaufklärung, Verhütung, Prävention vor ungewollten Schwangerschaften und Beratung
- Drucksache 13/402 -
- Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Hubert Hüppe, Monika Brudlewsky, Dietrich Austermann und weiteren Abgeordneten eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutz des ungeborenen Kindes - Neufassung des Abtreibungsstrafrechts und Regelung der staatlichen Obhut
- Drucksache 13/395 -
- Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Christina Schenk, Petra Bläss und der weiteren Abgeordneten der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung der Unantastbarkeit der Grundrechte von Frauen - Ergänzung des Grundgesetzes und entsprechende Änderungen des Strafgesetzbuches
- Drucksache 13/397 -
- Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Hilfe für Frauen bei Schwangerschaftsabbrüchen in besonderen Fällen
- Drucksache 13/375 -
- Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetzes
- Drucksache 13/285 -
- Drucksache 13/27 -
- Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetzes
- Drucksache 13/268 -
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
- Drucksache 13/1850 - Berichterstattung:
Abgeordnete Maria Eichhorn Inge Wettig-Danielmeier Rita Grießhaber
Heinz Lanfermann
Hubert Hüppe
Christina Schenk
bb) Berichte des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksachen 13/1851, 13/1852, 13/ 1853, 13/1854 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Ina Albowitz Siegrun Klemmer
Kristin Heyne
Peter Jacoby
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioreri, Frauen und Jugend zu dem Antrag der Abgeordneten Kerstin Müller (Köln) und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN
Selbstbestimmungsrecht der Frauen - Drucksachen 13/409, 13/1850 -
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Berichterstattung:
Abgeordnete Maria Eichhorn Inge Wettig-Danielmeier Rita Grießhaber
Heinz Lanfermann
Hubert Hüppe
Christina Schenk
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die gemeinsame Aussprache zweieinhalb Stunden vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich weise schon jetzt darauf hin, daß wir im Anschluß an die Aussprache vier namentliche Abstimmungen durchführen werden.
Ich eröffne jetzt die Aussprache. Als erste hat die Kollegin Maria Eichhorn das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Nach jahrelangem Streit ein Kompromiß über die Abtreibungsregelung! So oder ähnlich lauteten die Schlagzeilen am Dienstag.
Als ich am Sonntag abend mit den anderen Verhandlungsführerinnen und Verhandlungsführern zusammentraf, war ich sehr skeptisch, ob es uns gelingen würde, eine Einigung zwischen CDU/CSU, SPD und F.D.P. in einer Frage herbeizuführen, die jahrelang heftigste Konfrontationen hervorgerufen hatte.
Am Montag morgen um halb fünf Uhr verließen wir den Tagungsraum - erschöpft, aber auch erleichtert. Der Durchbruch war geschafft: Der Kompromiß, der noch vor einigen Wochen undenkbar war, war zustande gekommen. Ich danke an dieser Stelle allen Beteiligten für den fairen Umgang miteinander. Ich. danke auch der Vorsitzenden des Unterausschusses, Frau Ortrun Schätzle, für ihre Arbeit.
Schon immer, insbesondere aber seit ich Mitglied des Deutschen Bundestages bin, ist der Schutz des ungeborenen Lebens ein Thema, für das ich mich besonders engagiere. In der letzten Legislaturperiode habe ich in der Kommission der CDU/CSU-Fraktion zum Schutz des ungeborenen Lebens und im Sonderausschuß mitgearbeitet. Als überzeugte Katholikin war ich zunächst für eine möglichst strenge Lösung. In der Folgezeit habe ich viele persönliche Gespräche mit Beraterinnen, mit betroffenen Frauen, mit Geistlichen und vor allem mit Telefonseelsorgern geführt.
Je mehr ich mich mit dem Thema beschäftigte, um so klarer wurde mir, daß es bei dieser Frage darum geht, ein deutliches Signal für den Schutz der ungeborenen Kinder zu setzen. Gleichzeitig aber erkannte ich immer mehr, daß es auch darum geht, Frauen in echten Konfliktsituationen nicht allein zu lassen und Hilfen anzubieten.
Weil ich der Meinung bin, daß man nicht nur reden, sondern auch etwas tun muß, habe ich eines der Hauptprobleme für Schwangere aufgegriffen und in meiner Heimatstadt Regensburg einen Verein „Mütter in Not" gegründet. Wir haben es uns zur
Aufgabe gemacht, Familien und insbesondere Alleinerziehenden bei der Beschaffung von Wohnungen zu helfen. Durch die Übernahme einer Bürgschaft garantieren wir dem Vermieter die Mieteinnahme. So konnten wir vielen Familien helfen; denn eines ist sicher, meine Damen und Herren: Gesetze allein bewirken nicht den Schutz des ungeborenen Lebens.
Heute haben wir als Gesetzgeber durch den Einigungsvertrag und das Urteil des Bundesverfassungsgerichts die Aufgabe, ein neues Gesetz zu beschließen. Nachdem dies in der letzten Legislaturperiode gescheitert war, bestand zu Jahresbeginn für die Mehrheit meiner Fraktion wegen der Mehrheitsverhältnisse wenig Hoffnung, ein Gesetz verabschieden zu können, das unsere Handschrift trägt. Ich bin jedoch der Meinung, daß man sich auch in solchen Situationen nicht zurücklehnen darf, um das Feld anderen zu überlassen. So haben wir in Gesprächen mit Kolleginnen und Kollegen anderer Fraktionen versucht, auszuloten, ob es nicht doch Möglichkeiten einer gemeinsamen und verfassungskonformen Gesetzesregelung geben könnte.
Das Bundesverfassungsgericht hat 1993 einen neuen Weg aufgezeigt. Der Gesetzgeber kann im Interesse eines größeren Lebensschutzes ein Schutzkonzept wählen, das auf eine Beratung setzt, die die Schwangere zur Fortsetzung der Schwangerschaft ermutigt.
Die CDU/CSU hat bei den Verhandlungen mit den anderen Fraktionen besonderen Wert darauf gelegt, daß die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts umgesetzt werden. Unser wichtigstes Verhandlungsziel war, Ziel und Aufgabe der Beratung verfassungsgemäß umzusetzen. Was liegt da näher, als die Anordnung des Bundesverfassungsgerichts wörtlich zu übernehmen? Sie stellt Ziel und Aufgabe der Beratung zum Schutz des ungeborenen Lebens eindeutig heraus. Dies war der schwierigste Verhandlungspunkt, um den wir lange gerungen haben.
Die Beratung zum Leben ist für uns der zentrale Punkt. Die Einigung wäre gescheitert, wenn es nicht gelungen wäre, folgenden Wortlaut in § 219 Abs. 1 des Strafgesetzbuches festzulegen:
Die Beratung dient dem Schutz des ungeborenen Lebens. Sie hat sich von dem Bemühen leiten zu lassen, die Frau zur Fortsetzung der Schwangerschaft zu ermutigen und ihr Perspektiven für ein Leben mit dem Kind zu eröffnen; sie soll ihr helfen, eine verantwortliche und gewissenhafte Entscheidung zu treffen. Dabei muß der Frau bewußt sein, daß das Ungeborene in jedem Stadium der Schwangerschaft auch ihr gegenüber ein eigenes Recht auf Leben hat und daß deshalb nach der Rechtsordnung ein Schwangerschaftsabbruch nur in Ausnahmesituationen in Betracht kommen kann, wenn der Frau durch das Austragen des Kindes eine Belastung erwächst, die so schwer und außergewöhnlich ist, daß sie die zumutbare Opfergrenze übersteigt. Die Beratung soll durch Rat und Hilfe dazu beitragen, die in Zusammenhang mit der Schwangerschaft bestehende Konfliktlage zu bewältigen und einer Notlage abzu-
Maria Eichhorn
helfen. Das Nähere regelt das Schwangerschaftskonfliktgesetz.
Eine bessere Formulierung des Kernpunktes unseres neuen Schutzkonzeptes zur Beratung ist nicht möglich. Hier haben die anderen Fraktionen Zugeständnisse gemacht, für die wir dankbar sind.
Diese Beratungsregelung ermöglicht es auch den Kirchen, ihre Beratungsarbeit weiter fortzusetzen, wie aus einer Pressemeldung des Katholischen Büros in Bonn hervorgeht. Die plurale Trägerschaft, in der die Kirchen ihren festen Platz haben müssen, ist uns sehr wichtig.
Bei der Rede zur Einbringung unseres Gesetzentwurfs am 10. Februar dieses Jahres habe ich erklärt, daß meine Fraktion einen Änderungsantrag zur embryopathischen Indikation einbringen wird. Insbesondere die Behindertenverbände, aber auch die Kirchen haben uns immer wieder aufgefordert, auf eine embryopathische Indikation zu verzichten. Je tiefer wir in dieses Thema eingestiegen sind, um so mehr kamen wir zu der Überzeugung: Wir können den berechtigten Anliegen der Behindertenverbände nur dann Rechnung tragen, wenn wir keine Sonderregelungen schaffen. In Zukunft gibt es daher nur noch die medizinische und die kriminologische Indikation.
In der Begründung zur medizinischen Indikation stellen wir klar, „daß eine Behinderung niemals zu einer Minderung des Lebensschutzes führen kann". Wir machen damit nochmals unmißverständlich deutlich, daß die Behinderung als solche niemals Grund zum Schwangerschaftsabbruch sein kann.
Freilich kommt es auch auf jeden einzelnen von uns an, wie wir mit Behinderten umgehen, wie wir uns gegenüber Müttern verhalten, die ein behindertes Kind zur Welt bringen.
Hierbei haben auch die Ärzte eine ganz besondere Verantwortung. Sie sind es in der Regel, die der Schwangeren mitzuteilen haben, daß sie ein behindertes Kind erwartet. Ich appelliere an die Ärzte, mit großem Einfühlungsvermögen, mit Rat und Information über mögliche Hilfen diesen Frauen zur Seite zu stehen.
Ich wäre sehr dankbar, wenn sich die Kritiker der letzten Tage nochmals genau ansehen, was gesetzlich festgeschrieben ist, und sich nicht allein von der Diskussion um Mißbrauchsmöglichkeiten, die nie ganz auszuschließen sind, leiten lassen.
Um Schwangeren, die ein behindertes Kind erwarten, jedmöglichen Rat und Hilfe anbieten zu können, haben wir das Schwangerschaftskonfliktgesetz in wichtigen Punkten ergänzt.
In vielen Diskussionen ist mir deutlich geworden, daß das Thema „Lebensschutz und Abtreibung" oft zur eindeutigen Sache der Frauen erklärt wird. Hier muß sich noch ein großer Bewußtseinswandel vollziehen. Um die Mitverantwortung insbesondere der Väter klar herauszustellen, hatten wir zunächst einen neuen § 218d im Strafgesetzbuch vorgesehen. Die anderen Fraktionen verzichteten gänzlich auf eine Regelung. Jetzt haben wir zur Verwirklichung des
Schutzkonzepts zwei deutliche Signale gesetzt: durch einen Sondertatbestand zur Nötigung und eine besondere Strafbarkeit bei der Verletzung der Unterhaltspflicht gegenüber einer Schwangeren - ein Kompromiß, mit dem wir gut leben können.
In der Frage der Finanzierung hatte ich bereits in der Vergangenheit erklärt, daß wir Bewegungsspielraum haben. Aber es gilt auch in Zukunft, daß nur die rechtmäßigen Schwangerschaftsabbrüche als Krankenkassenleistung bezahlt werden. Nicht rechtmäßige Abbrüche müssen auch weiterhin von der Schwangeren selbst getragen werden. Der Staat muß jedoch bei Bedürftigkeit für die Kosten des Schwangerschaftsabbruchs aufkommen. Wir haben uns dabei auf eine Einkommensgrenze von 1 700 DM geeinigt.
Wichtig ist, daß bei der Kostenerstattung die Länder das haushaltstechnische Verfahren selbst regeln können und die Krankenkassen lediglich die Auszahlung übernehmen. In der Begründung weisen wir darauf hin, daß die Kostenerstattung durch die überörtlichen Träger der Sozialhilfe erfolgen kann.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der wichtigste Aspekt für ein gutes Beratungskonzept ist die Unterstützung junger Familien durch den Ausbau familienpolitischer Leistungen. Dies haben wir seit 1982 und gerade auch im Zusammenhang mit der Reform des Abtreibungsrechts 1992 verwirklicht. Vor kurzem haben wir einen neuen Familienleistungsausgleich und die Erhöhung des steuerlichen Grundfreibetrags beschlossen.
In dieser Woche hat die Koalition die Eckwerte für eine neue Wohneigentumsförderung festgelegt. Eine vierköpfige Familie kann in Zukunft beim Kauf oder Bau eines eigenen Hauses oder einer eigenen Wohnung acht Jahre lang 8 000 DM vom Staat als Zuschuß erhalten. Das sind 64 000 DM, die es auch jungen Familien ermöglichen, Wohneigentum zu erwerben.
Anmahnen möchte ich die Verwirklichung des Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz.
Die Länder dürfen sich nicht zu Lasten der Familien aus ihrer Verantwortung stehlen.
Gerade auch gute Rahmenbedingungen für Familien dienen dem Schutz des ungeborenen Lebens.
Die Evangelische Kirche hat den Kompromiß zur Abtreibung begrüßt. Andere kritisieren die vorgesehene Regelung, weil sie ihnen entweder zu weit oder aber nicht weit genug geht. Ein Kompromiß ist ein Geben und Nehmen. Entscheidend ist, daß dieser Kompromiß dem Schutz des ungeborenen Lebens dient und verfassungsgemäß ist. Dies können wir zu- sagen. Heute bietet sich die Chance, die jahrelange Auseinandersetzung zu beenden. Ich werbe aus voller Überzeugung für diesen erzielten Kompromiß.
Maria Eichhorn
Ich habe aber auch Verständnis für jene Kollegen und Kolleginnen meiner Fraktion, die glauben, dem Gesetzentwurf aus Gewissensgründen nicht zustimmen zu können. Trotzdem bitte ich Sie, nochmals zu prüfen, ob Sie durch eine Ablehnung unseres Gesetzes wirklich einen besseren Lebensschutz erreichen können.
Auch nach dem neuen Gesetz ist und bleibt der Schwangerschaftsabbruch Unrecht. Es geht jetzt darum, einem Gesetzentwurf zuzustimmen, der durch ein neues Schutzkonzept eine große Chance eröffnet, das ungeborene Leben in Zukunft wirksamer zu schützen. Wir müssen sie hier und heute nutzen. Ich bitte Sie deshalb zuzustimmen.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Inge Wettig-Danielmeier.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach wochenlangen Verhandlungen zwischen Vertreterinnen und Vertretern von CDU/CSU, Grünen, F.D.P. und SPD zeichnete sich in der vergangenen Woche eine Kompromißmöglichkeit ab, die am Wochenende zu einem tragfähigen Gesetzentwurf ausgearbeitet wurde. Ich danke allen Beteiligten an den schwierigen Gesprächen, und ich bedaure sehr, daß wir die Grünen nicht einbeziehen konnten.
Wenn wir die Ausgangslage 1991 nach der deutschen Wiedervereinigung betrachten, so werden wir feststellen, daß alle in dieser schwierigen Frage des Schwangerschaftskonflikts und seiner Bewältigung aufeinander zugegangen sind und nach Regelungen im Interesse der Frauen und im Interesse eines breiten Konsenses gesucht haben.
Ich denke, auch heute sind die Meinungsverschiedenheiten nicht ausgeräumt; aber es ist ein Ausgleich der unterschiedlichen Meinungen gefunden worden, der verhindert, daß das Bundesverfassungsgericht immer wieder zum Schiedsrichter aufgerufen wird.
Auch heute noch sehen wir Sozialdemokraten und Sozialdemokratinnen den Schutz werdenden Lebens am besten in den Händen der betroffenen Frauen aufgehoben. Immer noch sind wir überzeugt, daß das Strafrecht werdendes Leben nicht schützen kann, und immer noch glauben wir, daß die Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse, die Gleichstellung der Frau, mehr bewirkt zum Schutz werdenden Lebens als jedes Strafrecht.
Wenn wir diese unsere Maßstäbe zugrunde legen, sind wir trotz aller Umwege über das Bundesverfassungsgericht unserem Ziel nähergekommen. Das Schwangeren- und Familienhilfegesetz ist in seinem gesellschaftsverändernden Teil vom Bundesverfassungsgericht bestätigt worden.
Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Frauen und Männer ist dem Staat als Aufgabe ausdrücklich zugewiesen worden. Kindergärten und Kinderkrippen, die Schaffung gleichen Zugangs zu Beruf und Ausbildung für Männer und Frauen, die Schaffung sozialen Ausgleichs, all das verlangt das Bundesverfassungsgericht vom Staat, um den Lebensschutz zu gewährleisten.
Nicht zuletzt deshalb wird auch in diesem Gesetz noch einmal eine Verbesserung der Wohnungsfürsorge für junge Schwangere und junge Mütter und Eltern vorgeschlagen.
Wir haben mit dieser Anpassung des Schwangeren- und Familienhilfegesetzes an das Bundesverfassungsgerichtsurteil unsere Aufgabe als Gesetzgeber noch lange nicht erfüllt. Trotz mancher Verbesserung droht der Schwangeren und jungen Mutter immer noch der Verlust des Arbeitsplatzes, weil Arbeitgeber sich ihrer sozialen Pflichten entledigen, weil die Frau mit einem Krippenplatz oder anderer Kinderbetreuung nicht rechnen kann. Und immer noch glauben Politiker, mit vier Stunden Kindergarten sei das Recht auf einen Kindergartenplatz erfüllt.
Aber das kann nur eine kurzfristige Übergangslösung sein. Das Recht auf einen Kindergartenplatz ist das nicht. Die Kinderkrippe muß ebenso kommen wie die Ganztagsschule oder der Kinderhort.
Dennoch, es beginnt ins Bewußtsein zu dringen: Der Staat kann den Frauen und Familien nicht nur Lasten aufbürden. Er muß ihnen auch helfen. Es bleibt noch viel zu tun.
Unser zweites Ziel war, daß Frauen in einer schweren Konfliktsituation selbst entscheiden können müssen. Nur sie selbst können beurteilen, was sie tragen und ertragen können, ob sie einer Schwangerschaft, einem Leben mit einem Kind gewachsen sind.
Dieses Ziel ist, wenn auch etwas anders, als wir es uns vorgestellt hatten, erreicht worden. Die Frau entscheidet im Schwangerschaftskonflikt selbst. Sie muß sich zwar beraten lassen, aber diese Beratung ist ergebnisoffen zu führen. Die Beraterin muß von der Person und ihren Konflikten ausgehen, und sie darf nicht bevormunden, sondern sie soll helfen.
Als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten glauben wir eher an das Gute im Menschen und daran, daß das Notwendige auch freiwillig getan wird. Wir hätten also lieber auf die freiwillige Beratung gesetzt; aber da waren die Mehrheiten hier und das Bundesverfassungsgericht davor.
Inge Wettig-Danielmeier
Wir hätten auch eine ausgewogenere Formulierung des § 219 StGB gewünscht, aber wir können mit diesem Beratungskonzept leben, und ich denke, die Frauen können es auch. Sie sind nicht mehr abhängig von dem Urteil eines Dritten, der die Indikation stellt, und sie haben keinen Hürdenlauf über unterschiedliche Ratgeber mehr vor sich.
Mit diesem Kompromiß haben wir eine Reihe praktischer Fragen gelöst und damit für Frauen, Ärztinnen, Ärzte und Beratungsstellen Rechtssicherheit geschaffen.
Wenn schon der von der Frau selbst entschiedene Schwangerschaftsabbruch nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht mehr von der Krankenkasse gezahlt wird, so ist jetzt doch ein Weg gefunden worden, den Frauen den schwierigen Gang zum Sozialamt zu ersparen. Die Krankenkassen wickeln die Finanzierung ab, die Anonymität der Frauen wird weitgehend gewahrt. Der Einkommensnachweis wird im vereinfachten Verfahren von den Kassen vorgenommen.
Die Erstattung der Kosten durch die Länder ist für uns problematisch. Das kann auch im Bundesrat noch zu schwierigen Diskussionen führen, zumal das neue Lebensschutzkonzept, das in erster Linie von veränderten gesellschaftlichen Bedingungen für die Frau ausgeht, vor allem von den Ländern finanziert wird.
Mit den eindeutigen Regelungen über die Rechte und Pflichten der Ärztinnen und Ante, die den Schwangerschaftsabbruch vornehmen, haben wir Klarheit geschaffen. Es gibt keine zweite Konfliktberatung. Wir hoffen auch, daß damit insbesondere die Unsicherheit in den neuen Ländern behoben wird. Der Arzt steht nun wirklich nicht mit einem Bein im Gefängnis, wie einige immer behauptet haben.
CDU/CSU und F.D.P. sind unserem Vorschlag gefolgt, die embryopathische oder eugenische Indikation entfallen zu lassen. Wir begrüßen das sehr, zumal wir seit 1990 mit unserem Vorschlag eher auf Zurückhaltung gestoßen sind. Es kann bei einer Indikation unserer Meinung nach - da treffen sich inzwischen alle Fraktionen - nur auf die Frau ankommen: auf ihre Belastbarkeit, ihre Lebensperspektive, nicht auf die mögliche Behinderung des Kindes.
Die Vorwürfe gegen die neue medizinische Indikation zeigen, wie irrational dieses Thema immer noch behandelt wird. Schließlich handelt es sich um die „alte" Indikation, die jahrzehntelang nicht zum Mißbrauch geführt hat.
Neben den Regelungen zur Beratung haben wir uns am schwersten mit der Bestrafung des Umfeldes der Schwangeren getan. Die richtige Erkenntnis, daß vor allem das Umfeld - Eltern, Freundinnen und Freunde, der Partner und die Arbeitgeber - die Schwangerschaft annehmen muß, wenn es nicht immer wieder zu Schwangerschaftskonflikten kommen soll, hat das Bundesverfassungsgericht in eine eher undifferenzierte Strafforderung umgemünzt.
Kein einziger Vorschlag - und wir haben uns sicher alle Mühe gegeben - ist wirklich zielgerichtet und trifft die Fälle und gemeinten Personen. Auch die Expertenanhörungen haben keinen praktikablen Vorschlag gebracht. Am ehesten überzeugt noch der Hinweis, den Partner stärker in die Beratungen einzubeziehen.
Dennoch mochte sich die Union nicht dazu durchringen, auf die Verfassungsauflage einfach zu verzichten. So ist zwar das Sonderstrafrecht entfallen; es wurde nur klargestellt, daß der Nötigungstatbestand immer auch die Nötigung zum Schwangerschaftsabbruch umfaßt, sei es durch Schwängerer, Eltern oder Arbeitgeber der Schwangeren. Dazu wurde die verwerfliche Unterhaltspflichtverletzung, die zum Schwangerschaftsabbruch führt, mit Strafe belegt.
Ich glaube, viele, insbesondere ich selbst, ärgern sich immer wieder, daß Unterhaltspflichtverletzungen bei uns als Kavaliersdelikt gehandelt werden.
Insofern tut ein deutlicher Hinweis auf das Unmoralische solchen Tuns gelegentlich gut.
Die Strafvorschrift ist dennoch nicht gelungen; sie ist im wesentlichen eine Verbeugung vor Karlsruhe, und als solche leben wir damit. Dieses Haus täte gut daran, das gesamte Unterhaltsrecht und die Strafandrohung erneut zu überdenken und in ein besseres Konzept zu überführen. Das war aber nicht Aufgabe des Unterausschusses zur Reform des § 218 StGB.
Wir begrüßen, daß wir zum eindeutigen Tatbestandsausschluß beim Schwangerschaftsabbruch nach Beratung gekommen sind. Das trägt vielleicht auch zur Rechtsklarheit bei. Eine Frau, die sich nach der Beratung zum Schwangerschaftsabbruch entschließt, verstößt nicht gegen das Gesetz, wie ich heute morgen noch im Rundfunk hören mußte.
Wenn der gemeinsame Gesetzentwurf heute im Bundestag eine Mehrheit findet und schließlich auch den Bundesrat passiert, dann könnte das Jahrhundertthema Schwangerschaftsabbruch eine Lösung gefunden haben, vielleicht keine dauerhafte, keine für alle Zeiten, jedenfalls aber eine Lösung, die für viele Jahre in einem schwierigen Feld Rechtssicherheit schafft.
Von Kritikerinnen und Kritikern ist der Entwurf, ist der gefundene Ausgleich als fauler Kompromiß diskreditiert worden. Einigen geht er zu weit, anderen nicht weit genug. Es heißt, Spielräume des Bundesverfassungsgerichtsurteils seien nicht ausgelotet worden. Nun, zweimal hat eine Mehrheit des Bundestages die Spielräume ausgelotet, beide Male mit negativem Ausgang. Der Fortschritt wurde in Karlsruhe halbiert. Betroffen waren Frauen, Ärztinnen, Ärzte, Familien. Jahrelange Rechtsunsicherheit war die Folge.
Nachdem wir jetzt über zentrale Fragen eine Verständigung erzielt haben, schien mir und meiner Fraktion ein erneuter Test vor dem Bundesverfassungsgericht entbehrlich zu sein. Er diente nämlich
Inge Wettig-Danielmeier
niemandem, den Betroffenen nicht und auch nicht dem Ansehen des Bundestages, der sich im letzten Jahr nach dem Scheitern des Vermittlungsverfahrens dem Vorwurf ausgesetzt sah, er finde nicht die Kraft zu einer naheliegenden Lösung.
Den Kritikern dieser Lösung möchte ich nach meinem jahrzehntelangen Kampf für die Neugestaltung des Schwangerschaftsabbruchs und für eine andere Familienpolitik noch ein Wort sagen:
Die deutsche politische Theorie ist arm an Gedanken zur Begründung des demokratischen Staates und seiner Funktionsweise. Sie ist reich an Ästheten des Staates, die die Verwirklichung der Staatsidee über alles preisen und deswegen alles verachten und bekämpfen, was dieser Selbstverwirklichung in der Politik entgegensteht. Sie verachten natürlich auch den Kompromiß, der zum Wesen der Demokratie gehört. In den großen Kompromissen bewährt sich die Demokratie, und nicht ohne Grund sprechen wir deshalb vom „Verfassungskompromiß", der produktiven Gestaltung schwieriger politischer Felder mit der Offenheit für neue Lösungen.
Der immer wieder gefundene Ausgleich der Interessen macht die Demokratie überlegen gegenüber anderen staatlichen Organisationsformen. Weil dies so ist, bin ich froh, an diesem schwierigen Kompromiß mitgewirkt zu haben, und bitte um Ihre Zustimmung.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Heinz Lanfermann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Heute will der Deutsche Bundestag einen großen Schritt tun, um eine Reform zum Abschluß zu bringen, die gerade für uns Liberale nach über 100 Jahren Kampf für ein liberales Abtreibungsrecht eine sehr große Bedeutung hat. Ich hoffe, daß das, was heute verabschiedet werden soll, nicht nur für einige, sondern für lange Zeit hält und endlich Rechtsfrieden schafft, insbesondere im Interesse der betroffenen Frauen, auch der Beratungsstellen, ja der ganzen Gesellschaft.
Wenn wir zurückschauen, sehen wir, daß sich die Bevormundung von Frauen wie ein roter Faden durch die Geschichte der Abtreibung zieht. Bevormundung durch Staat und auch Kirche, das hieß auch immer Bevormundung durch Männer. Belehrung, Ignoranz, das Absprechen von Verantwortung, das Vorurteil, Frauen würden leichtfertig abbrechen oder es falle ihnen leicht, moralischer Druck, soziale Ausgrenzung, Vernichtung von Lebenschancen und vor allem härteste und immer auch nutz- und wirkungslose Strafen haben für Frauen über viele Jahrzehnte unsere Gesellschaft geprägt. Viele Männer mußten mühsam lernen, die Welt auch einmal mit den Augen derjenigen zu sehen, die sie oft genug unter Verdrängung der Mitverursachung und damit
auch Mitverantwortung ihrer eigenen Geschlechtsgenossen als Täterinnen sahen und nicht wenigstens auch als das, was sie doch oft genug waren, nämlich Opfer einer schier unlösbaren Konfliktsituation.
Um diese unwürdige Situation zu verändern, haben sich liberale Frauen und Männer immer wieder mit aller Kraft für eine rechtliche Regelung der Abtreibungsproblematik eingesetzt, bei der die Frau nach eigener Prüfung, nach eigener Gewissensentscheidung, ohne Druck und unabhängig von dem Urteil anderer allein darüber entscheidet, ob sie in der Lage ist, die Schwangerschaft fortzusetzen oder ob sie sich für einen Abbruch entscheidet.
Ich darf an dieser Stelle stellvertretend für viele Liselotte Funcke erwähnen und daran erinnern, wie sie sich in den Debatten der 70er Jahre leidenschaftlich dafür eingesetzt hat, das Indikationsmodell abzulösen, auf eine gute Beratung zu setzen und die Frau alleine entscheiden zu lassen.
Diese Stichworte kommen uns auch noch heute aus der Diskussion der letzten Wochen bekannt vor.
Meine Damen und Herren, bei aller Kritik an Einzelpunkten, die quer durch die Fraktionen geht, auch unter denen, die diesen Kompromiß jetzt mittragen, bei allem, was von außen an Kritik herangetragen wird, manchmal vielleicht ein bißchen voreilig - die Kritik an dem Verfassungsgerichtsurteil hat ein schlechtes Beispiel gesetzt; manche haben es begrüßt, die es nachher nicht mehr gerne lesen wollten, und manche haben es verurteilt, die nachher manches darin gefunden haben, was man brauchen konnte -, möchte ich aus Sicht der Liberalen den Blick doch einmal auf das Wesentliche richten.
Wir haben das Ziel der alleinigen und eigenverantwortlichen Entscheidung der Frau erreicht. Wir wollten, daß Rat und Hilfe die Strafe ablösen. Das Gesetz bietet Rat und Hilfe; die Frau wird nicht bestraft.
Die F.D.P. wollte eine Beratung, die nicht belehrt und nicht bevormundet, die nicht belehren und nicht bevormunden darf. Für diese Formulierung habe ich mich in den Verhandlungen - die anderen Beteiligten haben darunter vielleicht etwas gelitten - besonders eingesetzt. Das ist erreicht; das wird wörtlich im Gesetz stehen.
Wir wollten, daß die Mitwirkung der Frau bei der Konfliktberatung eine freiwillige ist - und dies besonders bei der Darstellung von Gründen für den erwogenen Abbruch. Das Gesetz stellt ausdrücklich klar, daß das Konzept der Beratung durch Rat und Hilfe ausschließt, die Frau zur Nennung der Gründe zu zwingen. Aus diesem Grunde darf die Beratungsbescheinigung auch nicht verweigert werden.
Ein besonderes Anliegen der F.D.P. war es, daß es beim Arzt, der den Abbruch vornehmen soll, keine peinliche Befragung gibt, etwa schon deswegen, weil sich der Arzt unter Druck sieht und selber Angst
Heinz Lanfermann
vor Strafe haben müßte. Wir wollten, daß es für die Frauen keinen Hürdenlauf gibt, sondern daß sie sich in einer vertrauensvollen Atmosphäre über die medizinischen Aspekte beraten lassen und nur, wenn sie selber über die Gründe für den Abbruch sprechen wollen, dies tun können. Wir schreiben nun fest: Der Arzt gibt der Frau Gelegenheit, über die Gründe zu sprechen. Sie tut dies freiwillig; sie tut es, wenn sie es wünscht. Dies ist in der Situation das beste, was wir für den Lebensschutz tun können.
Wir haben uns für die Dinge, für die wir uns eingesetzt haben, deswegen eingesetzt, weil sie gut für den Lebensschutz sind. Wir wollten sie niemandem abringen oder abtrotzen, der etwa mehr für Lebensschutz wäre als wir. Wir haben alle das Bemühen gehabt - in den Verhandlungen war das deutlich; das war das Ziel des Gesetzes -, dem Lebensschutz zu dienen. Wir haben über den Weg gestritten, und ich glaube, wir haben den besten gefunden.
Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts dürfen die Abbrüche, die nach der Beratungsregelung durchgeführt werden, nicht aus den Beiträgen der Krankenversicherten bezahlt werden. Wir wollten den Frauen, die den Abbruch nicht selber bezahlen können, den Gang zum Sozialamt ersparen. Sie brauchen nicht zum Sozialamt zu gehen. Die Kosten werden zunächst von den Krankenkassen übernommen, die sich das Geld dann von den Ländern erstatten lassen. Das ist für die betroffenen Frauen die einfachste und sie am wenigsten belastende Abrechnung. Das Verfassungsgericht hat übrigens gewünscht, daß wir einen solchen Weg finden.
Wenn heute die große Chance besteht, daß eine unendlich erscheinende Geschichte doch zu einem vernünftigen Ergebnis gebracht wird und in einem der umstrittensten Regelungsbereiche der letzten 25 Jahre endlich Rechtsfrieden einkehren kann, sollte die erste Feststellung wirklich lauten, daß sich alle in diesem Hause, die guten Willens sind, in diesem Kompromiß wiederfinden können, daß in ihm für sie wichtige Punkte enthalten sind und es deswegen, weil alle aufeinander zugegangen sind, in der Tat weder Sieger noch Besiegte gibt.
Ich sage dies bewußt vor dem Hintergrund, daß in der F.D.P. vor fünf Jahren, als die deutsche Einheit vor der Tür stand und es absehbar war, daß die beiden völlig unterschiedlichen rechtlichen Regelungen betreffend den Schwangerschaftsabbruch durch ein neues einheitliches Gesetz abgelöst werden mußten, das Konzept der modifizierten Fristenregelung mit obligatorischer Beratung entwickelt wurde.
Dieser Vorschlag ging seinen langen demokratischen Weg: in den Parteigremien diskutiert, Programm zur Bundestagswahl 1990 und von der F.D.P.-Bundestagsfraktion zu Beginn der 12. Legislaturperiode in den Deutschen Bundestag eingebracht. Der wesentliche Inhalt bestand darin, daß die alte Indikationsregelung, bei der ein Dritter, nämlich derjenige, der die Indikation stellt, darüber befindet, ob sich die Frau bei einem Abbruch strafbar macht oder
straflos bleibt, durch eine Regelung abgelöst wird, bei der allein die Frau entscheidet, sie allein die Verantwortung trägt, niemand Druck auf sie ausübt, keine Hürden aufgebaut werden, ihr aber Rat und Hilfe gegeben wird, der Staat für eine bessere Verhütung und Aufklärung sorgt, die Möglichkeiten für ein Leben mit dem Kind verbessert werden und dies alles so ausgestaltet wird, daß damit dem Schutz des ungeborenen Lebens besser gedient wird, als dies zuvor sowohl mit der alten Indikationsregelung in Westdeutschland als auch mit der reinen Fristenregelung in Ostdeutschland gewährleistet wurde.
All diese Punkte, all diese Elemente des liberalen Konzepts können heute in die Realität umgesetzt werden. Es hat lange gedauert. Als wir vor fünf Jahren diesen Vorschlag vorgelegt haben, wollten sich weite Teile aus CDU und CSU ihm nicht nähern. Sie glaubten, mit einer Indikationsregelung - wie auch immer ausgestaltet - könne der Lebensschutz besser gewährleistet werden. Es war für Sie vielleicht schwer vorstellbar, daß ein neues, ein anderes Konzept, das jetzt allgemein Beratungskonzept genannt wird, einen besseren Weg eröffnet.
Die Diskussion über die Jahre hinweg und insbesondere das Urteil des Bundesverfassungsgerichts - man sollte nicht aus den Augen verlieren, daß es trotz aller Punkte, die das Bundesverfassungsgericht im einzelnen beanstandet hat, dieses Beratungskonzept und so den damit verbundenen Modellwechsel einmütig mit 8 : 0 Stimmen gebilligt hat - haben zu einer Annäherung der Standpunkte geführt, die es heute vielen Kolleginnen und Kollegen aus CDU und CSU ermöglicht, dem Gesetzentwurf, mit dem dieses Konzept umgesetzt wird, zuzustimmen. Ich freue mich darüber, weil ich bei der Vorlage unseres Entwurfes im Januar gesagt habe: Ich möchte eine breite Mehrheit aus der Mitte des Parlaments für den Rechtsfrieden in dieser Angelegenheit.
Meine Damen und Herren, im Laufe der Jahre ist es auch gelungen, viele Kolleginnen und Kollegen aus der SPD davon zu überzeugen, daß die von ihnen gewünschte Fristenregelung allein mit einem freiwilligen Beratungsangebot angesichts der Art. 1 und 2 unseres Grundgesetzes nicht verfassungskonform ist. Ich glaube, zuletzt hat das Urteil des Bundesverfassungsgerichts eindeutig aufgezeigt, was dort mit einer Fristenregelung ohne Beratungspflicht geschehen würde.
Wenn ich an diese Jahre erinnere, möchte ich auch noch einmal erwähnen, wie sehr die F.D.P. Uta Würfel dankbar ist, die die Verhandlungen in all diesen Jahren durch alle Höhen und Tiefen dieses Themas geführt hat, mit für den Gesetzentwurf gesorgt hat, der hier als Gruppenantrag verabschiedet wurde, und auch die Geschichte der Verfahren in Karlsruhe miterlebt hat.
Heinz Lanfermann
Sie hat für diesen Bundestag nicht mehr kandidiert,
aber ich weiß, daß sie sich über dieses Ergebnis freut.
So hat die Diskussion über den 1992 Gesetz gewordenen Gruppenantrag und das Karlsruher Verfahren im Laufe der Jahre bis hin zu den Beratungen der letzten Wochen gezeigt, daß es möglich ist, auf der Grundlage unseres Vorschlags eine Regelung zu finden, die sowohl den bestmöglichen Schutz des ungeborenen Lebens bietet, verfassungskonform ist als auch für die betroffenen Frauen ein wirklich akzeptables Verfahren bietet.
Meine Damen und Herren, ich möchte auf eine Kritik eingehen, wie sie in den letzten Tagen z. B. von Pro Familia geäußert wurde. Danach sei die Beratungsregelung widersprüchlich angelegt. Diese Kritik ist nicht gerechtfertigt. Hier hat man sich anscheinend durch die Gesetzestechnik verwirren lassen und die innere Verbindung zwischen einzelnen Vorschriften nicht erkannt: § 219 des Strafgesetzbuches folgt direkt der Regelung über die Straffreiheit der Frau bei Abbrüchen nach der Beratungsregelung in § 218a. Hier werden sowohl das Ziel der Beratung - Schutz des ungeborenen Lebens - als auch die Frage der Entscheidungsbefugnis im Sinne der Frau geregelt, indem gesagt wird, daß die Beratung der Frau helfen soll, selbst eine verantwortliche und gewissenhafte Entscheidung zu treffen. Weiterhin wird hier festgelegt, daß dies durch Rat und Hilfe zu geschehen hat. Für das Nähere wird auf § 5 des Schwangerschaftskonfliktgesetzes verwiesen, in dem ausdrücklich gesagt wird, daß erstens die Beratung ergebnisoffen zu führen ist, zweitens die Beratung von der Verantwortung der Frau ausgeht und drittens die Beratung Verständnis wecken und ermutigen soll und nicht belehren und bevormunden darf.
§ 219 StGB und § 5 des Schwangerschaftskonfliktgesetzes sind untrennbar miteinander verknüpft. § 219 sagt ausdrücklich, daß das Nähere in § 5 geregelt ist. § 5 bezieht sich ausdrücklich auf § 219. Meine Damen und Herren, es gilt die eine Vorschrift nicht ohne die andere. Man kann die eine Vorschrift nicht ohne die andere verstehen. Man kann, ja man darf auch nicht die eine Vorschrift ohne die andere anwenden.
Die §§ 219 und 5 sind als zwei Seiten derselben Medaille zu sehen. Wer versucht, nur die eine Seite vorzuzeigen, versteckt zwar kurzfristig die andere, er beseitigt sie aber nicht.
Das heißt konkret: Die Ergebnisoffenheit der Beratung ist nicht gegen das Ziel der Beratung, den Schutz des ungeborenen Lebens, gerichtet. Sie ist die beste Verbündete des Lebensschutzes. Sie ist geradezu die notwendige Voraussetzung für einen möglichst erfolgreichen Lebensschutz.
Lebensschutz fordert eine ergebnisoffene Beratung, und eine ergebnisoffene Beratung fördert den Lebensschutz.
Meine Damen und Herren, es ist kurz erwähnt worden: Der eigentlich größte Anlaß für das Verfassungsgericht, das alte Gesetz teilweise aufzuheben, war die Frage der rechtlichen Konstruktion. Das interessiert das große Publikum nicht. Es ist in den letzten Wochen auch kaum erwähnt worden, weil wir es selbstverständlich so regeln konnten, wie das Verfassungsgericht es gefordert hat. Sie werden verstehen, daß ich deshalb noch einmal darauf hinweise, daß dies sowohl in dem F.D.P.-Entwurf als auch in dem daraus entstandenen Gruppenantrag 1992 genauso enthalten war. In letzter Minute hat man sich aus Gründen der Mehrheitsfindung anders entschlossen, und das Verfassungsgericht hat uns jetzt auf den richtigen Weg wieder zurückgeführt.
Eine wichtige Rolle hat auch die Frage gespielt, ob und wie die Anforderung des Gerichts umzusetzen ist, Strafnormen für das familiäre Umfeld der Schwangeren vorzusehen. Wir hatten hierauf zunächst im Januar verzichtet, aber gleichzeitig eine Anhörung gewünscht, in der diese Frage vertieft wurde. Die Expertenanhörung hat unsere Meinung bestätigt, daß nämlich die Gefahr besteht, daß die Offenheit der Frau für die Beratung und damit auch die Funktion dieser Offenheit beeinträchtigt wird, nämlich für den Lebensschutz zu sorgen, so daß der Gesetzgeber wirklich in ein Dilemma geraten ist.
Wir haben uns, weil in der Tat der Wortlaut des Urteils Strafnormen gebietet, der Inhalt des Urteils aber eigentlich Strafnormen verbietet, im Kompromiß darauf verständigt, daß es eine spezielle Norm in bezug auf das familiäre oder soziale Umfeld so nicht geben wird. § 218d StGB, wie er von vielen gewünscht wurde, kommt nicht in das Gesetz.
Dagegen haben wir zur Klarstellung § 240 insofern erweitert, als die Nötigung zu einem Schwangerschaftsabbruch - wie es bisher auch schon gesehen wurde - in der Regel einen schweren Fall der Nötigung darstellt. Wir haben ebenfalls im Wege des Kompromisses akzeptiert - Frau Wettig hat darauf hingewiesen -, daß es auch dem Sinn dieser Vorschrift entspricht, daß in einem speziellen Fall der Unterhaltspflichtverletzung eine etwas höhere Strafnorm eingeführt wird.
Meine Damen und Herren, es gibt einen Punkt, der sehr viel diskutiert worden ist. Das ist die embryopathische Indikation. Ich will dazu jetzt in der verbleibenden Redezeit keine langen Ausführungen mehr machen. Die jetzt vorgesehene Regelung war nicht unser Wunsch. Wir hätten mit der alten Regelung auch weiter leben können, wenn es den Hinweis gegeben hätte, daß dieses Thema isoliert diskutiert werden könnte, weil es ein sehr schwieriges Thema ist. Die Meinungen gehen weit auseinander. Ich möchte zwei Dingen vorbeugen:
Erstens. Jede Spekulation, daß sich in der Praxis für die betroffenen Frauen, für die betroffenen Eltern etwas ändern würde, scheint meiner Ansicht nach falsch zu sein.
Heinz Lanfermann
Hier ist ein Symbol gesetzt worden, weil - damit will ich gleich das zweite Argument ansprechen - wir in der Vergangenheit, in den letzten Jahren eine Diskussion hatten, die zwar verständlich war - es ging um den Wunsch, daß behindertes Leben nicht weniger schützenswert ist als nichtbehindertes Leben -, die aber von falschen Voraussetzungen ausging.
Wer sich den Gesetzestext der alten Regelung betreffend embryopathische Indikation anschaut, sieht, daß niemals die Behinderung der Grund für einen Abbruch sein durfte. Es war immer die Situation der Frau, auf die abgestellt wurde. Ich möchte für diesen Bundestag und für alle früheren Bundestage - die genau den Gesetzestext früher schon einmal beschlossen haben, der jetzt wieder Gesetzestext werden soll - sagen, daß niemals irgendeiner im Bundestag die Absicht hatte, etwas gegen behindertes Leben zu unternehmen. Das sollte man sich auch nicht aufdrängen lassen.
Meine Damen und Herren, ich muß zum Schluß kommen. Wenn der Kompromiß von Union, SPD und F.D.P. heute eine breite Mehrheit findet, dann können sich die Kräfte endlich wieder auf die anderen Säulen der Reform des Schwangerschaftskonfliktrechts konzentrieren, statt sich in gesetzgeberischer Neuregelung zu verzetteln, denn das Schwangerschaftskonfliktrecht besteht aus mehr als den Paragraphen, die wir heute verabschieden.
Es gilt, die dringend erforderliche Verbesserung der Rahmenbedingungen für ein Leben mit Kindern umzusetzen. Es sind bereits seit 1992 gute Grundlagen gelegt worden, aber wir sind noch nicht am Ziel. Es gilt auch, den Anspruch auf einen Kindergartenplatz umzusetzen.
Frau Wettig, Sie haben von schwierigen Diskussionen im Bundesrat gesprochen. Sie können hier formal nicht für die Länder sprechen, aber ich denke doch, daß die große Volkspartei SPD sich in dieser Frage nicht auseinanderdividieren lassen wird. Ich hoffe, daß wir nicht etwa das Schauspiel erleben, daß ausgerechnet im Bundesrat irgendwelche Länder jetzt auf die Idee kommen, dieses große Reformwerk, diesen historischen Kompromiß, jetzt noch durch kleinliches Einreden irgendwie zu verzögern oder zu verhindern.
Herr Kollege, Sie müssen leider zum Schluß kommen.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. Ich wollte nur noch ein Letztes sagen, was auch zu dem Konzept gehört.
Wir müssen auch die Anstrengungen auf dem Gebiet der Aufklärung und Verhütung verstärken - das gilt auch für den Bundestag und den nächsten Haushalt; ich sage das ganz deutlich -, damit ungewollte Schwangerschaften gar nicht erst entstehen.
Vielen Dank.
Es spricht jetzt die Kollegin Rita Grießhaber.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Spielräume, auch wenn sie eng sind, kann man nutzen. Um das zu tun, hat sich unsere Fraktion an den Verhandlungen über eine interfraktionelle Kompromißlösung zur Regelung des Schwangerschaftsabbruchs beteiligt.
Wir wollten ein Gesetz, das ganz klar die Rechte der Frauen benennt, Beratungsstellen ohne jeden Zweifel absichert und Ärzte sowie das familiäre Umfeld nicht mit besonderen Strafen bedroht. Der jetzt vorliegende Entwurf wird diesen Anforderungen nicht voll gerecht.
Wir haben schon bei unserer Antwort auf die Regierungserklärung zu Beginn der Legislaturperiode angekündigt, daß unsere Fraktion keine Opposition im Generalverriß machen wird. Wir werden auch in dieser Debatte um dieses emotional hochbesetzte Thema des Schwangerschaftsabbruchs von dieser Devise nicht abweichen.
Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Urteil von 1993 nicht mehr viel übriggelassen, worüber man sich noch frei hätte einigen können. Der Spielraum war in der Tat höchst eng. Das Bemühen, zu einer Einigung zu kommen, war anfänglich bei allen Beteiligten sehr groß, und es sind auch Einigungen erzielt worden, die für die Frauen eine reelle Verbesserung bringen. Die Abwicklung der Kosten des Abbruchs über die Krankenkassen möchte ich hier nur als Beispiel nennen.
Aber in zwei ganz entscheidenden Punkten geht der Entwurf von Regierungskoalitionen und SPD weit über das hinaus, was wir mittragen können. Dazu gehört - es ist hier mehrfach angesprochen worden - die Formulierung des § 219, der das Lebensschutzziel regelt, und die vorgesehene Bestrafung des familiären Umfeldes.
Wir haben Sie ja schon im Februar gefragt, was die Regelung der Beratung im Strafrecht zu suchen hat, und haben keine befriedigende Antwort darauf bekommen. Ich frage Sie jetzt: Wenn Sie schon darauf bestehen, daß diese Regelung ins Strafrecht hineingeschrieben wird, warum dann nicht zusammen mit der ergebnisoffenen Beratung? Was hat Sie daran gehindert, diese ergebnisoffene Beratung mit in den § 219 hineinzuschreiben, wenn das Verfassungsgericht sie im Urteil so benannt hat?
Herr Lanfermann, wenn Weg und Ziel zwei Seiten derselben Medaille sind, dann können Sie diese auch nicht teilen und die eine Seite ins Münzfach
Rita Grießhaber
und die andere Seite ins Scheinfach stecken, dann soll man sie zusammen benennen und nicht einseitig im Strafrecht das Lebensschutzziel verankern, die ergebnisoffene Beratung aber nur im Beratungsgesetz festschreiben.
Die F.D.P. kredenzt auf ihren Parteitagen gerne das liberale Profil als Wein, und hier wird das Wasser mit Kompromissen, die nicht nötig sind, getrunken.
Ich weiß, daß viele, die diesem Kompromiß heute zustimmen werden, es genau wegen dieses § 219 und seiner sehr einseitigen Formulierung nur sehr schweren Herzens tun. Sie haben viele Jahre für eine andere Regelung gekämpft. Es ist bitter, dem § 219 jetzt in dieser Formulierung zustimmen zu müssen.
Wir wollten in diesem Punkt eine Einigung mit SPD und F.D.P., die besser ausgesehen hätte. Aber wir haben - ich weiß, wie das ist - nicht den Verzicht auf den Gang nach Karlsruhe zu bieten, der wirklich entbehrlich ist; aber das brauche ich hier nicht mehr zu sagen. Das ist keine Ironie. Ich weiß, wie hoch dieser Klageverzicht politisch einzuschätzen ist. Aber es ist auch ein Problem, daß genau mit diesen Klageandrohungen hier Politik gemacht wird.
Wir gehören nicht zu den Anhängerinnen eines Politikersatzes aus Karlsruhe. Es ist bedenklich, wenn Urteile wie das zum Schwangerschaftsabbruch, die in sich widersprüchlich sind, die Politik dazu verleiten, Gesetze zu machen, die diese Widersprüche weiter zuspitzen.
Ich möchte das an Hand der Bestrafung des familiären Umfelds beleuchten. Karlsruhe hat entschieden, daß das werdende Leben über ein Beratungskonzept zu schützen sei, und gleichzeitig eine Strafnorm für das familiäre Umfeld gefordert. Fast alle Experten haben wiederholt festgestellt, daß sich die beiden Konzepte widersprechen.
Die Strafrechtsexpertin Frau Professor Nelles hat dafür bei der Anhörung ein sehr treffendes Bild gefunden:
Wenn das Bundesverfassungsgericht nach sorgfältiger Abwägung der Fortbewegungsfreiheit gegen das Verbot, andere zu gefährden, zu dem Ergebnis käme, daß unter ganz bestimmten, vom Gesetzgeber zu formulierenden Voraussetzungen es an einigen Stellen auch Ampeln geben müßte, die sowohl Rot als auch Grün gleichzeitig zeigen, dann ergibt sich aus diesem Postulat schon die Unsinnigkeit einer solchen Regelung an sich, und ein Gesetzgeber wäre gut beraten, wenn er mit gnädigem Stillschweigen darüber hinwegginge.
Dieser weise Rat wurde im Kompromißentwurf nicht berücksichtigt. Statt dessen wurde der Nötigungsparagraph 240 des Strafgesetzbuches erweitert und die Nötigung zu einem Schwangerschaftsabbruch als Regelbeispiel eines besonders schweren Falls der Nötigung ausgestaltet.
Hier geht es nicht darum, daß wir schwangere Frauen nicht schützen wollen. Den Schutz des § 240 hatten sie auf dem Papier auch bisher. Das merken Sie, wenn Sie sich das in der Realität einmal anschauen. Aber wie die Anhörung gezeigt hat, liegen die eigentlichen Probleme in der Praxis an einer ganz anderen Stelle. Wenn sich eine Frau zum Abbruch genötigt sieht, dann meist nicht, weil sie sich unmittelbar bedroht fühlt, sondern weil sie langfristig nicht mit der Solidarität des familiären Umfelds rechnen kann.
Frau Roeder hat das auf die eindringliche Formel gebracht: „Klar gesagt, niemand freut sich auf das Kind."
Mit den §§ 240 und 170b schaffen Sie symbolisches Strafrecht. Was für die Praxis besonders schwer wiegt: Diese Strafandrohungen verunsichern Frauen, die sowieso schon die Hürde der erzwungenen Beratung überwinden müssen.
Ich will hier mit aller Deutlichkeit sagen: Ein Recht auf Beratung wäre eine wirkliche Hilfe für viele Frauen gewesen. Das Urteil wollte es anders. Nun liegt es an den Beraterinnen — meistens schaffen sie das auch -, aus dieser Situation das Bestmögliche zu machen.
Daß nun aber durch die drohende Strafe noch die Unsicherheit dazukommt, daß sich Frauen überlegen müssen, wie offen sie wirklich ihre Probleme darlegen können, ist nicht hilfreich. Inwieweit die Familienplanungszentren durch die Regelung wirklich abgesichert sind und ob nicht eindeutigere Formulierungen größere Rechtssicherheit geschaffen hätten, muß sich erst noch erweisen.
Lassen Sie mich noch etwas anderes sagen. Hier wurde viel davon gesprochen, daß hier ein Gesetz im Hauruckverfahren verabschiedet werde. Wer an den Prozessen beteiligt war und die jahrelange Diskussion kennt, kann diesen Punkt wirklich nicht bestätigen.
Mit Erstaunen nehmen wir aber zur Kenntnis, daß Sie jetzt die Regelung des Betreuungsunterhalts sowie die Gleichstellung ehelicher und nichtehelicher Kinder in das Beratungsrecht mit hineingenommen haben. Das ist eine ganz problematische Entwicklung, die wir hier haben. Wieso müssen alle Verbesserungen für die Kinder, sei es die Gleichstellung beim Betreuungsunterhalt oder sei es der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz, immer Abfallprodukt eines Schwangerschaftsgesetzes sein?
Rita Grießhaber
Warum können sie nicht Inhalt eines Gesetzes für Hilfen für Kinder sein, so wie wir das haben wollen? Warum tauchen sie immer nur auf, wenn es darum geht, Abbrüche zu verhindern? Warum betreiben wir nicht eine aktive positive Kinderpolitik und kommen endlich zu einer Reform des Kindschaftsrechtes, die auch den Anspruch auf eine bedarfsgerecht gestaltete Betreuung beinhaltet? Nein, immer nur, wenn man mit der Knute des Zwangs über den Frauen steht und fordert, daß sie nicht abbrechen sollen, sind wir in der Lage, hier kleine Schritte zu machen und uns vorwärtszubewegen. Das ist eine Schande.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Christina Schenk.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es hat hier den Anschein, als wäre es gelungen, das für die Öffentlichkeit ohnehin weithin unverständliche Gezerre um eine Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs endlich zu einem guten Ende zu bringen. Lobpreisungen allenthalben, nur die Grünen sind nicht ganz zufrieden, weil ihre Anpassungsleistung nicht honoriert worden ist.
Ich möchte hier klarstellen: Es bleibt dabei, auch dieser Kompromiß mißachtet das Selbstbestimmungsrecht von Frauen, spricht ihnen die Fähigkeit ab, selbstverantwortlich zu entscheiden. Dieser Kompromiß bedeutet, daß sich die Situation für Frauen in einigen Gebieten Westdeutschlands verbessern wird und daß sie in einigen Gebieten Westdeutschlands gleichbleibt. Dieser Kompromiß bedeutet aber vor allen Dingen, daß ostdeutsche Frauen ihn mit einer drastischen Verschlechterung ihrer Situation gegenüber den Verhältnissen, die in diesem Zusammenhang in der DDR geherrscht haben, bezahlen müssen. Ich bin ganz sicher: Das, was heute vorliegt, ist in dieser Frage nicht das letzte Wort.
Ich möchte hier die Gelegenheit nutzen, den Blick noch einmal auf den Gesamtprozeß, den Gesamtzusammenhang zu lenken.
Am Anfang stand der Einigungsvertrag. In diesem wurde der künftige gesamtdeutsche Gesetzgeber aufgefordert, eine Regelung zu treffen, die, wie es hieß, einen besseren Schutz des vorgeburtlichen Lebens gewährleistet, als dies bisher in beiden deutschen Staaten der Fall gewesen sei.
Schon diese Formulierung machte deutlich, daß es nicht um Frauen und deren Lebenssituation ging; denn dann hätte die Frage der Vermeidung ungewollter Schwangerschaften im Vordergrund stehen müssen, und das hätte bedeutet, daß der freiwilligen Beratung und vor allem der Aufklärung ein besonderer Stellenwert hätte gegeben werden müssen. Aber wenn ich mir den Umgang hierzulande selbst mit
harmlosen Aufklärungsbroschüren angucke, die sich lediglich dadurch auszeichnen, das sie die Dinge, um die es geht, beim Namen nennen, und die genau deswegen im Reißwolf landen, dann macht das deutlich, wie weit wir davon noch entfernt sind.
Wenn es um Frauen und deren Lebenssituation gegangen wäre, dann hätte es um die Diskrepanz zwischen Kinderwunsch einerseits und dessen Realisierung andererseits gehen müssen. Im Osten hat diese Differenz eine dramatische Dimension angenommen. Nicht der Kinderwunsch hat im Osten abgenommen, sondern die Bereitschaft, Kinder zur Welt zu bringen. Das hat zu tun mit den Arbeitsmarktchancen von Frauen, und das hat zu tun mit den Bedingungen für die Vereinbarkeit von Beruf und Kinderbetreuung.
Es geht hier nicht um Frauen, und es geht auch nicht um Kinder, es geht um die Kontrolle über Frauen - von jeher eine der tragenden Säulen patriarchaler Gesellschaften. Es geht hier um ein Frauenbild, in dem Frauen als die eigentliche Gefahr für das vorgeburtliche Leben wahrgenommen werden, in dem sie als verantwortlich und souverän entscheidende Subjekte nicht vorkommen. Dies äußert sich darin, daß die befruchtete Eizelle bzw. der Fötus eine hypertrophierte Bedeutungszumessung erfährt.
Das kam im Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1993 sehr deutlich zum Ausdruck und findet jetzt auch im Kompromiß seinen Niederschlag. Im Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist der Fötus zum Rechtssubjekt erklärt und damit personalisiert worden. Auf diese Weise gelingt es, ihm ein eigenständiges Lebensrecht zuzusprechen, das dann natürlich durch den Staat zu schützen sei. Damit wird nicht von der Frau, die das allein wissen kann, sondern von außen, durch den Gesetzgeber, definiert, was eine Leibesfrucht für die schwangere Frau zu sein hat, nämlich Mensch von Anfang an.
Ich hatte in der letzten Debatte in diesem Hohen Hause zur Frage des Schwangerschaftsabbruchs bereits mit aller Deutlichkeit darauf hingewiesen, daß diese Frage prinzipiell nicht objektiv, sondern ausschließlich subjektiv, aus der Sicht der schwangeren Frau, beantwortbar ist. Der Fötus ist - ich wiederhole das hier -, wenn es sich um eine gewollte Schwangerschaft handelt, für die schwangere Frau ihr Kind - wenn Sie so wollen, vielleicht auch von Anfang an -, oder aber es ist, wenn es sich um eine ungewollte Schwangerschaft handelt, ein Etwas, das eine Bedrohung für ihren Lebensentwurf darstellt.
Das ist die volle Spannbreite, in dem sich jede Frau irgendwo - je nach Weltanschauung, je nach Kinderwunsch, je nach Lebensplanung - verortet.
In dieser Frage gibt es keinen allgemeinen Konsens in der Gesellschaft.
- Das müssen auch Sie zur Kenntnis nehmen, Herr Hüppe.
Christina Schenk
Diesen Konsens kann es auch nicht geben; denn es geht hier nicht um naturwissenschaftlich objektiv nachweisbare Wahrheiten, sondern um ein ganz persönlich motiviertes Werturteil, das je nach der individuellen Situation unterschiedlich ausfällt.
Lassen Sie mich das so klar sagen: Bereits die Prämissen, von denen das Bundesverfassungsgericht ausgegangen ist, und die Schlußfolgerung, d. h. das Konzept, das daraus entwickelt worden ist, sind schon vom Ansatz her verfehlt. Es ist der Versuch, einer möglichen Sicht der Dinge, die durchaus ihre Berechtigung hat, zu einer Allgemeingültigkeit zu verhelfen. Das können wir nicht akzeptieren.
Es müßte das Ziel eines demokratischen Gesetzgebers sein, in einer Frage, die sich einer allgemein annehmbaren Beantwortung entzieht, die in der Gesellschaft vorhandene divergierende Meinung zu akzeptieren und auf der Ebene der Rechtsnormen Möglichkeiten zu schaffen, diese verschiedenen Auffassungen als gleichwertig zu respektieren.
Letztlich - ich würde das so klar sagen wollen - ist der Umgang mit der Frage des Schwangerschaftsabbruchs ein Indiz für den Stand der Demokratieentwicklung in einer Gesellschaft.
Bevor ich auf einige Einzelheiten eingehe, möchte ich noch etwas Grundsätzliches sagen: Hier wird der Eindruck erweckt, zu dem zwischen CDU/CSU, F.D.P. und SPD ausgehandelten Kompromiß hätte es keine Alternative gegeben. Zum einen möchte ich an dieser Stelle noch einmal darauf hinweisen, daß der Gesetzgeber mitnichten an ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts gebunden ist.
Es steht ihm insbesondere frei, dessen Interpretationsspielraum zu definieren.
Die PDS ist der Auffassung, daß das Urteil dem Wesensgehalt der Grundrechte widerspricht. Wir haben daher einen Gesetzentwurf eingebracht, der eine Ergänzung des Grundgesetzes vorschlägt, die klarstellt, daß die Grundrechte auch für Frauen uneingeschränkt gelten. Art. 2 sollte durch den Satz ergänzt werden:
Jede Frau hat das Recht, selbst zu entscheiden, ob sie eine Schwangerschaft austrägt oder nicht.
Es muß konstatiert werden, daß wir gegenwärtig noch von einer Dominanz des konservativen Denkens sprechen müssen und es daher für einen solchen souveränen Schritt keine Mehrheiten im Bundestag gibt.
Zum anderen wäre es, so meine ich, durchaus möglich gewesen, links von der CDU/CSU einen Kompromiß zu finden. SPD, F.D.P. und auch die Bündnisgrünen standen sich durchaus näher als die SPD und die CDU/CSU. Die SPD rechtfertigt nun die große Koalition in der Abtreibungsfrage damit, daß nur durch das Zugehen auf die Union eine erneute Anrufung des Bundesverfassungsgerichts vermieden werden kann.
Dazu ist zweierlei zu sagen. Erstens. Auch mit dem jetzigen Kompromiß ist dieser Schritt nicht ausgeschlossen. Die bayerische Staatsministerin für Bundesangelegenheiten, Frau Ursula Männle, hat laut einer Agenturmeldung vom gestrigen Abend diese Möglichkeit ausdrücklich offengelassen.
Zweitens. Selbst wenn es zu einer erneuten Klage käme, wäre ein solcher Schritt der politischen Öffentlichkeit heute nicht mehr vermittelbar. Es bleibt das Geheimnis der SPD, meine Damen und Herren, warum ausgerechnet sie den Konservativen hilft, dem Modernisierungsdruck, der gerade in der Frage der Bewertung von Schwangerschaftsabbrüchen durch die Divergenz zwischen Parteimeinung und Mehrheitsmeinung in der Bevölkerung entsteht, auszuweichen.
Durch dieses Vorgehen der SPD haben wir es jetzt mit einem Gesetzentwurf zu tun, der sich eng an das Urteil hält und in wesentlichen Punkten völlig inakzeptabel ist.
Ich möchte etwas zur Frage der Beratung und zur Frage der Strafbarkeit des Umfeldes sagen.
Es geht hier nicht um die Pflichtberatung schlechthin, sondern um den Inhalt der Beratung. Dieser wird an zwei Stellen geregelt, zum einen im Strafgesetzbuch, zum anderen im Beratungsgesetz. Interessant ist nur, daß sich die beiden Formulierungen sehr deutlich voneinander unterscheiden. Im Strafgesetzbuch wird erstmals eine Zielorientierung der Beratung festgelegt. Es geht um „die Ermutigung zur Fortsetzung der Schwangerschaft" und auch darum, daß der Frau in der Beratung bewußt gemacht werden muß, daß das Ungeborene in jedem Stadium der Schwangerschaft ihr gegenüber ein eigenständiges Recht auf Leben hat und daher ein Schwangerschaftsabbruch nur dann in Betracht kommen kann, wenn die Belastung, wie es dort heißt, durch das Austragen einer ungewollten Schwangerschaft so schwer und außergewöhnlich ist, daß sie die zumutbare Opfergrenze übersteigt.
Meine Damen und Herren, es ist Augenauswischerei zu behaupten, unter solchen Rahmenbedingungen könne noch von einer wirklich freien Entscheidung der Frau gesprochen werden.
Generell sollen Frauen durch die Beratung zu einer verantwortlichen und gewissenhaften Entscheidung befähigt werden. Das heißt aber doch im Umkehrschluß, daß Frauen von sich aus grundsätzlich nicht dazu in der Lage sind. Ich meine schon, daß insbesondere ostdeutschen Frauen derartige Sätze tiefgehende Erkenntnisse über das Patriarchat bundesdeutscher Prägung vermitteln.
Zur Beruhigung derjenigen, die eine so festgelegte Zielorientierung zu Recht als unerträgliche Bevormundung ansehen, wird im Gesetz über die sogenannte Schwangerschaftskonfliktberatung betont,
Christina Schenk
daß die Beratung ergebnisoffen zu sein habe. Aber gerade die Offenheit der Beratung wird durch die in § 219 StGB vorgeschriebene Indoktrination ad absurdum geführt. Herr Lanfermann, es hat doch einen Grund, daß das eine im Strafgesetzbuch so formuliert und das andere im Beratungsgesetz anders formuliert worden ist. Dieser Widerspruch zwischen Strafgesetzbuch und Beratungsgesetz bedeutet letztendlich für die Beratungsstellen bei den Beratungen Rechtsunsicherheit.
Wenn der vorliegende Kompromiß angenommen wird, hat die Bundesrepublik Deutschland noch immer eine der restriktivsten Umgangsweisen mit ungewollten Schwangerschaften im europäischen Vergleich. Die Bundesrepublik ist - ich stelle das zum wiederholten Male hier fest - noch immer ein frauenpolitisches Entwicklungsland. Der vorgelegte Kompromiß ist mit einer Anerkennung der universellen Geltung der Menschenrechte für Frauen unvereinbar. Die PDS wird daher diesen Kompromiß ablehnen.
Es spricht jetzt die Abgeordnete Claudia Nolte.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Einigungsvertrag von 1990 wurde der gesamtdeutsche Gesetzgeber verpflichtet, bis Ende 1992 eine Regelung zu treffen, die den Schutz des vorgeburtlichen Lebens und die verfassungskonforme Bewältigung von Konfliktsituationen schwangerer Frauen besser gewährleistet, als dies in den beiden Staaten in Deutschland vorher der Fall war.
Ich habe damit insbesondere die Erwartung verbunden, daß eine Regelung gefunden wird, die im Gegensatz zu den gesetzlichen Bestimmungen der ehemaligen DDR, in der ein Recht auf Abtreibung als Mittel der Familienplanung bestand,
den Schutz des ungeborenen Lebens in den Vordergrund stellt.
Eine parlamentarische Mehrheit in diesem Haus hat im Juni 1992 eine spezifische Fristenregelung beschlossen, der ich aus Gewissensgründen nicht zustimmen konnte und die auch der Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht nicht standgehalten hat. Das Urteil vom 28. Mai 1993 unterstreicht ganz deutlich, daß der Schwangerschaftsabbruch grundsätzlich als Unrecht angesehen werden muß und demgemäß rechtlich verboten ist. Die Schutzpflicht des Staates für die Achtung der Menschenwürde und das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit läßt keine Unterbrechungen, Stufungen, Fristen oder verschiedene Wertungen zu;
Beratung und Hilfe werden von den Richtern noch stärker in den Mittelpunkt gerückt.
Der Kompromißvorschlag von CDU/CSU, SPD und F.D.P., der heute als Beschlußempfehlung des Ausschusses zur Abstimmung steht, orientiert sich an den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts. Es war keine leichte Aufgabe, zwischen den Koalitionsfraktionen und der größten Oppositionspartei einen Konsens zu finden, aber dieser Gesetzentwurf, der einen neuen Ansatz versucht, schafft Rechtssicherheit.
Ich begrüße ausdrücklich, daß niemand mehr dem noch ungeborenen Menschen sein eigenes Recht auf Leben abspricht und der Schutz des Lebens als Beratungsziel festgeschrieben wird. Der Entwurf konzentriert sich in seiner Zielsetzung, menschliches Leben vor der Geburt besser zu schützen, ausschließlich auf Beratung und Hilfe für die Schwangere. Sicherlich sind bei der Beratungspflicht deutliche Verbesserungen festzustellen. Die Erfahrungen des alten Gesetzes, das ebenfalls eine Beratung verlangte, macht allerdings die Schwierigkeiten deutlich, nur allein mit einem Beratungskonzept ungeborenes menschliches Leben ausreichend schützen zu können.
Es macht mich nachdenklich, daß nach der Neuregelung des Jahres 1976 insbesondere deren praktische Handhabung kritisiert wurde.
So beklagte z. B. Landesbischof Claß während der 6. Synode der EKD die Verkehrung der ursprünglichen Absicht des Gesetzgebers. Immer selbstverständlicher werde von einem Rechtsanspruch auf Abtreibung gesprochen.
Für mich ist entscheidend - und darauf verweist auch das Bundesverfassungsgericht -, daß das Schutzkonzept so ausgestattet sein muß, daß es geeignet ist, den gebotenen Schutz zu entfalten und nicht in eine zeitlich begrenzte rechtliche Freigabe des Schwangerschaftsabbruchs übergeht oder als solche wirkt.
Es wäre ein falsches Signal, wenn der Eindruck entstünde, daß der Schutz des noch ungeborenen Kindes zurückgenommen wird. Das Lebensrecht und die Würde des Menschen sind für mich die vitale Basis der Grundrechte. Ihr Schutz ist für mich eine Grundsatzfrage, die eine Gewissensentscheidung erfordert. Ich bezweifle, daß allein die Beratung und die klarere Einbeziehung des Umfeldes als rechtlicher Schutz ausreichen. Ich werde deshalb als Abgeordnete diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen,
auch um einem Denken, nach dem das, was nicht strafbar ist, erlaubt sei, entgegenzuwirken. Ich bitte, dies zu respektieren. Genauso respektiere ich die Gewissensentscheidung der Kolleginnen und Kollegen, die dieses Beratungskonzept für geeignet halten, den Lebensschutz zu verbessern.
An die Beratung werden sehr hohe Anforderungen gestellt. Der Erfolg der ergebnis-, aber nicht zieloffenen Beratung ist für den konkreten Lebensschutz und die Schutzwürdigkeit des ungeborenen Kindes von größter Bedeutung. Deshalb muß jetzt alles ge-
Claudia Nolte
tan werden, daß sie in der Praxis auch ihre Wirkung entfaltet. Wir alle haben die Verpflichtung, dafür zu sorgen, daß die Vorgaben für die Beratung umgesetzt werden.
Die Beratung hat eine Signalwirkung und kann das Bewußtsein für das Lebensrecht insgesamt schärfen. Aus gutem Grund erwartet das Bundesverfassungsgericht, daß wir die Auswirkungen des neuen Beratungskonzepts genau beobachten. Hier bleiben wir über den heutigen Tag hinaus in der Pflicht.
Meine Damen und Herren, selbstverständlich gehören zu einem umfassenden Lebensschutz auch die äußeren Rahmenbedingungen. Auf allen Gebieten müssen wir dafür sorgen, daß unsere Gesellschaft familienfreundlicher wird und Kinder Vorfahrt haben. Ob Frauen sich für ein Kind entscheiden, hängt vielfach von den Menschen ihrer unmittelbaren Umgebung - Partnern und Eltern, aber auch von Arbeitgebern oder von Wohnungsvermietern - ab. Gerade auch wir als Politikerinnen und Politiker sind gefordert, die Voraussetzungen für ein Leben mit Kindern in unserer Gesellschaft zu verbessern.
Mit dem vom Bundestag beschlossenen Familienleistungsausgleich und der neu getroffenen Vereinbarung zur Wohnbauförderung sind hier wichtige Schritte getan worden. Weitere müssen folgen.
Wenn wir eine schwangere Frau in ihrem Ja zum Kind bestärken wollen, muß sie Bedingungen vorfinden, die ihr eine Perspektive für das Leben mit dem Kind eröffnen. Unsere Verantwortung für den Lebensschutz ist eine dauerhafte Aufgabe.
Es spricht jetzt die Kollegin Edith Niehuis.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen und Kolleginnen! Bis es zu dieser Debatte über einen Kompromiß zum Schwangeren- und Familienhilfegesetz und zur Neuregelung des § 218 StGB kommen konnte, sind diejenigen, die heute bereit sind, einen Kompromiß zu schließen, einen langen Weg gegangen.
Die deutsche Vereinigung hat es uns auf Grund der unterschiedlichen gesetzlichen Regelungen in Ost und West ermöglicht, daß wir hier im Parlament über eine bundeseinheitliche Regelung zu entscheiden haben.
Die SPD hat mit ihrem Gesetzentwurf vom 21. Juni 1991 ihre Vorstellung zum gesetzlichen Rahmen im Bundestag eingebracht. Dieses Konzept, das damals schon abgekürzt Schwangeren- und Familienhilfegesetz hieß, setzte auf Hilfe mit einem Paket von frauen-, kinder- und familienpolitischen Maßnahmen, nicht auf Strafe, setzte auf Fristenregelung und auf die vorhandene Entscheidungskompetenz der Frau. Mit einem Rechtsanspruch auf freiwillige Beratung sollte der Frau in ihrem Schwangerschaftskonflikt Hilfe geboten werden.
Ich sage auch heute noch: Ich halte das Konzept der freiwilligen Beratung nach wie vor für das bessere Konzept.
Dieses neue Schutzkonzept - Hilfe statt Strafe - war auch die Grundlage des Gruppenantrages. Auch das Bundesverfassungsgericht hat diesen Wandel im Schutzkonzept bestätigt.
Ich betone das in der Hoffnung, daß die rechtliche Diskussion rund um den § 218 mit der heutigen Debatte im Bundestag hoffentlich zu einem guten Ende geführt wird, daß in diesem Parlament über Maßnahmen zur Schaffung einer kinder-, frauen- und familienfreundlichen Gesellschaft aber auch in Zukunft gestritten werden wird.
Ich erinnere an dieses Schutzkonzept, weil es mich schon stolz macht, daß es heute gelingen wird, eine große Mehrheit zu finden, die einem Wandel im Schutzkonzept zustimmen wird.
Die öffentliche Reaktion auf den Kompromiß, den wir heute diskutieren, ist überwiegend positiv. Dennoch gibt es auch kritische Stimmen - auch hier im Parlament. Das ist das Schicksal eines jeden Kompromisses. Es ist nicht nur erlaubt, sondern auch wünschenswert, daß man sich als politischer Mensch die jeweilige politische Ideallösung als Maßstab erhält. Das werde auch ich tun.
Bei mancher Kritik, die geäußert wird, habe ich den Eindruck, daß die vorhandene idealtypische Vorstellung den klaren Blick für die Beurteilung des heute vorliegenden Kompromisses getrübt hat. Ich möchte dies gerne an ein paar Punkten, die mir in der Diskussion um die gesetzliche Neuregelung immer wichtig waren, deutlich machen. Es geht darum - was das Verfassungsgericht ausdrücklich bestätigt hat -, daß man werdendes Leben nicht gegen die Frau, sondern nur mit der Frau schützen kann.
Frau Nolte, ich habe Respekt vor jeder Gewissensentscheidung hier im Parlament - auch vor der Ihrigen. Aber es betrübt mich zutiefst, wenn ich von einer Frauenministerin indirekt hören muß, daß Sie es für kein Schutzkonzept halten, wenn wir uns auf die Entscheidung der Frau verlassen. Das ist betrüblich.
Neben den Hilfen geht es hier auch um das Frauenbild, das ein Gesetz vermittelt, und um eine gute Beratung im Schwangerschaftskonflikt, für die ein Gesetz Sorge zu tragen hat.
In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal an die Gesetzeslage erinnern, die in der alten Bundesrepublik vor 1990 galt. Mit diesem Kompromiß ist es endgültig vorbei, daß eine Frau im Schwanger-
Dr. Edith Niehuis
schaftskonflikt - wie nach der alten Regelung - mit dem Strafgesetzbuch verfolgt wird. Mit diesem Kompromiß ist es endgültig vorbei, daß die Frau den demütigenden und belastenden Hürdenlauf machen muß, den sie zu Zeiten der Indikationenregelung machen mußte. Frauen mußten zunächst zur Beratungsstelle, anschließend zum Arzt, von dessen Entscheidung es abhing, ob sie die notwendige Indikation für den Schwangerschaftsabbruch erhielten oder nicht. Damals, vor 1990, war es nicht die Frau, sondern ein Dritter, der die Letztentscheidung über die Lösung des Schwangerschaftskonflikts hatte.
Mit dem vorliegenden Kompromiß wird geregelt - das hat auch das Bundesverfassungsgericht bestätigt -, daß es die Frau ist, die darüber entscheidet, wie sie ihren Schwangerschaftskonflikt bewältigt. Schon dieser grobe Rahmen der Einschätzung macht deutlich, daß es nicht zutrifft - wie manche das behaupten -, daß dieser Kompromiß zu Lasten der Frau geht.
Schauen wir uns ein bißchen näher an, was in dem Kompromiß steht, insbesondere das, worauf ich sehr viel Wert lege: eine gute Beratungsregelung. Die Behauptung, hier ginge es um eine Bevormundung der Frau - wie ich es bei den Grünen gelesen habe -, ist schlichtweg falsch, ist unhaltbar und fahrlässig, weil solche Aussagen Frauen und Beratungsstellen unnötigerweise verunsichern.
- Nein, das ist nicht wahr.
Der § 219 des Kompromisses ist die vom Bundesverfassungsgericht formulierte Übergangsregelung. Über diese hat die Vorsitzende von Pro Familia, Frau Meier, in einem Interview im Südwestfunk am 4. November 1994 gesagt:
Man kann vielleicht ganz pointiert sagen, daß wir mit der Übergangsregelung lieber noch eine Zeitlang leben wollen als mit einem unbefriedigenden und sehr restriktiven Bundesgesetz.
Das hat die Vorsitzende von Pro Familia gesagt, und sie hat sehr gut gewußt, warum sie das gesagt hat.
In dem § 219 ist natürlich der Schutz des ungeborenen Lebens sehr deutlich geregelt - so hat das Bundesverfassungsgericht das beschrieben -; aber in dieser Vorschrift steht ebenso, daß die Beratung der Frau helfen soll, eine verantwortliche und gewissenhafte Entscheidung zu treffen. Also ist zweifellos schon in § 219 die Letztentscheidung der Frau verankert, und das ist wichtig. Durch den Wegfall des Hinweises auf die Indikationen, die noch in der Übergangsregelung des Bundesverfassungsgerichts vorhanden waren, und durch den Hinweis auf das Schwangerschaftskonfliktgesetz ist der § 219 im Sinne einer guten Beratung im Vergleich zur heute geltenden Übergangsregelung noch verbessert worden.
In § 5 des Schwangerschaftskonfliktgesetzes ist der Maßstab für die Beratung nach § 219 durch die Nennung dreier wichtiger Prinzipien festgeschrieben: Die Beratung ist ergebnisoffen zu führen, sie geht von der Verantwortung der Frau aus, sie soll ermutigen und Verständnis wecken, nicht belehren und nicht bevormunden. Des weiteren ist festgelegt, daß es zwar wünschenswert ist, daß die Gründe für ihren Schwangerschaftskonflikt von der Frau genannt werden. Es ist aber auch festgelegt, daß ihre Gesprächs- und Mitwirkungsbereitschaft nicht erzwungen werden kann. Das heißt, in diesem Kompromiß ist festgeschrieben, was alle Beraterinnen in den Anhörungen des Deutschen Bundestages zu diesem Thema aus ihrer professionellen Sicht und Erfahrung im Sinne einer guten Beratung gefordert haben. Dies müssen auch die Kritikerinnen zur Kenntnis nehmen, und sie müssen ein wenig vorsichtiger sein, wenn sie über den Beratungsteil in diesem Kompromiß reden.
Das Bundesverfassungsgericht hat vorgeschrieben, daß die Beratungsstellen - dies sah der Gruppenantrag nicht vor - nach einem bestimmten Zeitraum überprüft und ihre Anerkennung erneuert werden muß. Wegen der hier und dort zu hörenden Befürchtung, diese Berichtspflicht der Beratungsstellen könne das Vertrauensverhältnis zwischen Frauen und Beraterinnen belasten, möchte ich noch einmal ganz ausdrücklich sagen, daß die von den Beraterinnen anzufertigenden Aufzeichnungen über Inhalt der Beratung und Angebot der Hilfsmaßnahmen keine Rückschlüsse auf die Identität der Schwangeren ermöglichen dürfen. Das Vertrauensverhältnis kann auf Grund dieser Tatsache also nicht gestört sein.
Natürlich ist es uns als Gesetzgeber vollkommen unmöglich, den Schwangerschaftskonflikt in einem Gesetz so zu formulieren, daß alle Seiten mit der Wortwahl einverstanden sind. Auch mich stört einiges an der Wortwahl; aber ich bin ganz sicher, daß wir den Kompromiß gefunden und den Weg der Beratung mit dem Schutzkonzept so gut verbunden haben, daß auch Kritikerinnen sehr gut damit leben können.
Im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten ist es also gelungen, daß wir dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes gerecht geworden sind, daß wir auch ein Frauenbild vertreten, das man vertreten kann, obwohl ich nach wie vor ein klares Selbstbestimmungsrecht der Frauen für viel wünschenswerter gehalten hätte, und daß wir eine Beratungssituation formuliert haben, die unstrittig für eine gute Beratung sorgen wird.
Das gilt auch für das Gespräch mit dem Arzt. Wenn Sie sich noch einmal darauf zurückbesinnen, was es für die Frau bedeutete, sich zunächst beraten lassen und dann die Indikation beim Arzt holen zu müssen, so ist es ein Fortschritt, daß das Gespräch, das bei dem Arzt heute geführt werden kann, so geführt wird, daß sich weder der Arzt noch die Frau unter Druck gesetzt fühlen muß. Dieses Vertrauensverhält-
Dr. Edith Niehuis
nis zwischen Arzt und Frau ist ein weiterer wichtiger Bestandteil des Schutzkonzeptes. Für mich ist von unschätzbarem Wert, daß wir das so verankern konnten.
Wenn wir in die Mehrheit des Volkes hineinschauen, ist eines wohl klar: Die Bürgerinnen und Bürger haben kein Verständnis dafür, daß wir in der Politik nicht in der Lage sind, eine Rechtssicherheit in Fragen des § 218 zu schaffen. Ich würde mich sehr freuen, wenn es uns heute gelänge, mit großer Mehrheit diesen Kompromiß anzunehmen, damit Frauen, Ärzte, Beratungsstellen und die Familienangehörigen die Rechtssicherheit von uns heute vermittelt bekommen.
Danke schön.
Das Wort hat die Abgeordnete Kerstin Müller.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vor 20 Jahren gingen Frauen für die Streichung des § 218 auf die Straße. Nach der Indikationenregelung, dem Gruppenantrag, dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts und nun wiederum schwierigen Verhandlungen soll mit dieser Debatte heute ein Abschluß gefunden werden. Ich kann verstehen, daß das Bedürfnis groß ist, dieser langen und zähen Debatte endlich ein Ende zu setzen. Ich hoffe aber, ehrlich gesagt, nicht, daß dies heute das letzte Wort sein wird. Denn was hier zur Abstimmung steht, ist sicher ein Kompromiß, aber es ist ein Kompromiß - ich sage dies vor allen Dingen an die Adresse der SPD - mit vielen Pferdefüßen, die überflüssig sind und die man hätte vermeiden können.
Wir stehen nach wie vor uneingeschränkt für das Selbstbestimmungsrecht der Frau, und wir sind der Meinung, § 218 gehört besser heute als morgen ersatzlos gestrichen.
Frauen müssen endlich selbst entscheiden können, ob sie Kinder haben wollen oder nicht - ohne Zwangsberatung und ohne strafrechtliche Sanktion.
Frau Nolte, der beste Lebensschutz - von dem Sie immer sprechen - für das werdende Leben ist die Entscheidungsfreiheit der Frau. Frauen haben immer abgetrieben, und sie haben immer selbst darüber entschieden. Die Gesellschaft, d. h. wir hier heute, bestimmt immer nur die Bedingungen, unter denen dies geschieht.
Wir haben mit einem eigenen Beratungsgesetz dennoch den Versuch unternommen, die Spielräume soweit und so frauenfreundlich wie möglich auszuloten. Es gab eine echte Chance, jenseits der großen
Koalition eine liberale Lösung zu finden. Wir alle wissen, in diesem Parlament gibt es Entwürfe, die für die Frauen noch schlechter gewesen wären. Aber es ging doch nicht darum, das Schlimmste zu verhindern, sondern das Beste daraus zu machen.
Diese Chance haben Sie - ich meine insbesondere Sie von der SPD - leider vertan, und ich finde, ohne Not. Sie, Frau Wettig-Danielmeier, nennen Ihren Entwurf einen „für alle hinnehmbaren Ausgleich". Ich versichere Ihnen: Für uns und, so glaube ich, für viele Frauen und Initiativen im Land ist dieser Vorschlag nicht hinnehmbar. Ich frage Sie: Wer hat einen Gewinn davon, daß Sie nun vor der Sommerpause, bevor die CDU vielleicht doch noch schnell abspringt - auch Pro Familia hat dies kritisiert -, die Reform des Abtreibungsrechts durchziehen?
Die Frauen haben davon bestimmt nichts.
Es gab andere Möglichkeiten. Wir waren zu einem interfraktionellen Kompromiß im Interesse der Frauen bereit. Wir haben in den Verhandlungen ein Beratungsgesetz eingebracht, das die Rechte der Frauen eindeutig benennt und das Prinzip „Hilfe statt Strafe" verankert. Wir wollen, daß die Beratung in einem eigenen Beratungsgesetz verankert wird. Das Bundesverfassungsgericht schreibt zwar vor, daß eine Beratung stattzufinden hat, aber wo steht, daß diese im Strafgesetzbuch festgeschrieben werden muß?
Wir wollen ein Gesetz, das der Verhütung einen großen Stellenwert einräumt. Männer und Frauen sollen durch Aufklärung und Information bei der Vermeidung ungewollter Schwangerschaften unterstützt werden. Sie aber haben jetzt darauf verzichtet, die Prävention weiter zu verbessern. Zum Beispiel anerkannte Verhütungsmittel auf Rezept - unabhängig vom Alter - wird es auch in Zukunft nicht geben.
Mit dem vorliegenden Entwurf wurden die vorhandenen Spielräume nicht genutzt. Im Gegenteil, teilweise geht die Vorlage über die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts hinaus, so z. B. bei der Formulierung des Beratungsziels in § 219 StGB - ich zitiere -:
Dabei muß der Frau bewußt sein, daß das Ungeborene in jedem Stadium der Schwangerschaft auch ihr gegenüber ein eigenes Recht auf Leben hat...
Die Entscheidungsfreiheit der Frau tritt in dieser Formulierung hinter den sogenannten Schutz des ungeborenen Lebens völlig zurück. Der Embryo wird hier als etwas von der Frau Verschiedenes angesehen. Die Frau gilt als unmündig, und sie ist im Zweifel feindlich gegenüber dem werdenden Leben eingestellt. Damit wird ein völlig antiquiertes Frauenbild festgeschrieben, von dem wir alle, vor allen Dingen
Kerstin Müller
meine Generation, dachten, daß es schon längst ad acta gelegt sei.
Es ist keine Rede mehr von einer „ergebnisoffenen Beratung", die das Bundesverfassungsgericht zumindest auch verlangt, jedenfalls nicht im Strafgesetzbuch. Vielmehr meine ich, daß gerade in der Formulierung des § 219 eine unerträgliche Bevormundung gegenüber der Frau zum Ausdruck kommt. Diese Lebensschutzlyrik wird auch dadurch nicht besser, daß im Beratungsgesetz die ergebnisoffene Beratung festgehalten wurde. Damit wird nämlich die gegenwärtige Rechtsunsicherheit für die Beratungsstellen und die Frauen nicht etwa, wie Sie von der SPD behaupten, beseitigt, sondern sie wird im Gegenteil festgeschrieben. Was, frage ich Sie, gilt, das Strafrecht oder das Beratungsgesetz? Wenn Sie sagen, die ergebnisoffene Beratung ist im Beratungsgesetz festgeschrieben, frage ich Sie: Heißt das dann, das Strafrecht ist nicht zu beachten? Frau Däubler-Gmelin hat heute in einem Interview zu diesem Punkt gesagt: Es ist ärgerlich, daß offensichtlich Falsches, Ärgerliches und Unsinniges damit im Strafrecht festgehalten wurde. — Dem ist nichts hinzuzufügen.
So kann man einen Kompromiß natürlich auch bilden: Die SPD schreibt in das Beratungsgesetz, was sie will, und die CDU und die F.D.P. halten in § 219 fest, was sie für richtig halten. Ich glaube nicht, daß das für die Praxis sehr hilfreich sein wird. Meine Damen und Herren von der SPD, hier mußten Sie wohl auf der ganzen Linie nachgeben. Nicht ohne Grund hört man von der CDU, daß sie sich an dieser Stelle, nämlich beim j 219, voll durchgesetzt habe.
Untragbar sind für uns auch die zusätzlichen Strafvorschriften für das familiäre Umfeld. Eine große Mehrheit der Experten hat sich auf der Anhörung des Unterausschusses nachdrücklich gegen eine Kriminalisierung des familiären Umfeldes ausgesprochen. Wer durch die Androhung von Strafe Angst und Verunsicherung in die persönlichen Beziehungen bringen will, der zerstört die Vertrauensgrundlage im familiären Umfeld. Eine offene Beratungssituation wird so verhindert. Solche zusätzlichen Strafvorschriften - das wurde von den Experten klar gesagt - gefährden letztlich das gesamte Beratungskonzept. Eine offene Beratung kann nicht auf der Grundlage von Angst und Verunsicherung funktionieren. Mit großer Mehrheit konstatierten die Experten: Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist an diesem Punkt widersprüchlich und sollte nicht umgesetzt werden. - Ich frage Sie: Wie kann jetzt der Gesetzgeber diesen offenen Widersprüchlichkeiten folgen?
Künftig soll ein durch Unterhaltsverweigerung erzwungener Abbruch strafbar sein. Schon der Vorläufer dieser Vorschrift wurde wieder abgeschafft, weil er in der Praxis kaum Anwendung fand, wie wir alle auf der Anhörung gehört haben. Denn welcher Mann wird der Frau schon offen ankündigen, er zahle keinen Unterhalt mehr, wenn sie nicht abtreibe? Und: Wie soll sie das beweisen? Es geht also um reine Symbolik, darum, noch einmal mehr zu disziplinieren.
Schwerwiegender aber finde ich noch die Verschärfung beim Nötigungsparagraphen. Danach macht sich künftig jeder strafbar, der eine Schwangere zum Abbruch nötigt. Sie haben damit zwar keine neue Strafvorschrift geschaffen, wie die CDU das ursprünglich wollte. Dafür aber drohen Sie nun sofort mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren. Das geht sogar noch über die ursprünglichen Vorstellungen der CDU hinaus. Das ist nach dem Urteil völlig überflüssig.
Ich sage Ihnen: Hier wird reines Gesinnungsstrafrecht festgeschrieben. Auch Sie wissen das.
Statt sich mit uns jenseits der großen Koalition für einen Gesetzentwurf mit klaren Rechtsansprüchen für die Frauen und mit Rechtssicherheit für die Beratungsstellen einzusetzen, haben Sie sich für einen Kompromiß entschieden, der auf Kriminalisierung und Ideologie setzt.
Meine Damen und Herren, Anlaß für diese konkrete Reform war neben den Memminger Prozessen die deutsche Einheit mit dem Auftrag aus dem Einigungsvertrag, eine bundeseinheitliche Reform des § 218 umzusetzen. Damals hofften die meisten Frauen, vor allem die aus dem Osten, auf eine schlichte Fristenregelung ohne Zwangsberatung. Der Kompromiß ist von diesen Hoffnungen weit entfernt. Wir haben nun zwar eine Fristenregelung, aber um den Preis der Zwangsberatung, den Preis der Kriminalisierung des persönlichen Umfeldes der Schwangeren und des Gesinnungsstrafrechts. Das mußte nicht sein!
Wir werden uns weiterhin gegen die Entmündigung von Frauen und für eine liberale Abtreibungsregelung in der Bundesrepublik einsetzen. Entscheidungsfreiheit heißt Freiheit der Frau, sich sowohl für als auch gegen das Austragen einer Schwangerschaft zu entscheiden. Und davon sind wir noch meilenweit entfernt.
Danke schön.
Zu einer Kurzintervention erteile ich der Kollegin Edith Niehuis das Wort.
Frau Präsidentin! Da die Rede von Frau Müller den Eindruck erweckt hat, die Grünen hätten dem Parlament eine Vorlage vorgelegt, in der das Bild einer selbständigen, nicht belasteten Frau gezeichnet werde, in der von Pflichtberatung keine Rede sein könne, möchte ich aus der Passage des Gesetzentwurfs der Grünen zitieren, in der es um die Beratung bei ungewollter Schwangerschaft geht. Alle können dann zu überlegen versuchen, welches Frauenbild dahintersteht.
Dr. Edith Niehuis
Die nach § 218 a des Strafgesetzbuches erforderliche Beratung ist ergebnisoffen. Sie muß eine eigenverantwortliche Entscheidung der schwangeren Frau gewährleisten. Die Beratung hat die Persönlichkeitsrechte der Frau zu beachten. Sie vermittelt in dem Bewußtsein, daß ein Abbruch der Schwangerschaft nur dann mit der Wertordnung des Grundgesetzes vereinbar wäre, wenn die Fortsetzung der Schwangerschaft die Frau schwer belasten würde und ihr daher nicht zumutbar wäre, die nötigen Informationen.
Ich denke, hier haben die Grünen genau das versucht, was das Bundesverfassungsgericht eben auch als Rahmen gegeben hat. Aber es ist nicht in Ordnung, sich hier hinzustellen und als Maßstab etwas zu nehmen, was ich genausogern möchte, was aber bei der derzeitigen Gesetzeslage schlichtweg nicht umsetzbar ist. Das muß man dazusagen.
Ebenfalls zu einer Kurzintervention die Kollegin Rita Grießhaber.
Frau Niehuis, ich möchte Ihnen noch einmal ganz klar sagen, es sind doch zwei Dinge: Zum einen wollten wir alle eigentlich überhaupt keinen Zwang bei der Beratung, keine Beratungspflicht. Das zweite ist - das habe ich auch gesagt -, daß das Urteil uns anderes vorgeschrieben hat.
- Moment, meine Damen, ich bin noch gar nicht fertig.
Kompromißfähig und politikfähig, wie wir sind, haben wir das Nötigste hineingeschrieben, was sein muß. Aber, Frau Niehuis, was wir nie und an gar keiner Stelle gemacht haben: Wir haben diese Bestimmungen nicht ins Strafrecht hineingeschrieben. Das ist der wirklich entscheidende Unterschied.
Danke.
Es spricht jetzt die Kollegin Ina Albowitz.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Müller, ich glaube, das Problem der Grünen ist, daß sie überhaupt nicht wissen, was sie wollen. Sie haben zwei Gesetzentwürfe vorgelegt und stehen heute unter dem Rechtfertigungszwang, diese zu vertreten. Ich bin der Kollegin Niehuis außerordentlich dankbar, daß sie noch einmal klargestellt hat, wie Sie mit Ihren eigenen beiden Gesetzentwürfen, die Sie hier vorgelegt haben, umgehen.
Meine Damen und Herren, viele Zeitungskommentare von gestern und heute eröffnen mit einem Wort, das auch ich an den Anfang stellen möchte: Endlich! - Endlich ist eine Einigung gefunden in einem Streit, der seit Jahren Gräben aufgerissen und sowohl Politiker als auch Bürger emotionalisiert hat.
Seit den frühen 70er Jahren wurde im deutschen Parlament versucht, das Thema Schwangerschaftsabbruch den sich ändernden ober geänderten gesellschaftlichen Gegebenheiten anzupassen. Der Entscheidungsdruck, der mit den Jahren immer stärker auf dem Gesetzgeber lastete, machte es nötig, Positionen zu überdenken, aufeinander zuzugehen und nach Kompromissen zu suchen.
Wenn wir heute das Thema Schwangerschaftsabbruch mit einer von Kompromißformeln gekennzeichneten Gesetzesinitiative beschließen, so blicken wir auf fast 20 Jahre heftigen Streits zurück, in dem scheinbar unversöhnliche Grundpositionen aufeinanderprallten und in dem leider auch persönliche Verletzungen nicht ausblieben.
Zu oft wurde allerdings vergessen, daß strittig einzig und allein die Frage war und ist, wie das ungeborene Leben besser geschützt werden kann. Zu oft wurde vergessen, daß die Schwierigkeiten doch nicht in einer mangelnden Gesetzeslage allein begründet sind, sondern in der Tatsache, daß in unserer Gesellschaft werdendes Leben und Kinder häufig unerwünscht und daher Auslöser enormer Konflikte sind.
Zu oft wurde vergessen, daß sich die Frauen bei der Bewältigung der Probleme, die durch die Schwangerschaft entstehen, häufig alleingelassen fühlen.
Wir müssen der Diskussion die Schärfe nehmen, sie auf eine klare Basis stellen, ohne uns durch überflüssige Polemik den Blick zu verstellen.
Wir verabschieden heute einen Kompromiß, bei dem sich die Fraktionen dieses Hauses aufeinander zubewegt haben. Mein Kollege Heinz Lanfermann hat bereits ausgeführt, daß die F.D.P.-Fraktion diesen Kompromiß als ernsthaft und verantwortungsvoll ansieht. Dieser Kompromiß zeigt nicht zuletzt auch die Handlungsfähigkeit der Politik. Es wurde nicht mit der Rasenmähermethode gearbeitet, um Unterschiede wegzubügeln; es wurden Einzelpositionen ausgelotet, es wurde miteinander gerungen, verglichen und abgestimmt. Die Verhandlungskommission aus den drei Fraktionen hat sich große Mühe gegeben.
Ganz nebenbei bemerkt: Ich habe die übertriebenen Polarisierungen in diesem Konflikt immer für schädlich und letztendlich auch für unwürdig gehalten. Ich glaube, es gibt niemanden, der sich mit dem persönlichen Titel „Lebensschützer" bezeichnen und dadurch Andersdenkende diskriminieren sollte.
Ina Albowitz
Andererseits kann man auch nicht ethisch oder moralisch begründete prinzipielle Bedenken einfach überheblich wegwischen. Wir haben alle Argumente ernst zu nehmen und sorgfältig abzuwägen. Ich halte das auch für eine Frage der gegenseitigen Achtung, von der eine Demokratie lebt.
Es wurde Zeit, daß ein erfolgversprechender Kompromiß gefunden wurde. Die Argumente, die tragenden Positionen und die grundsätzlichen Auffassungen zur Frage des Schwangerschaftsabbruches waren und sind schon lange ausdiskutiert und intensiv ausgetauscht worden.
Das Bundesverfassungsgericht hat zweimal - in den 70er Jahren und 1993 - deutliche Vorgaben gemacht, deren Einhaltung durch den Gesetzgeber dringend geboten war. Die F.D.P. hat sich von Beginn an mit großer Verantwortung in die Debatte eingebracht. Das gilt besonders für die Streitpunkte wie die Beratungsregelung oder die Strafbarkeit des familiären und sozialen Umfeldes.
Daß die Beratung ergebnisoffen zu führen ist, daß sie ermutigen und Verständnis wecken, aber nicht belehren und bevormunden soll, ist einer der wichtigsten Kernpunkte des Gesetzes. Unsere ehemalige Kollegin Liselotte Funcke sagte zu diesem Thema in der Debatte am 12. Februar 1976:
Beratung heißt . . ., sich neben den Menschen zu stellen und nicht über ihn. Beratung heißt, die Belastung des Ratsuchenden voll mitzutragen und nicht belehrend darüberzustehen und zu sagen: Da gibt es irgendein Heim für Mutter und Kind, da können wir dir vielleicht einen Platz besorgen! Beratung heißt, diesen Menschen in der ganzen Totalität seiner Situation, seiner physischen, seiner seelischen Belastung, seiner äußeren Umstände, seiner Situation in der Ehe und der vorhandenen Familie ganz ernst zu nehmen. Nur aus diesem wirklichen Bei-ihm-Stehen kann eine Beratung erfolgreich sein, die nicht unter der Pflicht steht: Der Frau muß auf jeden Fall ihre Absicht ausgeredet werden!
Ich glaube, daß man auch heute, 20 Jahre danach, nicht besser zum Ausdruck bringen kann, was Beratung in einer seelischen Notlage sein soll.
Ein Punkt ist für mich besonders wichtig: Es erfüllt mich mit Freude, daß sich die Finanzierung im vorliegenden Gesetzentwurf so eindeutig am Interesse der Frauen ausrichtet. Nicht nur, daß der Gesetzentwurf vollständig die Formulierung meiner Fraktion - mit einer kleinen Ergänzung bezüglich der Regelung für die Durchführung des Verfahrens durch die Länder - übernimmt, noch viel wichtiger ist für mich, daß die Krankenkassen für die Frauen, die nach der Beratung die Schwangerschaft abbrechen und diesen Abbruch nicht selbst bezahlen können, die Kosten übernehmen und dafür einen Erstattungsanspruch an die Länder haben.
Die in meinen Augen inakzeptable Sozialamtslösung konnte vermieden werden. Die Vorstellung, daß eine Frau nach einem für sie oftmals bis an die Grenzen der psychischen Belastbarkeit reichenden Entscheidungszwang in einem aufwühlenden Beratungsgespräch auch noch als Bittstellerin beim Sozialamt für die Kostenübernahme vorsprechen muß, war und ist mir unerträglich. Die getroffene Vereinbarung ist somit ein großer Schritt in Richtung sozialer Gerechtigkeit und entspricht der Würde der Frau, auf die sie Anspruch hat.
Besonders wichtig ist es aber auch, endlich den unmöglichen Zustand zu beseitigen, daß die im Zuge der deutschen Vereinigung in den Einigungsvertrag aufgenommene Forderung nach einer Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs bisher nicht erfüllt werden konnte. Mit der heutigen Verabschiedung des Gesetzes werden auch für diesen Komplex Rechtssicherheit und Rechtsfrieden in ganz Deutschland hergestellt, und zwar auf eine Weise, in der sich auch die Frauen in den neuen Ländern wiederfinden können.
Die Verhandlungen waren schwierig; um so erfreulicher ist das Ergebnis. Die Qualität des Kompromisses ist meines Erachtens auch an den Abstimmungsergebnissen in den einzelnen Fraktionen ersichtlich. Deshalb werbe ich für eine breite Mehrheit in diesem Hause für diesen Gesetzentwurf. Ich möchte aber auch dafür werben, daß die auf religiösen oder ethischen Grundsätzen beruhenden Bedenken und Auffassungen vieler Kollegen geachtet und akzeptiert werden.
Das bis jetzt absehbare Medienecho ist eindeutig: Vorherrschendes Lob für die Kompromißfindung ebenso wie für die Notwendigkeit einer Einigung beim Gesetzgeber; dies wird überall betont. Noch wichtiger ist für mich in den Medien allerdings auch die deutliche Absage an die Hardliner in beiden Richtungen. Ich glaube, es könnte uns nichts Schlimmeres passieren, als wenn aus ideologischen Gründen auch dieser Gesetzentwurf nach Karlsruhe gezerrt würde. Ein erneutes Streitverfahren, meine Damen und Herren, würde das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit der Politik noch weiter belasten, erheblich beschädigen und wäre eine Katastrophe für die Frauen.
Die Haltung der Kirchen, die natürlich nicht Lob und Preis für die Gesetzesinitiative finden, aber immerhin Bewußtsein äußern, daß im politischen Raum Kompromisse mitunter unausweichlich sind, ist angemessen und auch verständlich. Daß allerdings, wie gestern abend geschehen, jetzt die Schnelligkeit des Beratungsverfahrens kritisiert wird, ist für mich nicht akzeptabel. Mehr als 20 Jahre lang wurde diskutiert, beschlossen und wieder verworfen. Seit über 100 Jahren warten die Frauen in Deutschland auf eine angemessene Regelung. Daß die Kirchen in anderen Zeiträumen denken, manchmal auch für die Ewigkeit, darf und kann aber die Politik nicht abhalten, heute und jetzt zu handeln.
Daß der Streit um die Änderung des Rechts auf den Schwangerschaftsabbruch jetzt - hoffentlich - endgültig beendet werden kann, ist ein Grund zur Zufriedenheit in der Demokratie. Ein Grund zu vorbehaltlosem Jubel - lassen Sie mich das auch sagen,
Ina Albowitz
meine Damen und Herren - ist es nicht; denn dafür ist das Thema viel zu ernst. Der Gesetzgeber trägt seiner Pflicht Rechnung, den gesellschaftlichen Bereich rechtlich zu ordnen. Aber keine Frau wird trotz aller gesetzlichen Regelungen beliebig handeln. Sie wird ihre Entscheidung immer allein, aus ihrer eigenen Verantwortung heraus, die ihr auch niemand abnehmen kann, treffen müssen, und es ist eine der schwersten Entscheidungen ihres Lebens.
Es spricht jetzt die Kollegin Petra Bläss.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Parlamentarisches Prozedere wird zur Farce, wenn nun plötzlich das, was wochenlang hinter verschlossenen Türen ausgehandelt wurde, im Eiltempo über die parlamentarische Bühne gejagt wird. Zu Recht hat der Bundesverband von Pro Familia angemahnt, daß eine Entscheidung von so großer Bedeutung für viele Frauen nicht im Hauruckverfahren durchgezogen werden dürfe.
Es ist erschreckend, was uns als „Jahrhundertwerk" hier präsentiert wird: ein nach nunmehr jahrelanger Herumdokterei unverändert restriktiver § 218 des Strafgesetzbuchs, der den Schwangerschaftsabbruch grundsätzlich kriminalisiert; ein § 219 des Strafgesetzbuchs, der in seiner Frauenverachtung kaum noch zu übertreffen ist; insgesamt ein gesetzliches Regelwerk, das nicht im geringsten die verfassungsrechtlichen Spielräume ausnutzt, die das Karlsruher Urteil für die Festschreibung von Frauenrechten bietet, und obendrein die Widersprüchlichkeit des Richterspruchs nunmehr gesetzlich festschreibt, insbesondere was die restriktive Beratungsregelung betrifft.
Beim Vergleich des neuen § 219, in dem das Beratungsziel „Schutz des ungeborenen Lebens" und der eigenständige Rechtsanspruch des Ungeborenen auf Leben auch gegenüber der Frau festgeschrieben sind, mit dem neuen § 5 des Gesetzes über Aufklärung, Verhütung, Familienplanung und Beratung, in dem die Ergebnisoffenheit der Beratung betont wird, fällt mir wirklich nur noch das in der Anhörung von einer Sachverständigen so treffend gezeichnete Bild von der Ampel ein, die gleichzeitig auf Rot und Grün geschaltet ist.
Das vorliegende Verhandlungsergebnis als „Fortschritt" zu feiern, ist insbesondere ein Schlag ins Gesicht aller Ostfrauen. Der Verlust des Selbstbestimmungsrechts der Frau ist ein massiver Rückschritt in ihrer Rechtsstellung. Daß er von einer satten Mehrheit unseres Parlaments stillschweigend in Kauf genommen wird, ist ein alarmierendes Signal, das zugleich symptomatisch für diese Bundesrepublik im Jahre fünf der deutschen Einheit ist.
Die bevorstehende 4. Weltfrauenkonferenz der Vereinten Nationen sollte Anlaß dafür sein, gerade in Sachen Abtreibungsregelung über den deutschen Tellerrand hinauszuschauen. Die vorgesehene Neuregelung wird nicht nur eine der restriktivsten auf europäischer Ebene sein, sie verweigert am Ende des 20. Jahrhunderts Frauen nach wie vor das Grundrecht auf Selbstbestimmung. Frauenrechte sind Menschenrechte, und Menschenrechte sind bekanntlich unteilbar. Die Frage der reproduktiven Rechte von Frauen ist ein genauer Indikator für ihre Stellung in der Gesellschaft.
Meine Damen und Herren, all denen, die mit der Beschlußfassung im Bundestag die Hoffnung verbinden, sich nun nicht mehr mit dem leidigen Problem des Schwangerschaftsabbruchs beschäftigen zu müssen, sei eines gesagt: Der heutige Gesetzgebungsakt wird keinesfalls das letzte Kapitel der unendlichen Geschichte des Schandparagraphen 218 sein. Solange Frauen durch patriarchales Recht in ihrem Selbstbestimmungsrecht eingeschränkt werden, ist das Thema nicht vom Tisch. Wir Frauen werden jedenfalls keine Ruhe geben, bis der § 218 ersatzlos gestrichen ist.
Es spricht jetzt der Kollege Gerhard Scheu.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es gibt in der Frage des § 218 die Position des prinzipiellen Nein, die Position, die es nie über sich bringt, zu formulieren, daß es Indikationen gibt, eine Position, die die Rechtsprechung des Reichsgerichts in Strafsachen negiert, die seit 1927 akzeptiert, daß der Fall der medizinischen Indikation ein Fall des rechtfertigenden übergesetzlichen Notstandes ist. Diese Position gibt es.
Sie ist für mich und für die Gesetzgebung in der modernen Demokratie kein brauchbarer Maßstab. Ich appelliere an die Abgeordneten, die Grenzen der Gesetzgebung in einer modernen Demokratie in der neuzeitlichen Gesellschaft zu erkennen. Der Versuch, die Position des prinzipiellen Nein gesetzlich umzusetzen, würde im totalen Scheitern enden, in einem Rechtsungehorsam der Bevölkerung und damit letztlich im Rückzug jeder lebensschützenden Position.
Das ist meine politische Einschätzungsprärogative. Ich bin seit 1990 mit dem Thema § 218 beschäftigt. Der Vorsitzende meiner Fraktion, Schäuble, meint, Sisyphus müsse - im Vergleich zu mir - ein glücklicher Mensch gewesen sein. Ich war manchmal ein ausgebrannter Mensch.
Aber meine Damen und Herren, § 218 bleibt immer ein unvollendeter und unvollendbarer, sich auch in Schuld verstrickender Versuch, angesichts der Zerrissenheit des modernen Menschen im Widerstreit zwischen Sollen und Sein, auf in tieferen, unerreichbaren Schichten getroffene Entscheidungen mit exekutiven Mitteln einzuwirken. Es geht um Schadensbegrenzung, um den „legitimen und gebührenden
Gerhard Scheu
Versuch, die ungerechten Aspekte von Gesetzgebung zu begrenzen". Das ist die Verantwortung des Gesetzgebers. Was liegt heute vor? - Das Gesetz, die Alternativen und die Chancen.
Damit hier kein Mißverständnis aufkommt - nicht ohne Grund hatten CDU und CSU zwei Justitiare in diese Verhandlungen entsandt -:
Juristen wissen, was sie formulieren. Wir legten Wert darauf, das, was strafrechtlich zu formulieren war - wie bei der Sozialdemokratie Herr Professor Meyer -, präzise und für niemanden mißverständlich zu formulieren.
Ihnen liegt heute ein Gesetzentwurf vor, in dessen allgemeinem Teil der Begründung ein Satz steht: „Der vorliegende Änderungsantrag setzt die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Mai 1993 um und nutzt die durch das Urteil eröffneten Gestaltungsspielräume." Das bindet jede Auslegung. Das ist so eindeutig und unmißverständlich, daß alles andere dahinter zurückzutreten hat, auch Versuche von an der Gesetzgebung Beteiligten, andere Auslegungstopoi zu verwenden. Der Ihnen vorliegende Gesetzentwurf ist „Umsetzung des Urteils" und nicht Ersetzung durch eigene Wertentscheidung. Nur dies hat es uns möglich gemacht, ihm zuzustimmen.
Wenn jemand Zweifel hat, wie § 219 des Strafgesetzbuches mit der Beratung im Schwangerschaftskonflikt verbunden ist, dann lese er § 5 Abs. 1. Die dort genannte Beratung dient dem Schutz des ungeborenen Lebens. Jegliche Diskussion über Ziel-Mittel-Relationen ist nicht angebracht. Ergebnisoffenheit ist nicht das Ziel, sondern das Mittel zum Zweck des Lebensschutzes. Eindeutiger kann man es nicht formulieren.
Gegen § 218a kann eingewendet werden, Absatz 2 enthalte einen unbestimmten, weit gefaßten Tatbestand. Was der Arzt festzustellen hat - insoweit bleibt es beim jetzigen Indikationenrecht mit der Möglichkeit der Überprüfung und mit der Notwendigkeit der Vorlage der Bescheinigung eines anderen Arztes -, ist die nach ärztlicher Erkenntnis nicht anders abwendbare Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes. Dies ist ein klarer Begriff. Nur jemand, der dem Gesetz oder dem Lebensschutz übel will, könnte sich dazu verstehen, dies auszuweiten und zu sagen, dafür würde schon die Störung von Befindlichkeiten ausreichen.
Meine Damen und Herren, wenn dieser Gesetzentwurf scheitern würde - dies ist die für mich als Abgeordneten maßgebende, durch niemanden und durch keine andere Institution beeinflußbare Einschätzungsprärogative -, wäre die Alternative: Es könnten und würden sich im Bundestag Mehrheiten finden — wir haben heute genug Redebeiträge von den Grünen, von der PDS ganz zu schweigen, und von Teilen der anderen Fraktionen gehört; ich sage bewußt: der
anderen Fraktionen -, die ein Gesetz verabschieden würden, das eine auf das vermeintliche Selbstbestimmungsrecht der Frau gegründete Fristenlösung mit einer Negation der Werteordnung beinhalten würde.
Die Chance dieses Gesetzes besteht darin, daß sich in einem so nicht wiederkehrenden Moment - man steigt niemals zweimal in denselben Fluß - eine verfassungstreue Mehrheit gefunden und ein Gesetz formuliert hat, das die Werteordnung der Verfassung nicht antastet, sondern diese eindeutig in § 219 zum Ausdruck bringt.
Meine Damen und Herren von der Sozialdemokratischen Partei, ich bekunde Ihnen dafür Respekt, daß Sie sich dazu bereit gefunden haben. Dies war Voraussetzung für eine gemeinsame Lösung. Die Chance besteht darin, ein dauerhaftes Beratungskonzept zu installieren, das eindeutig dem Schutz des Lebens dient und geeignet sein kann, von allen Menschen guten Willens zugunsten des Lebens genutzt und ausgebaut zu werden,
und das deshalb ein Gesetz im Sinne der Nummer 73 der Enzyklika Evangelium Vitae ist.
Heute hat mich ein Schreiben des Landeskomitees der Katholiken in Bayern erreicht, das mir meine Gewissensentscheidung erleichtert. Das Landeskomitee schreibt mir:
Wir möchten jedoch alle Abgeordneten ermutigen, sich im Sinne der Worte Johannes Paul II in der Enzyklika Evangelium Vitae, Nummer 73, für eine Schadensbegrenzung einzusetzen und eine Lösung zu unterstützen, die unter Beachtung der obengenannten Kriterien noch als das geringere Übel angesehen werden kann.
Deshalb bitte ich Sie, Ihre Gewissensentscheidung danach auszurichten - nach eigener politischer Entscheidungsprärogative - und dabei zu berücksichtigen, welche Entwicklung eintreten könnte, wenn dieser sich nicht wiederholende und nicht wiederkehrende Versuch scheitern sollte, die großen Fraktionen des Deutschen Bundestages auf ein Gesetz zu verpflichten, das die Werteordnung der Verfassung nicht antastet.
Herzlichen Dank.
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Professor Jürgen Meyer.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! „ § 218 - der gordische Knoten ist zerschlagen" - so kommentiert die „Süddeutsche Zeitung" den fraktionsübergreifenden Gesetzentwurf, den wir heute gemeinsam beraten. Es kann nicht zweifelhaft sein, daß wir heute nach jahrelangem Ringen um die Erfüllung
Dr. Jürgen Meyer
des Auftrages aus dem Einigungsvertrag und um den Schutz werdenden Lebens durch Respektierung der Gewissensentscheidung von Frauen einen großen Schritt nach vorne tun. Wir erhalten mehr Rechtssicherheit für Frauen, Ärzte und Beratungsstellen.
Das Schutzkonzept des Beratungsmodells setzt sich endgültig durch. Die Grundidee des Gruppenantrages, daß wir vorgeburtliches Leben nur mit den Frauen und nicht gegen sie schützen können, wird heute nach der Bestätigung durch das Bundesverfassungsgericht wahrscheinlich eine breite parlamentarische Anerkennung finden.
Der Kompromiß war auch deshalb möglich, weil die Verhandlungsführer für jeweils große Mehrheiten ihrer Fraktionen in Aussicht stellen konnten, daß es keine erneute Normenkontrollklage geben werde. Diese gemeinsame Einschätzung aller sieben Verhandlungspartner erstreckte sich ausdrücklich auch auf die Regierung des Freistaates Bayern.
Ein schwieriger Kompromiß, bei dem jeder der beteiligten Partner nachgeben muß, ist immer auch Fehldeutungen ausgesetzt. Ich halte es für eine wesentliche Aufgabe dieser Debatte, dem entgegenzuwirken und einer Legendenbildung, die sich auch auf die sogenannte historische Auslegung des Gesetzes auswirken könnte, von vornherein den Boden zu entziehen.
Zur Fehldeutung der Streichung der embryopathischen Indikation ist schon einiges gesagt worden. Deshalb wiederhole ich nur einen Satz aus der Gesetzesbegründung, die Ihnen allen vorliegt und die als Teil des Ausschußberichtes allgemein zugänglich ist. Der Satz lautet: „Damit wird klargestellt, daß eine Behinderung niemals zu einer Minderung des Lebensschutzes führen kann."
Zum Tatbestandsausschluß als bewußter Herausnahme des Schwangerschaftsabbruchs nach Beratung aus dem strafrechtlich vertypten Unrecht stellen wir in der Begründung fest: „Schwangerschaftsabbrüche, die unter den Voraussetzungen des Beratungsmodells durchgeführt werden, sind im Bereich des Strafrechts nicht als Unrecht zu behandeln." Ich füge hinzu: Wir verzichten damit auch auf den individualethischen Vorwurf, der durch tatbestandsmäßiges Handeln nahegelegt und mit einer strafrechtlichen Verurteilung notwendig verbunden wäre.
Meine Damen und Herren, allen Fehldeutungen der Beratungsregelung in § 219 StGB, die wir auch heute anhören mußten, halte ich entgegen: Dieser entspricht nicht nur der ohnehin geltenden und ohne den Kompromiß zwangsläufig weitergeltenden einstweiligen Anordnung des Karlsruher Gerichts. Vielmehr kann er nur mit § 5 des Schwangerschaftskonfliktgesetzes, auf den ausdrücklich verwiesen wird, zusammen gelesen werden. Die gesetzliche Klammer wird dadurch verstärkt, daß jene Regelung, die die ergebnisoffene Beratung garantiert, ihrerseits auf das Strafgesetzbuch zurückverweist.
Es bestand auch völlige Einigkeit darüber und ergibt sich aus Gesetzestext und Begründung, daß § 219 StGB kein Straftatbestand ist, dessen Verletzung zu strafrechtlichen Ermittlungen führen könnte.
Die Aufnahme eines Teils der Beratungsregelung in das Strafgesetzbuch war Gegenstand langer Diskussion, aber sie läßt sich wohl auch dadurch rechtfertigen, daß die Beratungsbescheinigung nach § 219 Voraussetzung des Tatbestandsausschlusses nach § 218 ist. § 219 ist also vor allem eine Begriffsbestimmung, wie sie an vielen Stellen des Strafgesetzbuches zu finden ist. Er ist offensichtlich kein Straftatbestand.
Gestatten Sie mir bitte einige Bemerkungen zum Kompromiß bei der Strafbarkeit des familiären und sozialen Umfeldes. Hier standen sich zwei völlig unterschiedliche Konzeptionen gegenüber. Der Mehrheitsentwurf der CDU/CSU-Fraktion sah eine komplizierte und mit unbestimmten Begriffen arbeitende Sonderregelung vor, einen neuen Sondertatbestand der Mitverursachung eines Schwangerschaftsabbruchs, der sich gegen das familiäre Umfeld der Schwangeren und nicht zuletzt gegen ihre Eltern richtete.
Die denkwürdige Sachverständigenanhörung zur Strafbarkeit des Umfelds vom 11. Mai 1995 hat uns alle nachdenklich gestimmt. Den Verfechtern eines Sonderstrafrechts hat die große Mehrheit der Sachverständigen entgegengehalten, daß eine ergebnisoffene Beratung und eine nachdenkliche, gewissenhafte Entscheidung der Frau geradezu gefährdet würden, wenn die nächste Umgebung der Schwangeren unter einen massiven Strafdruck gesetzt würde - ganz abgesehen davon, daß sich derartige Versuche des Gesetzgebers, z. B. in Deutschland und der Schweiz, in der Vergangenheit stets als Fehlschläge erwiesen haben.
SPD und F.D.P., die - so in ihrem letzten Entwurf - auf eine besondere Strafbarkeit des familiären bzw. sozialen Umfeldes ganz verzichten wollten, mußten sich von einigen Sachverständigen sagen lassen, daß eine Verstärkung des Strafrechtsschutzes vom Bundesverfassungsgericht unmißverständlich gefordert wird.
Der scheinbar unüberbrückbare Gegensatz zwischen Spezialstrafrecht einerseits und Verzicht auf neues Strafrecht andererseits führte schließlich zu dem für alle Beteiligten harten Kompromiß, den man am besten als „Verdeutlichung des bereits geltenden Strafrechts" beschreiben kann. Das gilt zum einen für die Klarstellung, daß ein besonders schwerer Fall der Nötigung im Sinne des geltenden § 240 StGB in der Regel vorliegt, wenn der Täter eine Schwangere zum Schwangerschaftsabbruch nötigt. Wir schreiben damit ins Gesetz, was ohnehin nach Kommentarliteratur und Rechtsprechung schon gilt. Ist die Tat im Versuchsstadium schon steckengeblieben, kann dies bekanntlich zur Verneinung des besonders schweren Falles führen.
Schwerer ist uns jedenfalls die Ergänzung von § 170b gefallen, der die Unterhaltsentziehung mit Strafe bedroht. Wir waren uns zwar alle darüber einig, daß es in hohem Maße strafwürdig ist, wenn z. B.
Dr. Jürgen Meyer
der getrenntlebende Ehemann in Kenntnis der Schwangerschaft seiner Frau die Unterhaltszahlungen einstellt. Zweifellos handelt er auch verwerflich, wenn er dadurch eine Abtreibung erzwingen will.
Aber es gibt eben auch viele andersartige Fallgestaltungen. Und die Skeptiker unter uns, zu denen ich gehöre, die auf die Schwierigkeit des Nachweises sowohl verwerflichen Handelns als auch der Mitverursachung eines Schwangerschaftsabbruchs hingewiesen haben, könnten recht behalten. Trotz der handfesten Anknüpfung an die gesetzlichen Unterhaltspflichten, die selbstverständlich zu erfüllen sind, mag sich nach einiger Zeit das Problem bloß symbolischen Strafrechts stellen. Das kann letztlich erst die praktische Erfahrung zeigen.
Allerdings halte ich diejenige Kritik für völlig widersprüchlich und unglaubwürdig, die sich einerseits grundsätzlich gegen die erweiterte Strafbarkeit des familiären Umfeldes wendet und andererseits beklagt, der neue Absatz von § 170b sei totes Recht. Eins kann man nur ernsthaft vertreten.
Eine Verdeutlichung des geltenden Strafrechts ist übrigens auch der neue § 218c. Dieser sieht die Bestrafung von Ärzten vor, die eine Schwangerschaft abbrechen, ohne die Frau zuvor ärztlich aufgeklärt und beraten zu haben. Bekanntlich ist die ärztliche Aufklärung ohnehin nach geltendem Recht Voraussetzung für die Wirksamkeit der Einwilligung des Patienten in den Eingriff. Dieser ist sonst strafbar.
Viele Sachverständige haben die inhaltlichen Brüche und die Widersprüche des Karlsruher Urteils hart kritisiert. Ich gehöre dazu. Ich kenne auch kaum einen Strafrechtskollegen - von Tröndle über Eser bis Hassemer -, der sich nicht kritisch geäußert hätte.
Auch wir in der Unterhändlergruppe haben dem Urteil in einem Punkt nicht folgen können, soweit es nämlich verlangt, den Arzt zu bestrafen, der das Geschlecht des Ungeborenen frühzeitig mitteilt. Indische Verhältnisse, wonach künftige Mädchen in besonderem Maße von Abtreibung bedroht sind, haben wir bekanntlich bisher nicht. In der Begründung sagen wir dazu: „Sollte sich insoweit in Zukunft ein Regelungsbedarf ergeben, wird der Gesetzgeber tätig zu werden haben. " Ich hoffe sehr, daß die Karlsruher Richter die große Zurückhaltung dieses Hinweises in unserer Begründung zu schätzen wissen und künftig noch ein bißchen mehr beherzigen, daß die Gesetze und nicht zuletzt die Strafgesetze in Bonn gemacht werden. Wir hier sind der Gesetzgeber.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, der heute vorliegende Entwurf ist kein SPD- oder CDU/ CSU-Entwurf. Wie wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten uns ein Strafrecht vorstellen, das unserem Frauenbild entspricht, haben wir in eigenen Entwürfen vor und unter Nutzung des verbliebenen Gestaltungsspielraums auch nach der Karlsruher Entscheidung dokumentiert. Diese Entwürfe geben nach wie vor unsere Rechtsüberzeugung wieder, die
wir nicht aufgeben. Aber im Interesse eines deutlichen Rechtsfortschritts für die Frauen, eines Schritts in die nach unserer Überzeugung richtige Richtung, stimmen wir heute mit großer Mehrheit dem fraktionsübergreifenden Gesetzentwurf zu.
Ich danke Ihnen.
Ehe ich das Wort weitergebe, möchte ich den Präsidenten des Parlamentes der Republik Estland, Dr. Toomas Savi, herzlich begrüßen,
der mit seiner Delegation aus Abgeordneten des estnischen Parlamentes auf der Tribüne Platz genommen hat.
Die Verstärkung der gegenseitigen Besuche zeigt unser beiderseitiges Bestreben, die parlamentarischen und politischen Beziehungen zwischen unseren Ländern wesentlich zu verbessern. Ich hoffe, daß die Gespräche, die Sie mit der Bundestagspräsidentin, der deutsch-estnischen Parlamentariergruppe und den Fraktionen des Hauses geführt haben, zu diesem Ziel beitragen.
Wir wünschen Ihnen einen angenehmen, fruchtbaren und erfreulichen Aufenthalt.
Ich erteile nun dem Abgeordneten Hubert Hüppe das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für den, der wie ich und viele andere 20 Jahre für das Lebensrecht ungeborener Kinder und für die Verbesserung der Situation der Frauen, die in Notlagen sind, gekämpft hat, zum Teil auch persönlich gegen Notsituationen eingetreten ist, ist der vorliegende angebliche Kompromiß ein Zeichen dafür, daß heute wirklich ein schwarzer Tag für das Lebensrecht der Menschen in unserer Bundesrepublik ist.
Heute wird ein Gesetz verabschiedet, durch das dem ungeborenen Kind nach Beratung innerhalb der ersten zwölf Wochen straffrei das Recht auf Leben genommen werden kann. Obwohl allein in der Zeit dieser Debatte wohl über 100 ungeborene Kinder getötet werden, sind alle über diesen Kompromiß erleichtert. Aber dieser Kompromiß ist kein Kompromiß; denn es gibt keine Kompromisse beim Recht auf Leben.
Es ist schlimm, daß eine Mehrheit im Parlament schon immer eine Fristenregelung wollte. Was mich aber traurig stimmt - das kann ich nicht anders sagen -, ist, daß auch viele aus meiner Fraktion das wollen. Ich weiß, daß viele jetzt so handeln, weil sie glauben, das sei das geringere Übel. Ich möchte je-
Hubert Hüppe
doch in meiner Rede deutlich machen, daß das nicht das geringere Übel ist, sondern daß dieses Gesetz in einigen Punkten vielleicht sogar schlimmer ist als das Gesetz, das als verfassungswidrig angesehen wurde.
Gefeiert wird überall, auch von meiner Fraktion, das Beratungsziel. Aber was Frau Niehuis heute gesagt hat, ist leider richtig: Die Beratung kann überhaupt nicht kontrolliert werden. Alles muß anonym geschehen. Niemand kann etwas sagen. Es ist auch noch keiner Beratungsstelle die Anerkennung entzogen worden, obwohl es heute schon Beratungsstellen gibt, die Frauen z. B. nicht dabei helfen, den Antrag auf Mittel aus der Stiftung „Mutter und Kind" zu stellen. Das ist grob verfassungswidrig.
Keiner Beratungsstelle ist die Anerkennung jedoch entzogen worden.
Es fängt an mit der Finanzierung von Abtreibung: Die Abtreibung wird zukünftig zwar nicht von der Krankenkasse bezahlt, aber sie wird über sie abgewickelt. Das macht in der Praxis - darum geht es ja - keinen Unterschied. Es ist niemandem zu erklären, warum ein Unrechtsbewußtsein geschaffen wird, wenn man sich das Geld hinterher von den Ländern wiederholen kann. Nach dem vorliegenden Entwurf muß man noch nicht einmal einen schriftlichen Antrag stellen. Hinzu kommt, daß nach dem Willen derer, die diesen Entwurf eingebracht haben, in der Beratungsstelle, die lebenszielorientiert tätig sein soll, die Anträge schon vorliegen sollen, damit ja keinem ein Stein in den Weg gelegt wird.
Ich wünschte mir, daß sich diejenigen, die sich hier vehement für diese Regelung eingesetzt haben - vor allen Dingen auch die Kolleginnen und Kollegen von der F.D.P. -, einmal dafür einsetzen würden, daß den Frauen, die allein wegen der Geburt ihres Kindes in eine Situation geraten, in der sie Sozialhilfe beziehen müssen, der Weg zum Sozialamt erspart wird.
Das ist geradezu eine Diskriminierung der Frauen, die sich unter Inkaufnahme aller Mühen und Belastungen dazu durchringen, die Kinder auszutragen: Sie müssen zum Sozialamt, sie müssen jeden Pfennig nachweisen. Sie müssen ihr Vermögen aufgeben, sie müssen ihr Auto verkaufen, während die Männer gut dastehen und mit einigen Zahlungen wegkommen. Das ist die Ungerechtigkeit.
Meine Damen und Herren, wenn Sie den Lebensschutz so ernst nehmen und sagen, es müsse insgesamt ein Lebensschutzkonzept mit sozialen Maßnahmen geben, dann hätten Sie erst einmal das ändern müssen, anstatt das Lebensrecht freizugeben.
Ich werde dementsprechend eine Initiative starten und bin gespannt, ob die Länder bereit sind, da mitzumachen.
Ich komme jetzt zum Punkt Schutz der Schwangeren vor dem familiären und sozialen Umfeld: Im Bundesverfassungsgerichtsurteil steht ausdrücklich - es gibt da kein Wenn und Aber -, daß eine neue Strafformel geschaffen werden müsse, die besage, daß man die Schwangere vor dem sozialen und familiären Umfeld zu schützen habe. Herr Meyer hat es eben schon gesagt: Im Kompromißentwurf gibt es diese neue Strafformel nicht. Die Heranziehung des § 170b StGB und des Nötigungsparagraphen ist nur insofern eine „Verbesserung", als es sich um eine Strafverschärfung handelt. Aber das Bundesverfassungsgericht wollte etwas anderes: Es wollte, daß die Schwangere vor dem Umfeld geschützt wird unter den Voraussetzungen einer Nötigung. Von daher ist der Entwurf zumindest in diesem Punkt verfassungswidrig. Die beste Zeugin, die ich dafür habe, ist Frau Würfel von der F.D.P., die dies in der Debatte der letzten Wahlperiode genauso gesehen hat, wie ich es jetzt gesagt habe.
Zu den ärztlichen Pflichten. Im Entwurf steht explizit: Der den Abbruch vornehmende Arzt, also der, der das ungeborene Kind tötet, hat sich vor dem Tötungsakt mit der Schwangeren in ein Gespräch zu begeben. Er muß die Gründe dafür erfahren, daß die Schwangere abbrechen will. Dabei muß er sich erkundigen, ob sie gegebenenfalls unter Druck von anderen steht. Auch das ist nicht mehr gegeben. Jetzt heißt es nur noch: Er muß Gelegenheit geben, dieses Gespräch zu führen.
Was das in der Praxis heißt, weiß jeder: Wenn er fragt „Wollen Sie noch darüber sprechen und mir Ihre Gründe nennen?" und sie nein sagt, ist das erledigt. Mir kann keiner sagen, daß damit die besondere Aufgabe, die der Arzt eigentlich leisten soll - der Schutz, zu dem er nach dem hippokratischen Eid eigentlich auch verpflichtet ist -, noch erfüllt wird.
Der wichtigste Punkt, warum ich heute nicht zustimmen kann und Ihnen empfehlen möchte, das einzig klare Schutzkonzept, nämlich unseres, zu unterstützen, ist die Erweiterung der medizinischen Indikation. Überall ist zu hören, die embryopathische Indikation sei abgeschafft. Aber gleichzeitig sagt Herr Lanfermann in seiner Rede wörtlich: In der Praxis bleibt alles so, wie es ist. Und Herr Göhner hat sogar per Zuruf kundgetan: Das stimmt!
Praxis ist aber, daß behinderte Kinder heute bis zur 22. Woche abgetrieben werden können. Praxis ist, daß die absolut große Mehrheit derjenigen, die erfahren, daß ihr Kind behindert ist, diese Kinder tötet. Das heißt, daß die Praxis gleichbleibt. Da soll mir einmal jemand erklären, worin der bessere Schutz des ungeborenen behinderten Lebens besteht, wenn man selbst zugibt, daß sich in der Praxis nichts ändert. Aber es ändert sich in der Praxis doch ein Punkt: Jetzt darf auch bis zur Geburt behindertes Leben getötet werden.
Herr Kollege Hüppe, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Gerne.
Herr Kollege, nachdem Sie „Strafe statt Hilfe" zu Ihrem Grundprinzip gemacht haben, -
Nein.
- möchte ich Sie fragen: Wie sehen Sie die Tatsache, daß in den Niederlanden die Abtreibungszahlen bei einer sehr weitreichenden, liberalen Regelung wesentlich niedriger sind als bei uns, nämlich 9,6 % gegenüber 11 % bei uns?
Liebe Kollegin, ich bin Ihnen für die Frage dankbar. Wahrscheinlich haben Sie die Zahlen von Stimezo; das ist nämlich die einzige Untersuchung, die es dazu gibt. Stimezo ist sozusagen der Schwesterverband von Pro Familia. Pro Familia hat schon immer behauptet, es gebe nur 80 000 Abtreibungen in der Bundesrepublik Deutschland, obwohl ein Dreifaches über die Krankenkassen abgerechnet wird. So ernst ist auch diese Zahl zu nehmen.
Liebe Kollegin, wenn Sie gerade Holland anführen, dann sage ich im Zusammenhang mit der embryopathischen Indikation: Man kann doch nicht die Augen davor verschließen, daß dann, wenn unter Berücksichtigung der gegenwärtigen und zukünftigen Lebensverhältnisse der Frau - das ist nämlich die Änderung, die jetzt eingefügt wurde: die Änderung und Erweiterung der medizinischen Indikation - unter gewissen Voraussetzungen eine medizinische Indikation, d. h. die Abtreibung bis zur Geburt möglich ist, auch die Diskussion anfangen wird: Was ist denn zwei Stunden nach der Geburt? Wir haben diese Diskussion. Der australische Philosoph Singer hat ein Buch veröffentlicht, in dem er genau diese Situation erwähnt, aber nicht vor der Geburt, sondern nach der Geburt. Er argumentiert aber genauso: Wenn das ungeborene Kind schon vorher getötet werden darf, dann soll es auch nachher getötet werden können.
- Das sagt Herr Singer, nicht Sie. Ich unterstelle keinem Kollegen und keiner Kollegin, dies zu wollen; das sage ich ganz deutlich.
Aber ich sage noch einmal: Die Niederlande hatten eine Gesetzgebung mit einem Wortlaut, der fast genauso war wie hier. Die Niederlande haben heute die Euthanasie eingeführt.
- Ich weiß, daß das viele aufregt.
Herr Kollege Hüppe, es gibt eine Reihe von Fragewünschen.
Gerne.
Die erste Frage stellt Herr Scheu.
Gut.
Herr Kollege Hüppe, würden Sie zur Kenntnis nehmen, daß in dem von Ihnen beschriebenen Fall der § 217, Kindestötung, eintritt, und daß mit keinem einzigen Wort, weder in der Begründung noch in den Intentionen, die von Ihnen beschriebene Fallkonstellation diesem Gesetz unterstellt werden kann? Wo finden Sie einen Beleg?
Herr Kollege Scheu, dies ist insofern richtig, als bei solch einer Methode, die z. B. durch Prostaglandin erfolgt, ein Kind lebensfähig zur Welt kommt. Deswegen - da können Sie Berichte u. a. in der „Medical Tribune" nachlesen - gehen Ärzte übrigens schon bei der jetzigen embryopathischen Indikation dazu über, das Kind bereits im Mutterleib durch die Curettage-Methode zu töten, bei der dem lebenden Kind ohne Schmerzmittelabgabe die Glieder abgetrennt werden, damit man sicher ist, daß dieses Kind hinterher tot ist. Das ist keine Schauergeschichte, irgend etwas, was man erfinden könnte, sondern das ist so Praxis. Es ist leider auch in anderen europäischen und amerikanischen Staaten Praxis.
Ich muß dies so hart sagen, lieber Kollege Scheu. Ich weiß, daß ich mir persönlich damit keinen Gefallen tue. Aber jeder Kollege, jede Kollegin muß wissen, wofür sie heute ihre Stimmen abgeben.
Herr Kollege, es kommt noch eine Zwischenfrage.
Ja, nach dem nächsten Satz.
Jeder Kollege und jede Kollegin - ich sage das mit allem Ernst; ich habe dadurch keinen Vorteil - wird in 20 Jahren daran gemessen werden, wie diese Regelung gewirkt hat und welche Auswirkungen sie allgemein auf das Lebensrecht gehabt hat.
Das bitte ich jeden ganz ernsthaft zu überdenken.
Eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Kunick.
Herr Kollege, wie beurteilen sie in Ihrem Denksystem die Tatsache, daß während der Französischen Revolution die papsttreuen katholischen Bischöfe die Abtreibung freigegeben haben?
Ich gebe Ihnen gerne eine Antwort, weil ich glaube, daß dies deutlich macht, auf welchem Niveau Sie diskutieren.
Ich sage Ihnen ganz offen: Das spielt für mich überhaupt keine Rolle. Ich bin zwar gläubiger Christ, aber es spielt für mich überhaupt keine Rolle, ob irgend jemand aus der Kirche oder sonst jemand dies für richtig hält oder nicht. Was für mich eine Rolle spielt, ist, ob das Recht auf Leben für jeden gilt, in jeder Phase, ob geboren oder ungeboren, ob behindert oder nicht behindert. Das interessiert mich und weniger die Meinung irgendwelcher Verbände oder Institutionen.
Meine Damen und Herren, ich sage es zum Abschluß noch einmal: Bitte stimmen Sie für unseren Entwurf! Bitte zeigen Sie, daß Sie für einen uneingeschränkten Schutz des Lebens sind, daß das menschliche Leben wenigstens so geschützt wird wie in unserer Gesellschaft das Leben von Tieren! Dann hätten wir schon etwas erreicht.
Auch wenn dieses Gesetz so beschlossen wird, bitte ich alle, im persönlichen Handeln selbst für das Leben einzutreten, selbst Leuten zu helfen, nicht nur auf die Gesellschaft zu schielen, sondern auch selbst tatkräftig Hilfe zu leisten. Wenigstens das können wir noch erreichen.
Ich sage Ihnen aber auch: Wir werden niemals aufhören, das Unrecht beim Namen zu nennen. Da werden wir niemals aufgeben.
Vielen Dank.
Zu einer Kurzintervention erteile ich der Abgeordneten Cornelia Schmalz-Jacobsen das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es fällt mir sehr schwer, hier mit einiger Ruhe zu sprechen, weil
einiges von dem, was wir eben gehört haben, in meinen Augen ziemlich unerträglich ist.
Der Gegenstand, mit dem wir es zu tun haben, nämlich das vorliegende Gesetz, macht es uns allen schwer. Wir haben hier aus gutem Grund Freiheit für unser Gewissen. Jede und jeder wird diese Freiheit des Gewissens nutzen. Aber wenn es wirklich um das Gewissen geht, liebe Kolleginnen und Kollegen, dann hat Polemik keinen Platz. Dann sollte Respekt für die Meinung der anderen die Grundlage sein.
Niemand sollte hier einem anderen die Ernsthaftigkeit absprechen,
ebensowenig, wie man Frauen als leichtfertig bezeichnet.
- Können Sie eigentlich nicht zuhören? Merken Sie
nicht, daß ich mir in einer sehr, sehr schwierigen
Frage Mühe gebe? Ich bitte Sie, auch mal zuzuhören.
Ich bestreite, daß Sie sich überhaupt die Mühe gemacht haben, sich in die Konflikte hineinzudenken, in die Frauen geraten.
Ich sage ganz bewußt: Jedem, der Kinder liebt, wird diese Entscheidung schrecklich schwerfallen.
Daß das Gesetzgebungsverfahren so schwierig gewesen ist, daß es holperig gewesen und sicher auch bis zum heutigen Tag so geblieben ist, weist doch auf die Einmaligkeit dieser Konfliktsituation hin und auf nichts anderes. Niemand hier hat von „Lösung" oder so etwas gesprochen. Es geht hier um nichts Geringeres als um eine absolute Grenzsituation. Hier geht es um zwei Leben, die miteinander verbunden sind, und das darf man nicht vergessen.
Es geht um eine absolute Ausnahmesituation, und wir versuchen, dieser Ausnahmesituation - so schwierig das ist und so bruchstückhaft das sein wird - gerecht zu werden.
Frau Kollegin, Ihre Zeit läuft ab.
Ja.
Mein Schlußsatz soll sein: Das, was wir erreichen, ist Rechtssicherheit für die Ärzte und für die Berater sowie eine eigene Entscheidung der Frau. Mehr können wir nicht tun, und jeder sollte hier seinem Gewissen folgen.
Der Kollege Hüppe hat das Recht auf eine Erwiderung.
Frau Kollegin, nehmen Sie bitte zur Kenntnis, daß mir diese Rede nicht leichtgefallen ist. Und sie ist nicht polemisch. Sie ist emotional. Das hat etwas mit Gefühlen zu tun.
- Auch das ist, glaube ich, eine Bemerkung, die daneben war.
Die Emotionen, die Gefühle sind das, was den Menschen auszeichnet. Das ist das, was uns davon abhält, anderen Menschen etwas Ungutes anzutun.
Und diesen Gefühlen wollte ich heute Ausdruck geben.
Wenn Sie sagen, Frau Kollegin, daß ich mich nicht in die Situation von Frauen hineindenken kann - das ist in anderen Bereichen sicherlich auch möglich -, dann nehmen Sie aber bitte zur Kenntnis, daß meine Frau und ich selbst Frauen in Notsituationen geholfen, sie bei uns im Hause aufgenommen haben. Ich sage das sonst nicht, und ich sage es hier nicht, um mich irgendwie zu brüsten, sondern weil ich denke, Sie sollen das wirklich wissen. Ich habe auch mit Frauen gesprochen, die einen Abbruch vorgenommen haben, und es sind nicht alle glücklich darüber.
- Es sind fast alle nicht glücklich darüber. Das, meine Damen und Herren, ist es, was ich zum Ausdruck bringen wollte.
Als letztes: Sie haben von Rechtssicherheit gesprochen. Es ist eben nicht eine rechtssichere Indikation. Sie ist zwar theoretisch überprüfbar, aber der Arzt, der diese Indikation stellt, bis zur Geburt, wird nur dann bestraft, wenn er. wider besseres Wissen handelt, also nur dann, wenn Sie ihm nachweisen können, daß er nichts anderes wußte. Er muß sich nach diesem Gesetz noch nicht einmal über diese Situation selbst informieren. Er kann alles glauben, was ihm gesagt wird. Wenn man eine gerichtliche Überprüfung von dem indikationsstellenden Arzt wollte, dann hätte man dort etwas anderes hineinschreiben müssen.
Ich möchte dies zum Schluß noch einmal sagen, damit kein falscher Eindruck entsteht. Es ist mir das in diesen Tagen und Nächten zum Teil wirklich immer wieder durch den Kopf gegangen. Ich möchte, daß dies genauso akzeptiert wird wie bei allen anderen Kolleginnen und Kollegen auch.
Vielen Dank.
Ich erteile das Wort der Abgeordneten Christel Hanewinckel.
Herr Präsident! Herr Kollege Hüppe, Richtigkeiten werden nicht dadurch falsch, daß Sie sie falsch darstellen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach jahrelangem Streit wurde endlich hart am Urteil des Bundesverfassungsgerichtes der gordische Knoten zerschlagen. Mit gutem Willen wurde Rechtssicherheit geschaffen.
Sie haben vielleicht gemerkt, das waren die Schlagzeilen der Zeitungen; verschiedene Kolleginnen und Kollegen haben sie schon zitiert.
Ein Kompromiß in der Konfliktsituation des § 218 ist gefunden, ein Kompromiß, der auch alle Merkmale, die einen Kompromiß auszeichnen, aufweist. Ambivalenzen gehören dazu, Bauchschmerzen ebenso, aber auch Erleichterung und die Überzeugung, daß dieser Kompromiß mehr Klarheit und vor allen Dingen mehr Rechtssicherheit für alle Beteiligten bringt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, vielen in diesem Haus wird heute eine Menge abverlangt. Es ist lange gerungen worden, und daß dieser Kompromiß eine Verbesserung gegenüber der momentanen Lage ist, wird die nächste Zeit zeigen. Vor allem die betroffenen Frauen, die Beraterinnen, Ärztinnen und Ärzte werden dies merken.
Den Frauen im Osten wird viel zuviel abverlangt; denn für sie hat sich nicht nur etwas verändert. Nicht nur ein verändertes Schwangerschaftsabbruchrecht hat sich bemerkbar gemacht; für die Frauen im Osten hat auch und vor allen Dingen der Arbeitsmarkteinbruch voll durchgeschlagen. Die Frauen im Osten sind auf dem Arbeitsmarkt die Verliererinnen der Vereinigung. Frauen führen die Statistiken der Arbeitslosenzahlen an. Frauen und Mädchen sind zu Marktführerinnen geworden, wenn es um das Nichthaben von Ausbildungsstellen, um das Nichthaben von Erwerbsarbeitsplätzen und von ausreichendem eigenen Einkommen geht. Auch wenn es gerne anders dargestellt wird: Diese Frauen wollen nicht an den heimischen Herd zurück. Auch fünf Jahre nach der Wende halten sie mehrheitlich an dem Wunsch nach beruflicher Tätigkeit fest.
Christel Hanewinckel
Die Frauen lehnen es ab, ihr Erwerbsverhalten dem im Westen üblichen Muster anzugleichen. Hier wird deutlich: Die hohe Erwerbstätigkeit von Frauen in der ehemaligen DDR war nicht nur von oben oktroyiert, sondern entsprang auch ihrem eigenen Selbstbewußtsein und ihrer Erfahrung.
Junge Frauen aus den neuen Bundesländern haben noch immer den Wunsch nach Familie und Kindern, aber eben auch nach Berufstätigkeit. Sich beide Wünsche zu erfüllen ist aber unter den gegebenen Rahmenbedingungen nur sehr schwer möglich.
Frau Ministerin Nolte, Sie haben vorhin davon gesprochen, daß Sie das Schutzkonzept, das in der Neuregelung zum § 218 enthalten ist, sehr genau beobachten wollen. Ich muß sagen, von Ihnen als Frauen- und Familienministerin reicht mir diese Aussage nicht aus.
Sie sind dafür verantwortlich, auch die andere Seite, also nicht nur ein Schutzkonzept, sondern vor allen Dingen die Seite einer entsprechenden Frauen- und Familienpolitik anzugehen,
Vorschläge zu machen und umzusetzen.
Auch wenn ich Ihre Gewissensentscheidung im Blick auf das vorliegende Gesetz respektieren kann: Es ist mir zuwenig, wenn Sie in der Beobachterinnenrolle bleiben wollen. Denn es ist so, daß Frauen nach wie vor ihre Entscheidungen treffen. Das machen in den östlichen Bundesländern die 70 % Geburtenrückgang deutlich: ein Geburtenrückgang, der nicht auf eine erhöhte Zahl von Schwangerschaftsabbrüchen zurückzuführen ist, sondern aus der Tatsache herrührt, daß Frauen erst gar nicht schwanger werden. Das macht, denke ich, auch noch einmal sehr deutlich, daß das Konzept Beratung und Hilfe statt Strafe unbedingt noch in anderen Bereichen ausgebaut werden muß.
Der Kompromiß, den wir heute verabschieden wollen, ist und bleibt für die Frauen im Osten ein Kompromiß, aber ein lebbarer Kompromiß. Positiv dabei ist, daß für die Frauen in den östlichen Bundesländern nach über fünf Jahren Verunsicherung und der rapiden Veränderung, insbesondere im Hinblick auf die Eigenentscheidung beim Schwangerschaftsabbruch, endlich Ruhe einkehrt.
Noch ein Wort zur Würdigung bzw. zur Kritik am vorliegenden Kompromiß. Frau Ministerin Heidecke aus Sachsen-Anhalt charakterisiert diesen Kompromiß als Schlag ins Gesicht der Frauen bzw. als einen Rückfall ins Steinzeitalter. Ich habe den Eindruck, Frau Heidecke hat die Debatte der letzten fünf Jahre nicht wahrgenommen. Sie hat offenbar nicht bemerkt, daß wir heute nicht das erste Mal seit 1990
über den § 218 debattieren und daß es 1993 ein Bundesverfassungsgerichtsurteil gegeben hat, an dem auch ein entsprechender Gesetzentwurf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nicht vorbeikommt. Ich halte es für unseriös, immer noch und immer wieder so zu tun, als könnten wir beim § 218 im luftleeren Raum handeln. Das ist nicht so.
Meine Vorstellung ist, daß sie als stellvertretende Ministerpräsidentin eines Landes an dieser Stelle mit dafür sorgen sollte, daß nicht neue Verunsicherungen für die Frauen, für die Beraterinnen und Berater und für die Ärzte gestreut werden.
Die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten in Ost und West haben die Vision von einem Leben ohne § 218 nicht aufgegeben. Aber nicht nur jedes Ding braucht seine Zeit; auch Visionen brauchen ihre Zeit, um in die Realität umgesetzt werden zu können. Ich persönlich halte Frauen bereits jetzt - wie schon immer - für fähig, ohne entsprechende Paragraphen verantwortliche Entscheidungen für ihre Kinder und für sich selbst zu treffen.
Dazu brauchen wir auch in Zukunft „starke Mädchen und Frauen".
Wie sieht nun der Kompromiß vor allen Dingen für den Osten konkret aus? Frauen können, sollen und müssen Beratung in Anspruch nehmen - eine Beratung, die ihre Verantwortung und ihre persönliche Entscheidung fordert. Eine Entscheidung im Konfliktfall für den Abbruch ist straffrei. Frauen müssen den Abbruch selbst bezahlen, aber nur ab einem eigenen Einkommen von 1 500 DM im Osten; pro Kind bekommen sie zusätzlich 370 DM angerechnet. Frauen, die unter diese Berechnungsgrenze fallen, bekommen bei ihrer Krankenkasse eine Bescheinigung für die Kostenübernahme; sie müssen nicht zum Sozialamt.
Es ist gut, daß der Kompromiß nicht nur den Frauen Rechtssicherheit gibt, sondern auch den Ärztinnen und Ärzten und den Krankenhäusern. Ärztinnen und Ärzte können nun nicht mehr als zweite Instanz benutzt werden und müssen nicht mehr die Rolle des Moralapostels oder des Richters übernehmen. Nun können und sollen sie ihre Verantwortung als Frauenärztinnen und Frauenärzte wahrnehmen, den Frauen zur Seite stehen, ihnen ihr medizinisches Wissen und Können zur Verfügung stellen und nichts anderes.
Es ist gut, daß die deutsche Einheit die Neuregelung des j 218 für die westlichen Bundesländer auf die Tagesordnung gebracht hat. Der Kompromiß beendet auch das Hin und Her für Frauen im Westen. Die Indikationsregelung ist endgültig vom Tisch. Frauen können nach Beratung, aber ohne Bevormundung und ohne Strafe eigenverantwortlich entscheiden und einen Abbruch vornehmen lassen. Niemand prüft mehr, ob sie in einer Notlage gehandelt haben, die einer medizinischen oder sonstigen Indikation
Christel Hanewinckel
vergleichbar ist. Bei den §§ 218 und 219 wird es, wenn dieser Kompromiß heute verabschiedet wird, in Ost und West eine Angleichung der Lebensverhältnisse geben.
Einen anderen Rückblick möchte ich mir hier noch leisten. Im Gruppenantrag von 1992 gibt es das Kapitel „Aufklärung", und Sie erinnern sich vielleicht daran, daß das ein wichtiges Standbein war. Dieser Teil ist mit dem sozialpolitischen Teil des Gruppenantrages bereits in Kraft getreten und damit geltendes Recht. Die Bundesregierung hat diesen Auftrag auch ernstgenommen und die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung beauftragt, eine Aufklärungs- und Informationsbroschüre für Mädchen herzustellen. Das hat die Bundeszentrale auf eine hervorragende Art und Weise getan: „Starke Mädchen" sind dabei herausgekommen. Leider wurde diese Broschüre inzwischen aus dem ganzen Land zurückgerufen, und die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler mögen hierüber staunen. Die Broschüre wurde eingestampft, weil sie angeblich verfassungswidrig ist: eine Broschüre, die gut zu lesen und gut anzusehen war, eine Broschüre, die für verantwortliche Sexualität wirbt, die aber auch von Lust und Freude und der Normalität von Sexualität spricht, eine Broschüre, die Mädchen als Teil dieser Gesellschaft anspricht, eine Broschüre, die Mädchen als Subjekte ansieht und anspricht, und eine Broschüre, die eine mögliche Konfliktsituation, nämlich die Schwangerschaft, anspricht und Beratung empfiehlt. Mir ist nicht einleuchtend, was an all dem verfassungswidrig ist, es sei denn, es finge schon beim Titel an: „Starke Mädchen". Ich finde die Broschüre stark, Mädchen und Frauen aber auch.
Vielen Dank.
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Dr. Reinhard Göhner.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst noch ein paar Anmerkungen zu der hier gerade diskutierten medizinischen Indikation: Es wird künftig nur noch zwei Indikationen geben, nach denen ein rechtmäßiger Schwangerschaftsabbruch möglich sein wird, eben diese medizinische und die kriminologische Indikation. Wir haben uns nach sehr sorgfältiger Prüfung und Beratung mit vielen Fachleuten dazu entschlossen, die embryopathische Indikation abzuschaffen, weil damit das Mißverständnis - ich betone: das Mißverständnis - verbunden war, daß letztlich die embryopathische Indikation eine Tötung rechtfertige, weil das Kind behindert sei. Ein solches Mißverständnis kann sich eine Rechtsordnung nicht leisten.
Um dies ohne jeden Zweifel klarzustellen, war es uns ein wichtiges Anliegen, dem dringenden Wunsch der Kirchen, der Behindertenverbände und anderer nachzukommen, die in der Tat höchst mißverständliche embryopathische Indikation abzuschaffen.
Wer jetzt behauptet, wir würden über die Hintertür einer medizinischen Indikation die embryopathische Indikation ohne Frist wieder einführen, dem muß ich unterstellen, daß er den Gesetzestext nicht gelesen hat, geschweige denn die Begründung.
Denn die medizinische Indikation, die wir jetzt beschließen wollen, entspricht wörtlich der von 1976 bis 1992 in der Bundesrepublik Deutschland geltenden, vom Verfassungsgericht nicht beanstandeten Indikation. An ihr hat es - wie an der damaligen Indikationenregelung überhaupt - von den Kirchen und von anderen Stellen viel Kritik gegeben, aber niemals hat jemand behauptet, die medizinische Indikation, die wir jetzt wörtlich übernehmen, erlaube und rechtfertige die Tötung eines Kindes, weil es behindert sei. Dies ist abstrus.
Wahr ist, daß jede Indikation, übrigens auch die in dem Gesetzentwurf, den Kollege Hüppe und andere vorgelegt haben, mißbraucht werden kann, wie leider überhaupt Rechtsnormen häufig mißbräuchlich angewendet werden können. Aber die medizinische Indikation verlangt als Voraussetzung für die rechtfertigende Wirkung, daß nach ärztlicher Erkenntnis und gerichtlich überprüfbar entweder eine Gefahr für das Leben der Schwangeren oder eine Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der körperlichen oder seelischen Gesundheit vorliegt. Diese ärztliche Erkenntnis muß nach den vom Verfassungsgericht detailliert festgelegten Voraussetzungen auch die gegenwärtigen und künftigen Lebensverhältnisse der Betroffenen einbeziehen. Das gehört nach den Festsetzungen des Bundesverfassungsgerichts zu den Bedingungen der Feststellung einer ärztlichen Erkenntnis. Die CDU/CSU-Fraktion hat schon 1992 in dem Gesetzentwurf, den wir damals vorgelegt haben, die medizinische Indikation, die von 1976 bis 1992 galt, exakt wörtlich wieder aufgenommen.
Wer jetzt behauptet, wir hätten etwas Neues erfunden, sagt schlicht die Unwahrheit. Ich habe deshalb gerade im Zusammenhang mit der medizinischen Indikation, aber auch mit einigen anderen Fragen, die Frau Kollegin Niehuis schon angesprochen hat und angesichts dessen, was in diesen Tagen gelegentlich zu lesen ist, eine schlichte, aber doch sehr ernste Bitte: Diejenigen, die sich öffentlich zu diesem Kompromiß äußern, sollten sich bitte der Mühe unterziehen, den Gesetzestext vorher wenigstens zu lesen. Denn manche Stellungnahmen aus Politik, Kirchen und Gewerkschaften kann ich mir nur damit erklären, daß noch nicht Gelegenheit bestand, den Gesetzestext wirklich zu lesen.
Dr. Reinhard Göhner
Meine Damen und Herren, wir ringen seit Jahrzehnten im Parlament, in der Gesellschaft und in den Kirchen um die bestmögliche Verwirklichung des Schutzes ungeborenen Lebens. Wir alle wissen, daß das Recht und auch das Strafrecht dazu einen Beitrag, aber eben nur einen begrenzten Beitrag leisten kann, daß Rat, Hilfe und Unterstützung gewiß wichtiger sind. Dies darf aber keine Ausrede dafür sein, auf eine klare Antwort in der Rechtsordnung und im Gesetz auf die ethischen Grundfragen, die mit dem Lebensschutz verbunden sind, zu verzichten.
Nun gibt es seit Jahrzehnten in dieser Diskussion zwei gegensätzliche, zumindest in einem Spannungsverhältnis zueinander stehende Grundpositionen. Gibt es ein Lebensrecht für das ungeborene Kind von Anfang an, oder hat das Selbstbestimmungsrecht der Frau Vorrang, wie es Frau Kollegin Niehuis von der SPD-Fraktion hier noch einmal für wünschenswert erklärt hat? Die Befürworter der Fristenregelung sahen und, wie wir gesehen haben, sehen auch heute noch - wie einige Gesetzentwürfe, über die wir heute ebenfalls entscheiden, belegen -innerhalb einer Zwölf-Wochen-Frist den Vorrang des Selbstbestimmungsrechts der Frau. Genau damit, mit diesem vorrangigen Recht, wurde auch immer die Rechtmäßigkeit eines Abbruches im Rahmen der Fristenregelung begründet. Diese Fristenregelung hat das Bundesverfassungsgericht aus guten Gründen zurückgewiesen und dagegen eine andere Konzeption gesetzt, die wir jetzt mit diesem Kompromiß übernehmen und die eine andere ethische Grundposition hat.
Ich zitiere: „Dabei muß der Frau bewußt sein, daß das Ungeborene in jedem Stadium der Schwangerschaft auch ihr gegenüber ein eigenes Recht auf Leben hat."
So steht es jetzt fast wörtlich in der zentralen Vorschrift des § 2 19: das vorrangige Lebensrecht des ungeborenen Kindes von Anfang an. Das ist eben jetzt nicht mehr nur Interpretation, nicht lediglich Begründung. Vielmehr wird erstmals vom Gesetzgeber der Bundesrepublik Deutschland diese ethische Grundposition ausdrücklich in das Gesetz aufgenommen.
Damit wird eine der bedeutendsten ethischen Grundfragen menschlichen Zusammenlebens ausdrücklich zum Inhalt unserer Rechtsordnung. Ich wiederhole: Das geschieht in der - nach Auffassung aller - zentralen Vorschrift des § 219 Strafgesetzbuch, um die wir ja gerade deshalb auch bis zum Schluß so intensiv gerungen und gestritten haben.
Die strafrechtliche Konsequenz aus dieser ethischen Festlegung des Gesetzgebers ist übrigens jetzt nicht nur, daß es im Gegensatz zu der Beratungszielformulierung des früheren Gruppenantrages nun nur ein einziges und eindeutiges Beratungsziel gibt, nämlich den Schutz des ungeborenen Lebens. Vielmehr ist die strafrechtliche Konsequenz eben auch, daß ein Abbruch im Rahmen der Beratungsregelung keinen rechtfertigenden Charakter hat. Strafrechtliche Konsequenz ist nicht, daß sich Arzt oder Schwangere strafbar machen, wenn im Rahmen dieses Beratungskonzeptes, dieses Schutzkonzeptes des Verfassungsgerichts, ein Abbruch erfolgt.
Aus der Unverfügbarkeit des Menschen und der Unantastbarkeit seines Lebens folgt die Pflicht des Staates zum bestmöglichen Schutzkonzept für das ungeborene Leben. Aber wenn es denn richtig ist, daß Rat, Hilfe und Unterstützung noch wichtiger sind als das Strafrecht, dann liegt es nahe, daß ein solches Schutzkonzept gewählt wird, mit dem wir eben Rat, Hilfe und Unterstützung für die Schwangere überhaupt erreichen können und es ihr ermöglichen, daß sie diesen Rat, diese Hilfe und diese Unterstützung erhält. Das ist der Ansatz des Verfassungsgerichtes für diese Beratungsregelung, die deshalb keine Fristenregelung ist, weil das Selbstbestimmungsrecht der Frau eben nicht Vorrang hat - Vorrang hat vielmehr auch in diesem Beratungskonzept das Lebensrecht des ungeborenen Kindes von Anfang an - und weil ein Abbruch nach dieser Beratungsregelung eben nicht von der Rechtsordnung gebilligt wird.
Ob dieses Beratungskonzept mit Ihrem Verzicht auf Strafe ungeborenes Leben besser schützen kann als z. B. eine Indikationenregelung, dies, glaube ich, kann niemand hier mit letzter Gewißheit sagen, ich jedenfalls nicht. Es wird davon abhängen, wieviel Rat, Hilfe und Unterstützung wir tatsächlich den Frauen, den Müttern, den jungen Familien und den Alleinerziehenden bieten können. Darüber werden wir hier in vielen anderen Gesetzgebungsverfahren noch in dieser Legislaturperiode miteinander reden.
Ich möchte abschließend auch von meiner Seite allen Beteiligten, die den Kompromiß mit erarbeitet haben, herzlich danken. Stellvertretend möchte ich besonderen Dank an die Frau Kollegin Wettig-Danielmeier richten. Sie haben durch Ihre Gesprächsführung zielgerichtet und mit großem Verständnis ganz wesentlich zu diesem Ergebnis beigetragen, das sich an die zentralen Wertentscheidungen und Wertmaßstäbe unserer Verfassung
und nicht nur, aber ganz sicher auch an das Verfassungsgerichtsurteil hält.
Vielen Dank.
Ich erteile nun der Abgeordneten Hanna Wolf das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein ungeheuer langer Gesetzgebungsweg scheint zu Ende zu gehen. Ich erinnere nur an die letzten 20 Jahre. 1975 hatte das Bundesverfassungsgericht die von der SPD in-
Hanna Wolf
itiierte Fristenregelung verworfen. Später folgten die unerträglichen Prozesse von Memmingen.
Dann öffnete die deutsche Einheit die Möglichkeit eines neuen Gesetzes. Auch der Gruppenantrag wurde dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung vorgelegt, diesmal aber nur teilweise verworfen. Es folgten neuerliche Verhandlungen.
Ich bin froh, daß die SPD-geführten Länder im letzten Herbst den damals vorgelegten Gesetzentwurf der Koalitionsparteien abgelehnt haben und wir somit weiter verhandeln konnten.
Heute liegt meiner Meinung nach ein Ergebnis vor, das die Bezeichnung Kompromiß eher verdient. Der Beweis: Niemand kann so recht jubeln, aber viele erkennen ihre eigenen Beiträge darin wieder.
Für mich ist entscheidend, daß wir eine Fristenregelung vorliegen haben, allerdings mit Beratungspflicht. Natürlich hätte ich mir mehr gewünscht; aber ich glaube nicht, daß wir einen faulen Kompromiß vorliegen haben. Politik ist die Kunst des Machbaren, und für mich war die Entscheidung wichtig, daß die Frau letztendlich selbst entscheidet.
Ich glaube, dieser Kompromiß ist bei gutem Willen in die Praxis umsetzbar, und das ist für mich entscheidend. Ich baue auf die Kooperationswilligkeit aller, die heute zustimmen werden. Daß die katholische Kirche - mit Ausnahmen - nicht gegen den Kompromiß anrennt, läßt mich hoffen, daß er auch in Zukunft hält.
Als Abgeordnete aus Bayern bin ich jedoch aus Erfahrung mißtrauisch, wenn ich in einem Bundesgesetz sinngemäß lese: Das Verfahren regeln die Länder. Aber auch hier baue ich darauf, daß die CSU erkennt: Es tut ihr nicht gut, wenn Frauen in Bayern schlechter dran sind als im übrigen Bundesgebiet.
Ich möchte auf einige Punkte näher eingehen und wende mich ganz speziell an die Bayerische Staatsregierung, was übrigens besondere Aktualität durch ein Interview bekommt, das die Staatsministerin Stamm der „Süddeutschen Zeitung" gegeben hat und in dem sie die Frage der Zustimmung zu diesem Gesetz im Bundesrat offenläßt. Deshalb möchte ich heute die CSU in bezug auf einige Punkte ansprechen.
Erstens. Die Beratung. Ich appelliere an die Bayerische Staatsregierung, sich immer bewußt zu bleiben, daß auch sie den ersten Satz des Gesetzestextes zur Konfliktberatung garantieren muß, nämlich: „Die Beratung ist ergebnisoffen zu führen."
Zweitens. Die Beratungsstellen. Ich appelliere an die Bayerische Staatsregierung, gemäß dem Gesetzestext ein tatsächlich „ausreichendes plurales Angebot wohnortnaher Beratungsstellen sicherzustellen". Dies beinhaltet auch, daß die Zulassung von Beratungsstellen nicht nach ideologischen, sondern nach den im Gesetz festgelegten fachlichen Kriterien beurteilt wird.
Drittens. Die Einrichtungen zur Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen. Ich appelliere an die Bayerische Staatsregierung, das im Gesetz geforderte „ausreichende Angebot ambulanter und stationärer Einrichtungen" endlich sicherzustellen.
Viertens. Die Kostenerstattung. Auch hier appelliere ich an die Bayerische Staatsregierung, bei der Erstattung der den Krankenkassen entstehenden Kosten absolute Datensicherheit zu gewährleisten. Die Frauen müssen Vertrauen in die ihnen zugesicherte Anonymität haben können.
Ich hoffe auf die politische Ehrlichkeit der CSU, darauf, daß sie sich die im gesellschaftlichen Konsens gefundene Kompromißlinie nicht zerschlagen läßt, auch nicht durch das Störfeuer eines Kardinals Friedrich Wetter. Aber auch sie selbst darf natürlich diesen Kompromiß jetzt nicht in Frage stellen. Frau Eichhorn und Herr Scheu, ich setze nun auf Sie, daß Sie der Bayerischen Staatsregierung bewußt machen, daß sie nicht noch einmal nach Karlsruhe gehen kann.
Die Frauen in Bayern und wir bayerischen SPD-Abgeordneten im Bundestag werden sehr genau beobachten, wie die neue Praxis im Schwangerschaftskonflikt in Bayern aussieht.
Damit Kinder eine Chance haben, brauchen wir kinder- und frauenfreundliche Strukturen. Ich meine damit auch das Fehlen von Ganztagsschulen in Bayern. Sie wären eine notwendige Ergänzung eines qualifizierten und integrierten Ganztagsangebots für Kinder jeden Alters. Ich meine eine Erziehung und Sexualaufklärung, die die Prävention von ungewollten Schwangerschaften im Auge hat, und einen Arbeitsmarkt mit gleichen Chancen für Frauen, der alle Arbeitszeitstrukturen umfaßt, bei denen Kinder mitgedacht sind. Hier besteht absoluter Handlungsbedarf.
Ich hoffe, daß die betroffenen Frauen und die Beratungsstellen mit dem Gesetz, das wir heute hoffentlich mit großer Mehrheit verabschieden, angstfrei umgehen können.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich erteile nun unserer Präsidentin Frau Professor Rita Süssmuth als Abgeordneter das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich zum Abschluß dieser Debatte das Wort ergreife, dann möchte ich sagen: Für mich ist heute kein schwarzer Tag,
sondern ein Tag, an dem ich zunächst einmal ausdrücken möchte, daß alle, die hier miteinander den
Kompromiß ausgehandelt haben, höchst verantwort-
Dr. Rita Süssmuth
lich und nicht leichtfertig gegenüber dem Schutz des ungeborenen Lebens gehandelt haben,
daß sie sich dabei der Wertgrundlage unseres Grundgesetzes und des Verfassungsgerichtsurteils bewußt geblieben sind und danach gehandelt haben.
Daß dabei unterschiedliche Positionen bestehen, wird auch nach Verabschiedung dieses Gesetzes so sein. Ich finde zunächst einmal ganz entscheidend, daß im Sinne des neuen Schutzkonzeptes gehandelt worden ist. Natürlich trifft es zu, daß wir nicht wissen, ob der Weg, den wir jetzt gehen, der erfolgreichere sein wird, aber wir wissen, daß das Strafkonzept nicht ein wirksames Lebensschutzgesetz gewesen ist.
Deswegen möchte ich am Ende dieser Debatte herausstellen: Was ist für das Bundesverfassungsgericht die Grundlage seiner Urteilsfindung? Welches Bild vom Menschen, welches Bild von Gesellschaft und Staat und welches Bild von der Frau und ihrer Einstellung gegenüber dem Lebensschutz stehen dahinter?
Herr Hüppe, ich sage Ihnen noch einmal: Es gibt keinen Kompromiß beim Lebensrecht; er ist auch hier und heute nicht zugrunde gelegt worden.
Aber es gibt einen Kompromiß bei der Frage des besseren Weges in bezug auf den Lebensschutz; denn gerade das Lebensrecht des ungeborenen Kindes ist in der Werteordnung und im Verfassungsgerichtsurteil geschützt worden.
Deswegen sage ich aus meiner Position: Es ist zu einfach, nur den Begriff der Selbstbestimmung der Frau zu benutzen. Es ist ein höchst schwieriges Entscheidungsrecht im Gewissenskonflikt, in der Abwägung der Frau: Kann ich mit einem Kind das Leben gemeinsam führen?
Es geht nicht um ein Bestimmungsrecht über ungeborenes Leben, sondern um einen höchst schwierigen Entscheidungskonflikt, den niemand der Frau abnehmen kann.
Ich wiederhole, was einheitliche Auffassung auch der Kirchen ist: daß das Leben nicht gegen die Mutter wirksam geschützt werden kann, sondern nur mit ihr.
Dieser Lebensschutz beinhaltet, daß wir die Frau mit ihrem Entscheidungskonflikt nicht allein lassen. Die Auffassung des Bundesverfassungsgerichts ist eine Verantwortungsethik, die von Beistandschart - so möchte ich es einmal nennen - bestimmt ist. Diese Beistandschaft betrifft die Partner, das familiale Umfeld, die Gesellschaft in allen Gruppierungen und den Staat.
Es kann nicht angehen, daß wir den Frauen ein Entscheidungsrecht geben und sie dann im Konflikt allein lassen. Deswegen sind für das Verfassungsgericht genauso ausschlaggebend die Mindestvoraussetzungen, damit die Frau mit dem Beratungs- und Hilfekonzept wirksam Leben schützen kann und der Staat - wir alle - Leben wirksam schützen kann.
Ich sage deswegen: Was wir bisher an Leistungen erbringen, ist für das Bundesverfassungsgericht eine Mindestvoraussetzung, nicht ein Optimum. Daß wir über den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz immer noch streiten, ist mit dem Verfassungsgerichtsurteil nicht vereinbar,
sondern dieser Anspruch ist einzulösen.
Ich glaube, für einen wirksameren Schutz ist ganz entscheidend, daß wir zu einem neuen Weg kommen, mit Kindern zu leben. Es genügt nicht, daß wir sagen: Kinder haben Vorfahrt. Sie müssen wirklich Vorrang in unserem Planen und Handeln haben,
ob bei Wohnungsfragen oder bei der Gestaltung von Arbeit. Damit hängt entscheidend zusammen, wie wir die Tätigkeit von Kindererziehung, Betreuung, Lebenshilfe und Lebensförderung in unserer Gesellschaft bewerten, und zwar faktisch bewerten. Es kann uns nicht zur Ruhe bringen, wenn Frauen wegen der Entscheidung für das Kind am Ende Sozialhilfeempfängerinnen im Alter sind.
Deswegen müssen wir auf dem eingeschlagenen Weg weitergehen: Anerkennung von Erziehung und Pflege im Rentenrecht; denn das macht deutlich, wie diese Tätigkeiten tatsächlich bewertet werden und wie glaubwürdig wir im Umgang mit dem Schutz der Mutter und des Kindes sind. Und ich wünsche mir sehr, daß sich die Väter nicht weniger verantwortlich fühlen als die Mütter; das ist immer noch ein desolater Tatbestand.
Lassen Sie mich abschließend noch einmal auf das hinweisen, was der Kollege Göhner gerade mit allem Nachdruck betont hat. Wir haben von allen Seiten wegen der embryopathischen Indikation Kritik erfahren. Wir haben in großer Übereinstimmung ge-
Dr. Rita Süssmuth
sagt: Behindertes Leben ist genauso schützenswert wie nicht behindertes Leben. Es gibt keinen Grund, daß Behinderung in irgendeiner Weise Grundlage für einen Abbruch sein darf.
Wir haben die embryopathische Indikation der medizinischen Indikation gleichgesetzt, um den Rang auszudrücken. Wer heute erklärt, wir öffneten der Tötung von Kindern die Tore, dem kann ich nur sagen: Er weiß nicht, wovon wir geredet haben und was wir verhandelt haben.
Uns geht es um den Schutz, um besseren Schutz für Behinderte, gerade um all das zu vermeiden, was Sie als Gefahr sehen. Darum ging es den Verhandelnden und denen, die heute über diese gefundene Lösung positiv abstimmen werden.
Wenn gesagt wird, das alles sei noch nicht ausberaten, dann möchte ich dazu auf folgendes hinweisen: Wir beraten jetzt seit Jahren. Ich bin unserem Fraktionsvorsitzenden dankbar, daß er mit allem Nachdruck auf einen Abschluß der Beratungen gedrängt hat, um nicht nur unsere Handlungsfähigkeit, sondern auch die Glaubwürdigkeit im politischen Handeln deutlich zu machen.
Mein allerletzter Satz: Zur Verantwortungsethik gehört auch Entscheidungsethik, gehört, die Verantwortungsfähigkeit der Frau ganz ernst zu nehmen. Wenn dieser Gesetzentwurf dies endlich besser als je zuvor zum Ausdruck bringt, dann, glaube ich, ist erreicht worden, daß die von niemand anderem zu übernehmende Verantwortung der Frau - das Gewissen kann nicht ersetzt werden, auch nicht durch den Staat - anerkannt werden wird. Ich respektiere alle, die heute anders entscheiden. Aber ich werbe abschließend noch einmal darum, daß wir den gefundenen verfassungskonformen Kompromiß als das werten und achten, was er ist. Ich danke allen Beteiligten, die uns dies ermöglicht haben.
Danke schön.
Ich schließe die Aussprache.
Einige Kolleginnen und Kollegen wollen eine Erklärung zur Abstimmung nach § 31 unserer Geschäftsordnung abgeben. Es ist vereinbart, daß diese Erklärungen zu Protokoll gegeben werden.
Es handelt sich dabei um Erklärungen der Kollegen Dr. Dionys Jobst, Robert Antretter, Benno Zierer, Kurt Rossmanith, Heidemarie Lüth, Hartmut Koschyk, Ernst Hinsken, Dr. Barbara Höll, Wolfgang
Engelmann, Jürgen Koppelin, Dr. Martin Mayer, Dr. Klaus-Dieter Uelhoff, Graf von Waldburg-Zeil, Christian Schmidt, Dr. Schmidt-Jortzig, Peter Keller, Johannes Singhammer, Werner Dörflinger, Hans Peter Schmitz, Monika Brudlewsky, Werner Lensing und Armin Laschet. Diese Erklärungen nehmen wir hiermit zu Protokoll.*) Gibt es sonst noch jemanden, der eine persönliche Erklärung abgeben möchte? - Das ist nicht der Fall.
Wir kommen damit zu den Abstimmungen. Zu vier Gesetzentwürfen werden wir namentliche Abstimmungen durchführen. Dazwischen und im Anschluß daran finden einfache Abstimmungen statt.
Wir werden nach den namentlichen Abstimmungen die Sitzung unterbrechen, damit wir das Auszählungsergebnis bekanntgeben können, ehe wir andere Punkte der Tagesordnung aufrufen. Ich glaube, daß das nicht nur dem öffentlichen Interesse, sondern auch der Bedeutung der Abstimmung angemessen ist.
Zunächst stimmen wir über den Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Sexualaufklärung, Verhütung, Prävention ungewollter Schwangerschaften und Beratung auf Drucksache 13/402 ab. Der Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend empfiehlt auf Drucksache 13/1850 unter Nr. 1 Buchstabe a, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich lasse über den Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 13/402 abstimmen.
Es ist namentliche Abstimmung verlangt. Ich bitte die Schriftführer, ihre Plätze einzunehmen. Ich eröffne die Abstimmung. -
Gibt es ein Mitglied, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekanntgegeben. * *)
Wir setzen die Abstimmungen fort. Ich bitte Sie, Platz zu nehmen. Herr Kollege Scharping, würden auch Sie uns das Vergnügen bereiten, Platz zu nehmen, damit wir fortfahren können?
Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Abgeordneten Hubert Hüppe, Monika Brudlewsky und weiterer Abgeordneter zum Schutz des ungeborenen Kindes auf Drucksache 13/395. Der Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend empfiehlt auf Drucksache 13/1850 unter Nr. 1 Buchstabe b, den Gesetzentwurf abzulehnen.
Auch hier wird namentliche Abstimmung verlangt. Ich bitte die Schriftführer, an die Urnen zu gehen. Ich eröffne die Abstimmung.
Hat jemand seine Stimme noch nicht abgegeben? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung.
*) Anlage 2
**) Seite 3787 C
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
Ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekanntgegeben.*)
Wir setzen die Abstimmungen fort. Wir treten nun in die Abstimmung über den Gesetzentwurf der Gruppe der PDS zur Sicherung der Unantastbarkeit der Grundrechte von Frauen auf Drucksache 13/397 ein.
Wir können die Abstimmung nicht durchführen, wenn die Kollegen die Abstimmungsfrage nicht kennen.
Wir stimmen ab über den Gesetzentwurf der Gruppe der PDS zur Sicherung der Unantastbarkeit der Grundrechte von Frauen auf Drucksache 13/397.
Der Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend empfiehlt auf Drucksache 13/1850 unter Nr. 1 Buchstabe c, den Gesetzentwurf abzulehnen.
Um Fragen, die eben aufgetaucht sind, noch einmal eindeutig zu klären: Ich lasse wie bei den anderen Abstimmungen auch über den Gesetzentwurf abstimmen, nicht über die Empfehlung des Ausschusses. Wir stimmen jeweils ab über den Gesetzentwurf, hier den der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/397.
Es ist namentliche Abstimmung beantragt. Ich eröffne die Abstimmung. -
Darf ich fragen, ob noch Stimmkarten nicht abgegeben worden sind? - Wenn dies der Fall ist, bitte ich, das zu tun.
Darf ich noch einmal fragen, ob ein Mitglied des Hauses seine Stimme noch nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekanntgegeben. **)
Meine Kollegen, darf ich Sie bitten, Platz zu nehmen, denn wir kommen nun zu Abstimmungen, die nicht namentlich sind.
- Ich bitte die Mitglieder des Hauses, Platz zu nehmen oder den Saal zu verlassen. Das gilt auch für die Kollegen im Hintergrund des Saales. Wir können sonst die Mehrheitsverhältnisse nicht überblicken.
Wir kommen zum Gesetzentwurf des Bundesrates zur Hilfe für Frauen bei Schwangerschaftsabbrüchen, Drucksache 13/375. Der Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend empfiehlt auf Drucksache 13/1850 unter Nr. 1 Buchstabe d, diesen Gesetzentwurf für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Damit ist diese Beschlußempfehlung bei wenigen Stimmenthaltungen angenommen.
Ich gebe jetzt das Ergebnis der namentlichen Abstimmung zur zweiten Beratung des Gesetzentwurfes der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Ent-
*) Seite 3790A
**) Seite 3792D
Wurf eines Gesetzes über Sexualaufklärung, Verhütung, Prävention ungewollter Schwangerschaften und Beratung, Drucksache 13/402, bekannt. Abgegebene Stimmen: 646, mit Ja haben gestimmt: 42, mit Nein haben gestimmt: 598, Enthaltungen: 6. Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt, so daß die dritte Beratung entfällt.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 645; davon
ja: 42
nein: 597
enthalten: 6
Ja
BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN
Altmann , Elisabeth
Beck , Marieluise Beck (Köln), Volker
Beer, Angelika Berninger, Matthias Buntenbach, Annelie Dietert-Scheuer, Amke
Eichstädt-Bohlig, Franziska Eid, Dr. Uschi
Fischer , Andrea Fischer (Frankfurt), Joseph Grießhaber, Rita
Häfner, Gerald Hermenau, Antje Heyne, Kristin Höfken, Ulrike Kiper, Dr. Manuel
Köster-Loßack, Dr. Angelika Lippelt, Dr. Helmut
Metzger, Oswald Müller , Kerstin Nachtwei, Winfried
Nickels, Christa Özdemir, Cem Poppe, Gerd Probst, Simone Rochlitz, Dr. Jürgen
Saibold, Halo Scheel, Christine
Schewe-Gerigk, Irmingard Schmitt ,
Wolfgang
Schönberger, Ursula Schoppe, Waltraud
Schulz , Werner Steenblock, Rainder
Steindor, Marina Sterzing, Christian
Such, Manfred Vollmer, Dr. Antje Volmer, Ludger
Wilhelm , Helmut Wolf (Frankfurt),
Margareta
Nein
CDU/CSU
Adam, Ulrich
Altmaier, Peter
Augustin, Anneliese
Augustinowitz, Jürgen Austermann, Dietrich Bargfrede, Heinz-Günter Basten, Franz Peter Bauer, Dr. Wolf
Baumeister, Brigitte Belle, Meinrad
Bergmann-Pohl, Dr. Sabine Bierling, Hans-Dirk
Blank, Dr. Joseph-Theodor Blank, Renate
Blens, Dr. Heribert Bleser, Peter
Blüm, Dr. Norbert Bohl, Friedrich
Böhmer, Dr. Maria Borchert, Jochen Bömsen ,
Wolfgang
Bosbach, Wolfgang Bötsch, Dr. Wolfgang Brähmig, Klaus
Braun , Rudolf Breuer, Paul
Brudlewsky, Monika Brunnhuber, Georg Büttner ,
Hartmut
Buwitt, Dankward
Carstens , Manfred Carstensen (Nordstrand),
Peter Harry
Dehnel, Wolfgang Deittert, Hubert
Dempwolf, Gertrud Deß, Albert
Diemers, Renate Dietzel, Wilhelm Dörflinger, Werner Doss, Hansjürgen Dregger, Dr. Alfred Eichhorn, Maria
Engelmann, Wolfgang Eppelmann, Rainer Eßmann, Heinz Dieter Eylmann, Horst
Eymer, Anke
Falk, Ilse
Faltlhauser, Dr. Kurt Feilcke, Jochen
Fell, Dr. Karl H.
Fink, Ulf
Fischer , Dirk Francke (Hamburg), Klaus Frankenhauser, Herbert Friedrich, Dr. Gerhard Fritz, Erich G.
Fuchtel, Hans-Joachim Geiger, Michaela
Geis, Norbert
Geißler, Dr. Heiner Glos, Michael
Glücklich, Wilma Göhner, Dr. Reinhard Götz, Peter
Götzer, Dr. Wolfgang
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
Gres, Joachim
Grill, Kurt-Dieter Gröbl, Wolfgang Gröhe, Hermann Grotz, Claus-Peter Grund, Manfred
Günther , Horst Hammerstein, Carl-Detlev
Freiherr von
Haschke , Gottfried
Hasselfeldt, Gerda Haungs, Rainer
Hauser , Otto Hauser (Rednitzhembach),
Hansgeorg
Hedrich, Klaus-Jürgen Heise, Manfred Hellwig, Dr. Renate Hinsken, Ernst
Hintze, Peter
Hollerith, Josef Hornhues, Dr. Karl-Heinz Hornung, Siegfried Hörsken, Heinz-Adolf Hörster, Joachim
Hüppe, Hubert Jacoby, Peter
Jaffke, Susanne Janovsky, Georg Jawurek, Helmut Jobst, Dr. Dionys Jork, Dr.-Ing. Rainer
Jung , Michael Jüttner, Dr. Egon
Kahl, Dr. Harald Kampeter, Steffen Kansy, Dr.-Ing. Dietmar Kanther, Manfred Karwatzki, Irmgard Kauder, Volker
Keller, Peter
Klaeden, Eckart von Klaußner, Dr. Bernd Klein , Hans Klinkert, Ulrich
Kohl, Dr. Helmut Köhler ,
Hans-Ulrich
Kolbe, Manfred Königshofen, Norbert
Kom, Eva-Maria Koschyk, Hartmut Koslowski, Manfred Kossendey, Manfred Kraus, Rudolf
Krause , Wolfgang Krautscheid, Andreas Kriedner, Arnulf
Kronberg, Heinz-Jürgen Krüger, Dr.-Ing. Paul Krziskewitz, Reiner Kues, Dr. Hermann Kuhn, Werner
Lamers, Karl
Lamers ,
Dr. Karl A.
Lammert, Dr. Norbert Lamp, Helmut Laschet, Armin Lattmann, Herbert Laufs, Dr. Paul Laumann, Karl-Josef Lensing, Werner Lenzer, Christian Letzgus, Peter
Limbach, Editha
Link , Walter Lintner, Eduard
Lippold , Dr. Klaus W.
Lischewski, Dr. Manfred Lohmann , Wolfgang
Louven, Julius
Löwisch, Sigrun
Lummer, Heinrich Luther, Dr. Michael
Maaß , Erich Mahlo, Dr. Dietrich Marschewski, Erwin
Marten, Günter
Mayer , Dr. Martin
Meckelburg, Wolfgang Meinl, Rudolf
Meister, Dr. Michael Merkel, Dr. Angela Merz, Friedrich
Meyer , Rudolf Michelbach, Hans Michels, Meinolf Müller, Dr. Gerd
Müller , Elmar Nelle, Engelbert Neumann (Bremen), Bernd Nitsch, Johannes
Nolte, Claudia
Olderog, Dr. Rolf Ost, Friedhelm
Oswald, Eduard Otto , Norbert Päselt, Dr. Gerhard Paziorek, Dr. Peter
Pesch, Hans-Wilhelm Petzold, Ulrich
Pfeifer, Anton
Pfeiffer, Angelika Pfennig, Dr. Gero Pflüger, Dr. Friedbert Philipp, Beatrix
Pinger, Dr. Winfried Pofalla, Ronald
Pohler, Dr. Hermann Polenz, Ruprecht Pretzlaff, Marlies Protzner, Dr. Bernd Pützhofen, Dieter Rachel, Thomas
Raidel, Hans
Ramsauer, Dr. Peter Rau, Rolf
Rauber, Helmut
Rauen, Peter Harald Regenspurger, Otto Reichard , Christa Reichardt (Mannheim),
Klaus Dieter
Reinartz, Dr. Bertold Reinhardt, Erika Repnik, Hans-Peter Richter, Roland
Richwien, Roland Rieder, Dr. Norbert
Riedl , Dr. Erich Riegert, Klaus
Riesenhuber, Dr. Heinz Rönsch , Hannelore
Ronsöhr, Heinrich-Wilhelm Rose, Dr. Klaus
Rossmanith, Kurt J.
Roth , Adolf Röttgen, Norbert
Ruck, Dr. Christian Rühe, Volker
Rüttgers, Dr. Jürgen Sauer , Roland Schätzle, Ortrun
Schäuble, Dr. Wolfgang Schauerte, Hartmut Schemken, Heinz
Scherhag, Karl-Heinz Scheu, Gerhard
Schindler, Norbert Schlee, Dietmar
Schmalz, Ulrich Schmidbauer, Bernd Schmidt , Christian Schmidt (Halsbrücke),
Dr.-Ing. Joachim
Schmidt , Andreas Schmiedeberg, Hans-Otto Schmitz (Baesweiler),
Hans Peter
Schmude, Michael von Schnieber-Jastram, Birgit Schockenhoff, Dr. Andreas Scholz, Dr. Rupert Schorlemer, Reinhard
Freiherr von
Dr. Christian
Sebastian, Wilhelm-Josef Seehofer, Horst
Seibel, Wilfried
Seiffert, Heinz-Georg Seiters, Rudolf
Selle, Johannes
Siebert, Bernd
Sikora, Jürgen
Singhammer, Johannes Sothmann, Bärbel Späte, Margarete
Spranger, Carl-Dieter Steiger, Wolfgang Steinbach, Erika
Stetten, Dr. Wolfgang Freiherr von
Stoltenberg, Dr. Gerhard Storm, Andreas
Straubinger, Max
Stübgen, Michael Susset, Egon
Süssmuth, Dr. Rita Teiser, Michael
Tiemann, Dr. Susanne Töpfer, Dr. Klaus
Tröger, Gottfried
Uelhoff, Dr. Klaus-Dieter Uldall, Gunnar
Vogt , Wolfgang Waffenschmidt, Dr. Horst Waigel, Dr. Theodor Waldburg-Zeil,
Alois Graf von
Warnke, Dr. Jürgen Wetzel, Kersten
Wilhelm , Hans-Otto Willner, Gert
Wilz, Bernd
Wimmer , Willy Wissmann, Matthias Wittmann (Tännnesberg),
Simon
Wöhrl, Dagmar Wonneberger, Michael Wilting, Elke
Würzbach, Peter Kurt Yzer, Cornelia
Zeitlmann, Wolfgang Zierer, Benno
Zöller, Wolfgang
SPD
Andres, Gerd
Antretter, Robert
Bachmaier, Hermann
Bahr, Ernst
Barnett, Doris
Barthel, Klaus Becker-Inglau, Ingrid Behrendt, Wolfgang
Bertl, Hans-Werner Beucher, Friedhelm Julius Böhme , Dr. Ulrich Börnsen (Ritterhude), Ame Brandt-Elsweier, Anni Braune, Tilo
Brecht, Dr. Eberhard Bulmahn, Edelgard Burchardt, Ursula
Bury, Hans Martin
Büttner , Hans Caspers-Merk, Marion Catenhusen, Wolf-Michael Conradi, Peter Däubler-Gmelin, Dr. Herta Deichmann, Christel
Diller, Karl
Dobberthien, Dr. Marliese Dreßen, Peter
Dreßler, Rudolf
Duve, Freimut
Eich, Ludwig
Enders, Peter
Erler, Gernot
Ernstberger, Petra
Faße, Annette
Ferner, Elke
Fischer , Lothar Fograscher, Gabriele Follak, Iris
Formanski, Norbert
Freitag, Dagmar
Fuchs , Anke Fuhrmann, Arne Ganseforth, Monika Gansel, Norbert
Gilges, Konrad
Gleicke, Iris
Gloser, Günter
Glotz, Dr. Peter
Graf , Günter Graf (Rosenheim), Angelika Grasedieck, Dieter Großmann, Achim
Haack ,
Karl Hermann
Hacker, Hans-Joachim Hagemann, Klaus
Hampel, Manfred Hanewinckel, Christel Hartenbach, Alfred
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
Hartenstein, Dr. Liesel Hasenfratz, Klaus Hauchler, Dr. Ingomar Heistermann, Dieter
Hemker, Reinhold Hempelmann, Rolf Hendricks, Dr. Barbara Heubaum, Monika Hiksch, Uwe
Hiller , Reinhold Hilsberg, Stephan
Höfer, Gerd
Hoffmann , Jelena Hofmann (Volkach), Frank Holzhüter, Ingrid Hovermann, Eike
Ibrügger, Lothar Ilte, Wolfgang Imhof, Barbara Irber, Brunhilde Iwersen, Gabriele Jäger, Renate Janssen, Jann-Peter
Janz, Ilse
Jens, Dr. Uwe Kaspereit, Sabine Kastner, Susanne Kastning, Ernst Kemper, Hans-Peter Kirschner, Klaus Klappert, Marianne Klemmer, Siegrun Klose, Hans-Ulrich
Knaape, Dr. Hans-Hinrich Kolbow, Walter
Körper, Fritz Rudolf Kressl, Nicolette Kröning, Volker Krüger, Thomas Kubatschka, Horst Kuhlwein, Eckart Kunick, Konrad Kurzhals, Christine Küster, Dr. Uwe Labsch, Werner Lange, Brigitte Larcher, Detlev von Lehn, Waltraud Leidinger Robert Lennartz, Klaus Leonhard, Dr. Elke
Lohmann , Klaus Lörcher, Christa
Lotz, Erika
Maaß , Dieter
Mante, Winfried Marx, Dorle
Mascher, Ulrike Matschie, Christoph Matthäus-Maier, Ingrid Mattischeck, Heide Meckel, Markus
Mehl, Ulrike
Meißner, Herbert Mertens, Angelika Meyer , Dr. Jürgen Mogg, Ursula
Mosdorf, Siegmar
Müller , Michael Müller (Völklingen), Jutta Müller (Zittau), Christian Neumann (Berlin), Kurt Neumann (Bramsche), Volker Neumann (Gotha), Gerhard Niehuis, Dr. Edith
Niese, Dr. Rolf
Odendahl, Doris
Oesinghaus, Günter Onur, Leyla
Opel, Manfred
Ostertag, Adolf
Palis, Kurt
Papenroth, Albrecht Penner, Dr. Wilfried Pfaff, Dr. Martin
Pick, Dr. Eckhart
Poß, Joachim
Purps, Rudolf
Rappe , Hermann
Rehbock-Zureich, Karin Renesse, Margot von Rennebach, Renate Reschke, Otto
Reuter, Bernd
Richter, Dr. Edelbert Rixe, Günter
Robbe, Reinhold Rübenkönig, Gerhard Schäfer, Dr. Hansjörg Schaich-Walch, Gudrun Schanz, Dieter
Scharping, Rudolf Scheelen, Bernd
Scheer, Dr. Hermann Scheffler, Siegfried Schild, Horst
Schily, Otto
Schloten, Dieter Schluckebier, Günter Schmidbauer ,
Horst
Schmidt , Ursula Schmidt (Meschede), Dagmar Schmidt (Salzgitter), Wilhelm Schmidt-Zadel, Regina Schmitt (Berg), Heinz Schnell, Dr. Emil
Schöler, Walter
Schreiner, Ottmar Schröter, Gisela
Schubert, Dr. Mathias Schuhmann , Richard
Schulte , Brigitte Schultz (Everswinkel), Reinhard
Schultz , Volkmar Schuster, Dr. R. Werner Schütz (Oldenburg), Dietmar Schwall-Düren, Dr. Angelica Schwanhold, Ernst Schwanitz, Rolf
Seidenthal, Bodo
Seuster, Lisa
Sielaff, Horst
Simm, Erika
Singer, Johannes Skarpelis-Sperk, Dr. Sigrid Sonntag-Wolgast,
Dr. Cornelie
Sorge, Wieland
Spanier, Wolfgang Sperling, Dr. Dietrich Spiller, Jörg-Otto
Steen, Antje-Marie Stiegler, Ludwig
Struck, Dr. Peter
Tappe, Joachim
Tauss, Jörg
Teichmann, Dr. Bodo Terborg, Margitta
Teuchner, Jella Thalheim, Dr. Gerald
Thierse, Wolfgang Thieser, Dietmar Thönnes, Franz Titze-Stecher, Uta Tröscher, Adelheid Urbaniak, Hans-Eberhard Vergin, Siegfried Verheugen, Günter
Vogt , Ute
Voigt , Karsten D. Vosen, Josef
Wagner, Hans Georg
Wegner, Dr. Konstanze Weiermann, Wolfgang
Weis , Reinhard Weisheit, Matthias Weißgerber, Gunter Weisskirchen (Wiesloch),
Gert
Welt, Jochen Wester, Hildegard Westrich, Lydia
Wettig-Danielmeier, Inge Wieczorek, Dr. Norbert Wieczorek ,
Helmut
Wiefelspütz, Dieter Wittich, Berthold Wodarg, Dr. Wolfgang Wohlleben, Verena Wright, Heidi
Zapf, Uta
Zöpel, Dr. Christoph Zumkley, Peter
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Knoche, Monika
F.D.P.
Albowitz, Ina Babel, Dr. Gisela Braun ,
Hildebrecht Bredehorn, Günther
Essen, Jörg van Feldmann, Dr. Olaf Frick, Gisela
Friedhoff, Paul K. Friedrich, Horst Genscher, Hans-Dietrich Gerhardt, Dr. Wolfgang
Günther , Joachim Guttmacher, Dr. Karlheinz Haussmann, Dr. Helmut Heinrich, Ulrich
Hirche, Walter Hirsch, Dr. Burkhard Homburger, Birgit Hoyer, Dr. Werner Inner, Ulrich
Kinkel, Dr. Klaus
Kleinert , Detlef Kohn, Roland
Kolb, Dr. Heinrich L.
Koppelin, Jürgen
Laermann, Dr.-Ing. Karl-Hans Lanfermann, Heinz Leutheusser-Schnarren-
berger, Sabine Lühr, Uwe
Möllemann, Jürgen W. Nolting, Günther Friedrich Ortleb, Dr. Rainer
Peters, Lisa
Rexrodt, Dr. Günter Röhl, Dr. Klaus
Schmalz-Jacobsen, Cornelia Schmidt-Jortzig, Dr. Edzard Solms, Dr. Hermann Otto Stadler, Dr. Max
Thiele, Carl-Ludwig Thomae, Dr. Dieter Türk, Jürgen
Weng ,
Dr. Wolfgang
PDS
Bierstedt, Wolfgang
Bläss, Petra
Bulling-Schröter, Eva Einsiedel, Heinrich Graf von Enkelmann, Dr. Dagmar Fuchs, Dr. Ruth
Gysi, Dr. Gregor
Heuer, Dr. Uwe-Jens Heym, Stefan
Höll, Dr. Barbara
Jelpke, Ulla
Jüttemann, Gerhard Knake-Werner, Dr. Heidi Köhne, Rolf
Kutzmutz, Rolf
Lederer, Andrea
Lüth, Heidemarie
Maleuda, Dr. Günther Müller , Manfred Neuhäuser, Rosel
Schenk, Christina
Tippach, Steffen
Warnick, Klaus-Jürgen Wolf, Dr. Winfried
Zwerenz, Gerhard
Enthalten
SPD
Fuchs , Katrin
Lucyga, Dr. Christine Wolf , Harma
BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN Lemke, Steffi
F.D.P.
Schwaetzer, Dr. Irmgard
PDS
Jacob, Dr. Willibald
Dann gebe ich das Ergebnis der namentlichen Abstimmung der zweiten Beratung des Gesetzentwurfes der Abgeordneten Hubert Hüppe, Monika Brudlewsky und weiterer Abgeordneter, Entwurf eines
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
Gesetzes zum Schutz des ungeborenen Kindes, Drucksache 13/395, bekannt. Abgegebene Stimmen: 648, mit Ja haben gestimmt: 105, mit Nein haben gestimmt: 523, Enthaltungen: 20. Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt, so daß auch in diesem Fall die dritte Beratung entfällt.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 647; davon
ja: 103
nein: 524
enthalten: 20
Ja
CDU/CSU
Altmaier, Peter Austermann, Dietrich Bargfrede, Heinz-Günter Basten, Franz Peter Bauer, Dr. Wolf
Belle, Meinrad
Blank, Dr. Joseph-Theodor Bleser, Peter
Bosbach, Wolfgang Brähmig, Klaus
Braun , Rudolf Brudlewsky, Monika Brunnhuber, Georg Deittert, Hubert
Deß, Albert
Dörflinger, Werner Engelmann, Wolfgang
Fell, Dr. Karl H. Fuchtel, Hans-Joachim
Geis, Norbert
Götz, Peter
Götzer, Dr. Wolfgang Grill, Kurt-Dieter Gröbl, Wolfgang Grund, Manfred
Hammerstein, Carl-Detlev
Freiherr von
Hauser , Otto Hedrich, Klaus-Jürgen Hinsken, Ernst Hollerith, Josef Hornung, Siegfried Hörsken, Heinz-Adolf Hüppe, Hubert Janovsky, Georg Jawurek, Helmut
Jobst, Dr. Dionys Jüttner, Dr. Egon Kauder, Volker Keller, Peter
Königshofen, Norbert Koschyk, Hartmut Koslowski, Manfred Kraus, Rudolf
Kronberg, Heinz-Jürgen Krziskewitz, Reiner Kues, Dr. Hermann Laufs, Dr. Paul Laumann, Karl-Josef Lensing, Werner Löwisch, Sigrun Lummer, Heinrich Luther, Dr. Michael
Meinl, Rudolf
Meister, Dr. Michael Merz, Friedrich
Michelbach, Hans
Michels, Meinolf
Müller, Dr. Gerd
Müller , Elmar Nelle, Engelbert
Nitsch, Johannes
Otto , Norbert Paziorek, Dr. Peter Pützhofen, Dieter
Ramsauer, Dr. Peter Rauber, Helmut
Rauen, Peter Harald Regenspurger, Otto Reichardt ,
Klaus Dieter
Reinartz, Dr. Bertold Reinhardt, Erika
Richter, Roland
Rieder, Dr. Norbert
Riedl , Dr. Erich Riegert, Klaus
Riesenhuber, Dr. Heinz Ronsöhr, Heinrich-Wilhelm Rose, Dr. Klaus
Rossmanith, Kurt J.
Ruck, Dr. Christian
Sauer , Roland Schemken, Heinz
Schindler, Norbert
Schlee, Dietmar
Schmitz , Hans Peter
Schockenhoff, Dr. Andreas Seiffert, Heinz-Georg Selle, Johannes
Siebert, Bernd
Sikora, Jürgen Singhammer, Johannes Steiger, Wolfgang
Stetten, Dr. Wolfgang Freiherr von
Susset, Egon
Uelhoff, Dr. Klaus-Dieter Vogt , Wolfgang Waldburg-Zeil,
Alois Graf von
Wetzel, Kersten
Wilhelm , Hans-Otto Wimmer (Neuss), Willy Wülfing, Elke
Yzer, Cornelia
Zöller, Wolfgang
Nein
CDU/CSU
Adam, Ulrich
Augustin, Anneliese Augustinowitz, Jürgen Baumeister, Brigitte Bergmann-Pohl, Dr. Sabine Bierling, Hans-Dirk
Blüm, Dr. Norbert
Bohl, Friedrich
Böhmer, Dr. Maria Borchert, Jochen Börnsen ,
Wolfgang
Bötsch, Dr. Wolfgang Breuer, Paul
Büttner , Hartmut
Buwitt, Dankward Carstensen , Peter Harry
Dehnel, Wolfgang Dempwolf, Gertrud Dietzel, Wilhelm Doss, Hansjürgen Dregger, Dr. Alfred Eichhorn, Maria Eppelmann, Rainer Eßmann, Heinz Dieter Eylmann, Horst
Eymer, Anke
Falk, Ilse
Faltlhauser, Dr. Kurt Feilcke, Jochen
Fink, Ulf
Fischer , Dirk Francke (Hamburg), Klaus Friedrich, Dr. Gerhard Geiger, Michaela
Geißler, Dr. Heiner
Glos, Michael
Glücklich, Wilma Göhner, Dr. Reinhard Gres, Joachim
Gröhe, Hermann Grotz, Claus-Peter
Günther , Horst Haschke (Großhennersdorf),
Gottfried
Hasselfeldt, Gerda Haungs, Rainer
Hauser , Hansgeorg
Hellwig, Dr. Renate Hintze, Peter
Hornhues, Dr. Karl-Heinz Hörster, Joachim
Jacoby, Peter
Jaffke, Susanne Jork, Dr.-Ing. Rainer
Jung , Michael Kampeter, Steffen Kanther, Manfred Karwatzki, Irmgard Klaeden, Eckart von Klaußner, Dr. Bernd Klein (München), Hans Klinkert, Ulrich
Kohl, Dr. Helmut Köhler , Hans-Ulrich
Kolbe, Manfred
Kossendey, Thomas Krause , Wolfgang Krautscheid, Andreas Kriedner, Arnulf
Lamers, Karl
Lamers , Dr. Karl A.
Lammert, Dr. Norbert Lamp, Helmut
Laschet, Armin
Lattmann, Herbert Lenzer, Christian Letzgus, Peter
Limbach, Editha
Link , Walter Lintner, Eduard
Lippold , Dr. Klaus W.
Lischewski, Dr. Manfred Lohmann , Wolfgang
Louven, Julius
Maaß , Erich Mahlo, Dr. Dietrich Marschewski, Erwin
Marten, Günter
Meckelburg, Wolfgang Merkel, Dr. Angela Meyer , Rudolf
Neumann , Bernd Olderog, Dr. Rolf
Ost, Friedhelm
Oswald, Eduard Päselt, Dr. Gerhard Petzold, Ulrich
Pfeifer, Anton
Pfeiffer, Angelika Pfennig, Dr. Gero Pflüger, Dr. Friedbert Philipp, Beatrix
Pinger, Dr. Winfried Pofalla, Ronald
Polenz, Ruprecht Pretzlaff, Marlies Protzner, Dr. Bernd Rachel, Thomas Raidel, Hans
Rau, Rolf
Reichard , Christa Repnik, Hans-Peter Richwien, Roland
Rönsch ,
Hannelore
Roth , Adolf Röttgen, Norbert Rühe, Volker
Schätzle, Ortrun Schäuble, Dr. Wolfgang Schauerte, Hartmut Scherhag, Karl-Heinz Scheu, Gerhard Schmalz, Ulrich Schmidbauer, Bernd
Schmidt , Christian Schmidt (Halsbrücke),
Dr.-Ing. Joachim
Schmidt , Andreas Schmiedeberg, Hans-Otto Schmude, Michael von Schnieber-Jastram, Birgit Scholz, Dr. Rupert Schorlemer, Reinhard
Freiherr von
Dr. Christian
Sebastian, Wilhelm-Josef Seehofer, Horst
Seibel, Wilfried
Seiters, Rudolf
Sothmann, Bärbel Späte, Margarete
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
Spranger, Carl-Dieter Steinbach, Erika Stoltenberg, Dr. Gerhard Straubinger, Max
Stübgen, Michael Süssmuth, Dr. Rita Teiser, Michael
Tiemann, Dr. Susanne Töpfer, Dr. Klaus
Tröger, Gottfried
Uldall, Gunnar Waffenschmidt, Dr. Horst Waigel, Dr. Theodor Wissmann, Matthias Wittmann ,
Simon
Wöhrl, Dagmar Wonneberger, Michael Würzbach, Peter Kurt Zeitlmann, Wolfgang Zierer, Benno
SPD
Andres, Gerd
Bachmaier, Hermann Bahr, Ernst
Barnett, Doris
Barthel, Klaus Becker-Inglau, Ingrid Behrendt, Wolfgang Bertl, Hans-Werner Beucher, Friedhelm Julius Böhme , Dr. Ulrich
Börnsen , Ame Brandt-Elsweier, Anni Braune, Tilo
Brecht, Dr. Eberhard Bulmahn, Edelgard Burchardt, Ursula Bury, Hans Martin
Büttner , Hans Caspers-Merk, Marion Catenhusen, Wolf-Michael Conradi, Peter Däubler-Gmelin, Dr. Herta Deichmann, Christel Diller, Karl
Dobberthien, Dr. Marliese Dreßen, Peter
Dreßler, Rudolf
Duve, Freimut
Eich, Ludwig
Enders, Peter
Erler, Gemot
Ernstberger, Petra Faße, Annette
Ferner, Elke
Fischer , Lothar Fograscher, Gabriele Follak, Iris
Formanski, Norbert Freitag, Dagmar Fuchs , Anke Fuchs (Verl), Katrin Fuhrmann, Arne Ganseforth, Monika Gansel, Norbert
Gilges, Konrad
Gleicke, Iris
Gloser, Günter
Glotz, Dr. Peter
Graf , Günter Graf (Rosenheim), Angelika Grasedieck, Dieter
Großmann, Achim Haack ,
Karl Hermann Hacker, Hans-Joachim Hagemann, Klaus Hampel, Manfred Hanewinckel, Christel Hartenbach, Alfred Hartenstein, Dr. Liesel Hasenfratz, Klaus Hauchler, Dr. Ingomar Heistermann, Dieter Hemker, Reinhold Hempelmann, Rolf Hendricks, Dr. Barbara Heubaum, Monika Hiksch, Uwe
Hiller , Reinhold Hilsberg, Stephan
Höfer, Gerd
Hoffmann , Jelena Hofmann (Volkach), Frank Holzhüter, Ingrid Hovermann, Eike
Ibrügger, Lothar Ilte, Wolfgang
Imhof, Barbara Irber, Brunhilde Iwersen, Gabriele Jäger, Renate
Janssen, Jann-Peter Janz, Ilse
Jens, Dr. Uwe
Kaspereit, Sabine Kastner, Susanne Kastning, Ernst Kemper, Hans-Peter Kirschner, Klaus Klappert, Marianne Klemmer, Siegrun Klose, Hans-Ulrich
Knaape, Dr. Hans-Hinrich Kolbow, Walter
Körper, Fritz Rudolf Kressl, Nicolette Kröning, Volker Krüger, Thomas Kubatschka, Horst Kuhlwein, Eckart Kunick, Konrad Kurzhals, Christine Küster, Dr. Uwe Labsch, Werner Lange, Brigitte Larcher, Detlev von Lehn, Waltraud Leidinger, Robert Lennartz, Klaus Leonhard, Dr. Elke
Lohmann , Klaus Lörcher, Christa
Lotz, Erika
Lucyga, Dr. Christine Maaß , Dieter Mante, Winfried Marx, Dorle
Mascher, Ulrike Matschie, Christoph Matthäus-Maier, Ingrid Mattischeck, Heide Meckel, Markus
Mehl, Ulrike
Meißner, Herbert Mertens, Angelika Meyer , Dr. Jürgen Mogg, Ursula
Mosdorf, Siegmar
Müller , Michael Müller (Völklingen), Jutta Müller (Zittau), Christian Neumann (Berlin), Kurt Neumann (Bramsche), Volker Neumann (Gotha), Gerhard Niehuis, Dr. Edith
Niese, Dr. Rolf Odendahl, Doris Oesinghaus, Günter Onur, Leyla
Opel, Manfred Ostertag, Adolf Palis, Kurt
Papenroth, Albrecht Penner, Dr. Willfried Pfaff, Dr. Martin Pick, Dr. Eckhart Poß, Joachim
Purps, Rudolf
Rappe , Hermann
Rehbock-Zureich, Karin Renesse, Margot von Rennebach, Renate Reschke, Otto
Reuter, Bernd
Richter, Dr. Edelbert Rixe, Günter
Robbe, Reinhold Rübenkönig, Gerhard Schäfer, Dr. Hansjörg Schaich-Walch, Gudrun Schanz, Dieter Scharping, Rudolf Scheelen, Bernd Scheer, Dr. Hermann Scheffler, Siegfried Schild, Horst
Schily, Otto
Schloten, Dieter Schluckebier, Günter Schmidbauer ,
Horst
Schmidt , Ursula Schmidt (Meschede), Dagmar Schmidt (Salzgitter), Wilhelm Schmidt-Zadel, Regina Schmitt (Berg), Heinz
Schnell, Dr. Emil Schöler, Walter Schreiner, Ottmar Schröter, Gisela Schubert, Dr. Mathias Schuhmann ,
Richard
Schulte , Brigitte Schultz (Everswinkel), Reinhard
Schultz , Volkmar Schuster, Dr. R. Werner Schütz (Oldenburg), Dietmar Schwall-Düren, Dr. Angelica Schwanhold, Ernst Schwanitz, Rolf
Seidenthal, Bodo Seuster, Lisa
Sielaff, Horst
Simm, Erika
Singer, Johannes Skarpelis-Sperk, Dr. Sigrid Sonntag-Wolgast,
Dr. Cornelie
Sorge, Wieland Spanier, Wolfgang
Sperling, Dr. Dietrich Spiller, Jörg-Otto Steen, Antje-Marie Stiegler, Ludwig Struck, Dr. Peter Tappe, Joachim
Tauss, Jörg
Teichmann, Dr. Bodo Terborg, Margitta Teuchner, Jella
Thalheim, Dr. Gerald Thierse, Wolfgang Thieser, Dietmar Thönnes, Franz
Titze-Stecher, Uta Tröscher, Adelheid Urbaniak, Hans-Eberhard Vergin, Siegfried Verheugen, Günter
Vogt , Ute
Voigt , Karsten D. Vosen, Josef
Wagner, Hans Georg Wegner, Dr. Konstanze Weiermann, Wolfgang Weis , Reinhard Weisheit, Matthias Weißgerber, Gunter
Weisskirchen , Gert Welt, Jochen
Wester, Hildegard Westrich, Lydia Wettig-Danielmeier, Inge Wieczorek, Dr. Norbert Wieczorek ,
Helmut
Wieczorek-Zeul, Heidemarie Wiefelspütz, Dieter
Wittich, Berthold Wodarg, Dr. Wolfgang Wohlleben, Verena Wolf , Hanna Wright, Heidi
Zapf, Uta
Zöpel, Dr. Christoph Zumkley, Peter
BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN
Altmann , Elisabeth
Beck , Marieluise Beck (Köln), Volker
Beer, Angelika
Berninger, Matthias Buntenbach, Annelie Dietert-Scheuer, Amke Eichstädt-Bohlig, Franziska Eid, Dr. Uschi
Fischer , Andrea Fischer (Frankfurt), Joseph Grießhaber, Rita
Häfner, Gerald
Hermenau, Antje Heyne, Kristin
Höfken, Ulrike
Kiper, Dr. Manuel Knoche, Monika
Köster-Loßack, Dr. Angelika Lemke, Steffi
Lippelt, Dr. Helmut Metzger, Oswald Müller , Kerstin Nachtwei, Winfried Nickels, Christa
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
Özdemir, Cem
Poppe, Gerd
Probst, Simone
Rochlitz, Dr. Jürgen Saibold, Halo
Scheel, Christine Schewe-Gerigk, Irmingard Schmitt ,
Wolfgang
Schönberger, Ursula Schoppe, Waltraud Schulz , Werner Steenblock, Rainder Steindor, Marina
Sterzing, Christian Such, Manfred
Vollmer, Dr. Antje Volmer, Ludger
Wilhelm , Helmut
Wolf , Margareta
F.D.P.
Albowitz, Ina
Babel, Dr. Gisela
Braun ,
Hildebrecht
Bredehorn, Günther Essen, Jörg van
Feldmann, Dr. Olaf Frick, Gisela
Friedhoff, Paul K. Friedrich, Horst
Genscher, Hans-Dietrich Gerhardt, Dr. Wolfgang Günther , Joachim Guttmacher, Dr. Karlheinz Haussmann, Dr. Helmut Heinrich, Ulrich
Hirche, Walter
Hirsch, Dr. Burkhard Homburger, Birgit Hoyer, Dr. Werner Irmer, Ulrich
Kinkel, Dr. Klaus
Kleinert , Detlef Kohn, Roland
Kolb, Dr. Heinrich L. Koppelin, Jürgen
Laermann, Dr.-Ing. Karl-Hans Lambsdorff, Dr. Otto Graf Lanfermann, Heinz Leutheusser-Schnarren-
berger, Sabine
Lühr, Uwe
Möllemann, Jürgen W. Nolting, Günther Friedrich Ortleb, Dr. Rainer
Peters, Lisa
Rexrodt, Dr. Günter Röhl, Dr. Klaus
Schäfer , Helmut Schmalz-Jacobsen, Cornelia Schmidt-Jortzig, Dr. Edzard Schwaetzer, Dr. Irmgard Solms, Dr. Hermann Otto Stadler, Dr. Max
Thiele, Carl-Ludwig
Thomae, Dr. Dieter Türk, Jürgen
Weng ,
Dr. Wolfgang
PDS
Bierstedt, Wolfgang Blass, Petra
Bulling-Schröter, Eva Einsiedel, Heinrich Graf von Enkelmann, Dr. Dagmar Fuchs, Dr. Ruth
Gysi, Dr. Gregor Heuer, Dr. Uwe-Jens Heym, Stefan
Höll, Dr. Barbara Jacob, Dr. Willibald Jelpke, Ulla
Jüttemann, Gerhard Knake-Werner, Dr. Heidi Köhne, Rolf
Kutzmutz, Rolf Lederer, Andrea Lüth, Heidemarie Maleuda, Dr. Günther
Müller , Manfred Neuhauser, Rosel Rössel, Dr. Uwe-Jens
Schenk, Christina Tippach, Steffen Warnick, Klaus-Jürgen
Wolf, Dr. Winfried Zwerenz, Gerhard
Enthalten
CDU/CSU
Blank, Renate Blens, Dr. Heribert
Carstens , Manfred Diemers, Renate Frankenhauser, Herbert Heise, Manfred
Kahl, Dr. Harald
Kansy, Dr.-Ing. Dietmar
Kors, Eva-Maria Krüger, Dr.-Ing. Paul
Kuhn, Werner
Mayer ,
Dr. Martin
Nolte, Claudia Pesch, Hans-Wilhelm
Pohler, Dr. Hermann
Rüttgers, Dr. Jürgen Storm, Andreas Willner, Gert
Wilz, Bernd
SPD
Antretter, Robert
Dann können wir zur Abstimmung über die von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. eingebrachten Entwürfe eines Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetzes, Drucksachen 13/285, 13/27 und 13/268, kommen. Der Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend empfiehlt, die Gesetzentwürfe zusammenzufassen und in der Ausschußfassung anzunehmen. - Es wird hier zu Recht gerügt, daß weiter abgestimmt wird, weil der Gesetzentwurf der PDS unter Umständen angenommen werden könnte
- nur gemach! - und damit das Abstimmungsverhalten einzelner Abgeordneter verändert werden kann. Wir haben das auch bei den anderen Gesetzentwürfen nicht so gemacht. Der Einwand ist berechtigt.
Ich warte das Vorlegen des Ergebnisses ab und unterbreche bis dahin die Sitzung.
Wir können in den Abstimmungen fortfahren.Ich gebe das Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Gesetzentwurf der Gruppe der PDS, Entwurf eines Gesetzes zur Sicherheit der Grundrechte von Frauen, Drucksache 13/397, bekannt. Abgegebene Stimmen: 651, mit Ja haben gestimmt: 44,
mit Nein haben gestimmt: 586, Enthaltungen: 21. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung abgelehnt, so daß die dritte Beratung entfällt.Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 648; davonja: 44nein: 583enthalten: 21JaBÜNDNIS 90 / DIE GRÜNENAltmann , GilaBeck , Volker Beer, Angelika Buntenbach, Annelie Dietert-Scheuer, AmkeEichstädt-Bohlig, Franziska Fischer , Andrea Heyne, KristinKiper, Dr. Manuel Knoche, Monika Lemke, SteffiMüller , KerstinProbst, Simone Rochlitz, Dr. JürgenSchewe-Gerigk, Irmingard Schönberger, Ursula Steindor, MarinaSuch, ManfredPDSBierstedt, Wolfgang Bläss, PetraBulling-Schröter, EvaEinsiedel, Heinrich Graf von Enkelmann, Dr. Dagmar Fuchs, Dr. RuthGysi, Dr. GregorHeuer, Dr. Uwe-Jens Heym, StefanHöll, Dr. BarbaraJacob, Dr. WillibaldJelpke, UllaKnake-Werner, Dr. Heidi Köhne, RolfKutzmutz, RolfLederer, AndreaLüth, HeidemarieMaleuda, Dr. Günther Müller , Manfred Neuhauser, RoselRössel, Dr. Uwe-Jens Schenk, ChristinaTippach, SteffenWarnick, Klaus-Jürgen Wolf, Dr. WinfriedZwerenz, GerhardNeinCDU/CSUAdam, Ulrich Altmaier, Peter Augustin, Anneliese Augustinowitz, Jürgen Austermann, DietrichBargfrede, Heinz-Günter Basten, Franz PeterBauer, Dr. Wolf Baumeister, BrigitteBelle, MeinradVizepräsident Dr. Burkhard HirschBergmann-Pohl, Dr. Sabine Bierling, Hans-DirkBlank, Dr. Joseph-Theodor Blank, RenateBlens, Dr. Heribert Bleser, PeterBlüm, Dr. Norbert Bohl, FriedrichBöhmer, Dr. Maria Borchert, Jochen Börnsen ,WolfgangBosbach, Wolfgang Bötsch, Dr. Wolfgang Brähmig, KlausBraun , Rudolf Breuer, PaulBrudlewsky, Monika Brunnhuber, Georg Büttner ,HartmutBuwitt, DankwardCarstens , Manfred Carstensen (Nordstrand),Peter HarryDehnel, Wolfgang Deittert, HubertDempwolf, Gertrud Deß, AlbertDiemers, Renate Dietzel, Wilhelm Dörflinger, Werner Doss, Hansjürgen Dregger, Dr. Alfred Eichhorn, Maria Engelmann, Wolfgang Eppelmann, Rainer Eßmann, Heinz Dieter Eylmann, HorstEymer, AnkeFalk, IlseFaltlhauser, Dr. Kurt Feilcke, JochenFell, Dr. Karl H.Fink, UlfFischer , Dirk Francke (Hamburg), Klaus Frankenhauser, Herbert Friedrich, Dr. Gerhard Fritz, Erich G.Fuchtel, Hans-Joachim Geiger, MichaelaGeis, NorbertGeißler, Dr. Heiner Glos, MichaelGlücklich, Wilma Götz, PeterGötzer, Dr. Wolfgang Gres, JoachimGrill, Kurt-Dieter Gröbl, Wolfgang Gröhe, Hermann Grotz, Claus-Peter Grund, ManfredGünther , Horst Hammerstein, Carl-DetlevFreiherr vonHaschke , GottfriedHasselfeldt, Gerda Haungs, RainerHauser , OttoHauser , HansgeorgHedrich, Klaus-Jürgen Heise, ManfredHellwig, Dr. Renate Hinsken, Ernst Hintze, PeterHollerith, Josef Hornhues, Dr. Karl-Heinz Hornung, Siegfried Hörsken, Heinz-Adolf Hörster, JoachimHüppe, Hubert Jacoby, PeterJaffke, Susanne Janovsky, Georg Jawurek, Helmut Jobst, Dr. Dionys Jork, Dr.-Ing. RainerJung , Michael Jüttner, Dr. EgonKahl, Dr. Harald Kampeter, Steffen Kansy, Dr.-Ing. Dietmar Kanther, Manfred Karwatzki, Irmgard Kauder, VolkerKeller, PeterKlaeden, Eckart von Klaußner, Dr. Bernd Klein , Hans Klinkert, UlrichKohl, Dr. Helmut Köhler ,Hans-Ulrich Kolbe, Manfred Königshofen, NorbertKors, Eva-Maria Koschyk, Hartmut Koslowski, Manfred Kossendey, Thomas Kraus, RudolfKrautscheid, Andreas Kriedner, Arnulf Kronberg, Heinz-Jürgen Krüger, Dr.-Ing. Paul Krziskewitz, Reiner Kues, Dr. Hermann Kuhn, WernerLamers, KarlLamers ,Dr. Karl A.Lammert, Dr. NorbertLamp, Helmut Laschet, Armin Lattmann, Herbert Laufs, Dr. Paul Laumann, Karl-Josef Lensing, Werner Lenzer, Christian Letzgus, Peter Limbach, EdithaLink , Walter Lintner, Eduard Lippold (Offenbach),Dr. Klaus W. Lischewski, Dr. Manfred Lohmann ,WolfgangLouven, Julius Löwisch, Sigrun Lummer, Heinrich Luther, Dr. MichaelMaaß , Erich Mahlo, Dr. Dietrich Marschewski, ErwinMarten, GünterMayer ,Dr. MartinMeckelburg, WollgangMeinl, Rudolf Meister, Dr. Michael Merkel, Dr. Angela Merz, FriedrichMeyer , Rudolf Michelbach, Hans Michels, Meinolf Müller, Dr. GerdMüller , Elmar Nelle, Engelbert Neumann (Bremen), Bernd Nitsch, JohannesNolte, Claudia Olderog, Dr. Rolf Ost, Friedhelm Oswald, Eduard Otto , Norbert Päselt, Dr. Gerhard Paziorek, Dr. PeterPesch, Hans-Wilhelm Petzold, Ulrich Pfeifer, Anton Pfeiffer, Angelika Pfennig, Dr. Gero Pflüger, Dr. Friedbert Philipp, Beatrix Pinger, Dr. Winfried Pofalla, Ronald Pohler, Dr. Hermann Polenz, Ruprecht Pretzlaff, Marlies Protzner, Dr. Bernd Pützhofen, Dieter Rachel, Thomas Raidel, HansRamsauer, Dr. Peter Rau, RolfRauber, Helmut Rauen, Peter Harald Regenspurger, OttoReichard , Christa Reichardt (Mannheim),Klaus Dieter Reinartz, Dr. Bertold Reinhardt, Erika Repnik, Hans-Peter Richter, Roland Richwien, Roland Rieder, Dr. NorbertRiedl , Dr. Erich Riegert, Klaus Riesenhuber, Dr. Heinz Rönsch (Wiesbaden),HanneloreRonsöhr, Heinrich-Wilhelm Rose, Dr. Klaus Rossmanith, Kurt J.Roth , Adolf Röttgen, Norbert Ruck, Dr. Christian Rühe, VolkerRüttgers, Dr. JürgenSauer , Roland Schätzle, Ortrun Schäuble, Dr. Wolfgang Schauerte, Hartmut Schemken, Heinz Scherhag, Karl-Heinz Scheu, Gerhard Schindler, Norbert Schlee, Dietmar Schmalz, Ulrich Schmidbauer, BerndSchmidt , Christian Schmidt (Halsbrücke),Dr.-Ing. JoachimSchmidt , Andreas Schmiedeberg, Hans-Otto Schmitz (Baesweiler),Hans PeterSchmude, Michael von Schnieber-Jastram, Birgit Schockenhoff, Dr. Andreas Scholz, Dr. Rupert Schorlemer, ReinhardFreiherr von
Dr. ChristianSebastian, Wilhelm-Josef Seehofer, HorstSeibel, WilfriedSeiffert, Heinz-Georg Seiters, RudolfSelle, JohannesSiebert, BerndSikora, JürgenSinghammer, Johannes Sothmann, Bärbel Späte, MargareteSpranger, Carl-Dieter Steiger, Wolfgang Steinbach, ErikaStetten, Dr. Wolfgang Freiherr vonStoltenberg, Dr. Gerhard Storm, AndreasStraubinger, MaxStübgen, Michael Susset, EgonSüssmuth, Dr. Rita Teiser, MichaelTiemann, Dr. Susanne Töpfer, Dr. KlausTröger, GottfriedUelhoff, Dr. Klaus-Dieter Uldall, GunnarVogt , Wolfgang Waffenschmidt, Dr. Horst Waigel, Dr. Theodor Waldburg-Zeil,Alois Graf vonWetzel, KerstenWilhelm , Hans-Otto Willner, GertWilz, BerndWimmer , Willy Wissmann, MatthiasWittmann ,SimonWöhrl, Dagmar Wonneberger, Michael Wülfing, ElkeWürzbach, Peter Kurt Yzer, CorneliaZeitlmann, Wolfgang Zierer, BennoZöller, WolfgangSPDAndres, GerdAntretter, RobertBachmaier, HermannVizepräsident Dr. Burkhard HirschBahr, ErnstBarnett, DorisBarthel, KlausBecker-Inglau, Ingrid Behrendt, Wolfgang Bertl, Hans-Werner Beucher, Friedhelm Julius Böhme , Dr. UlrichBörnsen , Arne Brandt-Elsweier, Anni Braune, TiloBrecht, Dr. Eberhard Bulmahn, Edelgard Burchardt, Ursula Bury, Hans MartinBüttner , Hans Caspers-Merk, Marion Catenhusen, Wolf-Michael Conradi, PeterDäubler-Gmelin, Dr. Herta Deichmann, Christel Diller, KarlDobberthien, Dr. Marliese Dreßen, PeterDreßler, RudolfDuve, FreimutEich, LudwigEnders, PeterErler, GernotErnstberger, Petra Faße, AnnetteFerner, ElkeFischer , Lothar Fograscher, Gabriele Follak, IrisFormanski, Norbert Freitag, Dagmar Fuchs , Anke Fuchs (Verl), Katrin Fuhrmann, Arne Ganseforth, Monika Gansel, NorbertGilges, KonradGleicke, IrisGloser, GünterGlotz, Dr. PeterGraf , GünterGraf , Angelika Grasedieck, Dieter Großmann, AchimHacker, Hans-Joachim Hagemann, Klaus Hampel, Manfred Hanewinckel, Christel Hartenbach, Alfred Hartenstein, Dr. Liesel Hasenfratz, Klaus Hauchler, Dr. Ingomar Heistermann, Dieter Hemker, Reinhold Hempelmann, Rolf Hendricks, Dr. Barbara Heubaum, Monika Hiksch, UweHiller , Reinhold Hilsberg, StephanHöfer, GerdHoffmann , JelenaHofmann , Frank Holzhüter, Ingrid Hovermann, Eike Ibrügger, LotharIlte, WolfgangImhof, BarbaraIrber, BrunhildeIwersen, Gabriele Jäger, Renate Janssen, Jann-Peter Janz, IlseJens, Dr. Uwe Kaspereit, Sabine Kastner, Susanne Kastning, Ernst Kemper, Hans-Peter Kirschner, Klaus Klappert, Marianne Klemmer, Siegrun Klose, Hans-UlrichKnaape, Dr. Hans-Hinrich Kolbow, WalterKörper, Fritz Rudolf Kressl, Nicolette Kröning, Volker Krüger, Thomas Kubatschka, Horst Kuhlwein, Eckart Kunick, Konrad Kurzhals, Christine Küster, Dr. Uwe Labsch, Werner Lange, Brigitte Larcher, Detlev von Lehn, Waltraud Leidinger, Robert Lennartz, Klaus Leonhard, Dr. ElkeLohmann , Klaus Lörcher, ChristaLotz, ErikaLucyga, Dr. ChristineMaaß , DieterMante, Winfried Marx, DorleMascher, Ulrike Matschie, Christoph Matthäus-Maier, Ingrid Mattischeck, Heide Meckel, MarkusMehl, UlrikeMeißner, Herbert Mertens, Angelika Meyer , Dr. Jürgen Mogg, UrsulaMosdorf, SiegmarMüller , Michael Müller (Völklingen), Jutta Müller (Zittau), Christian Neumann (Berlin), Kurt Neumann (Bramsche), Volker Neumann (Gotha), Gerhard Niehuis, Dr. EdithNiese, Dr. Rolf Odendahl, Doris Oesinghaus, GünterOnur, LeylaOpel, Manfred Ostertag, Adolf Palis, KurtPapenroth, AlbrechtPenner, Dr. WinfriedPfaff, Dr. Martin Pick, Dr. Eckhart Poß, JoachimPurps, Rudolf Rappe , HermannRehbock-Zureich, Karin Renesse, Margot von Rennebach, Renate Reschke, OttoReuter, BerndRichter, Dr. Edelbert Rixe, GünterRobbe, Reinhold Rübenkönig, Gerhard Schäfer, Dr. Hansjörg Schaich-Walch, Gudrun Schanz, DieterScharping, Rudolf Scheelen, BerndScheer, Dr. Hermann Scheffler, Siegfried Schild, HorstSchily, OttoSchloten, Dieter Schluckebier, Günter Schmidbauer ,HorstSchmidt , Ursula Schmidt (Meschede), DagmarSchmidt , WilhelmSchmidt-Zadel, Regina Schmitt , Heinz Schnell, Dr. EmilSchöler, WalterSchreiner, Ottmar Schröter, GiselaSchubert, Dr. Mathias Schuhmann , RichardSchulte , Brigitte Schultz (Everswinkel), ReinhardSchultz , Volkmar Schuster, Dr. R. Werner Schütz (Oldenburg), Dietmar Schwall-Düren, Dr. Angelica Schwanhold, Ernst Schwanitz, RollSeidenthal, BodoSeuster, LisaSielaff, HorstSimm, ErikaSinger, Johannes Skarpelis-Sperk, Dr. Sigrid Sonntag-Wolgast,Dr. CornelieSorge, WielandSpanier, Wolfgang Sperling, Dr. Dietrich Spiller, Jörg-OttoSteen, Antje-Marie Stiegler, LudwigStruck, Dr. PeterTappe, JoachimTauss, JörgTeichmann, Dr. Bodo Terborg, MargittaTeuchner, JellaThalheim, Dr. Gerald Thierse, Wolfgang Thieser, DietmarThönnes, Franz Titze-Stecher, Uta Tröscher, Adelheid Urbaniak, Hans-Eberhard Vergin, Siegfried Verheugen, GünterVogt , Ute Voigt (Frankfurt),Karsten D.Vosen, JosefWagner, Hans Georg Wegner, Dr. Konstanze Weiermann, WolfgangWeis , Reinhard Weisheit, Matthias Weißgerber, Gunter Weisskirchen (Wiesloch),GertWelt, JochenWester, Hildegard Westrich, Lydia Wettig-Danielmeier, Inge Wieczorek, Dr. Norbert Wieczorek ,HelmutWieczorek-Zeul, Heidemarie Wiefelspütz, DieterWittich, Berthold Wodarg, Dr. Wolfgang Wohlleben, Verena Wolf , Hanna Wright, HeidiZapf, UtaZöpel, Dr. Christoph Zumkley, PeterBÜNDNIS 90 / DIE GRÜNENEid, Dr. UschiHäfner, GeraldLippelt, Dr. Helmut Nickels, ChristaPoppe, GerdSaibold, HaloSchoppe, Waltraud Sterzing, Christian Vollmer, Dr. AntjeF.D.P.Albowitz, InaBabel, Dr. Gisela Braun , HildebrechtBredehorn, Günther Essen, Jörg vanFeldmann, Dr. Olaf Frick, GiselaFriedhoff, Paul K. Friedrich, HorstGenscher, Hans-Dietrich Gerhardt, Dr. Wolfgang Günther , Joachim Guttmacher, Dr. Karlheinz Haussmann, Dr. Helmut Heinrich, UlrichHirche, WalterHirsch, Dr. Burkhard Homburger, Birgit Hoyer, Dr. Werner Irmer, UlrichKinkel, Dr. KlausKleinert , Detlef Kohn, RolandKolb, Dr. Heinrich L. Koppelin, JürgenLaermann, Dr.-Ing. Karl-Hans Lambsdorff, Dr. Otto Graf Lanfermann, Heinz Leutheusser-Schnarrenberger, Sabine Lühr, UweMöllemann, Jürgen W. Nolting, Günther Friedrich Ortleb, Dr. RainerPeters, LisaRexrodt, Dr. GünterVizepräsident Dr. Burkhard HirschRöhl, Dr. KlausSchafer , Helmut Schmalz-Jacobsen, CorneliaSchmidt-Jortzig, Dr. Edzard Schwaetzer, Dr. IrmgardSolms, Dr. Hermann Otto Stadler, Dr. MaxThiele, Carl-Ludwig Thomae, Dr. Dieter Türk, JürgenWeng ,Dr. WolfgangEnthaltenCDU/CSUKrause , Wolfgang BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNENAltmann , ElisabethBeck , Marieluise Berninger, MatthiasFischer , Joseph Grießhaber, RitaHermenau, AntjeHöfken, UlrikeHustedt, Michaele Köster-Loßack, Dr. Angelika Metzger, OswaldNachtwei, WinfriedÖzdemir, CernScheel, ChristineSchmitt , WolfgangSchulz , Werner Steenblock, RainderVolmer, LudgerWilhelm , Helmut Wolf (Frankfurt), MargaretaPDSJüttemann, GerhardWir kommen nun zur Abstimmung über die von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. eingebrachten Entwürfe eines Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetzes, Drucksachen 13/285, 13/27 und 13/268. Der Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend empfiehlt, die Gesetzentwürfe zusammenzufassen und in der Ausschußfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Gesetzentwurf bei Stimmenthaltungen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
- ich bitte um Entschuldigung: bei Gegenstimmen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und einigen Enthaltungen
- sowie bei einigen Gegenstimmen von der Union in zweiter Beratung angenommen worden ist.Dann kommen wir zurdritten Beratungund Schlußabstimmung. Dazu ist namentliche Abstimmung verlangt. Ich bitte die Schriftführer, ihren Platz an den Urnen einzunehmen. Ich eröffne die Abstimmung. -Darf ich fragen, ob noch jemand, der mitstimmen möchte, seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung. *)Wir stimmen jetzt über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu dem Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN zum Selbstbestimmungsrecht der Frauen, Drucksache 13/1850 Nr. 3, ab. Der Ausschuß*) Ergebnis auf Seite 3795 Dempfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/409 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung, den Antrag abzulehnen? - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Damit ist der Antrag mit den Stimmen der Koalition und der SPD gegen die Stimmen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS bei Stimmenthaltungen angenommen.Meine Kollegen, es steht nun die Auszählung der letzten namentlichen Abstimmung über den gemeinsamen Gesetzentwurf der Koalition und der SPD aus. Ich unterbreche daher bis zur Bekanntgabe des Ergebnisses der Abstimmung die Sitzung.
Die Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Schlußabstimmung über die von der Fraktion der CDU/CSU, der Fraktion der SPD und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwürfe eines Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetzes auf den Drucksachen 13/285, 13/27, 13/268 und 13/1850, Buchstaben 2a, 2 b, 2c in der Ausschußfassung bekannt. Abgegebene Stimmen: 652, mit Ja haben gestimmt: 486. Mit Nein haben gestimmt: 145. Enthaltungen: 21. Der Gesetzentwurf ist in der 3. Beratung in der Ausschußfassung angenommen.
Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 651 davonja: 485nein: 145enthalten: 21JaCDU/CSUAdam, UlrichAltmaier, Peter Augustin, Anneliese Augustinowitz, Jürgen Baumeister, BrigitteBergmann-Pohl, Dr. Sabine Bierling, Hans-DirkBlank, RenateBlens, Dr. Heribert Bleser, PeterBlüm, Dr. Norbert Bohl, Friedrich Böhmer, Dr. Maria Borchert, Jochen Börnsen ,WolfgangBötsch, Dr. Wolfgang Breuer, PaulBüttner , HartmutBuwitt, DankwardCarstensen , Peter HarryDehnel, Wolfgang Dempwolf, Gertrud Dietzel, Wilhelm Doss, Hansjörgen Dregger, Dr. Alfred Eichhorn, Maria Eppelmann, Rainer Eßmann, Heinz Dieter Eylmann, HorstEymer, AnkeFalk, IlseFaltlhauser, Dr. Kurt Feilcke, Jochen Fink, UlfFischer , Dirk Francke (Hamburg), Klaus Frankenhauser, Herbert Friedrich, Dr. Gerhard Fuchtel, Hans-Joachim Geiger, MichaelaGeißler, Dr. Heiner Glos, MichaelGlücklich, Wilma Göhner, Dr. Reinhard Gres, JoachimGröhe, Hermann Grotz, Claus-PeterGünther , Horst Hammerstein, Carl-DetlevFreiherr vonHaschke , GottfriedHasselfeldt, Gerda Haungs, RainerVizepräsident Dr. Burkhard HirschHauser , HansgeorgHeise, ManfredHellwig, Dr. Renate Hintze, PeterHornhues, Dr. Karl-Heinz Hörsken, Heinz-Adolf Hörster, JoachimJacoby, PeterJaffke, SusanneJork, Dr.-Ing. Rainer Jung , Michael Kahl, Dr. HaraldKampeter, SteffenKansy, Dr.-Ing. Dietmar Kanther, ManfredKarwatzki, Irmgard Klaeden, Eckart von Klaußner, Dr. Bernd Klein , Hans Klinkert, UlrichKohl, Dr. HelmutKöhler ,Hans-UlrichKolbe, ManfredKönigshofen, Norbert Kors, Eva-MariaKossendey, Thomas Kraus, RudolfKrause , Wolfgang Krautscheid, Andreas Kriedner, ArnulfKronberg, Heinz-Jürgen Krüger, Dr.-Ing. Paul Krziskewitz, Reiner Lamers, KarlLamers , Dr. Karl A.Lammert, Dr. Norbert Lamp, HelmutLaschet, ArminLattmann, Herbert Laufs, Dr. PaulLenzer, ChristianLetzgus, PeterLimbach, EdithaLink , Walter Lintner, EduardLippold , Dr. Klaus W.Lischewski, Dr. Manfred Lohmann , WolfgangLouven, JuliusMaaß , Erich Mahlo, Dr. Dietrich Marschewski, ErwinMarten, GünterMeckelburg, Wolfgang Merkel, Dr. Angela Meyer , Rudolf Michelbach, HansMüller , Elmar Neumann (Bremen), Bernd Nitsch, JohannesOlderog, Dr. RolfOswald, EduardPäselt, Dr. Gerhard Pesch, Hans-Wilhelm Petzold, UlrichPfeifer, AntonPfeiffer, AngelikaPfennig, Dr. GeroPflüger, Dr. Friedbert Philipp, BeatrixPinger, Dr. Winfried Pofalla, RonaldPohler, Dr. HermannPolenz, Ruprecht Pretzlaff, Marlies Protzner, Dr. Bernd Pützhofen, Dieter Rachel, Thomas Raidel, HansRamsauer, Dr. Peter Rau, RolfReichard , Christa Reinartz, Dr. BertoldRepnik, Hans-Peter Richwien, Roland Riesenhuber, Dr. Heinz Rönsch ,HanneloreRonsöhr, Heinrich-Wilhelm Rossmanith, Kurt J.Roth , Adolf Röttgen, Norbert Rühe, VolkerRüttgers, Dr. Jürgen Schätzle, Ortrun Schäuble, Dr. Wolfgang Schauerte, Hartmut Scherhag, Karl-HeinzScheu, Gerhard Schindler, Norbert Schmalz, Ulrich Schmidbauer, BerndSchmidt , Christian Schmidt (Halsbrücke), Dr.-Ing. JoachimSchmidt , Andreas Schmiedeberg, Hans-Otto Schmude, Michael von Schnieber-Jastram, Birgit Scholz, Dr. Rupert Schorlemer, ReinhardFreiherr von Schuchardt, Dr. Erika Schulhoff, WolfgangSchulte , Dr. DieterSchulz , Gerhard Schulze, Frederick Schütze (Berlin), Diethard Schwalbe, Clemens Schwarz-Schilling,Dr. Christian Sebastian, Wilhelm-Josef Seehofer, HorstSeibel, Wilfried Seiters, Rudolf Siebert, Bernd Sothmann, Bärbel Späte, Margarete Spranger, Carl-Dieter Steiger, Wolfgang Steinbach, ErikaStoltenberg, Dr. Gerhard Storm, Andreas Straubinger, Max Stübgen, Michael Süssmuth, Dr. Rita Teiser, Michael Tiemann, Dr. Susanne Töpfer, Dr. KlausTröger, Gottfried Uldall, GunnarVogt , Wolfgang Waffenschmidt, Dr. Horst Waigel, Dr. Theodor Warnke, Dr. JürgenWetzel, KerstenWilhelm , Hans-Otto Wilz, BerndWimmer , Willy Wissmann, Matthias Wittmann (Tännesberg),SimonWöhrl, Dagmar Wonneberger, Michael Würzbach, Peter Kurt Yzer, CorneliaZeitlmann, WolfgangSPDAndres, GerdBachmaier, Hermann Bahr, ErnstBarnett, DorisBecker-Inglau, Ingrid Behrendt, Wolfgang Bertl, Hans-Werner Beucher, Friedhelm Julius Böhme , Dr. UlrichBörnsen , Arne Brandt-Elsweier, Anni Braune, TiloBrecht, Dr. Eberhard Bulmahn, Edelgard Burchardt, Ursula Bury, Hans MartinBüttner , Hans Caspers-Merk, Marion Catenhusen, Wolf-Michael Conradi, Peter Däubler-Gmelin, Dr. Herta Deichmann, Christel Diller, KarlDobberthien, Dr. Marliese Dreßen, PeterDreßler, RudolfDuve, FreimutEich, LudwigEnders, PeterErler, GernotErnstberger, Petra Faße, AnnetteFerner, ElkeFischer , Lothar Fograscher, Gabriele Follak, IrisFormanski, Norbert Freitag, DagmarFuchs , Anke Fuchs (Verl), Katrin Fuhrmann, ArneGanseforth, Monika Gansel, NorbertGilges, KonradGleicke, IrisGloser, GünterGlotz, Dr. PeterGraf , Günter Graf (Rosenheim), Angelika Grasedieck, Dieter Großmann, AchimHaack ,Karl HermannHacker, Hans-Joachim Hagemann, Klaus Hampel, Manfred Hanewinckel, Christel Hartenbach, Alfred Hartenstein, Dr. Liesel Hasenfratz, Klaus Hauchler, Dr. Ingomar Heistermann, Dieter Hemker, Reinhold Hempelmann, RolfHendricks, Dr. Barbara Heubaum, Monika Hiksch, UweHiller , Reinhold Hilsberg, StephanHöfer, GerdHoffmann , Jelena Hofmann (Volkach), Frank Hovermann, EikeIbrügger, Lothar Ilte, Wolfgang Imhof, Barbara Irber, Brunhilde Iwersen, Gabriele Jäger, Renate Janssen, Jann-Peter Janz, IlseJens, Dr. Uwe KasPereit, Sabine Kastner, Susanne Kastning, Ernst Kemper, Hans-Peter Kirschner, Klaus Klappert, Marianne Klose, Hans-UlrichKnaape, Dr. Hans-Hinrich Kolbow, WalterKörper, Fritz Rudolf Kressl, Nicolette Kröning, Volker Krüger, Thomas Kubatschka, Horst Kuhlwein, Eckart Kunick, Konrad Kurzhals, Christine Küster, Dr. Uwe Labsch, Werner Lange, Brigitte Larcher, Detlev von Lehn, Waltraud Leidinger, Robert Lennartz, Klaus Leonhard, Dr. ElkeLohmann , Klaus Lörcher, ChristaLotz, ErikaLucyga, Dr. ChristineMaaß , DieterMante, Winfried Marx, DorleMascher, Ulrike Matschie, Christoph Matthäus-Maier, Ingrid Mattischeck, Heide Meckel, MarkusMehl, UlrikeMeißner, Herbert Mertens, Angelika Meyer , Dr. Jürgen Mogg, UrsulaMosdorf, SiegmarMüller , Michael Müller (Völklingen), Jutta Müller (Zittau), Christian Neumann (Berlin), Kurt Neumann (Bramsche), Volker Neumann (Gotha), Gerhard Niehuis, Dr. EdithNiese, Dr. Rolf Odendahl, Doris Oesinghaus, GünterOnur, LeylaOpel, Manfred Ostertag, Adolf Palis, KurtPapenroth, AlbrechtPenner, Dr. Willfried
Metadaten/Kopzeile:
3798 Deutscher Bundestag -- 13. Wahlperiode — 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995
Vizepräsident Dr. Burkhard HirschGysi, Dr. Gregor Heuer, Dr. Uwe-Jens Heym, StefanHöll, Dr. Barbara Jacob, Dr. Willibald Jelpke, UllaKnake-Werner, Dr. Heidi Kähne, RolfKutzmutz, RolfLederer, Andrea Lüth, Heidemarie Maleuda, Dr. GüntherMüller , Manfred Neuhäuser, Rosel Rössel, Dr. Uwe-Jens Schenk, Christina Tippach, Steffen Warnick, Klaus-Jürgen Wolf, Dr. Winfried Zwerenz, GerhardEnthaltenCDU/CSUAustermann, Dietrich Belle, MeinradBrähmig, KlausJüttner, Dr. Egon Koslowski, Manfred Kuhn, WernerPaziorek, Dr. Peter Reinhardt, Erika Ruck, Dr. Christian Willner, GertSPDBarthel, KlausHolzhüter, Ingrid Klemmer, SiegrunBÜNDNIS 90 / DIE GRÜNENHermenau, Antje Hustedt, Michaele Poppe, GerdSaibold, HaloVollmer, Dr. AntjeF.D.P.Essen, Jörg van Schwaetzer, Dr. IrmgardPDSJüttemann, GerhardIch rufe die Tagesordnungspunkte 18a, 19, 21a bis 21e sowie 21g bis 21i auf:18. a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung wehrrechtlicher Vorschriften
- Drucksache 13/1801-Überweisungsvorschlag:Verteidigungsausschuß
InnenausschußAusschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO19. Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Einsetzung eines Untersuchungsausschusses- Drucksache 13/1833 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung21. Überweisungen im vereinfachten Verfahrena) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes
- Drucksache 13/1207 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forstenb) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 15. März 1994 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Litauen über die gegenseitige Hilfeleistung bei Katastrophen oder schweren Unglücksfallen- Drucksache 13/1665 —Überweisungsvorschlag:Innenausschuß
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheitc) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der Vereinbarung vom 21. Juni 1994 zur Durchführung des Abkommens vom5. März 1993 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Chile über Rentenversicherung- Drucksache 13/1810 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Arbeit und Sozialordnungd) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Zweiten Zusatzabkommen vom6. März 1995 zum Abkommen vom 7. Januar 1976 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika über Soziale Sicherheit und zu der Zweiten Zusatzvereinbarung vom 6. März 1995 zur Vereinbarung vom 21. Juni 1978 zur Durchführung des Abkommens- Drucksache 13/1811 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Haushaltsausschuß gemäß § 96 GOe) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Zusatzabkommen vom 12. Februar 1995 zum Abkommen vom 17. Dezember 1973 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel über Soziale Sicherheit- Drucksache 13/1809 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Haushaltsausschuß gemäß § 96 GOg) Beratung des Antrags der Abgeordneten Halo Saibold, Elisabeth Altmann , Waltraut Schoppe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNENGoldabbau in der Westtürkei unter Einsatz zyankalihaltiger chemischer Stoffe durch Unternehmen aus der Bundesrepublik Deutschland- Drucksache 13/1017 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus
Auswärtiger AusschußAusschuß für WirtschaftAusschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3799
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirschh) Beratung des Antrags der Präsidentin des BundesrechnungshofesRechnung des Bundesrechnungshofes fürdas Haushaltsjahr 1994 - Einzelplan 20 -§ 101 BHO- Drucksache 13/1668 —Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschußi) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Eckhart Pick, Dr. Herta Däubler-Gmelin, Hermann Bachmaier, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPDEntlastung der Zivilgerichtsbarkeit durch vor-bzw. außergerichtliche Streitbeilegung- Ddrucksache 13/1749 —Überweisungsvorschlag: RechtsausschußIch weise darauf hin, daß zum Tagesordnungspunkt 19, Antrag der SPD auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses, die Vorlage auf Drucksache 13/1791 zurückgezogen und durch Drucksache 13/ 1833 ersetzt wurde.Interfraktionell wird vorgeschlagen, die genannten Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist so beschlossen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 22a bis 22c sowie 22e bis 22n und Zusatzpunkt 4 auf.22. Abschließende Beratungen ohne Aussprachea) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die elektromagnetische Verträglichkeit von Geräten
- Drucksache 13/670 -
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Post und Telekommunikation
- Drucksache 13/1595 -Berichterstattung:Abgeordneter Wolfgang Schulhoff Christine KurzhalsDr. Manuel KiperDr. Wolfgang GerhardtGerhard Jüttemannb) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung wehrpflichtrechtlicher, soldatenrechtlicher, beamtenrechtlicher und anderer Vorschriften- Drucksache 13/1209 -
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Verteidigungsausschusses
- Drucksache 13/1634 -Berichterstattung:Abgeordnete Helmut Rauber Walter Kolbowbb) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung- Drucksache 13/1635 -Berichterstattung:Abgeordnete Dietrich Austermann Jürgen KoppelinErnst Kastning Oswald Metzgerc) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll Nr. 11 vom 11. Mai 1994 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten- Drucksache 13/858 -
Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses
- Drucksache 13/1849 -Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Wolfgang Götzer Dr. Herta Däubler-Gmeline) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag des Abgeordneten Dr. Jürgen Rochlitz und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENWiderspruchsrecht für die Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit- Drucksachen 13/352, 13/1506 -Berichterstattung: -Abgeordnete Steffen Kampeter Michael Müller
Dr. Jürgen RochlitzBirgit Homburgerf) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses zu der Unterrichtung durch die BundesregierungGrenzüberschreitender Zahlungsverkehr in der EU; Transparenz, Effizienz und Stabilität- Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, das Europäische Währungsinstitut und den Wirtschafts- und Sozialausschuß- Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über grenzüberschreitende ÜberweisungenVizepräsident Dr. Burkhard Hirsch- Entwurf einer Mitteilung über die Anwendung der EG-Wettbewerbsregeln auf grenzüberschreitende Überweisungssysteme- Drucksachen 13/343 Nr. 2.17, 13/1514 -Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Karl H. Fell Dr. Barbara Hendricksg) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses zu der Unterrichtung durch die BundesregierungGeänderter Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 85/611/ EWG zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren
- Drucksachen 13/725 Nr. 69, 13/1585 -Berichterstattung: Abgeordneter Jörg-Otto Spillerh) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses
zu dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen
Einwilligung gemäß § 64 Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung zur Veräußerung bundeseigener Grundstücke in Wiesbaden, ehemaliges Camp Lindsey- Drucksachen 13/1293, 13/1601 -Berichterstattung: Abgeordnete Karl DillerSusanne Jaffke Oswald Metzger Jürgen Koppelini) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Gerald Thalheim, Anke Fuchs (Köln), Horst Sielaff, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPDGewährung von Beihilfe bei der Sortenumstellung von Hopfen- Drucksachen 13/601, 13/1625 -Berichterstattung:Abgeordneter Ulrich Junghannsj) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft
zu der Verordnung der Bundesregierung
Aufhebbare Sechste Verordnung zur Änderung der Verordnung zur Regelung von Zuständigkeiten im Außenwirtschaftsverkehr- Drucksachen 13/1140, 13/1233 Nr. 2.1, 13/1746 -Berichterstattung: Abgeordneter Erich Fritzk) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
- zu dem Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P.- zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD- zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Rita Grießhaber und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN- zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten der PDSzu der vereinbarten Debatte zum Thema „Internationaler Frauentag"- Drucksachen 13/703, 13/701, 13/705, 13/699, 13/1627 -Berichterstattung:Abgeordnete Bärbel Sothmann Hanna WolfRita GrießhaberCornelia Schmalz-Jacobsen Rosel Neuhäuser1) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses
zu der dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsache vor dem Bundesverfassungsgericht 2 BvE 4/95- Drucksache 13/1830 -Berichterstattung: Abgeordneter Horst Eylmannm) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses
Sammelübersicht 46 zu Petitionen- Drucksache 13/1766 -n) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses
Sammelübersicht 47 zu Petitionen- Drucksache 13/1767 -ZP4 Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft
- zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/ CSU und F.D.P.Einhaltung des Stromeinspeisungsgesetzes- zu dem Antrag der Fraktion der SPDRespektierung des Stromeinspeisungsgesetzes - Für erneuerbare EnergienVizepräsident Dr. Burkhard Hirsch- zu dem Antrag der Abgeordneten Michaele Hustedt, Ursula Schönberger, Werner Schulz und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENDurchsetzung der Einhaltung des Stromeinspeisungsgesetzes- zu dem Antrag der Abgeordneten Rolf Köhne, Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDSBürgschaftsverpflichtung der Bundesregierung zur Umsetzung des Stromeinspeisungsgesetzes- Drucksachen 13/1397, 13/1384, 13/1303, 13/1309, 13/1783 -Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Uwe JensDer Kollege Köhne gibt eine persönliche Erklärung zum Zusatzpunkt 4, Stromeinspeisungsgesetz, zu Protokoll. *) Ich nehme an, daß dazu Einverständnis besteht.Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf zur Änderung des Gesetzes über die elektromagnetische Verträglichkeit von Geräten, Drucksachen 13/670 und 13/1595.Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Stimmenthaltungen? - Dann ist der Gesetzentwurf bei Stimmenthaltungen aus der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in der zweiten Beratung angenommen.
Dritte Beratungund Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Stimmenthaltungen? - Dann ist der Gesetzentwurf bei Gegenstimmen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN angenommen.Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung wehrpflichtrechtlicher, soldatenrechtlicher, beamtenrechtlicher und anderer Vorschriften.Das Wort zum Vortragen einer Berichtigung hat als Berichterstatter der Kollege Helmut Rauber.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auf Grund eines Versehens haben sich in die Beschlußempfehlung des Verteidigungsausschusses auf Drucksache 13/1634 kleine redaktionelle Fehler eingeschlichen, die für die inhaltliche Seite der Beschlußfassung ohne Bedeutung sind.
*) Anlage 3
Es handelt sich dabei um folgende vier Punkte:
Erstens. In der Inhaltsübersicht muß Art. 17 in der Ausschußfassung lauten: „Änderung der Vertrauenspersonenwahlverordnung".
Zweitens. Die Überschrift zu Art. 17 der Ausschußfassung muß lauten: „Änderung der Vertrauenspersonenwahlverordnung" .
Drittens. Art. 23 muß nach der Überschrift in der Ausschußfassung lauten: „Die auf den Artikeln 7 bis 9, 11, 15, 17 und 22 beruhenden Teile der dort geänderten Rechtsverordnungen können auf Grund der jeweils einschlägigen Ermächtigung durch Rechtsverordnung geändert werden. "
Viertens. Art. 24 Abs. 2 in der Ausschußfassung muß lauten: „Abweichend von Absatz 1 treten die Artikel 5, 6 Nr. 2 Buchstabe b und Nr. 3, Artikel 10 Nr. 1 und Artikel 12 Nr. 2, 4 bis 7, 10, 11 und 13 mit Wirkung vom 1. Februar 1995 sowie Artikel 10 Nr. 2 mit Wirkung vom 1. Oktober 1995 in Kraft."
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich danke dem Berichterstatter.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung einschließlich der redaktionellen Berichtigungen - wie vorgetragen - zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition gegen sämtliche Stimmen der Opposition angenommen. *)
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen aller anderen Fraktionen und der Gruppe der PDS angenommen.
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 22 c: Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, Drucksache 13/858. Der Rechtsausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/1849, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung bei Stimmenthaltung der Gruppe der PDS angenommen.
*) Erklärung zur Abstimmung des Abgeordneten Hans Büttner siehe Anlage 4
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
Dritte Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist bei Stimmenthaltung der Gruppe der PDS angenommen.
Tagesordnungspunkt 22 e: Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN zu einem Widerspruchsrecht für die Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Drucksache 13/1506. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/352 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD bei Stimmenthaltung der Gruppe der PDS angenommen.
Tagesordnungspunkt 22 f: Beschlußempfehlung des Finanzausschusses zum grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr in der Europäischen Union, Drucksache 13/1514. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist bei Stimmenthaltung der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN angenommen.
Tagesordnungspunkt 22 g: Beschlußempfehlung des Finanzausschusses zu einem Richtlinienvorschlag der Europäischen Union zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften bei Anlagen in Wertpapieren, Drucksache 13/1585. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition und der SPD bei Stimmenthaltung von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Gruppe der PDS angenommen.
Tagesordnungspunkt 22 h: Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zur Veräußerung bundeseigener Grundstücke in Wiesbaden, Drucksachen 13/1293 und 13/1601. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist bei Stimmenthaltung der Gruppe der PDS angenommen.
Tagesordnungspunkt 22i: Beschlußempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu dem Antrag der Fraktion der SPD zur Gewährung von Beihilfe bei Sortenumstellung von Hopfen, Drucksache 13/1625. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/601 in der Ausschußfassung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen?
- Die Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 22j : Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft zur Änderung der Verordnung zur Regelung von Zuständigkeiten im Außenwirtschaftsverkehr, Drucksachen 13/1140 und 13/1746. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung?
- Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition und der SPD gegen die Stimmen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Gruppe der PDS angenommen.
Tagesordnungspunkt 22k: Beschlußempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu dem Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. zum Internationalen Frauentag, Drucksache 13/1627 Buchstabe a. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Koalitionsfraktionen auf Drucksache 13/703 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Beschlußempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD zum Internationalen Frauentag, Drucksache 13/1627 Buchstabe b. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der SPD auf Drucksache 13/701 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Beschlußempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu dem Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zum Internationalen Frauentag, Drucksache 13/1627 Buchstabe c. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/705 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist gegen die Stimmen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Gruppe der PDS bei Stimmenthaltung der SPD angenommen.
Beschlußempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu dem Entschließungsantrag der Gruppe PDS zum Internationalen Frauentag, Drucksache 13/1627 Buchstabe d. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/699 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der PDS bei Stimmenthaltung von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN angenommen.
Tagesordnungspunkt 221: Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses zu einer Streitsache vor dem Bundesverfassungsgericht, Drucksache 13/1830. Der Ausschuß empfiehlt, eine Stellungnahme abzugeben und einen Prozeßbevollmächtigten zu bestellen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei Stimmenthaltung der Gruppe der PDS ist die Beschlußempfehlung angenommen.
Tagesordnungspunkte 22 m und 22 n: Beschlußempfehlungen des Petitionsausschusses auf den Drucksachen 13/1766 und 13/1767. Das sind die Sammelübersichten 46 und 47. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlungen? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlungen sind mit den Stimmen der Koalition und der SPD bei Stimmenthaltung von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und PDS angenommen.
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
Zusatzpunkt 4: Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft zu den Anträgen der Fraktion der CDU/CSU und F.D.P., der Fraktion der SPD, der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Gruppe der PDS zum Stromeinspeisungsgesetz, Drucksache 13/1783. Der Ausschuß empfiehlt unter Nr. I seiner Beschlußempfehlung, die Anträge der CDU/CSU und F.D.P., der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 13/1397, 13/1384 und 13/1303 zusammenzufassen und in der Ausschußfassung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlußfassung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen.
Unter Nr. II empfiehlt der Ausschuß, den Antrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/1309 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalition, des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN gegen die Stimmen der PDS bei Stimmenthaltung der SPD angenommen.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 3 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die humanitäre Hilfe für durch Blutprodukte HIV-infizierte Personen
- Drucksache 13/1298 -
a) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit
- Drucksache 13/1831 -
Berichterstattung:
Abgeordneter
Horst Schmidbauer
b) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 13/1847 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Kristin Heyne Roland Sauer
Gerhard Rübenkönig
Dr. Wolfgang Weng
Dazu liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie ein Änderungsantrag der SPD vor.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Kein Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die CDU/ CSU-Fraktion hat der Kollege Lohmann.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit der heutigen Debatte schließen wir die parlamentarischen Beratungen eines Vorgangs im Deutschen
Bundestag ab, der uns hier und insbesondere im Bundestagsausschuß für Gesundheit mehrfach seit gut zwei Jahren beschäftigt hat. Ich selbst habe für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion im 3. Untersuchungsausschuß als Sprecher Verantwortung getragen und kann für mich in Anspruch nehmen, daß mir die mit dem Komplex der HIV-Infektion durch Blut und Blutprodukte verbundenen Probleme und Fragen, teilweise auch die dahinterstehenden Einzelschicksale bekannt sind, so daß ich sie zumindest mitempfinden kann.
Gerade deswegen aber, d. h. auch dann, wenn ich mir die ganze Genese und die vielfältigen Probleme dieser Thematik vergegenwärtige, komme ich zu dem Schluß, daß der heute hier in zweiter und dritter Lesung zur Abstimmung stehende Entwurf eines sogenannten HIV-Hilfegesetzes eine angemessene und tragfähige Lösung vor allem für die Betroffenen enthält. Dies sage ich, obwohl ich natürlich weiß, daß die Erwartungen vieler Betroffener, aus welchen Gründen auch immer, teilweise deutlich höher waren. Dies sage ich ebenfalls, wie bereits in der Sachverständigenanhörung des Gesundheitsausschusses betont, obwohl auch wir von der CDU/CSU-Fraktion uns darüber gefreut hätten, wenn das finanzielle Volumen der Stiftung auf freiwilliger Basis über die vereinbarten 250 Millionen DM hinausgegangen wäre. Dies sage ich ebenfalls, obwohl mir bewußt ist, Herr Kollege Schmidbauer, daß Sie glauben, dieses Konzept als Billiglösung herabwürdigen zu müssen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, für eine derartige - das kann man schon sagen - Diffamierungskampagne besteht keinerlei Anlaß. Ich teile eben Ihre Auffassung nicht, Herr Kollege Schmidbauer, und sehe vor allem keinen vernünftigen Grund, der Ihre Auffassung rechtfertigen könnte. Ich möchte einmal aus der öffentlichen Anhörung im Gesundheitsausschuß zur Begründung kurz zitieren. Die Sachverständige Frau Dr. Braun sagt: „Uns ist es sehr wichtig, daß das Gesetz bald in Kraft tritt." Richtig!
Wenn es aber gerade im Interesse der Betroffenen - das sind ja vor allem auch die bereits HIV-Erkrankten - darauf ankommt, jetzt zu einer tragfähigen Lösung zu kommen, muß der in den Verhandlungen vom Ministerium für Gesundheit mit den Herstellern, dem Deutschen Roten Kreuz sowie den Ländern erzielte finanzielle Rahmen von 250 Millionen DM als gegebene Größe akzeptiert werden. Die Beteiligung des Bundes mit 100 Millionen DM im Haushaltsjahr 1995 ist der Grundstock des Stiftungsvermögens und die Grundlage für die finanzielle Beteiligung der weiteren Stifter. Es macht keinen Sinn, darauf zu setzen, daß der Bund in weiteren Verhandlungen sein bereits deutliches finanzielles Engagement noch einmal um beispielsweise, wie in der Anhörung diskutiert, 60 Millionen DM erhöhen würde. Dies ist isoliert haushaltsmäßig nicht darstellbar. Es macht ebenfalls keinen Sinn, auf Nach- oder gar Neuverhandlungen bezüglich des Stiftungsvolumens zu setzen. Ein stärkeres finanzielles Engagement der weiteren Stifter ist gegenwärtig jedenfalls nicht erkennbar.
Wolfgang Lohmann
Insbesondere die Länder, in denen ja die SPD - leider, möchte ich sagen - weitgehend die Verantwortung trägt, waren und sind nicht bereit, auf den ausgehandelten Betrag von 50 Millionen DM Länderbeteiligung nur einen einzigen Pfennig draufzulegen.
- Und das, obwohl die 16 Länder ihre 50 Millionen DM nicht insgesamt 1995, sondern ratenweise innerhalb von vier Jahren zur Verfügung stellen werden.
Man stelle sich also vor: Die politische Verantwortung der Länder drückt sich in der simplen Formel aus: 50, geteilt durch 16, geteilt durch 4.
Das finanzielle Engagement der SPD-geführten Länder steht also im umgekehrt proportionalen Verhältnis zur Höhe der Forderungen, die Sie von der SPD bei den verschiedenen Gelegenheiten gestellt haben. Oder haben Sie, Herr Kollege Schmidbauer, vielleicht von der Ministerpräsidentenkonferenz am vergangenen Donnerstag in Berlin - dort waren Sie ja - heute morgen eine andere Botschaft zu überbringen? Ich jedenfalls habe so etwas bisher nicht gehört und auch nicht gelesen. Es wäre natürlich erfreulich, wenn Sie eine andere Botschaft überbringen dürften.
Wir sind also deswegen alle gut beraten, insbesondere im Interesse der Betroffenen und der an HIV Erkrankten, die finanziellen und auch die sonstigen Grundlagen der Stiftung zu akzeptieren und dafür Sorge zu tragen, daß die Stiftung endlich ihre Tätigkeit aufnehmen, d. h. daß sie vor allem die Zahlungen an die Betroffenen einleiten kann. Deswegen habe ich auch die Bitte, Herr Schmidbauer, daß Sie uns davor verschonen, weitere Forderungen nach einem höheren finanziellen Engagement des Bundes zu stellen, und daß Sie uns die ständig aufgewärmte Geschichte von dem sogenannten Pharma-Pool ersparen, aus dem Sie - wer weiß, wie - alle noch offenen finanziellen Wünsche meinen erfüllen zu können. Ich denke, im Interesse Ihrer eigenen Glaubwürdigkeit sollten Sie uns ebenfalls damit verschonen - Sie haben ja die Botschaft der SPD-geführten Länder dazu gehört -, ein deutlich höheres finanzielles Engagement nun möglicherweise hier zu fordern, zumal Sie wissen, daß diese Forderung nicht erfüllt werden wird.
Lassen Sie uns vielmehr einige der Punkte erörtern, die auf der Grundlage der heutigen Beschlußfassung über den vorliegenden Entwurf erreichbar waren bzw. in den Ausschußberatungen offengeblieben sind bzw. abgelehnt werden mußten. Die im Gesetzentwurf ursprünglich vorgesehene unterschiedliche Behandlung von Kindern nach dem Todeszeitpunkt der Eltern haben wir auf der Grundlage der Ergebnisse der Anhörung durch einen Änderungsantrag im Gesundheitsausschuß beseitigt. Ich glaube, das war ein vernünftiger Schritt.
Durch die Neufassung von § 16 Abs. 2 des Gesetzentwurfes erhalten nichtinfizierte Kinder nach dem Tode eines leistungsberechtigten Elternteils bis zum Abschluß ihrer Berufsausbildung bzw. bis zum Ablauf des 25. Lebensjahres 1 000 DM monatlich.
Dies wird - das ist wichtig - auch unabhängig von der Unterhaltsberechtigung der Kinder erfolgen, da sich auf der Regierungsebene zu guter Letzt doch die Einsicht durchgesetzt hat, daß der Aufwand, der für Prüfung und Kontrolle der Unterhaltsberechtigung notwendig wäre, deutlich größer als der erzielbare Nutzen wäre.
Für Ehepartner von Infizierten oder Erkrankten konnten wir einen gleichen Schritt wegen der begrenzten finanziellen Ressourcen nicht machen, ebensowenig für Eltern. Leistungsansprüche nichtinfizierter Ehepartner werden zwar unabhängig von der Unterhaltssituation sein, sie werden jedoch davon abhängig bleiben, ob der infizierte Ehepartner bereits verstorben ist.
Die Alternative, meine Damen und Herren, hätte ja nur darin bestanden, für unterhaltsberechtigte Ehepartner überhaupt auf Leistungen zu verzichten, denn eine weitere Ausweitung des Kreises der Anspruchsberechtigten geht bei dem eben geschilderten begrenzten Leistungsvolumen natürlich zu Lasten der Leistungsdauer der Stiftung. Das ist aber gerade wegen der Aidsinfizierten oder -erkrankten selbst nach unserer Auffassung nicht akzeptabel.
Auch die in der Anhörung des Gesundheitsausschusses diskutierte Forderung, die Stiftungsleistung zu kapitalisieren, konnten wir nicht aufgreifen. Hier kommt wieder zum Tragen, daß insbesondere die Länder ihre sowieso begrenzten Leistungen nur über vier Jahre verteilt zur Verfügung stellen. Das Anfangskapital des Bundes reicht aber für eine Kapitalisierung dieser Leistungen nicht aus.
Der Forderung, auf den im Gesetzentwurf vorgesehenen Haftungsausschluß im Hinblick auf zivilrechtliche Schmerzensgeldansprüche zu verzichten, konnten wir ebensowenig Folge leisten. Dieser Haftungsausschluß ist - ich meine, aus verständlichen Gründen - Eckpunkt des heute zur Beschlußfassung anstehenden Stiftungskonzepts.
Zu berücksichtigen ist nämlich zum einen, daß Haftungsansprüche aus der arzneimittelrechtlichen Gefährdungshaftung von diesem Haftungsausschluß doch unberührt bleiben. Das gilt insbesondere für Unterhaltsansprüche von Kindern bzw. von Ehegatten.
Zum anderen ist bei der Bewertung zu beachten, daß zivilrechtliche Schmerzensgeldansprüche nicht generell ausgeschlossen werden. Es bleibt auch weiterhin - unabhängig von der Errichtung der Stiftung - möglich, daß jeder vermeintliche Anspruchsberechtigte seinen Schmerzensgeldanspruch gegen den Hersteller bzw. seinen Versicherer gerichtlich geltend macht und erst dann im Lichte eines derartigen Rechtsstreits über die Inanspruchnahme von Stiftungsleistungen entscheidet.
Wolfgang Lohmann
Schließlich war auch - um einen weiteren wichtigen Punkt aufzugreifen - die Frage der Besteuerung der Stiftung selbst bzw. der Leistungen aus der Stiftung ein Thema der Ausschußberatungen. Betont werden muß der Klarheit halber, daß die Leistungen an die Betroffenen selbst aus der Stiftung nicht einkommensteuerpflichtig und auch nicht sozialabgabepflichtig sind. Die Leistungen werden auch nicht auf andere Sozialleistungen angerechnet.
Das sind sehr wichtige Punkte, die ja teilweise in
Zweifel gezogen worden sind. Wir haben das geklärt.
Allerdings sind natürlich die aus diesen Leistungen erzielten Einkünfte, wie beispielsweise Zinsen, wenn jemand die Leistung anlegt, grundsätzlich einkommensteuerpflichtig wie jedes andere Einkommen auch, das aus Zinsen für Geldanlagen erwächst.
Die Stiftung selbst, d. h. das Stiftungsvermögen in Höhe von 250 Millionen DM, ist nach der durch den Bundesminister der Finanzen bestätigten Auffassung weder körperschaft- noch kapitalertragsteuerpflichtig. Die aus diesem Stiftungsvermögen erzielten Zinsen werden also in vollem Umfang den Betroffenen wieder zugute kommen. Insofern war auch der Antrag, die Gemeinnützigkeit sicherzustellen, von vornherein nicht notwendig.
Lassen Sie mich bitte zum Schluß noch eine Frage ansprechen, die auch mir am Herzen liegt, nämlich die Dauer der Stiftung, welche durch die Erschöpfung der Mittel begrenzt ist. Nach den derzeitigen Berechnungen, die allerdings mit nicht unerheblichen Unwägbarkeiten verbunden sind, wird das Stiftungsvermögen im Jahre 2002 erschöpft und damit die Stiftung aufgehoben sein.
Vor diesem Hintergrund ist mehrfach gefordert worden, die Dauer der Stiftung nur von der Erreichung des Stiftungszwecks abhängig zu machen, d. h. die Stiftung so lange zur Zahlung zu verpflichten, bis auch die letzten Ansprüche eines potentiell Berechtigten befriedigt sind.
Wir haben diese Forderung in den Ausschußberatungen nicht aufgreifen können. Wenn das Stiftungsvermögen einschließlich der damit zu erzielenden Zinsen ausgezahlt ist, ist die Stiftung automatisch beendet; denn es gibt keine erkennbaren Hinweise darauf, daß die an der Errichtung der Stiftung Beteiligten, schon gar nicht die in Frage kommenden Bundesländer, bereit wären, nach Erschöpfung der Stiftungsmittel eine Stiftung, d. h. eine Zustiftung, vorzunehmen, um die Stiftungsdauer zu verlängern.
Gleichwohl gehe ich davon aus, daß dann, wenn erkennbar werden sollte, daß nach Erschöpfung des Stiftungskapitals einschließlich der daraus erzielten Zinsen noch auf der Grundlage des heute zur Beschlußfassung vorgelegten Gesetzes Leistungsansprüche bestehen, die Stifter über eine Zustiftung beraten und letztendlich wohl auch positiv beschließen werden.
Ich kann mir nicht vorstellen, daß nach Ablauf von wieviel Jahren auch immer diese Stiftung erlischt und möglicherweise ein geringer Anteil an Personen
zurückbleibt, deren Leistungsansprüche nicht vollständig befriedigt werden. Es wäre aber nicht sinnvoll, von dieser heute noch völlig unüberschaubaren Entwicklung die Entscheidung über den heute vorliegenden Gesetzentwurf abhängig zu machen.
Ich kann Sie daher aus wirklich guten Gründen nur bitten, den Gesetzentwurf, der Ihnen zur Beschlußfassung vorliegt, anzunehmen. Ich bedanke mich bei dieser Gelegenheit noch einmal bei Bundesminister Seehofer dafür, daß er es durch wirklich zähe Verhandlungen geschafft hat, diesen Betrag auf freiwilliger Basis zustande zu bringen.
Das Wort hat der Kollege Horst Schmidbauer, SPD.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zu Beginn aus einem Brief zitieren, der mir zugegangen ist:
Die nun vorgesehene Entschädigungslösung in Form einer Rente ist eine Minimallösung . . ., die den Ansprüchen und Erwartungen der Betroffenen keinesfalls gerecht wird in Anbetracht des fürchterlichen Schicksals, des zerstörten Lebens, einer zerstörten Familie, geplatzter Zukunftsperspektiven.... Ich bin sehr enttäuscht, ja wütend über diese vorgeschlagene Regelung.... Dies ist makaber, ja menschenunwürdig! ... 250 Millionen DM sind beschämend und eine erneute Ohrfeige für die Betroffenen.... Ich erinnere insbesondere an die Entschuldigung Herrn Seehofers für das Verhalten der Bundesbehörden und sein Versprechen. Diese unbestritten öffentlichkeitswirksame Entschuldigung gilt nichts und hilft den Betroffenen nicht, solange daraus keine angemessene Entschädigung und soziale Absicherung erwächst. Die jetzt vorgesehene Minimallösung zeigt mir erneut, daß ein Menschenleben in unserer Zeit nicht viel wert ist und die Politik nicht fähig ist, eine menschenwürdige Entschädigungsregelung zu treffen.... Offenbar ist eine kleine Gruppe der HIV-infizierten Bluter kein ausreichend wichtiges Wählerpotential, als daß sie für die Politik interessant wäre, zumal diese Gruppe bald gänzlich verstummen wird und keine Kritik mehr äußern kann.
Ich glaube, man muß das Gesetz unter dem Eindruck dieses Briefes, den die Ehefrau eines Betroffenen am 12. Juni 1995 geschrieben hat, sehen; denn während der Debatte über den Schlußbericht des 3. Untersuchungsausschusses am 20. Januar 1995 war noch alles völlig anders. Ein kleines politisches Wunder wurde gewürdigt: welch seltene Einstimmigkeit über die Grenzen der Fraktionen hinweg, welcher Respekt für die Geste des Ministers, der sich bei den Opfern und deren Angehörigen entschul-
Horst Schmidbauer
digte, welche Hoffnungen bei den zahlreichen Opfern, die uns von der Tribüne zuhörten, welche Zustimmung in der Öffentlichkeit, welch positives Echo in den Medien.
Heute, am 29. Juni 1995, bei der Debatte zum HIV-Hilfegesetz: Das kleine Wunder ist der großen Verwunderung gewichen, die große Verwunderung dem noch größeren 'Amer, der riesengroßen Enttäuschung.
Zwischen Januar und Juni 1995 liegen eben Welten, von der Gemeinsamkeit im Untersuchungsausschuß ist wenig geblieben.
Bei der Umsetzung der Empfehlungen für eine Entschädigungsregelung ist der Minister gescheitert. Die betroffenen Menschen fühlen sich nach den schäbigen Abfindungsvergleichen der 80er Jahre ein zweites Mal enttäuscht, ein zweites Mal getäuscht, ein zweites Mal unter Druck gesetzt.
Öffentlichkeit und Medien lernen, daß Wunder in Bonn nur von begrenzter Dauer sind. Im Untersuchungsausschuß waren wir uns einig: Nur die größtmögliche Gemeinsamkeit der Arbeit schafft die Voraussetzung dafür, daß die Schuldigen endlich benannt und den Opfern endlich geholfen werden kann.
Aus dieser Gemeinsamkeit haben sich die Koalition und die von ihr getragene Bundesregierung jetzt verabschiedet. Da nützt auch der schönste Ministerbrief nichts. Der Minister dankte mir am 7. Dezember 1994 für die gemeinsame Arbeit. Ich zitiere aus diesem Brief:
Hier ist auf beispielhafte Weise parteienübergreifende fundierte Arbeit geleistet worden.
Es ist jetzt unsere gemeinsame Aufgabe, so rasch wie möglich dafür zu sorgen, daß allen durch Blut und Blutprodukte HIV-infizierten Menschen und ihren Angehörigen so rasch wie möglich finanzielle Entschädigung zuteil wird. Der Untersuchungsausschuß hat hierfür Wege aufgezeigt.
Eine unterschiedliche Bewertung der Entschädigung für die Opfer war voraussehbar. Erschreckend aber ist, daß die Koalition jetzt auch die Gemeinsamkeit in der Bewertung der Katastrophe verlassen, also offenbar den Rückzug auf der ganzen Linie angetreten hat.
In der Begründung des Gesetzentwurfs wird der größte deutsche Arzneimittelskandal als ,,weitgehend unvermeidbar" bezeichnet. Für Kurzzeitgedächtnisse sei in Erinnerung gerufen: Der Untersuchungsausschuß kam einstimmig zu der Feststellung: 60 % der Infektionen waren vermeidbar, und deshalb ist für einen Großteil der Infektionen schuldhaftes Verhalten der Beteiligten ursächlich gewesen.
Durch das, was die Koalition heute als Entschädigungsgesetz zur Abstimmung stellt, wird die als beispielhaft anerkannte Arbeit des Untersuchungsausschusses nachträglich konterkariert und die Annahme des Schlußberichts durch den Bundestag entwertet. Durch das, was der Minister dem Bundestag als Ergebnis seiner Verhandlungen präsentiert, widerfährt den Opfern und ihren Angehörigen keine Gerechtigkeit. Was für ein klägliches, ja, was für ein enttäuschendes Ergebnis!
Fünf zentrale Kritikpunkte machen es uns jetzt unmöglich, diesem Gesetzentwurf die Zustimmung zu geben:
Erstens. Die völlig unzureichende finanzielle Ausstattung der Stiftung.
Zweitens. Die völlig unzureichende Beteiligung der Pharmaindustrie und der Versicherer.
Drittens. Die Rentenzahlung statt einer Kapitalentschädigung angesichts der nur noch geringen Lebenserwartung der Opfer.
Viertens. Die fehlende Laufzeitgarantie der Stiftung.
Fünftens. Die schweren verfassungsrechtlichen Bedenken gegen den Haftungsausschluß.
Zum ersten Kritikpunkt, der finanziellen Ausstattung der Stiftung: Sie, Herr Minister, müssen sich an den Vorgaben des Untersuchungsausschusses messen lassen. Der Ausschuß hat für eine Kapitalentschädigung 350 000 DM pro Einzelfall als unteren Rahmen für angemessen erachtet. Für die mindestens 2 000 Opfer und ihre Hinterbliebenen wären 700 Millionen DM nötig gewesen. Das Ergebnis sind lediglich 250 Millionen DM.
Zum zweiten Kritikpunkt, der Beteiligung der Pharmaindustrie und ihrer Versicherer: Der Untersuchungsausschuß empfahl, bei der Entschädigungsregelung müßte die hauptverantwortliche Pharmaindustrie 60 % der Mittel für die Entschädigung aufbringen. Diese Empfehlung wird durch Sie, Herr Minister, auf den Kopf gestellt: 60 % der Stiftungsmittel trägt jetzt nicht die Pharmaindustrie, sondern die öffentliche Hand. Die hauptverantwortliche Pharmaindustrie dagegen kauft sich mit 100 Millionen DM frei. Die Versicherungswirtschaft, die auf ihrem mit 800 Millionen DM prall gefüllten Pharmapool sitzt, beteiligt sich mit keiner müden Mark an dieser Stiftung.
Wann, frage ich den Minister und die Koalition, wenn nicht bei der Blut-Aids-Katastrophe hätte dieser Fonds der Pharmaindustrie aufgemacht werden müssen? Wann, frage ich den Minister und die Koalition, wenn nicht jetzt, hätte sich dieser Pool bewähren müssen, dieser Pharmapool, der doch gerade nach Contergan für Arzneimittelgroßrisiken eingerichtet wurde?
Horst Schmidbauer
Fazit: Die Versicherungslösung im Arzneimittelgesetz, die gerade als Schutz und Sicherheit für Patienten und Verbraucher gedacht war, hat ihre Daseinsberechtigung verloren.
Unabhängig davon, daß sich der Minister bei der Quote der Industrie und der Versicherungswirtschaft bei den Stiftungsmitteln nicht durchsetzen konnte, bleibt auch der Anteil des Bundes selbst zu kritisieren. Denn Sie, Herr Minister, müssen sich auch an dem messen lassen, was der Bund bei der Bewältigung der Contergan-Katastrophe geleistet hat. Es ist nicht unser Prinzip, Opfer gegen Opfer aufzurechnen. Dennoch ist festzustellen: Für den annähernd gleichgroßen Personenkreis bei Contergan hat der Bund allein bis heute rund 300 Millionen DM aufgebracht. Fazit: Von dem Vorwurf der Billiglösung ist nichts zurückzunehmen.
Ich denke, Sie werden hier heute wieder mit den 50 Millionen DM der Länder kommen. Sie zeigen mit dem Finger auf die Länder, um davon abzulenken, daß Sie bei Industrie und Versicherern gescheitert sind und der Anteil des Bundes unter dem Machbaren und Möglichen geblieben ist.
Aber es steht doch fest: Der Untersuchungsausschuß hat aus verfassungsrechtlichen und zeitlichen Gründen die Verantwortung der Länder für die Katastrophe überhaupt nicht untersucht. Dennoch beteiligen sich die Länder freiwillig an der Stiftung. Vor dem Hintergrund, daß insbesondere die neuen Länder überhaupt keine Mitverantwortung trifft, verdient er nicht die Schelte, sondern die Anerkennung des Ministers.
Dritter Kritikpunkt: Rente statt Kapitalentschädigung. Die jetzt vorgesehene Rentenlösung im Rahmen des HIV-Hilfegesetzes ist eine billige Lösung. Die Billiglösung kalkuliert mit der nur noch geringen Lebenszeit der betroffenen Menschen.
Dies ist beschämend. Das Spiel mit der Zeit ist ein Spiel mit dem Tod; denn Woche für Woche sterben Opfer dieses Skandals.
Die Infizierten empfinden die Rentenzahlungen deshalb als zynisch. Sie haben oft nur noch Wochen oder Monate zu leben.
Herr Kollege Schmidbauer, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, selbstverständlich.
Bitte.
Herr Kollege Schmidbauer, ich möchte Sie in allem
Ernst fragen, ob Sie das, was Sie soeben gesagt haben, aufrechterhalten wollen. Ich könnte verstehen, daß Sie und viele andere - das habe ich schon vorhin gesagt - über den Umfang des Ganzen und auch über Teile des Inhaltes enttäuscht sind. Aber die Unterstellung, daß wir, das Ministerium und die Koalition, ein schändliches Spiel mit dem Leben trieben, weil wir darauf spekulierten, daß bis zum Inkrafttreten weitere Opfer gestorben sind, ist so ungeheuerlich, daß ich Sie bitten möchte, das noch einmal zu überdenken.
Ich darf wiederholen: Es wird auf diese Billiglösung spekuliert. Es ist durch die Anhörung sichtbar geworden, daß durch die Vorgaben - die Ausgleichsbank muß die Kalkulationen auf Grund der 250 Millionen DM machen - die begrenzte Lebenserwartung der Menschen einbezogen wird. Das steht konträr zur Auffassung des Untersuchungsausschusses und zu dem Wollen der Menschen, die eine Kapitalentschädigung und keine Rente haben möchten. Die Rente im Entschädigungsbereich war bei den ConterganFällen angemessen, weil die Kinder ihr Leben lang daraus eine Unterstützung und Förderung erfahren müssen. Aber man kann keine Rentenlösung für Menschen machen, die nur noch eine begrenzte Lebenserwartung haben.
Deswegen ist das ein Verstoß gegen ethisches Empfinden, wenn man mit dem Faktor der begrenzten Lebenszeit Entschädigungsgesetze kalkuliert.
- So ist es.
Vierter Kritikpunkt: Fehlende Laufzeitgarantie. Nach dem Willen der Koalition soll die Stiftung erlöschen, wenn die Stiftungsmittel verbraucht sind. Die Koalition will das Risiko der ungenügenden finanziellen Ausstattung der Stiftung nicht tragen. Statt dessen lädt die Koalition das Risiko ausgerechnet auf den Rücken der schwächsten Gruppe der Opfer: der hinterbliebenen Kinder. Ich frage Sie: Wieso gibt es bei der Contergan-Stiftung keine zeitliche Begrenzung, während es beim HIV-Entschädigungsgesetz eine solche zeitliche Begrenzung gibt?
Fünfter Kritikpunkt: Der verfassungsrechtlich höchst bedenkliche Haftungsausschluß. Schlimm: Bundesregierung und Koalition setzen sich über verfassungsrechtliche Bedenken hinweg. Haftungsrechtler formulierten in der Anhörung des Gesundheitsausschusses: Humanitäre Hilfe und Rechtsstaatlichkeit dürfen sich nicht ausschließen oder behindern. Darum ist der Haftungsausschluß als Übermaßregelung ein Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip. Die Opfer und ihre Angehörigen werden genötigt,
Horst Schmidbauer
auf ihre Haftungsansprüche zu verzichten, wenn sie die Leistungen der Stiftung in Anpruch nehmen wollen. Das heißt, sie können ihre Ansprüche nach dem AMG nicht mehr gerichtlich geltend machen.
Jetzt kann man die Menschen verstehen, z. B. jene Frau, die einen Brief geschrieben hat. Jetzt verstehen wir ihre ohnmächtige Wut und Enttäuschung über eine Minimallösung, die sie als makaber, menschenunwürdig und Ohrfeige empfinden. Die Stiftung ist eine soziale Hilfe für existentiell-materielle Lebensbelastungen, aber eben nicht mehr, kein Versuch des Ausgleichs, kein Versuch der Wiedergutmachung, kein Versuch der Entschädigung.
Trotz unserer grundsätzlichen Kritik haben wir im Gesundheitsausschuß das Gesetz konstruktiv mitberaten. Die Not der betroffenen Menschen und ihre geringe Lebenserwartung zwingen uns, von einer Blockadehaltung Abstand zu nehmen. Die SPD wird sich deshalb heute enthalten.
Aber um der Gefahr einer Geschichtsklitterung vorzubeugen, legt die SPD-Fraktion dem Bundestag zugleich einen Entschließungsantrag vor.
Eine abschließende Bemerkung: Zwei nicht minder wichtige Aufgaben liegen noch vor uns: Erstens. Die Verbesserung der Arzneimittelsicherheit, damit sich eine solche Arzneimittelkatastrophe nicht wiederholen kann. Zweitens. Die Reform des Haftungsrechts im Arzneimittelgesetz, das sich im Lichte der Katastrophe als ungeeignet erwiesen hat, den Arzneimittelgeschädigten einen angemessenen Schadensausgleich zu gewähren.
Ich nenne nur die Stichpunkte, um die es hier geht: Beweislastumkehr bzw. Beweislasterleichterung für die Geschädigten, Festschreibung eines eigenen Haftungsanspruches auch für mittelbar Geschädigte, Einführung eines Schmerzensgeldes, Abschaffung der Versicherungslösung und des Pharmapools durch einen öffentlich-rechtlichen Fonds. Wir werden nicht länger hinnehmen, daß die Bewältigung dieser Aufgaben auf die lange Bank geschoben wird. Dies sind wir den Opfern schuldig.
Das Wort hat die Kollegin Monika Knoche, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Alle wissen, daß unglaublich viele im Medizinbereich, in der Verwaltung und Politik irreversible Risiken eingegangen sind. 2 000 Menschen wurden durch medizinische Behandlung mit dem tödlichen HIV-Virus infiziert. Das Vertrauen in Gesundheitspolitik und Ärzteschaft ist erschüttert worden. Zum zweiten Mal offenbarte die Pharmaindustrie die wahre Moral des Wettbewerbs und der Marktdominanz.
Heute sollen die Opfer entschädigt werden. Wenn die Aufklärungsarbeit des unabhängigen dritten Untersuchungsausschusses nicht sinnlos gewesen sein
soll, wenn seine Feststellungen und Schlußfolgerungen ein Jahr danach noch Gültigkeit haben, dann darf es das Seehofer-Almosengesetz nicht geben. Statt Tabula rasa nur milde Gaben?
Wer meinte, Bundesgesundheitsminister Seehofer würde hart durchgreifen und die Schuldigen in die Pflicht nehmen, sieht sich jäh enttäuscht. Die Hauptverantwortlichen sollen ungleich zu Contergan unbeschadet aus der Affäre kommen. Die Opfer haben das Nachsehen. Kann überhaupt Vertrauen in das Parlament gerechtfertigt sein, wenn der Minister ein Gesetz präsentiert, dessen Konditionen aussehen, als wären sie von der Pharmaindustrie selbst diktiert worden?
Hat die Öffentlichkeit durch den Skandal die enge Verbindung von Industrie und Verwaltung, von Bundesgesundheitsamt, Ärzten, großen Hämophiliezentren, wie Bonn eines hat, und der Praxisgemeinschaft des industriell-medizinischen Komplexes erfahren, kann man heute getrost sagen: Wo viel Blut fließt, fließt viel Geld. Die Hartherzigkeit und Arroganz dieses Komplexes spüren die Opfer heute.
Was ist passiert? - Herr Seehofer präsentiert ein Hilfegesetz mit einem Betrag von 250 Millionen DM und einer Staatshaftung von zwei Dritteln; eine milde Dreingabe von 100 Millionen DM aus der Portokasse der Industrie. Das ist alles. Dies ist das eine.
Das andere ist: Der Untersuchungsausschuß hat einstimmig festgestellt, daß der Aids-Blutskandal weitgehend vermeidbar war. Mehr noch: Wirtschaftliche Interessen waren mitverursachend für die HIV-Blutinfektion. Hauptverantwortlich ist und bleibt die Pharmaindustrie. Die Annahme, daß diese ihre Schuld nach dem beachtlichen Parlamentsdokument anerkennt und die Regierung mit diesem Faustpfand in der Hand dem Recht und vor allem dem moralischen Recht der Opfer zum Durchbruch verhilft, ist weit gefehlt. Die Pharmalobby obsiegt. Der Minister verlangt, daß die Opfer seine politische Niederlage bezahlen.
Allein 600 Menschen sind bereits an dieser vermeidbaren Infektion gestorben. 80 Hämophiliekranke gab es allein im letzten Jahr. Die noch Lebenden haben keine Kraft und Zeit für einen mühsamen Rechtsstreit.
Eine großzügige, schnelle und unbürokratische Entschädigung ist das mindeste, was nun erwartet werden kann. Der Pharmapool - eine Rückversicherung - ist mit steuerfreien Mitteln von bis zu 1 Milliarde DM aufgefüllt. Er ist für Großschadensfälle geschaffen worden. Die Pharmaindustrie weigert sich, ihre Schuld anzuerkennen. Die Möglichkeit einer freiwilligen Entschädigung ist vertan, weil die politische Druckwelle zu einem lauen Lüftchen verkam. Kartellrechtliche, arzneimittelrechtliche, haftungsrechtliche und steuerrechtliche Maßnahmen gegen die Sozialpflichtverweigerer sind während der 12. Legislaturperiode versäumt worden. Die Macht der Industrie ist anscheinend unantastbar.
Monika Knoche
Vorausschauend hat der Untersuchungsausschuß einen Vorschlag gemacht: Schafft eine öffentlichrechtliche Einrichtung nach § 12 des Pflichtversicherungsgesetzes, die Beiträge gegen die Hauptverursacher erheben kann. So hieß eine Empfehlung an den Bundestag. Danach wäre zwar eine Staatshaftung in Höhe von 20 % gegeben, aber 80 % wären von Verursachem und Anwendern zu erheben.
Was die Regierung dem Bundestag vorlegt, ist für uns Grüne nicht zu akzeptieren. Am Tag der Anhörung zu diesem HIV-Hilfegesetz im Juni erlebte die Regierung ein Desaster. Rechtsexperten und die Vertreter der Hämophilie- und Transfusionsopfer wiesen Ziel, Rechtskonstruktion sowie Art und Umfang der Hilfe samt der Ausschlußklauseln als - ich zitiere -unzulänglich, erpresserisch, sittenwidrig und verfassungsrechtlich bedenklich" zurück.
Herr Minister Seehofer hat nichts weniger getan, als die Tatsachenfeststellung des Untersuchungsausschusses ins krasse Gegenteil zu verkehren. Weitgehend unvermeidbar soll alles gewesen sein. Wenn dem so war - meine Bemerkung: dem war nicht so! -, daß die Arzneimittelkatastrophe weitgehend unvermeidbar gewesen sei und deshalb humanitäre Hilfe das Gebot der sozialstaatlichen Hilfe ist, warum werden dann bitte sehr nicht alle Infizierten und Kranken bedacht? Wenn alles Schicksal war und niemand schuld ist, gibt es eine Schicksalsgemeinschaft.
Alle, ob mit Blut oder durch Sex infiziert, haben die gleiche tragische Lebenszäsur zu bewältigen, denn es gibt keine schuldigen oder unschuldigen Opfer. Welcher Zynismus spricht aus dieser humanitären Hilferegelung, die den größten Personenkreis ausschließt? Aber diese Rechtskonstruktion ist notwendig gewesen, um der Pharmaindustrie eine Brücke in die Schuldlosigkeit zu bauen.
Wir verlangen, was wir am Anfang der Haushaltsberatungen gesagt haben, jetzt 700 Millionen DM in den Haushalt einzustellen, also eine staatliche Vorleistung. Das heißt: 350 000 DM Entschädigung für jede und jeden. Es bleiben alle über die Entschädigung hinausreichenden Ansprüche erhalten. Die Rechtswege gegen alle Schädiger bleiben offen,
und anspruchsberechtigt sind genau die, die auch der Haushaltsausschuß in der gestrigen Nachtsitzung als berechtigt festgelegt hat. Dazu gehören die Lebenspartner, Kinder und Eltern.
Diese Entschädigungsregelung orientiert sich an den Vorschlägen des Untersuchungsausschusses. So kann heute eine sofortige umfassende materielle und immaterielle Entschädigung der Opfer des zweiten großen deutschen Arzneimittelskandals erreicht werden. Es bleibt festzustellen: Hier sind Menschen auf
Grund grober Verantwortungslosigkeit und Gewinnstrebens durch Heilbehandlungen mit einem tödlichen Virus infiziert worden. Das alles war weitgehend vermeidbar.
Es ist das Gebot des Respekts vor den Geschädigten und für mich eine Frage der Selbstachtung des Parlamentes, diesen Regierungsentwurf zurückzuweisen. Die Billiglösung der Regierung ist nicht zu billigen.
Danke.
Das Wort hat der Kollege Dr. Dieter Thomae, F.D.P.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Das HIV-Hilfegesetz tritt an die Stelle des HIV-Hilfefonds, der zur Zeit humanitäre Hilfe leistet. Damit wird eine weitere Forderung des 3. Untersuchungsausschusses umgesetzt, nachdem die verschärften Sicherungsmaßnahmen im Bereich des Blutes und der Blutprodukte schon länger in Kraft sind.
Ich halte das Ergebnis vor dem Hintergrund, daß es sich um eine freiwillige Leistung handelt, gerade für akzeptabel. 250 Millionen DM sind kein Affront gegenüber den Hilfebedürftigen, wie uns Herr Schmidbauer dies glauben machen will.
Meine Damen und Herren, es sind auch keine Almosen. Ich möchte Sie bitten, einmal eine Rente einer älteren Dame und diese Beträge zu vergleichen, die wir jetzt gerade noch geschafft haben. Daher von Almosen zu sprechen, halte ich wirklich nicht für akzeptabel.
Lassen Sie mich etwas ausführlich auf Kritikpunkte kommen, die im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens immer wieder vorgebracht wurden.
Erster Kritikpunkt: Höhe der Stiftungsmittel. Natürlich wäre es uns allen viel lieber gewesen, wir hätten eine großzügigere Regelung erfahren. Aber man muß mit der Realität leben. Ein Zwangsfonds war aus rechtlichen Gründen nicht zu machen. So etwas geht nicht für die Vergangenheit.
Es gab also nur die Alternative, eine freiwillige Lösung auf die Beine zu stellen. Hier möchte ich schon dem Minister ausdrücklich danken, daß er trotz widriger Umstände 250 Millionen DM in zähen Verhandlungen erbracht hat.
Sehr bemerkenswert finde ich in diesem Zusammenhang, daß sich ganz besonders die SPD für eine Erhöhung der Mittel stark macht, daß aber in der Hauptsache die SPD-geführten Länder lediglich bereit sind, 50 Millionen DM für den Stiftungsfonds zur Verfügung zu stellen. Sie haben doch jetzt die große Chance, in Nordrhein-Westfalen oder auch in ge-
Dr. Dieter Thomae
meinsamer Regierung in Hessen diese Mittel nennenswert zu erhöhen. Tun Sie es doch!
Wir haben Ihnen von der Bundesregierung zugesagt, daß wir uns alle Mühe geben, dann die Mittel weiter aufzustocken. Aber reden Sie nicht hier im Parlament, während Sie es versäumen, in den Ländern politisch zu handeln. Tun Sie's!
Ausdrücklich wiederhole ich für die Koalition: Wir würden alles versuchen; wenn die Länder bereit sind, hier mehr Mittel auf den Tisch zu legen, in den Fonds einzuzahlen, werden wir alles unternehmen, weitere finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen.
Jetzt sind einmal die Länder am Zuge, und wenn Sie, Herr Schmidbauer, Nordrhein-Westfalen genau analysieren, müßte die Landesregierung dort aus Verantwortung erheblich mehr Mittel zur Verfügung stellen. Tun Sie es! Sprechen Sie es an! Sie stehen vor dem Abschluß der Koalitionsvereinbarung. Bringen Sie dies dort ein!
So, meine Damen und Herren.
Der zweite Kritikpunkt, meine Damen und Herren, hängt eng damit zusammen: Kapitalisierung der Leistungen. Das würden wir sofort machen, aber was tun die Länder? Die Länder zahlen in Raten, in vier
Raten. Also ist es aus diesem Grunde allein nicht möglich, hier Renten sofort auszuzahlen.
Meine Damen und Herren, es ist fast unverständlich für mich, wie sich hier die Länder aus der Verantwortung herausziehen. Wir müssen doch einmal klar sehen, daß die Länder eine entscheidende Verantwortung bei diesem Skandal mittragen, nicht nur der Bund. Wer ist denn zuständig für die Überwachung?
- Ja, Moment. Ich sage nur, die Länder können sich so nicht entziehen, wie es bisher passiert. Wenn die Länder Verantwortung haben, mögen sie zeigen, daß sie diese Verantwortung auch tragen.
Dritter Kritikpunkt: Gleichbehandlung der Angehörigen. In dem noch vorliegenden Gesetzentwurf wird ein Unterschied gemacht, ob eine infizierte unterhaltspflichtige Person vor dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes verstorben ist oder danach.
Durch einen Änderungsantrag der Koalition im Gesundheitsausschuß wurde sichergestellt, daß unterhaltsberechtigte Kinder eine Zahlung von 1 000 DM bis zum Abschluß der Berufsausbildung erhalten, unabhängig von einem bestimmten Stichtag.
Vierter Kritikpunkt: Dauer der Leistungen. Meine Damen und Herren, bisherige Berechnungen ergeben, daß der Fonds nach sieben Jahren auslaufen wird. Dies hängt mit der Begrenztheit der Mittel in
Höhe von 250 Millionen DM zusammen. Auch ich empfinde es als außerordentlich unbefriedigend, daß berechtigte Ansprüche nicht langer erfüllt werden können, und daher hoffe ich ganz besonders, daß von der Möglichkeit der Zustiftungen reger Gebrauch gemacht wird.
Fünfter Kritikpunkt: Ausschluß von Ansprüchen. Der Gesetzentwurf sieht vor, daß bei denjenigen, die Leistungen der Stiftung in Anspruch nehmen, Ansprüche gegen die Bundesrepublik, das DRK, die Pharmaunternehmen und die Länder erlöschen, mit Ausnahme der Zahlungen im Rahmen der Gewährleistungshaftung des Arzneimittelgesetzes.
Ich kann gut verstehen, daß die Betroffenen dies als einen Kernpunkt der Kritik ansehen, wenn sie argumentieren, daß sie auf Grund der geringen Lebenserwartung unter ungeheueren Druck geraten, die möglicherweise geringeren Leistungen der Stiftung in Anspruch zu nehmen, obwohl sie vielleicht in einem Rechtsverfahren Aussicht auf Erfolg hätten. Ein Verzicht auf den Haftungsausschluß im Hinblick auf Schmerzensgeldansprüche kam aber nicht in Betracht, weil dies ein Eckpunkt des Stiftungskonzepts ist. Die Stiftungsmitglieder haben ihre Zahlungsbereitschaft an diese Voraussetzungen geknüpft.
Auch wenn die SPD in ihrem Entschließungsantrag fordert, auf den Haftungsausschluß zu verzichten, stellt sie einen wichtigen Eckpunkt des Gesetzes in Frage und gefährdet nach meiner Meinung damit die erforderliche schnelle Hilfe für die Betroffenen.
Zum sechsten Kritikpunkt: Stichtag 1. Januar 1988. Meine Damen und Herren, lassen Sie uns den Betroffenen schnellstmöglich Hilfe zuteil werden, auch wenn manche Verbesserung am Gesetzentwurf wünschenswert wäre. Wer aber wie BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und die PDS den Gesetzentwurf komplett ablehnt, weil die Mittel zu gering sind, geht an der Realität, vor allen Dingen aber an den Bedürfnissen der Betroffenen brutal vorbei und betreibt Populismus.
Wir können es uns bei der Lebenserwartung der Betroffenen nicht leisten, in langwierigen Verhandlungen weiter statt der bisher bereitgestellten 250 Millionen DM auf eine Erhöhung auf 700 Millionen DM zu „pokern". Dies wäre zynisch und - ich sage das - unverantwortlich.
Lassen Sie mich eine letzte Bemerkung machen. Ich habe zwar Verständnis für die Forderung, die die SPD in ihrem Änderungsantrag aufstellt, auch Eltern infizierter Kinder zu Anspruchsberechtigten zu machen. Dieses Verständnis kann ich aber nur aufbringen, wenn die SPD-Bundestagsfraktion auch darauf hinwirkt, daß die in der Mehrheit SPD-geführten Länder weitere 50 Millionen DM in den Fonds einbringen; denn ansonsten widerspräche sich die SPD mit ihrer Forderung nach höheren Mitteln für den einzelnen und in ihrer Kritik an der Laufzeit der Stiftung selber. Denn jeder weitere Anspruchsberechtigte verkürzt nicht nur die Laufzeit der Stiftung, sondern vermindert auch den Betrag, der dem einzelnen Betroffenen zur Verfügung steht.
Dr. Dieter Thomae
Dies, meine Damen und Herren, sollten wir der SPD als Hausaufgabe mitgeben. Wenn sie dazu bereit ist, sind wir sicherlich ebenfalls dazu bereit.
Das Wort hat die Kollegin Dr. Ruth Fuchs, PDS.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist jetzt etwa zehn Jahre her, daß die Folgen der großen HIV-Arzneimittelkatastrophe den Betroffenen und ihren Angehörigen in ihrer ganzen Tragweite deutlich wurden. Im Ergebnis waren bekanntlich über 2 000 Bluterkranke, aber auch andere Empfänger von Blut und Blutprodukten mit dem tödlichen Aidsvirus infiziert worden. Inzwischen sind schon Hunderte der Opfer verstorben.
Wie wir heute wissen, ist die Aufklärung dieses Geschehens jahrelang von einer unheiligen Allianz aus staatlichen Behörden, Herstellern, Ärzten und Rechtsprechung verhindert worden. Das trug nicht nur dazu bei, daß Gesetzgeber und Behörden lange Zeit keine entsprechenden rechtlichen und organisatorischen Schlußfolgerungen aus der Katastrophe zogen, sondern auch dazu, daß die unmittelbar Betroffenen, ihre Angehörigen und Hinterbliebenen keine auch nur annähernd adäquaten Entschädigungen erhielten.
Strenggenommen, hält dieser Zustand trotz der im Jahre 1993 von der Bundesregierung eingerichteten humanitären Soforthilfe noch immer an. Das bleibt auch richtig, obwohl wir nicht übersehen, daß Minister Seehofer in seinem Amt der erste war, der überhaupt, wenn auch unter großem Druck, begonnen hat zu handeln. Dafür, aber auch für die Anerkennung staatlicher Mitschuld und für seine Bitte um Verzeihung an die Opfer hat er sich zu Recht Respekt erworben.
Um so mehr muß der heute als Auftrag aus der Arbeit des 3. Untersuchungsausschusses vorliegende Gesetzentwurf enttäuschen. Seinem Anspruch, das Problem abschließend zu regeln, und vor allem den Hoffnungen der Opfer auf eine angemessene Entschädigung wird er keineswegs gerecht.
Folgende Gründe lassen eine andere Wertung nicht zu:
Erstens. Der 3. Untersuchungsausschuß hat bekanntlich das Verschulden vor allem der beteiligten Pharmafirmen und Blutspendeorganisationen, aber auch von Bundes- und Landesbehörden festgestellt. Aber so, als stünde dies nicht schwarz auf weiß in dem von allen Parteien angenommenen Abschlußbericht des Ausschusses, geht das vorliegende Gesetz erneut von einer - ich zitiere - „weitgehend unvermeidbaren Arzneimittelkatastrophe" aus. Gleichzeitig sollen die Empfänger von Stiftungsleistungen auf die vom Ausschuß begründeten Haftungsansprüche verzichten. Das ist eine inakzeptable Zumutung.
Zweitens. Mindestens 700 Millionen DM sind nach den Erkenntnissen des Untersuchungsausschusses für eine Entschädigung notwendig, die das Prädikat
„angemessen„ wirklich verdient. 60 % dieser Summe sollten von den Pharmafirmen und vor allem deren Versicherungen sowie den Blutspendeorganisationen aufgebracht werden, 20 bzw. 15 % von Bund und Ländern. Nicht nur, daß jetzt nicht annähernd die notwendige Gesamtsumme erreicht wird; vor allem auch das Verhältnis zwischen Bund und Ländern einerseits sowie der Industrie und ihren Versicherungen andererseits hat sich völlig umgekehrt. Nicht die Hauptverursacher tragen jetzt die Konsequenzen, sondern letztlich die öffentliche Hand und damit doch der Steuerzahler.
Am Ende hat sich auch in diesem Fall die gesellschaftliche Grundregel durchgesetzt: Gewinne sind zu privatisieren, Verluste zu sozialisieren. Und all dies angesichts eines gut gefüllten Pharmapools, den der Gesetzgeber eigens für solche Großrisiken verordnet und steuerlich entsprechend begünstigt hatte.
Drittens. Der jetzt erreichte Umfang des Fonds erlaubt es nicht, den Opfern - wie vom 3. Untersuchungsausschuß vorgesehen - eine Sofortentschädigung in Form eines einmaligen Kapitalbetrages von mindestens 350 000 DM zu zahlen. Statt dessen sollen sie nur eine monatliche Rente in gestaffelter Höhe erhalten. Aber, meine Damen und Herren, was im Fall von Contergan richtig war, geht hier an der Lebenswirklichkeit der Betroffenen vorbei.
Viertens. Selbst im Rahmen seiner eigenen Logik weist das vorliegende Gesetz erhebliche Mängel auf. Darauf ist vor allem in der Anhörung, aber auch in der heutigen Debatte schon aufmerksam gemacht worden.
Die Verwirklichung des Vorschlags des 3. Untersuchungsausschusses, auf freiwilliger Basis einen Fonds zu bilden, in den Pharmaindustrie und ihre Versicherungen sowie der Staat in adäquatem Umfang einzahlen, wäre zweifellos die beste Variante gewesen. Bekanntlich hatte schon der Ausschuß Schwierigkeiten vorausgesehen und für den Fall des Nichtzustandekommens einer solchen Lösung einen öffentlich-rechtlichen Fonds auf gesetzlicher Basis vorgeschlagen. Gelänge auch das nicht, sollte der Bund sofort in Vorleistung treten und die Haftungsansprüche an Stelle der Betroffenen geltend machen. Meine Damen und Herren, unserer Meinung nach muß dies die Handlungsmaxime von Parlament und Regierung bleiben.
Wir lehnen deshalb das vorliegende Gesetz ab und stimmen den Entschließungsanträgen von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Kollege Dr. Hinrich Knaape, SPD.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir heute über ein Stiftungsgesetz abschließend entscheiden, sollten wir uns, um Lehren zu ziehen, das
Dr. Hans-Hinrich Knaape
Vorspiel noch einmal kurz ins Gedächtnis rufen - auch, da in Zukunft ständige Wachsamkeit gefordert ist. Denn die Möglichkeit des Auftretens neuer, bisher nicht bedachter schädlicher Wirkungen bei Arzneimitteln ist immer gegeben, und Betroffene brauchen gesicherte Hilfe auf der Grundlage greifender Gesetze, nicht nur ideell, sondern vor allem finanziell.
Was kompetenter ärztlicher Sachverstand erdachte und in die Therapie einführte, brachte für die an der Hämophilie Erkrankten Hoffnung, schuf bei ihnen ein neues Lebensgefühl und festigte den Glauben an die helfende und heilende Kunst der Ärzte. Das Vertrauen in die Sicherheit des Arzneimittels Blut war sowohl bei den Ärzten als auch bei den Patienten gegeben, standen doch bekannte Namen von pharmazeutischen Weltfirmen und das Deutsche Rote Kreuz mit seinem Blutmonopol in Deutschland für die Zuverlässigkeit.
Als erste Mutmaßungen 1983 zum begründeten Verdacht und dann zur Gewißheit wurden, daß ein durch Blut und Blutprodukte übertragenes Virus, vermittelt durch diese Therapie, die Hämophilen mit einer neuen, tödlichen Krankheit infizierte, trat folgendes ein:
Erstens. Ärzte therapierten weiter mit Hochdosen, stellten Hypothesen pro und contra die neue Erkrankung auf und publizierten sie. Sie unterließen es aber weitgehend, ihre Patienten aufzuklären, die möglichen Konsequenzen in vollem Umfang zu durchdenken und diese den Patienten mitzuteilen, um ihnen eigene Entscheidungen in bezug auf die Therapie anheimzustellen.
Zweitens. Die blutverarbeitende pharmazeutische Industrie wußte infolge ihres weltumspannenden Informationsnetzes bald um die Gefahr, stoppte aber nicht die Verarbeitung des Blutes, schloß lediglich besondere Risikospender aus und stellte nach langen Übergangszeiten auf neue - mehr oder weniger virussichere - Produktionsverfahren um.
Drittens. Die staatlichen Kontrollorgane in Bund und Ländern und auch die Bundesärztekammer tolerierten diese Vorgehensweise. Richtig und konsequent Gedachtes blieb in den Schubladen. Bürokratie und mangelnde Durchsetzungskraft Wissender taten ein Übriges, und die Zeit lief gegen die Patienten.
Das Ergebnis keimen wir. Es beschämt uns. Was ist nun mit der Hilfe?
Der vorliegende Gesetzentwurf über humanitäre Hilfe für durch Blutprodukte HIV-infizierte Personen ist tragfähig, aber nicht befriedigend.
Es ist zwar eine Lösung, aber wird der Würde nicht gerecht, mit der die infizierten Bluter ihre todbringende Erkrankung durchleben, und stellt dem Staat Bundesrepublik Deutschland, den deutschen Bundesländern und der blutverarbeitenden pharmazeutischen Industrie, dem Deutschen Roten Kreuz und insbesondere auch Kollegen aus der deutschen Ärzteschaft kein Summa-cum-laude-Zeugnis aus. Aber auch der Gesetzgeber kann sich nicht ausschließen. Wir sollten unser Versagen nicht dahinter verstekken, daß wir uns darin gefallen, uns gegenseitig polemisch, mit starken Worten - mitunter sogar in beschimpfender Weise - Vorwürfe zu machen.
Die Betroffenen haben das Recht - unser Verständnis ist auf ihrer Seite -, ihre Gefühle in jeglicher Form zu äußern. Wir Politiker sollten uns nicht nur mäßigen, sondern auch zurückhalten und alles daransetzen, nach befriedigenden und nicht nur tragenden Lösungswegen für die Zukunft zu suchen. Wo menschliches Leid die politische Auseinandersetzung bestimmt, darf nicht persönliche Profilierung die Handlungsweise lenken.
Das, was zu sagen ist, kann auch in angemessener Form behandelt werden. Aber offenbar - diese Lehre müssen wir ziehen - scheint im politischen Umgang miteinander, insbesondere wenn die Rechte einer betroffenen Minderheit durchgesetzt werden müssen, am Anfang grober Ton und Umgang notwendig zu sein. Muß dies aber wirklich sein?
Unsere Gesetze sind nicht so vollkommen, daß für alles bereits eine Regelung gegeben ist. Daß dies nicht der Fall war, belegt doch gerade das anstehende Stiftungsgesetz. Defizite sollten wir aber sofort aufgreifen und einer Lösung zuführen.
Wie im 3. Untersuchungsausschuß praktiziert, haben wir durch kritisches, aber auch kompromißbereites Aufeinanderzugehen von Regierungskoalition und Opposition gemeinsam getragene Entscheidungen über Zusammenhänge gefällt. Unsere Schlußfolgerungen jedoch haben nicht das gebracht, was wir wollten. Ich möchte fragen: Konnte das überhaupt erreicht werden?
Es stimmt traurig, wenn gerade das gemeinsam beschlossene, klare Untersuchungsergebnis dazu führt, daß Verursacher nur durch Bitten und Drängen zur Gründung der Stiftung bewegt werden konnten, wo doch Pflicht gefordert wäre. Es geht nicht an - da ist die Politik gefragt -, daß Betroffene durch eine Menge einander aufhebender und sich widersprechender Gesetzesparagraphen förmlich zugeschüttet und zum Schweigen gebracht werden und Hilfe ausbleibt, weil die, die entschädigungspflichtig sind, blockiert werden, da sie sonst an anderer Stelle durch überzogene Forderungen an die Grenze ihres finanziellen Leistungsvermögens gebracht würden. Auf der anderen Seite sträuben sich weitere, zu zahlen, um nicht einem Präzedenzfall Vorschub zu leisten. Ist das der Umgang miteinander?
Unsere Aufgabe ist es, die Voraussetzungen zu schaffen, daß das Arzneimittelrecht mehr Sicherheit und Schutz, aber auch Befriedigung von berechtigten Ansprüchen Geschädigter zuläßt. Es bringt nichts, wenn wir das gestörte Vertrauen gegenüber
Dr. Hans-Hinrich Knaape
Ärzten, pharmazeutischen Herstellern, dem Deutschen Roten Kreuz und auch gegenüber den aufsichtsführenden Bundes- und Länderbehörden weiter beschädigen.
Der 3. Untersuchungsausschuß hat dazu beigetragen, das Vertrauen wiederherzustellen, indem er unvoreingenommen die Sachverhalte und Zusammenhänge aufdeckte. Nur aus unseren Fehlern können wir lernen; wir müssen uns aber auch zu ihnen bekennen.
An dem Gesetz unbefriedigend ist der geringe finanzielle Rahmen, mit dem die Stiftung ausgestattet ist. Zudem steht insbesondere der Kapitalstock nicht von Anfang an zur Verfügung. Auf der anderen Seite verzinsen sich Gelder, die für Entschädigungsleistungen vorgesehen sind, auf die aber nicht zurückgegriffen werden kann, weil eine Schuldanerkennung Voraussetzung für diesen Zugriff wäre. Bleibt nur der Appell an die Solidarität und die Hoffnung, daß freiwillige Zuwendungen an die Stiftung erfolgen.
Es bleibt aber auch der Appell an die Spender in unserer Bevölkerung, zu bedenken, daß aus Blut lebensnotwendige Medikamente gewonnen werden und daß Blut ein besonderer Stoff ist, in dem sich vieles aus der Umwelt, was wir in unseren Körper aufnehmen, wiederfindet. Dies schließt die Möglichkeit ein, daß diese Stoffe auch auf andere übertragen werden können, wenn das eigene Blut weitergegeben wird. Das, was zum bedenklichen Arzneimittel aus Blut führte, beginnt bei jedem Spender und legt daher Pflichten und Verpflichtungen auf. Mit dem Appell an die Solidarität aller, wieder vermehrt Blut zu spenden, möchte ich schließen.
Ich danke Ihnen, daß wir diese Debatte doch mit einiger Würde zu Ende gebracht haben.
Danke.
Das Wort hat Herr Bundesminister Seehofer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir wissen alle, daß wir den Menschen, die durch Blutprodukte infiziert wurden und infolgedessen an Aids erkrankt sind, ihr tragisches Schicksal nicht mehr abnehmen können.
Ich weiß aus vielen Gesprächen, daß wir auch kaum die Möglichkeit haben, den Betroffenen aus ihrer Verzweiflung über die Infektion und den Verlauf ihrer Krankheit herauszuhelfen. Aber wir haben als Politiker die Pflicht, durch eine Aufklärung der Sachverhalte Vertrauen bei den Betroffenen wiederherzustellen - das ist durch den Untersuchungsausschuß geschehen -, und wir haben die Möglichkeit, durch finanzielle Hilfe die Lebenssituation der Betroffenen zu verbessern.
Wir haben nach sehr zähen und schwierigen Verhandlungen Ende März der Öffentlichkeit ein Konzept für Hilfsmaßnahmen vorgestellt. Die Eckpunkte dieses Konzepts sind in dem Gesetzentwurf umgesetzt worden, der am 11. Mai 1995 von den Koalitionsfraktionen im Deutschen Bundestag eingebracht worden ist und heute im Plenum abschließend beraten wird. Damit lösen wir ein Wort ein, den Betroffenen so rasch wie möglich finanzielle Hilfe zur Verfügung zu stellen. Die Einlösung dieses Wortes sind wir ihnen schuldig.
Ich möchte mich heute deshalb zuallererst ausdrücklich bei den Koalitionsfraktionen bedanken, die dieses Gesetzesvorhaben von Anfang an mitgetragen und gefordert haben. Sicherlich kann man lange über die Höhe der jetzt zur Verfügung stehenden Mittel streiten. Man muß sich aber immer wieder überlegen, vor welchem Hintergrund wir entschieden haben. Es geht um schnelle finanzielle Hilfe. Die Betroffenen haben nicht alle Zeit der Welt. Deshalb wäre es moralisch nicht zu verantworten gewesen, die Betroffenen durch Ankündigung neuer Verhandlungen auf den Sankt-Nimmerleins-Tag zu vertrösten.
Wir haben jetzt ein Ergebnis, das sich sehen lassen kann, und das ist für mich entscheidend.
Gerne hätte ich heute meinen Dank für die Unterstützung des Stiftungsgesetzes auch der SPD-Fraktion ausgesprochen.
- Ja, Teilen davon kann man das. So möchte ich mich bei Ihnen, Herr Dr. Knaape, ausdrücklich bedanken.
Sie haben auch Ihre Probleme mit dem Gesetzentwurf. Sie könnten sich - wie wir alle - mehr vorstellen, aber die differenzierte Einlassung, die Sie zu dieser außerordentlich schwierigen und sensiblen Angelegenheit heute als Vertreter einer Oppositionsfraktion vorgetragen haben, zeigt, daß Sie ein Politiker mit Format sind. Ich möchte mich dafür bedanken. Aber ein anderer Teil der SPD-Bundestagsfraktion hat sich auch heute wieder sehr polemisch und eigentlich unverantwortlich eingelassen. Deshalb kann ich in diesen Dank nicht die gesamte SPD-Fraktion einbeziehen.
Tatsache ist: Der Gesetzentwurf ist mit den Ländern, insbesondere mit den SPD-geführten Ländern, auf Punkt und Komma vereinbart.
Bundesminister Horst Seehofer
Die Ministerpräsidenten haben sich vor wenigen Tagen noch einmal damit beschäftigt und ausdrücklich auch schriftlich festgehalten - das ist mir zur Verfügung gestellt worden -, daß sie an ihrem Volumen von 50 Millionen DM festhalten.
Herr Schmidbauer, das scheinen Sie vergessen zu haben. Wenn Sie dieses Gesetz - ich zitiere Sie - „als schlimmes Spiel mit den Todesängsten der Opfer des Aids-Skandals" bezeichnen,
dann richtet sich dies auch gegen Ihre SPD-Ministerpräsidenten, die höhere Leistungen ausdrücklich abgelehnt haben und nicht einmal bereit waren, ihren Beitrag in einer Gesamtsumme zu zahlen.
Herr Schmidbauer, wenn Sie von enttäuschten Hoffnungen reden, müssen Sie sich die Erwiderung gefallen lassen: Sie selbst setzen in unverantwortlicher, ja in schäbiger Weise gegenüber den Betroffenen Hoffnungen, die niemals erfüllbar sind, in die Welt und beschimpfen anschließend die Bundesregierung dafür, daß sie diese Hoffnungen nicht erfüllt.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nach dem nächsten Satz sehr gerne.
Herr Schmidbauer, lassen Sie mich in allem Ernst sagen: Wie Sie sich zu diesem Thema bis zum heutigen Tage verhalten haben - das werde ich persönlich Ihnen nie vergessen -, ist ein abschreckendes Beispiel für Unkollegialität und Unseriosität.
Herr Präsident, ich möchte meine gerade gegebene Zusage zurückziehen; denn ich möchte mich aus bestimmten Gründen mit Herrn Schmidbauer nicht mehr unterhalten.
Ich bin politische Streitkultur gewöhnt und habe sie immer wieder praktiziert. Nur, meine Damen und Herren, wenn jemand ein schlimmes Schicksal, ein uns alle bewegendes Schicksal von einzelnen Menschen zum Anlaß nimmt, gewissermaßen auf deren Rücken parteipolitische Spiele zu treiben, dann ist meine Schmerzgrenze der politischen Streitkultur in der Bundesrepublik Deutschland erreicht.
Ich möchte trotzdem den Ministerpräsidenten aller Bundesländer und den Gesundheitsministern und -senatoren der Länder danken, daß auch sie ihren Beitrag leisten. Alle Seiten mußten kompromißbereit sein; es wäre sonst zu überhaupt keiner Lösung gekommen.
Ich möchte auch den Personen, die sich auf seiten der Unternehmen für eine humanitäre Hilfe eingesetzt haben, danken, vor allem auch dem Präsidenten des Deutschen Roten Kreuzes, der sich in der Endphase persönlich besonders engagiert hat, daß es auch auf der Seite des Deutschen Roten Kreuzes zu einer freiwilligen Lösung kam.
Meine Damen und Herren, auch ich persönlich kann mir höhere Leistungen vorstellen, ich hätte sie mir sogar gewünscht. Auch ich hätte mir gewünscht, daß wir den Kreis der Berechtigten noch umfangreicher hätten gestalten können.
Kritiker müssen sich immer wieder vor Augen führen: Die Alternative zu der jetzt im Gesetz gefundenen Lösung wäre gewesen: keine Lösung für die Betroffenen. Es gibt keine Möglichkeit - da besteht Übereinstimmung mit den Ländern -, die Beteiligten rückwirkend zu verpflichten. Bis zum Schluß der Verhandlungen war nicht sicher, ob überhaupt ein Ergebnis erzielt werden kann.
Unter diesen Umständen, meine Damen und Herren, betrachte ich die Summe von 250 Millionen DM als Erfolg und bin allen Beteiligten dankbar, die bereit sind, diesen Betrag auf freiwilliger Grundlage zu leisten.
Die Eckpunkte des Gesetzes sind bekannt: 250 Millionen DM sind verfügbar und werden durch eine Stiftung ausgezahlt. Unmittelbar und mittelbar vor dem 1. Januar 1988 HIV-Infizierte erhalten monatlich 1 500 DM, an AIDS Erkrankte 3 000 DM. Kinder von verstorbenen Infizierten können bis zum 25. Lebensjahr 1 000 DM monatlich beanspruchen. Ehepartner von verstorbenen Infizierten erhalten ebenfalls 1 000 DM monatlich bis zum Ablauf von 5 Jahren.
Wesentlich ist, daß die infizierten und die an AIDS erkrankten Personen rückwirkende Leistungen ab dem 1. Januar 1994 beanspruchen können. Auf diese Weise können gleich zu Beginn der Leistungen Kapitalbeträge zur Verfügung gestellt werden, die dem Wunsch vieler Betroffener nach Kapitalabfindung - zumindest teilweise - entgegenkommen.
Diese finanziellen Leistungen werden zusätzlich zu bereits geleisteter Entschädigung und anderer finanzieller Hilfe, z. B. aus dem Fonds „Humanitäre Soforthilfe", gezahlt, d. h., es gibt keinerlei Anrechnung auf andere Hilfe- oder Sozialleistungen.
Ich weiß, daß viele mit einer höheren Kapitalabfindung gerechnet haben. Deshalb habe ich sehr bewußt am 20. Januar 1995 im Bundestag vor über-
Bundesminister Horst Seehofer
schwenglichen Hoffnungen gewarnt. Wir haben bereits damals deutlich gemacht, daß wir nicht alle Wünsche und Vorstellungen umfassend werden erfüllen können.
Ich halte fest, daß die jetzt vorgesehene finanzielle Hilfe die Lebenssituation der Betroffenen nachhaltig verbessert. Das ist das Wesentliche, was zählt.
Meine Damen und Herren, ich möchte zu den gestrigen Anträgen im Haushaltsausschuß und zu dem heute von der SPD gestellten Änderungsantrag in allem Ernst etwas sagen, damit jeder weiß, was es bedeuten würde, wenn heute hier oder demnächst im Bundesrat ergänzende Anträge zu diesem vorgelegten Gesetzentwurf beschlossen würden. Meine Damen und Herren, wir können die Betroffenen - und da besteht Übereinstimmung mit der Ansicht der Bundesländer - nicht rückwirkend zu einer Leistung gesetzlich verpflichten. Wir haben es hier mit einer Stiftung zu tun, die auf den freiwilligen Zusagen der Beteiligten beruht und die gewissermaßen als Abschluß dieser Verhandlungen in ein Gesetz gegossen wird.
Alle Beteiligten haben mir bis zum heutigen Tag - auch schriftlich - erklärt: Wenn dieses in schwierigen Verhandlungen ausgehandelte Konzept heute vom Deutschen Bundestag oder demnächst vom Bundesrat verändert wird, gilt dies als Wegfall der Geschäftsgrundlage, und wir müssen die Verhandlungen von vorne beginnen. Dann haben wir zwar ein Gesetz, aber die Beteiligten - ich sage das ausdrücklich, damit keine Überraschungen entstehen - werden keine Hilfen zahlen, weil das auf dem Prinzip der Freiwilligkeit beruht. Wir haben rechtlich keine Möglichkeit, diese freiwillig zugesagten Leistungen zwangsweise einzufordern. Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, das zu berücksichtigen, wenn wir anschließend über den vorliegenden Gesetzentwurf abstimmen. Jede Veränderung des Konzepts führt dazu, daß die Hilfe nicht sofort geleistet werden kann.
Deshalb bitte ich alle, sich des Ernstes der Lage bewußt zu sein. Außerdem bitte ich darum, diese Diskussion endlich zu beenden. Wichtig ist nicht, daß wir jetzt lange debattieren und diskutieren; wichtig ist, daß wir jetzt helfen.
Ich rechne fest damit, daß der Bundesrat dem Gesetz in seiner Sitzung am 14. Juli zustimmen wird. Meine Damen und Herren, die Zustimmung durch den Bundesrat und die Beschlußfassung heute in diesem Haus ist für die Betroffenen das wichtigste Signal. Es ist ein Signal dafür, daß wir in unserem Lande nach langwierigen und schwierigen Verhandlungen zur praktizierten Nächstenliebe noch fähig sind.
Ich schließe die Aussprache.
Zu einer Erklärung zur Aussprache erteile ich dem Kollegen Horst Schmidbauer das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zur Geschäftsgrundlage will ich feststellen, daß ich keine anderen Erwartungshaltungen geweckt habe als die, die der 3. Untersuchungsausschuß dem Bundestag empfohlen hat, die dieser einstimmig angenommen hat
und zu denen der Minister erklärt hat, daß er sie ausdrücklich billige und trage. Nicht mehr und nicht weniger habe ich getan.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Gesetzentwurf über die humanitäre Hilfe für durch Blutprodukte HIV-infizierte Personen, Drucksachen 13/1298 und 13/1831.Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/1858 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der gesamten Opposition abgelehnt.Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition bei Stimmenthaltung der Opposition angenommen.Dritte Beratungund Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalition bei Enthaltung und bei Gegenstimmen der Opposition, und zwar bei der PDS, angenommen.Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/1832. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalition abgelehnt.Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 13/1841. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalition bei unterschiedlichem Abstimmungsverhalten der SPD gegen die Stimmen des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS abgelehnt.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a bis e und den Zusatzpunkt 2 auf:4. a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Waltraut Schoppe und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
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3816 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995
Vizepräsident Hans-Ulrich KloseForum der Nichtregierungsorganisationen auf der VN-Weltfrauenkonferenz in Peking- Drucksache 13/1427 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Auswärtiger AusschußInnenausschußAusschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklungb) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Edith Niehuis, Christel Hanewinckel, Friedhelm Julius Beucher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPDVierte Weltfrauenkonferenz der Vereinten Nationen vom 4. bis 15. September 1995 in Peking- Drucksache 13/1441—Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Auswärtiger AusschußInnenausschußAusschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklungc) Beratung des Antrags der Abgeordneten Waltraut Schoppe, Rita Grießhaber, Irmingard Schewe-Gerigk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENMenschenrechte und Demokratie für Frauen verwirklichen- Drucksache 13/1551 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Auswärtiger AusschußInnenausschußAusschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklungd) Beratung des Antrags der Abgeordneten Christina Schenk, Petra Bläss, Heidemarie Lüth, weiterer Abgeordneter und der Gruppe der PDSWeltfrauenkonferenz- Drucksache 13/1622 -e) Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P.Vierte Weltfrauenkonferenz vom 4. bis 15. September 1995 in PekingMehr Chancen für Frauen in Entwicklungsländern- Drucksache 13/1837 -ZP2 Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/ CSU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P.Forum der Nichtregierungsorganisationen und Vierte VN-Weltfrauenkonferenz 1995 in Peking- Drucksache 13/1836 -Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die gemeinsame Aussprache eine Stunde vorgesehen. Kein Widerspruch? - Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat die Kollegin Rita Grießhaber.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Chen Minlin ist eine von vielen Frauen, die seit Jahren hinter Gittern sitzen. Wie Amnesty International berichtet hat, bestand ihr „Vergehen" darin, daß sie als Lehrerin an ihrer Schule Informationsveranstaltungen organisiert und an Demonstrationen für mehr Demokratie in China teilgenommen hatte. Als sich nach der Niederschlagung der Proteste 1989 im gesamten Land ein Klima des Terrors ausbreitete, wurde Chen Minlin von einem ihrer Schüler denunziert. Sie wurde festgenommen und zu acht Jahren Freiheitsentzug verurteilt.
China ist das Gastgeberland der Vierten UN-Weltfrauenkonferenz. Bei der Entscheidung für Peking als Tagungsort spielten Menschenrechtsfragen keine Rolle. Um so mehr kommt es darauf an, die Teilnahme von Delegationen aus der Bundesrepublik ganz stark dazu zu nutzen, daß die Frage der Menschenrechte auf der Tagesordnung der Weltfrauenkonferenz einen herausragenden Platz einnimmt.
Wir haben in unserem Antrag „Menschenrechte und Demokratie für Frauen verwirklichen" darauf hingewiesen, daß die Anerkennung der unteilbaren und universellen Menschenrechte für Frauen durchzusetzen ist. Dabei müssen insbesondere die Menschenrechtsverletzungen an Frauen in China selbst zur Sprache kommen. Das betrifft Zwangssterilisationen genauso wie Zwangsabtreibungen; es betrifft aber auch die von China gegenüber Tibet praktizierte Zwangsumsiedlungspolitik und Bevölkerungspolitik.
Menschenrechte von Frauen und Mädchen sind unveräußerlicher, integraler und untrennbarer Bestandteil der allgemeinen Menschenrechte und unterliegen keinerlei religiösen, kulturellen oder traditionellen Einschränkungen; darauf möchte ich hinweisen. Hinter diese Feststellung der UN-Menschenrechtskonferenz in Wien 1993 dürfen die Beschlüsse von Peking nicht zurückfallen. Ich fordere Sie, Frau Nolte, als deutsche Delegationsführerin dazu auf, sich ganz energisch dafür einzusetzen, daß solche Rückschritte nicht eintreten. Konkret bedeutet das,
Rita Grießhaber
daß gesetzliche Vorgaben zur Geburtenkontrolle, zu Klitorisbeschneidungen oder anderen Verstümmelungen über internationale Abkommen als Menschenrechtsverletzungen zu bekämpfen sind.
Die Weltfrauenkonferenz wird insgesamt sehr stark vom Engagement der Frauengruppen und den Problemen der Frauen in der sogenannten Dritten Welt geprägt sein. Schuldenkrise, Strukturanpassungspolitik und steigende Inflationsraten, aber genauso interne Probleme wie Korruption und Mißwirtschaft führen in Entwicklungsländern zu einer Erosion im sozialen und wirtschaftlichen Bereich. Preise für Grundnahrungsmittel steigen drastisch an; Geld für Wasser, Mieten, Schulgeld und Geld für medizinische Versorgung sind oft kaum mehr aufzubringen. Bei ohnehin niedrigstem Haushaltsbudget bedeutet dies, daß Frauen, die dafür sehr oft allein verantwortlich sind, häufig nicht mehr wissen, wie sie ihre Familien ernähren sollen - und das bei wachsender Arbeitsbelastung, die u. a. auch einer fortschreitenden Umweltzerstörung geschuldet ist.
Wir wollen, daß Projekte endlich näher an der Lebensrealität von Frauen orientiert sind und daß ihre Art des Wirtschaftens, die zumeist die ökologischere ist, gefördert wird. Frauen wie Männer sollen gleichermaßen die Verantwortung für die gesellschaftliche, ökonomische, politische und kulturelle Entwicklung ihrer Gesellschaft tragen. Nehmen wir diesen Maßstab, meine Damen und Herren, ist der Blick auf unsere bundesrepublikanische Realität beschämend.
In einem hochentwickelten Land wie der Bundesrepublik Deutschland haben wir es Ende des 20. Jahrhunderts immer noch nicht geschafft, daß Frauen und Männer wirklich gleichberechtigt an allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens teilhaben. In der Bundesrepublik wird es - das wird seit der Vereinigung vorgeführt - durch die Ausschließung von Frauen in bestimmten Bereichen schlimmer, als es vorher war. Fortschritte werden nicht erzielt.
Denken Sie an die Runden Tische der Wendezeit in den neuen Bundesländern! Dort hatten wir eine Teilnahme von Frauen, sie waren überall präsent und überall aktiv mitbeteiligt. Wo sind sie heute, wie ist ihre Repräsentanz in der Politik? Sie sind zurückgedrängt worden, sie sind verschwunden, und es sind nur noch einige wenige übriggeblieben. Was die Erwerbsarbeitsquote angeht, so lag sie in der ehemaligen DDR Ende der 80er Jahre bei ungefähr 90 %. Inzwischen ist nur noch die Hälfte dieser Frauen erwerbstätig. Die übrigen sind aus dem Berufsleben herausgedrängt worden. Diese Dinge sind in dem Bericht der Bundesregierung nicht kritisch beleuchtet.
Es gab eine neue Form der Zusammenarbeit mit den Nichtregierungsorganisationen. Wir stellen dies als einen erfreulichen Fortschritt fest. Aber, Frau Nolte, warum nicht gleich den zweiten Schritt machen - ich weiß, es geschah unter Ihrer Vorgängerin, Frau Merkel - und den Bericht der Nichtregierungsorganisationen in den offiziellen Regierungsbericht
aufnehmen, statt ihn getrennt zu veröffentlichen? Das war wirklich nicht nötig. Ich finde, Sie sollten einen neuen Anlauf nehmen und in Zukunft kooperativer arbeiten.
Das Ziel der Weltfrauenkonferenz soll sein, die Zusammenarbeit zwischen den Regierungen und den praxisnäher arbeitenden Nichtregierungsorganisationen zu verbessern. Wir empfehlen Ihnen wirklich, auf dem vorher eingeschlagenen Weg stärker fortzufahren.
Ein weiterer Punkt - dazu gibt es einen interfraktionellen Antrag - ist die Teilnahme aller Frauengruppen in Peking, die das wollen. Es darf nicht sein, daß die chinesische Regierung Druck auf die Vereinten Nationen ausübt, daß Lesben, Prostituierte oder Exiltibeterinnen von der Teilnahme ausgeschlossen werden.
Wenn die Weltgemeinschaft beschlossen hat, die Weltfrauenkonferenz in China zu veranstalten, dann mit allen Frauen dieser Welt und nicht nur mit denen, die der chinesischen Regierung genehm sind.
Das Wort hat die Bundesministerin, Frau Nolte.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es sind nur noch wenige Wochen bis zum Beginn der Vierten Weltfrauenkonferenz, einer Aktion für Gleichberechtigung, Entwicklung und Frieden, die vom 4. bis 15. September 1995 in Peking stattfinden wird und die für mich den vorläufigen Höhepunkt in einer Reihe von Weltkonferenzen bildet, die deutlich gemacht haben, daß die weltweite Stärkung der Frauenrechte eine unabdingbare Forderung der Völkergemeinschaft ist. Ohne eine Verbesserung der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Teilhabe der Frauen läßt sich Politik in keinem der für die Zukunft der Menschheit so entscheidenden Bereiche erfolgreich gestalten.
Mit der Zusammenführung der Ergebnisse des Umweltgipfels in Rio 1992, der Menschenrechtsweltkonferenz in Wien 1993, der Weltbevölkerungskonferenz in Kairo 1994, des Sozialgipfels in Kopenhagen im März dieses Jahres im Abschlußdokument der Vierten Weltfrauenkonferenz soll, wie Gertraude Mongella, die Generalsekretärin der Pekinger Konferenz, ihren Anspruch formulierte, „das Schlüsseldokument für die soziale Entwicklung im 21. Jahrhundert" geschaffen und sollen damit wichtige Weichenstellungen für die Zukunft der Menschen vorgenommen werden.
Das Recht der Frauen auf Selbstbestimmung und die Verbesserung ihrer politischen, sozialen, wirtschaftlichen und gesundheitlichen Situation sind nicht nur Voraussetzung für die Gleichberechtigung der Geschlechter und für die Gewährleistung der
Bundesministerin Claudia Nolte
Menschenrechte an sich. Dies sind vielmehr auch notwendige Grundlagen für die nachhaltige, erfolgreiche Wirkung z. B. aller Bevölkerungs- und Entwicklungsprogramme.
Weltweit haben insbesondere in den letzten zwei Jahrzehnten die Frauen durch ihre Aktivitäten, durch beständiges und zähes Ringen dazu beigetragen, daß ihre Situation ins Blickfeld gerückt wurde, daß das Gebot der Gleichberechtigung und Förderung von Frauen von der Staatengemeinschaft anerkannt wurde. Auf dieser Grundlage gilt es, in Peking die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf die Situation von Frauen zu richten und sie für die nach wie vor vorhandenen Ungleichgewichte zwischen den Geschlechtern zu sensibilisieren. Die Hindernisse für die rechtliche, ökonomische, soziale und kulturelle Gleichberechtigung von Frauen sind zu benennen und vor allem Maßnahmen zu deren Beseitigung zu formulieren. Von Peking muß ein Signal für Gleichberechtigung, für Entwicklung und für Frieden ausgehen.
Dem Abschlußdokument dieser Konferenz wird daher eine besondere Bedeutung zukommen. Leider wird dessen Vorbereitung diesen hohen Anforderungen noch nicht gerecht. Der Entwurf für die Aktionsplattform läßt zu vieles noch offen: die Möglichkeit, durch zähes Ringen und harte Detailarbeit in Peking daraus das Schlüsseldokument zu machen, aber auch die Möglichkeit, hinter das bisher Erreichte zurückzufallen. Grundsätzlich strittig sind nach wie vor z. B. wichtige Passagen zu Menschenrechten, zu Fortpflanzungsrechten und Fortpflanzungsgesundheit, zu Bildung und Ausbildung.
Für die Bundesregierung hat die Anerkennung und Durchsetzung der Menschenrechte von Frauen als eines integralen Bestandteils der unteilbaren, unveräußerlichen und universellen Menschenrechte in Peking Priorität. Es ist gut, daß wir dabei die breite Unterstützung aller Fraktionen des Deutschen Bundestages haben. Ohne die Wahrung der Menschenrechte von Frauen und Mädchen ist Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern nicht zu erreichen.
Für mich geht es in Peking nicht nur darum, sich auf die Formulierung der Menschenrechtsweltkonferenz zu beziehen. Wir müssen diese bestärken und konkrete Strategien entwickeln, damit Regierungen und Institutionen ihre Bemühungen verstärken, die Menschenrechte von Frauen und Mädchen zu schützen und zu fördern. Geschlechtsspezifische Gewalt und alle Formen der sexuellen Belästigung und Ausbeutung sind unvereinbar mit der Würde des Menschen, sind Menschenrechtsverletzungen, die bekämpft werden müssen. Dazu gehören insbesondere Vergewaltigungen, Frauenbeschneidungen, vorgeburtliche Selektion je nach dem Geschlecht des Kindes, Zwangsabtreibungen und Zwangssterilisationen.
Vor diesem Hintergrund stellt sich die Auswahl des Tagungsortes der Konferenz als sehr problematisch dar. Uns liegen verschiedene Berichte über Menschenrechtsverletzungen in China vor. In meinem Gespräch mit der Vizepräsidentin des chinesischen Volkskongresses und Vorsitzenden des Allchinafrauenverbandes, Frau Chen Muhua, habe ich mich entschieden gegen die Diskriminierung von Mädchen sowie die Einkindpolitik mit Zwangsabtreibungen und Zwangssterilisationen als eklatante Menschenrechtsverstöße gewandt und meine Hoffnung zum Ausdruck gebracht, daß die Konferenz positive Auswirkungen auf die Menschenrechtssituation in China insgesamt haben wird.
Meine Damen und Herren, für die Bundesregierung steht fest, daß die Aktionsplattform von Peking auf den Ergebnissen von Rio, Wien, Kairo und Kopenhagen aufbauen muß. Die auf diesen Konferenzen von der Staatengemeinschaft im Konsens akzeptierten Grundsätze müssen jetzt auf der Weltfrauenkonferenz in konkrete Handlungsstrategien umgesetzt werden. Das gilt für mich nicht nur für die Menschenrechte, sondern auch z. B. für die in Kairo erreichte Übereinkunft über Fortpflanzungsrechte und Fortpflanzungsgesundheit oder die in Kopenhagen vereinbarte 20/20-Regelung in der Entwicklungspolitik. Ich bin entschlossen, alles dafür zu tun, daß diese Ergebnisse weiterentwickelt werden. Dazu brauchen wir aber die Zustimmung aller an dieser Konferenz beteiligten Staaten. Dies wird, wie die Erfahrungen der Vergangenheit zeigten, nicht leicht sein.
Die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen in allen Bereichen und auf allen Ebenen des politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens ist für mich und meine Kolleginnen in der Europäischen Union ein zentrales Anliegen.
Im internationalen Vergleich schneiden wir in Deutschland hinsichtlich Bildung und Berufsausbildung von Frauen gut ab. Rechtlich sind Frauen Männern hinsichtlich des Zugangs zu allen Ressourcen gleichgestellt. Dennoch kann auch in Deutschland nicht von einer gleichberechtigten Teilhabe von Frauen in allen Lebensbereichen gesprochen werden. Die hohe Arbeitslosigkeit und die Situation der Frauen insbesondere in den neuen Bundesländern, die Vertretung in parlamentarischen Gremien, in den Parteien, die Stellung von Frauen im Beruf sowie die Einkommenssituation von Frauen, die Situation behinderter Frauen, die Doppelbelastung von Frauen durch Familien- und Erwerbsarbeit verdeutlichen dies beispielhaft.
Der Bericht der Bundesregierung für die Vierte Weltfrauenkonferenz nimmt zu diesen und anderen kritischen Punkten klar Stellung. Zum Beispiel stellt er fest:
Das Einstellungsverhalten der Betriebe zeigt deutlich, daß männliche Bewerber um Ausbildungsplätze bevorzugt eingestellt werden.
Er macht deutlich, daß auch in Deutschland weitere Fortschritte zu mehr Gleichberechtigung dringend notwendig sind. Mit der Grundgesetzergänzung, dem Gleichberechtigungsgesetz, den frauenspezifischen Regelungen zur Arbeitsmarktpolitik und mit der Anerkennung von Pflege- und Erziehungslei-
Bundesministerin Claudia Nolte
stungen in der Rente haben wir bereits wichtige Etappen zurückgelegt. Ich wünsche mir - und dafür arbeite ich -, daß wir in diesen Bereichen zu weiteren Fortschritten kommen werden.
Meine Damen und Herren, parallel zur Regierungskonferenz findet das Forum der Nichtregierungsorganisationen statt. Zu diesem Frauenforum haben sich 36 000 Personen angemeldet, und es gibt rund 5 000 Anfragen in bezug auf Veranstaltungen oder Stände.
Die Behandlung dieses Forums durch das Gastgeberland hat in den letzten Monaten zu Recht zu wachsendem Unmut und weltweitem Protest geführt. Im April dieses Jahres wurde es von der chinesischen Regierung von Peking nach Huairou, rund 50 km vom Veranstaltungsort der Vierten Weltfrauenkonferenz entfernt, verlegt. Ich habe zu dieser Vorgehensweise Chinas mehrfach eindeutig Stellung genommen; denn für mich ist der Austausch von Informationen und Ansichten zwischen den Teilnehmerinnen der Regierungskonferenz und des NRO-Forums elementar. Er gehört zur guten Tradition pluralistischer und demokratischer Kultur.
Seit einigen Tagen ist nun endgültig klar, daß es bei Huairou als Ort des Forums der Nichtregierungsorganisationen bleiben wird. Trotz weltweiter Intervention, nicht zuletzt durch die Europäische Union, war die chinesische Regierung nicht bereit, Räumlichkeiten zentral in Peking zur Verfügung zu stellen. Ihre Zusage, die technische Ausstattung und die Verkehrsanbindung vom Forum zur Regierungskonferenz zu verbessern, ist für mich nur eine Notlösung.
Die EU-Präsidentschaft hat, damit die Zusagen unbedingt eingehalten werden, die Absicht geäußert, eine Demarche an die chinesische Regierung zu richten. Ich habe dies ausdrücklich unterstützt.
Durch die räumliche Trennung ist eine fruchtbare Kommunikation zwischen Forum und Regierungskonferenz zumindest erheblich erschwert. Auch Parlamentarierinnen ist außerhalb der Regierungsdelegation eine angemessene Beteiligung nicht möglich. Aus diesem Grund habe ich entschieden, weitere Vertreterinnen von Nichtregierungsorganisationen und Parlamentarierinnen in die offizielle Regierungsdelegation aufzunehmen.
Der regelmäßige Informationsaustausch mit deutschen Nichtregierungsorganisationen - sowohl denen, die am NRO-Forum teilnehmen, als auch denen, die zur Regierungskonferenz zugelassen werden - ist mir ein wichtiges Anliegen. Wir werden daher rechtzeitig Vereinbarungen für Gespräche vor Ort treffen, um auch auf diese Weise Bedingungen für eine möglichst reibungslose Kommunikation zu schaffen.
Abschließend möchte ich an dieser Stelle die Gelegenheit nutzen, all den Frauen herzlich zu danken, die in ihren Organisationen, aber auch im nationalen Vorbereitungskomitee und in den Arbeitsgruppen zur nationalen Vorbereitung der Vierten Weltfrauenkonferenz beigetragen haben durch Informations-und Diskussionsveranstaltungen und vor allem durch in akribischer Kleinarbeit erarbeitete Stellungnahmen zur Aktionsplattform.
Peking wird aber nur eine Etappe bleiben. In jedem Fall wird es notwendig sein, über die Vierte Weltfrauenkonferenz hinaus den in Gang gesetzten Dialog fortzusetzen. Auf einer Konferenz mit den an der nationalen Vorbereitung beteiligten Frauen wollen wir die Ergebnisse von Peking auswerten und diskutieren. Mein Ziel ist es, so den Impuls aus der Vorbereitung und aus der Weltfrauenkonferenz selbst auch nach Peking für unsere nationale Gleichberechtigungspolitik zu nutzen.
Das Wort hat die Kollegin Dr. Edith Niehuis.
Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegen und Kolleginnen! Als 1985 auf der Dritten Weltfrauenkonferenz in Nairobi ein umfangreiches Strategiedokument und Resolutionen zum Thema „Gleichheit - Entwicklung - Frieden" beschlossen wurden, hofften die Frauen der Welt, daß sich ihre Situation von nun an verbessern würde, daß die Gleichstellung von Frauen voranschreiten würde. Zehn Jahre danach müssen wir feststellen, daß sich hier und dort zwar die rechtliche Situation der Frauen verbessert haben mag, die tatsächliche Situation allerdings nicht. Ganz im Gegenteil: Die Frauenarmut ist seither weltweit gewachsen - auch in der Bundesrepublik. Die Frauenarbeitslosigkeit hat weltweit zugenommen - auch in der Bundesrepublik. Gewalt gegen Frauen existiert ungebremst öffentlich und im verborgenen. In der Bundesrepublik guillen Frauenhäuser über. Frauen leiden als Migrantinnen und Flüchtlingsfrauen - auch in der Bundesrepublik. Mädchen- und Frauenhandel nimmt zu - besonders auch in Europa.
Die Menschenrechte der Frauen werden weltweit verletzt. Die Situation der Frauen hat sich nicht verbessert, sondern verschlechtert. Frauenfeindliche Tendenzen nehmen zu. So mancher schwer erkämpfte Fortschritt ist gefährdet, und manchmal auch in der Bundesrepublik.
Zu Recht erwarten die Frauen von der Vierten Weltfrauenkonferenz in Peking, daß dort Beschlüsse gefaßt werden, die ganz konkrete Schritte zur Durchsetzung der Menschenrechte von Frauen und zur Umsetzung der Gleichstellung beinhalten. Weltfrauenkonferenzen sind Regierungskonferenzen, d. h. die Regierungen müssen sich bewegen, wenn sich überhaupt etwas für die Frauen bewegen soll. Darum hat jede Frau, denke ich, zunächst auf ihre eigene Regierung zu schauen, wenn sie ihre Erwartung umgesetzt sehen will. Ein Blick auf die deutsche Regierung gibt leider keinen großen Anlaß zur Hoffnung.
Weltfrauenkonferenzen haben nur eine Chance auf Erfolg, wenn zwei Punkte gewährleistet sind: Erstens. Regierungen müssen bereit sein, eine kritische Bestandsaufnahme über die Situation der Frauen zehn Jahre nach Nairobi vorzunehmen, Defizite aufzuzeigen und konkretes Regierungshandeln anzukündigen. Zweitens. Regierungen müssen bereit sein, in der Vorbereitungsphase, in der Umsetzungs-
Dr. Edith Niehuis
und Nachbereitungsphase den kritischen Dialog mit den Frauennetzwerken, mit den Nichtregierungsorganisationen zu führen. In beiden Punkten hat die Bundesregierung in der Vorbereitungsphase versagt.
Als das damalige Ministerium für Frauen und Jugend 1992 das nationale Vorbereitungskomitee gründete, in dem überwiegend Frauen aus Nichtregierungsorganisationen mitwirkten, und Frauen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen aufgefordert wurden, in zwölf Arbeitsgruppen zu Aspekten der Frauenpolitik mit Blick auf die Weltfrauenkonferenz tätig zu werden, war dies ein guter Start. Schließlich entsprach dies einer Aufforderung der Vereinten Nationen, den Vorbereitungsprozeß zur Stärkung des Frauennetzwerkes und der Frauenpolitik zu nutzen. Die Frauen bei uns haben zwei Jahre lang engagiert gearbeitet. Doch leider, muß ich sagen, war die Bundesregierung eine unzuverlässige Partnerin.
Anders als zugesagt hat die Bundesregierung es vermieden, die Ergebnisse der zwölf Arbeitsgruppen in ihrem nationalen Bericht zu verarbeiten. Sie hat es vermieden, die Ergebnisse der Arbeitsgruppen als Anhang zum nationalen Bericht zu veröffentlichen. Und anders als zugesagt hat das nationale Vorbereitungskomitee keine Gelegenheit bekommen, über den nationalen Bericht der Bundesregierung, der die Situation der Frauen in Deutschland beschreibt, zu diskutieren.
Ihr Lob, Frau Ministerin, wird den Frauen sicherlich guttun. Aber ich sage genauso ganz deutlich: Sie haben das Engagement der Frauen in Deutschland nicht genutzt, sondern die Frauen enttäuscht.
Sie haben das nationale Vorbereitungskomitee eigentlich zu einem Feigenblatt verkommen lassen und damit das Frauennetzwerk und mit ihm die Frauenpolitik geschwächt. Dies ist kein gutes Omen für die Vierte Weltfrauenkonferenz in Peking.
Die nationalen Berichte der Regierungen haben eine große Bedeutung für die Weltfrauenkonferenz. In ihnen wird deutlich, inwieweit die einzelnen Regierungen bereit sind, zehn Jahre nach Nairobi auch eine kritische Bilanz zu ziehen, nicht nur Erfolge, sondern auch Defizite aufzuzeigen. Nur das Benennen von Defiziten gibt doch die Chance, zukünftig konkrete Politik für Frauen zu entwickeln und umzusetzen. Diese Chance hat die Bundesregierung willentlich vertan.
Der von Ihnen vorgelegte nationale Bericht ist weit davon entfernt, eine wirklichkeitsnahe und wahrheitstreue Darstellung der Probleme und Erfolge bei der Umsetzung der Strategien von Nairobi zu sein.
Liest man den Bericht über die Gleichstellung der Frau im Erwerbsleben, dann stellt man fest, daß die Bundesregierung über noch so eindeutige Zahlen der Frauenbenachteiligung mit einer Nonchalance hinweggeht, daß es Frauen nur empören kann. So heißt es in dem Bericht wortwörtlich, Teilzeitarbeit sei eine Domäne der Frauen,
und die geringfügigen sozialversicherungsfreien Beschäftigungen spielten für Frauen eine große Rolle.
Welch eine Erfolgsstory der erwerbstätigen Frau, könnte man meinen.
Leider versäumen Sie, in Ihrem Bericht das tragische Ende dieser Erfolgsstory mitzuerzählen. Sie behaupten ganz im Gegenteil, in Deutschland gebe es keine Altersarmut. Daß vier Fünftel der über 65jährigen Sozialhilfeempfänger Frauen sind, wird geflissentlich verschwiegen. Daß Frauen nur 42 % der durchschnittlichen Rente der Männer erhalten, findet man wohl im Statistik-, aber nicht im Analyseteil, wohin es eigentlich gehört hätte.
Indem Sie Daten verschweigen und Zusammenhänge nicht herstellen, führen Sie die Weltöffentlichkeit mit Ihrem Bericht über die Situation der Frauen im Industrieland Deutschland hinters Licht.
Erklärungs- und analysebedürftig wäre auch die Tatsache gewesen, warum sich die verbesserte Ausbildung von Frauen nicht in besseren beruflichen Möglichkeiten niederschlägt. Erklärungs- und analysebedürftig wäre die Tatsache gewesen, warum die Geburtenziffern in der Bundesrepublik europaweit im unteren Bereich liegen. Die rapide fallende Geburtenrate in den neuen Bundesländern nach der Wende wird völlig verschwiegen.
Kurzum: Sie verschweigen in dem nationalen Bericht, daß es die Frauen sind, die in Deutschland die persönlichen, sozialen und ökonomischen Lasten der Vereinbarkeit von Beruf und Familie faktisch alleine zu tragen haben.
Um die verheerend hohe Frauenarbeitslosigkeit in den neuen Bundesländern wegzudiskutieren, stellt die Bundesregierung hingegen fest - ich zitiere -:
Eine echte Wahlmöglichkeit zwischen Familie und Beruf gab es in der DDR im Gegensatz zur Bundesrepublik Deutschland aus ideologischen Gründen nur in Ausnahmen.
Das heißt, Sie gaukeln der Welt in Ihrem nationalen Bericht vor, es gäbe in Deutschland eine echte Wahlmöglichkeit zwischen Familie und Beruf, keine geschlechtsspezifischen Ideologien, keine patriarchalischen Strukturen.
Dr. Edith Niehuis
Und weil die Bundesregierung wider besseres Wissen diesen Eindruck vermitteln möchte, fällt das Kapitel „Gewalt gegen Frauen" ausgesprochen dürftig aus. Spätestens an dieser Stelle hätte gesagt werden müssen, daß es die auch in der Bundesrepublik Deutschland vorhandene patriarchalische Ideologie ist, die, weil Frauen untergeordnete verfügbare Wesen sind, Gewalt gegen Frauen in diesem Ausmaß überhaupt erst ermöglicht.
Anders als Sie Ihren Bericht hier gelobt haben, hat sich die Bundesregierung mit diesem nationalen Bericht völlig zu Recht lächerlich gemacht, vom Forum der Nichtregierungsorganisationen angefangen bis hin zur Katholischen Frauengemeinschaft. Letztere stellt in ihrer Stellungnahme fest, daß - ich zitiere -„die Generalsekretärin der Vierten Weltfrauenkonferenz, Gertraude Mongella, darauf hingewiesen habe, daß sie keinen Jubelbericht erwarte, sondern eine wahrheitsgetreue Darstellung der Probleme und Erfolge. Die katholischen Frauen Deutschlands bedauern, daß der Bericht der Bundesregierung dieser Erwartung nur in wenigen Teilen entspricht." Diesem Bedauern können wir uns nur anschließen.
Wir bedauern dies um der Frauen in Deutschland willen, aber auch um des Erfolgs der Weltfrauenkonferenz willen. Mit großer Sorge beobachten wir, daß die UN-Konferenzen den Entwurf der Aktionsplattform, die in Peking verabschiedet werden soll, von Verhandlung zu Verhandlung verschlechtert haben. Es besteht die Gefahr, daß die Beschlüsse der Vierten Weltfrauenkonferenz weit hinter die Ergebnisse früherer UN-Konferenzen in Wien, Rio, Kairo und Kopenhagen zurückfallen. Die Leidtragenden werden auch die Frauen in den Industrieländern, aber sehr viel mehr die Frauen in den Entwicklungsländern sein.
Frau Grießhaber hat hier völlig zu Recht auf die problematische Menschenrechtssituation in China hingewiesen. Peking ist ein problematischer Veranstaltungsort. Wir werden in Peking auf den Dialog mit Nichtregierungsorganisationen angewiesen sein. Insofern begrüße ich den interfraktionellen Antrag, den wir heute gemeinsam vorgelegt haben. Mit aller Kraft müssen wir darauf drängen, daß die chinesische Regierung ihre Behinderung der Nichtregierungsorganisationen aufgibt.
Seitens der SPD möchte ich Sie, Frau Nolte, wie Sie es eben angekündigt haben, ausdrücklich ermutigen, im europäischen Verbund Ihre Stimme zu erheben, um die zu befürchtende Verwässerung des Aktionsplanes zu verhindern und um klare fortschrittliche Entscheidungen für die Frauen zu treffen.
National wird es nach der Weltfrauenkonferenz darauf ankommen, daß wir die Ergebnisse in der Bundesrepublik nachbereiten und umsetzen. Wir erwarten dann von der Bundesregierung, daß sie die
Unzuverlässigkeit in der Vorbereitungsphase nicht wiederholt, sondern sich kooperativ und als verbindliche Partnerin auch gegenüber den Nichtregierungsorganisationen verhält.
Das Wort hat die Kollegin Dr. Irmgard Schwaetzer .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Es war zweifellos ein mutiger Schritt, die Vierte UN-Weltfrauenkonferenz nach China einzuladen. Bei den Vorbereitungen kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß die chinesischen Verantwortlichen erst in einem relativ späten Stadium entdeckt haben, daß dies keine Propagandaschau nach kommunistischem Muster werden kann und werden darf, sondern daß sich die Nichtregierungsorganisationen auf jeden Fall die Freiheit nehmen werden, das zu sagen, was sie sich vorgenommen haben, nämlich auch gegen Menschenrechtsverletzungen in China und wo auch immer auf der Welt zu protestieren.
Wahrscheinlich war das der Grund, weshalb die chinesischen Verantwortlichen versucht haben, daß Forum der Nichtregierungsorganisationen sozusagen in ein kleines Ghetto 60 km außerhalb von Peking zu verlegen. Ich sage an dieser Stelle, daß es mutig gewesen wäre, während der letzten Vorbereitungsrunde im April in New York eine klare Entscheidung zu treffen, die besagt hätte: Entweder ist auch das Forum der Nichtregierungsorganisationen mitten in Peking, oder aber die Konferenz wird z. B. nach Australien verlegt.
Zu diesem Schritt hat sich leider auch die Bundesregierung nicht aufraffen können. Ich fürchte, daß es jetzt zu spät ist, um das Ganze noch offenzuhalten. Das heißt, es geht jetzt darum, daß die Bundesregierung wirklich alles daransetzt, diese Konferenz doch noch zu einem Erfolg zu führen. Ich sage das in bezug auf zwei Dinge: sowohl in bezug auf die Organisation als auch auf den Inhalt der Aktionsplattform. Beides ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt der Vorbereitung völlig unbefriedigend.
Zur Organisation: Liebe Kolleginnen und Kollegen, es muß wirklich klar sein, daß die Regeln, die jetzt für die Zulassung der Nichtregierungsorganisationen gefunden worden sind und die die Möglichkeit für Tibeterinnen sowie chinesische Dissidentinnen oder Oppositionelle bieten, ein Visum für Peking zu erhalten, durchgesetzt werden. Es muß möglich sein, daß sich Frauen, die Menschenrechtsverletzungen sowohl in China als auch in Tibet miterlebt haben, dazu äußern können.
Dr. Irmgard Schwaetzer
Es geht schließlich um Zwangssterilisationen, es geht um Zwangsabtreibungen, es geht um die Tötung neugeborener Kinder, es geht um zwangsweise Umsiedlungen von Tibetern, es geht um Folter bei willkürlicher Inhaftierung und es geht um Tötungen in Haft. Bei all diesen Dingen dürfen wir nicht zuschauen und selbstverständlich nicht schweigen. Wenn diese Konferenz dort stattfindet, muß das auch thematisiert werden.
Ich denke, auch daraus wird klar werden, daß wir Anstöße geben wollen. Denn letztlich kann eine positive wirtschaftliche Entwicklung, wenn sie in Unfreiheit stattfindet, nicht befriedigen. Sie wird auch nicht dauerhaft friedlich verlaufen.
Zum Inhalt der Aktionsplattform. Auch hier wird die Bundesregierung noch viel Arbeit investieren müssen. Es war der ganz große Durchbruch der Menschenrechtskonferenz von Wien 1993, festzuschreiben, daß Menschenrechtsverletzungen unteilbar sind und daß sie keinerlei kulturelle Relativierung vertragen. Was in der Aktionsplattform jetzt schon enthalten ist, bedeutet an vielen Stellen eine unerträgliche kulturelle Relativierung von Menschenrechtsverletzungen, die, wie ich finde, bedauerlicherweise auch hier bei uns in manchen der öffentlichen Diskussionen nicht ganz ausgeschlossen ist und der wir mit Entschiedenheit entgegentreten müssen.
Die Ächtung von Menschenrechtsverletzungen
und der Konsens von Wien müssen sich in der Aktionsplattform wiederfinden, sonst darf diese Aktionsplattform für die Bundesregierung nicht akzeptabel sein.
Aber gerade weil die innenpolitische Auseinandersetzung hier eine Rolle gespielt hat, lassen Sie mich auch noch einen innenpolitischen Aspekt ansprechen: Frau Nolte, Sie haben sich auch zu den Rechten von Ausländerinnen bekannt. Ich wünschte mir, daß wir gemeinsam - auch mit Ihnen - in der Bundesrepublik Deutschland durchsetzen könnten, daß auch ausländische Ehefrauen von Beginn ihres Aufenthaltes an ein eigenständiges Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland haben.
Es ist wirklich nicht zu akzeptieren, daß Frauen von ihren Ehemännern abgeleitete Rechte haben. Wieso stellen wir eigentlich Ausländerinnen schlechter als Deutsche?
Es ist auch wichtig, daß Vergewaltigung in der Bundesrepublik Deutschland nicht nur rechtstatsächlich als Asylgrund ausreicht, wie es derzeit praktiziert wird, sondern auch im Gesetz als eigenständiger Asylgrund definiert wird.
Die Aktionsplattform bleibt auch in für Frauen existentiellen Fragen wie z. B. bei der Familienplanung hinter dem zurück, was auf anderen UN-Konferenzen erreicht worden ist. Familienplanung ist gerade für Frauen in der Dritten Welt eine existentielle Frage. Frauen sind diejenigen, die auch die wirtschaftlichen Grundlagen für ihre Familien sichern und die deshalb nicht staatlicher Willkür ausgesetzt werden dürfen. Deswegen ist es notwendig, daß auch das Ergebnis von Peking deutlich festschreibt, daß die Methoden der Familienplanung selbständig und eigenverantwortlich von einem Paar entschieden werden dürfen.
Dies sehe ich auch im Zusammenhang mit einem anderen Problem, das uns sehr bedrücken muß, nämlich mit der Frauenbeschneidung. Frauenbeschneidung darf keine Frage der kulturellen Eigenständigkeit oder der kulturellen Gegebenheiten eines Landes sein. Frauenbeschneidung ist ein lebensbedrohender Eingriff für die jungen Mädchen und Frauen, die sich dem unterziehen müssen. Deshalb muß die Aktionsplattform sicherstellen, daß dies weltweit verboten wird.
Lassen Sie mich zum Abschluß noch etwas zu einem Punkt sagen, der uns auch in der Vorbereitung unseres eigenen Antrages zur Entwicklungspolitik sehr bewegt hat: Die Aktionsplattform könnte in ihrer gegenwärtigen Formulierung den Eindruck vermitteln, daß schon dann, wenn eine ausreichende Entwicklung stattgefunden habe, Frauenrechte umfassend gewährleistet seien. Wir Frauen in den Industrieländern wissen, daß dies nicht der Fall ist. Ich bitte deshalb die Bundesregierung, sorgfältig darauf zu achten, daß ein solcher Eindruck in der Aktionsplattform nicht festgeschrieben wird.
Meine Damen und Herren, es gibt insgesamt wirklich noch viel zu tun. Aber wenn die Konferenz denn stattfindet: Fahren wir hin und geben wir Anstöße, damit sich die Entwicklung für Frauen weltweit verbessert.
Das Wort hat die Kollegin Petra Bläss.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die unter dem Motto „Aktion für Gleichberechtigung, Entwicklung und Frieden" im September dieses Jahres in Peking stattfindende Vierte Weltfrauenkonferenz der Vereinten Nationen ist eine Chance, die Situation von Frauen weltweit ins öffentliche Bewußtsein zu bringen und kritisch zu analysieren sowie gemeinsam wirkungsvolle Wege zu finden, ihre strukturelle Benachteiligung abzubauen und Veränderungen hin zu einer realen Chancengleichheit der Geschlechter in Angriff zu nehmen.
Um die hochgesteckten Ziele - die Verwirklichung der 1985 in Nairobi beschlossenen Zukunftsstrategien für Aktionen zur Förderung der Frauen zu über-
Petra Blass
prüfen sowie eine verbindliche Aktionsplattform zur verbesserten Umsetzung der Strategien zu verabschieden -, zu erfüllen, reicht es allerdings bei weitern nicht aus, sich auf hehre Absichtserklärungen und Fassadenverschönerungen zu beschränken; denn die Lage von Frauen hat sich im zurückliegenden Jahrzehnt im Weltmaßstab nicht entscheidend verbessert. Nach wie vor sind sie durch die patriarchal strukturierte Gesellschaft von der Entscheidungsfindung in allen gesellschaftlichen Bereichen weitgehend ausgeschlossen.
Frauen werden — mit graduellen Unterschieden - in allen Regionen der Erde wegen ihres Geschlechts benachteiligt und diskriminiert. Sie haben weder ausreichende wirtschaftliche noch politische Macht, sind in überproportionalem Maße Opfer von Kriegen und militärischen Auseinandersetzungen und werden wegen ihres Geschlechts verfolgt oder mißhandelt. Noch immer werden der Hälfte der Menschheit elementare Menschenrechte wie das Recht auf Freiheit und Sicherheit der Person vorenthalten. Noch immer wird Gewalt gegen Frauen nicht als Menschenrechtsverletzung geächtet.
Frauenrechte sind Menschenrechte, und Menschenrechte sind unteilbar - eine Selbstverständlichkeit, die noch lange nicht selbstverständlich ist. Die volle Verwirklichung der Menschenrechte für Frauen erfordert gravierende strukturelle Veränderungen in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens. Die bestehenden Strukturen der internationalen Wirtschaftsbeziehungen orientieren sich ausschließlich an den marktwirtschaftlichen Modellen der patriarchalen Wachstums- und Leistungsgesellschaft der nördlichen Industriestaaten.
Zu Recht verweisen NGOs auf besorgniserregende Defizite bei den regionalen Regierungstreffen im Vorfeld der Pekinger Konferenz. Es gibt einen starken Widerstand dagegen, wirtschaftliche Probleme wie Strukturanpassung, ungerechte Handelsbeziehungen, Verschuldung, nachhaltige Landwirtschaft, Konsumgewohnheiten in den Industrieländern und umweltzerstörendes Handeln anzusprechen. Es besteht eine Tendenz, Lippenbekenntnisse zu Frauenrechten zu formulieren, ohne die Bedingungen in Betracht zu ziehen, unter denen diese Rechte realisiert werden können.
Es gibt keine oder nur unzureichende Anerkennung für die lesbische Lebensweise und die Bedürfnisse von behinderten Frauen, von eingeborenen Frauen und den Frauen in den früheren sozialistischen Staaten. Der bisherige Stand der Erarbeitung der Aktionsplattform auf UN-Ebene hat deutlich werden lassen, daß einer Debatte um die politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ausgewichen wird und die Gefahr nicht von der Hand zu weisen ist, über eine Politik der kleinen Schritte die notwendigen Strukturveränderungen aus dem Blick zu verlieren. Befürchtungen, daß die Pekinger Dokumente hinter die Ergebnisse der Kairoer Weltbevölkerungskonferenz und der Wiener Menschenrechtskonferenz zurückgehen, sind nicht grundlos.
Gestatten Sie mir einige kurze Anmerkungen zum Vorbereitungsprozeß auf nationaler Ebene. Der im Herbst 1994 vorgelegte nationale Bericht zeigt den Unwillen der Bundesregierung, eine realistische Bilanz der Situation von Frauen in der Bundesrepublik zu ziehen. Spezifische Erfahrungen ostdeutscher Frauen sowie globale Fortschritte und Probleme seit der letzten Weltfrauenkonferenz in Nairobi werden völlig unzureichend berücksichtigt. Die Entwicklung von 1985 bis 1994 wird als kontinuierlicher frauenpolitischer Prozeß dargestellt. Damit werden die dramatischen Veränderungen im Leben der Ostfrauen ebenso ignoriert wie die Kompliziertheit des deutschen Einigungsprozesses.
Von einem ehrlichen Dialog zwischen Regierung und Nichtregierungsorganisationen im nationalen Vorbereitungsprozeß kann nach dem skandalösen Umgang mit der quantitativ und qualitativ maßstabsetzenden Arbeit von über 300 Frauen in den zwölf Arbeitsgruppen des nationalen Vorbereitungskomitees wohl nicht die Rede sein. Die nämlich sind - ebenso wie das NRO-Frauenforum in seinem Memorandum - in ihrem Bericht zu dem Ergebnis gekommen: Die Armut hat insbesondere unter Frauen rapide zugenommen. Durch Frauen geleistete Arbeit wird überwiegend gar nicht als solche definiert und ist nicht existenzsichernd. Frauen sind überproportional arbeitslos oder in sozial ungeschützten Beschäftigungsverhältnissen. Frauen sind zunehmend Opfer männlicher Gewalt, vor allem in Ehe und Familie. Der Anteil von Frauen, die in Politik, Wirtschaft, Bildung oder Kultur an den Entscheidungen beteiligt sind, ist gering und geht weiter zurück.
Entscheidend nach Peking wird sein, in welchem Maße die Bundesregierung ihre vollmundigen Absichtserklärungen auf internationaler Bühne auf nationalem Parkett umsetzt; denn davon, daß die Obernahme einer fortschrittlichen Diktion noch lange keine andere Politik bedeutet, konnten wir uns am heutigen Vormittag einmal mehr überzeugen. Frau Nolte, ich kann mich noch sehr gut an Ihre Worte vor dem nationalen Vorbereitungskomitee erinnern:
Sie sprachen vom Selbstbestimmungsrecht der Frau, von Menschenrechten, die auch aus ideologisch-religiösen Gründen nicht einzuschränken sind. Ihre Rede in der heutigen Debatte um die Neuregelung des § 218 war für uns Frauen ein Schlag ins Gesicht. Ich denke, daß Sie hier ziemlich doppelzüngig argumentiert haben.
Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist wirklich sehr überzogen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Abschließend möchte ich darauf verweisen, daß wir es sehr begrüßen, daß zu zwei Aspekten, nämlich zu Frauen in den Entwicklungsländern sowie zur Einforderung angemessener Bedingungen für das parallel zur UN-Frauenkonferenz stattfindende NGO-Forum, interfraktionell zwei Anträge vorliegen. Die PDS unterstützt beide.
Nein, Frau Kollegin, jetzt müssen Sie wirklich aufhören.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Erika Reinhardt.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! 1975 fand die erste Weltfrauenkonferenz in Mexiko statt. Sie stand, wie nun die vierte Weltfrauenkonferenz in Peking, unter dem Motto „Gleichberechtigung, Entwicklung und Frieden".
Obwohl die damals gestellten Forderungen grundsätzlich an alle Länder, Regierungen und Organisationen gerichtet waren, wurden Frauen in den Entwicklungsländern besonders angesprochen. Die nationalen und internationalen Entwicklungshilfegeber wurden aufgefordert, ihre bisherige Praxis bezüglich der Projekte und Programme im Blick auf die Integration von Frauen zu überprüfen und verstärkt Maßnahmen in Entwicklungsländern zu fördern, um den Frauen zu helfen, als gleichwertige Partner am Entwicklungsprozeß teilzunehmen.
Ich danke in diesem Zusammenhang auch Minister Spranger, der in seinem Ministerium ein Frauenreferat eingerichtet hat, das uns die Chance gibt, verstärkt auf Projekte für Frauen hinzuwirken.
Die zweite Weltfrauenkonferenz in Kopenhagen 1980 setzte ihren Schwerpunkt auf Beschäftigung, Gesundheit und Bildung - Bereiche, in denen Frauen besonders benachteiligt sind. Obwohl einige Verbesserungen erreicht werden konnten, blieb das Fazit eher negativ, und es wurden weitere Verbesserungen gefordert.
Zum Abschluß der Frauendekade wurde im Jahre 1985 in Nairobi die dritte Weltfrauenkonferenz durchgeführt. Man wollte über die erreichten Ziele Bilanz ziehen. Auch sie fiel nicht positiv aus.
Zwanzig Jahre sind nun seit der ersten Weltfrauenkonferenz vergangen. Obwohl Impulse gegeben werden konnten und in einzelnen Ländern auch kleine Verbesserungen erreicht wurden, ist die Situation der Frauen in Entwicklungsländern noch immer nicht befriedigend.
Anspruch und Wirklichkeit klaffen noch sehr weit auseinander, so daß man sich fast die Frage stellt: Lohnt sich der Aufwand für solche Weltfrauenkonferenzen? Bringen sie etwas? Ich sage ja. Denn nur so werden wir auch die Weltöffentlichkeit erreichen, Mißstände aufzeigen und gemeinsam Lösungsansätze finden können. Es ist notwendig, verstärkt auf die Situation von Frauen vor allem in den Entwicklungsländern aufmerksam zu machen.
Frauen tragen die Hauptlast der Probleme, die sich aus der Unterentwicklung ergeben, und spielen im Entwicklungsprozeß eine Schlüsselrolle. In welchen
Bereichen auch immer, ob in der Umwelt, der Wirtschaft, der Bevölkerungsentwicklung, im Handwerk oder im Gesundheitswesen: Ohne Frauen wird es keinen Fortschritt geben. „Frauen werden nicht gefragt, aber sie sind die Antwort." So steht es auf einem Plakat, das auf Entwicklungsländer aufmerksam macht.
Wenn man weiß, daß über 50 % der Weltbevölkerung Frauen sind, sie aber nur 1 % des Landes besitzen, sie weltweit zwei Drittel der Arbeit leisten, aber nur ein Zehntel des Welteinkommens haben, nur 16 % aller Frauen in Entwicklungsländern eine abgeschlossene Pflichtschulausbildung besitzen, zwei Drittel aller Kinder, die niemals eine Schule besuchten oder sie zu früh verlassen haben, Mädchen sind und weltweit von 800 Millionen Analphabeten 600 Millionen Frauen sind, dann wird, glaube ich, deutlich, welchen Stellenwert Frauen noch heute in den Entwicklungsländern haben.
Ich verkenne nicht die Problematik, die sich ergibt, wenn in bestehende Kulturen eingegriffen wird; aber wir können auf der anderen Seite nicht hinnehmen und zusehen, daß in Teilen dieser Welt Mädchen aus verschiedenen Gründen nicht geboren werden dürfen, daß sie nichts wert sind oder als Handelsware gelten. Das sind grobe Menschenrechtsverletzungen gegen Mädchen und Frauen. Davor dürfen wir die Augen nicht verschließen.
Ich finde es gut und freue mich, daß wir einen gemeinsamen Antrag gestellt haben. Ich glaube, das ist ein Zeichen der Solidarität. Es ist schön, daß es uns gelungen ist, die Zielsetzungen für die Frauen in Entwicklungsländern in einem interfraktionellen Antrag so deutlich zum Ausdruck zu bringen.
Dieser Antrag enthält die wichtigsten Ziele, die im Bereich der Frauenförderung in Entwicklungsländern erreicht werden müssen. Wir fordern deshalb alle Regierungen und UN-Organisationen auf, darauf hinzuwirken, daß die Rechte der Frauen auf Beteiligung in allen gesellschaftlichen Gruppen und Institutionen durchgesetzt werden.
Durch den Aufbau einer eigenen Existenz und die Mitwirkung in der Politik haben Frauen die Chance, aktiv an der Entwicklung ihres Heimatlandes teilzunehmen. Eine aktive Beteiligung an einer Entwicklung fördert zugleich das Selbstwertgefühl der Frauen. Eine zusätzliche Stärkung verhindert nicht den Fortschritt, sondern hilft, ihn zu fördern.
Die Vierte Weltfrauenkonferenz in Peking bietet nun die Chance, dies alles deutlich zu machen. Der gemeinsame interfraktionelle Antrag soll die Grundlage für die Verhandlungen in Peking sein.
In diesem Zusammenhang möchte ich Ihnen, Frau Ministerin Nolte, ganz herzlich auch für das danken, was Sie hier gesagt haben. Ich bin ganz sicher, Sie werden uns in Peking gut vertreten.
Erika Reinhardt
Denn nur in einer gemeinsamen Anstrengung aller Staaten, internationaler Organisationen, Basisgruppen und NGOs kann es uns gelingen, weitere Verbesserungen herbeizuführen.
Frauen werden nicht gefragt, aber sie sind die Antwort. Sorgen wir dafür, daß sie auch gefragt werden.
Jetzt hat die Abgeordnete Adelheid Tröscher das Wort.
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Was für Themen haben wir heute auf der Tagesordnung? § 218, HIV und jetzt die Anträge zu Peking. Wenigstens zwei Themen befassen sich intensiv mit Frauen. Das müßte öfter so sein,
damit sich bei uns nach den langen Reden und Bekenntnissen vielleicht auch mehr tut.
Es wurde schon öfter erwähnt - ich sage es noch einmal, man kann es nicht oft genug sagen -, wie lange wir schon an den Frauenfragen arbeiten. Das gilt auch für die Vereinten Nationen. Schon 1980 legten sie nämlich der Weltöffentlichkeit folgende Statistik vor: Über die Hälfte der Menschen sind Frauen - das ist bekannt -; sie erzeugen 80 % der Weltnahrungsmittel, verrichten zwei Drittel der Weltarbeitsstunden, erhalten ein Zehntel des Welteinkommens - das ist doch mächtig -, besitzen 1 % des Eigentums, und sie stellen - das füge ich noch hinzu, und das macht dann erst den Vers gereimt - zwei Drittel aller Analphabeten auf der Welt.
Hinter diesen statistischen Angaben verbergen sich vielfältige Formen der Benachteiligung und Diskriminierung von Frauen: die ungerechte Lastenverteilung in der Familie, die wirtschaftliche Ausbeutung der Frau, der Verlust ihrer Kontrolle über Ressourcen und schließlich die ungleiche Bewertung von bezahlter und unbezahlter Arbeit.
Zwar haben das Jahrzehnt der Frau von 1975 bis 1985 und die 1979 verabschiedete Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau der Schlüsselrolle von Frauen im Entwicklungsprozeß und ihren Rechten weltweite Öffentlichkeit verschafft. Darüber hinaus wurde eine Neuorientierung internationaler Frauenpolitik eingeleitet; doch sind trotz der zahlreichen internationalen Fortschritte im Bereich der formalen Gesetzgebung die politischen Auseinandersetzungen um den Rechtsstatus der Frau keinesfalls abgeschlossen. Die uns hier vorliegenden Anträge zur Vierten Weltfrauenkonferenz verdeutlichen dies erneut.
Allgemeine Aussagen über Zusammenhänge von gesellschaftlicher Entwicklung und der Situation von Frauen sind schwierig, da die politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und eben auch religiösen Rahmenbedingungen sehr unterschiedlich sind. Dennoch erweist sich Frauendiskriminierung in den meisten traditionellen wie auch modernen Gesellschaften als Strukturmerkmal. So hat die UNDP, United Nations Development Program, wiederholt darauf hingewiesen, daß nirgendwo auf der Welt Frauen „so gut" wie Männer behandelt werden und alle Länder auf der Skala der menschlichen Entwicklung „absteigen", wenn die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern in die Indexberechnung einbezogen würde. Das macht man lieber nicht, das wäre zu gefährlich für die Männer.
Immer noch ergeben sich die unterschiedlichen Lebenslagen und -chancen zwischen Mann und Frau aus den ungleichen Zugangsmöglichkeiten zu Beschäftigung, Einkommen, wirtschaftlichen Ressourcen, Gesundheitsversorgung, Ernährung, Erziehung und Ausbildung. Soziale Entwicklungen wie grundlegende Veränderungen in traditionellen Familien-und Gesellschaftsstrukturen, Migration, Urbanisierung, der Kontrast zwischen traditioneller und moderner Lebensweise sowie oft ungünstige wirtschaftliche Entwicklungen für die Mehrheit der Bevölkerung beeinflussen in starkem Maße die Rolle der Frau in den verschiedenen Ländern der Dritten Welt. Die zunehmende Differenzierung des Südens in ärmere und reichere Länder kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß sich in den neunziger Jahren die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für die Mehrheit der Frauen nicht verbessert haben.
Fast ein Drittel der Gesamtbevölkerung in den Ländern des Südens lebt in existenzbedrohender Armut; der überwiegende Teil hiervon sind Frauen. Das Erscheinungsbild von weiblicher Armut hat unterschiedliche Facetten wie Einkommensarmut, geringes Alphabetisierungsniveau, fehlende Berufsausbildung und Altersarmut.
Frauen sind auch weiterhin nur ungenügend in den politischen und gesellschaftlichen Prozeß dieser Länder integriert. Gleichzeitig eröffnen sich aber durch Umbruchprozesse in diesen Ländern neue Chancen für Frauenpolitik - zum einen, weil das Ausmaß der Benachteiligung und Unterdrückung von Frauen stärker hervortritt, zum anderen, weil sich die Betätigungsfelder für Frauen erweitert haben. Das, was von vielen Entwicklungsorganisationen heute gepredigt wird, daß nämlich Frauen der Schlüssel zu mehr und besserer Entwicklung in Ländern der Dritten Welt sind, muß sich nun auch endlich einmal in der Politik der Bundesregierung ausdrücken.
Es muß zum selbstverständlichen Prinzip der Entwicklungszusammenarbeit werden, Männer in frauenfördernde Maßnahmen als Zielgruppe einzubeziehen
- in der stillen Hoffnung, daß sie dann auch mitmachen. Eine nachhaltige Verbesserung zugunsten der Situation von Frauen impliziert, daß die bestehenden Machtverhältnisse verändert werden. Letztendlich geht es um mehr Macht und Entscheidungsbefugnisse für Frauen. Und die gehen dann vermutlich den Männern ab; das macht den Prozeß so schwierig.
Um dies zu erreichen, ist es vor allem wichtig, daß wir uns u. a. einsetzen: für die Chancengleichheit von Mädchen und Frauen beim Zugang zur Ausbildung sowie der Berufsaus- und -fortbildung; eine eigenständige ökonomische Sicherung von Frauen; eine wirksame Gesetzgebung im Bereich der Frauenförderung; qualifikationsadäquate Beschäftigung und Bezahlung von Mädchen und Frauen; Maßnahmen, die die Vereinbarkeit von Familienarbeit und Erwerbsarbeit für beide Geschlechter sicherstellen; die tatsächliche Teilhabe der Frauen an gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen; eine deutliche Erhöhung des Anteils reiner Frauenprojekte und anderes mehr. Sie finden das in dem interfraktionellen Antrag noch einmal deutlicher beschrieben.
Wie konkret Armutsbekämpfung und Überlebenssicherung durch Frauenförderung aussehen kann, zeigt die Arbeit des Marie-Schlei-Vereins. Der 1984 in Erinnerung an die erste und einzige bundesdeutsche Entwicklungsministerin gegründete Verein fördert Frauenprojekte, die Frauen im Süden planen, durchführen und verwalten. So lernen Frauen Lederverarbeitung, Tischlerei, traditionelle Kosmetik, Elektrotechnik, Polsterei, kommunale Selbstverwaltung - das ist ein ganz wichtiger Faktor -, den Aufbau von Nahverkehrsunternehmen und vieles andere mehr.
Auch so können Frauenprojekte ein Ausweg aus Irrwegen sein. Frauenprojekte können zwar die Weltwirtschaftsordnung und die Weltarbeitsteilung nicht verändern. Sie können Frauen aber dabei unterstützen, einen eigenständigen Weg zu gehen und den Grad ihrer Ausbeutung deutlich zu vermindern.
Die Bundesregierung jedoch hat dieses brisante Thema überhaupt noch nicht begriffen. Dem Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, der eigentlich hier sein sollte
- ich begrüße den Staatssekretär -, fehlt der politische Impetus, der Drive, um es modern auszudrükken, um sich gegenüber seinen Kolleginnen und Kollegen im Kabinett durchzusetzen.
Das Beklagen und Jammern vieler Kolleginnen und Kollegen aus den Reihen der CDU im Ausschuß hinsichtlich der Etatkürzungen kann ich verstehen. Was aber tun Sie, um Ihren Minister aus seiner Loyalitätsstarre zu retten?
Nichts.
Die Versäumnisse im Etat 1995 sind eklatant. So wurden alle unsere Anträge, die Verbesserungen auch und vor allem für Frauen zum Ziel hatten, abgelehnt. Wut und Enttäuschung bei denen, die erkannt haben, daß die Frauen der Schlüssel sind, um überhaupt eine nachhaltige Entwicklungszusammenarbeit zu erreichen, sind nur allzu verständlich.
Unser kurzfristiges Denken muß endlich durch eine Konzeption, die auch ins nächste Jahrtausend reicht, abgelöst werden. Das kurzfristige Denken des Nordens führt unweigerlich zur Katastrophe, und zwar schneller, als wir denken. Wir haben uns an all die schrecklichen Bilder und Berichte gewöhnt und sitzen zu Hause im Wohnzimmer. Absurder kann man sich die Situation der Welt, die Krieg, Hunger, Armut, Mord und Tod zum Medienereignis macht, nicht vorstellen.
Ist es eigentlich die totale Unfähigkeit, daß wir einfach nicht erkennen wollen, daß es schon fünf nach zwölf ist? Die Tatenlosigkeit wird uns einholen - nicht gleich, aber ganz sicher gilt dies für die nächste Generation. Dann ist es zu spät. Jetzt zählt Handlung, nicht Lippenbekenntnisse.
Vielen Dank.
Liebe Frau Kollegin Tröscher, nachdem Ihre Fraktion tüchtig geklatscht hat, darf Ihnen nun das ganze Haus zu Ihrer ersten Rede gratulieren.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Bärbel Sothmann.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frauen sind auf dem Vormarsch. In Deutschland und auch im übrigen Europa haben sie die Männer in puncto Bildung und Ausbildung längst eingeholt. Bald werden die Akademikerinnen sogar in der Überzahl sein.
Immer mehr Frauen rücken in die Chefetagen von Wirtschaftsunternehmen und Banken vor. In Deutschland werden inzwischen neun Großstädte von Frauen regiert. Von hier aus darf ich der neuen Oberbürgermeisterin in Frankfurt, Petra Roth, noch einmal herzlichen Glückwunsch zu ihrem hervorragenden Wahlergebnis aussprechen.
Meine Damen und Herren, in Pakistan und Bangladesch, in der Türkei und in anderen Ländern ist der sogenannte mächtigste Mann im Staat eine Frau. Doch der schöne Schein trügt - selbst in Industrieländern, auch in Deutschland, wo die Gleichberechtigung der Frau seit Jahren gesetzlich verankert ist und die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen günstig sind.
Wir Frauen in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion haben eine Resolution zur Vierten Weltfrauenkonferenz in Peking verabschiedet, in der wir die Defizite in Sachen Gleichberechtigung aufgelistet haben.
Bedauerliche Tatsache ist: Die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen in allen Bereichen, auf allen Ebenen des politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens ist noch nicht hergestellt. Frauen sind überproportional von Arbeitslosigkeit betroffen. Sie haben nicht die gleichen Chancen im Erwerbsleben wie Männer. Sie sind in den Entscheidungsgremien aller Bereiche deutlich unterrepräsentiert. Die Möglichkeiten der Vereinbarkeit von Familie und Erwerbsarbeit sind unzureichend und unflexibel. Gewalt gegen Frauen stellt nach wie vor ein gravierendes Problem dar. Weltweit sind mehrheitlich die Frauen von Analphabetentum betroffen. Sie und ihre Kinder leiden am stärksten unter der Armut. Zwangsprostitution ist in vielen Ländern keine Seltenheit. Diese Zustände, meine Damen und Herren, sind unhaltbar.
Außerdem hat die Weltbevölkerungskonferenz 1994 in Kairo festgestellt, daß ohne die Einbeziehung von Frauen weder das Problem des Bevölkerungswachstums gelöst noch die Armut bekämpft werden kann. Ich erwarte, daß die Weltfrauenkonferenz in Peking die Frauen der Welt in Sachen Gleichberechtigung einen großen Schritt voranbringt.
Seit der letzten Weltfrauenkonferenz in Nairobi vor zehn Jahren sind zwar weltweit Fortschritte zu verzeichnen, aber auch Rückschritte, die es aufzuzeigen und zu analysieren gilt. Die Aktionsplattform von Peking muß konkrete Maßnahmen enthalten. Frau Schwaetzer hat dies vorhin eindrucksvoll dargestellt.
Vor allem fordern die Frauen der Unionsfraktion: Die Unteilbarkeit von Menschenrechten muß weltweit akzeptiert werden. Sie dürfen keiner wie auch immer gearteten Einschränkung durch Religion, Kultur und Tradition unterliegen. Gewalt gegen Frauen muß weltweit geächtet werden.
In diesem Zusammenhang müssen wir in Peking auch auf die Menschenrechtssituation in China hinweisen, das u. a. seine Geburtenkontrolle auf eine Art und Weise betreibt, die ganz einfach an den Pranger gestellt werden muß.
Wir fordern außerdem, daß in jedem Land der Erde die spezifischen Hindernisse der Gleichberechtigung beseitigt werden. In den Entwicklungsländern ist die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen an Bildung und Ausbildung vorrangig. Meine Vorrednerinnen haben bereits darauf hingewiesen.
In den Industrieländern, auch in Deutschland, haben Frauen vor allem Schwierigkeiten, einen ihrer meist hohen Qualifikation entsprechenden Arbeitsplatz zu finden. Sie haben Probleme, Familie und Beruf miteinander zu vereinbaren. Hier ist ein Umdenken in Unternehmen, bei politischen Entscheidungsträgern und bei jedem einzelnen Bürger erforderlich.
Ich muß Ihnen ganz ehrlich sagen: Es hat mich furchtbar entsetzt, von dem Ergebnis einer neuen Studie aus Nürnberg zu hören, nach der deutsche Männer, und zwar aller Altersgruppen, die Frauen mehrheitlich am liebsten in der traditionellen Rolle sehen. Es ist unzumutbar, daß Frauen heutzutage noch vor die Alternative gestellt werden: Familie oder Beruf. Dies schadet sowohl den Frauen als auch dem Familienleben und unserer Wirtschaft.
Unsere Gesellschaft kann es sich nicht leisten, auf die Fähigkeiten und Qualifikationen gut ausgebildeter Frauen zu verzichten. Deshalb müssen wir endlich die Rahmenbedingungen kinder- und familienfreundlicher gestalten. Ich erinnere hier nur an den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz, der dringend realisiert werden muß.
Einen großen Beitrag dazu, die Hindernisse bei der Gleichberechtigung in den einzelnen Ländern effektiv zu beseitigen, können die vielen Nichtregierungsorganisationen, also die NGOs, leisten, die parallel zur Weltfrauenkonferenz tagen werden. Verbände, Frauengruppen, Parteien können die Gleichberechtigung auf Grund ihrer vielfältigen Erfahrungen einen großen Schritt nach vorn bringen, wenn eine reibungslose Kommunikation zwischen den Foren gewährleistet ist.
Aber was sich da im Vorfeld an Behinderungen der NGOs von chinesischer Seite abzeichnet, ist ein Unding. Wir fordern daher die chinesische Regierung auf, ihre Obstruktionspolitik umgehend einzustellen, d. h., ungehinderten Zugang zum NGO-Forum zu gewähren - leider 45 km von Peking entfernt -,
Bärbel Sothmann
Rede- und Pressefreiheit zu garantieren und Frauen aus Taiwan und Tibet einreisen zu lassen. Unser interfraktioneller Antrag - er ist hier schon besprochen worden - unterstreicht dies.
Im Grundsatz sind sich über die hier angeführten Kernforderungen alle Fraktionen einig. Und das ist gut so.
Meine Damen und Herren, Peking muß ein Erfolg werden, und wir wollen dazu beitragen. Auch ich wünsche Ihnen, Frau Ministerin Nolte, viel Erfolg.
Wir müssen alles daransetzen, das immense brachliegende Potential, das in den Frauen dieser Welt steckt, zu aktivieren und zu nutzen. Davon hängt nicht weniger als unsere Zukunft ab. Oder anders, um mit der Generalsekretärin der 4. Weltfrauenkonferenz zu sprechen: Die Frauen sind nicht das Problem, sondern die Männer. - Entschuldigung, ich habe mich versprochen. Die Frauen sind nicht das Problem, sondern die Lösung.
Ich danke Ihnen.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird vorgeschlagen den Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zum Forum der Nichtregierungsorganisationen auf Drucksache 13/ 1427, den Antrag der Fraktion der SPD zur Weltfrauenkonferenz in Peking auf Drucksache 13/1441 und den Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Verwirklichung von Menschenrechten und Demokratie für Frauen auf Drucksache 13/1551 zu überweisen zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und zur Mitberatung an den Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, den Innenausschuß und den Auswärtigen Ausschuß.
Gibt es dazu andere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Gruppe der PDS zur Weltfrauenkonferenz auf Drucksache 13/1622. Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen von CDU/CSU, F.D.P. und SPD bei Enthaltung der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und Zustimmung der Gruppe der PDS abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P. zur Weltfrauenkonferenz auf Drucksache 13/1837. Wer stimmt für diesen Antrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist einstimmig angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P. zum Forum der
Nichtregierungsorganisationen und zur Weltfrauenkonferenz auf Drucksache 13/1836. Wer stimmt für diesen Antrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist ebenfalls einstimmig angenommen worden.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 5 und den Zusatzpunkt 3 auf:
5. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Friedbert Pflüger, Hans-Dirk Bierling, Klaus Francke , weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Ulrich Irmer, Dr. Olaf Feldmann, Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Weitgehende Einsatzbeschränkungen für Landminen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Volker Kröning, Uta Zapf, Gernot Erler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Verbot von Landminen und Unterstützung der Länder der „Dritten Welt" bei der Lösung ihrer Probleme durch Minen und andere gefährliche Munition
- zu dem Antrag der Abgeordneten Steffen Tippach, Andrea Lederer, Heinrich Graf von Einsiedel, weiterer Abgeordneter und der Gruppe der PDS
Weltweite Achtung der Landminen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Angelika Beer und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Achtung von Landminen
- Drucksachen 13/1299, 13/1308, 13/1302, 13/1304, 13/1780 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Friedbert Pflüger Gert Weisskirchen Angelika Beer
Dr. Olaf Feldmann
Steffen Tippach
ZP3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Anneliese Augustin, Dr. Erich Riedl und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Rudolf Bindig, Dr. Ingomar Hauchler und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Dr. Olaf Feldmann, Dr. Irmgard Schwaetzer und der Fraktion der F.D.P.
Minenräumung zu humanitären Zwecken als Beitrag sinnvoller Demobilisierung sowie zur Förderung des Wiederaufbaus
- Drucksache 13/1844 -
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zuerst der Abgeordnete Friedbert Pflüger.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir beschließen heute - hoffentlich - einen gemeinsamen Antrag von CDU/CSU, F.D.P. und SPD zu weitgehenden Einsatzbeschränkungen für Landminen und zur Unterstützung der Lander der Dritten Welt bei der Lösung der Minenproblematik. Ich glaube, daß das eine sehr wichtige Initiative des Deutschen Bundestages ist. Es ist ein kleiner, aber doch bedeutsamer Schritt auf dem Weg zur Ächtung dieser furchtbaren Minen, die auf der Welt jede Woche 200 Zivilisten töten oder verstümmeln.
Ich möchte den Fraktionen der F.D.P. und der SPD für die stets sachliche und faire Zusammenarbeit danken. Wir haben einzelne Unterschiede in den Beratungen gehabt und haben uns dennoch auf einen gemeinsamen Antrag verständigen können. Das ist eine wichtige Unterstützung für die Bundesregierung.
Ich weise darauf hin, daß der Deutsche Bundestag in der Resolution, die heute zur Debatte steht, den „konstruktiven Beitrag der Bundesregierung zur Vorbereitung der Überprüfungskonferenz" von Wien ausdrücklich begrüßt. Deshalb glaube ich, daß wir mit diesem gemeinsamen Antrag bei den Wiener Verhandlungen im September der Bundesrepublik Deutschland ein sehr ehrgeiziges Verhandlungsmandat geben.
Ich hoffe sehr - ich glaube, das kann ich im Namen aller, auch im Namen der Kollegen der Grünen sagen -, daß die Bundesregierung das Beste daraus macht und wir in Wien bei der Achtung von Minen einen entscheidenden Schritt nach vorn tun.
Danken möchte ich aber auch den vielen Bürgerinitiativen, mit denen wir in den letzten Wochen im Dialog standen, den vielen NGOs - den Nichtregierungsorganisationen - aus dem kirchlichen Bereich, dem Initiativkreis zum Verbot von Landminen, insbesondere Pater Jörg Alt für sein Engagement, Gruppen wie dem Roten Kreuz sowie Rupert Neudeck mit seiner Cap Anamur. Sie alle haben sehr viel dazu beigetragen, dieses Thema der Öffentlichkeit überhaupt erst bewußtzumachen. Sie haben mit ihrer Beratung inhaltlich dazu beigetragen, daß wir hier heute über eine, wie ich glaube, doch ganz vernünftige Resolution entscheiden.
Ich möchte diesen Organisationen aber auch sagen, daß wir ihren Anliegen nicht in allen Punkten folgen konnten. Im Gegensatz zu manchen dieser Organisationen glauben wir nicht, daß es sinnvoll ist, bei den Wiener Verhandlungen ein generelles Verbot von Landminen anzustreben. Wir müssen sehen, daß kaum ein Land auf der Welt dazu bereit und in
der Lage ist. Die Bundesregierung würde sich damit
- vielleicht zusammen mit dem einen oder anderen Land - isolieren. Auch müssen wir sehen, daß das Minenprotokoll der Vereinten Nationen bisher überhaupt erst von 42 Staaten unterzeichnet und ratifiziert worden ist.
- Das ist sehr bedauerlich, Herr Kollege Feldmann. Aber wenn wir wollen, daß mehr dazukommen, dann dürfen wir die Latte nicht immer höher legen.
Deshalb halte ich es, Herr Kollege Feldmann, für richtig, daß wir uns gemeinsam darauf konzentrieren, Antipersonenminen, diese fürchterlichen, gegen Zivilpersonen gerichteten Verstümmelungsinstrumente, zu ächten; denn dafür können wir auf einen Konsens hoffen.
Ich möchte zusätzlich zu dem, was wir hier vorschlagen, zwei Punkte ansprechen. Es gibt - ich bin von den Internationalen Ärzten für die Verhinderung des Atomkrieges darauf hingewiesen worden - in Guatemala eine fabelhafte Initiative des dortigen Parlamentes vom 11. Mai 1995. Dabei handelt es sich um einen Gesetzentwurf zur Beseitigung von Minen und Explosivkörpern aus der militärischen Konfrontation. Nach diesem Gesetzentwurf ist es die Pflicht der guatemaltekischen Regierung, beim Minenräumen Hilfe zu leisten, auch Geld zur Verfügung zu stellen und die Bevölkerung aufzuklären.
Dieser Gesetzentwurf ist ein wirklich erstklassiges Beispiel, das zeigt, wie die Arbeit, die über Nichtregierungsorganisationen begann und die von der Bundesregierung unterstützt worden ist, in einem Land dazu führte, Bewußtsein dafür zu schaffen, wie wichtig es für die Entwicklungspolitik eines Landes ist, Minen zu räumen und dafür auch Mittel und Personen zur Verfügung zu stellen. Wir hoffen, daß viele diesem Beispiel des guatemaltekischen Parlamentes Rechnung tragen und ähnliches tun.
Ich möchte des weiteren auf eine Initiative von zwei amerikanischen demokratischen Kongreßabgeordneten hinweisen, Patrick Leahy und Lane Evans. Beide haben den Vorschlag gemacht, daß man denjenigen Ländern, die dem Minenprotokoll der Vereinten Nationen nicht beitreten, keine Waffen mehr liefert, daß man diese Länder also von jeglicher militärischer Zusammenarbeit ausschließt.
- Ich finde, das ist ein guter Vorschlag. Ich würde mich freuen, wenn die Bundesregierung prüfte, ob nicht auch sie einer solchen Idee nähertreten kann.
Dr. Friedbert Pflüger
Das würde dem, was wir heute machen, ein bißchen mehr Nachdruck verleihen.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Ich freue mich über diese gemeinsame Position. Meine Fraktion, die CDU/CSU, wird auch in Zukunft alle Anstrengungen unternehmen - auch gegenüber den mit uns befreundeten westlichen Ländern und der Bundeswehr -, daß Antipersonenminen auch in jeder Form der Verteidigung keine Rolle mehr spielen. Das ist keine Forderung für den SanktNimmerleins-Tag, sondern eine Forderung für heute. Wir bitten, das ernst zu nehmen.
Nochmals herzlichen Dank - und alles Gute für die Bundesregierung bei der Wiener Konferenz.
Es spricht jetzt der Kollege Volker Kröning.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Auswärtige Ausschuß legt mit den Stimmen aller Fraktionen
- gegen die Gruppe der PDS - dem Deutschen Bundestag die von Herrn Kollegen Pflüger schon vorgestellte Beschlußempfehlung vor, die aus den beiden Anträgen der Koalition und der SPD hervorgegangen ist. Der Deutsche Bundestag ist damit, soweit ich sehe, das erste Parlament aller Teilnehmerstaaten dieser Konferenzen, das sich zu den beiden Themen, dem besseren Schutz der Zivilbevölkerung gegen die versteckten Killer und der wirkungsvolleren Hilfe für die betroffenen Länder, äußert.
Der deutschen Politik kommt bei diesen rüstungskontroll- und abrüstungspolitischen Treffen besondere Bedeutung zu, auch wenn die MinenprotokollÜberprüfungskonferenz und die Minenräum-Konferenz bisher bei weitem nicht die Aufmerksamkeit wie die Konferenz zur Verlängerung des Nichtverbreitungsvertrages genießen. Dies war das Motiv der interfraktionellen Verständigung, und dies muß ein parteien- und parlamentsübergreifendes Thema bleiben.
Hauptanliegen des Auswärtigen Ausschusses und des Unterausschusses für Abrüstung und Rüstungskontrolle - ebenso des Verteidigungsausschusses, der die Angelegenheit mitberaten hat - sind die Erstreckung des Minenprotokolls auf innerstaatliche Konflikte und seine Ratifizierung durch eine deutlich größere Zahl von Staaten als bisher. Denn Minen sind vor allem Waffen der Armen. Zu Recht spricht der Generalsekretär der Vereinten Nationen von einem „humanen Desaster", das die Menschheit noch lange nicht unter Kontrolle habe.
Nach den Vorbereitungstreffen für die Überprüfungskonferenz besteht die Chance, auch die Inhalte des Minenprotokolls zu verbessern: besonders durch Einsatzauflagen für handverlegte Antipersonenminen, die sich nicht nach einer bestimmten Zeit selbst
zerstören, durch das Gebot ihrer Detektierbarkeit und durch das Verbot aller fernverlegten Minen ohne Selbstzerstörungsmechanismus. Diese Positionen unterstreicht die Beschlußempfehlung - das ist keine leere Floskel -; dies ist wichtig, weil diese Positionen noch längst nicht von einer hinreichenden Zahl von Staaten unterstützt werden.
Nicht geeinigt haben sich Koalition und SPD auf ein allgemeines Verbot von Antipersonenminen. Ausgangspunkt der Koalition war, dafür einzutreten, während die SPD forderte, dieses Verbot schon auf die Tagesordnung der Wiener Konferenz zu setzen. Konsens ist nun, die Forderung gleich nach der Wiener Konferenz weiterzuverfolgen und dadurch auf der internationalen Tagesordnung zu halten.
Dennoch fordere ich die Bundesregierung auf, noch einmal den Versuch zu machen, Österreich, die Schweiz, Belgien und Norwegen sowie die noch kleine Gruppe weiterer Staaten - auch Kambodscha übrigens, dieses leidgeprüfte Land - zu unterstützen, die für ein sofortiges Verbot aller Antipersonenminen ohne Selbstzerstörungsmechanismus eintreten. Immerhin hat dies auch die jüngste Versammlung aller Parlamentarier der Welt, nämlich der Interparlamentarischen Union, einstimmig beschlossen.
Nicht geeinigt haben wir uns auch auf ein Exportverbot für alle Landminen. Doch die SPD hat durchgesetzt, daß das von der Bundesregierung im vorigen Jahr beschlossene dreijährige Exportmoratorium für Antipersonenminen unbefristet verlängert wird. Unsere generelle Forderung halten wir als Minderheitenvotum aufrecht. Die SPD bleibt - unabhängig von dem Minen- und Sperrkonzept der Bundeswehr, das noch zu erörtern sein wird - bei der Auffassung, daß der Export von Antipanzerminen unter humanitären Gesichtspunkten abzulehnen ist. Er ist auch rüstungskontrollpolitisch unsinnig.
Dies gilt insbesondere, meine Damen und Herren, für nicht fernverlegte, sondern handverlegte Antipanzerminen ohne Selbstzerstörungsmechanismus. Über deren Verbot oder Einsatzbeschränkung hat man offenbar auf dem Vorbereitungstreffen gar nicht gesprochen; die Motive hierfür liegen auf der Hand.
Mit Genugtuung stelle ich demgegenüber fest, daß es gelungen ist, den aus dem SPD-Antrag stammenden Schwerpunkt Minenräumung in den gemeinsamen Text aufzunehmen.
Es geht natürlich nicht nur darum, durch Konkretisierung des humanitären Rechts auf dem Feld der Rüstungskontrolle Schlimmeres zu verhindern, sondern auch darum, den schlimmen Zuständen abzuhelfen, von denen unser Text am Anfang nachdrücklich spricht.
Beides, Prävention und Hilfe, ist nötig. Wenn der VN-Bericht zur Genfer Konferenz, der in diesen Tagen bekannt geworden ist, davon spricht, daß 1994 rund 100 000 Minen entschärft worden sind, doch im selben Jahr 2 bis 5 Millionen Minen in Asien, in
Volker Kröning
I Afrika, in Nahost und auf dem Balkan verlegt worden sind, gibt es nur die Alternative „Kapitulation oder Zupacken". Deshalb müssen den Worten Taten folgen.
Die Koalition versteht die Forderung nach personeller und technischer Unterstützung internationaler Minenräumaktionen nur als Prüfbitte. Das geht aus dem Text allerdings nicht hervor. Aber diesen Streit wollen wir beiseite lassen. Wir haben deshalb - ich glaube, alle haben sich dem angeschlossen - im Verteidigungsausschuß darum gebeten, daß die Bundesregierung gleich nach der Sommerpause zu den Forderungen Stellung nimmt, die wir gemeinsam aufgestellt haben.
- In der Tat. - Wir müssen noch die Realisierungschancen abklopfen. Dem dient die Runde, die wir uns vorgenommen haben.
Bei der gleichen Gelegenheit wird die Bundesregierung dann auch schon zu den Ergebnissen der bevorstehenden Genfer Minenräum-Konferenz Stellung nehmen können.
- Das hoffe auch ich. - Deshalb begrüße ich es, Herr Kollege Feldmann, daß die Mitglieder des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung den Anstoß zu einem weiteren gemeinsamen Antrag von Koalition und SPD gegeben haben, nach dem Minenräumaktivitäten durch ein Bündel zusätzlicher Maßnahmen vor allem vor Ort unterstützt werden sollen. Dies entspricht auch dem Appell von Herrn Staatsminister Schäfer in der Debatte am 12. Mai 1995, die Soforthilfe für die betroffenen Staaten zu verstärken.
Ich darf deshalb wiederholen, was ich in dieser Debatte erklärt habe. Lassen Sie es sich gesagt sein; dies ist über alle inhaltlichen Divergenzen hinweg der Hauptimpuls der Nichtregierungsorganisationen, die sich in der letzten Zeit an uns gewandt haben: 3 Millionen DM als deutscher Jahresbeitrag zu dieser humanitären Aufgabe sind skandalös wenig.
Ich sehe, daß in der Koalition Bewegung entstanden ist. Ich will Sie ermuntern, diese Bewegung fortzusetzen. Beide Texte, die Empfehlung des Auswärtigen Ausschusses und der interfraktionelle Antrag, fordern einen angemessenen finanziellen Beitrag zu den internationalen Minenräumprogrammen. Was dies heißt, will ich vorsichtig-realistisch beziffern. Es müßte nach unserer Meinung mindestens der zehnfache Betrag, also 30 Millionen DM jährlich, sein.
- Darum werden wir ringen. - Wir legen uns noch nicht auf einen bestimmten Haushalt oder eine Sonderbewilligung, wie sie jetzt in Rede steht, fest. Aber ich fordere die Bundesregierung auf, schon auf der Wiener Konferenz in der nächsten Woche ein Zeichen zu setzen.
Zum Schluß auch von uns ein Wort an die Öffentlichkeit und die nichtstaatlichen Organisationen. Wir danken für die kritische Begleitung unserer Arbeit im Bundestag. Diese Arbeit steht am Anfang. Wir brauchen diese Begleitung. Ich hoffe vor allem, daß unter allen kurz- und mittelfristigen Forderungen die eine nach einem Verbot aller Minen, die nicht mit einem wirkungsvollen Selbstneutralisierungs- und Selbstzerstörungsmechanismus ausgerüstet sind, mehr Gehör bei denen findet, die diplomatisch und politisch zu entscheiden haben. Dies schließt ein, daß die Bundesrepublik Deutschland, deren Vertreter überall das Fernziel des Verbots aller Antipersonenminen beschwören, diese Waffenart sofort aus dem Bestand der Bundeswehr ausmustert.
Wir bitten um Annahme der Beschlußempfehlung und des Antrags.
Danke schön.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Angelika Beer.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte begründen, warum wir die Beschlußvorlage einer großen Koalition, SPD-Fraktion plus Regierungskoalition, ablehnen, und die Hauptkritikpunkte benennen.
Der Antrag, den Sie hier zur Abstimmung stellen, fällt hinter die Mindestanforderungen der internationalen Hilfsorganisationen zurück. Sie wissen das; das ist hier genannt worden.
- Er ist sehr wenig realistisch, Herr Kollege Feldmann. Ich möchte begründen, warum.
Sie hinken dem europäischen Standard und der europäischen Einsicht, daß es sich hier um eine Massenvernichtungswaffe handelt, hinterher. Ich möchte aus zwei Beschlüssen des Europaparlaments von heute zitieren. Sie werden sehen, daß Ihr Antrag Altpapier ist.
Darin werden die Regierungen und auch die Bundesregierung aufgefordert, durch nationale Gesetzgebung die Einstellung der technologischen Forschung zur Herstellung und/oder Perfektionierung von Landminen zu veranlassen
Angelika Beer
und die Umstellung der Unternehmen, die Minen herstellen, in die Wege zu leiten.
Genau das steht in dem Antrag von BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN; genau das ist die Forderung der internationalen Kampagne von UNICEF, „Brot für die Welt" und vieler anderer. Ich denke, Sie haben nicht versucht, den Spielraum zu nutzen, den zu haben Sie vorgeben.
Wir müssen sehen, daß Ihr Antrag - das ist unser Vorwurf vor allen Dingen an die SPD, die ja umgekippt ist; bis vor einiger Zeit haben Sie die Forderungen der Hilfsorganisationen noch mitgetragen - einen Anlaß zum Feiern bedeutet, nämlich für die Chefetagen in den Rüstungsfabriken. Die Profiteure, die bisher verdient haben, haben durch Ihren Antrag, über den heute beschlossen werden soll, eine Legitimierung bekommen, an der neuen Mine, der perversen sogenannten intelligenten Mine weiterzuforschen. Sie haben einen Kniefall vor dem Militär gemacht, das darauf besteht, im Rahmen der Planungen für die Krisenreaktionskräfte auch zukünftig sogenannte intelligente Minen einzusetzen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kröning?
Ja; natürlich.
Frau Kollegin, können Sie das Haus darüber informieren, was hinter dem Sinneswandel Ihrer Fraktion und auch Ihrer Person steht? Denn Sie haben diese Beschlußempfehlung im Unterausschuß mit Enthaltung bedacht; Sie haben diese Beschlußempfehlung im Auswärtigen Ausschuß mit beschlossen. Könnte es sein, daß Ihnen unter der berechtigten Kritik der Hilfsorganisationen, mit der wir uns auseinandergesetzt haben, die Argumente ausgegangen sind?
Herr Kröning, ich kann Ihnen das gerne beantworten; vielleicht bleiben Sie so lange stehen.
Wir befinden uns ja in einem sehr fließenden Diskussionsprozeß. Die Argumente, die nachträglich sowohl von den Militärs als auch gerade von seiten der SPD gekommen sind, haben uns veranlaßt, Ihren Antrag nicht nur mit Enthaltung zu bedenken, sondern ihn abzulehnen, um die ungeheuerliche Menschenverachtung dessen deutlich zu machen, was heute beschlossen werden soll.
Ich komme jetzt auf den Antrag zu sprechen, der heute, ich glaube, von der CDU/CSU und F.D.P. zur Minenräumung vorgelegt wurde.
- Moment bitte.
Es ist an und für sich ein schlüssiger Antrag. Wir werden Ihrem Antrag zur Minenräumung zustimmen. Er macht deutlich, daß auf der einen Seite Ihre Formulierung in der Beschlußempfehlung ein Freibrief für die Neuentwicklung und den Einsatz von Minentechnologie ist und daß auf der anderen Seite unter dem Feigenblatt der Minenräumung versucht wird, so zu tun, als nähme man dieses Problem ernsthaft in Angriff. Das ist nicht so. Was unter dem Strich dabei herauskommt: Ihre Argumentation eben hat Minen mit einem Selbstzerstörungsmechanismus als sicher bezeichnet. Sie wissen, daß das nicht stimmt. Es gibt Expertisen, die besagen, daß 10 % dieser Waffen weiterhin scharf sind. Das heißt, weiterhin sterben Menschen, und ganze Flächen sind nicht bewohnbar. Diesen Widerspruch, der darin besteht, daß man auf der einen Seite sagt, wir ächten Minen, und daß man auf der anderen Seite dafür sorgt, daß eine der gemeinsten Waffen überhaupt erst in die Produktion gehen kann, wollen wir deutlich machen.
Deswegen lehnen wir Ihren Antrag ab und nehmen den Antrag zur Minenräumung an.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Kröning?
Ja.
Frau Kollegin, ich bin nach dieser Antwort gezwungen, eine weitere Frage zu stellen. Sie haben gehört, warum wir einen interfraktionellen Antrag verabredet haben.
Darf ich Sie fragen, ob Sie auch zur Kenntnis genommen haben, daß wir sowohl beim letztenmal als auch heute die damalige Forderung und das heutige Minderheitenvotum, alle Antipersonenminen zu ächten, aufrechterhalten haben und daß wir auch erklärt haben - weil sich hier nicht eine abrüstungspolitische, sondern eine verteidigungspolitische Frage stellt -, uns diesem Gegenstand gemeinschaftlich noch im Verteidigungsausschuß zuwenden zu wollen?
Herr Kollege Kröning, es wäre gut gewesen, wenn sich Ihre Fraktion - wie auch im Europaparlament - vorher mit für eine Fachanhörung ausgesprochen hätte.
Wir haben kritisiert - und tun es weiterhin -, daß Sie mit Ihrem Einknicken nur noch Antipersonenminen ächten wollen. Das heißt, Sie akzeptieren Antitankminen, Antipanzerminen. Sie akzeptieren Minen mit Selbstzerstörungsmechanismus und Neutralisationsmechanismus für die militärische Planung. Das heißt, daß Sie die Weiterentwicklung dieses Desasters akzeptieren.
Angelika Beer
Es sind heute pro Tag 90 Menschen, Kollege Pflüger, die diesem Minenterror zum Opfer fallen. Ihre Haltung im Ausschuß ist insofern inkonsequent und konterkariert diese Entwicklung, weil Sie so tun und auch Herr Kinkel auf der internationalen Überprüfungskonferenz so tun wird, als wenn Deutschland mit einem lächerlichen Embargo Vorreiter der Antiminenkampagne sei.
In Wahrheit sorgt der deutsche Staat dafür, daß in bezug auf die Minentechnologie der Spielraum, den Europa uns heute mit seinem Beschluß aufzeigt, freiwillig verschenkt wird, die Möglichkeit nämlich, Ihre tatsächlichen Forderungen als Minderheitenvotum international durchzusetzen.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Pflüger?
Ja.
Kollegin Beer, haben Sie nicht auch den Eindruck, daß zwischen dem, was Sie heute hier sagen, nämlich der Bezeichnung des gemeinsamen Antrags von CDU/CSU, F.D.P. und SPD als Altpapier einerseits und Ihrer sehr sachlichen und konstruktiven Haltung in den Ausschüssen andererseits ein eklatanter Unterschied besteht?
Was hat sich eigentlich wirklich an neuen Argumenten in den letzten Tagen ergeben, daß Sie so fundamental anders abstimmen? Könnte es nicht vielmehr sein, daß Sie eingeknickt sind und der sachlichen Position in den Ausschüssen hier eine Schaufensterposition gegenüberstellen?
Herr Kollege Pflüger, wir haben versucht, mit sehr guten Argumenten auch in Ihrer Fraktion eine Sensibilität für das Problem zu wecken. Das haben wir geschafft. Das haben vor allem die internationale und die deutsche Kampagne geschafft. Wir haben sehr konstruktiv mit einzelnen zusammengearbeitet.
Wir müssen aber feststellen, daß die Regierung nicht bereit ist, einzelne Positionen von Abgeordneten zu übernehmen. Ich muß mich da insbesondere auf die Antwort auf eine Kleine Anfrage beziehen, bei der die Beantwortung von 51 Fragen an 33 Punkten aus Gründen der Geheimhaltung abgelehnt wurde.
Ich hatte Gelegenheit, diese Geheimdaten einzusehen. Ich darf sie, wie Sie wissen, hier nicht zitieren.
Aber das, was dort schwarz auf weiß geschrieben steht, heißt für mich, daß hier leider gezielt der Rüstungswettlauf für eine neue Minengeneration von Ihrer Regierung vorbereitet wird. Sie werden mit Ihrem von uns durchaus zu begrüßenden Engagement gegen Minen mißbraucht, um die neue Killerwaffe zu legitimieren. Dem - das werden Sie verstehen - können wir nicht zustimmen.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die internationale Kampagne ist mit der Überprüfungskonferenz nicht beendet, sondern in Ländern wie Kambodscha und vielen anderen entstehen Kampagnen auch der Opfer selber. Diese Opfer werden ihre alten Ansprüche - Anspruch auf Rehabilitation nach dem Verursacherprinzip, Anspruch auf Vernichtung, auf Ächtung all dieser Waffen, aller Minen - sehr deutlich machen. Dieser Protest wird nicht in der sogenannten Dritten Welt steckenbleiben, sondern wird direkt hier in Bonn landen, und Sie werden damit konfrontiert werden.
Das Thema wird uns über viele Jahre erhalten bleiben. Ich meine, wir werden mit internationalem Druck und mit der Unterstützung des Europaparlaments diese scheinheilige Politik beenden können - möglicherweise, indem wir eine Mehrheit gegen die Weiterfinanzierung neuer Minensysteme finden -, um endlich gebührende humanitäre Hilfe zu leisten.
Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Olaf Feldmann.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die F.D.P. begrüßt, daß die vorliegenden Anträge noch vor der Sommerpause hier im Deutschen Bundestag verabschiedet werden.
Dies ist ein wichtiges Signal für die UN-Minenräumkonferenz, die Anfang Juli in Genf stattfinden wird. Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieses Signal ist um so überzeugender, je geschlossener wir im Deutschen Bundestag auftreten.
Das hat auch unser Auftreten bei der NVV-Konferenz in New York gezeigt.
Unser interfraktioneller Antrag zur Einsatzbeschränkung für Minen, Frau Kollegin Beer, ist nur ein erster Schritt, aber er ist ein realistischer Ansatz.
Dr. Olaf Feldmann
Sie wissen doch ganz genau: Das Europäische Parlament kann leider seine Beschlüsse nicht umsetzen und nicht durchsetzen.
Ich habe gestern selber in Brüssel die Debatte gehört.
Im Gegensatz dazu steht hinter dem Antrag, den wir gemeinsam mit der SPD vorlegen, ein Durchsetzungswille. Wir wollen das realisieren, was wir hier heute als politisches Signal verstehen.
Daß sich die Grünen und die PDS dem gemeinsamen Antrag verschließen, ist ein Zeichen mangelnder Politikfähigkeit. Lassen Sie mich das hier so deutlich und so hart sagen.
Mit Ihrem Antrag, Frau Kollegin Beer, jagen Sie Illusionen nach, schlimmer noch: Sie gaukeln den Menschen vor, daß wir die Fragen von heute auf morgen lösen könnten, so, als ob es nur an unserem guten Willen hier im Deutschen Bundestag läge.
Sie diskreditieren dadurch unsere sachliche Arbeit.
Unser Antrag ist auf das derzeit Machbare gerichtet. Sie wissen, daß nur 42 Staaten bisher das Minenprotokoll ratifiziert haben. Wir wollen ebenso wie Sie einen Umdenkungsprozeß in Gang setzen, und zwar vor allem bei den Staaten, die noch weit hinter unserer Position zurückliegen.
Hier wollen wir überzeugen. Wir sind mit unserem Antrag vorbildlich, im europäischen Rahmen, aber auch weltweit. Deswegen wollen wir uns auf das Wesentliche konzentrieren
und den Leuten keine unrealistischen Flausen in den Kopf setzen.
Wir fordern ein weltweites Verbot der Entwicklung, der Produktion, des Exports und des Einsatzes von fernverlegten Minen ohne Selbstzerstörungsmechanismus und von metallosen Minen. Dieses Verbot - das steht auch in unserem Antrag - muß auch auf Antipersonenminen und Sprengfallen ausgedehnt werden.
Ich halte auch das Votum, das Herr Kröning hier eingebracht hat, für prinzipiell richtig. Ich stimme dem zu.
Das Minenprotokoll des UN-Waffenübereinkommens muß auch für innerstaatliche Konflikte gelten, da die meisten Minen in Bürgerkriegsgebieten verlegt werden. Zur Durchsetzung dieses Verbots bedarf es eines wirkungsvollen Verifikationsmechanismus. Auch das wollen wir.
Darüber hinaus fordern wir die Bundesregierung auf, bei der Überprüfungskonferenz auf Bestimmungen über ein Verbot bzw. über Beschränkungen beim Verkauf von Landminen zu drängen. Auch das geht weit über das hinaus, was im Augenblick Usus ist.
In diesem Zusammenhang will ich mein persönliches Unverständnis darüber zum Ausdruck bringen, daß wir immer noch Millionen für die Weiterentwicklung von Minen ausgeben. Ich will das hier in dieser Deutlichkeit sagen.
Wir Liberalen haben unser besonderes Augenmerk auf den entwicklungspolitischen Aspekt der Landminenproblematik gerichtet. Beim Thema Minen können wir uns nicht nur auf das humanitäre Völkerrecht berufen, gleichzeitig aber die entwicklungspolitische Komponente vernachlässigen.
Deshalb fordern wir weitere Anstrengungen zur Koordinierung der Minenräummaßnahmen als eine besonders effektive Art und Weise der Entwicklungshilfe. Immer mehr Entwicklungsprojekte werden massiv insbesondere durch Antipersonenminen behindert. Zukünftig müssen wir diesen Aspekt stärker bei der Finanzierung von Minenräumaktivitäten berücksichtigen.
Der im November 1994 auf Initiative von Außenminister Kinkel eingerichtete UN-Minenräumfonds bietet die Möglichkeit, abgestimmte Aktionen der Staatengemeinschaft in enger Zusammenarbeit mit den betroffenen Ländern durchzuführen. Diese Chance wollen wir nicht ungenutzt lassen.
Die Bundesregierung könnte auch ein Zeichen setzen und das im Juni 1994 auf drei Jahre befristete Exportmoratorium für Landminen unbefristet verlängern. Da wir aber auch über das technische Knowhow und qualifizierte Fachleute verfügen, sollte die Bundesregierung die Voraussetzungen dafür schaffen, daß auch Deutschland internationale Minenräumaktionen wirkungsvoll unterstützen kann.
Warum sollte sich die Bundeswehr in geeigneten Fällen nicht an humanitären Aktionen beteiligen können?
Auch die nichtstaatlichen Hilfsorganisationen könnten durch die Förderung der Ausbildung von Experten und die Nutzung des Minendokumentationszentrums der Bundeswehr unterstützt werden.
Dr. Olaf Feldmann
Wir greifen, liebe Kolleginnen und Kollegen, mit diesem Antrag nicht nach den Sternen. Aber wir haben Vorschläge erarbeitet, die sich in Kürze realisieren lassen. Deswegen bitten wir die Grünen, zumindest unserem zweiten Antrag, den wir heute mit einbringen, dem Antrag „Minenräumung zu humanitären Zwecken", zuzustimmen.
Im Interesse einer schnellen Hilfe für die von Minen betroffenen Menschen wäre ein gemeinsames Vorgehen wünschenswert und notwendig.
Unsere Anträge ermöglichen es, den politischen Signalen auch konkrete Taten folgen zu lassen.
Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Kollege Steffen Tippach.
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Da wurden nun Berge von Papier beschrieben, Sitzungen abgehalten und Anträge gestellt.
- Wir standen doch nicht abseits. Wir haben doch auch einen Antrag eingebracht; das wollte ich gerade sagen. Wir waren bei den Beratungen dabei und standen keineswegs abseits.
Das Ergebnis davon ist ein Sack voll heißer Luft. Daß nun auch die SPD mit draufsteht, macht den ganzen Sack nicht voller. Der kleinste gemeinsame Nenner von SPD, F.D.P. und CDU/CSU besteht aus wohlklingenden Absichtserklärungen, Unverbindlichkeiten und jeder Menge Eigenlob.
Da soll ein Exportmoratorium für Minentypen verlängert werden, die mangels Vorhandensein sowieso nicht exportiert werden können. Die Rehabilitation von Minenopfern kommt in dem gemeinsamen Antrag ebensowenig vor wie die irrsinnige Summe von 354 Millionen DM, die 1994 für die Entwicklung von Minen und Verlegesystemen ausgegeben wurde. Für den UN-Minenräumfonds soll ein „angemessener Beitrag" geleistet werden. Was darunter zu verstehen ist, zeigt die Bundesregierung bisher mit einer Beteiligung von null DM. Die einzig konkrete Zahl des Antrages ist die der weltweiten Minenopfer. Ich befürchte nur, daß deren Zahl durch diesen Antrag nicht weniger wird.
Staatsminister Schäfer sagte am 12. Mai in der ersten Lesung der Anträge:
Die Bundesregierung hat im vergangenen Jahr ein Exportmoratorium für Antipersonenminen beschlossen. Reden Sie das jetzt nicht herunter, und sagen Sie nicht, das sei alles zuwenig. Seien
Sie froh, daß zumindest dieser Schritt getan worden ist!
Als ob es darum ginge, daß Frau Beer, Herr Pflüger oder ich hier in diesem Hause in Frohsinn verfallen sollen! Mit Sicherheit hält sich die Freude bei denjenigen Menschen in Grenzen, die in Angola mit dem Bus über eine Antitankmine fahren. Genau diese nämlich und ebenso die Landminen neuerer Generation tauchen in dem vorliegenden Antrag im Zusammenhang mit Sanktionsüberlegungen überhaupt nicht auf.
Anstatt im Zusammenhang mit den Vereinten Nationen nur bei dem Wort „Tornado" in Pawlowsche Reflexe zu verfallen, sollten Sie doch endlich einmal die Aussagen von UN-Organisationen wie UNHCR oder UNICEF oder auch zahlreichen kirchlichen Organisationen ernst nehmen, die eine Unterscheidung von „guten" und „schlechten" Landminen schlicht als sinnlos und gefährlich bezeichnen.
In Übereinstimmung mit diesen Organisationen hat die PDS mit ihrem Antrag verschiedene Vorschläge gemacht. Wir haben gesagt: Achtung von Entwicklung, Export und Einsatz aller Arten von Landminen. Wir haben gesagt: Geben Sie 100 Millionen DM für den UN-Minenräumfonds!
Wir haben gesagt: Rehabilitieren und entschädigen Sie Minenopfer!
Nichts davon haben Sie für bemerkenswert gefunden. Nicht, daß die Bundesregierung dies nicht umsetzen und bezahlen könnte: Sie will es nicht umsetzen und bezahlen!
Das macht den vorliegenden Antrag zu einem Feigenblatt für ein „Weiter so" von Bundesregierung und Rüstungsindustrie. Die ganze Ausrichtung des Antrags ist falsch. Genau deswegen werden wir ihn ablehnen.
Danke.
Es spricht jetzt die Kollegin Anneliese Augustin.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In wenigen Wochen werde ich mit drei unserer Kolleginnen aus dem Deutschen Bundestag in Angola und in Mosambik sein. Beides sind Länder, die durch Bürgerkriege und andere kriegerische Auseinandersetzungen unsäglich gelitten haben. Auch heute noch werden Menschen Opfer dieser entsetzlichen Kriege. Beispielsweise der zehnjährige Manuel Jamba, dem durch eine Mine beide Beine weggerissen wurden. Manuel ist leider kein Einzelfall. Rund 10 000 Zivilisten weltweit sterben jedes Jahr durch diese explosive Hinterlassenschaft. Viele Tausende mehr überleben zwar, müssen aber ihr Leben als Krüppel fortsetzen.
Anneliese Augustin
Daher müssen wir der Räumung von Minen international und national noch mehr als bisher Bedeutung beimessen, und das gerade im Blick auf die kommende UN-Minenräumkonferenz in Genf, in der Fachleute dieses Thema diskutieren werden.
Im vergangenen Jahr hat die westliche Gebergemeinschaft - das sagt die UNO - lediglich 70 Millionen DM für Minenräumung ausgegeben. Es hat schon jemand ausgerechnet: Wenn wir in dieser langsamen Gangart weitermachen, dann werden über tausend Jahre vergehen, bis wir mit diesem Problem weltweit fertiggeworden sind.
Das geht nicht. Ich hoffe, daß wir uns an diesen Zeithorizont auf keinen Fall gewöhnen.
Allerdings sollten wir in aller Ehrlichkeit sagen: Wir machen uns daran, aber auch wir werden nicht sehr schnell vorankommen. Wir werden Monate und Jahre, ja Jahrzehnte brauchen, bis wir in den so geschundenen Ländern die Möglichkeit geschaffen haben, daß wieder Ackerbau und Viehzucht betrieben werden können.
Ich freue mich natürlich darüber, daß - Herr Kollege Pflüger hat es erwähnt - in Guatemala, übrigens ausgehend von einem Projekt einer deutschen NGO, eine Gesetzesinitiative erwachsen ist, in der Minenräumung zur Pflichtaufgabe gemacht wird, und in der gleich präzisiert wurde, wie man dabei vorgehen soll. Hoffnungsfroh stimmt mich auch die Tatsache, daß sowohl dos Santos als auch Savimbi in Angola bereits jetzt Zeichen gegeben haben, daß sie etwa 1 000 Soldaten freistellen werden, damit diese die Minenräumung lernen; das muß sorgfältig erlernt werden, um die Risiken herabzumindern.
Daran sieht man, daß Minenräumung auch eine Möglichkeit zur Demobilisierung dieser Soldaten ist. Diese Sorge machen wir uns seit langem: Was wird aus den zu demobilisierenden Soldaten?
Ich meine, es war ganz gut, daß wir in unserem zweiten Antrag einmal die ganze Bandbreite dessen, was nun getan werden muß, klargemacht haben. Beispielsweise müssen Orthopädiezentren, Rehabilitations- und chirurgische Zentren in einem integrierten System eingerichtet werden. Ich bin sehr zuversichtlich, daß unsere gemeinsame Anstrengung erfolgreich sein wird. Ich freue mich, daß Sie, Frau Beer, wenigstens diesem einen Antrag von uns zustimmen, wenngleich ich es überhaupt nicht verstehen kann, daß Sie dem anderen nicht zustimmen.
Weltweit bedarf es eines noch größeren Engagements. Aber wir können durchaus mit dem zufrieden sein, was die Bundesrepublik Deutschland und auch die Europäische Union auf diesem Gebiet bereits erreicht haben. Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich ganz herzlich den vielen NGOs danken, die sich vor Ort mit diesem Thema befassen, auch denen, die
in der Bundesrepublik Deutschland die Sensibilität für dieses Problem schaffen. Ich danke auch jedem einzelnen, der dort unter Einsatz seiner Gesundheit und seines Lebens diese unglaublich gefährliche Arbeit leistet.
Ich möchte Sie alle einladen, unseren interfraktionellen Antrag zu unterstützen. Ich hoffe, daß unsere Initiative sich zu einem wirkungsvollen Beitrag für Frieden und Wiederaufbau dieser durch viele Kriege und Bürgerkriege wahrhaft geschundenen Länder entwickelt.
Jetzt spricht für die Bundesregierung Herr Staatsminister Helmut Schäfer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung begrüßt nachhaltig den nach unserer letzten Debatte am 12. Mai 1995 erzielten breiten parlamentarischen Konsens.
Die Verschärfung internationaler Verbote und Regelungen im Minenbereich sowie Unterstützungsmaßnahmen für betroffene Staaten stellen für die Bundesregierung wichtige abrüstungspolitische Ziele und zugleich humanitäre Anliegen ersten Ranges dar.
Der gemeinsame Antrag wird der deutschen Delegation auf der bevorstehenden Wiener Überprüfungskonferenz zum UN-Waffenübereinkommen den Rücken stärken. Wichtig ist aus der Sicht der Bundesregierung, daß der Antrag über das in Wien voraussichtlich Erreichbare hinausweist.
Wien ist ein erster und wichtiger Schritt auf dem Weg zu einem weltweiten Verzicht auf Antipersonenminen. Weitere Schritte - darüber sind wir alle uns einig - müssen natürlich folgen.
Bereits jetzt gibt es entsprechende Initiativen. So treffen sich seit heute Vertreter aus 35 Ländern, darunter auch eine deutsche Delegation, in Budapest, um über Beschränkungen der Produktion, der Lagerung und des Exports von Antipersonenminen zu beraten. Auf der Tagesordnung steht unter anderem eine einschneidende Reduzierung der weltweiten Bestände an Antipersonenminen ohne Selbstzerstörungsmechanismus.
In der kommenden Woche werde ich selber in Genf an der internationalen Minenräumkonferenz der Vereinten Nationen teilnehmen. Wir müssen den vom Minenproblem betroffenen Ländern auch Hilfe
Staatsminister Helmut Schäfer
bei der Minenräumung, bei der Aufklärung über Minengefahren und bei der Rehabilitation von Minenopfern anbieten. Darüber gibt es keinen Zweifel
Ich brauche aber nicht mit leeren Händen nach Genf zu fahren. Die Bundesregierung hat bereits in der Vergangenheit Minenräumprogramme der Vereinten Nationen, aber auch von Nichtregierungsorganisationen unterstützt. Wir fördern derzeit solche Programme in Mosambik, Angola und Afghanistan. Für die nächsten drei Jahre hat das Auswärtige Amt aus Mitteln der Ausstattungshilfe 10 Millionen DM für Minenräummaßnahmen veranschlagt.
Ich wäre sehr dankbar, wenn noch weitere Mittel aus dem Haushalt für diese Zwecke zur Verfügung gestellt werden könnten.
Aber Geld allein räumt keine Minen. Minenräumung ist immer noch eine mühselige und gefahrvolle Tätigkeit.
Daher ist es wichtig, geeignete mechanische Räumverfahren weiterzuentwickeln und zum Einsatz zu bringen. Denn Techniken und Kenntnisse entscheiden sehr oft über das Leben und die Gesundheit auch des Räumpersonals.
Die Bundesregierung wird deshalb dem UN-Minenräumfonds eine Datei des Minendokumentationszentrums der Bundeswehr zur Verfügung stellen, die Angaben zu 467 weltweit vorkommenden Minentypen enthält. Diese Datei soll die Planung von Minenräumprogrammen erleichtern und die Sicherheit des eingesetzten Räumpersonals erhöhen. Ich werde dem UN-Sekretariat in der nächsten Woche in Genf die ersten Datensätze übergeben.
Die Bundesregierung ist bereit, sich auf dem Gebiet der Minenräumung künftig noch stärker zu engagieren. Der gemeinsame Antrag von Koalition und SPD enthält hierzu wichtige Anregungen, die die Bundesregierung sorgfältig prüfen wird.
Natürlich ist die Bundesregierung nicht der einzige Akteur in diesem Bereich, sondern handelt in enger Abstimmung mit ihren Partnern und - das möchte ich an dieser Stelle besonders betonen - mit den nationalen und internationalen Hilfsorganisationen, die in den besonders betroffenen Ländern tätig sind.
Meine Damen und Herren, ich bin mir sicher, daß wir heute im Bundestag nicht zum letztenmal über dieses Thema gesprochen haben.
Ich erinnere mich an die langjährigen Debatten über
die Abschaffung der chemischen Waffen. Auch dies
ging nicht von heute auf morgen. Hier haben auch Resolutionen nicht von heute auf morgen geholfen.
Frau Kollegin Beer, auch auf dem Weg der Grünen zur völligen Abschaffung des Autos gehen Sie schrittweise vor - wenn ich mir erlauben darf, dies zu sagen.
Sie haben allerdings schon beträchtliche Erfolge erzielt. Die neue nordrhein-westfälische Landesregierung ist wahrscheinlich auf dem Weg, das fortzusetzen.
- Doch. Es geht über Antwerpes wahrscheinlich hinaus, Herr Kollege.
Ich bin mir sicher, daß wir beim nächsten Mal unseren gemeinsamen Zielen und dabei besonders dem weltweiten Verzicht auf Antipersonenminen und der wirksamen Hilfe für die vom Minenproblem betroffene Bevölkerung einen weiteren Schritt nähergekommen sein werden.
Ich bedanke mich ausdrücklich bei den Fraktionen und weise darauf hin, daß wir mit der heutigen Debatte - ich sage das noch einmal - nicht am Ende angekommen sind. Wir werden uns mit diesem Thema noch viel intensiver zu befassen haben
und Frau Beer Gelegenheit geben, immer wieder festzustellen, es gehe alles nicht schnell genug.
Vielen Dank.
Ich schließe damit die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung. Der Auswärtige Ausschuß empfiehlt unter I. seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 13/1780 die Annahme der Entschließung. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist die Beschlußempfehlung mit den Stimmen von CDU/ CSU, F.D.P. und SPD gegen die Stimmen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und PDS angenommen.Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. zu weitgehenden Einsatzbeschränkungen für Landminen, Drucksache 13/1780 Nr. II. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/1299 damit für
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3838 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmererledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist damit mit den Stimmen des Hauses angenommen worden.Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion der SPD zum Verbot von Landminen und zur Unterstützung der Länder der Dritten Welt, Drucksache 13/1780 Nr. II. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/1308 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einer Enthaltung ist die Beschlußempfehlung im übrigen mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen.Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Gruppe der PDS zur weltweiten Achtung der Landminen, Drucksache 13/1780 Nr. II. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/1302 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und F.D.P. gegen die Stimmen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und PDS bei einer Enthaltung angenommen worden.Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Ächtung von Landminen, Drucksache 13/1780 Nr. II. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/1304 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist gegen die Stimmen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und PDS angenommen worden.Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der CDU/CSU, SPD und F.D.P. zur Minenräumung zu humanitären Zwecken als Beitrag sinnvoller Demobilisierung sowie zur Förderung des Wiederaufbaus, Drucksache 13/1844. Wer stimmt für diesen Antrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen worden.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6a und 6b auf:a) Beratung der Unterrichtung durch die BundesregierungBerufsbildungsbericht 1995- Drucksachen 13/1300, 13/1502 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung Ausschuß für WirtschaftAusschuß für Arbeit und SozialordnungAusschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschußb) Beratung des Antrags der Abgeordneten Stephan Hilsberg, Günter Rixe, Peter Enders, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPDGemeinschaftsinitiative Ausbildungsplatzsicherung- Drucksache 13/1838 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß far Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung Ausschuß für WirtschaftAusschuß für Arbeit und SozialordnungAusschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend HaushaltsausschußZum Berufsbildungsbericht liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vor.Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die gemeinsame Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.Ich eröffne hiermit die Aussprache. Das Wort hat der Herr Bundesminister für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie, Dr. Jürgen Rüttgers.
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute den Berufsbildungsbericht und damit auch über die Ausbildungsplatzsituation im Jahre 1995. Sie haben bei der Lektüre dieses Berufsbildungsberichtes gelesen, daß ich zwei Schwerpunkte gesetzt habe: erstens die Ausbildungsplatzsituation, zweitens die Umsetzung des Maßnahmenkataloges zur Stärkung und Modernisierung der beruflichen Bildung. Ich glaube, beides gehört zusammen. Es ist zwar wahr, daß im Moment im öffentlichen Interesse naturgemäß die Frage der Lehrstellensituation steht. Deshalb will ich zuerst dazu kurz Stellung nehmen.
Für die Bundesregierung ist die Sicherung eines ausreichenden Ausbildungsplatzangebotes eine zentrale Aufgabe. Wir wollen auch in diesem Jahr, daß jeder junge Mann und jede junge Frau, die eine Lehrstelle haben will und übernehmen kann, einen Ausbildungsplatz bekommt.
Es hat leider in den vergangenen Wochen eine zum Teil sehr, sehr heftige Diskussion über die Zahlen gegeben. Ich glaube, wir können übereinstimmend feststellen, daß die Konfusion, die zum Teil dadurch entstanden ist, daß zur Begründung verschiedener Auffassungen unterschiedliche Zahlen aus unterschiedlichen Quellen verwandt worden sind, für die jungen Leute ganz sicherlich nicht zur Aufklärung der Situation beigetragen hat.
Die Bundesregierung hat sich deshalb darum bemüht, im letzten Gespräch zur Zukunftssicherung des Standortes Deutschland bei Bundeskanzler Helmut Kohl zu einer Klärung dieser Situation beizutragen. Ich möchte an Sie alle, auch an die Öffentlichkeit, appellieren, diese dort übereinstimmend festgestellten Zahlen der weiteren Diskussion zugrunde zu legen.
Bundesminister Dr. Jürgen Rüttgers
Wir haben auf der Basis der Zahlen der Bundesanstalt für Arbeit Ende Mai eine Zwischenbilanz gezogen. Es ist festzustellen, daß wir in den westlichen Bundesländern auch in diesem Jahr wieder einen Ausbildungsplatzüberschuß haben. Man muß dazusagen, daß dieser Überschuß kleiner ist als in den vergangenen Jahren; aber es gibt nach wie vor einen Ausbildungsplatzüberschuß. Es gibt - auch das muß man dazusagen - durchaus regionale Unterschiede. Es ist sicherlich im Norden der Republik schwieriger als im Süden. Aber dies bedeutet, daß wir das Ziel im Westen ganz sicher erreichen werden.
In den neuen Bundesländern ist die Situation sicherlich schwieriger. Dort besteht auch unstreitig Handlungsbedarf. Aber die Frage, mit welcher Strategie man zur Lösung dieses Problems antritt, ist natürlich eine zentrale Frage. Die Bundesregierung setzt darauf, daß es, wenn wir den jungen Leuten schnell helfen wollen, richtig ist, daß wir versuchen, so viele Ausbildungsplätze wie möglich zu mobilisieren. Das heißt gleichzeitig, daß wir dirigistische Maßnahmen nicht ergreifen werden, weil diese dazu führen würden, daß das gesellschaftspolitisch wichtige Ziel nicht erreicht werden kann.
Ich habe keinerlei Zweifel, daß die Wirtschaft alles daransetzt, ihre Zusage in Ost und West einzuhalten, 1995 erheblich mehr Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen, als dies 1994 der Fall war. In den neuen Bundesländern werden wir insgesamt rund 130 000 Ausbildungsplätze brauchen. Ich gehe davon aus, daß wir uns in den nächsten Wochen noch anstrengen müssen, um eine Lücke von weiteren 15 000 Plätzen zu schließen.
Die SPD geht in ihrem Antrag von einer Lücke von 20 000 Ausbildungsplätzen aus. Das entspricht nicht den bisherigen Erfahrungen mit der Entwicklung der letzten Jahre. Aber selbst wenn man diesen Pessimismus zugrunde legt, dann heißt die gute Botschaft jetzt, kurz vor Ende des Monats Juni, daß bereits heute 85 % bis 90 % der Jugendlichen in den neuen Ländern mit einem betrieblichen Ausbildungsplatz werden rechnen können. Ich finde, das ist drei Monate vor Ende des Vermittlungsjahres und zweieinhalb Monate nach der Zusage der Wirtschaft ein durchaus gutes Ergebnis.
Ich habe gesagt, daß dies bedeutet, daß wir noch weitere Schritte gehen müssen. Dazu gehört auch die Vorbildfunktion der öffentlichen Hand. Ich habe deshalb kein Verständnis dafür, daß etwa im Hinblick auf den Bund in den Anträgen der SPD Vorwürfe enthalten sind. Das kann nur auf Nichtwissen, auf schlechter Recherche oder darauf beruhen, daß man die Anträge zu früh geschrieben hat und die Sache inzwischen überholt ist.
Die Bundesregierung hat bereits gehandelt. In der Bundesverwaltung werden wir das Ausbildungsplatzangebot für anerkannte Ausbildungsberufe in diesem Jahr um mehr als 5 % erhöhen. Das ist vorbildlich. Bahn und Post haben auf Drängen der Bun-
desregierung ihre nach der Privatisierung ursprünglich am Eigenbedarf orientierte Planung von 5 900 Plätzen nachhaltig nach oben korrigiert. Sie werden fast 9 000 Ausbildungsplätze anbieten.
Wer mit dem Finger auf andere zeigt, der sollte selbst in den Spiegel schauen. Ich muß sagen, daß ich mit den bisherigen Reaktionen auf Länderebene nicht zufrieden bin. Ich habe z. B. in den letzten Wochen, für mich völlig unverständlich, wieder Vorwürfe von der zuständigen Ministerin des Landes Brandenburg in der Öffentlichkeit gehört. Es ist schon ein Stück Unverfrorenheit, dem Bund Vorwürfe zu machen, gleichzeitig allerdings auf die entsprechende Rundfrage, die wir bei allen Bundesländern gemacht haben, wie sich denn die Länder in diesem Jahr verhalten wollen, nicht oder nur unzureichend zu antworten und statt dessen kommentarlos zu übermitteln, daß die Ausbildungsplatzangebote für die Laufbahnausbildung im mittleren und gehobenen Dienst 1995 in Brandenburg um 45 % zurückgefahren worden sind. Das ist nicht die Vorbildfunktion, von der ich spreche.
Nachdem ich von der Kollegin Hildebrandt einen Brief bekommen habe, den es auch im letzten Jahr gegeben hat - als dann wieder alle jungen Leute einen Ausbildungsplatz bekommen haben, hat sie vergessen, einen entsprechenden Dankesbrief zu schreiben -, habe ich ihr angeboten, daß ich mich mit einem Brief an sie wenden werde, wenn wir das Ziel nicht erreichen. Ich erwarte allerdings im umgekehrten Fall von ihr eine entsprechende positive Mitteilung.
Das, was wir an konkreten Vorschlägen in den Entschließungsanträgen haben, hat mich allerdings zum Teil gewundert - zum Teil deshalb gewundert, weil dort Forderungen aufgestellt werden, die bereits umgesetzt worden sind.
Das betrifft zum einen das Thema Ausbildungsberater. Sie wissen, daß wir nach dem 1. Juli mit einem Sonderprogramm in einem Umfang von 54 Millionen DM 150 Ausbildungsplatzentwickler in den neuen Bundesländern einsetzen, die in den Betrieben, die noch nicht ausbilden, helfen wollen, die natürlich zum Teil vorhandenen bürokratischen Hemmnisse zu überwinden.
Wir wollen des weiteren, wie dort gefordert, im Rahmen der vorhandenen Programme die Anstrengungen zu einer besonderen Förderung von jungen Frauen und Mädchen weiterführen.
Wir werden aufgefordert, überbetriebliche Einrichtungen zu fördern. Ich will in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, daß wir den neuen Ländern bei der Förderung überbetrieblicher Ausbildungsstätten absoluten Vorrang gegenüber den alten Ländern gegeben haben. 330 Millionen DM wurden bisher eingesetzt. 1995 werden wir weitere 120 Millionen DM - ich sage das noch einmal - vorrangig in den neuen Ländern investieren.
Bundesminister Dr. Jürgen Rüttgers
Ich glaube, daß auf Grund dieser Situation alle Chancen da sind, daß wir das wichtige gesellschaftliche Ziel erreichen, daß junge Leute am Beginn ihres Arbeitslebens eine Ausbildungschance bekommen. Dies ist ein wichtiger Punkt.
Den Vorschlag der Grünen, eine mögliche Lücke auf dem Ausbildungsmarkt in den neuen Ländern zu einem Teil durch ein Mobilitätshilfeprogramm zu schließen, halte ich für bedenkenswert. Wir haben ähnliche Überlegungen bereits in der Runde beim Bundeskanzler am 14. Juni diskutiert.
Ich begrüße auch den Vorschlag der Grünen, durch weitere tarifliche Vereinbarungen zur Ausbildungsplatzsicherung und zu Übernahmemodellen die Verantwortung der Wirtschaft in den Vordergrund zu stellen. Ich will in diesem Zusammenhang die chemische Industrie ausdrücklich loben, die dies anläßlich des Abschlusses ihres Tarifvertrages gemacht hat. Ich will mich auch ausdrücklich beim Deutschen Gewerkschaftsbund bedanken, der in diesem Jahr erstmals erklärt hat - das ist auch für die Betriebe wichtig -, daß er in den Betrieben, die über Bedarf ausbilden, nicht auf einer Übernahme der jungen Leute in feste Arbeitsverhältnisse nach Ende der Ausbildung bestehen wird. Das ist natürlich für die Betriebe ein wichtiges Signal, daß sie über Bedarf ausbilden können, ohne später mit dem Betriebsrat Probleme zu bekommen.
Daneben steht natürlich der Maßnahmenkatalog, stehen die Maßnahmen zur Verbesserung der beruflichen Ausbildung. Darüber haben wir in einer früheren Debatte gesprochen. Ich halte das für einen zentralen politischen Punkt. Viel zuwenig Leute in Deutschland wissen, daß die Frage der Ausbildungsplätze nicht nur ein Problem des Jahres 1995 ist, sondern weil wir in den kommenden Jahren bis weit ins nächste Jahrtausend, also über 2005 hinaus, zahlenmäßig steigende Jahrgänge haben werden, müssen wir auch im Bereich der qualitativen Ausstattung unseres dualen Systems Veränderungen vornehmen. Ich habe in einer der Debatten schon einmal darüber berichten können, und der Maßnahmenkatalog gibt dies wieder.
Dies heißt z. B., daß wir das Verfahren zur Festlegung von Berufsbildern drastisch auf zwei Jahre verkürzt haben. Das ist für diejenigen, die sich mit beruflicher Bildung beschäftigen, eine kleine Revolution. Das heißt, dafür zu sorgen, daß leistungsstarke junge Leute eine besondere Begabtenförderung erhalten; das heißt: Neudefinition neuer Berufe, sogenannter Zukunftsberufe; das heißt auch, ein besonderes Programm für Lernschwache aufzulegen.
Das sind Punkte, die wir zum Teil in diesem Jahr noch umsetzen werden, die zum Teil im kommenden Jahr abgeschlosssen werden können und die dazu beitragen werden, die Situation auf dem Ausbildungsmarkt zu verbessern, also die Anzahl der Ausbildungsplätze zu erhöhen.
Sie sehen, meine Damen und Herren, daß das Thema berufliche Bildung ein Thema ist, das der Bundesregierung sehr am Herzen liegt. Wir sind froh, daß wir gerade in diesem Bereich in den letzten Monaten so große Erfolge erzielen konnten.
Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt die Senatorin für Arbeit und Frauen des Landes Berlin, Frau Dr. Christine Bergmann.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Rüttgers, wenn ich Sie hier so reden höre, wird mir manchmal ganz anders, weil ich mich frage, wer von uns eigentlich eine falsche Wahrnehmung hat.
Wenn ich Sie reden höre, habe ich das Gefühl, uns liegen einfach nur die falschen Zahlen vor, und deswegen sehen wir dieses Problem im Moment als so groß an.
Ich komme noch zu einzelnen Punkten und will vorweg nur folgendes sagen: Es stimmt, wir haben im vergangenen Jahr in Berlin die Jugendlichen zum Jahresende untergebracht, aber fragen Sie nicht, wie - natürlich mit einer Gemeinschaftsinitiative, mit Hilfe beträchtlicher Landesprogramme und auch dadurch, daß wir eine ganze Menge in die Warteschleife geschoben haben, die natürlich jetzt einen Ausbildungsplatz suchen. In diesem Jahr haben wir all dies nicht: Es gibt diesen Puffer nicht mehr; eine größere Anzahl von Jugendlichen drängt auf den Ausbildungsmarkt; wir haben einen Rückgang an Ausbildungsplätzen zu verzeichnen; es gibt keine Gemeinschaftsinitiative. Deswegen machen wir uns solche Sorgen.
Um auch das noch einmal vorneweg zu sagen: Es geht nicht um meine Sorgen oder um Ihre Sorgen, sondern darum, daß Jugendliche über Monate hinweg nicht wissen, was mit ihnen wird.
Denen kann ich dann zwar sagen: Im letzten Jahr haben wir es noch hinbekommen; aber das nützt denen nichts. Sie stehen jetzt da und fragen: Was wird mit mir im September?
Wir haben in Berlin vor kurzem den langjährigen Bezirksleiter der IG Metall Horst Wagner in den Ruhestand verabschiedet. Horst Wagner ist ein Mensch, der in seinem ganzen Leben politisch sehr engagiert war, in unterschiedlichen Ämtern: im Parlament, in der Regierung, in der Gewerkschaft. Er sagte in seiner Abschiedsrede, daß ihn ein Problem am Ende sei-
Senatorin Dr. Christine Bergmann
ner beruflichen Laufbahn besonders bewege, nämlich die Tatsache, daß wir jetzt eine ähnlich dramatische Ausbildungsplatzsituation haben wie zu Beginn seiner beruflichen Tätigkeit vor mehr als 40 Jahren.
Aus diesen Worten klingt die ganze Verzweiflung und Sorge über die Ausbildungsmisere - Verzweiflung deshalb, weil es offensichtlich eben nicht mehr hinreichend gelingt, den jungen Menschen am Beginn ihres Lebensweges eine Perspektive zu geben, und Sorge darüber, wie sich eine solche für viele niederschmetternde Lage auf unser Gesellschaftssystem, auf unser Zusammenleben und auf das Politikverständnis auswirken muß. Ich kann das nicht so cool betrachten, wie Sie das offensichtlich können, Herr Rüttgers.
Wir haben eine ganze Reihe von Problemen, die alle etwas miteinander zu tun haben: Wir stehen vor einer nicht nur vorübergehend hohen Arbeitslosigkeit. Das Grundrecht auf freie Berufswahl ist faktisch nicht mehr realisierbar - obwohl es uns in Art. 12 des Grundgesetzes garantiert wird -, weil einfach nicht genügend Ausbildungsplätze zur Verfügung stehen.
Es gibt auch eine hohe Zahl von nicht zukunftssicheren Ausbildungsplätzen - auch das gehört, so glaube ich, mit in diese ganze Diskussion hinein -, weil noch zu viele Ausbildungsplätze in Bereichen angeboten werden, die eben nicht zukunftsträchtig sind, während uns in anderen Bereichen, von denen wir wissen, daß es dort bessere Perspektiven gibt, z. B. im Dienstleistungsbereich, Ausbildungsplätze fehlen. Viele junge Menschen müssen eben befürchten, daß sie nach der Ausbildung - wenn sie das Glück hatten, einen Ausbildungsplatz zu bekommen - nicht übernommen werden und sich an die Ausbildung womöglich eine Umschulung anschließt, was an sich schon irgendwie schizophren ist.
Herr Rüttgers, ich frage mich wirklich, was das für ein Zynismus ist, wenn Sie in dieser Situation erklären - Sie haben es hier wieder getan -, die Ausbildungsfrage sei eine Angelegenheit der Wirtschaft, also nicht eine des Staates, und man dürfe mit staatlichen Maßnahmen nicht zu früh eingreifen, um die Wirtschaft nicht aus der Verantwortung zu nehmen.
Auch ich will das nicht. Ich glaube, keiner von uns will die Wirtschaft aus der Verantwortung entlassen. Aber meine Frage ist natürlich: Was tun Sie denn über Appelle hinaus, um diese Verantwortung einzufordern?
Wir kennen doch die Situation - ich muß das nicht im Detail ausführen -: Es besteht eine erhebliche Ausbildungsplatzlücke. Ich will gar nicht darüber streiten, welche Zahlen die richtigen sind.
Ich beziehe mich noch einmal auf den Osten. Trotz eines wirtschaftlichen Aufschwungs ist das Angebot an Lehrstellen gegenüber 1994 nur um 1,7 % gestiegen, während sich die Bewerberzahl im gleichen Zeitraum um 14,5 % erhöhte. Das sind 2,3 Bewerber oder Bewerberinnen pro Stelle. Im Ostteil Berlins ist die Situation noch kritischer; da sind wir bei einer Quote von 3,7. Die Gesamtzahl will ich jetzt einmal außen vor lassen.
Das Problem besteht natürlich nicht ausschließlich in Ostdeutschland. Auch in den Altbundesländern gibt es Regionen - Sie haben das angesprochen -, in denen eine erhebliche Unterversorgung besteht. Auch hier nimmt die Zahl der Bewerber um einen Ausbildungsplatz zu, und die Zahl der Ausbildungsplätze geht zurück. Es reicht auch nicht, die rechnerischen Größen von Nachfrage und Angebot in zahlenmäßige Übereinstimmung zu bringen. Es geht natürlich auch darum, für junge Menschen Wahlmöglichkeiten zu schaffen. Es geht darum, die richtigen, die zukunftsorientierten Ausbildungsplätze bereitzustellen. Das kann und wird die Wirtschaft nicht alleine lösen, selbst wenn sie dazu bereit ist. Ich habe diesbezüglich entschieden mehr Zweifel als Sie.
Wenn wir uns einmal die Situation bezüglich der Ausbildungsplätze in den Betrieben anschauen, dann stellen wir fest, daß zwei Drittel der Betriebe in Deutschland überhaupt nicht ausbilden. In Thüringen, so habe ich mir sagen lassen, gibt es den schlechtesten Stand überhaupt: Nur 7 % der Betriebe bieten Ausbildungsplätze an.
Große leistungsfähige Ausbildungsstätten, die für eine überbetriebliche Ausbildung geeignet sind, machen dicht. Manche bieten diese Einrichtungen dann dem Land zum Kauf an, damit sie dort außerbetriebliche Ausbildung finanzieren können.
Das alles soll es geben.
Der Trend, daß Ausbildungsstätten mit Blick auf die Kosten dichtmachen, hält an. Länder und Gemeinden sind dann gezwungen, außerbetriebliche Ausbildungsstätten einzurichten und eine Art Notausbildung zu garantieren. Das wird über Mittel der Bundesanstalt für Arbeit und über staatliche Subventionen finanziert. Gleichzeitig aber beklagt die Wirtschaft, daß die Qualität der außerbetrieblichen Ausbildungsstätten nicht ihren Standardvorstellungen entspreche, und wertet die außerbetriebliche Ausbildung damit im Grunde ab.
Das läßt sich auch belegen. Es gibt Untersuchungen, z. B. die Verbleibsstudie des IAB, die zeigen, daß der Anteil der Arbeitslosen, die eine außerbetriebliche Ausbildung absolviert haben, um das Doppelte höher ist als der Anteil der Arbeitslosen, die betrieblich ausgebildet wurden. Auch dies - wir sind heute häufiger bei Frauenthemen - ist wieder ein Frauenthema; denn 71 % der außerbetrieblichen
Senatorin Dr. Christine Bergmann
Ausbildung wird von Mädchen in Anspruch genommen, weil ihre Chancen, einen betrieblichen Ausbildungsplatz zu bekommen, wesentlich schlechter sind.
In diesem Zusammenhang möchte ich noch auf einen anderen Punkt hinweisen: Es sind übrigens auch wieder Mädchen, die hinsichtlich der Mobilität in bezug auf die Arbeitsplätze ganz weit vorn liegen, obwohl man ihnen das in der Regel nicht zuspricht.
In den neuen Bundesländern läßt sich bekanntermaßen - das wissen Sie auch - eine betriebliche Ausbildung nur noch mit Subventionen sicherstellen. 60 % der Ausbildungsplätze werden schon jetzt subventioniert, wovon ca. 24 % auf außerbetriebliche Ausbildungsplätze entfallen.
Wir wissen auch, daß die Bemühungen der Bundesanstalt für Arbeit, der Kammern und Verbände, bei den Betrieben um die Bereitstellung von mehr Ausbildungsplätzen zu werben, in der Gesamtbilanz des Ausbildungsplatzbedarfs nur von mäßigem Erfolg gekrönt sind. Sie sind zu loben; denn sie tun das - dafür sind wir alle -, und das eine oder andere kommt auch dabei heraus. Wenn Sie sich aber bestimmte Regionen wie z. B. mein Wohngebiet, Marzahn/Hellersdorf, anschauen, werden Sie erleben, daß es keinen einzigen Ausbildungsplatz gibt. Wir haben das praktiziert.
Die Hinweise auf die unterschiedliche regionale Verteilung von Ausbildungsplätzen und die Klage über die mangelnde Mobilität der jungen Leute treffen das Problem nicht im Kern.
Meine Damen und Herren, ich möchte auch hier sagen, daß es einen Königsweg in der Frage der Ausbildungsplätze genausowenig gibt wie bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Ich werfe Ihnen, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, nur vor, daß Sie noch nicht einmal den ernsthaften Versuch unternehmen, das Problem wirklich zu lösen.
Ich finde wirklich fast keine Worte dafür, daß wir jetzt, zu Beginn der großen Ferien, noch immer keine Informationen darüber haben, ob und in welcher Weise die dringend erforderliche Gemeinschaftsinitiative fortgeführt werden soll. Ich habe eingangs gesagt, wie die Situation ist und daß wir sie im vergangenen Jahr nur bewältigt haben, weil wir die Gemeinschaftsinitiative und noch einiges andere hatten.
Wir wissen also immer noch nicht, ob und wann wir eine solche Gemeinschaftsinitiative bekommen werden. Herr Rüttgers, ich hatte gehofft, das heute von Ihnen zu hören. Es gibt vielleicht noch eine Gelegenheit, sich dazu zu äußern.
Die Bedingungen sind eindeutig schlechter geworden. Wir haben mehr junge Menschen, die auf Ausbildungsplätze warten. Ich weiß nicht, ob Sie es für richtig halten, die Spannung noch ein wenig aufrechtzuerhalten. Sind Sie sich eigentlich wirklich der
Auswirkungen dieser Zitterpartien auf die Jugendlichen bewußt? Mir erzählen mittlerweile schon 14-und 15jährige im Ostteil Berlins oder in Brandenburg, sie hätten keine Chancen in dieser Gesellschaft. Ich erschrecke jedesmal sehr. Es stimmt so natürlich nicht, aber es ist ein Stück Lebensgefühl, das junge Menschen heutzutage haben, wenn sie sich fragen: Wie wird eigentlich mein Start in die Arbeitswelt sein? Das kann uns wirklich nicht kaltlassen.
Ich bitte Sie also nachdrücklich, unverzüglich die Gespräche darüber zu beginnen, wie die Gemeinschaftsinitiative Ausbildungsplätze weitergeführt werden kann. Es liegt ein sehr vernünftiger Vorschlag der SPD-Fraktion auf dem Tisch. Ich fordere Sie auf, die dazu erforderlichen Mittel bereitzustellen. Die Länder werden sich ihrerseits auf vernünftige Weise an dem nötigen Finanzvolumen, wie wir es bisher auch schon getan haben, beteiligen.
- Ja, das haben wir immer getan.
Wir kennen das Spielchen schon. Wenn es nicht so bitter wäre und nicht auf dem Buckel der Jugendlichen ausgetragen würde, könnte ich sagen: Jedes Jahr dasselbe Theater. Seit Januar kämpfen wir um eine solche Gemeinschaftsinitiative, und irgendwann kommt sie dann.
Es zeigt auch keine Wirkung mehr und wird nach meinen Erfahrungen mittlerweile auch von der Wirtschaft mit Häme aufgenommen, wenn Sie meinen, Lösungen erst kurz vor dem neuen Ausbildungsjahr anbieten zu müssen. Wir wissen doch schon heute - darüber gibt es keinen Zweifel -, daß staatliche Subventionen zur Stützung der Ausbildungssituation in den neuen Ländern unvermeidbar sind.
Aber ich möchte noch einen anderen Punkt ansprechen, meine Damen und Herren.
Frau Kollegin, die von Ihnen angemeldete Zeit ist vorbei. Sie dürfen zwar länger sprechen, aber ich wollte Sie doch darauf hinweisen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich kürze das ab. — Wir brauchen also zum einen dringend die Gemeinschaftsinitiative, um in diesem Jahr über die Runden zu kommen, aber das reicht nicht.
Wir müssen zum zweiten ganz andere Fragen beantworten, nämlich: Wie gehen wir gegen Betriebe vor, die aus berechtigten oder vorgeschobenen Gründen zunehmend auf Ausbildung verzichten? Wie lösen wir dieses Problem längerfristig? Ich ziele damit nicht auf eine Ausbildungsabgabe ab - ich halte sie für nicht sehr vernünftig; wir wollen die Betriebe auch nicht zusätzlich belasten -, aber schauen wir doch einmal in die Nachbarländer, z. B. nach Dänemark. Dort gibt es eine Umlagefinanzierung und ei-
Senatorin Dr. Christine Bergmann
nen Fonds, in den alle einzahlen, die, die ausbilden, und die, die nicht ausbilden, und auch die öffentliche Hand. Aus diesem Fonds wird die Ausbildung finanziert.
Solche Modelle wären doch zumindest eine ernsthafte Diskussion wert, um Jugendlichen zu signalisieren, daß wir ihnen ihr Recht auf Ausbildung zubilligen wollen, daß wir ihnen ihr Recht auf Zukunft geben wollen -
Frau Kollegin!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
- und daß wir uns wirklich nicht unserer Verantwortung entziehen und uns drücken wollen.
Danke.
Das Wort hat die Kollegin Elisabeth Altmann.
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kollegen und Kolleginnen! Meine Zahlen, Herr Minister Rüttgers, resultieren aus den Antworten auf zwei Kleine Anfragen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom Ende letzten Monats und der Fragestunde in der letzten Woche, als Frau Yzer geantwortet hat. Sie sprach von 130 000 betrieblichen Ausbildungsplätzen, Herr Minister, die im Osten benötigt werden, und nicht von 130 000 Ausbildungsplätzen - das ist ein Unterschied -, denen 73 000 Suchende gegenüberstehen.
Wir konnten es in der letzten Woche auch aus der Presse entnehmen: Die Angst vor der Arbeitslosigkeit sitzt vielen Jugendlichen im Nacken. 36 % der jungen Leute aus dem Westen und 53 % der jungen Leute aus dem Osten sahen Arbeitslosigkeit als ihr größtes Problem an.
Viele Eltern, Lehrer und Lehrerinnen verfolgen jetzt am Schuljahresende mit Sorge die Situation der Schulabgänger und Schulabgängerinnen. Viele der Schüler und Schülerinnen haben bis jetzt noch immer keinen Ausbildungsplatz gefunden, und am 1. September beginnt die Ausbildungszeit.
In der Kanzlerrunde am 15. März hat die Wirtschaft zugesagt, in den beiden kommenden Jahren einen Zuwachs von ca. 10 % bei den Ausbildungsstellen zu verwirklichen. Am 15. Juni hat sie ihre Zusage noch einmal bekräftigt.
Damals wurde Einvernehmen erzielt. Aber wie sieht jetzt, Ende Juni, die Realität aus? In den neuen Bundesländern fehlen, wie auch immer, 70 000 bis 100 000 Ausbildungsplätze. Das heißt, die Hälfte der Suchenden findet keine Stelle. Was tun mit diesen erwerbslosen Jugendlichen? Sie stehen auf der Straße, und das sorgt für sozialen Zündstoff.
In den alten Bundesländern sank das Angebot an Ausbildungsplätzen um 11,4 %. Gleichzeitig steigt die Nachfrage nach Ausbildungsplätzen in Ost und West.
Der Bund, der ja eigentlich Vorbildfunktion hat, baute im letzten Jahr ein Viertel seiner Ausbildungsplätze ab, trotz Ihrer Beschönigungen, Herr Minister. Wir haben die Zahlen. Übereinstimmung wurde auch hier mit Teilen der Wirtschaft erzielt. Da braucht es einen nämlich nicht zu wundern, wenn sich zunehmend gerade große Betriebe aus der Berufsbildung zurückziehen. Mittelständischen und kleineren Betrieben, Handwerksbetrieben, die ihre Ausbildungspflicht ernst nehmen und viel Zeit und Geld in Ausbildung investieren, d. h. zum Teil für die Großbetriebe die Kastanien aus dem Feuer holen, werden nach Abschluß der Ausbildung die Fachkräfte abgeworben.
In den neuen Bundesländern kommt hinzu, daß Handwerksbetriebe, kleinere Firmen, die bisher ausgebildet haben, sich nunmehr gezwungen sehen, sich aus der Ausbildung zurückzuziehen. Rationalisierung und Kostendruck sind für sie enorm gestiegen. So kann unserer Meinung nach keine zukunftsorientierte Politik aussehen.
Mit unserem Entschließungsantrag wollen wir auf diesen skandalösen Mangel an Lehrstellen hinweisen. Davon sprach der DGB - und nicht nur der DGB - Ende April. Wir möchten aber auch praktikable Lösungsvorschläge erarbeiten. Es geht uns darum, sowohl kurz- wie auch längerfristig wirksame Wege aufzuzeigen.
Wir stimmen mit der SPD besonders darin überein, daß die Neuauflage einer Gemeinschaftsinitiative Ost von Bund und Ländern geboten ist.
Es sind hierbei alle Mobilisierungsreserven zur Schaffung von zusätzlichen Ausbildungsstellen zu nutzen. Das gilt für betriebliche, betriebsnahe und überbetriebliche Ausbildungen.
Auch wir fordern den öffentlichen Dienst auf, aktiv zur Behebung der Ausbildungsmisere beizutragen. Bund, Länder und Kommunen sind gefragt. Es darf aber nicht darauf hinauslaufen, daß in Ausbildungsberufen ausgebildet wird, für die hinterher keine beruflichen Verwendungsmöglichkeiten bestehen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie uns insbesondere in den neuen Bundesländern alle Möglichkeiten nutzen. Es ist besser, eine überbetriebliche Ausbildungsstelle zur Verfügung zu stellen, als gar keine.
Auch Mobilitätshilfen, wie sie der Herr Minister eben schon positiv erwähnt hat, können ein Weg sein, um Ausbildungsstellen zu vermitteln. Hier will ich aber keinem Ausbildungstourismus das Wort reden, denn die Frau Meisterin stellt nicht mehr wie in alten Zeiten das Kraut auf den Tisch, sondern sie sitzt
Elisabeth Altmann
am PC und schreibt die Rechnungen, um die Firma über Wasser zu halten. Ihr Haus ist auch zu klein, um die Auszubildenden dort unterzubringen. Die Spitzwegromantik ist also out.
Wenn jedoch junge Menschen bereit sind, in anderen Regionen der Bundesrepublik ihre Ausbildung zu beginnen und zu absolvieren, dann muß das auch honoriert werden. Die meist geringen Ausbildungsvergütungen reichen dafür nicht. Denken wir nur an die oft horrenden Mieten. Die Gefahr dabei ist allerdings, daß es zu einer regionalen Ausdünnung kommt. Wir freuen uns, daß der Herr Minister Rüttgers diesen und auch andere unserer Vorschläge hier positiv erwähnt hat, und wir hoffen auch auf gemeinsame Umsetzung.
Wir fordern nämlich in unserem Entschließungsantrag darüber hinaus die verstärkte Förderung von Ausbildungsstellen insbesondere für Frauen und Mädchen auch in von Männern dominierten Berufen, weiterhin die Förderung überbetrieblicher Ausbildungsstellen vor allem in den neuen Bundesländern - wie auch die SPD -, die Förderung von Verbundausbildungsprojekten in den neuen Bundesländern. Das waren die kurzfristigen Ziele.
Langfristig jedoch muß das duale System in Ost und West - ich glaube, darüber ist sich das Haus einig - wieder funktionsfähig gemacht werden.
Frau Kollegin, es scheint am Thema zu liegen, daß alle Redner zu überziehen versuchen. Sie sind am Ende Ihrer Redezeit.
Noch einen Satz. Einen Exportschlager wie das duale System darf man nicht auf diese Weise ruinieren.
Es liegt also an uns, daß wir nicht allein auf das Versprechen der Wirtschaft setzen. Wir alle sind aufgefordert, für die junge Generation aktiv zu werden und außerdem dafür zu sorgen, daß in Ost und West jeder, jede einen Ausbildungsplatz bekommt.
Herr Kollege Dr. Karlheinz Guttmacher, Sie haben das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im ersten Teil des Berufsbildungsberichts stellt die Bundesregierung die Ergebnisse der Ausbildungsstellenbilanz von 1994 dar. Das wichtigste Ergebnis ist wohl, daß 1994 jeder Auszubildende einen Ausbildungsplatz erhalten hat. Dabei ist die positive Vertragsentwicklung von 1994 darin zu sehen, daß in den neuen Bundesländern 6 000 betriebliche Ausbildungsstellen zusätzlich geschaffen werden konnten. Sehr negativ hat sich dabei gezeigt, daß die Anzahl der außerbetrieblichen Ausbildungsplätze doppelt so hoch -12 600 Verträge - ausgefallen ist.
Unter Berücksichtigung der Landesförderprogramme wurden 1994 rund 45 000 betriebliche Ausbildungsplätze gefördert. Das sind mit den außerbetrieblichen Ausbildungsverträgen ca. 60 % der 1994 in den neuen Bundesländern vergebenen Ausbildungsplätze, die staatlich gefördert worden sind. Meine Damen und Herren, dies ist zuviel. Da stimme ich mit Ihnen, Kollegin Bergmann-Pohl, völlig überein.
Kritisch bemerkt der vorliegende Berufsbildungsbericht daher, daß eine Entwicklung zugunsten einer von der Wirtschaft selbst zu verantwortenden Ausbildung in den neuen Bundesländern noch nicht zu erkennen ist. 1994 ist eine gegenläufige Entwicklung eingetreten. Sowohl aus förderungs- als auch aus ordnungspolitischer Sicht sind Fehlentwicklungen festzustellen, denen entschieden entgegengewirkt werden muß.
Der Bericht geht davon aus, daß die Lehrstellenplatznachfrage 1995 bei etwa 600 000 liegen wird. Bis Mai meldeten sich in den alten Bundesländern 411 000 Bewerber an, denen 471 000 Lehrstellen gegenüberstanden.
Durchaus schlechter ist dagegen die Situation in den neuen Bundesländern; dies ist hier schon mehrmals angesprochen worden. Dort stehen den 130 000 Bewerbern derzeit 73 000 betriebliche Ausbildungsstellen gegenüber. Ein Teil der Bewerber wird erfahrungsgemäß eine weitere schulische Ausbildung, ein anderer Teil - ein Erfahrungswert: man geht von etwa 17 000 aus - der Bewerber wird eine berufliche Ausbildung in den alten Bundesländern aufnehmen.
Im Endergebnis lag die Anzahl der betrieblichen Ausbildungsverträge 1994 um 20 000 höher als die Anzahl der vermittelten Verträge im Mai 1994. Ein ähnlicher Zuwachs ist auch 1995 realistisch zu erwarten. Nach den positiven Meldungen der Wirtschaft werden ca. 15 000 betriebliche Ausbildungsstellen durch die „Aktion Plus" hinzukommen. Bis zu 10 000 Ausbildungsstellen können 1995 über die reguläre AFG-Förderung gestellt werden, so daß mit der Summe von 115 000 Ausbildungsplätzen zu rechnen ist. Aber dies ist noch immer eine Differenz von 15 000 Ausbildungsstellen.
Das vom Kuratorium der Deutschen Wirtschaft für betriebliche Ausbildung, in dem alle Kammern und freien Berufe organisiert sind, unterstützte Programm „Aktion Plus" muß noch stärker werden. Seitens meiner Fraktion möchte ich dem Kuratorium der Deutschen Wirtschaft für Berufsbildung zum 25. Jubiläum, das es in dieser Woche begeht, recht herzlich gratulieren
und ihm auch dafür danken, daß es sich in die berufliche Ausbildung in diesem starken Maße eingebracht hat. Ich möchte ihm auch dafür danken, daß es auf seiner Tagung am Montag wieder hat erkennen lassen, wie ernst es ihm ist, sich für eine berufliche Ausbildung einzusetzen, um sie auf einen neuen, einen stärkeren Weg zu bringen, so daß wir nicht immer wieder diese Engpässe kurz vor der Sommerpause haben und so viele Ausbildungsplätze fehlen.
Dr. Karlheinz Guttmacher
Ein Ziel ist, Mitnahmeeffekte der Länderförderung und die betriebsferne, außerbetriebliche Ausbildung im Rahmen der Gemeinschaftsinitiativen zurückzuführen und eine Förderung zu entwickeln, die eine sich selbst tragende betriebliche Berufsbildung unterstützt und mittelfristig sicherstellt.
Über den Aufbau einer regionalen betriebsnahen Ausbildungsinfrastruktur könnten wesentliche Hemmnisse und Schwierigkeiten bei der betrieblichen Ausbildung beseitigt und bisher nicht ausbildende Betriebe in die Lage versetzt werden, selbst Ausbildung zu übernehmen.
Der Berufsbildungsbereich gibt für die betriebsnahe Infrastruktur sehr richtig folgende Aktivitäten an: eine verstärkte Beratung und Information, praktische Hilfen bei der Aufnahme und Durchführung von Ausbildung für ausbildungsunerfahrene Betriebe, Entwicklung eines zusätzlichen betrieblichen Ausbildungsengagements im Rahmen von Verbundmodellen zwischen Betrieben und betrieblichen ungenutzten Ausbildungsplätzen, Betreuung von Ausbildungsverbünden und anderen Ausbildungsinstitutionen sowie eine intensive Ausbildungsplatzwerbung.
Meine Damen und Herren, wir danken dem Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie, daß es Ausbildungsplatzentwickler einsetzt, die den Mitarbeiterstab bei den Kammern ergänzen und praktische Hilfestellung bei der beruflichen Ausbildung besonders den Betrieben geben, die erstmalig ausbilden.
Ebenso halten wir es für richtig, daß das Bundesministerium für Wirtschaft vorrangig Ausbildungsberater und Ausbildungswerber im Rahmen der „Aktion Plus" einsetzen wird.
Die überbetrieblichen Bildungsstätten - vorrangig in den neuen Bundesländern - werden auch in diesem Jahr mit 120 Millionen DM gefördert. Dies wird zu einem Zuwachs von 800 neuen Werksplätzen führen - additiv zu den bereits geschaffenen 11 000 überbetrieblichen Ausbildungsplätzen.
Meine Damen und Herren, die im vorliegenden Bericht vorgegebenen und bereits eingeleiteten Maßnahmen zur Sicherung der Qualität der beruflichen Ausbildung erscheinen mir besonders wertvoll zu sein. Die Aktualisierung und Modernisierung der Berufsausbildung durch Neuordnung der Ausbildungsberufe muß im Vordergrund stehen und zeitlich innerhalb von zwei Jahren abgeschlossen sein.
Eine schnelle Differenzierung der dualen Ausbildung muß sowohl für die leistungsstarken Auszubildenden als auch in besonderem Maße für junge Arbeitnehmer mit individuellen und sozial bedingten Motivationsschwächen und Leistungsgrenzen erfolgen, um eine qualifizierte und auf dem Arbeitsmarkt verwertbare Berufsausbildung durchzuführen. Mehr praxisorientierte Ausbildungsgänge und Stufenausbildung werden zu Recht von der Wirtschaft gefordert.
Auf der anderen Seite, meine Damen und Herren, ist der Ausbau abschlußorientierter Aufstiegsfortbildung unerläßlich. Hierfür wird es mit Beginn des Jahres 1996 neue Förderinstrumente geben. Mit einer guten, aufeinander abgestimmten beruflichen Erstausbildung und einer anschließenden Aufstiegsfortbildung werden die Attraktivität der beruflichen Ausbildung aufgewertet und die Gleichwertigkeit der beruflichen und allgemeinen Bildung hergestellt.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat die Kollegin Rosel Neuhäuser.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In den letzten Wochen habe ich auf Einladung von Gewerkschaften und Verbänden an vielen Gesprächen zur Berufsausbildung und zur Perspektive der Jugendlichen teilgenommen. Nicht nur in den neuen Bundesländern - in Thüringen oder auch in Sachsen-Anhalt -, sondern auch in Nordrhein-Westfalen machten die Teilnehmer deutlich, daß ihr Vertrauen in die Versprechen von Politik und Wirtschaft schwer erschüttert ist. Mit Zweckoptimismus - „die Wirtschaft wird ihr Versprechen schon halten" - ist der mehr als angespannten Lage auf dem Ausbildungsmarkt nun wirklich nicht zu begegnen.
Nach Angaben der Landesarbeitsämter in Sachsen-Anhalt und Thüringen werden mit Beginn des Ausbildungsjahres im Oktober dieses Jahres bis zu 5 000 Jugendliche ohne Lehrstelle bleiben. Frau Dr. Bergmann hat in ihren Ausführungen vorhin sehr deutlich und eindrucksvoll dargestellt, wie die Situation in Berlin ist. Ich kann ihren Ausführungen nur zustimmen.
Die vom Hauptausschuß des Bundesinstituts für Berufsbildung aufgestellte Forderung, daß Bund und Länder in Anlehnung an das Programm des Landes Sachsen ein Mobilitätsprogramm für Lehrstellenbewerber auflegen sollten, ist bei Licht besehen aber auch bedenklich. Es kann doch nicht angehen, daß gerade die Unternehmen mit den größten Ausbildungsreserven auf der einen Seite ihre Gewinne einfahren und auf der anderen Seite die Kosten für die Ausbildung ihrer Fachkräfte entweder den Klein-und Mittelbetrieben überlassen oder dem Bund und den Ländern bzw. sogar den Auszubildenden und deren Eltern aufbürden. Denn nichts anderes bedeutet dieses hochgelobte Mobilitätsprogramm. Ich denke, das hat auch der Herr Rüttgers noch einmal deutlich gemacht.
Ich muß immer wieder von dem Beispiel der Ausbildungsplätze in den Opel-Werken in Eisenach ausgehen, welche monatlich ihre Bilanz ziehen und trotz alledem noch auf dem gleichen Ausbildungsniveau stehen. Über die damit verbundenen längerfristigen Strukturveränderungen und ihre Folgen scheint man mit diesem neuesten Feuerwehreinsatz nicht nachgedacht zu haben.
Rosel Neuhäuser
Ich fürchte, auch die heutige Debatte um den Berufsbildungsbericht verläuft in gewohnter Routine. Die Koalition spricht davon, daß Probleme einer Lösung zuzuführen sind. Ein Termin wird vorsichtshalber nicht genannt. Die Opposition bemängelt, daß immer weniger Probleme gelöst werden.
Gleichgültig, wie die Debatte auch ausgehen wird - das Problem bleibt: Die Zahl junger Menschen in Ost und West, die keinen Ausbildungsplatz bekommen und sich in das Heer der Arbeitslosen einreihen, wächst von Jahr zu Jahr. Statt neuer Ideen und Konzepte, die grundlegende Lösungsansätze bieten, greifen die Verantwortlichen wieder einmal zu Sofort- und Sonderprogrammen. „Kleckern statt Motzen" würden junge Menschen dazu sagen.
Eines läßt sich heute schon ohne große prognostische Fähigkeit vorhersagen: Wir brauchen im Bundestag eine Debatte um gesamtgesellschaftliche Veränderungen auf breiter Ebene und ein langfristiges Konzept, welches Wege und Möglichkeiten aus der Ausbildungs- und Arbeitsplatzkrise herauszukommen, aufzeigt.
Lösungsansätze wie die Einführung einer Ausbildungsumlage als eine Möglichkeit, Ausbildungsplätze und überbetriebliche Ausbildung zu finanzieren, müssen ernsthaft in Angriff genommen werden.
Anderenfalls stehen wir auch beim nächsten Berufsförderungsbericht vor den gleichen Problemen. Dazu darf es im Interesse der jungen Menschen, die am Anfang ihres Lebens stehen, nicht kommen.
Das Wort hat der Kollege Dr. Rainer Jork.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die jährliche Befassung mit Analyse und Zukunftsfragen der Berufsbildung ist aus meiner Sicht überaus sinnvoll. Berufsbildung ist instationär, lebendig hinsichtlich der Betroffenen und Befaßten und hinsichtlich der Inhalte, wie ein Betrieb eben nur verkaufen kann, wenn er preiswert gefragte Produkte anbietet, also dynamisch und stabil ist.
Berufsbildung ist ein Teil des gesamten Bildungssystems; Berufsbildung ist wesentlich. Aber das Gesamtbildungssystem ist nicht mehr immer in sich stimmig, wie auch der Blick auf den Beschäftigungsmarkt und die Diskrepanz zwischen Attraktivität und Bedarf zeigen. Innovationsbedarf zu Inhalt und Organisation sowie Finanzierung besteht.
Es muß doch zu denken geben, daß zwei Studenten durchschnittlich so lange auf einem Studienplatz verweilen, daß ein gleichaltriger Facharbeiter zehn Jahre Steuern gezahlt hat, um die Durchschnittskosten für ein Universitätsstudium mitzufinanzieren. Die Forderung nach Qualität, nach Chancengerechtigkeit und Differenziertheit, nach Förderung von
Leistung und Benachteiligten, nach Durchlässigkeit, Verfügbarkeit und gerechter Finanzierung muß für alle Bildungswege gelten. Dazu sind auch Besitzstände und Leistungsbereitschaft zu hinterfragen.
Ich begrüße die Aussage im Bericht, daß u. a. die Berufsbildung attraktiver gegenüber der Ausbildung an den Hochschulen dargestellt werden muß, daß Jugendliche mit geringeren Bildungschancen ihre Chance bekommen sollen und daß außerbetriebliche Einrichtungen verringert werden müssen. An dieser Stelle möchte ich dafür danken, daß sie, wenn es nötig war, auch mit Bundesunterstützung gefördert wurden. Ich möchte aber darauf hinweisen - das sagt auch der Antrag von der SPD -, daß das eigentlich auch ein Warnsignal ist.
Bei Lehrstellen ist weiterhin eine unterschiedliche Betrachtung erforderlich - das wurde gesagt - hinsichtlich der Zustände in Ost und West, der Regionen und der Möglichkeiten für Mädchen.
Der Anteil staatlicher Förderung lag in den neuen Bundesländern im vorigen Jahr bei 60 %. Wir sollten uns bewußt machen, daß die Forderung nach zentralstaatlichem Eingriff letztlich meist zugunsten außerbetrieblicher Lehrstellen erfolgt. Das gibt zu denken.
Ich ersuche darum - das ist von Herrn Dr. Guttmacher angesprochen worden -, daß bei der Neuordnung der Ausbildungsberufe, die eine wesentliche Maßnahme für die Zukunft ist, auch auf Tradition und Spezifik geachtet wird, daß ein angemessenes Überleben auch traditioneller Berufe ermöglicht wird.
Ich möchte auf die Lehrstellensituation und die diesbezüglichen Maßnahmen eingehen. Angesichts sichtbarer und beschriebener Defizite sind Schlußfolgerungen zur Qualität, zum Verhalten und zu den Möglichkeiten von Wirtschaft und öffentlichem Dienst und zur zukünftigen Entwicklung erforderlich.
Wie sich bei dem Versuch einer eigenen Recherche zeigte, ist es schwierig, fast unmöglich, Einflußgrößen für die Ausbildungsbereitschaft zu quantifizieren. Ich habe das für Betriebe in den neuen Bundesländern versucht. Aber es besteht durchaus ein erheblicher Zusammenhang mit und eine Abhängigkeit von der Wirtschaftslage, z. B. von der Auftrags- und Ertragslage, von der Lage in bezug auf das Eigenkapital, von der Kreditwürdigkeit aus der Sicht der Banken, von der Umsatz- und Gewinnentwicklung. Ich möchte es deutlich sagen: Wichtig, auch für die Schaffung von Lehrstellen in den neuen Bundesländern, sind Maßnahmen zur Bereitstellung von Risikokapital und zur Bereitstellung von Liquiditätskrediten, die zu den Forderungen gehören, die die CDU-Abgeordneten der neuen Bundesländer in der vergangenen Berliner Tagung mit formuliert haben.
- Auch das läuft, Herr Glotz.
Dr.-Ing. Rainer Jork
Auf das Aktionsprogramm der Wirtschaft haben wir bereits in der Aktuellen Stunde am 17. Mai hingewiesen. Ich habe damals auch auf die Notwendigkeit hingewiesen, die Verantwortungskette zu berücksichtigen: zuerst also Wirtschaft und öffentlicher Dienst, dann Länder und Bund. Die Wirtschaft ist aus meiner Sicht nicht aus der Pflicht zu entlassen.
Ich sehe die Gefahr, daß Sie mit zu früher Diskussion möglicherweise genau dazu beitragen.
Ich will am Beispiel von Sachsen zeigen, was bereits getan ist und was ein Land tun kann, was auch die Länder mit einer SPD-geführten Regierung tun können. Ich möchte allgemein sagen: Brandenburg fordert; Sachsen handelt. - Frau Bergmann, auch in Berlin darf man handeln.
Auch in Sachsen gibt es eine kritische Situation. Als Resultat einer Recherche kann ich sagen, daß es
2 100 Bewerber mehr als im Vorjahr gibt. Sachsen steht auf dem Standpunkt, daß die Fortführung der Gemeinschaftsinitiative Ost nicht angestrebt werden sollte, vielleicht vorerst nicht, weil Eigenverantwortung greifen muß. Es gibt zwei Bewerber auf eine angebotene Stelle. Das ist auch früher gesagt worden. Es gibt da sehr große Streuungen hinsichtlich der Regionen und den Möglichkeiten für Mädchen. In Plauen liegt das Angebotsverhältnis bei 1,62, in Arenaberg sogar bei 4. Also es gibt vier Bewerber für einen Platz.
- Darauf muß das Land reagieren. Dazu, Frau Odendahl, will ich jetzt etwas sagen.
Es gibt fünf Förderprogramme. Das zu wissen ist interessant auch im Zusammenhang mit dem Antrag, den Sie stellen. Als erstes nenne ich ein Programm zur Bereitstellung zusätzlicher Ausbildungsplätze. Das betrifft die Förderung von Betrieben mit einer Größe bis zu 50 Arbeitsplätzen, auch mehr. Es bezieht sich ebenfalls auf die Ausbildungsmöglichkeit für Mädchen. Es gibt eine einmalige Zuwendung von
3 000 DM, bei Mädchen, die gefördert werden, sind es 6 000 DM.
Das zweite - das ist eben angesprochen worden - ist das Mobilitätsprogramm. Es bietet einen Ausgleich für die Mehrkosten bei auswärtiger Unterbringung. In bezug darauf sollte man wissen, Frau Odendahl, daß in Sachsen eben auch Geld gegeben wird, wenn man eine Ausbildungsstelle in Sachsen bekommt, daß der Kredit zinslos ist und daß die Rückzahlung erlassen wird, wenn man anschließend in Sachsen Arbeit findet.
Herr Kollege Jork, die Kollegin Odendahl würde gern eine Frage stellen.
Aber sicher.
Herr Kollege Jork, bevor ich etwas bejuble, würde ich gern wissen, wie viele in Sachsen dieses Programm in Anspruch nehmen. Dann könnte man einmal hochrechnen, welche Möglichkeiten insgesamt angesichts der jetzt bestehenden Differenz dadurch zu erzielen sind.
Die Antwort kann ich Ihnen für dieses Jahr, wie Sie selber wissen, natürlich noch nicht geben, denn das Programm läuft erst. Ich kann Ihnen nur etwas zum letzten Jahr sagen. Es war ein anderes Programm, auch wenn es Mobilitätsprogramm hieß. Es ist am Anfang, weil es relativ spät kam, nicht im erwarteten Maße in Anspruch genommen worden.
Weil das so war, kam das Programm in diesem Jahr früher. Es wurde in der Art geändert, daß es auch für Lehrstellen in Sachsen unter der Voraussetzung, daß die Entfernung über ein definiertes Maß geht, gilt und daß die Förderung nicht zurückzuzahlen ist, wenn eine Arbeit in Sachsen begonnen wird.
Eine aktuelle Zahl für dieses Jahr gibt es also noch nicht. Für das letzte Jahr kann ich sie Ihnen gem geben. Es gab keinen Grund für Euphorie. Deshalb sind Optimierungsbemühungen auf diesem Gebiet nötig.
Ich komme zum dritten Programm, der Förderung von Ausbildungsverbänden für überbetriebliche Lehrgänge. Das dient der Verringerung der Gesamtkosten und ist Geld, das den Veranstaltern gegeben wird, und zwar in erhöhtem Maße dann, wenn weibliche Bewerber, die in gewerblich-technischen Berufen ausgebildet werden, gefördert werden - also auch hier für die Mädchen ein besonderes Programm.
Es gibt ein viertes Programm - ich möchte es kurz machen - zur Einrichtung überbetrieblicher Ausbildungsstätten und ein fünftes zur Förderung der überbetrieblichen Lehrunterweisung.
Insgesamt werden in Sachsen in diesem Jahr mehr als 100 Millionen DM für die Förderung von Lehrstellen unter dem besonderen Aspekt der Förderung von Mädchen und regionaler Schwerpunkte ausgegeben.
Ich darf darauf hinweisen, daß die Arbeitsplatzentwickler vom Bund gefördert werden. Es ist dazu bereits etwas gesagt worden. Ich nenne es deshalb, weil es letztlich Gegenstand eines Ihrer Anträge ist.
Es bleiben in Sachsen aus jetziger Sicht zwischen 6 000 und 8 000 Defizitstellen. Das heißt, es wird weiter zu handeln sein. Ich möchte aber darauf hinweisen, daß wir noch nicht am Ende der Sache sind. Wir sprechen vom ersten und vom zweiten Glied der Kette so, wie ich es gesagt habe. Ich hoffe, daß es funktioniert.
Einige Bemerkungen zu den Anträgen, die uns zur Diskussion vorliegen. In ihnen ist eine Menge guter Gedanken enthalten. Das kann wohl auch nicht anders sein. Im Ausschuß sprechen wir ja konstruktiv über die Fragen.
Dr.-Ing. Rainer Jork
Es gibt aus meiner Sicht einige Unverträglichkeiten und Widersprüche im Vorspann, auf die ich jetzt nicht eingehen möchte. Es gibt inakzeptable Aussagen, so z. B. das, was zur Umlagefinanzierung gesagt wird. Ich halte das Strafgeld nicht für sinnvoll, weil ich der Meinung bin, daß wir damit keine konkreten Plätze schaffen. Es ist ein rein fiskalisches Problem.
Die positiven Gedanken sind aus meiner Sicht aber leider redundant, weil es - unter Bezug auf die genannten Programme - ohnehin läuft.
Ich finde es aber gut, daß wir uns an den Stellen einig sind. Ich sehe darin eine Bestätigung für das, was angesprochen und gemacht worden ist.
Das Mobilitätsprogramm, das von den 90 Kollegen des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN im Unterschied zu den Kollegen der SPD angesprochen ist, habe ich unter Bezug auf Sachsen genannt. Wenn Sie die Aspekte, die sich aus der Frage von Frau Odendahl ergeben, beachten, meine ich, daß es eine gute Sache ist. Es besteht nicht die Gefahr, daß die Leute abgeworben werden. Diesen Punkt halte ich gegenüber den Voraussetzungen aus dem Vorjahr für deutlich verbessert.
Es laufen außerdem noch weitere Landesprogramme. Ich meine, daß das Programm neuer Berufe tatsächlich für die Erhöhung der Attraktivität und der Leistungsfähigkeit geeignet ist.
Der Berufsbildungsbericht zeigt nicht eine Krise in der Berufsbildung, sondern Grundsatzkonflikte im gestörten, unterschiedlich geschätzten und subventionierten Bildungssystem. Dabei ist die Frage nach der Attraktivität für die Lehrlinge, aber auch für die Wirtschaft von Belang.
Es sind politische Konzepte und Mut gefordert, Mut in jeder Frage. Die Lösung wird sich nicht allein im Bereich der Berufsbildung ergeben. Es sind zu definierende Gleichgewichtsstörungen zu beseitigen. Auch hier ist eine ganzheitliche Betrachtung erforderlich.
So wünsche ich mir z. B., daß die Aufstiegsförderung so gestaltet wird, daß Meisterschüler nicht schlechter als Studenten gestellt werden.
Ich hoffe, daß der Berufsbildungsbericht im nächsten Jahr Fortschritte bei der Lehrstellenbereitstellung, bei der Gesetzgebung zur Meisterförderung und der Zukunftsgestaltung der Berufsbilder vermeldet.
Ich danke.
Das Wort hat der Kollege Stephan Hilsberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Minister
Rüttgers, eines haben Sie mit Ihren drei Vorgängern, die wir hier seit 1990 erleben durften, gemeinsam, nämlich das Unvermögen, ein ausreichendes und auswahlfähiges Ausbildungsplatzangebot in Ostdeutschland zur Verfügung zu stellen.
In Ihrer für Sie typischen Rhetorik, die von zynischer Langsamkeit gekennzeichnet ist, präsentieren Sie eigentlich nur ein mehr oder weniger schwaches Krisenmanagement, flankiert von frisierten Zahlen, die schöngeredet werden.
Die Jugendlichen brauchen keine Aussicht auf 85 bis 90 % Sicherheit, was Ausbildungsplätze anbelangt, sie brauchen jetzt Ausbildungsplatzsicherheit.
Die Jugendlichen sind für uns das wichtigste Potential, das wir haben.
Wir haben die Pflicht, dafür zu sorgen, daß sie sich auf ihren Ausbildungsplatz freuen können, weil das mit ihrer gesamten Lebensperspektive zu tim hat. Da kann ich mich doch nicht einfach nur in rein appellativer Weise zum Interessenvertreter der Wirtschaft machen, sondern ich muß beiden gemeinsam helfen. Über die Ursachen des Ausbildungsnotstands ist lange genug diskutiert worden.
Eines muß ich dazu ganz klar sagen: Ihr Entlastungsangriff, Herr Minister, gegenüber der Brandenburger Arbeits- und Sozialministerin ist schlicht entlarvend. Die Tatsache, daß Sie das hier so schildern und sich darüber beschweren, zeigt, daß Frau Hildebrandt mit ihrem Brief und ihrer Politik recht gehabt hat; denn sonst hätten Sie sich nicht nach der Devise „getroffene Hunde bellen" beschwert. Sie sollte das so weiter betreiben. Es ist immer ein gutes Kennzeichen für funktionierende Interessenvertretungen, wenn sich der Adressat öffentlich darüber beschwert.
Es ist sicherlich richtig, daß sehr viel Geld in den Ausbau der überbetrieblichen Bildungsstätten in Ostdeutschland gesteckt wurde. Das muß auch so bleiben; denn bei all den guten Zahlen darf nicht darüber hinweggegangen werden, daß die Dichte der überbetrieblichen Bildungsstätten in Ostdeutschland noch weit hinter den normalen Verhältnissen in Westdeutschland zurückbleibt. Deshalb brauchen wir das noch einige Jahre.
Wir haben einen Antrag „Gemeinschaftsinitiative Ost" präsentiert. Verglichen mit dem Krisenmanagement, das Sie hier bieten, denke ich, Sie brauchen ihn einfach nur zu übernehmen, und das Problem ist gelöst - schlicht und einfach. Wir haben unsere Aufgaben erfüllt. Dazu ist schon viel gesagt worden.
Außerbetriebliche Bildungsplätze sind schlicht notwendig, ohne sie wird es nicht gehen. Herr Jork hat das im Grunde genommen durch die Blume genauso geschildert. Wollen wir doch einmal sehen, ob Sie wirklich ohne ein solches auskommen.
Stephan Hilsberg
Der nächste Punkt, der sehr wichtig ist: Wir brauchen eine bessere Ausstattung der Berufsschulen in Ostdeutschland.
Sie müssen dort einfach mal hingehen. Schon die normalen Instrumente - Werkzeuge und Hilfsmittel -, mit denen die Lehrer dort arbeiten müssen, sind zum Teil schon 20 Jahre alt. Ich will damit nicht sagen, daß dort alles schlecht ist, aber es ist für moderne Arbeitsplätze und Betriebe veraltet. Da müssen Verbesserungen hin, das schaffen die neuen Länder nicht aus eigener Kraft.
Wir müssen natürlich versuchen, zusätzliche Ressourcen zu heben. Einer Ihrer Ansätze war, Ausbildungsplatzfinder - so war doch der schöne Begriff - einzusetzen; Sie nannten sie auch Arbeitsplatzfinder. Im Erfinden von Namen kann man immer gut sein, aber ob das so schnell dem Problem abhilft, weiß ich nicht.
Eines sollten Sie sich zu Herzen nehmen. Das ist unsere Idee einer Verbundausbildung. Damit kommen Sie dem Problem bei, daß bestimmte Betriebe, obwohl sie wollen, nicht ausbilden können, weil ih- nen die Ausbildereignung abgeht. Dieses Problem könnten wir mit der Verbundausbildung lösen; denn dann schließen sich viele Betriebe zusammen. Damit können wir das Problem in den Griff bekommen.
Einen Teil der Gelder, den Sie für Ausbildungsplatzfinder zur Verfügung stellen, würde ich in die Organisationskosten des Modells stecken. Dann haben Sie mindestens 3 000 oder 4 000 zusätzliche Arbeitsplätze. Da kann man schon etwas machen.
Das Stichwort Mobilitätshilfe ist ein interessantes Wort. Wer das als Lösungsvariante für Ostdeutschland sieht, der ist nicht im richtigen Film. Das ist doch im Grunde genommen nichts anderes als ein subventioniertes Programm zum Export von Jugendlichen von Ostdeutschland nach Westdeutschland. Das hilft uns nun wirklich nicht. Es trifft auch nicht die Neigung der Jugendlichen. Ich wette, auch aus dem Erzgebirge, wo es wirklich jämmerlich aussieht, wollen die Jugendlichen nicht wegziehen. Sie wollen vor Ort einen Ausbildungsplatz haben. Das sind ihre Interessen, und die müssen wir versuchen zu lösen. Wenn Sie jetzt nicht einfach mit Mobilitätshilfen kommen, sondern mit Mobilitätsdarlehen nach der Devise „Das kannst du zurückzahlen, wenn du zurückkommst" , und das in einem Land, in dem 20 % Arbeitslosigkeit herrschen - ich bitte Sie, Herr Jork, wem wollen Sie das denn anbieten?
Der Sommer wird schnell vorübergehen; er wird in zwei Monaten zu Ende sein. Sie sollten bis dahin Ihre Hausaufgaben gemacht haben. Wir haben unsere jetzt vorgelegt. Es ist zwar richtig, daß wir immer konstruktiv zusammenarbeiten, aber irgendwann muß man auch mal springen.
Herr Kollege Jork, ich kann nicht mehr fragen, ob Kollege Hilsberg eine
Zwischenfrage zuläßt; denn seine Redezeit ist abgelaufen.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Kollege Dr. Martin Mayer.
Meine Damen und Herren! In den neuen Bundesländern haben junge Menschen in der Tat große Probleme, einen Ausbildungsplatz zu finden. Deshalb ist es in dieser Sondersituation gerechtfertigt, daß der Staat mit Programmen eingreift. Diese Sondersituation darf aber nicht dazu führen, daß generell die Forderung erhoben wird, der Staat solle mehr Geld aufwenden, der Staat solle in die berufliche Bildung eingreifen. Das Gegenteil brauchen wir: In der beruflichen Bildung muß die Verantwortung weiterhin bei den Meistern und Ausbildern in den Betrieben bleiben. Das ist die Stärke der beruflichen Bildung in Deutschland, die in allen Teilen der Welt Bewunderung und Nachahmung findet.
Aus eigener Erfahrung in einer dreijährigen Lehrzeit weiß ich
- das ist wahr; ich schäme mich meines Alters nicht! -, daß die Verbindung von Arbeit im Betrieb und begleitender Ausbildung in der Berufsschule die Begeisterung für den Beruf weckt und eine hervorragende Voraussetzung für das spätere berufliche Leben ist. Ich möchte, weil hier viel von staatlichen Eingriffen gesprochen worden ist,
noch einmal sagen: Der Auszubildende darf sich nicht als Schüler fühlen, der gelegentlich mal im Betrieb vorbeikommt, sondern er muß sich als Betriebsangehöriger fühlen, der in der Berufsschule ergänzend unterrichtet wird.
Für die Entwicklung der beruflichen Bildung ist es wenig hilfreich, wenn von Rednern der Opposition und in Anträgen ständig Mißtrauen gegen die Wirtschaft gesät wird,
etwa mit dem Vorwurf, sie würde ihre Zusagen nicht einhalten.
Statt immer wieder an der beruflichen Bildung in den
Betrieben herumzumäkeln und ständig zusätzliche
Forderungen zu erheben - die stellvertretende DGB-
Dr. Martin Mayer
Vorsitzende hat das heute wieder getan, indem sie eine Frauenquote gefordert hat; das ist völlig kontraproduktiv; das wird dazu führen, daß immer mehr Betriebe gar nicht mehr ausbilden wollen -,
sollten wir die große Leistung aller Meister und Ausbilder in Handwerk, Handel, Verwaltung und Gewerbe anerkennen. Die Ausbildung junger Menschen in den Betrieben verlangt neben fachlichem Können viel Geduld, Ausdauer und persönlichen Einsatz.
Viele Handwerksmeister und Inhaber kleiner Gewerbebetriebe sind sich bewußt, daß sich die Ausbildung für den Betrieb finanziell nicht trägt - ich habe in den letzten Tagen mit vielen Betriebsleitern darüber gesprochen -, und dennoch bilden sie aus: aus Verantwortung für den Berufsstand, der nur dann eine Zukunft hat, wenn qualifizierter Nachwuchs da ist, und aus Sorge und Solidarität mit den jungen Menschen, denen sie eine Chance geben wollen. Ich meine, dieser gute Wille der Ausbilder darf durch den Gesetzgeber nicht überstrapaziert und über Gebühr in Anspruch genommen werden.
In einer Zeit raschen technischen und wirtschaftlichen Wandels müssen auch Ausbildungsinhalte rasch angepaßt werden. Deshalb möchte ich den Bundesminister für Bildung in besonderer Weise loben und unterstützen,
daß er es zu seinem persönlichen Anliegen gemacht und sich vorgenommen hat, Ausbildungsinhalte neu zu ordnen, und zwar nicht in einer Zeit von fünf Jahren, sondern in wesentlich kürzerer Zeit. Alle, die daran beteiligt sind, sind aufgerufen, mitzuwirken, daß Ausbildungsberufe den neuen Erfordernissen angepaßt werden.
Daß damit Ballast abgeworfen wird, ist selbstverständlich.
Herr Kollege Mayer, Herr Kollege Büttner würde gerne eine Zwischenfrage stellen.
Bitte sehr.
Bitte.
Herr Kollege Mayer, haben Sie die Aussage vorhin wirklich ernst gemeint - bezugnehmend auf die Außerungen von Frau Engelen-Kefer -, daß ausbildende Betriebe nicht mehr ausbilden würden, wenn sie Mädchen ausbilden müßten?
Ich glaube schon, daß es in kleinen Handwerksbetrieben zu Problemen führen kann, wenn man eine Quote einführt. Das soll nicht heißen, daß ich das Anliegen von Frau Engelen-Kefer, daß auch Mädchen in technische Berufe gehen, nicht unterstütze. Aber das soll nicht durch eine starre Quote erreicht werden. Schauen wir uns vielmehr die Vorschriften der Gewerbeaufsicht und des Arbeitsrechts an, und wir werden feststellen, warum manche Betriebe nicht gleichzeitig Burschen und Mädchen ausbilden. Ich glaube, wir müssen in diesem Punkt Vorschriften abbauen und dürfen nicht neue Vorschriften machen, um so neue Arbeits- und Ausbildungsplätze zu gewinnen.
Ich möchte abschließend sagen: Die Bestimmung von neuen Ausbildungsinhalten darf nicht zu einer generellen Ausweitung von theoretischen Inhalten gegenüber der Praxis führen. Es kommt vielmehr darauf an, entsprechend den verschiedenen Anforderungen der einzelnen Berufe Theorie und Praxis unterschiedlich zu bewerten. Ich meine, dann haben wir in Deutschland die Vielfalt in der Berufsausbildung, die allen jungen Menschen - entsprechend ihren Neigungen und Fähigkeiten - die richtige Chance bietet.
Herr Kollege Günter Rixe, Sie haben jetzt das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Da ich nur noch eine Restredezeit von vier Minuten habe, lege ich einmal alles zur Seite, was ich vorbereitet habe, um auf das duale System zurückzukommen.
Wir haben jetzt immer nur über die Ausbildungsplatzmisere in den neuen Ländern und ein bißchen über die alten Ländern geredet. Aber über das duale System und über den Berufsbildungsbericht haben wir nicht ausführlich diskutiert. Wir werden dazu noch Gelegenheit haben, wenn wir ihn hier verabschieden.
Wenn ich mir diesen Berufsbildungsbericht ansehe, dann stelle ich fest, daß es immer nur die gleichen Vorstellungen und die gleichen Lösungen gibt. Es gibt nichts Neues. Im letzten Jahr wurden laut Berufsbildungsbericht in den neuen Ländern von 118 000 Ausbildungsplätzen 71 000 Ausbildungsplätze staatlich gefördert. Das sind sage und schreibe 60 %. Ich sage hier: Wenn wir dem nicht entgegentreten, kommt das duale System auf die schiefe Bahn. Es ist gefährdet.
Weil es gefährdet ist, müssen wir uns neue Möglichkeiten überlegen. Wir können nicht immer nur sagen: Wir müssen den Anteil der ungelernten Kräfte erhöhen, wir müssen eine Differenzierung in der Berufsausbildung einführen, wir müssen eine Begab-
Günter Rixe
tenförderung organisieren. Nein, wir müssen uns an die Finanzierung des dualen Systems machen. Wir müssen überlegen, ob wir das Ganze nicht umstellen.
Ich will in der kurzen Zeit versuchen, einige Punkte zu nennen - mehr bleibt mir nicht übrig. Zum Beispiel würde ich mal überlegen, ob wir nicht die hohe Zahl der außerbetrieblichen Ausbildungen, die jedes Jahr mehr werden, die jedes Jahr Hunderte von Millionen DM mehr kosten, weil das duale System nicht funktioniert, in den Griff bekommen, wenn wir in der Lehrzeit von dreieinhalb Jahren die ersten eineinhalb bis zwei Jahre in die außerbetriebliche Ausbildung verlegen und dann den schon gut vorgebildeten Auszubildenden bzw. Lehrling erst in dem dritten und vierten Lehrjahr in den Betrieb schicken. Das spart dem Staat, Herr Minister, 50 % Kosten. Darüber sollten wir einmal nachdenken.
Jetzt zur weiteren Finanzierung. Es gäbe z. B. die Möglichkeit, einen überbetrieblichen Leistungsausgleich zu schaffen: Alle Betriebe und öffentlichen Verwaltungen zahlen einen ganz bestimmten Prozentsatz von ihrer sozialversicherungspflichtigen Lohn- und Gehaltssumme. Dieser Betrag wird in einen Fonds eingezahlt, aus dem die Betriebe unterstützt werden, die mehr ausbilden. Die Kammerumlagen und Branchenfonds, die es bereits gibt, die von Gewerkschaften und Arbeitgebern in bestimmten Branchen eingeführt worden sind, sollten wir dem gesamten Berufsbildungssystem überstülpen. Vielleicht würde dies helfen. Der Arbeitgeber, der die Quote erfüllt oder sogar übererfüllt, bekommt eine Unterstützung.
Herr Kollege Rixe, die Kollegin Altmann würde Ihnen gern eine Zwischenfrage stellen.
Bitte.
Bitte, Frau Kollegin.
Herr Kollege Rixe, Sie sprachen vors hin von einem Fondsmodell zur Finanzierung des dualen Systems. Wir hatten in unserem Antrag eine Umlagefinanzierung vorgeschlagen. Die SPD hat sich vorhin dazu kritisch geäußert und gesagt, daß sie es nicht unterstützen wolle. Wie paßt das zusammen?
Wir wollen keine Umlagefinanzierung, die wir schon einmal hatten und die durch Verfassungsgerichtsurteil abgeschafft worden ist. Wir wollen einen Leistungsausgleich schaffen. Wir wollen alle daran beteiligen.
Ich fahre in meinen Ausführungen fort: Man könnte z. B. überlegen, die Kammern per Verordnung oder Gesetz zu verpflichten, in ihrem Bereich dafür zu sorgen, daß die Ausbildungsquote erfüllt wird, daß jeder einen Ausbildungsplatz bekommt. Wenn die Kammer dies nicht macht oder schafft, soll
sie mit dem einprozentigen oder 1,5prozentigen oder wie auch immer bemessenen Anteil an der Lohn- und Gehaltssumme den Ausgleich schaffen und mit diesem Geld beispielsweise eine außer- oder überbetriebliche Ausbildung finanzieren.
Wir könnten die Kammern auch bundesweit zu einem überbetrieblichen Ausgleich verpflichten und dann die Möglichkeit schaffen, den Betrieben, die das Soll übererfüllen, in ihren Bilanzen eine Rückstellung zu genehmigen und ihnen zu erlauben, diese später wieder zu „verfrühstücken". Wir müssen - dies habe ich so frei formuliert - an einigen Punkten nachdenken, Herr Rüttgers.
Wir müssen überlegen, wie wir die Berufsbildungsfinanzierung hinbekommen. Hierzu reichen keine Appelle, Kanzlergespräche, Ausbildungsfonds oder Ausbildungsgespräche. Wir werden in diesem Jahr die Ausbildungsquote nicht erfüllen. Es wird nicht jeder einen Ausbildungsplatz bekommen. Wir müssen darüber langfristig gemeinsam nachdenken.
Danke schön.
Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/1300, 13/1502 und 13/ 1838 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.Der Antrag der SPD zu einer Gemeinschaftsinitiative Ausbildungsplatzsicherung auf Drucksache 13/ 1838 soll zusätzlich dem Ausschuß für Wirtschaft, dem Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie dem Haushaltsausschuß überwiesen werden.Der Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 13/1846 soll an dieselben Ausschüsse überwiesen werden wie der Berufsbildungsbericht.Besteht hierüber Einverständnis? - Dies ist offensichtlich der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 7a bis c auf:a) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ältestenrates zu den Empfehlungen der Kommission des Ältestenrates für die Rechtsstellung der Abgeordneten in den Vorlagen vom 16. Juni 1995- Drucksache 13/1803 -b) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes- Drucksache 13/1824 -
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3852 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995
Vizepräsident Hans KleinÜberweisungsvorschlag:Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
RechtsausschußInnenausschußc) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Achtzehnten Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes und eines Fünfzehnten Gesetzes zur Änderung des Europaabgeordnetengesetzes- Drucksache 13/1825 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
InnenausschußRechtsausschußHaushaltsausschuß gemäß § 96 GONach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die gemeinsame Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Ich nehme an, daß die Gespräche, die allenthalben geführt werden, eher Konsensus signalisieren. Dann ist dies so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der Kollegin Professor Dr. Rita Süssmuth.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach längerer Zeit befaßt sich der Deutsche Bundestag heute wieder einmal mit der Reform seiner Arbeit, aber auch mit der Rechtsstellung seiner Abgeordneten.
Im Vorfeld haben viele Kritiker bei dem, was sie draußen gehört haben, gesagt: Ihr habt gute Absichten, aber ihr werdet das Reformpaket nicht schaffen. - Nun widerlegen wir die Skeptiker und bringen das Reformpaket als Beschlußempfehlung und Bericht des Ältestenrats - in Verbindung mit der Einbringung zweier Gesetze - wie geplant noch vor der Sommerpause ein, und jetzt kritisieren andere dieses Vorgehen als zu eilig und bezeichnen es als Eilpaket. Ich denke, daß eine wirklich lange Beratungsphase in der 12. und jetzt erneut in der 13. Wahlperiode vorausgegangen ist.
Die Rechtsstellungskommission hat unter dem Vorsitz unseres Kollegen Hans-Ulrich Klose innerhalb kurzer Zeit in dieser Wahlperiode ein überzeugendes Reformkonzept zu den wichtigsten Strukturfragen vorgelegt. Herr Kollege Klose, wir danken Ihnen und allen Mitgliedern der Rechtsstellungskommission für die geleistete Arbeit.
Wir haben sie - bei allen Kontroversen - in einer sehr guten Atmosphäre und sehr zügig erledigen können.
Ich glaube, daß wir heute ebenso noch einmal unserem früheren Kollegen Helmuth Becker danken sollten, der die Vorarbeiten für dieses Reformkonzept geleistet hat und uns weiterhin mit seiner großen Erfahrung in verschiedenen politischen Ämtern zur Verfügung steht.
Dieses Reformpaket mit seinen Entscheidungen zur Verbesserung der parlamentarischen Arbeit im Plenum und in den Ausschüssen, mit einer strukturellen Reform zur Entschädigung des Abgeordneten und den Beschlüssen des Ältestenrats zur Verkleinerung des Parlamentes stellt ein Gesamtpaket dar. Warum ist dieses Reformpaket wichtig? Ich denke, wir debattieren darüber aus unserem eigenen Selbstverständnis, aber auch, weil wir sehr wohl wissen, in welcher Weise - übrigens in allen entwickelten Demokratien - die parlamentarische Demokratie auf dem Prüfstand steht.
Unsere Arbeit im Parlament und als Abgeordnete war gerade in der vergangenen Zeit von andauernder Kritik begleitet. Wir müssen uns der Tatsache stellen, daß das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger - ob zu Recht oder zu Unrecht - immer stärker von der Frage begleitet ist: Wie groß ist eigentlich die Problemlösungsfähigkeit der parlamentarischen Demokratie?
Viele erwarten, daß ihnen die komplexen und immer komplexer werdenden Sachverhalte verständlicher dargestellt werden. Sie wollen wissen, was das Parlament tatsächlich für sie leistet. Sie wollen auch eine Erklärung dafür haben, warum Entscheidungen in der parlamentarischen Demokratie oft so lange Zeit brauchen - länger als in anderen Staatsformen. Ich antworte oft darauf: Nur die Diktatur ist schnell. - Insofern sind es mühsame Prozesse.
Wir wissen auch - und erfahren es -, daß nur ein kleiner Teil unserer Arbeit sichtbar wird, und zwar über das Plenum. Deswegen gilt es, die Arbeit dieses Plenums anders zu gestalten. Es gilt aber zugleich, die Anforderungen an Transparenz, Effizienz und Leistungsfähigkeit des Parlaments in den Ausschüssen und den Arbeitsgruppen sichtbar zu machen, damit der unsichtbare Teil kleiner wird.
In Verbindung mit diesen Erwartungen - Transparenz, Effizienz und Leistungsfähigkeit - geht es zugleich um die finanzielle Ausstattung des Mandats. Die gegenwärtige Regelung wird weithin als unbefriedigend empfunden. Einerseits erschwert sie uns zunehmend die Rekrutierung von Abgeordneten aus allen Gruppen der Bevölkerung und ist damit zum Problem einer repräsentativen Zusammensetzung des Parlaments geworden, zum anderen hat uns die Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts, in eigener Sache entscheiden zu müssen, seit 1975 immer wieder den unberechtigten Vorwurf der Selbstbedienung eingebracht. Welche Berufsgruppe, so frage ich, hat sich übrigens in der Vergangenheit acht Nullrunden hintereinander auferlegt und damit einen wesentlichen Sparbeitrag geleistet? Dennoch läßt sich dieses Vorurteil nicht aus der Welt schaffen und betrifft somit das Selbstverständnis des Parlaments ganz nachhaltig.
Kritischen Stimmen, die uns vorwerfen, wir wollten den in der Vergangenheit geleisteten Verzicht jetzt rückgängig machen, halte ich entgegen: Der Verzicht ist tatsächlich geleistet worden. Mittel sind ein-
Dr. Rita Süssmuth
gespart worden und werden nicht zurückgeholt. Die Kritiker übersehen auch, daß das Reformpaket neben Mehrausgaben auch Kürzungen enthält und damit langfristig aufkommensneutral wird.
Zu den wichtigen Vorschlägen, die wir in der Rechtsstellungskommission ausgearbeitet haben, zählt erstens die Reform der parlamentarischen Arbeit. Dafür ist kennzeichnend, daß wir einen Tag in der Woche - wir haben von der „Donnerstagsdebatte" gesprochen - eine Kernzeit haben, während der wir uns im Parlament auf die zentralen Themen ausrichten, die uns wichtig sind, die der Bevölkerung wichtig sind und an denen erkannt wird: Der einzelne Parlamentarier stellt sich mit seinen Positionen und Überzeugungen in der Debatte, ob es um Arbeitslosigkeit, Umweltfragen oder Friedensfragen geht. Während dieser Plenarzeit wollen wir keine parallelen Ausschußberatungen mehr, damit wir wirklich Präsenz gewährleisten können. Es geht uns auch darum, daß wir Debatten lebendig gestalten können, wofür wir eine längere Vorbereitungszeit brauchen.
Im übrigen möchte ich sagen: In bezug auf den leeren Plenarsaal hilft es uns wenig, immer wieder zu betonen, daß es gute und gewichtige Gründe gibt, dem Plenarsaal fernzubleiben. Wenn die Öffentlichkeit diesen Plenarsaal via Fernsehen fälschlicherweise für den einzigen Arbeitsraum des Parlaments hält, ist das um so schwieriger. Was immer an Anstrengungen unternommen worden ist, die Arbeit der Fülle von Parlamentsgremien sichtbar zu machen, die sechs Siebtel des parlamentarischen Eisbergs an die Wasseroberfläche zu holen - es war nicht zu vermitteln.
Wir wollen das Plenum von hochspeziellen Fachdebatten entlasten. Diese sollen künftig stärker in die zuständigen Fachausschüsse verlagert werden. Zu dieser erweiterten öffentlichen Ausschußberatung sind dann nach Entscheidung der Ausschußmitglieder die Medien für die interessierte Öffentlichkeit zugelassen. Auch Besuchergruppen könnten hier zusätzlich Einblick in die Arbeit gewinnen.
Außerdem wird das Instrument der Regierungsbefragung reformiert, um seine politische Bedeutung, Lebendigkeit und Aktualität zu erhöhen. Die Regierung soll dem Parlament künftig einmal in der Sitzungswoche zu aktuellen Fragen Rede und Antwort stehen. Den von der Regierung vorgegebenen Themen soll dabei maximal ein Viertel der Zeit eingeräumt werden.
Änderungen sind auch in der Geschäftsordnung in bezug auf Beschluß- und Beratungsfähigkeit vorgesehen, ebenso in bezug auf Möglichkeiten, Debatten einvernehmlich zu verlängern. Es muß auch möglich sein, Tagesordnungspunkte einvernehmlich abzusetzen oder die Sitzung zu unterbrechen.
Der zweite Teil der Parlamentsreform betrifft die Verkleinerung des Deutschen Bundestages. Der Ältestenrat empfiehlt in seiner Beschlußempfehlung dazu mehrheitlich, den Bundestag mit Wirkung von der 15. Wahlperiode auf deutlich unter 600 Abgeordnete, maximal um 100 Abgeordnete zu verkleinern. Die Entscheidung über das Ob der Verkleinerung wollen wir jetzt treffen; das Wie einer Verkleinerung bedarf sorgfältiger Vorbereitung.
Der Ältestenrat schlägt dazu vor, daß ich hierzu im Einvernehmen mit den Fraktionen unverzüglich eine Kommission einsetze. Sie soll eine Stellungnahme zu allen im Zusammenhang mit einer Verkleinerung des Parlaments entscheidungserheblichen Fragen erarbeiten, insbesondere auch zu der des Neuzuschnitts der Wahlkreise. Dabei hat sie neben der Bevölkerungszahl auch die räumliche Ausdehnung der Wahlkreise in Betracht zu ziehen. Verbindliche Grundlage der Arbeit der Kommission soll die Beibehaltung des geltenden Wahlrechts sein. Die Kommission soll ihren Bericht spätestens im Frühjahr 1997 vorlegen, damit die Umsetzung noch in der 13. Wahlperiode mit Wirkung für die 15. Wahlperiode erfolgen kann.
Kritiker argumentieren mit Blick auf die Zeitdimension, daß dies ein ungedeckter Wechsel auf die Zukunft sei. Wer so redet, hat keine Ahnung davon, daß insbesondere Wahlkreisreformen ein Gebiet sind, bei dem jeder Ortsverband, jeder Unterbezirk seine - gesetzlich nicht vorgesehene - Mitbestimmung einfordert.
Die Entscheidung über eine mögliche Verlängerung der Wahlperiode von vier auf fünf Jahre soll zunächst zurückgestellt und in Verbindung mit dem vorzulegenden Bericht endgültig getroffen werden.
Abteilung 3 schließlich betrifft die Rechtsstellung der Abgeordneten. Der Ältestenrat empfiehlt hier mehrheitlich, Strukturveränderungen bei Abgeordnetenentschädigung und Abgeordnetenversorgung vorzunehmen.
Im einzelnen schlagen wir vor: Hinsichtlich der Regelung der Abgeordnetenentschädigung soll die Besoldung unabhängiger Richter stufenweise bis zum Jahr 2000 zum Maßstab werden. Dazu soll in der Verfassung geregelt werden, daß sich die Abgeordnetenentschädigung künftig nach den Jahresbezügen eines Richters an einem obersten Bundesgericht bestimmt.
Es gibt immer wieder den Einwand, wir seien mit nichts vergleichbar, weil wir eine Gruppe eigener Art, eine Gruppe sui generis, seien. Gleichzeitig sollen wir aber bestimmen, was eine angemessene Entschädigung ist. Insofern kann man nur Bezugsgrößen nehmen, die in vergleichbarer Tätigkeit liegen, was ihren Verantwortungsbereich betrifft. Mängel gibt es da immer, aber ich denke, wir haben jeweils die Erfahrung gemacht, daß Zielvorgaben, wie sie schon 1977 bestanden, weit unterschritten wurden und auch niemals die Vorgabe eingelöst worden ist, daß ein Abgeordneter eine Entschädigung erhalten solle, die nicht geringer ausfallen dürfe als die Besoldung des obersten Beamten, den er kontrolliert. Davon sind wir weit entfernt und sind erheblich abgerutscht.
Dr. Rita Süssmuth
Hinsichtlich der Kostenpauschale hat der Ältestenrat empfohlen, sie wegen der Vielzahl der mandatsbedingten Elemente als Gesamtpauschale mit Abgeltungscharakter zu erhalten und für 1995 in der Höhe unverändert zu belassen. Anschließend soll die Kostenpauschale jährlich an die Entwicklung der allgemeinen Lebenshaltungskosten und spezifischer Preisindizes angepaßt werden.
Dabei war für uns erstens leitend, daß eine andere Form den Verwaltungs- und den tatsächlichen Kostenaufwand maßgeblich erhöhen würde, zweitens aber auch der Gesichtspunkt des verfassungsrechtlich schützenswerten Interesses des Abgeordneten, seine mandatsbezogene Tätigkeit nicht anderen Stellen offenlegen zu müssen. Auch dies ist in die Betrachtung und in die Beratung mit einzubeziehen.
Zu nachhaltigen Einschnitten kommen wir dagegen beim Übergangsgeld. Das Übergangsgeld wird von heute 36 Monaten auf die Hälfte reduziert, und nach dem vierten Monat des Ausscheidens aus dem Parlament werden alle Einkünfte, gleich aus welcher Quelle, auf das Übergangsgeld angerechnet.
Ebenso soll die Struktur der Altersentschädigung verändert werden. Für jedes Jahr der Mitgliedschaft im Parlament ist eine lineare Steigerung von 3 % pro Jahr und eine Begrenzung des Höchstsatzes auf 69 %, der nicht mehr nach 18, sondern erst nach 23 Jahren erreicht wird, vorgesehen.
Regelungsbedarf besteht nach wie vor für die Kolleginnen und Kollegen, die dem 12. Bundestag und zuvor der ersten frei gewählten Volkskammer angehört haben. Dieses Problem wird Gegenstand der Gesetzesberatung sein.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich zum Schluß noch auf eines hinweisen: Ich denke, wir haben heute über das Gesamtpaket zu entscheiden und sollten nicht der Versuchung erliegen, es wieder aufzuschnüren.
Die drei Körbe bilden eine Einheit. Das galt für unsere Beratungen in der Rechtsstellungskommission; so wird es in der öffentlichen Diskussion gesehen; und wir sollten sie auch entsprechend beraten. So erkläre ich es mir auch, daß das öffentliche Echo auf die Überlegungen in Rechtsstellungskommission und Ältestenrat zur Parlamentsreform bislang sehr ausgewogen und überwiegend positiv ausfällt. Damit dies so bleibt, erhoffe ich mir eine faire und verantwortungsbewußte Debatte in diesem Hause wie auch außerhalb.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir es schaffen, das vorliegende Reformpaket in seinen Grundzügen zu verabschieden, dürfte dies einer der größten Abschnitte in der Parlamentsreform seit 1969 sein.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Kollege Wilhelm Schmidt.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben uns in den vergangenen Jahren in der Öffentlichkeit sehr oft über die Arbeitsweise unseres Parlaments auseinandergesetzt oder befassen müssen. Wir haben nicht selten über das Erscheinungsbild des Parlaments gesprochen. Wir haben uns die Unübersichtlichkeit mancher Plenardebatten und parlamentarisch-politischer Themen vor Augen führen lassen müssen. Wir haben die Rolle des Parlaments als Verfassungsorgan im Verhältnis zu den anderen Verfassungsorganen nicht selten zu besprechen gehabt.
Ich glaube, es ist richtig, daß wir endlich auf den Punkt kommen. Daß dies in einer Weise geschieht, die von einer großen Mehrheit getragen wird, macht mir, macht meiner Fraktion Mut. Das sollte uns allen Mut machen; denn ich bin sicher, daß wir auf dieser Basis zu einer wirklichen Verbesserung der Verhältnisse in diesem Hause kommen.
Sowohl die veröffentlichte Meinung als auch die Meinung vieler Menschen draußen im Lande gipfelten nicht selten in Begriffen, die am Ende mit Politikverdrossenheit umschrieben worden sind. Von daher glaube ich: Wir müssen davon herunterkommen; wir müssen dazu unseren Beitrag leisten. Wir müssen dabei — da bin ich sicher — mutig vorangehen.
Dabei sollte der Deutsche Bundestag selbstkritisch feststellen, daß er in der Vergangenheit nicht selten einige durchaus nicht unwesentliche Beiträge zu solchen Urteilen in der Öffentlichkeit beigetragen hat. Wer in diesem Hause war nicht selbst oftmals über langatmige Debatten, die keine Rededuelle mehr waren, verärgert und bestürzt?
Wer hätte nicht gern mehr spannende Ausschußsitzungen gehabt, vor allen Dingen mit Öffentlichkeit oder Fachöffentlichkeit versehen?
Wer hat eigentlich noch Klarheit über die vielen von Parlamentarierinnen und Parlamentariern besetzten Gremien in diesem Hause? Die Anzahl von 270, die in der vorigen Legislaturperiode genannt worden ist, scheint mir in dieser 13. Wahlperiode eher noch größer geworden zu sein.
Ich denke dabei nicht nur an den tomatenpolitischen Sprecher in der deutsch-niederländischen Parlamentariergruppe, unseren Kollegen Jakob Mierscheid.
Wilhelm Schmidt
Manche in der SPD-Fraktion und auch andere Eingeweihte wissen es: Es handelt sich um den fiktiven Abgeordneten, der sich über die Zahl, geradezu die Unzahl dieser Gremien lustig gemacht hat.
Herr Kollege, das Wort „fiktiv" muß in diesem Zusammenhang zurückgewiesen werden.
Ich werde das mit dem Kollegen Mierscheid persönlich zu klären versuchen. Vielen Dank, Herr Präsident.
Aber seien wir wieder ehrlich und vor allen Dingen ernst! Wer ist nicht auch als Abgeordnete oder Abgeordneter - von den Bürgerinnen' und Bürgern ganz zu schweigen - ab und zu hoffnungslos überfordert, wenn es um einen Überblick über die parlamentarische Debattenlage, über das geht, was hier bei uns besprochen wird? Wer möchte nicht die unendliche Papier- und Informationsflut gesenkt, die überschwappende Bürokratie in diesem Hause bereinigt wissen? Ich glaube, es ist wichtig, daß wir uns diesen Herausforderungen stellen, und möchte darauf hinweisen, daß der 12. Deutsche Bundestag dies auch schon getan hat.
Ich schließe mich nahtlos dem Dank an unseren Vorarbeiter im besten Sinne des Wortes, Dr. Helmuth Becker, an, den Frau Präsidentin Süssmuth eben ausgesprochen hat.
Er hat in diesem Hause unglaublich viel dazu beigetragen. Es ist schade, daß er heute nicht hier sein kann; sonst hätten wir ihm den Dank auch persönlich aussprechen können. Denn wir können auf den Erfahrungen und der Arbeit der 12. Legislaturperiode in weiten Teilen durchaus aufbauen, wenn wir heute dieses Dreierpaket vorlegen.
In diesen Dank schließe ich unseren Kollegen und Vizepräsidenten Klose ein,
der in den ersten Monaten dieser Legislaturperiode mit einer unglaublichen Energie die zusammenfassende und vor allen Dingen auch ergebnisorientierte Arbeit in der Rechtsstellungskommission geleitet hat. Herzlichen Dank dafür!
Ich will auch Sie selbst, liebe Frau Präsidentin, einbeziehen, die Sie sich nicht nur in der heutigen Debatte, sondern sehr oft auch im Umfeld dieses Themas sehr engagiert haben und damit natürlich manche Resonanz auf uns in eine positive Richtung gebracht haben. Einiges wäre sonst vielleicht anders gelaufen. Auch Ihnen herzlichen Dank!
Ich glaube, daß während der gesamten Zeit der Arbeit in der Rechtsstellungskommission untereinander Einvernehmen darüber bestand, trotz unterschiedlicher Positionen in der einen oder anderen Frage immer wieder ernsthaft zu versuchen, uns an die Lösung der Probleme zu begeben, die ich vorhin skizziert habe und die noch vielfältiger sind, als das in der kurzen Zeit darstellbar ist. Grundlage der Lösung der Probleme war also der übergreifende Konsens.
Wir sind dann zu dem Ergebnis gekommen, das wir Ihnen heute präsentieren, von dem ich aber schon jetzt sagen muß, daß es nicht endgültig ist. Wir wollen weitere Beratungen im Geschäftsordnungsausschuß und in den mitberatenden Ausschüssen, um über die noch offenen Fragen zu sprechen. Wir hoffen, dann sobald wie möglich ein endgültiges Ergebnis präsentieren zu können. Ich komme zum Schluß meiner Rede noch einmal darauf zurück, wie das geschehen soll.
Frau Präsidentin Süssmuth hat in ihrem Beitrag schon auf die drei Teilbereiche aufmerksam gemacht, die das Gesamtpaket umfaßt. Der Abschnitt ,,Parlamentsreform" mit seinen beiden Teilbereichen „Struktur und Darstellung der parlamentarischen Arbeit" und „Verkleinerung des Deutschen Bundestages" ist dabei von herausragender Bedeutung, weil mit ihm versucht wird, eine ganze Reihe von Punkten aufzuarbeiten und zu verändern, die wir in den vergangenen Jahren immer wieder auf den Weg der parlamentarischen Debatte bringen wollten.
Nach dieser vorgeschlagenen Organisations- und Strukturreform wollen wir z. B. mit dem veränderten Instrument der Donnerstags-Kerndebatte operieren. Der Öffentlichkeit, und zwar nicht nur denjenigen, die an einem bestimmten politischen Thema interessiert sind, sondern auch denen, die sich für die politische Arbeit an sich interessieren, muß klar werden, daß der Donnerstag der Tag ist, an dem etwas im Bundestag passiert: Da finde ich etwas Interessantes. Da kann ich mitdenken und auch einmal reagieren, z. B. durch Leserbriefe oder durch Briefe an den Petitionsausschuß, an den Bundestag, an die Fachausschüsse oder an die Präsidentin.
Ich will das nicht provozieren - wir bekommen ohnehin schon eine Menge Briefe -, aber ich glaube schon, daß es nicht uninteressant ist, diese Öffnung gegenüber dem Bürger noch deutlicher zu machen, als das bisher der Fall ist.
Wir werden - auch das finde ich ermutigend - eine lebendigere Form von Fragestunde und Regierungsbefragung bekommen. Wer in den letzten Jahren die Einführung des neuen Instruments der Regierungsbefragung erlebt hat, muß zugeben, daß hier etwas danebengegangen ist. Dieses Instrument besser zu nutzen ist eine Aufgabe, der wir uns wirklich stellen müssen: mit Blick auf das Verhältnis zwischen Parlament und Regierung aber auch - das will ich aus meiner Sicht, der Sicht der SPD, nicht verhehlen - mit Blick auf das Verhältnis zwischen Opposition und Mehrheit.
Wilhelm Schmidt
Von daher wird gerade das, was wir als eine neue Möglichkeit niedergelegt haben und womit wir uns dann sehr intensiv auseinandersetzen müssen, sicherlich zu mehr Lebendigkeit und mehr Aktualität führen.
Als vielleicht sogar den wichtigsten Punkt der neuen Arbeit im Parlament, so hoffe ich jedenfalls, möchte ich die Öffentlichkeit der Ausschußsitzungen bei wichtigen Themen und die Einführung einer erweiterten öffentlichen Ausschußsitzung hervorheben. In den Fällen, wo der federführende Ausschuß mit den mitberatenden Ausschüssen bei wichtigen Themen gemeinsam öffentlich tagt, könnte sich eine zusätzliche Zusammenarbeit mit den Fachleuten und auch eine zusätzliche Öffnung gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern ergeben. Das wollen wir nutzen. Ich hoffe, daß die Ausschüsse dies als eine Chance verstehen, ihre Arbeit noch transparenter zu machen.
Wir werden uns also noch klarer und intensiver als bisher an der Öffentlichkeit und ihren Reaktionen messen lassen müssen und - so sind wir das Ganze, wie ich finde, auch angegangen - ebenso messen lassen wollen. Das ist der neue Konsens, die neue Richtung, die wir bei allen Fraktionen, auch bei denen, die dem Gesamtpaket in dem Maße vielleicht noch nicht zustimmen können, gespürt haben. Daran wollen wir arbeiten, ganz besonders an diesen Dingen. Ich glaube, das ist das, was dann vielleicht dazu führen wird, daß wir mit einem neuen oder veränderten Geist bei der Arbeit des Hauses miteinander umgehen. Das sind Prüfsteine, denen wir uns selber zu stellen haben, die wir bewältigen müssen, die unsere Arbeit auch in der Leitung des Hauses verändern werden, vom Präsidium über die Geschäftsführungen bis hin zu jedem einzelnen Abgeordneten.
Zweiter Teil des Komplexes: die Verkleinerung des Deutschen Bundestages. Ich weiß, daß es sehr viele gibt - übrigens auch in der SPD-Fraktion -, die an dieser Stelle noch eine ganze Reihe von Sorgen haben. Ich will ausdrücklich an dieser Stelle sagen: Diese Sorgen nehmen wir ernst, diese Sorgen haben wir nicht leichtfertig an die Seite geschoben. Ich werde mich darum kümmern - darin sind sich alle, die das heute einbringen, auch einig -, daß wir diese Sorgen in den weiteren Beratungen der Ausschüsse nicht beiseite schieben.
Ich denke aber, daß es gut war, daß wir uns z. B. bei den Diskussionen in der SPD-Fraktion sehr frühzeitig mit allen Beteiligten auf eine breite Basis gestellt haben. Wir haben nicht nur die Fachgruppen, die ohnehin in diesen Prozeß einbezogen werden müssen, integriert, sondern auch die Landesgruppen - also eine ganz breite Streuung von Meinungen - haben sich mit diesem Thema befaßt. Deswegen weiß ich, wie schwierig es an der einen oder anderen Stelle auch bei uns ist. Darum bin ich um so froher, sagen zu können, daß es in der SPD-Fraktion auch zu diesem Punkt eine breite Mehrheit gegeben hat und daß wir dazu, wie bisher, entsprechend stehen werden und dies in den parlamentarischen Beratungen, jedenfalls prinzipiell, tragen werden.
Der entscheidende Ansatz ist, daß wir mit einer Verkleinerung des Parlaments dafür sorgen wollen, daß es mehr Transparenz, mehr Effizienz - moderne Schlagworte aus der Wirtschaft - auch bei uns gibt, die wir umzusetzen gedenken. Aber um es einfacher zu sagen: Wir wollen, daß der Laden hier besser läuft.
- Ich wollte es nur einmal ganz einfach ausdrücken, Herr Kollege Oswald.
Herr Kollege Schmidt, ich wollte nur an die Adresse des Kollegen Oswald sagen: Ihr Counterpart, der Kollege bei der SPD, hat sich genauso erregt wie Sie.
Der Counterpart ist der Kollege Dr. Küster, der gerade den Dienst bei uns übernommen hat.
Ich respektiere das. Das Hohe Haus soll besser funktionieren. Einverstanden?
Herr Kollege Schmidt, sind Sie bereit, eine Frage des Kollegen Lammert zu beantworten?
Gerne.
Lieber Kollege Schmidt, mich würde interessieren, ob im Zusammenhang mit der von Ihnen gerade vorgenommenen Charakterisierung des Parlaments als Laden die SPD-Fraktion daran denkt, in Zukunft für die Beratungszeiten die gegenwärtig geltenden Bestimmungen des Ladenschlußgesetzes zugrunde zu legen?
Ich antworte gerne in der Weise, daß wir das ernsthaft prüfen werden, um es genauso ernsthaft zu beantworten, wie Sie die Frage gestellt haben. Aber ich kehre dann gerne wieder zum Ernst des Themas zurück. Ich bitte dafür auch um Verständnis, denn wir befinden uns in einer Phase, in der wir - bei aller Lockerheit - die Dinge sehr ernsthaft regeln müssen und wollen.
Die Verkleinerung hat auf die Arbeit der Abgeordneten entscheidenden Einfluß. Es geht um die Problematik, die schon jetzt relativ großen Wahlkreise gut betreuen zu können. Wenn sie um zusätzlich 10 % oder etwas mehr größer werden sollten, dann ist das natürlich noch alles viel schwieriger zu schaffen; denn man muß in seinem Wahlkreis schon herumkommen. Dabei muß man sich schon entsprechend engagieren, was viele, was eigentlich alle - das setze ich einmal voraus - in ebendieser Weise tun. Aber ich denke schon, daß es vor dem Gesamtinteresse, das
Wilhelm Schmidt
hinter der Parlamentsreform steht, doch hinzunehmen sein dürfte, daß wir in sehr verträglicher Form eine Verkleinerung des Parlaments und damit eine Vergrößerung von Wahlkreisen auf den Weg bringen.
Wenn man es genau betrachtet, ist es etwa so - das ist die Rechnung, die man sich da vor Augen führen sollte -, daß wir von gegenwärtig 328 Wahlkreisen mindestens auf 299 Wahlkreise heruntergehen würden. Ich denke, das ist eine Größenordnung - also minus 29 Wahlkreise -, die man schon verkraften kann.
Wir brauchen dazu übrigens sehr nachdrücklich auch die Mitarbeit der Länder, die uns natürlich beim Zuschnitt der Wahlkreise helfen müssen. Darum ist das ganze Paket, was die Verkleinerung des Parlaments anbetrifft, auch nicht in kurzer Zeit zu schaffen, sondern wir wollen das natürlich auch sehr besonnen machen, und jeder Beteiligte soll sich vor Ort, auch in den Ländern, in den Landkreisen und Gemeinden, darauf einstellen können.
Ich glaube, es ist wichtig, daß das auch in diesen Zusammenhang gestellt wird, weil wir natürlich auch immer wieder mit der Resonanz rechnen: Ihr verändert bei der Wahlkreisreform, die ja dann damit verbunden sein muß, auch unsere Strukturen vor Ort. Und das ist nicht leicht. Wer Kommunalreform und Wahlkreisreform schon einmal erlebt hat - und viele von denen sitzen ja hier im Hause -, der weiß, wie sehr man Überzeugungsarbeit leisten muß. Darum geht das nun wirklich nicht im Schnelldurchgang. Deshalb werden wir dies in einem sorgfältigen Verfahren mit einem Gremium, das die Präsidentin zu berufen hat, zu erledigen versuchen.
Alle Beteiligten, die Ihnen diese Gesetzentwürfe heute vorlegen, werden allerdings darauf pochen, daß wir bei dieser Arbeit nicht von dem Grundsatzbeschluß abgehen, den der Ältestenrat uns allen empfiehlt, nämlich die Verkleinerung tatsächlich durchzuführen. Es ist schon sehr wichtig, daß sich die Bemühungen immer wieder daran orientieren müssen.
Über die Verlängerung der Wahlperiode von vier auf fünf Jahre ist sehr häufig diskutiert worden. Auch hierüber muß man in den Gremien weiter sprechen. Wir konnten uns noch nicht entschließen - schon gar nicht unter dem Aspekt, daß wir die Verkleinerung des Parlaments jetzt nicht sofort lösen können und nicht lösen wollen -, dieses Einzelelement in das Paket aufzunehmen. Wir werden das zu einem späteren Zeitpunkt beleuchten und dann auch zu entscheiden haben.
Was aber wichtig ist - ich glaube, das ist eine Grundaussage, die Sie gerade von mir als Sprecher der SPD-Fraktion erwarten -: Wir wollen im Zusammenhang mit der Verkleinerung des Parlaments nicht an den Prinzipien des geltenden Wahlrechts rütteln.
Hier gab es in den vergangenen Monaten und Jahren immer wieder Irritationen. Wir haben sie in der
Rechtsstellungskommission, im Ältestenrat, aber
auch in der eigenen Fraktion beseitigt. Welche Vorschläge auch immer durch die Medien gegeistert sein mögen, sie werden von uns nicht weiterverfolgt, sondern wir werden auf der Basis des jetzt geltenden Rechts an die Verkleinerung herangehen. Dazu stehen wir jedenfalls.
Im Geschäftsordnungsausschuß und in den anderen Ausschüssen werden wir Gelegenheit haben, die Einzelheiten zu besprechen. Ich glaube, es gilt, auch noch das eine oder andere von dem zu besprechen, bei dem wir in den letzten Wochen das Gefühl hatten, es paßt noch nicht so ganz in diese Landschaft der Veränderungen hinein, die wir erzeugen. Ich will hier gar keine Beispiele nennen, obwohl ich da natürlich jetzt eine ganze Reihe aus der Erfahrung der Arbeit der vergangenen Monate referieren könnte, weil ich glaube, daß wir an dieser Stelle eher noch Belastungen hineinbringen würden, die das Ganze nicht verträgt. In der Ausschußarbeit aber sollte das dennoch offen stattfinden.
Wir sollten auch nicht verlorene Schlachten „zurückholen". Ich will das einmal in dieser Weise benennen. Die Vorstellungen, für die man z. B. im Rahmen der Verfassungsreform keine verfassungsändernden Mehrheiten hier im Hause bekommen hat, sollte man im Rahmen der Parlamentsreformdebatte nicht wieder zur Diskussion stellen, sosehr das vielleicht auch reizen mag.
Zur Rechtsstellung der Abgeordneten will ich noch einige wenige Sätze sagen. Frau Präsidentin Süssmuth hat das Wesentliche zum Ausdruck gebracht. Auch hier geht es darum, liebe Kolleginnen und Kollegen, daß wir versuchen, die Stellung des Abgeordneten an sich zu festigen. Hier geht es nicht in erster Linie darum - wie uns manche draußen glauben machen wollen -, sich noch stärker als bisher mit Entschädigung, also mit Diäten zu bedienen. Das ist ein Element von vier, wenn nicht sogar von mehr. Aber es ist natürlich so, daß wir an dieser Stelle schon sehr nachdrücklich die Position des Abgeordneten an sich, seine Rechtsstellung in diesem Hause in den Vordergrund stellen, wenn wir darum ringen, auch diesen Komplex zu lösen.
Ich sage in dem Zusammenhang noch einmal und bekräftige das, was schon gesagt worden ist - es muß gerade an dieser Stelle wiederholt werden -: Dies ist genau der Punkt, wo wir sagen, es kann nur im Paket beschlossen werden. Glaube niemand, daß wir mit einer Art von Rosinenpickerei eine Frage lösen könnten, wenn wir uns bei einer anderen Frage vielleicht unbequemen Reaktionen seitens der Öffentlichkeit gegenübersähen und dann auf eine Lösung verzichteten!
Ich will das ausdrücklich für uns, für meine Fraktion, gesagt haben. Wir haben das mit großer Mehrheit als Leitlinie über diesen Prozeß gestellt.
Wilhelm Schmidt
Ich will hinzufügen, daß wir, wenn es um die Entschädigung geht, einen Zustand herbeiführen - prinzipiell betrachtet -, der uns auf der Basis des Bundesverfassungsgerichtsurteils zu den Diäten im Jahre 1975 und des ersten Abgeordnetengesetzes von 1977 in den seinerzeitigen Grundsatzzustand zurückführen hilft, allerdings in einer, wie ich finde, durchaus verträglichen Form: in sechs Schritten, die wohlgemerkt bis zum 1. Januar 2000 dafür sorgen, daß wir, die Abgeordneten dieses Hauses, die schon genannte Besoldungsgruppe für Richter an obersten Bundesgerichten, R 6, erhalten.
Wenn jemand meint, das sei zuviel, dann soll er für den Deutschen Bundestag doch kandidieren. Sollen sie doch wirklich ernsthaft um die Mandate ringen! Wir wollen uns an der Stelle auch so etwas wie zusätzliche Chancen eröffnen, Nachwuchs zu gewinnen und Möglichkeiten zu eröffnen, auch Quereinsteiger,
die in anderen Berufen ebenfalls die Möglichkeit haben, viel Geld zu verdienen, für dieses Parlament zu gewinnen. Ich bin sicher, daß das als eine neue Möglichkeit durch die Lande geht, parlamentarische Arbeit zu beleben, neu zu organisieren und aus festgefügten Strukturen herauszubringen. Ab dem Jahre 2000 oder 2002, in jedem Fall dann, wenn es interessant sein könnte - ich sage das ganz bewußt sehr hypothetisierend -, ist das meiner Meinung nach möglich.
Daß Abgeordnete Knochenarbeit leisten und nicht einmal mit einer Arbeitszeit - jahresdurchschnittlich gerechnet - von 80, manchmal vielleicht 75 Wochenstunden zurechtkommen, muß der Öffentlichkeit doch einmal ganz offensiv und, wie ich finde, sehr nachdrücklich klargemacht werden.
Damit fordere ich keine Umrechnung auf Stundenlohn ein; aber es ist natürlich schon so, daß wir an der Stelle selbstbewußt genug sein sollten, auch auf diese Punkte hinzuweisen. Wer es nicht ertragen kann, muß sich nicht zur Wahl stellen; auch das sage ich.
Andererseits ist es so, daß wir diese Punkte in das richtige Verhältnis zu rücken haben. Das gehört einfach dazu.
Zur Kostenpauschale möchte ich ganz kurze Hinweise geben. Ich bekräftige das, was Frau Süssmuth gesagt hat. Wir können keine drastische Senkung hinnehmen, wie sie z. B. die Kissel-Kommission vorgeschlagen hat, auf die wir uns an mancher Stelle berufen und auf die wir immer wieder hinweisen, nämlich auf 1 000 DM Pauschale zurückzugehen und alles andere einer Einzelabrechnung zu überlassen. Das würde bei jedem Abgeordneten selbst, aber
auch hier im Hause einen riesigen bürokratischen Aufwand erzeugen.
Das können wir im Interesse eines Abbaus von Bürokratie nicht hinnehmen.
Das Übergangsgeld reduzieren wir bewußt ganz drastisch. Die Halbierung der Höchstbezugsdauer und ähnliches spielen dabei eine Rolle. Daß wir beim Altersruhegeld eine angemessene Lösung - auch unter Zugrundelegung der neuen Entschädigungsgrößen - anstreben, sollte meiner Meinung nach auch deutlich gesagt werden.
Der Gesamtkomplex - ich habe es gesagt - steht zur Diskussion. Er steht meiner Ansicht nach nicht zur Disposition. Wir sollten uns an diesem Paket orientieren. Wir sollten in den Kommissionen und in den Ausschüssen nachdrücklich an der Reform arbeiten.
Insgesamt bedarf dieses Parlament solch neuer Impulse, in der Hoffnung und in der Erwartung, daß sie uns bei unserer Arbeit beflügeln werden.
Vielen Dank.
Kollege Gerald Häfner, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer das Parlament richtig verstehen will, der muß auch wissen, daß hier besondere Regeln und Gebräuche herrschen, die sich etwas von dem abheben, was der Normalbürger gewöhnt ist. Wer im Privatleben z. B. zu Weihnachten ein Paket abschickt, möchte meistens etwas geben, und die angemessene und verbreitete Reaktion darauf ist Freude. Im Bundestag gelten andere Gesetze: Wenn der Bundestag ein Paket schnürt, möchte er auch etwas nehmen, und deshalb ist als Reaktion konstruktive Skepsis angebracht. Man muß genau in das Paket hineinschauen; denn die vielen schönen Dinge, die herum gepackt sind, dienen immer auch dem Verbergen des eigentlichen Inhalts.
- Wenn Sie zuhören, Herr Wiefelspütz, dann werden wir uns gleich in der Sache verständigen.
Die den Bundestag betreffenden Regeln sind auch sonst anders, als Bürgerinnen und Bürger es vermuten würden. Sie kennen z. B. die Passage im Grundgesetz, wonach Abgeordnete an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen sind, und wissen, daß demnach ein tatsächlicher Fraktionszwang gegen das Grundgesetz verstieße und wir deshalb in diesem Hause keinesfalls einen Fraktionszwang kennen oder gar ausüben
Gerald Häfner
und ihn nur gelegentlich bei wichtigen Debatten aufheben. Wem das als ein Widerspruch erscheint, der kennt die besonderen Regeln und Gebräuche im Hohen Hause noch nicht.
- Ich habe von „wir" gesprochen. - Eine weitgehende Parlamentsreform müßte viele Fragen, darunter auch diese, angehen.
Weniges ist so schwierig wie eine fundamentale Parlamentsreform im Deutschen Bundestag. Es sind immer wieder Anläufe gemacht worden, und stets sind sie steckengeblieben oder haben allenfalls zu allzu kleinen Sprüngen geführt. Deshalb möchte ich deutlich sagen, daß ich das, was heute auf dem Tisch liegt, für einen Fortschritt halte. Ich halte es für nicht weitgehend genug, aber ich halte es für einen Fortschritt, den wir nicht kaputtreden, sondern unterstützen sollten.
Ich möchte aber, daß wir einen Schritt weitergehen. Der Hauptansatzpunkt im Ältestenrat waren ja das Ansehen und die Würde des Parlamentes. Ich will Ihnen deutlich sagen: Mir ist das Ansehen des Parlamentes nicht egal; denn der Deutsche Bundestag ist das Herz unserer Demokratie. Wenn sich die Bevölkerung von unserer Arbeit gelangweilt oder gar angewidert abwendet, dann gefährdet das langfristig nicht nur unsere Arbeit, sondern auch die parlamentarische Demokratie. Deshalb müssen wir dringend darüber nachdenken, wie wir unsere eigene Arbeit verbessern können.
Das, was jetzt auf dem Tisch liegt, ist das, worauf man sich gemeinsam geeinigt hat. Es ist ein Schritt nach vorne, aber wir bitten, liebe Kolleginnen und Kollegen: Laßt uns nicht mit diesem ersten Schritt haltmachen, sondern laßt uns eine ganze Reihen von Schritten weitergehen!
Ich habe wie viele von uns auch in anderen Ländern Parlamente besucht. Bei solchen Besuchen erscheint einem manchmal fragwürdig, was einem vordem bei uns als unverrückbar erschien. Beispielsweise gestehen viele demokratische Parlamente auf dieser Erde ganz selbstverständlich den Fraktionen gleich lange Redezeiten zu, weil sie sich sagen, um einen bestimmten Gesichtspunkt darzulegen, benötigt man eine etwa gleich lange Zeit. Es werden die Gesichtspunkte nicht dadurch mehr, weil eine Fraktion mehr Mitglieder hat. Das ist guter Usus in vielen, auch sehr traditionsreichen, Parlamenten dieser Erde und macht sofort die Debatten ungleich viel lebendiger, weil Rede auf Gegenrede in gleichem Wechsel folgt.
- Das ist ein Problem, über das wir reden müssen.
Der Vorschlag, endlich öffentliche Ausschußsitzungen zuzulassen - das haben wir ja zwölf Jahre lang vorgeschlagen; ich würde noch weitergehen -, ist ein sehr sinnvoller Vorschlag,
weil wir das Redebedürfnis, von dem Sie zu Recht sprechen, nicht dadurch befriedigen können, daß wir das alles ins Plenum hinein verlagern. Es langweilt ja auch oft, wenn das, was im Ausschuß schon zweimal durchgesprochen wurde, hier wiederholt wird, nur damit man in der Öffentlichkeit reden kann. Aber die Öffentlichkeit will das gar nicht, jedenfalls nicht in dieser Form, wahrnehmen.
Es gibt eine Reihe weiterer Punkte, die mir in diesem Zusammenhang wichtig erscheinen, beispielsweise die Regierungsbefragung. Wir wissen alle, wie spannend es z. B. in Großbritannien sein kann, wenn der Regierungschef selbst antwortet und dann mit Rede und Gegenrede eine echte Befragung stattfindet.
Auch bei uns wird einiges gemacht. Wir haben es damals von der Initiative „Parlamentsreform" so gewollt; aber was daraus geworden ist, ist eher peinlich und leicht langweilig. Man macht es entweder richtig, oder man läßt es. Ich hoffe, daß der Versuch, der jetzt unternommen wird, hier etwas bessert.
Vor allem aber glaube ich, daß es nötig ist, daß wir unser Verhältnis zu den Bürgerinnen und Bürgern verbessern und verändern, daß das Parlament durchlässiger wird, daß das Parlament die Möglichkeit schafft, daß Bürgerinnen und Bürger auch zwischen den Wahlen politisch mitreden und mitentscheiden können.
Schließlich meine ich: Jeder vernünftige Betrieb unterzieht sich alle paar Jahre einer Organisationsreform, alle paar Jahre werden Strukturen und Abläufe überdacht, untersucht und verbessert. Warum beauftragen wir — ich würde da gar keine Hemmungen haben - als Deutscher Bundestag nicht einmal ein Organisationsberatungsunternehmen, Strukturen und Abläufe hier zu untersuchen und festzustellen, was man effektiver machen könnte? Ich glaube, da würde man eine ganze Menge finden. Ich allein quille vor Vorschlägen, zu deren Darstellung mir die Redezeit nicht bleibt, schon fast über.
Lassen Sie mich am Schluß noch etwas zu der Frage sagen, die in diesem Paket das Problematischste darstellt, zur Frage des Geldes. Auch hier möchte ich ein Bekenntnis ablegen, das manche vielleicht wundert. Für mich ist es eine verfassungsrechtliche und verfassungspolitische Frage, daß die Abgeordneten für ihre Tätigkeit angemessen entschädigt werden und daß Angehörigen aller Berufsgruppen der Zugang zum Abgeordnetenmandat offensteht. Deswegen dürfen die Abgeordnetendiäten nicht zu
Gerald Häfner
niedrig fallen. Umgekehrt ist es in Zeiten, in denen viele Bürger den Gürtel enger schnallen müssen, auch eine Frage des Maßes und der politischen Verantwortlichkeit, im Parlament Ähnliches zu tun.
Die Grünen haben lange Zeit Diätenerhöhungen in diesem Hause abgelehnt. Jetzt sind wir aber an einem anderen Punkt angekommen. Sie alle kennen die Zahlen der Entwicklung der Gehälter z. B. im Bereich der leitenden Angestellten. Diese Gehälter stiegen von 1976 bis 1993 um 128 %, die Abgeordnetendiäten sind um 38 % gestiegen.
Wir sind der Meinung, daß wir gemeinsam über eine allerdings maßvolle und angemessene Erhöhung sprechen müssen.
Auch halten wir den Vorschlag für sinnvoll, die Abgeordnetenentschädigung an eine Bezugsgröße, wie sie mit dem Gehalt für oberste Bundesrichter vorgeschlagen wird, anzukoppeln. Wir meinen aber - wenn Sie mir dies zum Abschluß noch gestatten, Herr Präsident -, daß wir, wenn wir eine solche Bezugsgröße suchen, eine maßvolle Bezugsgröße suchen müssen. In unseren Augen wäre z. B. das Grundgehalt R 6 - es liegt im Moment bei 11 063 DM - eine solche maßvolle Bezugsgröße. Eine entsprechende Entscheidung würde uns der Notwendigkeit entheben, in Schritten anzuheben, würde aber ermöglichen - was gemeinsam gewollt ist -, eine Bezugsgröße zu haben, an der man sich in Zukunft orientieren kann. Gleichzeitig hätten wir nicht das hineingepackt, was in ein Abgeordnetengehalt wirklich nicht hineingehört, nämlich das 13. Monatsgehalt, das Urlaubsgeld, den Ortszuschlag und all die anderen Zuschläge, die im Grunde Treueprämien aus dem Beamtenrecht sind und für Abgeordnete nicht passen.
Herr Kollege, noch haben wir die alte Struktur der Redezeiteinteilung.
Ich schließe, Herr Präsident, an dieser Stelle meine Rede. - Lassen Sie uns gemeinsam über diese Dinge reden! Es handelt sich um Fragen innerhalb des gemeinsam angedachten Pakets. Lassen Sie uns, wenn wir das Paket gemeinsam auf den Weg geschickt haben, gleich das nächste schnüren!
Ich danke Ihnen.
Ich erteile das Wort dem Kollegen Dr. Burkhard Hirsch.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir schließen uns allen Danksagungen an die Präsidentin und den Kollegen Klose an, obwohl wir mit den Ergebnissen nicht so zufrieden sind wie insbesondere die ersten beiden Vorredner.
Wer sich den Sinn für die Bedeutung der parlamentarischen Debatte für die Glaubwürdigkeit demokratischer Entscheidungen bewahrt hat, der weiß, wie wichtig die Entscheidung über die Änderungen der Geschäftsordnung ist, die vorgeschlagen werden und die nach unserer Überzeugung die durchgreifendsten eigentlich seit dem Bestehen des Deutschen Bundestages sind.
Wir sehen in den Vorlagen kein Paket. Ein Paket ist ein Zeichen der Schwäche. Die Größe des Parlaments, die Regeln seiner Arbeitsweise, die Rechte des einzelnen Abgeordneten, die Art und Höhe seiner Entschädigung müssen jeweils für sich begründet sein und können eben nicht politisch gegeneinander verrechnet werden.
Wir wollen eine Parlamentsreform, das ist der Kernpunkt unserer Überlegungen. Der Bundestag muß wieder der zentrale Ort der politischen Debatte werden.
Damit steht und fällt das Ansehen der parlamentarischen Demokratie und übrigens der Abgeordneten. Unsere frühere Kollegin Frau Hamm-Brücher hat das Problem des Parlaments darin gesehen, daß die Verantwortung für das Parlamentsgeschehen anonymisiert und die Wirkungsmöglichkeiten des einzelnen minimiert worden sind. Das ist im Prinzip richtig. Natürlich ist der Bundestag keine Horde von Einzelkämpfern, er ist aber auch keine Kongregation von Edelkomparsen.
Wir müssen die angemessene Ausgewogenheit zwischen den Handlungsmöglichkeiten des einzelnen und der notwendigen Arbeitsteilung durch die Fraktionen wiederfinden. Es ist richtig - das hat Herr Häfner ausgeführt -, daß die Initiativmöglichkeiten des einzelnen auch im Laufe der Geschichte des Bundestages und seiner Geschäftsordnungen immer weiter verringert worden sind und daß wir im Vergleich zu den Geschäftsordnungen anderer Parlamente in dieser Frage nicht gut abschneiden.
Die meisten anderen Parlamente kennen das Recht jedes einzelnen Abgeordneten, Gesetzentwürfe einzubringen. Viele Parlamente kennen keine Rednerlisten. Es gibt dort eine großzügige Handhabung der Redezeiten. Sie ratifizieren nicht nur, sondern sie beraten. Darum halten wir die Richtung der hier gemachten Vorschläge für richtig; viele stammen auch von uns: Verbesserung des Rederechts des einzelnen, die Möglichkeit, schon in erster Lesung Anträge zu stellen, Vitalisierung der Fragestunde, übrigens natürlich auch der Regierungsbefragung, die zu einer Befragung der Parlamentarischen Staatssekretäre geworden ist. Es ist ebenfalls notwendig, das Plenum von Fachdebatten zu entlasten und diese in
Dr. Burkhard Hirsch
öffentliche Ausschußsitzungen zu verlagern, an denen jeder teilnehmen kann. Es ist richtig, die Rechte des Präsidiums zu verstärken, nämlich die Debatte je nach der Präsenz des Hauses verlängern oder auch abbrechen zu können, wenn Bundestag und Bundesrat erkennbar nicht genügend interessiert sind,
Ich mache keinen Hehl daraus, daß wir bei manchen Vorschlägen gern weitergegangen wären als die Rechtsstellungskommission, gerade was Rede- und Antragsrechte, auch Gruppenanträge angeht. Wir sollten in diesen Fragen mehr die Erfahrungen anderer Parlamente nutzen.
Die Verkleinerung des Bundestages ist weder ein Wert an sich noch ein Mittel, sich andere Entscheidungen zu erleichtern.
Sie kann nur im Zusammenhang mit der Funktionsfähigkeit des Bundestages einen Sinn haben oder gar nicht.
Der Bundestag ist allen öffentlichen Behauptungen zum Trotz keineswegs größer als andere Parlamente auch.
Die Parlamente von England, Frankreich und Italien sind in ihrer absoluten Größe durchaus mit dem Bundestag vergleichbar, obwohl sie bedeutend weniger Wähler repräsentieren. Es gibt auf der Welt überhaupt nur drei Parlamente, nämlich die der Vereinigten Staaten, Japans und Rußlands, in denen jeder einzelne Abgeordnete noch mehr Einwohner und Wähler vertritt als heute schon jedes Mitglied des Deutschen Bundestages.
Die Probleme der Verkleinerung liegen in der Arbeitsfähigkeit der kleineren Fraktionen, außerdem darin, daß sie dann in einem oder mehreren Bundesländern wegen der sehr unterschiedlichen Bevölkerungsgrößen der Länder in der Bundesrepublik überhaupt keinen Bundestagsabgeordneten mehr stellen werden, und schließlich in den Überlegungen, das Wahlrecht zu verändern. Dieser dritte Punkt trifft alle, jeden von Ihnen, nicht nur 28.
Wenn die Kollegen erkennen werden, daß ihre Wahlkreise wegfallen oder daß ihre Wahlkreise zu groß werden oder daß sich ihre Wahlkreise durch die Veränderung des Zuschnittes in der politischen Zusammensetzung verändern - das weiß bis jetzt keiner von Ihnen -, spätestens dann wird die Forderung erhoben ,werden, die Wahlkreise unberührt zu lassen und die Parität zwischen den direkt gewählten Abgeordneten und den Listenmandaten zu verändern. Wir
werden uns der Veränderung dieses Kerns unseres Wahlrechtes entschlossen widersetzen.
Hier beginnt der Weg in den Zwei-Parteien-Staat. Wenn der Wähler das will, dann muß es akzeptiert werden. Er ist der Souverän. Aber wir werden uns mit allen Mitteln dagegen wehren, wenn offen oder heimlich, bewußt oder unbewußt durch eine Veränderung des Wahlrechts der Wille des Wählers manipuliert wird und die kleineren Parteien aus dem Bundestag herausgedrängt werden.
Kollege Hirsch, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Wiefelspütz?
Ich will nur einen Satz noch sagen; dann selbstverständlich.
Das ist in der Geschichte der Bundesrepublik schon mehrfach versucht und von uns immer wieder verhindert worden.
Herr Kollege Wiefelspütz.
Herr Kollege Hirsch, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß in der Entschließung, über die wir am Schluß dieser Debatte beschließen werden, ausdrücklich als politische Selbstbindung dieses Parlamentes festgeschrieben wird, daß Veränderungen am Wahlrecht nicht vorgenommen werden sollen?
Verehrter Herr Kollege, ich nehme das zur Kenntnis. Aber Sie müssen auch zur Kenntnis nehmen, daß Sie durch den Beschluß, den Sie heute vorlegen, schon jetzt festschreiben wollen, daß der Bundestag verkleinert wird, ohne daß Sie den Kollegen sagen, was es für jeden einzelnen von ihnen bedeutet. Das ist der Punkt.
Darum wiederholen wir dringend unseren Vorschlag, zwar die Wahlkreiskommission zu beauftragen, Vorschläge zu machen, die Entscheidung aber erst dann zu treffen, wenn sie auf der Grundlage von Tatsachen getroffen werden kann.
Wir warnen vor dem Versuch, Herr Kollege Wiefelspütz, durch ein einfaches Gesetz die jetzt notwendigen Anpassungen der Wahlkreise an die Bevölkerungsdichte zu verschieben und damit für die Wahl 1998 das zwingende Verfassungsgebot der Gleichheit der Stimmen zu beschädigen.
Eine letzte Bemerkung zu den Diäten. Die Höhe der Diäten muß unserer Verantwortung und unserer Arbeitsleistung angemessen sein. Wir sind für eine maßvolle Anhebung auf etwa 12 000 DM; aber wir
Dieter Wiefelspütz
sind entschieden dagegen, sie an ein Beamten- oder Richtergehalt zu koppeln und das dann auch noch in die Verfassung zu schreiben. Damit würden wir eine scheinbare Objektivität vorspiegeln, die es in Wirklichkeit nicht gibt, solange wir selbst die Beamtenoder Richtergehälter in ihrer Höhe bestimmen.
Der Abgeordnete hat ein Recht auf angemessene Entschädigung. Jeder Bürger muß das passive Wahlrecht ausüben können, ob er reich oder arm ist. Er soll für die Zeit des Mandats einen Lebensstandard haben, der seiner Verantwortung entspricht, der ihm unabhängige Entscheidungen ermöglicht, ohne daß er eine weitere Erwerbstätigkeit ausüben müßte. Und schließlich soll er sich am Ende der Mandatszeit nicht aus finanziellen Gründen auf Wohl oder Wehe um eine Wiederwahl bemühen müssen. Das ist der Maßstab, nichts sonst.
Das Bundesverfassungsgericht hat uns verpflichtet, selbst darüber zu entscheiden. Das hat nichts mit der Richterbesoldung zu tun, nichts mit Beförderungsaussichten, Urlaubsanspruch, 13. Monatsgehalt, Ortszuschlägen, Dienstleistungspflicht, Pensenschlüssel und Geschäftsverteilung.
Wir sind Abgeordnete, nicht Richter und nicht Beamte. Wir haben ein öffentliches Amt, aber wir sind kein öffentlicher Dienst.
Die hier vorgeschlagenen Regelungen sollen den Anschein einer Objektivierung erwecken. Es soll über die Diätenhöhe im Ergebnis genausowenig öffentlich diskutiert werden wie darüber, ob die lineare Übertragung des Tarifergebnisses auf die Richter der Stufe R 6 angemessen ist oder nicht. Das Bundesverfassungsgericht hat einer solchen Automatik eindringlich und wiederholt und mit sorgfältiger Begründung widersprochen. Es ist lächerlich, genau das nun in die Verfassung hineinzuschreiben, gerade um dem Verfassungsgericht zu entgehen.
Wir wiederholen unseren Vorschlag, ebenso wie bei der Parteienfinanzierung das Initiativrecht auf eine unabhängige Kommission zu übertragen, um auf diese Weise zu einer wirklichen Objektivierung zu kommen. Aber den Mut zur Entscheidung und soviel Selbstbewußtsein, vor Freund und Gegner auch in dieser Sache zu sagen, was notwendig und richtig ist,
sollten wir als freigewählte Abgeordnete nun wirklich aufbringen.
Wir werden der Überweisung der Vorlagen an die Ausschüsse zustimmen und hoffen auf eine Beratung, die der Bedeutung dieser Vorlagen angemessen ist.
Kollege Manfred Müller, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Auch ich schließe mich zunächst dem vielfach geäußerten Dank an die Mitglieder der Rechtsstellungskommission für die von ihnen geleistete Arbeit und ihr Bemühen, einen möglichst breiten Konsens zu erzielen, an. Wir haben uns daran konstruktiv beteiligt.
Dieser Dank bedeutet jedoch keineswegs, daß wir mit allen Vorschlägen oder gar mit den jetzt von den Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion unterbreiteten Anträgen in vollem Umfang einverstanden wären.
Die von allen Fraktionen für notwendig erachtete grundlegende Parlamentsreform - so unsere Einschätzung - wird allerdings weitgehend verfehlt, wenn sie sich lediglich auf eine Verbesserung der Struktur und Darstellung der parlamentarischen Arbeit beschränkt.
Die öffentliche Kritik an unserer Arbeit hat doch eigentlich klargemacht, worum es der Öffentlichkeit, worum es den Bürgerinnen und Bürgern geht: erstens um eine wachsende Legitimationskrise auch des Deutschen Bundestages gegenüber der Bevölkerung, die wir im Bundestag vertreten sollen, und zweitens um den immer geringer werdenden Einfluß der Abgeordneten gegenüber der Bundesregierung und der Verwaltung, aber auch gegenüber den administrativen und parlamentarisch nicht legitimierten Rechtsetzungsverfahren der Europäischen Union.
Für den Bundestag werden in der Öffentlichkeit - neben Problemen wie mangelhafte Effizienz und Arbeitsüberlastung - auch die Abhängigkeit des Bundestages und seiner Abgeordneten von der Exekutive, die mangelhafte Repräsentanz der Bürgerinnen und Bürger durch die Abgeordneten und durch das Parlament sowie deren unzureichende Kompetenzen bei wichtigen gesellschaftlichen Planungsprozessen etwa im wirtschaftlichen und beschäftigungspolitischen Bereich hervorgehoben. Dies sind Probleme, die das System der repräsentativen Demokratie selbst betreffen.
Durch mehr direkte Bürgerbeteiligung, wie wir sie vorgeschlagen haben, könnten wir die Politikverdrossenheit überwinden helfen. Davon findet sich nichts in den bisher gemachten Vorschlägen.
Als handlungsfähig im Bundestag erscheinen nämlich im wesentlichen die Regierung, die Partei- und Fraktionsspitzen sowie die Ministerien, aber weniger die Abgeordneten und das Parlament selbst.
Manfred Müller
Diese Probleme sind also bekannt. Der Handlungsbedarf ist groß; in den unterbreiteten Vorschlägen wird dies jedoch weitgehend ausgelassen. Ich muß deshalb davon ausgehen, daß eine grundsätzliche Lösung unserer strukturellen Krise gar nicht in Angriff genommen werden soll.
Zu den Argumenten bezüglich einer Verkleinerung des Parlaments hat dankenswerterweise Herr Vizepräsident Hirsch schon einiges gesagt, so daß ich das hier nicht zu wiederholen brauche.
Strikt abzulehnen - und ich bin nicht sicher, daß das Wahlgesetz nicht doch geändert werden soll - ist auch der Versuch, mit einer Verkleinerung des Deutschen Bundestages ab der 15. Wahlperiode bereits in der 14. Wahlperiode Eingriffe in das bundesdeutsche Wahlrecht vorzunehmen, nämlich hinsichtlich der mindestens drei Direktmandate, die eine Partei erzielen muß, um auch dann in das Parlament einzuziehen, wenn die Fünf-Prozent-Hürde nicht übersprungen werden konnte.
Mir zeigt diese Diskussion, dieser Angriff auf das Bundeswahlgesetz, daß es den Initiatoren der Verkleinerung des Deutschen Bundestages auch um die Verringerung des Einflusses kleinerer Parteien, Fraktionen und Gruppen im Deutschen Bundestag geht.
Wenn mit der Verkleinerung des Deutschen Bundestages solche Möglichkeiten eröffnet werden, sind aus diesem Grunde entsprechende Versuche abzulehnen.
Im übrigen weise ich darauf hin, daß das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit der Fünf-Prozent-Sperrklausel ausdrücklich darauf hingewiesen hat, daß regional verankerte Parteien wie z. B. die PDS und - mit Verlaub - auch die CSU über mindestens drei Direktmandate den Einzug in das Bundesparlament erzielen können und deshalb eine Benachteiligung regional verankerter Parteien durch die Fünf-ProzentSperrklausel nicht vorliegt.
Wenn nun die Hürde der Direktmandate höher gelegt wird, dann folgt daraus zwangsläufig die Notwendigkeit einer Reduzierung der Sperrklausel. Darüber könnten wir gern reden.
Die vorgeschlagene Diätenerhöhung kann schon gar nicht mit einer geplanten Verkleinerung des Parlaments begründet werden. Für mich kann sich eine Begründung für eine Diätenerhöhung überhaupt nur aus einer wirkungsvolleren Arbeit der Parlamentarierinnen und Parlamentarier ergeben. Eine Anbindung der zukünftigen Diätenerhöhungen an die Einkommensentwicklung anderer Berufsgruppen, also wie hier vorgeschlagen der Bezüge der Richter an Bundesgerichten, hat aus zwei Gründen etwas für sich:
Erstens. Wir werden nicht mehr in eigener Sache tätig, und der Selbstbedienungsvorwurf bleibt reine Polemik.
- Dazu komme ich jetzt.
Zweitens. Die Koalitionsfraktionen sitzen zukünftig am Verhandlungstisch, wenn es um die Erhöhung der Bezüge z. B. des öffentlichen Dienstes geht, und zwar nicht auf seiten der öffentlichen Arbeitgeber, sondern vielleicht auf seiten der Gewerkschaften.
Herr Kollege Müller, die Redezeit ist schon ein Stück überschritten.
Ich bin sofort fertig.
Eine Heranführung innerhalb von nur drei Jahren an die Richterbezüge würde allerdings zu überhöhten Diätenerhöhungen führen. Wir werden uns deshalb für eine Streckung der Übergangsphase und damit eine geringere Diätenerhöhung solange einsetzen, wie den Kolleginnen und Kollegen des gesamten öffentlichen Dienstes ständig die leeren öffentlichen Kassen vorgehalten werden.
Danke schön.
Ich erteile das Wort dem Kollegen Gerhard Scheu.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich mich dem Dank an den Vorsitzenden der Rechtsstellungskommission des Ältestenrates, Herrn Vizepräsident Klose, anschließen. Herzlichen Dank für die geleistete Arbeit! Ich freue mich, daß wir so gut zusammenarbeiten konnten.
Lassen Sie mich zu einem Verfassungsproblem und zu einem Wahlrechtsproblem Stellung nehmen. Art. 48 Abs. 3 des Grundgesetzes soll zukünftig in den Sätzen 2 und 3 wie folgt lauten:
Die Abgeordnetenentschädigung bestimmt sich nach den Jahresbezügen eines Richters an einem obersten Bundesgericht. Das Nähere, insbesondere über die Abgeordneten- und Altersentschädigung sowie die Amtsausstattung, wird durch Bundesgesetz oder aufgrund eines Bundesgesetzes geregelt.
Dieser Gesetzesantrag ist verfassungsrechtlich a) zulässig, b) geeignet und c) notwendig, um für die Zukunft - wie Satz 1 fordert - eine „angemessene" Entschädigung der Mitglieder des Deutschen Bundestages zu gewährleisten, auch wenn das erst ab 1. Januar 2000 eintritt. Alternativen dazu sind nicht in Sicht.
Zu a): Maßstab für die Zulässigkeit ist das in Art. 79 Abs. 3 festgelegte demokratische und rechtsstaatliche Prinzip. Artikel 79 Abs. 3 hindert den verfassungsändernden Gesetzgeber nicht an positiv-recht-
Gerhard Scheu
licher Modifizierung aus sachgerechten Gründen. Von einer Preisgabe des Demokratieprinzips durch den neuen Artikel 48 Abs. 3 Satz 2 kann nicht die Rede sein. Die Bestimmung der angemessenen Abgeordnetenentschädigung ist durch den Verweis auf die Bundesrichterbezüge so offen, daß dem demokratischen Gesetzgeber, was durch den Verweis in Art. 48 Abs. 3 Satz 3 auf die näheren Regelungen durch Bundesgesetz noch verstärkt wird, hinreichender materieller Entscheidungsspielraum verbleibt. Der verfassungsändernde Gesetzgeber macht durch den neuen Satz 2 in Art. 48 Abs. 3 selbst die Verbindung zwischen Abgeordnetenentschädigung und Bezügen der Bundesrichter für die Öffentlichkeit im Grundgesetz deutlich. Für den demokratischen Willensbildungsprozeß ist damit offenkundig, daß fortan jede Änderung der Richterbesoldung auf die Entschädigung der Bundestagsabgeordneten ausstrahlt, die vom Demokratieprinzip gebotene öffentliche Kontrolle also stattfinden kann.
Sachverständige der Wissenschaft haben schon an anderer Stelle betont, eine derartige Indexierung auf der Ebene der Verfassung selbst sei zulässig. Ich verweise nur auf den Aufsatz von Linck in ZParl 95, 376ff.
Der Einwand, der eben von mehreren Rednern vorgetragen worden ist, damit säßen die Abgeordneten des Deutschen Bundestages künftig am Verhandlungstisch mit der ÖTV, ist unzulässig, unbegründet und sachlich nicht richtig. An diesem Verhandlungstisch sitzen seit 40 Jahren bekanntlich die Minister des Bundes und der Länder, Herr Vizepräsident Hirsch, noch niemand hat jemals das anscheinend gottgewollte Prinzip beanstandet, daß die Bundesminister und die Landesminister unmittelbar an B 9, B 10 und B 11 orientiert sind.
Der Kollege Hirsch möchte gern eine Zwischenfrage stellen.
Wenn ich hiermit zu Ende bin, Herr Hirsch. - Für die Regelung statussichernder Ansprüche betont Art. 48 Abs. 3 Satz 3 neuer Fassung den Parlamentsvorbehalt. Wir werden dem jüngsten Urteil des Verfassungsgerichtshofs NRW vom 16. Mai 1995 im Zuge der Gesetzesberatungen, z. B. im Bereich des § 12 Abs. 3, noch entsprechen, soweit es auf Grund von Abs. 3 Satz 3 erforderlich ist. Das Wesentliche, d. h. die grundlegenden Strukturelemente, die die Gestaltung des Abgeordnetenmandats maßgeblich bestimmen, muß durch Parlamentsgesetz nach den Grundsätzen der „Außenrechtssetzung" erfolgen. Anderes kann nach hinreichender Bestimmung von Inhalt, Zweck und Ausmaß der Ermächtigung von Hilfsorganen des Parlaments geregelt werden.
Bitte, Herr Hirsch!
Herr Kollege Scheu, darf ich Sie zu Ihrem Vergleich mit den Tarifverhandlungen fragen, ob Ihnen denn wirklich nicht bewußt ist, daß nirgendwo in der Verfassung steht, daß die Ministergehälter von den Tarifergebnissen abhängig wären, und ob Ihnen denn wirklich nicht bewußt ist, daß die Rechtsstellung eines Abgeordneten, eines unabhängigen und freien Abgeordneten, nach unserer Verfassung eine völlig andere ist als die eines Ministers?
Herr Kollege Hirsch, ursprünglich war das Erlangen der Position eines Reichsministers die Endstufe der Beamtenkarriere. In der Realität der parlamentarischen Demokratie der Bundesrepublik, des Bundes und der Länder, ist das die Ausnahme. Minister des Bundes und der Länder kommen aus dem Parlament und beziehen ihre Legitimation durch das Parlament.
- Nicht nur. Deshalb ist es fragwürdig - wir hatten das ja beim Amtsbezügegesetz angesprochen -, ob es in Zukunft möglich sein soll, die Bezüge aller Mitglieder von Verfassungsorganen in einem sogenannten Amtsbezügegesetz zu regeln.
Ich habe mich ja nur dagegen gewandt, daß man dem Abgeordneten unterstellt, er säße dann mit der ÖTV am Tarifverhandlungstisch. Ich habe darauf überhaupt keinen Einfluß. Ich glaube auch nicht, daß man das den Mitgliedern dieses Parlaments und dem Regelungsziel des Art. 48 Abs. 3 des Grundgesetzes unterstellen sollte, weil es nach 18 Jahren Erfahrungssammlung darum geht, die Rechtsstellung des Abgeordneten besser als bisher zu regeln.
Herr Kollege Hirsch, das Wort „angemessen" im Art. 48 Abs. 3 Satz 1 des Grundgesetzes setzt schon seinem Begriff nach notwendig voraus, daß man an etwas mißt, eine Maßgröße heranzieht. Diese Maßgröße kann nicht im Himmel, sie muß auf Erden gefunden werden. Den Maßstab, den wir gewählt haben, halte ich für vertretbar.
Der Kollege Hirsch möchte Ihnen eine weitere Frage stellen.
Ja, wenn Sie die Zeit anhalten.
Bitte, Herr Kollege.
Herr Kollege, ich möchte die Redezeit nicht weiter unangemessen verlängern.
Dr. Burkhard Hirsch
Ist es nicht in Wirklichkeit doch so, daß Sie unabhängig von den Begründungen, die Sie bringen, darauf abzielen, daß eben nicht mehr offen und öffentlich über die Höhe der angemessenen Abgeordnetenbesoldung entschieden werden soll, also ohne große öffentliche Debatte?
Wird nicht in Wirklichkeit der Versuch gemacht, durch die Aufnahme eines konkreten Maßstabs in die Verfassung den Schein einer verfassungsrechtlichen Verpflichtung zu erzeugen?
Herr Kollege Hirsch, es geht nicht um die Begründung einer verfassungsrechtlichen Verpflichtung. Es geht darum, in Zukunft für jeden in Deutschland - nach Beendigung des Schulbesuchs bekommt man die Verfassung des Landes und die Verfassung des Bundes in die Hand gedrückt - ersichtlich zu machen, woran sich die Bezüge eines Abgeordneten des Deutschen Bundestages orientieren. Deutlicher und öffentlicher als in der Verfassung selbst kann man das nicht regeln.
Zu b): Ich halte diesen Maßstab, Herr Kollege Hirsch, für den geeignetsten unter allen denkbaren. - Damit möchte ich die Beantwortung Ihrer Frage beenden, damit Sie nicht meinen, ich möchte meine Rede unangemessen fortsetzen.
Ich fahre also mit meinen Ausführungen fort: Eine an den Jahresbezügen eines Richters ausgerichtete Abgeordnetenentschädigung wird dem Rang und der Bedeutung der Abgeordneten des Deutschen Bundestages und ihrer Inanspruchnahme durch das Mandat in angemessener und nicht überziehender Weise gerecht, zumal Abgeordnete bei der Ausübung ihres Mandats gemäß Art. 38 des Grundgesetzes nicht an Aufträge und Weisungen gebunden sind, was dem Status der richterlichen Unabhängigkeit nach Art. 97 des Grundgesetzes eher entspricht als dem Status eines auftragsgebundenen und weisungsabhängigen Beamten.Auch die seinerzeitige Herauslösung der Richterbesoldung aus dem allgemeinen Beamtenbesoldungsrecht beruhte auf vergleichbaren, aus der Unabhängigkeit der rechtsprechenden Gewalt begründeten Erwägungen. Ich möchte an dieser Stelle für Sie, Herr Hirsch, doch auf die Entscheidung verweisen: Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in der amtlichen Sammlung, 32. Band, S. 199ff.Die Gesamtzahl derartiger Richterstellen beläuft sich im Augenblick - Stand 1993 - auf 320, wovon 258 in die Besoldungsgruppe R 6 und 62 Stellen in die höhere Besoldungsgruppe R 8 - Vorsitzender Richter - eingestuft sind.Die unmittelbare Anknüpfung an diese Bezugsgröße bestimmt positiv den Begriff der Angemessenheit im Sinne des Satzes 1 des Art. 48 Abs. 3 des Grundgesetzes. Sie entscheidet die seit 1978 anhaltende und dem Gedanken der parlamentarischen Demokratie auf Dauer abträgliche Kontroverse auf der Ebene der Verfassung.Zu c): Die Neufassung ist auch notwendig, um den Verfassungsauftrag des Satzes 1 in Zukunft anders als in der Vergangenheit erfüllen zu können. Die geltende Diätenregelung zog seit langem den Vorwurf der Entscheidung in eigener Sache - auch heute wieder - und den der Selbstbedienung auf sich.Wie unbegründet dieser Vorwurf war und ist, belegen die tatsächlichen Anpassungssätze: Vom April 1977 bis zum Juni 1995 - also im Verlaufe von 18 Jahren - ist die Entschädigung mit einer effektiven Jahresrate von lediglich 1,81 % angehoben worden. Für die Kostenpauschale ist der jährliche Steigerungssatz mit 1,59 % noch geringer. Eine Perpetuierung dieser Entwicklung - durch Ihren Vorschlag würde sie zwangsläufig eintreten - hätte ernstliche, sich schon heute andeutende Beeinträchtigungen der Funktionsfähigkeit der Volksvertretung zur Folge. Lediglich vordergründig plausibel ist der Hinweis, das Parlament habe diese Entwicklung selbst zu vertreten, weil es seit Jahren nicht das Selbstbewußtsein aufbringe, den Berichten der Bundestagspräsidenten, den Empfehlungen unabhängiger, sachkundiger und erfahrener Persönlichkeiten aus allen gesellschaftlichen Gruppen - „Leber-Bericht" vom Juni 1990 und die „Kissel-Kommission" vom Mai 1993 - zu entsprechen.Die außerordentliche Empfindlichkeit des Vorwurfs der Selbstbedienung, die realen Bedingungen des politischen Gegeneinanders der im Parlament vertretenen Parteien, das meist kritische Klima in den Medien und die konstant schwierige Lage der öffentlichen Haushalte verhinderten, selbst mit zutreffenden Argumenten, den objektiv richtigen Zeitpunkt zu finden. Aus diesem Dilemma kann im Ergebnis nur eine Ergänzung des Art. 48 Abs. 3 herausführen.
Meine Damen und Herren, wir, CDU/CSU und SPD, halten diese Entscheidung für erforderlich, damit auch in Zukunft gewährleistet ist, daß aus allen Schichten der Bevölkerung qualifizierte, leistungsfähige und den Gedanken der parlamentarischen Demokratie verpflichtete Mitbürgerinnen und Mitbürger das Amt eines Abgeordneten übernehmen können. Das ist der Kern des Vorschlages.
Dies ist ein so hoher Belang, daß man zwar einzelne Fragen der technischen Ausgestaltung sehen kann, wir aber vor allem sehen müssen, welche Fol-
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3866 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995
Gerhard Scheugen es im Jahre 2015 für die parlamentarische Demokratie hat, wenn dies so weitergeht. Haben Sie schon einmal eine Hochrechnung gemacht? All diejenigen, die uns raten: „Seid selbstbewußter", sind dann, wenn es um die Umsetzung geht, sofort mit dem Vorwurf der Selbstbedienung bei der Hand.Herr Abgeordneter Hirsch, 1787 hatte der Konvent von Philadelphia auf einer Tagung die Verfassungsbestimmung aufgenommen: Entschädigt die Abgeordneten „reichlich und fest", und dies nicht deshalb, weil der amerikanische Kongreß meinte, dies sei erforderlich, um Geld zu verdienen. Man war vielmehr der Meinung - wie Amerikaner es sind -: Gute und viel Arbeit ist auch eine hohe Entschädigung wert.
- Es ist eben ein maßvoller Vorschlag.Zum Schluß komme ich zur Frage der Verkleinerung des Parlaments: Es liegt in der Einschätzungsprärogative des Parlaments, ob die Mehrheit meint, auf Dauer sei mit einer Größenordnung auf der Basis der jetzt erreichten Größe und dem jetzt geltenden Wahlrecht - das Parlament kann durch Überhang-, Ausgleichsmandate und andere Vorschriften vergrößert werden - die Effizienz nicht mehr gewährleistet. Es stellt in der Geschichte des Parlamentarismus einen ungewöhnlichen und für die kleineren Parteien - meine eigene Partei, die CSU, gehört auch zu den kleineren Parteien - schmerzlichen Schritt dar, einer solchen Verkleinerung zuzustimmen. Ob sie aber erforderlich ist, liegt in der Einschätzungsprärogative des Parlaments.Wenn man Vergleiche anstellt, sollte man in bezug auf Deutschland berücksichtigen: Wir haben eine ausgeprägte föderalistische Struktur, wir haben eine ausgeprägte kommunale Selbstverwaltung mit Oberbürgermeistern und Landräten, wir haben Hunderte von Landtagsabgeordneten. Das muß man alles zusammen sehen, wenn man das Verhältnis zwischen Volksvertretern und Einwohnerzahl berechnet. Daran gemessen, erscheint die Größe gerechtfertigt.
Ich trete für diese Größenordnung ein. Es wäre möglich gewesen, uns auf andere Größenordnungen zu verständigen. Ich halte diese für erforderlich.Herr Kollege Hirsch, wir sind bereit, noch im September einen verbindlichen Gesetzesbeschluß einzubringen, der festschreibt, daß diese Verkleinerung a) auf dem Grundsatz der Parität zwischen Wahlkreisen und Listenabgeordneten, b) auf der Basis des geltenden Verhältniswahlrechts und c) auf der Fortgeltung des § 4 - der Erst- und Zweitstimme - erfolgt. Wir sind bereit, dies im September durch ein Gesetz verbindlich festzulegen. Damit ist der Vorhalt, es gehe um eine Änderung des Wahlrechts, durch Gesetz ausgeräumt.Der letzte Punkt: Wenn eine solche Reform erfolgen muß und wird, ist sie technisch nur durchführbar, wenn wir bei der Wahl 1998 von gewissen Anpassungsvorschriften des Wahlrechts suspendieren.
In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob Wahlrechtsverzerrungen, die das geltende Wahlrecht ermöglicht, perpetuiert werden können, wenn man kein Risiko für die Gültigkeit dieser Wahl eingehen möchte. Dies allein ist der Hintergrund und nicht eine Änderung des Wahlrechts. Ich kann hier nur sagen, daß das einstimmige Meinung der Fraktion der CDU/CSU und wohl auch der SPD ist. Dies ist auch in der Kommission verbindlich so gesagt worden.Ich bitte Sie, meine Damen und Herren, diesem Gesamtvorschlag - Verkleinerung des Parlaments, Reform des Parlaments, Reform des Art. 48 und Reform der Abgeordnetenentschädigung - im Interesse des langfristigen Funktionierens der parlamentarischen Demokratie zuzustimmen. Wir sind es der Zukunft schuldig.Danke sehr.
Ich schließe die Aussprache.
Ich leite das Abstimmungsverfahren über die Beschlußempfehlung des Ältestenrates zu den Empfehlungen der Kommission des Ältestenrates für die Rechtsstellung der Abgeordneten auf Drucksache 13/1803 ein. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Wer enthält sich der Stimme? - Die Beschlußempfehlung ist angenommen.
Interfraktionell wird die Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 13/1824 und 13/1825 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Der Gesetzentwurf zur Änderung des Grundgesetzes auf Drucksache 13/1824 soll zusätzlich dem Innenausschuß überwiesen werden. Der Gesetzentwurf zur Änderung des Abgeordnetengesetzes und des Europaabgeordnetengesetzes soll gemäß § 96 der Geschäftsordnung nur dem Haushaltsausschuß überwiesen werden. Besteht dazu das Einverständnis des Hauses? - Dies ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe Punkt 8 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch
- Drucksache 13/1826 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Gesundheit Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
Vizepräsident Hans Klein
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Sind Sie damit einverstanden? - Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort unserem Kollegen Wolfgang Lohmann.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die CDU/CSU-Fraktion bringt heute mit der 4. Novelle eine weitere Novelle zum SGB V in erster Lesung in die parlamentarischen Beratungen ein. Das Thema, um das es bei dieser 4. SGB-V-Novelle geht, ist nicht neu, sondern es wurde u. a. bereits im vergangenen Jahr unter dem Stichwort „ GKV-Anpassungsgesetz " beraten.
Wir schlagen mit diesem Gesetzentwurf zwei punktuelle Änderungen beim vertragsärztlichen Honorarbudget in den alten und neuen Bundesländern vor, die ein Gesamtvolumen von insgesamt 840 Millionen DM ausmachen.
Es geht erstens um die Stärkung der hausärztlichen Versorgung durch eine gezielte Aufbesserung des vertragsärztlichen Honorarbudgets noch in diesem Jahr. Durch 600 Millionen DM für das vertragsärztliche Honorarbudget in den alten und neuen Bundesländern wird zusätzlich zu den bereits erfolgten internen Umschichtungen dafür gesorgt, daß noch in diesem Jahr die hausärztliche Grundvergütung spürbar angehoben werden kann.
Es geht zweitens um die Anhebung der vertragsärztlichen Gesamtvergütung in den neuen Ländern um zusätzlich 4 %. Dadurch werden für das vertragsärztliche Honorar in den neuen Ländern insgesamt 240 Millionen DM zusätzlich zur Verfügung gestellt.
Man sollte nun meinen, meine sehr geehrten Damen und Herren, daß Sie von der SPD-Opposition - auch Herr Dreßler - oder Sie von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN diesem Gesetzentwurf zustimmen könnten. Jedermann weiß, daß die Stärkung der hausärztlichen Grundversorgung und die Förderung der sogenannten sprechenden Medizin eines der Lieblingsthemen der SPD im Bundesrat und auch im Bundestag ist.
Aber ich bin mir der Tatsache bewußt, daß gerade Sie im Bundestag und auch im Bundesrat die Initiative unserer Fraktion erneut ablehnen werden.
Dies wird diesmal ohne Erfolg sein; denn das Gesetz ist bekanntlich zustimmungsfrei.
Bereits bei den Beratungen zum GKV-Anpassungsgesetz im vergangenen Jahr haben Sie argumentiert, daß Sie zwar eigentlich für eine Stärkung der hausärztlichen Versorgung wären, daß Sie diesem Gesetz aber nicht zustimmen könnten, weil in
diesem Gesetz beispielsweise auch Regelungen zugunsten der Pharmaindustrie oder der Zahnärzteschaft enthalten seien. Dieses Doppelspiel werden wir Ihnen nun nicht mehr ermöglichen.
Sie werden, meine sehr verehrten Damen und Herren, bei der 4. Novelle Gelegenheit haben, zu unseren Vorschlägen ganz klar, Herr Dreßler, ja oder nein zu sagen, ohne Wenn und Aber, einfach nur ja oder nein.
Wir hatten Ihnen ja eben vorgeschlagen, die Reden zu Protokoll zu geben, dann wären wir bei dem Ergebnis gewesen; aber Sie wollten die Gelegenheit nutzen, einen Rundumschlag zu tätigen. Deswegen sprechen wir jetzt in der ersten Lesung hier in dem Zeitrahmen, der vorgesehen ist.
Wir werden durch klare Botschaften dafür sorgen, daß Sie gesundheitspolitisch Farbe bekennen müssen, und zwar nicht nur im Bundestag, sondern auch im Bundesrat,
und das nicht nur mit einer vierten SGB-V-Novelle.
Ich möchte die Gelegenheit nutzen, Herrn Bundesminister Seehofer jetzt doch zu bitten - um nicht zu sagen, ernsthaft aufzufordern -, das Trauerspiel um die Positivliste nun endlich zu beenden. Nachdem wir jetzt gehört haben, daß schwerwiegende Verfahrensmängel zur Folge haben, daß das Institut eine zeitliche Verzögerung um mindestens acht Wochen bis Ende August für sich in Anspruch nimmt, mit der Konsequenz, daß die entsprechenden Prüfungen nicht stattfinden können, meinen wir nun dieses Spiel beenden zu müssen. Wir werden deswegen nach der Sommerpause
- seien Sie ganz beruhigt - eine weitere Novelle einbringen und Ihnen vorschlagen, die Rechtsgrundlagen Ihrer sogenannten Positivliste zu streichen.
Sie werden dann wieder Gelegenheit haben, der staunenden Öffentlichkeit mitzuteilen, warum Sie nun ausgerechnet diese Listenmedizin weiterhin brauchen oder warum Sie meinen, daß sie gebraucht wird.
Wir werden Ihnen in einer weiteren SGB-V-Novelle eine Festzuschußregelung beim Zahnersatz vorschlagen, wie das seit Monaten ohne Ergebnis diskutierte Problem der Amalgam- bzw. Inlayversorgung bei der vertragszahnärztlichen Versorgung zu einem insbesondere für die Patienten dann zufriedenstellenden Ergebnis führt.
Sie werden auch dann, Herr Kirschner, Gelegenheit haben, hier noch einmal zu erklären, warum Sie mit dem Totschlagargument Zwei-Klassen-Medizin
Wolfgang Lohmann
dafür eintreten, daß Patienten finanziell überhaupt nichts bekommen, wenn sie sich für die nach ihrer persönlichen Auffassung bessere zahnmedizinische Versorgung entscheiden.
Wir werden Ihnen in einer weiteren SGB-V-Novelle eine Regelung vorschlagen, die die Festbetragsregelung zugunsten bestimmter innovativer patentgeschützter Wirkstoffe deutlich einschränkt, und Sie werden dann im Deutschen Bundestag die Gelegenheit haben, zu sagen, warum Sie zwar immer für Pharmaforschung zu sein behaupten, aber seit Monaten oder gar seit Jahren alle Vorschläge blockieren, die uns diesem Ziel zumindest etwas näher bringen würden.
Wir werden eine weitere SGB-V-Novelle einbringen und Ihnen eine Regelung vorschlagen, die endlich die seit nunmehr zwei Jahren ungelöste Problematik - das müßte Ihnen ein Anliegen sein, Herr Dreßler - der Finanzierung der Instandhaltungsinvestitionen im Krankenhaus einer zufriedenstellenden Lösung zuführt.
Sie werden dann erklären können, warum Sie zwar für Beitragssatzstabilität in der Krankenversicherung sind, aber nicht davor zurückschrecken, den Kassen still und leise gut 5 Milliarden DM ohne Kompensation aufs Auge zu drücken.
Diese Zweigleisigkeit - um das Wort „Doppelzüngigkeit" zu vermeiden - Ihrer Sozial- und Gesundheitspolitik werden wir auf den Punkt bringen, damit für jedermann klar wird, wofür Sie in der Sozial- und Gesundheitspolitik stehen. Sie stehen für die Anhebung der Pflichtversicherungsgrenze, das heißt mehr Umverteilung zu Lasten der sogenannten Besserverdienenden. Sie stehen für die Verlängerung der gesetzlichen sektoralen Budgetierung - das steht ja überall zu lesen -, das heißt auf Dauer interne Rationierungen, letztlich zu Lasten der Patienten. Sie stehen für die Systemsteuerung durch Gesundheitskonferenzen. Das ist aus Ihren Papieren ersichtlich. Das heißt mehr Planung, mehr Bürokratie, das heißt staatlicher Dirigismus in Reinkultur.
Sie stehen für die sogenannte Listen- und Planungsmedizin; Sie wollen eine Positivliste.
- Sie wollen eine Positivliste. - Sie wollen ein sogenanntes Primärarztkonzept, Sie setzen nicht auf den mündigen Versicherten, sondern darauf, den mündigen Patienten und Versicherten zu bevormunden.
Ziel unserer Gesundheitsstrukturpolitik ist demgegenüber, eine hochwertige Versorgung der Versicherten bei gleichzeitiger Beitragssatzstabilität durch Freiheit und Verantwortung der Selbstverwaltungen zu sichern. Wir wollen nicht mehr, wir wollen weniger Staat auch im Gesundheitswesen, und deswegen
bereiten wir die dritte Reformstufe im Gesundheitswesen seit Beginn dieses Jahres vor.
Trotz aller Schwierigkeiten bin ich gerade vor dem Hintergrund unserer jüngsten Gespräche mit Ärzten, Kassen und Krankenhäusern davon überzeugt, daß es letztendlich gelingen wird, ein Konzept für alle Leistungssektoren, d. h. auch für das Krankenhaus, zu erarbeiten. Dabei gilt der Satz, daß es ohne Beitragssatzstabilität im Krankenhaus stabile Beitragssätze in der GKV nicht geben wird.
Ich bin aber überzeugt - damit komme ich zum Schluß -, daß die jüngsten Horrormeldungen über die Finanzentwicklung der gesetzlichen Krankenversicherung im ersten Quartal des Jahres 1995 für die Gesamtentwicklung in diesem Jahr nicht repräsentativ sind. Ärzten und Krankenkassen gemeinsam wird es wohl gelingen, diesen Trend zu stoppen. Gerade im Hinblick auf diese unsere Erwartung haben wir diese SGB-Novelle eingebracht.
Danke.
Ich erteile nun dem Abgeordneten Rudolf Dreßler das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Angesichts der bemerkenswerten Fähigkeit der Koalition aus CDU/CSU und F.D.P., ihre Gesetzesvorhaben mit blumigen Namen zu schmücken - man denke nur an „ Gesundheits-Reformgesetz " 1989, „Beschäftigungsförderungsgesetz" 1986 usw. -, erscheint der Name, der uns heute beschäftigt, „4. SGB V-Änderungsgesetz", als erstaunlich nüchterner Titel. Er schlägt insoweit eigentlich ganz aus der Art.
Wenn man sich dieses Gesetz näher anschaut, dann wäre auch in diesem Falle eine etwas blumigere Wortwahl bei seiner Bezeichnung durchaus angebracht. Mir schwebt dabei etwa „ Krankenversicherungskostenexplosionsbeschleunigungsgesetz " vor.
Dieser Titel würde den Sachverhalt treffender kennzeichnen.
Es ist schon erstaunlich, auf welchen Weg der Bundesgesundheitsminister sich zu begeben bereit ist. Mit der Unterstützung der SPD-Bundestagsfraktion - das hat sein Sprecher Lohmann hier gerade richtig dargestellt - wird er dabei nicht rechnen können, er rechnet auch nicht damit. Er ist sich augenscheinlich auch schon deshalb über die Konsequenzen klar.
Der Gesetzentwurf, meine Damen und Herren, gibt vor, die Lage der Hausärzte verbessern zu wollen. Dieses Anliegen ist unstrittig. Er greift dabei allerdings zu einem Mittel, das uns bereits vor der Bun-
Rudolf Dreßler
destagswahl angedient worden war: die Erhöhung der hausärztlichen Vergütung um 600 Millionen DM, und zwar finanziert von den Krankenkassen. Das war es dann aber auch schon.
Ist das nun wirklich alles, was die Bundesregierung zur Verbesserung der hausärztlichen Versorgung inhaltlich auf der Pfanne hat?
- Für das Protokoll: Der Minister hat gesagt, ja, das sei alles. Der nächste Offenbarungseid, und das noch vor dem Deutschen Bundestag!
Ich frage: Wo sind die inhaltlich-strukturellen Veränderungen in der hausärztlichen Versorgung, die die Betroffenen gegenüber den Fachärzten endlich aus ihrer Nachteilsituation befreien? In diesem Entwurf Fehlanzeige. Genau hier aber liegen die eigentlichen lösungsbedürftigen Fragen und Probleme, und um deren Klärung drücken sich Regierung und Koalitionsfraktionen.
Es kann niemanden in diesem Hause überraschen, daß die SPD-Fraktion nach einer Bundestagswahl einem Vorschlag der Regierung nicht zustimmt, den sie vor der Wahl bereits abgelehnt hat. Denn bevor es vergessen wird: Diese schale Brühe, die uns heute serviert wird, ist bereits ein zweiter Aufguß.
Angesichts des Gesetzgebungsvorhabens der Regierung wiederhole ich: 600 Millionen DM mehr für die Hausärzte lösen, wie Sie, Herr Lohmann, genauso wissen wie ich, nicht deren Probleme. Im Gegenteil: Spätestens in wenigen Monaten würden wir abermals über die Notwendigkeit von Verbesserungsmaßnahmen für Hausärzte beraten müssen. Wir brauchen eine strukturelle Veränderung in der hausärztlichen Versorgung.
Was wir nicht brauchen, sind finanzielle Bonbons oder Beruhigungspillen, die eine kurze Zeit über die Mängel hinwegzutäuschen vermögen, aber sie nicht wirklich ausräumen.
Die Koalition wird also Gelegenheit haben, meine Damen und Herren, noch in diesem Jahr zum sozialdemokratischen Konzept zur Verbesserung der hausärztlichen Versorgung Stellung zu nehmen. Diese Koalition wird z. B. erklären müssen, wie sie zu eigenen, nur von Hausärzten abrechenbaren Gebührenpauschalen steht. Sie wird hier erklären müssen, wie sie zu einer eigenständigen Gesamtvergütung für die hausärztliche Versorgung steht. Sie wird erklären müssen, wie sie zu eigenen Vertragsverhandlungen der Hausärzte in den kassenärztlichen Vereinigungen mit den Krankenkassen steht.
Sie werden außerdem erklären müssen, wie Sie zu einem eigenen Honorarverteilungsmaßstab für Hausärzte stehen.
Das sind nur vier Fragen, aber es sind die für die Hausärzte entscheidenden. Diese Fragen haben nicht Sie vorgelegt, Herr Lohmann, die wird die SPD-Fraktion vorlegen. Wenn Sie dann zustimmen, können Sie diesen Unsinn, Versichertengelder in Höhe von 600 Millionen DM einzusetzen, um ein Versprechen des Finanzministers zur Klimaverbesserung auf dem Ärztetag zu erfüllen, streichen. So einfach ist das.
Die zweite Maßnahme, die in diesem Gesetz enthalten ist, umfaßt die Summe von 240 Millionen DM, mit denen Budgetüberschreitungen in der Versorgung in Ostdeutschland ausgeglichen werden sollen. Weit wichtiger als jene 240 Millionen DM zugunsten der ostdeutschen Vertragsärzte ist das Signal, das mit einem solchen Gesetzgebungsvorhaben ausgesendet wird.
Übrigens, meine Damen und Herren, wie zusammengeschustert dieses Gesetz ist, zeigt ein schwerer handwerklicher Fehler: Die Regelung, mit der den Vertragsärzten im Osten Deutschlands 240 Millionen DM erspart werden sollen, ist so abgefaßt, daß auch Zahnärzte davon begünstigt würden, obwohl sie von einem möglichen Regreß gar nicht betroffen sind. Ist Ihnen das, Herr Seehofer, in Ihrer Eile, den Ärzten eine Gefälligkeitsgesetzgebung zu servieren, entfallen, oder ist das ein Diener vor der Zahnärztepartei Deutschlands, die sich heute noch F.D.P. nennt?
- Herr Thomae, ich wiederhole hier nur den Ausspruch eines Ihrer Abgeordneten, der von diesem Pult aus erklärt hat: „Wir, die F.D.P., sind die Zahnärztepartei Deutschlands. " Es müßte Ihnen doch gefallen, wenn ich das hier wiederhole.
Koalition und Opposition haben in Lahnstein den Entwurf eines Gesundheitsstrukturgesetzes beschlossen, in dem die Budgetierung enthalten ist.
Aber nicht nur das: Sie haben auch gesetzlich geregelt, was zu geschehen hat, wenn Budgets überschritten werden. Das ist ebenso einfach wie logisch: Budgetüberschreitungen müssen von denjenigen finanziell zurückgeholt werden, die sie heraufbeschworen haben. Wieso soll das nach den Plänen von CDU/CSU und F.D.P. nicht mehr gelten?
Rudolf Dreßler
Die SPD-Fraktion besteht auf der Einhaltung dieses Grundsatzes. Damit das klar ist, wiederhole ich: Dieses Parlament - jedenfalls die Seite zu meiner Linken - ist nicht der Vollstrecker leichtfertiger Vergütungs- und Honorierungsversprechen, die der Bundesgesundheitsminister vor Ärztetagen abgibt.
Ist man sich eigentlich auf Ihrer Seite bewußt, welches Signal für andere Bereiche man mit diesem Gesetzgebungsverfahren aussendet? Vor dem Hintergrund großer Budgetprobleme im laufenden Jahr signalisiert man nämlich, das mit der Budgetierung sei alles nicht so ernst gemeint, im Fall der Fälle werde man schon auf den gesetzlich vorgesehenen Mechanismus bei Budgetüberschreitungen verzichten und das Ganze, um des lieben Friedens willen mit den Ärzten, den Krankenkassen aufladen. Ich halte das für ein verhängnisvolles Signal. Auch daran wird sich die SPD-Bundestagsfraktion nicht beteiligen.
Die Fachleute des Gesundheitswesens rechnen für das nächste Jahr mit einem neuen Kostenschub in der Krankenversicherung. Schon für das laufende Jahr prognostiziert der Verband der Angestelltenkrankenkassen ein mögliches Defizit von bis zu 2,5 Milliarden DM. Selbst der Bundesgesundheitsminister bezeichnet die Kostenlage als bedrohlich. Es ist nicht verantwortungsvoll, Herr Lohmann, wenn Sie hier so tun, als sei das für die CDU/CSU-Fraktion Pipifax.
Dies ist ein Alarmsignal, Herr Lohmann. Das sollten Sie viel ernster nehmen, als Sie das gerade getan haben.
Wenn man vor diesem Hintergrund ein Gesetzgebungsvorhaben in Angriff nimmt, das weitere Kosten in Höhe von 840 Millionen DM - einer knappen Milliarde Deutsche Mark - verursacht, dann ist das schlicht unverantwortlich.
Es bleiben eigentlich nur zwei Erklärungsmöglichkeiten: Hier wird hemmungslose Klientelpolitik betrieben, oder die Koalition und der Bundesgesundheitsminister haben zur Lösung der Probleme keinerlei Konzept. Statt dessen ist Chaos angesagt: Novelle eins, zwei, drei, vier, fünf.
Die SPD zittert vor Angst vor diesen Novellen. Da kann ich nur sagen: Von Konzeption keine Spur, Chaos scheint mir die richtige Beschreibung Ihres Zustandes zu sein.
Wer eigentlich, Herr Lohmann, soll die Absichtserklärung der Regierung, für stabile Beitragssätze sorgen zu wollen, noch ernst nehmen, wenn Sie durch dieses Gesetzesvorhaben dokumentieren, daß Sie sich mit dieser These noch nicht einmal selbst ernst nehmen?
Wie ist das eigentlich mit dem ständigen Gerede des Gesundheitsministers von zu hohen Lohnnebenkosten, die unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit gefährdeten? Wenn das stimmt, dann belegt dieses Gesetzesvorhaben: Gefährdungsfaktor Numero eins in diesem Land für Lohnnebenkosten sind seit spätestens 1991 alleine die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen.
Herr Seehofer sagt, die Verbesserung der psychotherapeutischen Versorgung könne ohne Selbstbeteiligung der kranken Menschen nicht finanziert werden. Er lehnt sie also ab. Aber gleichzeitig wirft er den Ärzten mit einem Gesetz 840 Millionen DM hinterher. Wie paßt das denn zusammen, Herr „Bundeskrankenversicherungsexplosionsbeschleunigungsminister" ?
Wer solche unsinnigen Gesetzesvorhaben auf Kiel legt, muß sich darüber im klaren sein,
was er anrichtet. Ich bin mir darüber im klaren, Herr Seehofer, wie das Ergebnis dieses Versuches aussehen wird - das gilt auch für Sie, Herr Lohmann; schreiben Sie sich es auf! -:
Dieses Gesetz wird das Bundesgesetzblatt nicht erreichen.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat die Abgeordnete Marina Steindor.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin jetzt mit vier Minuten Redezeit wieder einmal in dieses realsatirische Theater zwischen den beiden großen Parteien geraten. Ich muß mich sehr kurz fassen.
Marina Steindor
Herr Minister Seehofer, ich nehme Sie jetzt einfach einmal beim Wort. Sie haben hier mehrfach ausgeführt, daß Sie einen großen Wurf in der Reform des Krankenversicherungsrechts und des Gesundheitsrechts machen wollten, und lassen uns immer wieder wissen, daß seit dem Jahre 1977 47 Gesetze mit 6 800 Einzelbestimmungen ergangen seien, das sei eine Chaospolitik, das sei konzeptionslos gewesen, und Sie machten jetzt alles besser.
Jetzt haben wir hier gehört, daß in der Zukunft geradezu eine Kaskade von Einzelbestimmungen auf uns zukommen wird,
um die Sozialdemokratie vorzuführen. Haben Sie sich schon einmal überlegt, daß Sie mit Ihren Ankündigungen bei diesem Vorführeffekt vielleicht unglaubwürdig werden?
Das ist nämlich unsere Auffassung.
Sie verhandeln zur Zeit auf dem Petersberg mit den Krankenkassen, der Krankenhausgesellschaft, den Ärzten usw. Mir war es völlig unverständlich, wie Sie in einer Verhandlungssituation einem Verhandlungspartner ein Geldgeschenk anbieten können, das zu Lasten eines anderen Verhandlungspartners geht.
Das kann doch wohl nicht mit rechten Dingen zugehen.
Sie haben immer gefordert: „Vorfahrt für die Selbstverwaltung." Aber was Sie hier machen, ist doch direktes Hineinregieren in die Selbstverwaltung. Man hätte innerhalb der Ärzteschaft Umverteilungen vornehmen und so das Problem lösen müssen. Sie versuchen, uns zu suggerieren, daß das Geld nur an die Hausärzte geht. Nein! Es geht an die gesamte Ärzteschaft; denn dann müssen die Fachärzte weniger Geld zugunsten der Hausärzte abgeben. Das ist der Effekt, den Sie erzielen.
Sie machen sich selbst - das hat Herr Dreßler schon sehr schön ausgeführt - mit Ihren Forderungen nach Beitragssatzstabilität unglaubwürdig, weil es zu Beitragserhöhungen kommt. Sie regieren in das Krankenkassenrecht hinein. Ich habe den Eindruck gewonnen, daß Sie die Ärzteschaft mit diesem Geld für Ihre dritte Stufe der Gesundheitsreform einkaufen wollen.
Ich habe auch den Eindruck gewonnen, daß Sie so politisch erpreßbar werden, daß das keine Politik ist, die uns weiterführt.
Im Augenblick konkurrieren die verschiedensten gesundheitspolitischen Gremien um die Hausärzte. Haben Sie jemals eine Zusammenschau betrieben?
Insgesamt wird hier nämlich eine Abzockermentalität gefördert; denn die Hausärzte werden in Zukunft die Möglichkeit haben, erstens über dieses Geldgeschenk, so es den Bundestag passiert, zweitens über die Pauschalvergütung und drittens über das modellhafte Hausarztabo Geld zu bekommen.
Abschließend möchte ich sagen - ich sehe hier die drei Nullen;
die sind Ihrer Meinung nach auf dem Konto der Hausärzte; wir sehen das nicht so -: Unsere Partei hat hier schon häufig deutlich gemacht, daß wir für die Stärkung der Hausärzte sind.
Aber Ihrem Gesetz können wir nicht zustimmen.
Es handelte sich bei dem Hinweis auf die drei Nullen nicht etwa um Personen, sondern um die Ziffern auf der Redezeituhr des Podiums.
Ich erteile dem Abgeordneten Dr. Dieter Thomae das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Schon im letzten Jahr haben wir diesen Gesetzentwurf eingebracht. Herr Dreßler, die Ärzte haben innerhalb ihres Systems eine Umschichtung in Höhe von 600 Millionen DM vorgenommen. Das war eine der Bedingungen.
Wir erfüllen jetzt die zweite Bedingung, daß der Gesetzgeber das Hausarztwesen stärkt. Ich halte das auch für richtig; denn wir alle wissen, daß wir häufig am Wochenende und an Abenden dringend den Hausarzt aufsuchen müßten. Da dies leider nicht geht, werden diese Fälle ins Krankenhaus abgeschoben. Die Kosten hierfür sind erheblich höher als die 600 Millionen DM, die wir jetzt investieren, um mittel- und langfristig das Hausarztwesen erheblich zu stärken.
Es ist die Politik der Bundesregierung, das Hausarztwesen zu stärken. Daß wir in der Vergangenheit Fehler gemacht haben, will ich offen bekennen.
Dr. Dieter Thomae
Es ist auch an der Zeit, die Vergütung in den neuen Bundesländern anzuheben. Gegenwärtig beträgt die Vergütung in den neuen Bundesländern 67,2 % der Vergütung in den alten Bundesländern. Die Kosten für die technische Ausstattung und die Miete sind in den letzten Jahren nennenswert angehoben worden. Aus diesem Grunde müssen wir eine Anhebung vollziehen. Nur so geben wir den Ärzten • drüben überhaupt die Chance, weiter praktizieren zu können. Andernfalls wird es dort zu erheblichen Engpässen kommen.
Daher hat die Koalition - ich denke, auch an Sie aus den neuen Bundesländern - die entscheidende Aufgabe, hier eine Anhebung herbeizuführen.
Wenn Sie das als einen Ausgleich für die Budgetüberschreitung bezeichnen, wissen Sie ganz genau, daß dies so nicht stimmt. Das ist falsch, Herr Dreßler. Wir brauchen eine Angleichung. In allen anderen Bereichen liegt das Niveau erheblich höher. Bei der zahnärztlichen Vergütung und auch im Arzneimittelbereich haben wir diesen Unterschied nennenswert minimiert.
Ich bin froh, daß Herr Lohmann sehr deutlich gesagt hat, daß wir endlich die Richtung der Koalition und die der Opposition in der Gesundheitspolitik klarstellen müssen.
Ich bin auch froh, daß wir jetzt entschieden haben, die Positivliste zu kippen. Auch Sie sind über die jetzige Ausgestaltung der Positivliste im Entwurf nicht begeistert. Sie lehnen die völlige Ausgliederung von Gruppen ebenfalls ab, aber Sie haben auch keine Lösungen. Wir von der F.D.P. haben immer gesagt: Die Positivliste ist Teufelswerk. Ich bin froh, daß dies heute durch entscheidende Argumente bewiesen wird.
Lassen Sie mich auf Ihre Aussagen aus dem Wahlkampf zurückkommen. Herr Dreßler, auch Sie unterstützen die Forschungsarbeit der Pharmaindustrie. Sie haben im Wahlkampf draußen sehr deutlich gesagt, daß Sie etwas unternehmen werden, damit der Forschungsstandort Deutschland gestärkt wird.
So! Dann gehen Sie mit der Koalition und bringen den Gesetzentwurf ein, damit die Forschungsmöglichkeiten nennenswert verbessert werden!
Die Koalition wird Ihnen nicht mehr die Gelegenheit geben zu sagen: „Wir hätten gerne zugestimmt, wenn die anderen Punkte nicht in diesem Gesetz enthalten gewesen wären." Wir bieten Ihnen eine faire Chance, unserem Gesetzeswerk zu folgen. Sie brauchen keine Ausflüchte mehr, sondern können ja oder nein sagen. Diese Absicht verfolgen wir mit den Einzelgesetzen.
Auch im Bereich des Amalgam und der Zuzahlung wollen wir eine Veränderung, da die Bürger wirklich bereit sind, auf Amalgam zu verzichten. Dazu möchten sie zumindest den Anteil der Erstattung für Amalgam in eine andere Versorgung mitnehmen können.
Letzter Punkt: Auch die SPD-geführten Länder sind natürlich nicht unschuldig daran, daß im Krankenhauswesen bei der Renovierung und der Ersatzbeschaffung wenig passiert. Auch dies wollen wir ändern.
Herr Kollege Thomae - -
Lieber Klaus Kirschner, die Zeit ist vorbei.
Ich beantworte die Frage anschließend sehr gerne. Herzlichen Dank.
Ich erteile der Abgeordneten Ruth Fuchs das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach dem vorliegenden Gesetzentwurf sollen die Vergütungen der Hausärzte im gesamten Bundesgebiet um 600 Millionen DM und die der Vertragsärzte in den neuen Bundesländern um 240 Millionen DM aufgestockt werden.
Zunächst einmal ist festzustellen, daß diese zusätzlichen Mittel zweifellos solchen Gruppen zugute kommen sollen, die tatsächlich zu den vergleichsweise Benachteiligten unter den ärztlichen Leistungsanbietern gehören.
Seit langem ist bekannt, daß insbesondere Kinderärzte und Allgemeinmediziner, die gemeinsam mit Internisten in erster Linie die hausärztliche Versorgung tragen, zu den finanziell am schlechtesten gestellten Ärzten zählen.
Vor allem unter dem Gesichtspunkt der Qualität und Effektivität der gesamten gesundheitlichen Versorgung ist diese Situation ausgesprochen kontraproduktiv.
Sie hat neben den unbefriedigenden Weiterbildungsmöglichkeiten maßgeblich dazu beigetragen, daß der Anteil der Allgemeinmediziner unter den Vertragsärzten ständig weiter gesunken ist.
Gesundheitspolitisch ist aber nach allen - übrigens auch internationalen - Erkenntnissen das genaue Gegenteil notwendig. Hochqualifizierte und hochmotivierte Hausärzte sind heute angesichts der fortschreitenden Spezialisierung in der Medizin die wichtigste Voraussetzung für ein bürgernahes, fachlich leistungsfähiges und zugleich wirtschaftliches Gesundheitswesen.
Dr. Ruth Fuchs
Dieser grundsätzliche Strukturfehler des Krankenversorgungssystems ist allerdings mit einer einmaligen Mittelzuweisung, deren Wirkung noch dazu in kürzester Zeit verpuffen muß, nicht zu beheben. Das um so mehr, als die praktischen Auswirkungen der regierungsamtlichen Gesundheitspolitik bis zum heutigen Tag exakt in die entgegengesetzte Richtung führen.
Gerade auch seit dem Gesundheitsstrukturgesetz ist es entgegen seinen Intentionen zu erneuten Zurücksetzungen und zur wirtschaftlichen Schlechterstellung der Hausärzte gekommen.
Ähnliches gilt auch für die Vertragsärzte in den neuen Bundesländern. Mit der jetzt zugestandenen leichten Verbesserung ihrer Einkommen räumt die Regierung ein, was sie lange Zeit hartnäckig geleugnet hat: Der besonderen Situation dieser Ärzte wurde im Gesundheitsstrukturgesetz eben doch nicht adäquat Rechnung getragen. Punktwerteverfall, tendenziell sinkende Umsätze, in der Regel rasch steigende Praxiskosten und eine meist hohe Verschuldung kennzeichnen in vielen Fällen ihre Lage.
So belief sich beispielsweise Ende 1994 nach Angaben der Kassenärztlichen Vereinigung Mecklenburg-Vorpommern der Anteil der Vertragsärzte mit einem existenzgefährdenden Praxisumsatz auf immerhin 15 bis 20 %. Akut kommen die möglichen Überschreitungen der Arznei- und Heilmittelbudgets und die von daher drohenden Regreßforderungen hinzu.
Statt die spezifischen Erfahrungen der ostdeutschen Ärzte und ihrer Mitarbeiter für neue kooperative Praxismodelle und andere innovative Entwicklungen zu nutzen, die auch dem Gesundheitswesen in den alten Ländern zugute kommen würden, hat man fast alle und nicht wenige von ihnen höchst unfreiwillig in die schon 1990 längst überholte Einzelpraxis gedrängt.
Somit ist eine wirkliche Verbesserung ihrer beruflichen Situation jetzt ebenso wie in den alten Ländern nur durch tiefgreifende strukturelle Reformen in der medizinischen Versorgung zu erreichen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich erteile das Wort dem Bundesminister für Gesundheit, Horst Seehofer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es muß sich schon um ein bedeutsames Gesetz handeln, wenn der stellvertretende Oppositionsfraktionsführer im Bundestag, Rudolf Dreßler, wieder in der Lage ist, hier aufzutreten. Es freut mich, daß er nach seiner schwierigen Kreuzbandoperation offensichtlich nicht nur mit dem Mundwerk, sondern auch auf den Füßen wieder gut zu Hause ist, und ich beglückwünsche ihn zu der Genesung, die er durch deutsche Hausärzte und Fachärzte erreicht hat.
Es ist eigentlich ein ganz einfaches Gesetz: 4 % Honorarerhöhung für die ostdeutschen Ärzte, die seit drei Jahren budgetiert sind. Meine Damen und Herren, 4 % nicht deshalb, um Wohlgefälligkeiten zu verteilen, sondern um der Tatsache Rechnung zu tragen, daß im Gegensatz zu allen anderen Gesundheitsberufsgruppen - von den Zahnärzten über Krankenhäuser, über Pflegepersonal - die ostdeutschen Ärzte in ihrem Einkommensniveau weit, weit zurückliegen. Während die meisten Berufsgruppen schon bei 80, 90, ja sogar 100 % des Einkommensniveaus im Westen liegen, liegen die ostdeutschen Allgemeinärzte, Humanmediziner, unter 70 % des westdeutschen Niveaus.
Meine Damen und Herren, wir können nicht immer davon reden, daß wir nach der staatsrechtlichen Einheit Deutschlands endlich auch die soziale Einheit Deutschlands vollenden müssen, nein, wir müssen diesen Worten auch Taten folgen lassen.
Es wird einmal ganz interessant sein, wie sich die neuen Länder, Herr Dreßler, nach Ihrer Einlassung im Bundesrat zu diesem Aspekt stellen.
Nun hat ja der Herr Dreßler gesagt, diesem Minister sei ein schwerwiegender handwerklicher Fehler passiert, weil diese vierprozentige Erhöhung nicht nur für die Humanmediziner, sondern auch für die Zahnärzte gilt,
und angeblich sei dies ein Kniefall vor der Zahnärztepartei F.D.P. Nun, Herr Dreßler, möchte ich Ihnen einmal vorlesen, was Sache ist.
Im heute geltenden Recht heißt es in § 72 Abs. 1 Satz 2:
„Soweit sich die Vorschriften dieses Kapitels auf Ärzte beziehen, gelten sie entsprechend für Zahnärzte. "
In dem Gesetzentwurf, den die Koalition heute einbringt, heißt es:
„ § 72 Abs. 1 Satz 2 gilt nicht. "
Herr Dreßler, ich habe Verständnis dafür, daß man als Opposition handlungsunfähig ist; aber daß Sie auch nicht lesen können oder nicht lesen lassen können, das ist Ihr Problem.
Zur Aufstockung der hausärztlichen Vergütung in Höhe von 600 Millionen DM: Herr Dreßler, ich möchte Sie darauf hinweisen, daß die gesetzlichen Krankenkassen vorhaben, das, was Sie als großes
Bundesminister Horst Seehofer
Entgegenkommen und Verschleuderung von Geldern zugunsten von Hausärzten einstufen, gemeinsam mit den Ärzten im Zuge der Selbstverwaltung 1996 zu vereinbaren.
Sie werden doch, wenn die Krankenkassen als Anwalt der Versicherten und der Patienten den Ärzten diese 600 Millionen DM für 1996 im Zuge der Selbstverwaltung zugestanden haben, nicht sagen können, daß das Verschleuderung oder unsozial ist, wenn so etwas der Deutsche Bundestag mit seiner Mehrheit beschließt. Das ist eine Beleidigung der Selbstverwaltung und der Krankenkassen; die möchte ich nicht zulassen.
Dann gibt es dieses ewige Geschwätz von der Stärkung des Hausarztes. Jeder in Deutschland ist für die Stärkung des Hausarztes. Jeder erklärt, durch die Kontaktierung von Hausärzten müsse endlich vermieden werden, daß die Menschen Doppel- oder sogar Mehrfachuntersuchungen hinnehmen müssen. Tagtäglich schreiben mir Patienten, wie häufig sie bei verschiedenen Ärzten untersucht und geröntgt werden, wie oft diagnostiziert und therapiert wird. Das ist eine riesige Verschleuderung von Volksvermögen. Deshalb reicht es nicht, wenn man mit schönen Sätzen sagt: Wir wollen den Hausarzt stärken. Meine Damen und Herren, wenn man ihn stärken will, muß man die zusätzliche Leistung der Hausärzte auch entsprechend honorieren.
Der Hausarzt ist nach unserem Verständnis der erste Ansprechpartner. Zu ihm soll der Patient gehen. Bei ihm soll das weitere diagnostische und therapeutische Verfahren abgeklärt werden. Das ist eine Zusatzleistung.
Herr Dreßler, wenn Sie als Abgeordneter, wenn wir Politiker etwas zusätzlich leisten, dann wollen wir in regelmäßiger Abfolge eine Diätenerhöhung. Wenn wir den Ärzten zusätzliche Leistungen auferlegen, dann können wir nicht verlangen, daß sie das zum Nulltarif tun.
Jetzt kommt die schöne Mär: Wie wird das finanziert? Herr Dreßler, wegen der Honorare der niedergelassenen Ärzte hätten wir in den letzten 10 bis 15 Jahren nie eine Gesundheitsreform gebraucht; denn die Arzthonorare haben sich in Westdeutschland in den letzten zehn Jahren ziemlich exakt im Rahmen der allgemeinen Lohnentwicklung bewegt. Deshalb hätten wir keine Gesundheitsreformen gebraucht.
- Nein. - Die Ärzte sind die einzigen, die sich im Zuge dieser dreijährigen Budgetierung mit ihrem Honorar exakt an die Sparvorgaben des Deutschen Bundestages gehalten haben.
- Lieber Herr Kirschner, es kann doch nicht so sein, daß wir die niedergelassenen Hausärzte deshalb bestrafen, weil andere - darunter auch die Bundesländer und die Krankenhäuser - mehr Geld ausgeben, als der Gesetzgeber es in diesen Bereichen vorgesehen hat.
Ich lasse auch folgendes nicht durchgehen, Herr Dreßler: Es kann doch nicht sein, daß Sie den Ärzten die 600 Millionen DM für einen sinnvollen gesundheitspolitischen Zweck nur deshalb vorenthalten, weil die von der SPD regierten Bundesländer pausenlos dabei sind, ihre Aufgaben, die sie über den Länderhaushalt zu finanzieren hätten - nämlich die Krankenhausinstandhaltung -, in die Krankenversicherung hineinzuschieben - was sie zunehmend tun -, mit der Folge, daß wir dort Defizite schreiben. Dafür können Sie doch die niedergelassenen Ärzte nicht haftbar machen. So ist die tatsächliche Lage, Herr Dreßler.
Ich appelliere an Sie, daß Sie diesem allgemeinen Geschwätz jetzt endlich Taten folgen lassen, damit wir den Hausärzten nicht nur eine zusätzliche Leistung abverlangen, sondern diese zusätzliche Leistung entsprechend auch honorieren. Wir können den Ärzten in den neuen Bundesländern, einschließlich Berlin - das wird im Berliner Wahlkampf ein sehr interessanter Aspekt werden -, nicht einerseits zumuten, von einem planwirtschaftlichen auf ein marktwirtschaftliches Gesundheitssystem mit all den Kosten und Umstellungsschwierigkeiten umzusteigen, und dann andererseits sagen: „Wir greifen euch nicht unter die Arme. " Denn sie sind doch auf dem Gebiet des Gesundheitswesens das Schlußlicht aller Einkommensgruppen in den neuen Bundesländern.
Das unterscheidet uns mittlerweile, Herr Dreßler: Sie reden ständig, stehen tatsächlich aber auf der Bremse und sind nicht in der Lage zu handeln. Noch vor wenigen Monaten haben Sie mir vorgeworfen, wir bräuchten überhaupt keine neue Gesundheitsreform. Doch mittlerweile arbeiten Projektgruppen der SPD an der Formulierung neuer Gesundheitsreformen; diese sind schon wesentlich weiter als der Gesundheitsminister.
Meine Damen und Herren, die Zukunft dieses Landes gehört nicht der SPD, die ständig auf der Bremse steht und Reformen verhindert.
Die Zukunft dieses Landes gehört jenen, die am Steuer sitzen und die Reformen durchführen, und das ist diese Koalition.
Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Ich schließe die Aussprache.
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Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3875
Vizepräsident Dr. Burkhard HirschDer Ältestenrat schlägt Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 13/1826 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Gibt es dazu andere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9a und b auf:a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Otto Reschke, Achim Großmann, Dr. Ulrich Böhme , weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPDNeugestaltung der Wohneigentumsförderung- Drucksache 13/1501 - Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Finanzausschuß
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschußb) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dieter Maß , Achim Großmann, Dr. Ulrich Böhme (Unna), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPDWohnungsbaugenossenschaften stärken - Mitglieder steuerlich fördern- Drucksache 13/1644 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Finanzausschuß
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die gemeinsame Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Otto Reschke.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die SPD-Bundestagsfraktion - -
Herr Kollege, eine Sekunde, ehe Sie anfangen! - Meine Kollegen, darf ich Sie bitten, Platz zu nehmen oder Ihre Unterhaltung draußen zu führen? - Das gilt auch für den Kollegen Dreßler. - Herr Kollege Dreßler, es ist keine gute Sitte in diesem Haus, dem Redner den Rücken zuzuwenden.
Bitte, Herr Reschke.
Wir haben den Antrag eingebracht, damit die parlamentarische Beratung über die Reform der Wohneigentumsförderung endlich in Gang kommt. Die Dringlichkeit der Reform ist ja bisher nur von der Koalition bestritten worden, nicht von den Fachleuten.
Das Fördervolumen von mittlerweile 17 bis 18,5 Milliarden DM jährlich wird größtenteils fehlgeleitet. Die Hälfte der Förderung geht heute an Haus-
halte im obersten Einkommensfünftel. Nach zahllosen Änderungen seit 1987 ist neben dem wachsenden steuerrechtlichen Durcheinander festzuhalten: Kaum ein Mensch versteht den § 10e EStG noch; er dient oft mehr der Möglichkeit, Steuern zu verkürzen, als dem Erwerb von Wohneigentum.
Die soziale Schieflage der Wohneigentumsförderung wurde durch das sture Festhalten der Koalition an der progressionsabhängigen Förderung ständig verschärft. Die Eigentumsquote in Deutschland ist kaum gestiegen, und der Neubau von Eigenheimen und Eigentumswohnungen hinkt der allgemeinen Wohnungsentwicklung hinterher. Dies alles hat die falsche Reform 1987 gebracht, an der wir heute noch kranken.
Nach langem Drängen der SPD hatte der Deutsche Bundestag schon 1991 einstimmig einen Entschließungsantrag zur Reform der steuerlichen Wohneigentumsförderung verabschiedet. Ein neues, besseres Förderungskonzept sollte möglichst bald entwickelt und umgesetzt werden, wobei das Wort „bald" dick geschrieben worden ist.
Die Regierung hat die Reform immer wieder versprochen, aber auch immer wieder verschoben. Jeder fragt sich mit Recht, warum die Entscheidung über eine allseits anerkannte wohnungs- und sozialpolitische Notwendigkeit fünf Jahre lang im Koalitionsklüngel hängenbleiben mußte. Viele Modelle wurden diskutiert; entschieden wurde nichts.
Koalition und Regierung haben sich nun vor dem Hintergrund unseres Antrags darauf geeinigt,
den § 10e EStG auf eine einkommensunabhängige Investitionszulage umzustellen. - Wir freuen uns darüber, Herr Kansy; ich komme gleich noch darauf zurück.
Eine Bemerkung vorab, worauf wir uns einigen sollten: Ob Eigenheimabzugsbetrag, ob Bau- oder Investitionszulage - oder wie auch immer wir das nennen wollen -, es muß klar sein, daß die Wohneigentumsförderung im Steuerrecht angesiedelt bleiben muß und nicht dem jährlichen Zugriff des Finanzministers ausgesetzt werden darf. Darüber sollte wohnungspolitische Einigkeit bestehen.
Die Koalition schlägt nun also vor, daß acht Jahre lang 5 000 DM für Neubauten und 2 200 DM für Altbauten gezahlt werden sollten. Auf welcher Grundlage diese Zahlen beruhen, bleibt unklar. Sind die Beträge aus der Luft gegriffen, oder gibt es einen Bezug zu den realen Bau- und Anschaffungskosten? Fest steht: 44 % Förderung beim Erwerb von Immobilien aus der zweiten Hand, wie Sie vorschlagen, sind unzureichend und vor allen Dingen ungerecht gegenüber den Käufern in den Ballungsgebieten.
Otto Reschke
Die geltenden Einkommensgrenzen von 120 000 bzw. 240 000 DM sollen erhalten bleiben. Dem stimmen wir zu. Ab einem Einkommen von 80 000/ 160 000 DM für Ledige/Verheiratete muß aber nach unserer Auffassung ein allmähliches Abschmelzen der Förderung vorgenommen werden.
- Zu Ihren Nullen komme ich noch, Herr Kollege. - So kann Geld eingespart werden, um die Förderung für Schwellenhaushalte und für Familien in Ballungsgebieten zu verbessern.
Das Baukindergeld wollen Sie pro Kind auf 1 500 DM erhöhen. Es muß geprüft werden, ob der Zeitraum der Auszahlung bei Familien mit Kindern nicht von 8 auf 10 Jahre ausgedehnt werden kann, um ein Ausklingen zu ermöglichen.
Bei der Vorsparförderung und bei der Bausparprämie bleiben Sie hinter den ursprünglichen Ankündigungen des Finanzministers - übrigens vor der Wahl - zurück. Er hat damals eine Anhebung der Höchstsparbeträge auf 1 200 bzw. 1 400 DM und eine Kinderkomponente in Höhe von 500 DM vorgeschlagen. Die SPD hielt die Anhebung der Höchstsparbeträge ohne Kinderkomponente für unzureichend. Da stimmen wir dem Finanzminister zu.
Seit fast 10 Jahren haben Sie die Umstellung auf eine einkommensunabhängige Förderung immer wieder abgelehnt. Sie schwenken offensichtlich auf unsere Linie ein. Wir freuen uns darüber, insbesondere für die Eigenheimer mit unteren und mittleren Einkommen, die nun in den Genuß einer besseren Förderung kommen sollen. Die späte Einsicht in vernünftige Lösungen hat das Optionsmodell der F.D.P. und das Schuldzinsenabzugsmodell von Waigel überwunden. Sachverstand, Herr Bauminister Töpfer, setzt sich zum Glück doch manchmal durch. Wir freuen uns darüber.
Allerdings ist Vorsicht geboten. Die Steuer- und Finanzpolitik der Koalition läßt sich nur noch als konzeptionsloser Zickzack beschreiben.
Den Bundesfinanzminister frage ich: Sind die Vorschläge im einzelnen durchgerechnet worden? Sind Kürzungen in anderen Bereichen geplant, um die Verbesserung beim Baukindergeld und bei der Vorsparförderung gegenzufinanzieren? Findet etwa der F.D.P.-Vorschlag zur Abschaffung der Eigentumsförderung über den zweiten Förderweg im sozialen Wohnungsbau durch die Hintertür Eingang in die neue Regelung? Hier geht es immerhin um ein Fördervolumen von 411 Millionen DM im Jahr.
Herr Finanzminister, legen Sie die Zahlen auf den Tisch, wieviel zur Umschichtung zur Verfügung steht! Um die geplante Neuregelung inhaltlich zu bewerten: Was kostet sie eigentlich?
Zur Beantwortung dieser Fragen haben Sie Mitarbeiter im Hause, die uns zuarbeiten müssen. Wir wollen und müssen dies bewerten. Wir brauchen einen klaren Rahmen für die Neuregelung und keine Mogelpackung für Investoren und Eigenheimbauer.
Die Zeit für Beratung und Verabschiedung sowie zur Vorbereitung der Finanzverwaltung ist äußerst knapp bemessen. Zuviel wertvolle Zeit ist seitens der Bundesregierung schon vertan worden. In den ersten drei Monaten dieses Jahres lag die Zahl der genehmigten Einfamilienhäuser um rund 10 % unter dem vergleichbaren Wert des Vorjahres. Die Auftragseingänge für den Wohnungsbau gingen im ersten Quartal insgesamt um 16 % zurück. Attentismus ist bei Investoren, aber auch bei Käufern bereits festzustellen. Dafür trägt die Koalition Verantwortung.
Wir wollen eine einfache, sozial gerechte und effiziente Förderung. Dazu gehört eine einkommensunabhängige Förderung durch Abzug von der Steuerschuld, bei zu geringer Steuerschuld wird dieser Betrag ausgezahlt. Das Baukindergeld wird erhöht, und der Bezugszeitraum wird verlängert. Bei Einkommen über 80 000 bzw. 160 000 DM erfolgt eine Absenkung der Förderung zugunsten der Schwellenhaushalte. Wir wünschen, daß Ehepartner ihre Förderung kumulieren können. Warum eine solche Möglichkeit, die eigentlich Geld spart, in den Vorschlägen der Koalition nicht enthalten ist, fragen wir uns. Wir werden das auch in den Fachberatungen hinterfragen.
Diese Förderung muß durch eine ökologische Komponente ergänzt werden, beispielsweise durch eine zusätzliche Förderung von Niedrigenergiehäusern in Höhe von 750 DM jährlich; man kann sich auch auf andere Summen einigen, wir wollen einmal sehen, was im Topf enthalten ist. Auch hier hat die Koalition bislang keinen entsprechenden Vorschlag gemacht.
Die Bausparprämie und die Einkommensgrenzen bei der Vorsparförderung müssen deutlich erhöht und durch eine Kinderkomponente für Familien mit Kindern und für Alleinerziehende ergänzt werden.
Wir sind mit der Koalition einig, daß die Reform des § 10e EStG aufkommensneutral erfolgen muß.
Allerdings müssen ehrliche Zahlen auf den Tisch. Bis zur letzten Woche hieß es auf Grund einer Auskunft des Finanzministeriums bis in den Finanzausschuß hinein noch: Uns stehen 14 bis 15 Milliarden DM zur Verfügung. Sie reklamieren 17 Milliarden DM in der Umschichtung. Wenn wir den Vorabzug dazunehmen, kommen wir auf 18,5 Milliarden DM.
Es ist also einiges zu finanzieren.
Otto Reschke
Die SPD wird darauf drängen, die Möglichkeit der Umschichtung vollständig auszuschöpfen. So können durch den Wegfall der Werbungskosten vor Bezug jährlich zusätzlich 1,5 Milliarden DM eingespart werden. Warum die Koalition hier nur 300 000 DM umschichten will, ist uns fraglich. Es könnte aber sein, Kollege Braun, daß Sie in Ihrer Pressemitteilung um drei Nullen verkürzt worden sind. Schauen Sie dort nach, unter Ziffer 7: Anstatt 300 000 DM muß es vermutlich 300 Millionen DM heißen. Das haben Sie noch gar nicht bemerkt.
Wir wollen keinen wohnungspolitisch sinnlosen Verzicht auf mehr Steuermillionen. Wir fordern die Bundesregierung auf, umgehend einen Gesetzentwurf für die Reform der steuerlichen Wohneigentumsförderung vorzulegen, der den Eckpunkten unseres Antrages entspricht.
Wir sind zum Konsens bereit, und wir sind ebenfalls bereit, gemeinsam so schnell wie möglich im frühen Herbst die Rahmenbedingungen festzulegen, mit allen Dingen, die abzuwägen sind, damit zum 1. Januar 1996 die Neuregelung der steuerlichen Förderung in Kraft tritt. Wir hoffen, daß die Lernfähigkeit bei Ihnen - Konsensfähigkeit bei uns kommt hinzu - bewirkt, daß Investoren und Bauherren schnell eine neue Lösung an die Hand bekommen.
Herzlichen Dank.
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Werner Dörflinger.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Reschke, das waren freundliche, optimistisch stimmende Töne. Auf der anderen Seite muß einem natürlich die SPD ein Stück weit leid tun. Da formuliert sie einen Antrag; über ihn redet niemand, auch nicht in der Öffentlichkeit. Vielmehr wird über ein durchdachtes, in die Zukunft weisendes Konzept der Koalition geredet.
Vielleicht ist das das Schicksal der Opposition.
Herr Kollege Reschke, auch Sie haben sich weitgehend mit den Vorstellungen der Koalition auseinandergesetzt, mit einigen polemischen Schlenkern, auf die ich kurz eingehen will.
Was heißt da „Blockade"? Ich glaube, wir sollten uns einfach dazu bekennen, daß das Thema zu wichtig war, um es über das Knie zu brechen. Es ist im Gegenteil notwendig gewesen, auch unterschiedliche Gesichtspunkte zwischen Wohnungspolitikern und Finanzpolitikern auszudiskutieren.
Auch den Vorschlägen, die die Länder gemacht haben,
liegt ja kein einheitliches Konzept zugrunde. Im übrigen war es gut, daß ein tüchtiger Bauminister diese verschiedenen Vorstellungen zusammengeführt und daraus ein vernünftiges Konzept entwickelt hat.
Lieber Kollege Reschke, wenn vor dem Hintergrund quälender Auseinandersetzungen zwischen Scharping und Schröder von einem „steuerpolitischen Zickzack" der Koalition gesprochen wird, ist das schon etwas stark gegriffen.
Ich komme zu der Frage, ob wir das durchgerechnet haben, was wir vorschlagen. Natürlich haben wir das durchgerechnet. Wir haben es mit dem Finanzminister abgestimmt. Ich habe allerdings den Eindruck, die Vorschläge, die Sie jetzt als Alternative präsentiert haben, sind nicht durchgerechnet, weil sie eine beträchtliche Ausweitung des Finanzvolumens mit sich bringen würden, das uns auf keiner politischen Ebene zur Verfügung steht.
Denn die SPD will draufsatteln.
Trotzdem: Der SPD-Antrag reißt keine Gräben auf; er ist eine gute Brücke zur Verständigung. Der wohnungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Achim Großmann, hat in einer ersten Stellungnahme von einem großen Schritt zu einer parteiübergreifenden Lösung gesprochen. Auch das ist unser Ziel.
Allerdings beginnen wir nicht - ich glaube, darüber sind wir uns einig - bei der Stunde Null, was die Eigentumsförderung angeht. Es gibt ja neben der steuerlichen Förderung die Direktförderung, die die Länder auszugestalten haben.
Ich finde es ebenfalls nicht ganz korrekt, wenn dargestellt wird - wie es der SPD-Antrag tut -, daß, rein prozentual gesehen, der Anteil des Wohneigentums am Gesamtneubauvolumen seit 1988 zurückgegangen sei. Wenn man die absoluten Zahlen, die Bezugsgrößen betrachtet, dann kommt man zu einem anderen Ergebnis, z. B. dazu, daß im Jahre 1994 215 000 Wohnungen in Ein- und Zweifamilienhäusern fertiggestellt worden sind und daß wir besonders erfreuliche Fortschritte auch in den neuen Bundesländern gemacht haben.
Trotzdem sind wir uns darin einig: Eine Neuregelung ist notwendig. Wir sind uns hoffentlich auch darin einig, daß die neue Regelung einfacher als die bisherige sein muß. Da stimme ich dem Kollegen Reschke ganz ausdrücklich zu. Wir sollten uns allerdings dann auch konkret an diese Maxime halten
Werner Dörflinger
und die Neuregelung jetzt nicht mit Dingen befrachten, die wir im Rahmen der steuerlichen Förderung nur schwer regeln können, sosehr sie vielleicht sachlich begründet sein mögen.
Wir sollten auch sehen - da stimme ich ebenfalls dem SPD-Antrag zu -, daß die steuerliche Förderung allein nicht ausreicht, sondern daß es flankierender Maßnahmen bedarf, beispielsweise bei der Bereitstellung von preisgünstigem Bauland. Ich meine, daß dort die Gemeinden zu zweierlei gefordert sind: erstens, daß ein ausreichendes Angebot an Bauland gemacht wird. Wir können in Bonn nicht von der Notwendigkeit reden, die Eigentumsquote wesentlich zu erhöhen, um dann auf der anderen Seite zu erleben, daß Politiker der gleichen Fakultät vor Ort beispielsweise eine offensive Baulandpolitik aus welchen Gründen auch immer blockieren.
Ich glaube, wir sollten zweitens verstärkt darüber nachdenken, ob es nicht ein Stück vor Ort praktizierter Familien- und Sozialpolitik sein sollte, daß die Gemeinden selbst dann, wenn sie dafür finanzielle Opfer bringen müssen, verstärkt Baugrundstücke in Erbbaupacht insbesondere für Familien mit Kindern zur Verfügung stellen, weil sonst die Belastung für das Grundstück und die Erschließung so hoch ist, daß zum einen das Eigenkapital allein dafür benötigt wird und zum anderen die daraus resultierende Fremdfinanzierung Familien in ein fast nicht kalkulierbares Abenteuer stürzt. Das sollten wir vermeiden.
Wir haben in der Koalitionsvereinbarung formuliert - der Bundeskanzler hat es in seiner Regierungserklärung betont -, daß wir uns daran halten wollen, uns auf die wirklich bedürftigen Kreise in der Bevölkerung zu konzentrieren, daß wir die Eigentumsquote auch aus gesellschaftspolitischen Gründen erhöhen wollen und daß wir als wichtigste Zielgruppe Familien mit Kindern haben. Denn es ist bereits gesagt worden, im internationalen Vergleich ist die Wohneigentumsquote in Deutschland zu niedrig. Auch das Alter, mit dem man im Durchschnitt in Deutschland Wohneigentum erwirbt, nämlich 38 Jahre, ist zu hoch, auch im internationalen Vergleich. Wir alle wissen, daß mindestens 70 bis 80 % unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger tatsächlich von den eigenen vier Wänden träumen. Das ist besonders wichtig für Familien mit Kindern; denn sie sollten zu einem Zeitpunkt zu Wohneigentum kommen, zu dem die Kinder tatsächlich auch noch etwas von den eigenen vier Wänden haben und nicht schon dabei sind, das Haus zu verlassen.
Die Neuregelung ist auch für die neuen Bundesländer besonders wichtig. Wir wissen, daß § 10e des Einkommensteuergesetzes jetziger Prägung für die neuen Länder praktisch wirkungslos war, auch bei der Privatisierung nach dem Altschuldenhilfe-Gesetz; dort vor allem beim Erwerb aus dem Bestand. Auch deswegen ist es wichtig, daß zusätzliche Hilfen angeboten werden.
Mein Kollege Meister wird auf Details unserer Neuregelung noch eingehen. Die Grundlinien sind bekannt: einheitliche Förderbeträge statt progressionsabhängiger Förderung, Baukindergeld von 1 500 DM, eine spürbare Verbesserung des Vorsparens - Stichwort Bausparförderung. Die Koalition hat diese Festlegungen präzisiert, und - was ich für wichtig halte - sie hat in diesem sensiblen, nicht ganz einfachen Bereich auch Handlungsfähigkeit bewiesen. Angesichts mancher Töne gegenüber unserem Koalitionspartner möchte ich sagen, daß der Anteil, den die F.D.P. zu dieser Einigung erbracht hat, durchaus Respekt verdient.
Es war meines Erachtens richtig - das war auch das Anliegen der Koalitionsfraktionen -, den gesamten Fragenkomplex aus dem Jahressteuergesetz herauszunehmen, weil uns sonst ein völlig unklarer zeitlicher Horizont ebenso gedroht hätte wie ein Vermittlungsverfahren, bei dem dann womöglich sachfremde Argumente in einem komplizierten Abstimmungsprozeß hineingekommen wären. Dazu ist das Thema zu wichtig.
Verstärkte Eigentumsförderung ist aber auch unter wirtschaftlichen Aspekten notwendig. Wir erleben eine gespaltene, nicht ganz klar überschaubare Entwicklung, sowohl was den Bedarf als auch was die Nachfrage beim Mietwohnungsbau angeht. Deswegen ist es sicher unter mittelfristigen Aspekten notwendig, daß wir ein stabilisierendes Element in die Baukonjunktur einziehen, indem wir die Eigentumsförderung - da besteht Übereinstimmung - stärker fördern und ausbauen als bisher.
Da wir uns auf die Aufkommensneutralität verständigt haben, sollten wir auch den Mut haben, zu sagen, daß wir, weil wir einigen wichtigen Zielgruppen mehr geben wollen als bisher, vielleicht bei anderen auch etwas wegnehmen müssen.
- Sonst geht es nicht.
Genauso wie wir das in bezug auf den sozialen Wohnungsbau im Bestand gesagt haben und sagen und dort vor einem wichtigen Reformschritt stehen, genauso sollten wir es auch bei der steuerlichen Eigentumsförderung in aller Deutlichkeit sagen.
Ein gemeinsames Ziel ist unbestritten das Inkrafttreten zum 1. Januar 1996, um Attentismus in der Baukonjunktur zu vermeiden. Wir erwarten bald einen Gesetzentwurf, die notwendigen Abstimmungsprozesse mit den Bundesländern, zügige Beratungen im Ausschuß, die Fähigkeit zum Kompromiß.
Werner Dörflinger
Wenn ich aber die Arbeit im Ausschuß in den letzten Monaten und Jahren betrachte, dann bin ich ganz sicher, daß wir zu diesem Kompromiß finden und daß wir zum 1. Januar 1996 das Inkrafttreten des Gesetzes erreichen. Damit haben wir ein Datum, das für die Häuslebauer in unserem Land, für die Familien und das selbstgenutzte Wohnungseigentum wichtig ist.
Herzlichen Dank.
Ich erteile der Abgeordneten Franziska Eichstädt-Bohlig das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, es ist bei diesem Thema wichtig, sich zunächst über die grundsätzlichen Proportionen zu verständigen und damit noch einmal über die Maßstäbe in unserer Wohnungspolitik nachzudenken, zumal wir nachher noch den Tagesordnungspunkt Wohnungslosigkeit/Obdachlosigkeit hier besprechen werden.
Dazu haben wir einen sehr bescheidenen Antrag gestellt, nämlich 300 000 Mark für ein Sofortprogramm, für eine Gemeinschaftsinitiative gegen Obdachlosigkeit zur Verfügung zu stellen.
- Entschuldigung, 300 Millionen. Das war der Hitze geschuldet. - Dieser Antrag wird, wie wir längst wissen, niedergestimmt. Dafür ist in einem Haushaltsvermerk die kleine Summe von 50 Millionen für den sozialen Wohnungsbau festgelegt worden.
Statt dessen reden wir jetzt über - Bund, Länder und Gemeinden zusammen gesehen - 17 Millionen DM.
- Es ist wirklich schlimm heute. Ich bin bescheiden geworden. 17 Milliarden, Sie haben völlig recht, Sie haben die Zahlen schließlich in die Öffentlichkeit gegeben.
Ich finde es wichtig, daß endlich einmal etwas ehrlichere Zahlen als im Subventionsbericht auf den Tisch kommen. Wir müssen dem gegenüberstellen - jetzt nehme ich die Zahlen in der richtigen Größenordnung -: Wohngeld knapp 3 Milliarden, sozialer Wohnungsbau mit allen Förderwegen 2,7 Milliarden und Eigentumsförderung auf Bundesebene 7,4 Milliarden.
Dazu muß ich ganz deutlich sagen: Hier stimmen die Proportionen nicht. Es geht nicht an - das ist unsere erste Forderung, auch wenn ich überhaupt nicht weiß, wie sie erfüllt werden soll -, daß für die Eigentumsförderung ein so deutlich höherer Betrag zur Verfügung gestellt wird als für das, was letztlich
beim unteren Einkommensdrittel ankommen soll, nämlich für sozialen Wohnungsbau, Wohngeld und Maßnahmen gegen Wohnungslosigkeit und Obdachlosigkeit, und zwar für wirklich echte Bauförderung. Ich denke, diese Proportionen müssen zurechtgerückt werden. Es muß mindestens „Waffengleichhell" zwischen den verschiedenen Förderinstrumenten geschaffen werden.
Das zweite ist: Wir müssen uns klar darüber sein, das Einkommen des sogenannten Schwellenhaushalts liegt knapp oberhalb der Einkommensgrenze des sozialen Wohnungsbaus. Also nehmen die unteren zwei Fünftel der Bevölkerung an der Einkommensförderung nicht teil.
Man sollte das anerkennen, was jetzt von der Koalition als Konzept vorgestellt worden ist. Es bedeutet in bestimmten Maßen eine Verbesserung gegenüber der bisherigen Eigentumsförderung. Das sollte man auch nicht kleinreden. Es gibt eine bessere Abgrenzung zwischen der Steuerpflicht und dem Anteil, der Subvention ist, als bei dem bisherigen § 10e. Es wird etwas mehr Gerechtigkeit geschaffen zwischen der Förderung der besserverdienenden Haushalte und der Haushalte mit mittleren Einkommen. Allerdings wünschen wir uns da noch etwas mehr Klarheit, eine Absenkung der oberen Einkommensgrenzen und eine Degression in der Förderung, ähnlich wie Herr Reschke sie vorgeschlagen hat.
Die Erhöhung des Baukindergeldes findet selbstverständlich unsere Zustimmung. Wir halten auch das Konzept für staatliche Bürgschaften für Ostdeutsche für einen guten Vorschlag.
Dennoch wollen wir den Ball etwas weiter werfen. Wir sind der Meinung, daß die Novellierung der Eigentumsförderung nicht aufkommensneutral gestaltet werden darf, sondern daß die Förderung deutlich abgesenkt werden muß, damit in der Förderung ein Stück Umverteilung möglich wird. Das heißt Degression bei den Zulagen mit steigenden Einkommen, niedrigere Einkommensobergrenzen, Abschaffung der Förderung von Zweitwohnungen und Abschaffung der üppigen Vorkostensubvention, die nach wie vor bei Ihnen vorgesehen ist.
Auf keinen Fall - das ist uns besonders wichtig - darf die Eigentumsförderung weiterhin ein Anreiz zur Eigentumsumwandlung sein. Es ist einer der großen Fehler der letzten Jahre gewesen, daß letztlich die Eigentumsumwandlung subventioniert worden ist und es damit zur Vernichtung bezahlbarer Mietwohnungen kam, so daß wir uns jetzt hier mit den Wohnungssorgen der kleinen Leute befassen müssen. Das darf so nicht weitergehen.
Des weiteren sind wir der Meinung - dieser Punkt ist uns wichtig, auch wenn das rechtsimmanent nicht sofort zu lösen ist -: Was den Eigentümern billig ist, muß den Mietern recht sein. Wir fordern darum, anders als die SPD, nicht nur die Gleichstellung mit Genossenschaftsmitgliedern und Genossenschaftsbeiträgen, sondern auch mit Mieterinvestitionen, egal, ob der Mieter Mieter oder gleichzeitig Genossenschaftsmitglied ist. Wir halten das insbesondere im Osten für wichtig, wo sehr viel Mieterselbsthilfe an-
Franziska Eichstädt-Bohlig
gereizt werden und wirklich ein Beitrag zur Investitionstätigkeit in der Erneuerung geleistet werden könnte. Hier muß endlich ein Stück neuer Raum geöffnet werden.
Beim nächsten Punkt, den Genossenschaftsmitgliedern, geht uns das Konzept nicht weit genug. Wir wollen gleichzeitig die Förderung für andere Formen von Gemeinschaftseigentum. Wir sind der Meinung, daß auch Hausgemeinschaften, Selbsthilfegruppen, die Häuser oder Hausgruppen erwerben oder gemeinsam bauen wollen, in die Förderung einbezogen werden sollten; nicht nur das Individualeigentum sollte immer in den Mittelpunkt gerückt werden.
- Es gibt auch andere Formen als die Hafenstraße, aber warum auch nicht die Hafenstraße? Auch das sind Bürger unseres Landes. Wenn sie Eigentum erwerben wollen, dann sollten Sie nicht so pingelig sein.
Ein anderer Punkt ist uns noch sehr wichtig. Ich denke an mehr Phantasie im Bereich des Vorsparens. Ich möchte es einmal ganz konkret sagen: Warum muß die Bausparprämie immer nur an Wüstenrot gehen? Wir wünschen uns, daß gerade im Osten, auch wenn Sie schon die Privatisierung dort so forcieren - -
- Lassen Sie mich doch mal reden, oder stellen Sie Fragen; dann bekomme ich noch ein bißchen Redezeit. - Wir möchten, daß Mietkaufmodelle in die Förderung einbezogen werden, damit das vorgesparte Geld in die Gebäude gehen kann und nicht zu Wüstenrot oder Schwäbisch Hall geht. Das fänden wir wirklich sinnvoller.
Last, not least vermissen wir ganz besonders - wir gehen davon aus, daß nicht nur die Koalition, sondern auch Herr Töpfer an diesem Modell mitgearbeitet hat - jegliche ökologische Komponente. Das finden wir wirklich sehr enttäuschend, weil wir wissen, daß gerade der Eigenheimbau eine sehr flächenfressende Bauform ist. Deswegen möchten wir eine bescheidene Anfangsförderung und dann einen ÖkoBonus, der in dem Maße steigt, in dem flächensparend gebaut wird, in dem Niedrigenergiehäuser gebaut werden und in dem der Einsatz regenerativer Energien zum Zuge kommt. Das halten wir für nötig, wenn wir irgendwann ökologisch vorankommen wollen.
Danke schön.
Ich erteile jetzt dem Abgeordneten Hildebrecht Braun das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bedeutung eines Themas für unser Land ist oft umgekehrt proportional zur Präsenz der Abgeordneten in diesem
Hause. Das wissen wir; das passiert immer wieder. Aber es ist für mich heute eine ganz besondere Freude, zu diesem ungeheuer wichtigen Thema für unser Land sprechen zu können, zu einem Thema, das bei der Bevölkerung mit vielen positiven Erwartungen besetzt ist.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich stelle anheim.
Ich sehe aus Ihrer Geste, daß Sie eine Zwischenfrage zulassen.
Herr Kollege, wären Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß die meisten anderen Kollegen, wie Sie auch, die nicht an allen Debatten teilnehmen, ihr Thema für genauso wichtig halten wie das, was Sie jetzt für wichtig halten, und fänden Sie es nicht vielleicht fair, künftig, von dieser Rede an, bei allen Debatten ständig präsent zu sein, damit Sie die Bedeutung der anderen Themen genauso wichtig nehmen wie das Ihre?
Werter Herr Kollege, ich habe keineswegs einzelne Mitglieder dieses Hauses kritisiert. Ich selbst war heute die meiste Zeit der Debatte nicht anwesend,
was naheliegend ist, da ich mich auf diese Rede vorzubereiten hatte. Gleichwohl möchte in deutlich machen, daß es betrüblich ist - wenn auch angesichts unserer Arbeitsbelastung leider unvermeidlich -, daß wir immer wieder einmal nicht anwesend sein können, obwohl die Bevölkerung von uns im Grunde erwartet, daß wir wichtige Debatten in diesem Hause gemeinsam erleben. Aber das Thema kennen Sie seit langer Zeit; das beklagen wir alle, nur haben wir keinen Lösungsansatz parat.
Lassen Sie mich in meiner Freude über das heutige Thema einfach fortfahren, wobei ich allerdings darauf hinweisen muß: Ich habe elf Minuten Redezeit und nicht sieben Minuten, wie mir hier signalisiert wird. Ich bitte, das zu ändern, denn sonst bekommen wir kleinere Probleme.
Eine Sekunde, Herr Kollege. Ob wir Probleme bekommen, das entscheide ich. Sie haben noch eine Redezeit von sieben Minuten und 20 Sekunden. Ich bitte, sich danach zu richten,
Mir wurde mitgeteilt, daß ich elf Minuten hätte.
Ich bin nicht bereit, hier über Redezeit zu diskutieren. Bitte fahren Sie fort.
Gut. Wenn es jetzt wie durch ein Wunder weniger Minuten geworden sind, muß ich eben etwas weniger vortragen.
Wohneigentum bedeutet mehr Freiheit, bedeutet erweiterte Selbstbestimmung. Wenn wir von Eigentum sprechen, dann meinen wir insbesondere das Verfügungsrecht des Eigentümers, der sein Haus oder seine Wohnung verkaufen, vererben, vermieten, unbeschränkt nach eigenen Vorstellungen ausgestalten oder mit Grundpfandrechten belasten und somit Kredite für andere Zwecke ermöglichen kann.
Wohneigentum ist eine hervorragende Form der Altersvorsorge. Sicherheit im Alter zu garantieren ist ein ganz wichtiges Anliegen. Wie könnte es ein Mehr an Sicherheit geben als durch die eigenen vier Wände? Wohneigentum steht auf der Wunschliste der Menschen ganz oben. Die Vision vom persönlichen Glück hat laut Allensbach eine ganze Menge mit Wohneigentum zu tun.
Alle diese Gründe rechtfertigen allerdings nicht ohne weiteres den Einsatz von mehr als 17 Milliarden DM an Steuergeldern. Entscheidend sind vielmehr zwei Aspekte:
Erstens. Der gesellschaftspolitische und sozialpolitische Ansatz: Wir wollen, daß möglichst viele Menschen Eigentümer werden, fachlich gesprochen: Die Wohneigentumsquote soll erhöht und damit dem europäischen Standard angepaßt werden. Das gilt insbesondere für die neuen Bundesländer; es gilt aber auch für die Großstädte, in denen wir auch im Westen zum Teil erstaunlich niedrige Wohneigentumsquoten haben.
Zweitens. Wohneigentumsförderung ist eine besonders preiswerte Förderung. Diese Botschaft geht besonders an die Grünen. Mit deutlich weniger Geld als bei allen anderen Förderungsmöglichkeiten kann der Neubau von Wohnungen bewirkt werden, sei es beim Mietwohnungsbau oder sei es gar beim sozialen Wohnungsbau.
Wer in die dann selbstgenutzte Wohnung einzieht, macht eine andere Wohnung frei. Mehr Wohnungen bedeuten somit eine Entspannung des Wohnungsmarktes und tendenziell niedrigere Mieten. So profitieren alle außer denen, die besonders viel verdienen, von der Wohneigentumsförderung.
Nun noch einige Anmerkungen zu den getroffenen Einzelregelungen des Koalitionskompromisses: Besonders erfreulich ist, daß es uns gelungen ist, das staatlich geförderte Vorsparen wieder für einen erheblichen Teil der Bevölkerung möglich zu machen.
Wir haben eine beträchtliche Ausweitung, nahezu eine Verdoppelung der Einkommensgrenzen erreicht. Gerne hätten wir die Grenzen noch höher gesetzt, da eigentlich nicht einsichtig ist, warum z. B. Unverheiratete mit einem Einkommen von mehr als 50 000 DM im Jahr generell keine Vorsparförderung erhalten sollen.
Unverheiratete Menschen zeichnen sich durch eine Tendenz zur Partnersuche aus, was von mir als Mitglied der Kinderkommission des Bundestages ausdrücklich begrüßt wird.
Warum sollen denn junge Menschen in der Werbephase, die gut verdienen, nicht bereits kräftig vorsparen und dabei unterstützt werden, um möglichst bald nach der Eheschließung eine Wohnung für die zu gründende Familie bauen zu können?
Während in anderen Ländern der Erwerb der selbstgenutzten Immobilie mit durchschnittlich 32 Jahren erfolgt, findet dieser wichtige Schritt in Deutschland im Durchschnitt erst mit 39 Jahren statt. Dies wollen wir eigentlich ändern.
Zweitens. Ich freue mich ganz besonders über die Erhöhung des Baukindergeldes von 1 000 DM auf 1 500 DM pro Jahr. Dieser Schritt, der zu Aufwendungen des Staates allein für das Baukindergeld in Höhe von 5 Milliarden DM pro Jahr führen wird, ist wichtig und richtig. Frau Eichstädt-Bohlig, allein dieser Betrag liegt in der Tat höher als der für die Förderung des sozialen Wohnungsbaus durch den Bund. Aber das ist richtig. Wir wollen den Menschen, die auch im Interesse unseres gesamten Staatswesens die Entbehrungen und Risiken der Elternschaft auf sich nehmen, nachdrücklich dabei helfen, das geeignete Nest für die Familie bauen und finanzieren zu können.
Drittens. Auf unseren Wunsch hin wurde ein Burgschaftsmodell für ostdeutsche Bürger vereinbart, welches denjenigen, die den Mut zum Erwerb von Wohneigentum haben, den Weg zum Erfolg erleichtern wird. Wir wollen, daß der Staat dann mit einer Bürgschaft in Höhe von 20 % das Risiko auf sich nimmt, wenn die Bank nach sorgfältiger Prüfung des Kreditantrages unter Berücksichtigung des Eigenkapitals, des Wertes des Objekts und der finanziellen Leistungsfähigkeit des Antragstellers eine Vollfinanzierung des Kaufs oder des Baues der Wohnung bestätigt. Natürlich muß dann die Bank, die bei der Kreditprüfung die Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns verletzt, gegenüber dem Staat schadensersatzpflichtig sein. Wir wollen aber definitiv nicht, daß der Erwerber ein eigenes Avalkreditverfahren beim Staat durchlaufen muß. Wir wollen mich nicht, daß
Hildebrecht Braun
der Staat als Bürgschaftsgeber die Kreditprüfung mit eigenem Personal noch einmal durchführt. Gerade in solchem Zusammenhang fordern wir den schlanken Staat. Eine Doppelprüfung sollte nur in Ausnahmefällen in Frage kommen.
Unser Bürgschaftsmodell wird vielen Ostdeutschen, die in 40 Jahren Sozialismus zuwenig Eigenkapital ansammeln konnten, die Finanzierung durch die Bank möglich machen. Dies wird der Privatisierung von Wohnungsbeständen Auftrieb geben, die bisher allzuoft daran gescheitert ist, daß der kaufwillige Mieter die Finanzierung nicht leisten konnte.
Viertens. Das System der Investitionszulage hat einen klaren Vorteil gegenüber dem bisherigen § 10 e des Einkommenssteuergesetzes. Es ist einfach und für jedermann verständlich. Jeder kann genau kalkulieren, mit welchen Beträgen er rechnen kann. Dies war bisher sehr viel schwieriger und oft nur unter Mithilfe des Steuerberaters möglich. Frau Eichstädt-Bohlig, die Investitionszulage wird auch an diejenigen gezahlt, die gar keine Steuern zahlen, mit anderen Worten, an den untersten Einkommensbereich. Dies ist so. Nehmen Sie zur Kenntnis, daß dies ein wesentlicher Gesichtspunkt des Gesamtmodells ist.
Sicherlich sind wir nicht glücklich darüber, daß das Optionsmodell letztlich nicht zum Tragen kam. Aber dadurch, daß wir auf diese Variante, die sehr viel Sinn gemacht hätte, verzichtet haben, haben wir es zugleich ermöglicht, daß in anderen Bereichen eine deutlich stärkere Förderung zum Tragen kam, und das begrüßen wir.
Wir wollen sicherstellen, daß durch die Veränderung der Rahmenbedingungen der Wohneigentumsförderung der befürchtete Einbruch im Wohnungsbau nicht eintritt, mit dem wir sonst bereits Ende 1996 rechnen müßten. Dies würde erstens zu Lasten des Arbeitsmarktes gehen und zweitens insbesondere zu Lasten der Mieter. Denn wenn weniger Wohnungen gebaut werden, wirkt sich dies auf den Mietwohnungsmarkt aus, was wir alle in den letzten Jahren erfahren und erlebt haben.
Ich muß zum Schluß kommen und möchte mich deshalb nicht mehr zur Frage der steuerlichen Förderung der Wohnungsgenossenschaften äußern, was allerdings für alle wohl von Interesse gewesen wäre.
Ich möchte nur betonen, daß das Interesse der Parteien, die hier die Regierung stellen, und der Partei, die im Bundesrat im wesentlichen das Sagen hat, an der Wohneigentumsförderung offenkundig ist. Ich bin überzeugt davon, daß wir es schaffen werden,
rechtzeitig nach den Sommerferien, aber vor dem 1. Januar 1996 die nötigen Gesetzesmodifizierungen zu verabschieden und damit dazu beizutragen, daß ab dem 1. Januar 1996 die Dinge besser werden.
Vielen Dank.
Ich erteile dem Abgeordneten Klaus-Jürgen Warnick das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Geprägt von einer verknöcherten Eigentumsideologie ist in der Bundesrepublik Deutschland schon seit langem eine Entwicklung im Gang, die die Wohnungspolitik lediglich auf Vermögenspolitik reduziert. Dabei herrscht in diesem Land Wohnungsnot, nicht Wohneigentumsnot.
Auf dem Lande und in den Vororten der Städte sowie für Menschen, die am Ort ihr gesichertes Einkommen haben
- doch, ein Stück weiter bin ich schon gekommen -, ist Wohnungseigentum in Form von Einfamilienhäusern, Doppel- und Reihenhäusern - vor allem auch für Familien mit Kindern - eine akzeptable Wohnform.
Daß Eigenheimbau für Normalverdiener unter den herrschenden Umständen mehr und mehr unbezahlbar wird, steht dabei auf einem ganz anderen Blatt. Aber diese Akzeptanz besagt überhaupt nicht, daß das Wohnen zur Miete als etwas Minderwertiges abqualifiziert werden darf. Für die Bewohner der Städte ist es ganz normal, zur Miete zu wohnen - vor allem, wenn Mobilität im Berufsleben dazu zwingt.
Das Menschenrecht auf eine angemessene und bezahlbare Wohnung für alle zu gewährleisten ist für uns Ausgangspunkt aller Überlegungen zur Reform der Wohnungspolitik. An dieser Zielstellung messen wir auch die vorliegenden Anträge der SPD.
Widersinnig ist es, daß die SPD einerseits die Genossenschaften stärken will, aber andererseits die Zwangsprivatisierung von Genossenschaftswohnungen in Ostdeutschland mitbeschloß und bis heute auch nicht bereit ist, diesen Fehler zu korrigieren.
- Das stimmt.
Zur Begründung für die Zwangsprivatisierung kommunaler und genossenschaftlicher Wohnungsbestände in Ostdeutschland wird behauptet, daß dort der Anteil selbstgenutzter Eigentumswohnungen laut IFS-Studie von 1993 nur 26,4 % betrug. Dabei werden rund 17 % Genossenschaftswohnungen nicht mitgezählt. Das entspricht voll und ganz dem Denk-
Klaus-Jürgen Warnick
schema der Bonner Koalition, die genossenschaftliches Eigentum als minderes Eigentum abqualifiziert.
- Da müssen Sie IFS fragen. - Rechnet man das genossenschaftliche Wohneigentum nämlich hinzu, ergibt sich für die westlichen Bundesländer eine Wohneigentumsquote von ca. 46 % und für die östlichen Bundesländer eine Wohneigentumsquote von ca. 43%.
Wie unehrlich die Privatisierungspolitik der Bundesregierung ist, wird auch an den Ergebnissen deutlich. Wer erwarb denn die Grundstücke, die Häuser und Wohnungen im Beitrittsgebiet, das Volkseigentum, also das Eigentum der Bevölkerung der DDR? Mehr als zwei Drittel der privatisierten kommunalen und genossenschaftlichen Wohnungen gingen nicht an die Menschen, für die man angeblich die Privatisierung so knallhart durchboxt, sondern an westdeutsche Kapitalanleger.
Der Vorsitzende der Expertenkommission „Wohnungspolitik", Professor Sinn, berichtete in der letzten Bauausschußsitzung, daß nur 5 % der über die Treuhand verkauften Wohnungen an Ostdeutsche gingen, 86 % an wohlhabende Bürger Westdeutschlands, an Banken und an Immobilienfirmen sowie 9 % an Investoren mit ausländischem Kapital. Zwei Drittel der restituierten Wohnungsbestände sind bereits in den Händen Westdeutscher.
Statt Wohneigentum für Ostdeutsche zu bilden, erfolgte ein in Deutschland einmaliger Vermögenstransfer, und dies wurde mit Milliarden an Steuergeldern auch noch gefördert, und es wird heute noch gefördert. Heuchlerisch ist es, dies dann auch noch als Aufbauleistung und Transferleistung für Ostdeutschland zu verkaufen.
Da uns permanent Eigentumsfeindlichkeit vorgeworfen wird, möchte ich in fünf Stichpunkten unsere Positionen benennen:
Erstens. Wir sind für die Bildung von selbstgenutztem Wohneigentum, wo sie sinnvoll und wirtschaftlich machbar ist. Eine Begrenzung der Wohnungsbauförderung allein auf die Eigentumspolitik lehnt die PDS ab.
Zweitens. Wir lehnen die steuerliche Förderung beim Erwerb von Wohnungen aus dem Bestand ab; denn die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen schafft keine neuen Wohnungen. Statt dessen werden preiswerte Wohnungen vernichtet und der Wohnflächenkonsum gesteigert.
Drittens. Für uns bleibt die Forderung nach ersatzloser Streichung der Zwangsprivatisierung von kommunalen und genossenschaftlichen Wohnungen im Altschuldenhilfe-Gesetz auf der Tagesordnung, so wie es uns Hunderttausende Bürgerinnen und Bürger in Ostdeutschland immer wieder als vorrangigen Auftrag mit auf den Weg nach Bonn geben.
Viertens. Notwendig ist auch eine wesentlich stärkere öffentliche Förderung des genossenschaftlichen Wohnungsbaus. Wir sind für eine steuerliche Gleichstellung der Wohnungsbaugenossenschaften mit den Selbstnutzern und für eine steuerliche Förderung der Geschäftsanteile, die Genossenschaftsmitglieder ihrer Genossenschaft zur Verfügung stellen.
Fünftens. Gleichermaßen zu fördern ist auch der kommunale Wohnungsbau, der gemeinnützigen Prinzipien folgt und der für wirtschaftlich Schwache, deren Einkommen für eine Beteiligung am genossenschaftlichen Wohnungsbau nicht ausreicht, sowie für andere Haushalte mit Zugangsproblemen unverzichtbar ist. Finanzierungsquellen können durch den Wegfall ungerechtfertigter Steuervorteile und Abschreibungsregelungen sowie durch weitgehende Abschöpfung von Planungs- und Spekulationsgewinnen bei Grundstückskäufen erschlossen werden.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Dr. Michael Meister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der Neuregelung der Wohneigentumsförderung beweist die Koalition nach der Neuregelung des Familienleistungsausgleichs erneut ihre Kompetenz für die Familie.
Die Erhöhung des Baukindergeldes um 50 % von 1 000 DM auf 1 500 DM unterstreicht den hohen Stellenwert der Familie in der Politik der Union.
Mit dieser Offensive für mehr Wohneigentum vorrangig für die Familien mit Kindern wird das Baukindergeld um 1,8 Milliarden DM auf insgesamt 5 Milliarden DM angehoben. Die SPD, wie es Frau Matthäus-Maier verlautbaren ließ, springt mit ihrem Modell von einem Baukindergeld von 1400 DM eindeutig zu kurz.
- Am 13. Juni wurde das veröffentlicht, Herr Kollege Großmann.
Angesichts des Haushaltsmoratoriums in dem Koalitionsvorschlag von 1 500 DM setzt unser Vorschlag
eindeutig einen Schwerpunkt bei Familien mit Kindern, und dies wird mit dieser Reform eindrucksvoll umgesetzt werden.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Gerne, Herr Präsident.
Herr Kollege Meister, um das direkt richtigzustellen: Baukindergeld kann man ja nur dann miteinander vergleichen, wenn man auch die Laufzeit miteinander vergleicht. Die SPD fordert seit mehreren Jahren, seit fast zehn Jahren, das Baukindergeld auf 1 200 DM aufzustocken, es aber zehn Jahre zu zahlen. Das würde 12 000 DM entsprechen.
Was Sie jetzt vorlegen, 1 500 DM acht Jahre lang zu zahlen, ergibt auch 12 000 DM. Wären Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß wir über dieselbe Summe Baukindergeld reden und daß Sie erst nach mehreren Jahren auf unsere Forderung eingegangen sind?
Herr Kollege Großmann, es spielt natürlich schon eine Rolle, wann man das Geld bekommt. Wenn ich das Wohneigentum erwerbe, dann habe ich natürlich in der Anfangsphase, in den ersten Jahren die Hauptliquiditätsprobleme, und deshalb ist es nach unserer Meinung notwendig, daß dort das Geld gezahlt wird.
Ich hoffe, daß das die Antwort von unserer Seite ist.
Beachtlich fand ich in dem Zusammenhang auch die Kritik der Grünen, die ja in diesen Bereich hinein kritisiert haben, daß die 7,4 Milliarden DM Wohneigentumsförderung zu hoch seien.
Meine Damen und Herren, ein Drittel dieses Geldes geht für das Baukindergeld in Richtung Familie, und mich überrascht schon, daß die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hier die Familienförderung kritisiert.
Herr Kollege, entschuldigen Sie bitte; gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Rönsch?
Gern, Frau Kollegin Rönsch.
Herr Kollege Dr. Meister, stimmen Sie mit mir überein, daß die sozialdemokratische Bundestagsfraktion vielleicht ihre Finanzierung erst einmal in Niedersachsen vorlegen sollte? Denn dann wird sie wieder auf Normalmaß reduziert.
Sehr geehrte Frau Kollegin Rönsch, ich werde auf die Frage der Länder und den Finanzierungsanteil der Länder und das Gesamtvolumen noch eingehen. Ich gehe davon aus, daß die Länder, da sie ja wie der Bund einen Anteil zu finanzieren haben, sehr wohl das Gesamtvolumen sich vornehmen und dabei auch erkennen werden, daß das SPD-Modell, was vorgelegt worden ist, das Moratorium nicht einhält, und deshalb gehe ich davon aus, daß ein weiteres Schlachtfeld eröffnet wird, auf dem sich dann Herr Schröder und Herr Scharping streiten werden, wie die Frage zu lösen ist.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Vorschlag einer Bauzulage mit einer Grundförderung für acht Jahre über je 5 000 DM für Neubauten und je 2 200 DM für Altbauten unter Beibehaltung der bestehenden Einkommensgrenzen trägt ebenso unseren Zielen der Koalitionsvereinbarung Rechnung.
Kein anderes Modell kann ähnlich einfach in die tägliche Praxis umgesetzt werden. Die CDU/CSU-Fraktion begrüßt diese Verfahrensvereinfachung; sie sorgt für mehr Transparenz bei den Bauwilligen und innerhalb der Verwaltung. Damit ist sie auch den SPD-Vorstellungen deutlich überlegen, etwa hinsichtlich der dort angedachten absinkenden Förderbeiträge, gestaffelt nach Einkommensgrenzen.
Wir bekennen uns auch zu dem Ziel der Steigerung der Wohneigentumsquote deutlich über 40 % hinaus und zur Senkung des Durchschnittsalters von 38 Jahren, in dem heute Wohneigentum erworben wird. Deshalb konzentrieren wir öffentliche Fördermittel auf den Personenkreis, der ohne diese Hilfe kein Wohneigentum bilden kann. Die Bezieher mittlerer Einkommen werden in unserem Modell bewußt bevorzugt und auch nicht als Schwellenhaushalte bezeichnet, um gerade ihnen die Tür zur Eigentumsbildung zu öffnen. Hierbei handelt es sich auch nicht um eine sozialpolitische Transferleistung, sondern um eine Verbesserung der Treffsicherheit der Förderung und einen effizienteren Einsatz der Fördermittel.
Wir stehen für finanzpolitische Solidität, Herr Großmann,
und halten mit unserem Vorschlag die Auf kommensneutralität - Herr Reschke hat vorhin die Rechnung angesprochen - ein. Wir haben unser Modell gerechnet, aber die SPD-Wünsche nach Mehrausgaben lassen einmal mehr offen, woher die zusätzlichen Gelder kommen sollen.
Die Frage, die Herr Kollege Reschke an den Finanzminister adressiert hat, müßten Sie einmal an die Frau Kollegin Matthäus-Maier richten.
Dr. Michael Meister
Auch die Äußerung der Kollegin Eichstädt-Bohlig, die sich eindeutig für eine Reduzierung der Eigentumsförderung ausgesprochen hat, ist sehr interessant; denn das heißt letztendlich, daß die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nicht an einer höheren Eigentumsquote interessiert ist, sondern hier für eine Sozialisierung votiert.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Koalition ist handlungsfähig.
Als Wohnungsbaupolitiker haben wir erreicht, daß mit der Abkopplung vom Jahressteuergesetz 1996 Platz für unsere Argumente als Wohnungsbauer geschaffen wurde. Mit dem Inkrafttreten am 1. Januar 1996 erweisen sich auch Ihre Angriffe, die Sie in den vergangenen Monaten erhoben haben, als reine Polemik, Herr Großmann. Ich kann Ihre Aufregung durchaus verstehen. Ich lade Sie herzlich ein, auf Ihre parteipolitische Profilierung, die Sie betrieben haben und die Sie auch beim Familienleistungsausgleich nach wie vor betreiben,
zu verzichten und hierüber - wie es der Kollege Dörflinger schon vorgeschlagen hat - mit uns in einen Dialog einzutreten, um zu einer gemeinsamen Lösung, zu einem gemeinsamen Modell zu kommen.
Daß die SPD-Fraktion bei der Beratung ihres Antrages von einem durchgerechneten Modell überrascht wird, zeigt nach meiner Meinung eindrucksvoll die Handlungs- und Leistungsfähigkeit der Regierungskoalition.
Die Bundesregierung wird dieses Modell als Stellungnahme zu Ihrem Antrag in den Ausschüssen einbringen.
Von seiten der Koalitionsfraktionen besteht der feste Wille, diese Reform zum 1. Januar 1996 in Kraft zu setzen. Klare Bedingungen für die Häuslebauer und für die Bauwirtschaft werden allen helfen.
Meine Damen und Herren, in acht Jahren erhält eine Familie mit zwei Kindern nach unserem Modell eine direkte Zulage von 64 000 DM beim Neubau und von 41 600 DM beim Altbau. Den Bürgern in den neuen Bundesländern nutzt diese progressionsunabhängige Lösung besonders. Sie konnten auf Grund der Einkommensunterschiede bisher nur selten in den Genuß einer Förderung nach dem bestehenden § 10e des Einkommensteuergesetzes kommen.
Um der knappen Eigenkapitalsituation in den neuen Bundesländern Rechnung zu tragen, haben wir zusätzlich ein Bürgschaftsmodell vorgesehen, um hier eine Abstützung zu gewährleisten. Damit stehen wir eindeutig auch im Einklang mit den Vorschlägen der Expertenkommission „Wohnungspolitik" . Deshalb war es nach unserer Meinung sehr wohl sinnvoll, Herr Kollege Reschke, zunächst diese Vorschläge abzuwarten und dann Modelle zu entwickeln.
Mit diesen Maßnahmen wird auch der besonderen Situation in den neuen Bundesländern Rechnung getragen, und wir vermeiden es auch, unterschiedliche Rechtslagen herbeizuführen, was den § 10e betrifft.
Eine Differenzierung zwischen Bestand und Neubau halten wir ebenso wie die SPD auf Grund der „Sickereffekte" für gerechtfertigt. Eine einheitliche Behandlung hätte eine Absenkung der Bauzulage bei Neubauten deutlich unter 5 000 DM pro Jahr bedeutet. Eine solche Alternative halten wir für nicht akzeptabel. Zudem stellt die Möglichkeit, Reparaturkosten bis zu 22 500 DM beim Vorkostenabzug geltend zu machen, ein gewisses Ausgleichselement bei Altbauten und der dort vorhandenen geringeren Grundförderung dar.
Meine Damen und Herren, die Union möchte den Zwang zum Schuldenmachen im Steuerrecht nicht weiter befördern. Deshalb setzen wir uns gleichzeitig für eine Verbesserung der Vorsparförderung als ein wesentliches Element zur Anhebung der Eigentumsquote ein. Herr Kollege Dörflinger ist auf die Daten bereits eingegangen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, auch Ihrer Idee mit der Kumulation bei Ehepartnern läßt sich im ersten Moment einiges abgewinnen. Wenn man jedoch etwas genauer hinsieht, erwachsen daraus auch eine Menge Nachteile. Ich nenne hier das Stichwort Alleinerziehende, die dadurch offenkundig benachteiligt würden.
Die Kumulation, Herr Kollege Großmann, erfordert auch niedrigere Einkommensgrenzen und das stufenweise Auslaufen der Grundförderung. Genau das erzeugt neue Bürokratie und weniger Durchschaubarkeit bei denjenigen, die gefördert werden.
- Ich habe Ihren Antrag sehr wohl gelesen, Herr Kollege Großmann, und Kollege Maaß kann ja nachher noch einmal dazu Stellung nehmen.
Gestatten Sie mir abschließend zu dem zweiten Antrag der SPD zu den Genossenschaften noch ein paar Worte. Unser Ziel als Unionsfraktion ist die Förderung des Wohneigentums. Eigentum zeichnet sich dabei durch die Verfügungsgewalt des Eigentümers aus. Wir sind gern bereit, auch darüber in den Ausschüssen mit Ihnen eine Diskussion zu führen, wie wir den Eigentumsbegriff in diesem Zusammenhang
Dr. Michael Meister
definieren und wie wir dann für diesen Eigentumsbegriff auch eine Förderung bestimmen.
Herzlichen Dank.
Ich erteile dem Abgeordneten Dieter Maaß das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit Monaten verkündet die' Bundesregierung stolz ihre Erfolge im Wohnungsbau.
Was aber fehlt, sind Wohnungen zu sozialverträglichen Mieten. Dieser Mangel ist bei weitem nicht beseitigt, und dies kritisieren wir an Ihrer Politik.
Länger als zwei Jahre haben Sie unsere Vorschläge blockiert, indem Sie auf das zu erwartende Ergebnis der von Ihnen 1992 eingesetzten Expertenkommission verwiesen haben. Dazu gehörte auch unser Antrag „Förderung des genossenschaftlichen Wohnungsbaus". Nun liegt das Expertengutachten vor. 964 Seiten sind es geworden; lediglich zwei Seiten davon beschäftigen sich mit Wohnungsbaugenossenschaften - ein bißchen wenig, wie ich finde.
Denn nach Angaben des Gesamtverbandes der Wohnungswirtschaft gibt es insgesamt 1 950 Wohnungsbaugenossenschaften, davon 800 in den neuen Bundesländern. 3 Millionen Frauen und Männer sind Mitglieder. Der Wohnungsbestand liegt bei 2,2 Millionen; mehr als 7 % der Bevölkerung leben somit in Genossenschaftswohnungen. Wohnungsbaugenossenschaften gibt es vor allem in Groß- und Mittelstädten. Sie sind die Anbieter preiswerten und bedarfsgerechten Wohnraums, geeignet für Familien mit Kindern und ältere Menschen.
Die Kapitalbeteiligung der Mitglieder in Genossenschaftsanteilen in den alten und den neuen Bundesländern liegt bei 5 Milliarden DM. Derzeit investieren die Wohnungsbaugenossenschaften in den alten Bundesländern rund 2,5 Milliarden DM in den Neubau und bis zu 1 Milliarde DM in die Bestandserhaltung und Modernisierung. In den neuen Bundesländern wurden allein 1994 rund 7 Milliarden DM in den Bestand investiert. Zusammen ergibt sich also ein Volumen von ca. 10 Milliarden DM.
Wenn man diese Zahlen betrachtet, so ist die Feststellung im Expertengutachten, daß die meisten Genossenschaften nicht mehr in den Wohnungsbau investieren, weil sie nicht mehr der Baupflicht nach dem Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz unterliegen, schlicht falsch. Nach wie vor investieren Genossenschaften in den Wohnungsbau, und das wollen wir mit unserem Antrag noch forcieren.
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Wir wollen damit erreichen, daß die Wohnungsversorgung für Familien mit mittleren Einkommen durch die Wohungsbaugenossenschaften gestärkt wird. Privates gemeinschaftliches Eigentum mit dauernden Nutzungsrechten gibt den Nutzungsberechtigten Sicherheit in der Wohnungsversorgung auf Lebenszeit. Diese Rechte können in den Satzungen sogar vererbbar ausgestaltet werden - wie wir meinen, ein Stück sozialer Sicherheit.
- Auch darüber können wir noch sprechen. - Dies ist eine Wohnmöglichkeit, die der Eigentumswohnung als Form des individuellen Eigentums nahekommt. Da ich selbst in einer Genossenschaftswohnung wohne, weiß ich, wovon ich spreche.
Ein wesentlicher Vorteil genossenschaftlichen Wohnens soll an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben - jetzt passen Sie genau auf -: Über alle wichtigen Entscheidungen in der Genossenschaft - das gilt insbesondere für den Einsatz genossenschaftlichen Kapitals - wird demokratisch entschieden, entweder direkt durch die Mitglieder oder über ein Delegationsverfahren. Über Jahrzehnte sind diese demokratischen Entscheidungsprozesse entwickelt worden. Diesen Bestandteil gelebter Demokratie wollen wir Sozialdemokraten stärken.
Ziel ist vor allem die Aktivierung privaten Kapitals, über das die Genossenschaftsmitglieder verfügen und das für den Wohnungsneubau eingesetzt werden kann. Dafür sollen sie dann eine Förderung erhalten, die der Förderung des selbstgenutzten Wohneigentums vergleichbar ist. Wir machen in unserem Antrag dafür Vorschläge. Der wesentliche ist, daß die steuerliche Begünstigung nicht ausschließlich auf das Eigenkapital gerichtet sein darf; es muß auch auf die Herstellungskosten anwendbar sein. Wenn durch die steuerliche Förderung Mitglieder von Genossenschaften in die Lage versetzt werden, Sondergeschäftsanteile von ihrer Genossenschaft zu erwerben, dann wird dem Wohnungsbau über die Genossenschaften viel privates Kapital zufließen.
Es wird ein Angebot gemacht für Bürgerinnen und Bürger in unserem Land, die einerseits auf Grund ihres Einkommens für den sozialen Wohnungsbau nicht mehr in Frage kommen, deren Einkommen aber andererseits für den frei finanzierten Wohnungsbau zu gering ist. Dies kann doch nur im Interesse der Bundesregierung sein, die der Wohnungsbauförderung immer weniger Geld zur Verfügung stellt und angesichts knapper Kassen auf die Aktivierung von privatem Kapital angewiesen ist.
Ich warne aber davor, unseren Antrag nur von der steuerlichen Betrachtungsweise her zu beurteilen. Es geht auch darum, genossenschaftliches Eigentum nicht als Eigentumsform zweiter Klasse anzusehen. Nach meiner Auffassung entspricht mittelbares Eigentum viel stärker der Forderung des Grundgesetzes in Art. 14 Abs. 2.
Dieter Maaß
Meine Damen und Herren, über eine angemessene Wohnungsversorgung der Menschen hinaus gibt es für Wohnungsbaupolitiker weitere Schwerpunkte. Ich will sie stichwortartig nennen: kostensparendes Bauen, ökologisches Bauen, Wohnen im Alter, Anbieten von Sozialeinrichtungen, betreutes Wohnen. Sich dieser Aufgaben anzunehmen, fühlen sich Genossenschaften verpflichtet. Beispiele dafür gibt es bereits, z. B. die Bielefelder Freie Scholle mit ihrem integrierten Altenhilfezentrum. Wir Sozialdemokraten erkennen diese Leistung an und wollen sie stärker unterstützen. Ein Beitrag dazu ist unser vorliegender Antrag.
Ich wundere mich, daß die Unterstützung aus den Reihen der C-Parteien bisher weitgehend ausgeblieben ist, weil kirchlicher Wohnungsbesitz häufig auf genossenschaftlicher Grundlage beruht. Wenn es aber um soziale Gerechtigkeit geht - so sollte unser Antrag gesehen werden -, sind wir Sozialdemokraten eben immer noch die beste Adresse.
Unser Antrag beinhaltet zusätzlich den Auftrag an die Bundesregierung, den Genossenschaftsgedanken auf der Grundlage des heute gültigen Rechts offensiv zu vertreten und dessen Möglichkeiten an Hand von geeignetem Material öffentlichkeitswirksam darzustellen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hildebrecht Braun?
Bitte schön.
Herr Kollege Maaß, könnten Sie sich vorstellen, daß die zögerliche Haltung der jeweiligen Regierungskoalition in diesem Land im Hinblick auf eine steuerliche Unterstützung der Wohnungsgenossenschaften ihren Grund darin haben könnte, daß das Genossenschaftsrecht insgesamt einer dringenden Modernisierung bedürfte, damit es der heutigen Zeit und den Erfordernissen insbesondere im Hinblick auf die Mobilität der Genossenschaftsmitglieder gerecht wird?
Herr Braun, dies kann ich überhaupt nicht nachvollziehen. Warum sollen Genossenschaftsmitglieder nicht mobil sein? Man kann die Geschäftsanteile doch zu den gleichen Bedingungen, zu denen man sie erworben hat, wieder an die Genossenschaft veräußern. Das ist doch nur eine Frage der Logik. Genossenschaftsmitglieder sind heute genauso mobil wie Mieter anderer Wohnungen. Diese Frage verstehe ich nicht.
Gestatten Sie eine weitere Frage?
Ja. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Bitte.
Herr Kollege Maaß, stimmen Sie mir zu, daß das Opfer, das ein Genossenschaftsmitglied bei Rückgabe seines Anteils finanziell zu erbringen hat, einfach zu groß ist und daß deswegen die Mobilität, d. h. die Bereitschaft, zu einem anderen Ort zu wechseln, wo man z. B. eine berufliche Chance hätte, eingeschränkt wird?
Woher wissen Sie das? Man kann doch Regelungen schaffen, durch die diese Dinge organisiert werden. Es gibt beispielsweise in den skandinavischen Ländern solche Modelle.
Wir können uns diese gemeinsam ansehen. Das ist also durchaus möglich.
Wir möchten ganz sichergehen, daß der Bauminister seine Absicht, den Genossenschaftsgedanken ohne Änderung bestehender Gesetze weiterzuentwickeln, in die Tat umsetzt.
Meine Damen und Herren, am 2. und 3. Mai dieses Jahres fand in Lübeck ein Kongreß der deutschen Wohnungsbaugenossenschaften statt. Die Fraktionen des Deutschen Bundestages hatten Vertreter zur Eröffnung entsandt; es gab viele freundliche Worte zur Begrüßung. Auf diesem Kongreß wurde ein Manifest verabschiedet, in dem es unter Punkt 5 heißt: Ein Genossenschaftsmitglied investiert privates Kapital für die wohnliche Selbstversorgung und kann zu Recht die gleiche steuerliche Förderung erwarten wie für selbstgenutztes Wohneigentum.
Meine Damen und Herren, wir sehen dies ganz genauso. Deshalb haben wir diesen Antrag eingebracht. Ich fordere Sie auf, ihn in den anstehenden Ausschußberatungen zu unterstützen.
Schönen Dank.
Ich erteile nun dem Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, Dr. Klaus Töpfer, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte mit Freimut gestehen: Der heutige Tag ist für den Bauminister ein guter Tag.
Heute morgen haben wir zusammen mit der Personal- und Sozialkommission eine Regelung für die Wohnungsförderung der von Bonn nach Berlin Umziehenden gefunden und das Personalkonzept einvernehmlich verabschiedet. Heute nachmittag haben wir beides auch im Kabinett so verabschiedet.
Bundesminister Dr. Klaus Töpfer
Wir haben heute nachmittag im Kabinett auch die neue Förderung des selbstgenutzten Wohneigentums verabschiedet. Dies ist nun wirklich ein ganz wichtiger Schritt in dieser Legislaturperiode.
Die Reaktionen auf diese Arbeit sind durchaus erfreulich, zumindest so, daß man weiß: Wir sind in die richtige Richtung gegangen. Hier kommen wir auch zum Ziel, nämlich am 1. Januar 1996 eine neue Regelung im Gesetzblatt stehen zu haben.
Der Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Baugewerbes, Herr Eichbauer, schreibt, er rechne damit, daß die neue Lösung und weiter niedrige Zinsen zu einer gewissen Stabilisierung im Wohnungsbau beitragen.
Die Landesbausparkassen sagen, die Eckwerte des Modells seien ein entscheidender Schritt zu einer dauerhaften tragfähigen Reform, die Nachfolgeregelung zu § 10e biete eine gute Basis für die Zukunft und bevorzuge gerade die mittleren Einkommensbezieher deutlich.
Die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Frau Waschbüsch, sagt, daß die Aufstokkung des Baukindergeldes von 1 000 auf 1 500 DM pro Kind außerordentlich zu begrüßen sei. Sie fährt fort, daß zugleich der Koalitionsplan, die Wohnungsbauförderung generell verstärkt auf Familien mit mittlerem Einkommen auszurichten, sehr zu begrüßen sei.
Das waren drei Reaktionen auf unseren Entwurf. Ich glaube, wir sind auf einem guten Weg.
Auch unser Kollege Großmann sagt, dies sei ein großer Schritt hin zu einer parteiübergreifenden Lösung. Da bin ich sicher: Wir haben am 1. Januar 1996 eine neue Förderung des selbstgenutzten Wohneigentums.
Meine Damen und Herren, die Eckpunkte sind dargestellt worden. Sie sind in dieser für meine Begriffe gut genutzten Zeit nur erreichbar gewesen, weil wir wirklich gut zusammengearbeitet haben. Deswegen darf ich in ganz besonderer Weise den Kollegen aus den Koalitionsfraktionen herzlich danken, die sich mit großem Engagement darum gekümmert haben, daß wir dorthin gekommen sind. Auch das sollte man dabei deutlich gesagt haben.
Was ist unser Ziel, meine Damen und Herren? Wir wollen vereinfachen. Der bisherige § 10e ist in seiner Undurchsichtigkeit eigentlich schon unsozial. Gar keine Frage: Wenn ihn nur noch wenige Fachleute verstehen, kommt derjenige, der sich den besseren Steuerberater nicht leisten kann, zu kurz. Die Regelung muß einfach sein.
Die Regelung muß auch familienfreundlicher sein. Wenn ein Polizeibeamter mit zwei Kindern nicht mehr sein eigenes Haus bauen kann, ist in unserem Land etwas falsch. Deswegen müssen wir das gezielt verbessern.
Das ist nur ein Beispiel. Ich bin gerne bereit, andere zu ergänzen.
Damit verbunden brauchen wir natürlich eine Konzentration auf die Schwellenhaushalte, wie man technisch sagt, also auf diejenigen, die an der Schwelle dazu stehen, die Entscheidung für ein Eigenheim zu treffen. Das sind auch die, die begünstigt werden sollen.
Wenn eine Familie mit zwei Kindern und einem Bruttojahreseinkommen von 62 000 DM und einem zu versteuernden Einkommen von 50 000 DM durch unsere Regelung 64 000 DM Zulage bekommt und damit etwa 9 500 DM mehr als bei der alten Regelung, ist das ein Zeichen dafür, daß wir genau die erreichen, die wir erreichen müssen, wenn wir die Eigentumsquote erhöhen wollen.
Natürlich kippt dies bei hohen Einkommen um. Bei einem zu versteuernden Einkommen von über 100 000 DM wird es weniger geben als bisher. Ich mache daraus überhaupt keinen Hehl: Wenn wir aufkommensneutral umverteilen, um die Schwellenhaushalte besser zu erreichen, steht selbstverständlich an anderer Stelle etwas weniger zur Verfügung. Wir haben also auch in diesem Bereich etwas erreicht. Dadurch ist eine sozialere Ausgestaltung möglich geworden.
Diese ganz wichtige Entwicklung wird durch die Vorsparförderung flankiert. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich auch das ganz deutlich sagen: Das hat gesellschaftspolitische und auch gesamtwirtschaftliche Vorzüge. Es ist belegt, daß diejenigen, die gezielt auf Wohneigentum hin sparen, bei gleichem Einkommen eine höhere Sparquote aufweisen als diejenigen, die das nicht tun. Wir brauchen in unserer Gesellschaft mehr Sparen; das ist - ich sage das noch einmal - Vorsorge für die Zukunft und für das Alter. Das dient der Stabilisierung des Kapitalmarkts; denn das Kapital braucht unsere Gesellschaft, unsere Wirtschaft dringlich. Wir müssen die gesamtwirtschaftliche Sparquote stabilisieren, damit wir auch die großen Aufgaben, die wir zu bewältigen haben, lösen können. Wenn wir fast eine Verdoppelung der Einkommensgrenzen bei der Bausparförderung erreichen, ist das ohne jeden Zweifel eine gute, eine sinnvolle Sache.
Natürlich - ich sage es noch einmal - kann man damit viele zusätzliche Fragen verbinden. Frau Eichstädt-Bohlig, aus vorangegangenem Tun werden Sie sicherlich gut nachvollziehen können, daß ich gern auch eine ökologische Komponente in Betracht zöge. Aber ich muß mich immer fragen, wozu das führt. Ich bekomme Beifall dafür, daß ich ein Gesetz einfacher, überschaubarer mache, und gehe hinterher selber hin, hänge noch ziemlich viele zusätzliche Zielwerte an und mache damit das Gesetz wieder
Bundesminister Dr. Klaus Töpfer
weniger handhabbar und damit, wie ich meine, wieder etwas weniger sozial. Lassen Sie uns also darüber nachdenken, wie wir anders vorgehen können. Wir haben eine Wärmeschutzverordnung. Diese muß in diesem Jahrzehnt noch einmal novelliert werden; daran ist an anderer Stelle zu arbeiten. Überfrachten wir also nicht ohne Not ein Instrument! Denn dadurch bleiben die Überschaubarkeit und die Verwaltungsvereinfachung wieder auf der Strecke.
Es hat bei uns viele andere Diskussionen gegeben. Ein wichtiger Punkt ist für uns natürlich: Wie wirkt unser Handeln in den neuen Bundesländern? Es ist eigentlich eine ökonomische Banalität, daß ein Instrument, das nicht mehr an die Steuerprogression anknüpft, dort besser wirkt, wo die Einkommen noch niedriger sind. Diese Zulageregelung bedeutet eine in ganz besonderer Weise für die Bürgerinnen und Bürger in den neuen Bundesländern geeignete Umstellung.
Jetzt erreichen wir dort Eigentumsbildung.
Ich wage zu behaupten, daß der alte § 10e in den neuen Bundesländern bisher nur sehr, sehr wenig gewirkt hat.
- Nun freuen Sie sich doch bitte einmal darüber, daß ich ein Argument aufgreife, von dem Sie sagen: Wir haben schon so gut gedacht, wie du jetzt endlich auch denkst.
Das ist doch irgendwie nachvollziehbar. Wenn der Kollege Großmann uns bescheinigt, das sei ein großer Schritt hin zu einer parteiübergreifenden Lösung, dann können Sie mir doch nicht hinterher vorwerfen, daß ich etwas gedacht habe, was Sie möglicherweise auch schon gedacht haben.
- Wissen Sie, ich habe bei allem, was wir bisher gemacht haben, nach einem Kompromiß nicht danach gefragt: Wem muß ich denn welchen Teil des Kompromisses zurechnen?
Denn ich habe immer die Besorgnis gehabt, dadurch die Basis für weitere Zusammenarbeit eher zu schwächen als zu stärken.
Deswegen frage ich jetzt nicht: Wer hat an welchem Tag dieses oder jenes vor dem anderen gedacht? Vielmehr frage ich: Ist das eine sinnvolle Lösung? Ich sage noch einmal: Sie ist äußerst sinnvoll, gerade auch für die Bürgerinnen und Bürger in den neuen Bundesländern.
Ich kann der F.D.P. und dem Kollegen Braun dazu nur gratulieren, daß wir der Förderung eine Bürgschaftsvariante hinzugefügt haben. Es ist sicherlich ein sinnvolles und vernünftiges Vorgehen, gerade den Nachteil auszugleichen, den man in den neuen Bundesländern hat, weil man keine Haftungsmöglichkeit einbringen kann und damit im Zweifel teurere Kredite bekommt. Ich bin mit Ihnen der Meinung, bei der Bürgschaftsgewährung sollte es keine Bürokratie geben; vielmehr sollten wir weiter helfen.
Einen letzten Satz zu den Genossenschaften. Die Zeit - es ist schon schlimm - geht immer so schnell herum. Ich hatte gedacht, ich hätte elf Minuten, aber ich habe nur zehn. Wissen Sie, Herr Braun, diese eine Minute fehlt mir jetzt.
Herr Kollege Maaß, ich sage Ihnen ganz ehrlich: Genossenschaften bedeuten für mich fast ein Stück innerer Überzeugung. Ich bin in einer Wohnung einer Kolping-Wohnungsgenossenschaft in Waldenburg in Schlesien geboren worden. Daran hat noch mein Vater mitgearbeitet. Da konnte wirklich eine Muskelhypothek mit eingebracht werden. Das hört sich zwar ein bißchen nostalgisch an. Ich möchte aber wieder dahin kommen, das so zu machen. Allerdings möchte ich mehr Eigentumsqualität für das Mitglied einer Genossenschaft haben.
Wenn wir das erreichen können, dann sind wir ein Stück weiter.
Wir können nicht alles auf einmal machen. Lassen Sie uns ein bißchen Zeit. Ich bin der Überzeugung, daß wir auch die Frage der Selbsthilfe in Angriff nehmen könnten. Außerdem bin ich der Meinung, daß das, was Frau Eichstädt-Bohlig an anderer Stelle gesagt hat, gar nicht so schlecht hineinpaßt. Lassen Sie uns das machen!
Es wird immer gesagt: Alles das geht nur, wenn ihr nicht an das Genossenschaftsgesetz geht. - So viel Selbstbewußtsein sollten Sie doch haben, einzugestehen, daß man die Genossenschaftsidee durch die Novellierung eines Gesetzes sogar noch besser machen kann, als es gegenwärtig der Fall ist. Dabei bin ich nicht einmal der Meinung, daß wir die Novellierung unbedingt brauchen. Aber wir müssen das alles besser überprüfen, besser planen.
Es geht mir darum, daß wir diese sehr alte und sehr überzeugende Idee nicht fallenlassen. Deshalb müssen wir ihre Attraktivität erhöhen. Das ist doch das, was der Kollege Braun mit der Mobilität gemeint hat: Natürlich können die Genossenschaftsmitglieder
Bundesminister Dr. Klaus Töpfer
nach Rückgabe ihres Geschäftsanteils, praktisch zum Nominalwert, fortziehen. Aber sie nehmen eben nicht an dem Wertzuwachs ihres Eigentums teil, das sie dort gehabt haben.
Deswegen wollen wir hier ein Stückchen weiterkommen. Darüber sollten wir in aller Klarheit miteinander reden können.
Meine Damen und Herren, ich sage noch einmal: Das ist ein guter Tag für den Bauminister. Besonders gut wird er nicht nur dadurch, daß wir uns jetzt auf die Schulter klopfen und sagen „Wir sind auf dem richtigen Weg", sondern auch dadurch, daß wir uns in aller Zügigkeit und mit allem Nachdruck zusammensetzen und fragen, wie wir das hinbekommen, damit wir das im August oder September in einem Gesetzentwurf umsetzen können. Am besten ist es, wenn dieses Gesetz im Bundesgesetzblatt steht. Das muß bis zum 1. Januar 1996 der Fall sein, damit uns die Baukonjunktur nicht wegen des Attentismus von Bauherren zusätzliche Probleme macht. Alles kann zusammenpassen. Lassen Sie uns an die Arbeit gehen!
Ich danke Ihnen sehr herzlich.
Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Großmann.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das dicke Lob kommt; denn Herr Töpfer hat hier eine gute Rede gehalten. Deshalb ist es auch für die Sozialdemokratische Partei, und die sozialdemokratische Fraktion ein guter Tag. Nach zehn Jahren scheint das Gesetz werden zu können, was wir Ihnen seit zehn Jahren beibringen wollen: eine Änderung der Eigentumsförderung beim selbstgenutzten Wohneigentum. Es war auch deshalb ein guter Tag, weil Herr Töpfer gesagt hat, daß es bis jetzt eine sozial furchtbar ungerechte Lösung war.
Herr Meister, Sie sind zum erstenmal in den Bundestag gewählt worden. Ich will Ihnen persönlich zwei oder drei Sätze sagen: Aus dem alten Politikverständnis heraus macht es vielleicht Sinn, aufeinander loszugehen und Wahrheiten dabei nicht oder nur halb auszusprechen. Mein Politikverständnis ist das nicht. Ich halte dieses Politikverständnis für ein völliges Auslaufmodell, das spätestens mit Ablauf dieses Jahrzehnts bzw. dieses Jahrhunderts der Vergangenheit angehören wird.
Wenn Sie sich unsere Vorschläge ansehen, dann werden Sie feststellen, daß wir uns zu den Alleinerziehenden geäußert haben. Aus den Statements der
letzten Tage werden Sie auch ersehen, daß wir im oberen Bereich einsparen wollen, um im unteren Bereich etwas drauflegen zu können. Herr Töpfer hätte der Vollständigkeit halber noch andere Stellungnahmen zitieren können, die besagen: 5 000 DM sind relativ knapp.
Ich meine, sich hier hinzustellen und so zu tun, als ob man das Rad erfunden hätte, mit dem andere schon seit zehn Jahren fahren, ist nicht fair.
Ich verspreche Ihnen, daß wir im Ausschuß ordentlich und vernünftig miteinander diskutieren werden.
Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/1501 und 13/1644 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Interfraktionell ist inzwischen vereinbart worden, daß die Federführung beim Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau liegen soll. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist offenbar der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
- zu dem Antrag der Abgeordneten Franziska Eichstädt-Bohlig und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Sofortprogramm zum Abbau von Obdachlosigkeit
- zu dem Antrag der Abgeordneten Gabriele Iwersen, Achim Großmann, Robert Antretter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Wohnungslosigkeit - Obdachlosigkeit und Wohnungsnotfälle in der Bundesrepublik Deutschland und Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr.-Ing. Dietmar Kansy, Werner Dörflinger, Herbert Frankenhauser, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Hildebrecht Braun , Dr. Klaus Röhl, Horst Friedrich, Lisa Peters und der Fraktion der F.D.P.
Obdachlosigkeit - eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung
- zu dem Antrag der Abgeordneten Andrea Fischer , Franziska Eichstädt-Bohlig, Elisabeth Altmann (Pommelsbrunn) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
Maßnahmen zur Vermeidung von Wohnungsverlust und zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit
- Drucksachen 13/96 , 13/247, 13/288, 13/1617, 13/1848 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr.-Ing. Dietmar Kansy Gabriele Iwersen
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Es gibt keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Dr. Kansy, CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Bundesbauminister hat eben diesen Tag als einen guten Tag für die Eigenheimer dargestellt, und er war es tatsächlich. Das Spektrum unserer Sorgen im Bereich des Wohnungsmarktes ist breiter. Ich hoffe sehr, es wird heute auch ein guter Tag für die Obdachlosen.
Meine Damen und Herren, der Deutsche Bundestag hat sich in den letzten Jahren in vielfacher Weise mit dem Thema Obdachlosigkeit befaßt. Wir haben mit den kommunalen Spitzenverbänden, mit den verschiedenen Hilfsorganisationen und insbesondere mit den Betroffenen selbst gesprochen: mit Männern und Frauen, die auf der Straße leben oder lebten und aus eigener Anschauung klarmachten, was Obdachlosigkeit in einer Wohlstandsgesellschaft bedeutet. Dennoch waren wir uns immer der Tatsache bewußt, daß der Schwerpunkt der unmittelbar wirksamen Maßnahmen und Hilfen auf kommunaler Ebene liegt, und das bleibt auch so.
Aber in diesen Gesprächen wurde deutlich, daß erheblicher Hilfebedarf besteht. Es wurde deutlich, daß die Angebote noch wesentlich stärker auf die konkrete Situation der Betroffenen abgestimmt werden müssen, insbesondere auf ihre Bereitschaft, sich selbst zu helfen.
Meine Damen und Herren, wir haben auch eines gelernt: Wohnungslose und Obdachlose, die zum Teil längere Zeit auf der Straße leben und sich häufig in besonders schwierigen Notlagen befinden, nehmen in vielen Situationen Regelangebote nicht an. Dies geschieht auch auf Grund von Vorbehalten oder negativen persönlichen Erfahrungen mit Behörden und Hilfseinrichtungen. Natürlich gelten diese Vorbehalte auch gegenüber uns, den Politikerinnen und Politikern.
In dieser Situation haben sich die Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und der F.D.P. in diesem Hause, die in vielen Bereichen der Wohnungs- und Gesellschaftspolitik unterschiedliche Positionen vertreten, zusammengerauft und sind zu der Auffassung gekommen, daß wir heute nicht ein weiteres Mal unsere unterschiedlichen Positionen bekräftigen, sondern uns als Deutscher Bundestag diesem Problem stellen. Meine Damen und Herren, mehr Staat oder weniger Staat, mehr Markt oder weniger Markt, Zuständigkeit des Bundes oder der Länder oder der Gemeinden, Mitschuld oder Nicht-Mitschuld der Betroffenen - dies sind sicherlich alles Themen, über die wir weiter streiten können und werden. Aber über allem, was wir tun, verblassen diese Gegensätze, wenn wir, was quasi als unsichtbare Überschrift über unserem Antrag steht, unserem Handeln heute das Motto geben: „Was Ihr dem geringsten meiner Brüder tut ...".
Wir bekennen uns als Deutscher Bundestag zur Mitverantwortung. Wir möchten dazu beitragen, daß in diesem Lande nicht weggeguckt oder ein Bogen gemacht wird, wenn man auf Betroffene stößt. Wir möchten ermuntern, sich nicht nur auf allen staatlichen Ebenen des Problems stärker anzunehmen und sich nicht nur auf die Verbände zu verlassen, sondern sich auch als Mitbürgerin und Mitbürger mitverantwortlich zu fühlen und auf die jeweils mögliche Art und Weise zu helfen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Ursachen für Obdachlosigkeit - das haben die vielen Gespräche gezeigt -, für den Verlust der Wohnung oder die Schwierigkeiten, sich mit Wohnraum zu versorgen, sind vielfältig. Neben Einkommensproblemen - oft durch Verlust des Arbeitsplatzes - oder Partnertrennung können Krankheit, Verschuldung, Suchtprobleme oder persönliche Konfliktsituationen und sehr oft ein Zusammentreffen der verschiedenen Faktoren der Auslöser sein.
Es ist nicht zu übersehen: Darüber hinaus wirkt sich soziale Ausgrenzung in der Gesellschaft natürlich auch am Wohnungsmarkt aus. Angehörige von Haushalten mit besonderen finanziellen, sozialen oder persönlichen Problemen treffen häufig auf erhebliche Vorbehalte, und das natürlich besonders in Zeiten knappen Wohnungsangebots.
In dem interfraktionellen Antrag machen wir eine Reihe von Vorschlägen, äußern Wünsche an die Bundesregierung und stellen Forderungen an die Bundesregierung, an die Landesregierungen sowie an die Kommunen. Die Bundesregierung fordern wir als erstes auf, einen Gesetzentwurf zur Änderung des § 15 a des Bundessozialhilfegesetzes vorzulegen, der die Sozialhilfeträger stärker als nach der bisherigen Ermessensvorschrift - das ist sie nämlich - verpflichtet, die Zahlung rückständiger Mieten zu übernehmen, wenn anderenfalls Obdachlosigkeit droht.
Wir mußten uns davon überzeugen, daß in vielen Gemeinden der Betrag, den man für die anschließende Unterbringung dieser Menschen in Pensionen und Hotels ausgibt, doppelt und dreimal so hoch ist, wie wenn man die Mieten in einer solchen Notlage übernommen hätte.
Aber wir machen hier nicht nur Friede, Freude, Eierkuchen. Eine mißbräuchliche Inanspruchnahme dieser verstärkten Leistungsverpflichtung z. B. in den Fällen, in denen die Miete von vornherein im
Dr.-Ing. Dietmar Kansy
Vertrauen auf die Leistung nach § 15 a bewußt nicht gezahlt werden sollte, muß dabei ausgeschlossen werden. Das sind wir den Steuerzahlern in diesem Lande schuldig.
Wir fordern zweitens von der Bundesregierung, zur Sicherstellung der bisher in einer Verwaltungsvorschrift angeordneten Mitteilung der Gerichte an die Sozialverwaltung über den Eingang einer Räumungsklage im Falle einer Kündigung, meist nach § 554 BGB, einen Gesetzentwurf vorzulegen mit dem Ziel, die Mitteilungspflicht der Gerichte auf die verfassungsrechtlich erforderliche Grundlage zu stellen und zu prüfen, welche rechtlichen Voraussetzungen geschaffen werden müssen, damit die Sozialverwaltungen in die Lage versetzt werden, bei Räumungsklagen rechtzeitig vorbeugende Hilfen einleiten zu können.
Ein dritter Punkt: Um aus dem Teufelskreis „Ohne Arbeit keine Wohnung, ohne Wohnung keine Arbeit" herauszukommen, fordern wir die Bundesregierung auf, durch gesetzliche Änderung auch wohnungslosen Personen die Möglichkeit einzuräumen, eine meldefähige Anschrift zu haben, wenn man einen neuen Anlauf im Leben nimmt, die nicht von vornherein den Status der Obdachlosigkeit erkennen läßt und - was viele von uns nicht wissen - deren Fehlen oft tragische Einschnitte in das Leben der betroffenen Menschen hat.
Wir können die Probleme nicht mehr unter Polizei- und der Ordnungsgesetzgebung des letzten Jahrhunderts anpacken, wenn wir Zukunft gestalten wollen, sondern müssen neue Maßstäbe setzen.
Dringend erforderlich ist es viertens, das Wohngeld an die gestiegenen Mieten anzupassen und sozial fortzuentwickeln, um in Grenzfällen das Entstehen der Obdachlosigkeit zu verhindern.
Trotz zunehmender Kenntnisse über die Ursachen der Obdachlosigkeit wissen wir immer noch zuwenig. Wir fordern deswegen von der Bundesregierung, das Problemfeld Obdachlosigkeit weiter wissenschaftlich zu begleiten und vorhandene Lösungsansätze zu bewerten, um unsere heutigen Beschlüsse nach einem gewissen Zeitraum zu überprüfen und gegebenenfalls zu ergänzen.
Wir bitten die Bundesregierung, weitere Modellprojekte zur Errichtung neuen und zur Sanierung bestehenden Wohnraums mit Hilfe der von der Obdachlosigkeit Betroffenen mitzufördern, um Wohnungslosen nicht nur Wohnraum, sondern gleichzeitig auch wieder soziale Verantwortung und Arbeit mit diesen Projekten zu verschaffen.
Wir erwarten von der Bundesregierung darüber hinaus, daß gemeinsam mit den Ländern die Grundlage für bundesweite Wohnungslosenstatistiken in der Bundesrepublik Deutschland geschaffen und geprüft wird, ob sich dabei die Definition des Deutschen Städtetages sinnvoll anwenden läßt.
Wir fordern die Bundesregierung auf, über den bisherigen Umfang hinaus künftig bundeseigene Liegenschaften auch zugunsten von Wohnprojekten für Obdachlose verbilligt abzugeben.
Trotz unterschiedlicher Positionen in der Wohnungspolitik fordern wir die Bundesregierung und Landesregierungen gemeinsam auf, die Wohnungsbauförderung weiterzuentwickeln und mit dem Ziel einer größeren Effizienz und höheren sozialen Treffsicherheit umzugestalten. Wir haben das vorhin in dem letzten Debattenpunkt schon angesprochen.
Meine Damen und Herren, der Bundestag hat im derzeitigen Haushalt 50 Millionen DM speziell für die Förderung von Obdachlosenprojekten vorgesehen. Wir bitten die Bundesregierung und die Landesregierungen, darüber schnellstens Verwaltungsvereinbarungen zu treffen und die Mittel umzusetzen.
Wir appellieren auch an die Länder und Kommunen, an unsere Kolleginnen und Kollegen in den Landesparlamenten und in den Räten der Städte und Gemeinden, der Vermeidung und dem Abbau von Obdachlosigkeit hohe politische Priorität einzuräumen.
Wir fordern sie auf, die Instrumente zum Erhalt von Wohnraum, zur Hilfe in bestehenden Notlagen, zur Schuldenberatung und Finanzierungsberatung zu bündeln und - ich wiederhole mich - sie stärker präventiv einzusetzen und nicht zu warten, bis es zu spät ist.
Wir erwarten von Bund, Ländern und Gemeinden, die Wohnungsversorgung von sozial benachteiligten Bevölkerungsgruppen durch Förderung baulicher Maßnahmen, aber auch durch den stärkeren Erwerb von Belegungsrechten im Neubau und im vorhandenen Wohnungsbestand zu verstärken und sicherzustellen, daß auch im Rahmen von Kooperationsverträgen mit Wohnungsunternehmen und mit Trägern gemeinnütziger Einrichtungen usw. Hilfe kommt.
Schließlich erwarten wir, daß alle staatlichen Ebenen in ihrem Bereich die Informationsgrundlagen verbessern und vorliegende Erhebungen zusammenführen.
Zum Abschluß noch ein ernstgemeintes Wort. Es gibt natürlich manche Bedenken. Wir kennen die Kneipenwitze von den Wermutbrüdern, die als erstes mal arbeiten sollen, bevor sich die Öffentlichkeit ihrer Probleme annimmt, und vieles andere. Wir haben ebenfalls zu unserem Entsetzen aus manchem Beamtenbereich Aussagen nach dem Motto gehört: Das haben wir ja noch nie gehabt. - Bitte, lassen wir uns dadurch nicht abschrecken. Ich meine, wenn wir das Mögliche nicht tun, weil wir uns mit unseren unterschiedlichen Vorstellungen gegenseitig überfordern, werden wir unserer gemeinsamen Verantwortung nicht gerecht werden.
Dr.-Ing. Dietmar Kansy
Deswegen bitte ich das ganze Haus um Zustimmung zu diesem gemeinsamen Entwurf.
Das Wort hat die Kollegin Gabriele Iwersen, SPD.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Nach dem Krieg lebten die Menschen in Deutschland in überfüllten Wohnungen, in teilweise zerstörten Häusern, entfestigten und umgebauten Bunkern, in Kasernen und Barakken.
Mit der Verbesserung der Wohn- und Lebensverhältnisse verschwanden die Notunterkünfte weitgehend aus dem Stadtbild. Nur am Rande blieben einzelne Notunterkünfte für die Wohnungslosen, die Zwangsgeräumten mit ihren Kindern, denen niemand mehr eine Chance geben wollte.
In Wilhelmshaven war es die Jachmann-Kaserne aus Kaisers Zeiten am Rande eines nach dem Krieg gesprengten Hafenbeckens. Die Menschen, die es dorthin verschlug, wurden die „Jachmänner" genannt, auch die Kinder, deren Zukunftsaussichten von vornherein fast gleich null waren. Abhilfe kam in den 70er Jahren, als dann endlich engagierte Sozialpolitikerinnen und Sozialpolitiker und auch Verwaltungsangestellte und Beamte in den meisten Kommunen, so auch in Wilhelmshaven, systematisch die Obdachlosenunterkünfte abbauten, Wohnungen im ganzen Stadtgebiet erwarben und die Wohnungslosen fortan in Normalwohnungen weitestgehend unterbringen konnten. Die Gettos mit ihren sozialen Problemen wurden abgebrochen oder durch Stadtsanierung in menschenwürdige Wohnquartiere verwandelt. Diese Entwicklung endete aber leider 1990, als aus bekannten Gründen eine Wanderungsbewegung einsetzte, auf die niemand vorbereitet war.
Ich erzähle das deshalb, weil niemand glauben soll, wir würden die Leistungen der Kommunen geringschätzen. Sie waren erfolgreich, bis die Nachfrage auf dem Wohnungsmarkt sprunghaft stieg, bis mehr Menschen in die Städte drängten, als Wohnungen gebaut wurden, der Platz und das Geld knapp wurden und die Arbeitslosigkeit steil anstieg.
In dieser Situation wurde nicht nur der Existenzkampf härter. Viele Menschen fanden einfach keine Perspektive für ihr eigenes Leben, wurden aus der Bahn geworfen und landeten am Rande oder auch außerhalb dieser Gesellschaft. Ihnen zu hellen ist unsere Pflicht, denn erneut sind menschenunwürdige Unterkünfte entstanden; mehr und mehr Menschen leben auf der Straße oder in unzumutbaren Behausungen. Wir haben darüber hier im Haus schon oft gesprochen.
Wieder versuchen Polizei und Ordnungsämter, die Obdachlosen als Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu behandeln, wie einen Gegenstand, der stört, wie ein herrenloses Tier, das man einfangen und ins Tierheim bringen muß. Und die Kommunen stehen mit leeren Händen da.
Deshalb muß der Deutsche Bundestag alles daransetzen, um Schritt für Schritt die Situation der Wohnungslosen zu verbessern, den Städten zu helfen, die sozialen Brennpunkte zu entschärfen mit dem Ziel, sie aufzulösen, und die Entstehung neuer zu verhindern. Da sind sozialpolitische und städtebauliche Maßnahmen vonnöten, und am wichtigsten wäre Geld - eine Mangelware in den öffentlichen Kassen.
Trotzdem stehen heute drei Anträge zum Thema Wohnungslosigkeit / Obdachlosigkeit / Wohnungsnotfälle zur Diskussion und Abstimmung. Manch einer wird sich fragen, warum die SPD ausgerechnet zu so einem Thema einen gemeinsamen Antrag bzw. Beschlußvorschlag mit den Koalitionsparteien erarbeitet hat, wo doch allseits bekannt ist, was für voneinander abweichende Einschätzungen und Grundhaltungen wir in sozial- und wohnungspolitischer Hinsicht haben.
- Ja, wir können feststellen - das hat Herr Dr. Kansy klar betont -, daß wir ungeachtet dieser unterschiedlichen Einschätzungen bereit gewesen sind, in diesem Punkt Zusammenarbeit zu suchen und zu finden.
Das ist einfach zu erklären. Die Zahl der konsensfähigen Punkte, die zwar in den zahlreichen Berichterstatterrunden umformuliert wurden, in ihrem wesentlichen Gehalt aber „gerettet" werden konnten, ließ das Festhalten an dem von mir schon 1993 vorgeschlagenen gemeinsamen Vorgehen im Kampf gegen die Obdachlosigkeit als sinnvoll und richtig erscheinen.
Dabei hat der Beschlußvorschlag wie jeder echte Kompromiß - heute ist sehr viel über Kompromisse gesprochen worden - natürlich allen Beteiligten viel Flexibilität, aber auch die Bereitschaft zum Nachgeben abverlangt. Nach meiner Ansicht hat der CDU/ CSU-F.D.P.-Antrag erheblich an Substanz gewonnen, während ich zugeben muß, daß die SPD einige Forderungen nicht in vollem Umfang hat durchsetzen können.
Während die Union in ihrem Antrag überwiegend Prüfaufträge an die Bundesregierung erteilen wollte - das kann man im Originalantrag nachlesen -, z. B. zur Möglichkeit der verstärkten Übernahme von Mietschulden bei drohendem Verlust der Wohnung, forderte die SPD die konsequente Umwandlung des § 15 a BSHG in eine Sollvorschrift in der festen Überzeugung, daß die Zahlung von durchschnittlich 1 800 DM pro Wohnungsnotfall in keinem Verhältnis zu den anfallenden Kosten steht, die eine Zwangsräumung für den städtischen Sozialhaushalt bedeutet.
Gabriele Iwersen
Da zur Zeit keine bezahlbaren Wohnungen Leerstehen, bleibt oft nur die Unterbringung in einer Pension oder in einem Hotel übrig - bei Kostenübernahme durch die Stadt. Schon nach 14 Tagen sind die ersparten 1 800 DM Mietrückstand verbraucht, denn der Beherbergungsbetrieb verlangt für eine vierköpfige Familie ungefähr 3 000 DM im Monat. Schließlich vermietet er ja einzelne Betten und nicht großflächige Wohnungen. Dazu kommen Umzugskosten, die Unterbringung der Möbel auf einem Speicher und, wenn endlich eine Wohnung gefunden ist, meist auch noch Kaution und Maklergebühren. Vorhin haben wir ja gehört: Für eine vierköpfige Familie zahlt der Staat bzw. der andere Steuerzahler, wenn sich Leute ein Haus bauen, 64 000 DM. Das ist natürlich schon ein bißchen mehr.
Ich wollte eigentlich darüber sprechen, daß die Übernahme der Mietschulden zunächst unzumutbar teuer erscheint, dies aber letzten Endes den Sozialhaushalt entlastet und den von Wohnungslosigkeit Bedrohten den Verlust ihrer sozialen Bindungen und ihres sozialen Umfeldes erspart. Das ist gerade für die Kinder von unschätzbarem Wert.
Der Beschlußvorschlag enthält jetzt die Aufforderung an die Bundesregierung, einen konkreten Gesetzentwurf vorzulegen. Wie der aussehen soll, hat Herr Dr. Kansy beschrieben. Ich denke, dies ist eine Formulierung, mit der wir leben können, auch wenn das Wort Soll-Vorschrift krampfhaft vermieden worden ist. Wir Sozialdemokraten sind etwas mehr für die klare Wortwahl zu haben, aber die Formulierungshilfen, die mit eingebracht worden sind, erfüllen hoffentlich den gleichen Zweck.
Ähnlich verlief die Diskussion zur rechtzeitigen Mitteilung der Amtsgerichte über die Räumungsklagen an die Kommunen. Aus dem Prüfauftrag wurde eine klare Forderung nach einem Gesetzentwurf. Auch dies hat Herr Dr. Kansy angesprochen. Aus der Verwaltungsvorschrift soll ein Gesetz werden. Wir wollen auch überprüft haben, inwieweit Räumungsklagen, die nicht auf Mietrückstände zurückgehen, den Sozialverwaltungen mitgeteilt werden können, damit diese rechtzeitig vorbeugende Hilfe einleiten können.
Ähnlich, aber für uns weniger erfolgreich, verlief die Beratung zur Wohnungsnotfallstatistik. Die Koalition wollte prüfen, ob eine derartige Erfassung von Daten möglich und sinnvoll sei. Wir wollten eine verbindliche Definition in Anlehnung an den Deutschen Städtetag, um so schnell wie möglich Zahlen über Wohnungsnotfälle in allen Gemeinden zu bekommen. Wir wollten die Anzahl von Notunterkünften erfahren, von Kommunen geduldete Provisorien, die Zahl der Übernachtungen von Obdachlosen in Hotels und Pensionen, natürlich durch die Sozialhilfeträger finanziert. All dies wollten wir wissen, um Fördermittel zur Behebung dieses Notstandes treffgenauer einsetzen zu können.
Leider mußten wir nachgeben. Es wird jetzt keine Wohnungsnotfallstatistik geben, sondern zunächst eine Wohnungslosenstatistik. Aber dies ist zumindest
ein Einstieg, obwohl ich sagen muß, daß wir nicht die Augen vor dem wahren Ausmaß der Wohnungsmisere verschließen dürfen. Also, unser Anliegen, Wohnungsnotfälle in ihrer Gesamtheit zu ergründen, ist jetzt auf eine Wohnungslosenstatistik reduziert worden.
Die SPD hat noch zusätzlich das Thema Melderechtsrahmengesetz eingebracht. Das finde ich sehr positiv. In keinem der Anträge war dieses Thema ursprünglich enthalten. Trotzdem hat sich die Berichterstatterrunde bereit gefunden, dieses aufzunehmen, um, wie auch schon Herr Dr. Kansy gesagt hat, jedem die Möglichkeit zu geben, eine neue, feste Anschrift zu finden und damit natürlich auch den ersten Schritt in ein eigenes Zuhause.
Eigentlich müßte ich jeden Satz in diesem Beschlußvorschlag einzeln erläutern und alle noch übriggebliebenen Forderungen und Wünsche meiner Fraktion auflisten, aber die Redezeit ist knapp, und noch knapper ist das Geld, wie wir wissen. Trotzdem wird sich die SPD weiter mit dem Thema beschäftigen, wird neue Anträge stellen und Vorschläge unterbreiten, die der Wohnungsnot ein Ende machen sollen. Wenn es alle politisch Verantwortlichen ernsthaft wollen, wird das Problem zu lösen sein; denn unsere Gesellschaft kann die Entstehung sozialer Brennpunkte vermeiden, wenn das Geld nur in richtige Kanäle gelangt.
Ich bedanke mich jedenfalls bei dem Kollegen Herrn Dr. Kansy für die konstruktive Zusammenarbeit und wünsche mir ähnliche Erfolge bei der Lösung der jetzt ausgeklammerten Probleme des Städtebaus und der Wohnungspolitik. Denn ohne eine Wiederbelebung der Städtebauförderung wird die Sanierung der sozialen Brennpunkte bestimmt nicht gelingen.
Wenn wir heute keine Forderung nach Geld für ein Sonderprogramm stellen, Herr Dr. Kansy, heißt das nicht, daß es auch ohne Geld geht, sondern nur, daß wir heute Ihre Zustimmung zu diesem ersten Teil unserer Forderungen erwarten. Deshalb keine weiteren Forderungen.
Ich bedanke mich.
Das Wort hat die Kollegin Andrea Fischer, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die beiden Reden, die eben gehalten wurden, machen deutlich, daß alle hier im Hause von dem Ausmaß der Obdachlosigkeit bedrückt und der Auffassung sind, daß dringend Abhilfe geboten ist. Aus diesem Grunde haben wir es auch immer für sinnvoll und notwendig erachtet, einen interfraktionellen
Andrea Fischer
Antrag zu diesem Thema zu stellen. Im Laufe der Verhandlungen wurde uns allerdings immer deutlicher, daß dieser Antrag auf eine ausgesprochen unverbindliche und unpräzise Liste von Forderungen hinauslaufen würde, die in keiner Weise dem entsprechen, was Stand der Fachdebatte ist, und die auch nicht den langjährigen Erkenntnissen von Sozial- und Wohnungspolitikerinnen und -politikern entsprechen.
Ich habe den Eindruck - das sage ich auch an die Adresse der Kollegin von der SPD -, daß die Konsensfähigkeit für den Preis der Unverbindlichkeit verkauft wurde. Dies hilft im Moment überhaupt nicht weiter und entspricht, wie gesagt, nicht dem Stand der Diskussion.
- Herr Kollege Kansy, ich komme gleich darauf. Sie haben gerade sehr viele Sachen aufgeführt, die wir auch wollen.
- Das will ich Ihnen gerne beschreiben.
- Aber Herr Kollege, wir fangen doch nicht bei Null an, sondern wir beziehen uns auf eine langjährige Debatte.
Sie haben gerade über eine Sollvorschrift in § 15 a BSHG und über die Notwendigkeit gesprochen, die Sozialämter verbindlicher in die Pflicht zu nehmen, damit durch Übernahme von Mietschulden vermieden werden kann, daß Leute überhaupt irgendwann in „Läusepensionen" untergebracht werden. Sie haben selber gesagt, daß das langfristig kostensparend ist. Warum können Sie sich also nicht zu dieser Sollvorschrift durchringen?
Das ist gebundenes Ermessen. Das heißt, Sie haben die Möglichkeit, bei Mißbrauch trotzdem die Leistung zu verweigern. Das wird doch seit Jahr und Tag längst diskutiert.
Das Wohngeld muß erhöht werden, sagen Sie. Das wissen wir alle. Wir meinen aber, daß gegenüber dem Status quo ein verbindlicher Rhythmus festgelegt werden muß, das Wohngeld anzupassen und diese Anpassung nicht dem Zufall und dem guten Willen zu überlassen.
Dasselbe gilt für die Verbesserung des Mitteilungsverfahrens bei Räumungsklagen. Natürlich wollen wir das alle. Warum machen Sie aber nur das Verfahren für die Mitteilung anders und schaffen durch Fristverlängerung bei den Räumungsklagen nicht auch noch die Voraussetzung dafür, daß die Sozialämter eingreifen können?
Dasselbe gilt für den sozialen Wohnungsbau. Sie haben ihn ausgeschlossen. Wir wissen alle, daß die Mittel für den sozialen Wohnungsbau in der letzten Zeit knapp geworden sind. Deshalb müssen wir jetzt darüber nachdenken, ob wir die knapper werdenden Mittel nicht auf die wirklich Bedürftigen konzentrieren müssen, wenn wir es für die breiten Schichten nicht mehr machen können. Statt dessen schlagen Sie erneut Modellprojekte und Forschung vor. Wir wissen so unglaublich viel über Obdachlosigkeit. Das ist ein Ausweichen vor dem Handeln. Wir müssen jetzt etwas tun und dürfen nicht länger darüber lamentieren. Das heißt, wir müssen Strukturen ändern.
Natürlich wird die Obdachlosigkeit in den Kommunen bekämpft. Aber die von mir aufgezählten Punkte fallen alle in die Regelungskompetenz des Bundes, werden in Bundesgesetzen geregelt. Deswegen bin ich der Meinung, daß wir da endlich ranmüssen. Wenn wir den Menschen wirklich helfen wollen, müssen wir an die Gesetze ran, die in der Diskussion sind. Nur dann wäre der heutige Tag ein guter Tag für die Obdachlosen.
Das Wort hat die Kollegin Lisa Peters, F.D.P.
Herr Präsident! Meine lieben Kollegen und meine Kolleginnen! Das Thema heute kann man mit den Worten Arbeitslosigkeit, Wohnungslosigkeit, Obdachlosigkeit umschreiben, wenn man es auf wenige Worte begrenzen will. Das wäre aber zu einfach. Das Thema ist viel umfassender.
Ich persönlich wurde schon sehr früh bei meiner ehrenamtlichen Arbeit mit der Obdachlosigkeit und deren Auswirkungen auf die Familien, besonders auf die Kinder, konfrontiert. Das sitzt mir heute noch in den Knochen. 1968 wurde meine älteste Tochter eingeschult. Im Einzugsbereich unserer Grundschule befand sich ein „Obdachlosenasyl". So war damals noch die offizielle Bezeichnung, jedenfalls bei uns, Frau Iwersen. Kinder und deren Eltern, die dort wohnten und diese Straße mit der bekannten Hausnummer bei der Schulanmeldung angeben mußten, wurden einem bestimmten Bereich zugeordnet und trugen, für mich jedenfalls, unsichtbar einen Stempel auf der Stirn.
Die Schulkinder, die mit diesem Makel behaftet waren, daß sie im Obdachlosenasyl wohnten, hatten keine Chance, eine weiterführende Schule anzusteuern. Ich habe das in meiner langjährigen Tätigkeit erfahren müssen. Auch wenn die Kinder dann 14 oder 15 Jahre alt waren und es um Ausbildungsplätze ging, gab es für sie keine Ausbildungsplätze. Das war einfach nicht nachzuvollziehen.
Diese Situation hat mein Verhalten bis heute geprägt. Schon in der Zeit meiner Schulelternratstätigkeit habe ich versucht, die Situation dieser Kinder zu verbessern.
Lisa Peters
Seit Oktober 1972 bin ich nun Ratsfrau in Buxtehude. Wir haben uns intensiv um die Situation der Obdachlosen gekümmert und haben uns damit beschäftigt. Vieles Wünschenswerte, was heute hier genannt worden ist - ich will es nicht alles aufzählen -, verwirklichen wir dort seit Jahren. Die Dinge, die wir hier gesetzlich anordnen wollen, werden dort so erledigt. Ich denke, Herr Kansy, damit kommen wir Ihrem Wunsche nach, frühzeitig etwas zu tun.
Frau Iwersen, Sie haben in der letzten Wahlperiode den Anstoß für die jetzige Initiative gegeben. Sie haben die Anträge gestellt. Wir sind in Gesprächen beteiligt worden. Viele von uns haben mit den Wohnungslosen gesprochen. Wir haben das Problem wirklich öffentlich gemacht.
Ich denke, wir haben den Betroffenen der Arbeitsloseninitiative Mut gemacht und vieles bewirkt. Für mich waren die Gespräche in der vorigen Wahlperiode sehr, sehr wichtig und sehr aufschlußreich. Sie haben uns die Vielfalt der Ursachen der Obdachlosigkeit aufgezeigt.
Ich kann immer wieder nur feststellen - es ist hier so oft gesagt worden -, man muß die Sache im Entstehen bekämpfen. Hier sind die Gemeinden und Städte, deren Verwaltung und Ratsmitglieder gefragt.
Sie müssen das Problem, die Herausforderung erkennen und annehmen. Das ist das Wesentliche, nämlich diese Sache einfach anzunehmen. Deshalb ist vieles gescheitert. Es geschieht jetzt mehr und mehr.
Wir wissen aber auch, daß es die Gemeinden und Städte trotz gesetzlicher Grundlage nicht allein schaffen können. Überall wird die Initiative und die Aktivität des Bundestages begrüßt. Ich freue mich sehr, daß es zu einer gemeinsamen Beschlußempfehlung der Koalition und der SPD gekommen ist.
Auch wenn noch viele Wünsche offengeblieben sind - das ist hier heute abend mehrfach angesprochen worden -, denke ich, daß doch einiges umgesetzt werden kann und wir auf dem richtigen Weg sind.
Wenn die Lösungsmöglichkeiten, die in dem Antrag genannt sind, demnächst in die Tat umgesetzt werden, kann ich mir schon vorstellen, daß rückständige Mieten - Herr Kansy, Sie haben das näher ausgeführt - unter gewissen Voraussetzungen übernommen werden können. Die Gerichte müßten rechtzeitig die Räumungsklagen melden. Der Obdachlose hätte eine ständige Anschrift; diese Anschrift ist die erste Voraussetzung, um überhaupt wieder einen Arbeitsplatz zu bekommen. Das Wohngeld wäre angepaßt. Es gäbe eine aktuelle Statistik, Forschungsaufträge würden vergeben und Modellprojekte eingerichtet. Ich denke, daß wir davon noch einiges gebrauchen können. Auch die Wohnungsbauförderung würde auf diese Personengruppe eingestellt.
Für mich und unsere Fraktion gilt jedenfalls, daß wir an diesen Dingen weiterarbeiten. Ich stelle fest, daß wir auf einem guten Weg sind und daß wir noch offensiver an die Sache herangehen müssen. Wenn es uns dann gelingt, viele in das Boot zu ziehen, dann sind wir einen Schritt weiter.
Ich darf mich noch einmal bei den Mitgliedern der Bundesarbeitsgemeinschaft „Wohnungslosenhilfe" für die aktive Mitarbeit bedanken, ganz besonders aber bei den vielen Menschen in unserem Lande, den vielen Ehrenamtlichen, die sich mit der Obdachlosigkeit beschäftigt haben, den Vereinen, Verbänden und Kirchen. Wenn wir diese Hilfe nicht gehabt hätten, würde es noch viel schlimmer aussehen.
Ich freue mich auf das Weiterarbeiten. Ich freue mich auch auf den 1. Juli 1996, an dem wir klare Antworten von der Bundesregierung bekommen.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Kollege Klaus-Jürgen Warnick, PDS.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die vorliegenden Anträge zur Bekämpfung der Wohnungslosigkeit sind Ergebnis eines langen Erkenntnisprozesses vor allem in den Reihen der Koalition. Mittlerweile leugnet niemand mehr, daß wir in einem der reichsten Länder der Erde ca. 1 Million Wohnungslose vom gesellschaftlichen Leben ausgegrenzt haben. Alle im Bundestag vertretenen Parteien waren sich einig, daß schnellstmöglich Maßnahmen gegen das weitere Anwachsen von Wohnungslosigkeit ergriffen werden müssen. Herausgekommen an praktisch greifbaren Ergebnissen ist aber herzlich wenig. Wie sollte es auch anders sein, wenn die Mehrzahl der Bundespolitiker die Ursachen der Wohnungslosigkeit noch immer im Verhalten des einzelnen und nicht als gesamtgesellschaftliches Problem begreift?
Zur Bekämpfung des Elends der Betroffenen wird deshalb auch hauptsächlich mit verwaltungstechnischen Maßnahmen reagiert. Auf konkrete Schritte der Ursachenbekämpfung, wie z. B. starke Ausweitung des sozialen Wohnungsbaus bei gleichzeitiger Reduzierung der ungerechtfertigten Steuervorteile beim Einfamilienhausbau für Gutbetuchte, konnten Sie sich leider nicht einigen.
Der vorliegende gemeinsame Antrag von der Koalition und der SPD ist jedoch ein Weg in die richtige Richtung. Er sieht aber zu wenige konkrete Maßnahmen und nur sehr kleine kosmetische Eingriffe in das bestehende System vor. Die Anträge vom BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sind da schon wesentlich konkreter.
- Das hätten Sie doch auch machen können.
Klaus-Jürgen Warnick
Die Kritik am mangelnden Willen zu größeren Einschnitten in das bestehende System der ungerechten Verteilung des produzierten Volksvermögens ändert nichts an der Tatsache, daß die vorgeschlagenen Regelungen grundsätzlich nicht falsch sind und eine geringfügige Verbesserung der Situation der Betroffenen erwarten lassen. Auch kleine und hasenfüßige Schritte bringen uns ein Stück voran. Ich werde mich deshalb den Anträgen nicht verschließen, wobei ich den weitergehenden Antrag vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN trotz Kritik an einzelnen Passagen klar favorisiere.
Der Antrag von den Koalitionsparteien und der SPD sieht einen Bericht der Bundesregierung über die Wirksamkeit der eingeleiteten Maßnahmen bis zum 1. Juli 1996 vor. Wir werden die Umsetzung der beschlossenen Maßnahmen mit großer Aufmerksamkeit verfolgen.
Ich danke Ihnen.
Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zu dem Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu einem Sofortprogramm zum Abbau von Obdachlosigkeit, Drucksache 13/1848, Nr. 1. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/96 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Gruppe der PDS bei Stimmenthaltung der SPD angenommen.Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zum Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu Maßnahmen zur Vermeidung von Wohnungsverlust und zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit, Drucksache 13/1848, Nr. 2. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/ 1617 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen wie zuvor angenommen.Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zu den Anträgen der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. sowie der Fraktion der SPD zur Obdachlosigkeit, Drucksache 13/ 1848, Nr. 3. Der Ausschuß empfiehlt, die Anträge auf den Drucksachen 13/247 und 13/288 zusammenzufassen und in der Ausschußfassung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition und der SPD sowie mit wenigen Stimmen der Gruppe der PDS bei Gegenstimmen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und einigen Stimmen aus der Gruppe der PDS angenommen.Ich rufe Tagesordnungspunkt 12 auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Tierseuchengesetzes- Drucksache 13/672 -
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
- Drucksache 13/1764 -Berichterstattung:Abgeordnete Marianne KlappertDazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 13/1840 vor.Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Interfraktionell ist außerdem vereinbart worden, daß Redebeiträge auch zu Protokoll gegeben werden können. - Hierzu gibt es keinen Widerspruch. Dann ist dies so beschlossen.Folgende Kolleginnen und Kollegen haben ihre Redebeiträge zu Protokoll gegeben: Siegfried Hornung , Marianne Klappert (SPD), Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN), Günther Bredehorn (F.D.P.), Eva Bulling-Schröter (PDS) sowie der zuständige Bundesminister Borchert' ). Damit erübrigt sich die Debatte.Dann kommen wir zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf zur Änderung des Tierseuchengesetzes, Drucksachen 13/ 672 und 13/1764. Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 13/1840 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalition und gegen die Stimmen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und PDS bei Stimmenthaltung der SPD abgelehnt.Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen ? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition und der SPD bei Gegenstimmen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und einer Gegenstimme aus der Gruppe der PDS bei ansonsten Stimmenthaltung der PDS angenommen.Wir kommen zurdritten Beratungund Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Mehrheitsverhältnissen wie zuvor angenommen.s) Anlage 5
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3898 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995
Vizepräsident Hans-Ulrich KloseIch rufe Punkt 13 der Tagesordnung auf:Beratung des Antrags der Abgeordneten Helmut Wilhelm , Michaele Hustedt, Dr. Manuel Kiper, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENEinstellung des Betriebs im Endlager Morsleben
- Drucksache 13/1378 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN soll 5 Minuten Redezeit erhalten. Sind Sie damit einverstanden? - Kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Helmut Wilhelm, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Atompolitik der Bundesregierung hat ein enormes atomares Müllproblem provoziert. Die sichere Endlagerung für Atommüll ist nach wie vor ungeklärt. Der Entsorgungsdruck ist um so größer, da in Kürze Atommüll aus der Wiederaufarbeitung in Großbritannien und Frankreich vertragsgemäß zurückgenommen werden muß. Dadurch wird sich der Bedarf an Lagerkapazitäten nahezu verdoppeln.
Doch man macht es sich sehr leicht. Schließlich hat man durch die Wiedervereinigung ein Endlager nach dem Motto geschenkt bekommen: Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul. Genauso verfährt die Bundesregierung. In Morsleben wird eingelagert ohne Rücksicht auf sicherheitstechnische und juristische Defizite.
Zur Darstellung der rechtlichen Situation möchte ich einige Fakten zur Chronologie des Endlagers Morsleben ausführen. Am 22. April 1986 erhielt das Endlager eine Dauerbetriebsgenehmigung nach dem damaligen Recht der DDR durch das seinerzeit zuständige Staatliche Amt für Atomsicherheit. Nach den Regelungen des Einigungsvertrags wurde diese in bundesdeutsches Recht überführt und gilt damit als Planfeststellungsbeschluß gemäß § 9 des Atomgesetzes bis zum 30. Juni des Jahres 2000 fort.
Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Urteil vom 25. Juni 1992 die rechtliche Situation als fiktiven Planfeststellungsbeschluß qualifiziert. Diese Entscheidung erfolgte allein nach rechtlichen und nicht nach sicherheitstechnischen Gesichtspunkten. Da - bei war es nämlich egal, daß erstens keine Langzeitsicherheitsanalyse nach Stand von Wissenschaft und Technik vorliegt - übrigens auch eine grundlegende Forderung der Reaktorsicherheitskommission -, daß zweitens die Vorrichtungen für eine Eingangskontrolle des angelieferten Atommülls vollständig fehlen - im Klartext: eine Kontrolle findet nicht statt — und daß drittens im Nachbarschacht ohne Abschottung zyanidhaltige Abfälle lagern, die die Eigenschaft haben, die Auslaugung und Freisetzung von Radioaktivität zu fördern und zu beschleunigen.
Insgesamt ist der Weiterbetrieb dieser Anlage ein sicherheitstechnischer Skandal.
Selbst zu DDR-Zeiten wurden von der zuständigen Behörde Sicherheitsmängel festgestellt. Trotz alledem wurde eine dringend notwendige ordnungsgemäße atomrechtliche Überprüfung durch eine Genehmigungsfiktion ersetzt.
Gemäß Anlage zu § 3 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung bedarf eine wesentliche rechtliche Änderung einer Anlage zur Endlagerung - und um nichts anderes handelt es sich bei dieser Genehmigungsfiktion für Morsleben - der Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung. Dabei kann es keinen Unterschied machen, daß Morsleben nicht - wovon das Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung ausgeht - durch ein förmliches Verfahren, sondern eben durch einen Gesetzgebungsakt genehmigt wurde.
Der Europäische Gerichtshof hat in seinem Urteil vom 9. August 1994 ebenfalls festgestellt, daß die Bundesrepublik die EG-Richtlinie über die Umweltverträglichkeitsprüfung verspätet umgesetzt hat. Gemäß Art. 12 Abs. 1 dieser Richtlinie ist es schon von daher nicht gestattet, Projekte, für die das Genehmigungsverfahren nach dem 3. Juli 1988 eingeleitet wurde - wie bei Morsleben -, von der Pflicht zur Umweltverträglichkeitsprüfung auszunehmen. Tatsächlich wurde aber eine Umweltverträglichkeitsprüfung für den derzeitigen Betrieb von Morsleben aus gutem Grund nicht durchgeführt.
Wir fordern deshalb, erstens im Weg der Bundesaufsicht die umgehende Einstellung des Einlagerbetriebes anzuordnen
und zweitens im derzeit durchgeführten Planfeststellungsverfahren für die Zeit nach dem Jahr 2000 den Erlaß eines Planfeststellungsbeschlusses zur Stilllegung und zum sicheren Abschluß der Anlage zu beantragen. Eine verantwortungsvolle Politik erfordert dies.
Das Wort hat der Kollege Kurt-Dieter Grill, CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Wilhelm, es überrascht bei Kenntnis des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und ihrer Politik im Zusammenhang mit kerntechnischen Anlagen überhaupt nicht, wenn Sie wider besseres Wissen - sonst müßte man Ihnen vorwerfen, Sie hätten sich in der Sache nicht hinreichend informiert - den Vorwurf erheben, daß ohne Rücksicht auf technische und juristische Gegebenheiten durch die Bundesregierung eine Risikositua-
Kurt-Dieter Grill
tion geschaffen worden sei. Ich finde, Sie sollten etwas vorsichtiger mit solchen saloppen Vorhaltungen sein.
- Das stimmt doch überhaupt nicht.
Wenn man den Bericht der Bundesregierung bzw. die Darstellungen, die dazu vorliegen, liest und sich mit den Fakten beschäftigt - mit den in Auftrag gegebenen Gutachten, mit der Langzeitsicherheit, auch mit der Frage der Stillegung, mit der Umweltverträglichkeitsprüfung für das, was jetzt seitens der Bundesregierung veranlaßt worden ist -, dann kann man sich nicht ernsthaft hier in den Deutschen Bundestag stellen und der Bundesregierung eine bewußte Unsicherheitsstrategie - und das ist das Fatale an Ihrer Argumentation -, eine Nachlässigkeit in Fragen der Sicherheit der Bevölkerung vorwerfen. Dies ist unverantwortlich, was Sie da tun,
zumal dann, wenn man einkalkuliert, daß Morsleben ja auch - nicht nur, aber auch - der Bewältigung des Rückbaus von kerntechnischen Anlagen aus der ehemaligen DDR dient.
Ich habe mit großem Staunen - wie ich das auch an vielen anderen Stellen tue - festgestellt, daß ausgerechnet die PDS Ihnen bei einem solchen Vortrag auch noch Beifall klatscht, diejenigen, die Verantwortung dafür tragen, daß die Umwelt in einem solchen Zustand übergeben worden ist. Das ist wirklich eine Schizophrenie und an Chuzpe nicht mehr zu überbieten.
Ich denke, meine Damen und Herren, Sie haben selber eigentlich in Ihrer Begründung deutlich gemacht, daß eine ganze Reihe von Argumenten offensichtlich nicht tragen. Sie haben sich ja allein und ausschließlich auf die formale Argumentation der Umweltverträglichkeitsprüfung eingelassen. Dieses trägt schon gar nicht. Wenn man sich alle dafür verfügbaren Grundlagen - vom Einigungsvertrag bis zur Umweltunion, vom europäischen Recht bis hin zum Atomgesetz - zu Gemüte führt, dann kommt man zu dem Ergebnis, daß gerade die Begründung, die Sie gewählt haben, keine Begründung für das Ziel ist, das Sie mit Ihrem Antrag verfolgen.
Mit dem Planfeststellungsverfahren für den Betrieb über das Jahr 2000 hinaus ist eine Umweltverträglichkeitsprüfung in Arbeit, in deren Rahmen alle Argumente aufgegriffen werden, die bei der Diskussion über ein solches Endlager berücksichtigt werden müssen. Auch über den Weiterbetrieb hinaus ist die Frage einer Stillegung in die Diskussion einbezogen. Insofern ist der überwiegende Teil des Antrages, den Sie hier vorgelegt haben, überflüssig, weil er nichts anderes fordert als das, was die Bundesregierung tut.
- Das ist typisch für Sie. Es hätte mich sehr verwundert, wenn Sie an dieser Stelle zugegeben hätten, daß das Bundesumweltministerium ernsthaft an der Sicherheitstechnik, an Umweltverträglichkeitsprüfungen und an all den Dingen arbeitet, die notwendig sind, um dem Ziel der Sicherheit des Menschen gerecht zu werden. Dann wären Sie nämlich nicht mehr die GRÜNEN, oder ich wäre nicht mehr in der Union.
- Ich komme gleich dazu, Herr Wilhelm.
Im Prinzip ist der Antrag überflüssig. Er dient eh nur der Beruhigung einer gewissen Klientel, er dient nicht der Sicherheit der Menschen. Er hat dieses Ziel auch nicht im Auge.
Jenseits der Frage Morsleben will ich Ihnen zwei Dinge mit auf den Weg geben. Ich habe in den Energiekonsensverhandlungen 1993 erlebt, wie Joschka Fischer im Hinblick auf eine bestimmte Argumentation der Sozialdemokraten vorgetragen hat - und das ist einer der wenigen Sätze von ihm, den ich mittrage -, es sei moralisch und ethisch nicht verantwortbar, wenn wir in Westdeutschland, die wir aus der Nutzung der Kernenergie unseren Wohlstand gewonnen hätten und noch gewönnen, die Probleme der Endlagerung internationalisieren oder im Ausland lösen würden. Er hat sich ausdrücklich zu einer nationalen Lösung der Entsorgung im Sinne von Endlagern bekannt. Ich teile diese Position.
- Ich kann nicht verstehen, warum Sie einen so inhaltsschweren und richtigen Satz auch noch bestreiten wollen.
Was mit Ihnen, meine Damen und Herren, nicht zu erreichen ist, ist eine Einlösung dieses Satzes durch konkretes Handeln. Denn Sie sagen doch nicht nur zu Morsleben nein, sondern Sie sagen zu Gorleben nein, Sie sagen zu Schacht Konrad nein, Sie fordern überall den Abbruch der Verfahren. Die Wahrheit bei den Grünen ist doch folgende. Man könnte jeden Standort in dieser Republik aussuchen, er würde nie ihre Zustimmung finden,
Kurt-Dieter Grill
weil sie nach der Methode handeln: Wir fordern den besten Platz. Und wer den besten Platz fordert, will in Wahrheit gar kein Endlager.
Das ist die Politik des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN. Das heißt, Sie lassen mit der Politik, die Sie hier und an jedem anderen Standort betreiben, in Wahrheit die Menschen mit den sicherheitstechnischen Problemen, mit den Konsequenzen des aus der Nutzung der Kernenergie gewonnenen Wohlstandes alleine. Deswegen ist Ihre Position in keiner Weise und an keiner Stelle verantwortbarer als das, was wir Ihnen auf der Grundlage langfristig erarbeiteter sicherheitstechnischer Gutachten, Untersuchungen und Konzepte vorschlagen. Ich denke, daß wir Ihren Antrag deswegen auch mit gutem Recht ablehnen werden.
Das Wort hat Herr Kollege Reinhard Weis, SPD.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Thema Endlager für radioaktive Abfälle Morsleben ist bereits seit langem ein Thema meiner Fraktion. Mit mehreren parlamentarischen Initiativen sind wir schon in der letzten Legislaturperiode und auch bereits bei der Verhandlung des Einigungsvertrages aktiv geworden, und wir haben uns hier im Bundestag damit beschäftigt.
Bis heute ist es dabei unser Bemühen, in einem breiten parlamentarischen Konsens auch mit der Regierungskoalition - wie sonst wären Mehrheiten zusammenzubekommen? - eine befriedigende Lösung für diese DDR-Altlast zu erreichen. Leider müssen wir jedoch feststellen, daß die Bundesregierung, wie schon seit Jahren, dieser Zusammenarbeit ausweicht und nur das Ziel verfolgt, dieses Endlager auf jeden Fall auch langfristig zu nutzen, obwohl die Eignung von zahlreichen Fachleuten und offiziellen Gutachtern bezweifelt wird.
Ich wollte hier auch kurz auf die Geschichte des. ERAM eingehen, aber Herr Wilhelm hat mir das - als hätten wir zusammen formuliert - fast wortgleich abgenommen. Ich möchte deshalb an der nur formaljuristischen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom Juni 1992 anknüpfen. Die müssen wir zur Kenntnis nehmen. Aber sie kann uns nicht beruhigen; denn die Gefahrenpotentiale bestehen. Allerdings - so die Urteilsbegründung des Bundesverwaltungsgerichts - entbindet diese vorläufige Betriebsgenehmigung den Betreiber keineswegs davon, das zur Vermeidung etwaiger Sicherheitsrisiken Erforderliche entsprechend den Sicherheitsstandards des bundesdeutschen Rechts zu veranlassen sowie im Planfeststellungsverfahren ein Konzept zur Langzeitsicherheit für den Zeitraum nach der Befristung vorzulegen.
Für den Fall einer wahrscheinlich nur zeitlich befristeten Genehmigung des atomaren Endlagers müßte das aber bedeuten - das sagt zumindest der gesunde Menschenverstand -, nur so einzulagern, daß man den radioaktiven Müll im Bedarfsfall auch wieder herausholen könnte. Denn nach dem 30. Juni 2000 ist in jedem Fall der Nachweis der Langzeitsicherheit notwendig, möchte man den Müll guten Gewissens dort lassen. Auch wenn die Bundesregierung diese Langzeitsicherheit sehr gerne herbeireden möchte: Bis heute ist sie nicht in Sicht; ob sie nachgewiesen werden kann, ist mit einem großen Fragezeichen zu versehen.
Wir müssen feststellen, daß die Bundesregierung leider nicht in dieser Weise konservativ - soll bedeuten: vorsorglich, bewahrend, schützend - handelt. Abgesehen davon, daß wir ihr dringend empfehlen, wenigstens bereit zu sein, den Betrieb des Endlagers vorsorglich vorübergehend einzustellen, wäre es im Hinblick auf die fehlende Langzeitsicherheit angebracht, von der unverantwortlichen Einlagerungspraxis des Verkippens Abstand zu nehmen. Diese Praxis ist selbst in der Betriebsgenehmigung der DDR von 1986 nicht enthalten.
Des weiteren sollte sie unbedingt von der problematischen Einlagerung mittelradioaktiven Mülls Abstand nehmen.
Aber ich muß noch auf einen zweiten Punkt eingehen, nämlich genau den Bereich, den unsere Kollegen von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zum Zentrum ihres Antrags gemacht haben: Obwohl der Bundesregierung nach ihrem eigenen Bekunden sehr an einem Weiterbetrieb von Morsleben nach dem 30. Juni 2000 gelegen sein müßte, unternimmt sie derzeit wenige Anstrengungen, einen Planfeststellungsbeschluß für die Zeit nach diesem Stichtag sicherzustellen. Im Gegenteil, die Bundesregierung zögert die notwendige Zusammenarbeit mit dem Land Sachsen-Anhalt hinaus. Die Tatsache, daß es bereits heute als sicher gilt, daß sich die ursprünglich für Mitte 1996 geplante Einreichung der Planungsunterlagen bis Ende 1997 verzögert, belegt das. Es ist fraglich, ob dieser Termin von seiten der Bundesregierung gehalten werden kann, so daß ein Planfeststellungsbeschluß zum 30. Juni 2000 ernsthaft gefährdet ist.
Für dieses Verhalten gibt es nur zwei mögliche Ursachen: Erstens. Die Bundesregierung selbst zweifelt erheblich an einem Ausgang des Planfeststellungsverfahrens, der einen Weiterbetrieb ermöglicht. Zweitens. Die Bundesregierung interessiert der Ausgang des Planfeststellungsverfahrens deshalb überhaupt nicht, weil sie möglicherweise beabsichtigt, die Einlagerung in Morsleben mit einem Sondergesetz durchzudrücken. Daß diese Befürchtung berechtigt ist, belegen Aussagen aus dem BfS.
Letzteres wäre aber besonders deshalb fatal, da der letzte, noch zu DDR-Zeiten erstellte Sicherheitsbericht des Staatlichen Amtes für Atomsicherheit und Strahlenschutz von 1989/90 zumindest erhebliche Zweifel an der Berechtigung der alten Betriebs-
Reinhard Weis
genehmigung aus dem Jahre 1986 erkennen läßt. Die Bundesregierung würde also dann nicht nur die bisherige Sicherheitsphilosophie für atomare Endlager aufgeben, sie würde sogar hinter Sicherheitserwägungen der DDR zurückgehen, und die gelten eigentlich bis heute auf diesem Gebiet nicht als besonders beispielhaft.
Bitte denken Sie an die Zeit!
Ja. - Bezugnehmend auf den Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, den wir jetzt behandeln und überweisen wollen, sind unsere Hauptforderungen: erstens sofortige Beendigung der Einlagerungspraxis, die die radioaktiven Abfälle nicht rückholbar verschwinden läßt; zweitens ein Einlagerungsmoratorium bis zum Abschluß des Planfeststellungsverfahrens, das den Betrieb nach dem 30. Juni 2000 bewerten soll; drittens eine zügige Zuarbeit für das Planfeststellungsverfahren in Sachsen-Anhalt durch die Bundesregierung.
Ich hoffe, daß sich die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen in den Ausschußberatungen auf eine solche konstruktive Arbeit, die auf weite Zustimmung treffen würde, einlassen werden.
Vielen Dank.
Das Wort hat Herr Professor Ortleb, F.D.P.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In Anhörung des Beitrags des Kollegen Grill und in Kenntnis der gründlichen Ausführungen, die der Herr Kollege Parlamentarischer Staatssekretär Walter Hirche noch tätigen wird, kann ich nur folgendes äußern: Die rechts- und sachbezogenen Probleme zur Angelegenheit sind danach geklärt, oder ihre Lösung ist auf dem Wege. Eine Befassung des Deutschen Bundestages ist aus meiner Sicht nicht notwendig.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Kollege Rolf Köhne, PDS.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 1990 hat die Bundesregierung das Endlager Morsleben von der DDR geerbt. Es ist einsichtig, daß atomare Endlagerung in staatlicher Verantwortung erfolgen muß. Es ist aber nicht einsichtig, daß damit auch die von der DDR erteilte Betriebsgenehmigung geerbt worden sein soll.
Daß die DDR auf dem Gebiet des Umweltschutzes kein besonderes Vorbild war, ist eine allseits beklagte Tatsache. Herr Kollege Grill, das beklagen auch wir. Deshalb haben wir uns grundlegend geändert.
Richtig: Eine Studie des BMU kam nach Sichtung der Unterlagen zu verheerenden Schlußfolgerungen. Diese Studie weist mit besorgniserregender Eindringlichkeit auf Probleme hin, die ich hier nur stichwortartig anreißen möchte. Erstens: Die Geologie des Salzstockes weist erhebliche Probleme auf, welche die Langzeitsicherheit grundsätzlich in Frage stellen. Zweitens: Die Statik des Grubengebäudes ist mangelhaft berechnet. Drittens: Laugenzuflüsse sind ein Indiz für Kontakte zum Grundwasser. Viertens: Abfälle wurden mangelhaft konditioniert. Fünftens: Der Brandschutz ist mangelhaft. Sechstens: In der Schachtanlage befindet sich Sondermüll, der beim Kontakt mit Wasser giftige Gase entwickelt. - Trotzdem soll die Betriebsgenehmigung für Morsleben bis zum Jahre 2000 gelten, ohne daß je in einem Verfahren unter Beteiligung Dritter ein Sicherheitsnachweis erbracht worden wäre.
Die westdeutschen EVU verbringen nun Woche für Woche ihre Abfallmassen in diese Kaligrube. Es werden Tatsachen geschaffen, die die Gesundheit nachfolgender Generationen gefährden. Könnten die Bürger in einem Verfahren nach dem Atomgesetz oder in einer Umweltverträglichkeitsprüfung ihr Grundrecht auf Verfahrensbeteiligung wahrnehmen, kämen Ungereimtheiten, Versäumnisse und Gefahren für gegenwärtige und zukünftige Generationen zur Sprache, die das sofortige Aus für Morsleben bedeuteten.
Der Beschluß, Morsleben per Gesetzgebungsverfahren für die Einlagerung atomarer Abfälle offenzuhalten, ist unserer Meinung nach nicht ausreichend legitimiert. Das Parlament kann nicht stellvertretend für den einzelnen Grundrechte wahrnehmen. Einzig die Offenlegung der Sicherheitsunterlagen, gefolgt von einem ergebnisoffenen Verfahren, in welchem die Zweifel an der Sicherheit artikuliert werden können, könnte die notwendige Legitimität bringen.
Wir bestreiten deshalb die Rechtmäßigkeit des Betriebes von Morsleben; denn das Recht auf Verfahrensteilhabe ist ebenso wie der Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit ein Grundrecht. Insbesondere widersprechen wir der Rechtsauffassung des BMU, daß, wenn ein Staat ein Endlager betreibt, er sich selbst überwacht und eine Bürgerbeteiligung deshalb nicht erforderlich sei. Weil Grundrechte betroffen sind, könnte dieses Parlament die Einlagerung zwar stoppen, sie aber ohne Beteiligung der Bürger nicht billigen.
Mit einer solchen Auffassung tritt die Bundesregierung im Fall von Morsleben nicht nur die Rechtsnachfolge der DDR an. So, wie die Bundesregierung den Bürgern das Grundrecht auf Verfahrensbeteiligung beschneidet, tritt sie in diesem Fall auch in die Fußstapfen des vormundschaftlichen Staates. Glauben Sie mir: An dieser Ignoranz sind schon ganze Staaten zugrunde gegangen.
Roll Köhne
Wir unterstützen deshalb - das ist unser Fazit - den Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Wir fordern den sofortigen Einlagerungsstopp. Wir fordern eine Umweltverträglichkeitsprüfung und die Veröffentlichung der bis heute gewonnenen Untersuchungsergebnisse.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Kollege Wolfgang Behrendt, SPD.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich mit einem Zitat beginnen. Die Bundesregierung hat im Jahr 1994 erklärt, daß durch die Einlagerung der Abfälle im sogenannten Endlager Morsleben ab Januar 1995 deutlich werde, daß auch das Problem des endgültigen Verbleibs der radioaktiven Reststoffe gelöst sei. Diese Äußerung und die Tatsache, daß wir heute neu über das Endlager Morsleben diskutieren müssen, machen deutlich, daß wir hier nur einen Bankrott der Entsorgungspolitik der Bundesregierung konstatieren können.
Die Bundesregierung hat es versäumt, ein vernünftiges entsorgungspolitisches Konzept zu erarbeiten. Sie lebt im Grunde nur von der Hand in den Mund. Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, seien Sie ehrlich: Sie halten nur deshalb stur an Morsleben fest, weil das sozusagen der einzige Aktivpunkt in Ihrer Bilanz ist. Sonst haben Sie nichts aufzuweisen.
Die Tatsache, daß Sie auch in Gorleben und Salzgitter Probleme haben, daß die Erschöpfung der Zwischenlagerkapazitäten in den Atomkraftwerken droht, daß es in externen Zwischenlagern auch bald zu Engpässen kommen wird, macht deutlich, daß es bisher auf der Seite der Regierung keinerlei Ansatz für ein vernünftiges Entsorgungskonzept gibt, daß Sie bisher auch nicht bereit sind, weiter nach Lagermöglichkeiten in anderen Bundesländern zu suchen, und daß Sie im Grunde den Versuch unternehmen, sich auf wenige Lager, auf zwei Bundesländer zu konzentrieren - mit dem Ergebnis, daß dies auch von der Bevölkerung nicht wird akzeptiert werden können, weil denkbare Alternativen nicht untersucht worden sind.
Herr Kollege Behrendt, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, bitte schön.
Bitte, Herr Kollege Grill.
Herr Kollege Behrendt, wie beurteilen Sie in dem Zusammenhang dieses Vorwurfs an die Bundesregierung den einstimmigen Beschluß des Bundes und der Länder vom Oktober 1990, also auch aller SPD-regierten Länder, ein Lager für nichtwärmeentwickelnde Abfälle - Stichwort Schacht Konrad - sofort in Angriff zu nehmen und in die Tat umzusetzen, und in diesem Zusammenhang die Art der Verweigerungshaltung und der Verzögerungstaktik der niedersächsischen Landesregierung?
Ich weiß, daß es Ihr besonderes Steckenpferd ist, die niedersächsische Landesregierung an den Pranger zu stellen und so zu tun, als liege hier allein die Wurzel allen Übels. Die Wurzel des Übels liegt darin, daß Sie kein wirklich entsorgungspolitisches Konzept entwickeln und nicht alle denkbaren Möglichkeiten entsprechend untersuchen, sondern sich lediglich auf wenige Standorte kaprizieren, deren Problematik Sie durchaus kennen.
Kollege Behrendt, lassen Sie noch eine weitere Zwischenfrage zu?
Ich will meinen Beitrag jetzt ohne Unterbrechung zu Ende führen.
Ich nenne Ihnen deutlich unsere Positionen: Wir halten es erstens angesichts der ungeklärten Endlagerungsproblematik für notwendig, den Ausstieg aus der Kernenergie jetzt sorgfältig vorzubereiten. Wir wissen, daß damit die Endlagerungsprobleme auch nicht ad hoc beseitigt sind, wir wissen aber auch, daß ein Ausstieg ein Anwachsen dieser Probleme verhindern würde. Ihre Politik wird dazu führen, daß sie in unabsehbarer Form anwachsen werden.
Wir sind zweitens der Auffassung, daß die Entsorgungsanlagen nicht auf ein oder zwei Bundesländer konzentriert werden dürfen, sondern daß es hier eine vernünftige Lastenaufteilung geben muß.
Ich fordere die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien auf, Standorte mit unterschiedlichen geologischen Formationen zu untersuchen, um tatsächlich zu objektiven Ergebnissen und zu Lösungen zu kommen, die auch von den Betroffenen akzeptiert werden können.
Wir sind drittens der Meinung, daß nur nach Abschluß aller Erkundungen endgültige Entscheidungen über einzelne Standorte fallen dürfen.
Wolfgang Behrendt
Die Bundesregierung hat es versäumt, ein vernünftiges Endlagerkonzept zu entwickeln. Ihre Energiepolitik und ihre Entsorgungspolitik sind nicht dazu angetan, den zukünftigen Herausforderungen gerecht zu werden. Wir brauchen deshalb ein vernünftiges Konzept, das nicht nur auf sichere Endlagerungsmöglichkeiten, sondern auch auf eine umweltverträgliche Energieversorgung für die nächsten Jahre und eine entsprechende Nutzung aller Ressourcen, die wir im Bereich der Energieeinsparung haben, ausgerichtet ist.
Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, setzen hier weiterhin auf den ungehemmten Ausbau der Atomenergie, und damit werden Sie die Probleme nur potenzieren.
Herr Kollege Grill, Sie haben sich noch einmal zu Wort gemeldet. Sie haben es sofort. So prompt sind wir hier.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Behrendt, es kann hier nun wirklich nicht so unwidersprochen stehenbleiben, wenn sich hier jemand hinstellt und jenseits aller Realitäten und Vereinbarungen von einem Konzept redet, das nicht vorhanden sei, der Bundesregierung schwerwiegende Vorwürfe macht und vollkommen vergißt, daß alle Beschlüsse, die zur Frage der Entsorgung in Deutschland gefaßt worden sind - angefangen unter der Führung von Helmut Schmidt 1979 über 1981 bis hin zur Bund-Länder-Entscheidung 1990 -, unter Beteiligung der sozialdemokratisch geführten Länder getroffen worden sind.
Ich sage noch einmal, Herr Ministerpräsident Schröder und die Ministerpräsidentenkonferenz unter der Führung durch Johannes Rau haben sich für eine intensive Nutzung des Schachtes Konrad ausgesprochen, haben die Bundesregierung aufgefordert, das schnellstmöglich umzusetzen. Nur in diesem Zusammenhang wird doch die Tatsache virulent, daß die Leute, die das beschlossen haben, selber eine Verzögerungstaktik betreiben.
Dabei ist interessant, daß im niedersächsischen Landtag - nun hören Sie mir bitte gut zu - die Sozialdemokraten mit der CDU zusammen den Antrag der Grünen, das Planfeststellungsverfahren für den Schacht Konrad abzubrechen, abgelehnt haben. Ich sage Ihnen, daß der Ministerpräsident des Landes Niedersachsen den Schacht Konrad bis zum heutigen Tage für nutzungsfähig hält. Alles andere können Sie nachlesen. Ich empfehle Ihnen die Lektüre und sich nicht hierherzustellen und an Konzepten Kritik zu üben, die Sie selber zu verantworten haben. Das als erstes.
- Aber natürlich ist das das Konzept. Herr Kollege Schmidt, Sie wissen das doch ganz genau.
Das zweite ist, meine Damen und Herren: Bevor Sie hier an diese Stelle treten und die Bundesregierung auffordern, alternative Standorte zu benennen, klären Sie doch einmal in Ihrer Partei, wer von Ihnen bereit ist, einen alternativen Standort zu akzeptieren!
Ich verweise in diesem Zusammenhang auf die Diskussion zwischen Herrn Schröder, Herrn Spöri und Herrn Schäfer. Herr Schröder und Frau Griefahn sind doch in Baden-Württemberg gewesen und haben darum gebeten, daß im Schwarzwald Granit untersucht wird. Spöri und Schäfer haben beide nach Hause geschickt und gesagt: Macht das mal schön in Gorleben, bei uns im Schwarzwald wird nichts untersucht!
Oder soll ich Ihnen den Entschließungsantrag der SPD-Landtagsfraktion aus Mecklenburg-Vorpommern vorlesen, die bei Benennung des Bundesamtes für Geowissenschaften und Rohstoffe in bezug auf mögliche Alternativen als allererstes den Beschluß gefaßt haben: „Mecklenburg-Vorpommern darf nie das Atomklo der Bundesrepublik Deutschland werden "?
Das heißt, Sie zeichnen sich genauso wie BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN durch folgendes aus - ich weiß, worüber ich rede, meine Damen und Herren -: Sie fordern alternative Standorte, andere Medien, und da, wo es stattfinden soll, stehen Ihre Parteifreunde und sagen: Nein danke! Das ist Ihre Art von Entsorgungspolitik.
Sie haben überhaupt kein Recht und keine moralische Legitimation, dieser Bundesregierung den Vorwurf zu machen, sie hätte kein Konzept.
Sie sind, Herr Schmidt, überhaupt nicht in der Lage, an irgendeiner Stelle dieser Republik -
Die Zeit, Herr Kollege!
- Handlungsfähigkeit nachzuweisen. Sie verbreiten Lügen. Das ist das einzige Konzept, das Sie haben.
Jetzt spricht für die Bundesregierung Herr Staatssekretär Hirche.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist schon erstaunlich, wie vergeßlich die Sozialdemokratie geworden ist. Ich glaube, Sie kennen ihren großen Parteitagsbeschluß von 1957 nicht mehr, der die Ara der Kernenergie in Deutschland eingeläutet hat.
Sie sind damals davon ausgegangen - ich sehe noch diesen schönen Beschluß, der übrigens die Überschrift „Atom macht frei" trug -, daß Sie, wenn ausreichend Energie zur Verfügung steht, in der Gesellschaft mehr verteilen und mehr Gerechtigkeit herstellen können.
Herr Kollege Schmidt hat das gemeinsam mit mir im niedersächsischen Landtag noch vertreten.
Er hatte damals eine andere Auffassung auch zu Konrad, als er hier heute vorgetragen hat.
Diese Bundesregierung hat ein klares Konzept für die Entsorgung der atomaren Abfälle in der Bundesrepublik Deutschland. Das betrifft die Frage der schwachaktiven atomaren Abfälle; da läuft das Planfeststellungsverfahren vorschriftsmäßig. Knüppel zwischen die Beine versucht die niedersächsische Landesregierung zu werfen. Auch das Erkundungsverfahren in Gorleben läuft vorschriftsmäßig.
Herr Kollege Behrendt, genau das, was Sie gefordert haben, nämlich eine endgültige Entscheidung erst nach Abschluß der Untersuchung zu treffen, will die Bundesregierung machen. Wir haben immer gesagt: Wir wollen Gorleben weiter untersuchen, damit nach der Untersuchung geklärt werden kann, ob der Salzstock in Gorleben als Endlager geeignet ist oder nicht. Dazu werden wir auch kommen.
Herr Staatssekretär - -
Nein. - Bundeskanzler Schmidt hat seinerzeit - -
- Moment, Herr Schmidt, wer hat diese Diskussion denn angefangen und ausgeweitet? Ich komme gleich auf Morsleben zu sprechen. Seien Sie mal ganz ruhig, und werden Sie nicht nervös, wenn man Ihre ganze Konzeption versucht aufzupiksen und als sehr durchsichtig darstellt! Sie haben die ganze Sache angerührt, und jetzt wollen Sie andere dafür haftbar machen, daß Sie Ihre eigene Meinung geändert haben.
Meine Damen und Herren, zu Morsleben möchte ich folgendes sagen: Es ist doch so, daß diese Bundesregierung nicht deshalb handelt, weil sie sich irgend etwas ausgedacht hat, sondern weil der Deutsche Bundestag, die erste Gewalt im Staate, im Rahmen des Einigungsvertrages beschlossen hat, Morsleben fortzuführen.
Meine Damen und Herren, es ist eine typische, aber trotzdem bedenkliche Erscheinung, daß die Sozialdemokraten, die dem Einigungsvertrag zugestimmt haben, versuchen, sich jetzt aus den Konsequenzen, die damit beschlossen worden sind, herauszustehlen.
Ich weiß gar nicht, was die Bürger von einer Partei, von einem Bundestag insgesamt denken sollen, der einige Jahre danach versucht zu sagen: Das war alles nicht so gemeint. Diese Entscheidung im Rahmen des Einigungsvertrages halte ich auch heute noch für sachgerecht; denn es ging 1990 - auch heute - damm, nicht alles zu zerschlagen.
- Das ist vom Deutschen Bundestag geprüft worden, Herr Kollege Schmidt. Genau darum ging es.
Wegen einer fehlenden zusätzlichen formalen Prüfung wird im Hinblick auf die Langzeitlagerung noch einmal all das gemacht, was nach dem bundesdeutschen Recht für entsprechende Verfahren in der Bundesrepublik erforderlich ist. Es ist ganz selbstverständlich: Für den Fall - als Formulierung angenommen, aber nicht zugegeben -, daß sich herausstellen sollte, daß es ab 2000 nicht geeignet ist, wird dort nach unserer Gesetzeslage selbstverständlich nicht weiter abgelagert.
Das gilt auch für den unwahrscheinlichen Fall - dies nur angenommen, weil Sie es aufgeworfen haben -, daß eine Eignung überhaupt nicht gegeben ist; dann würden nach unserer Gesetzeslage natürlich entsprechende Konsequenzen gezogen.
Parl. Staatssekretär Walter Hirche
- Was heißt denn „Haha"?
Wir haben eine klare Gesetzeslage. Diese Bundesregierung handelt - im Unterschied zu den Behauptungen und Unterstellungen, die von Ihrer Seite gemacht werden - nach Recht und Gesetz; und dabei wird es bleiben. Wir werden uns von Ihnen nicht irritieren lassen.
Ich fand es nicht so ganz einwandfrei - Herr Kollege Behrendt, ich glaube, Sie waren es -, davon zu reden, hier werde im Zweifelsfall ein Sondergesetz versucht. Das reiht sich in eine Polemik ein, die ich aus Ihren Reihen ungern höre.
- Herr Schmidt, ich glaube, da stehen Sie Herrn Grill in nichts nach. Es ist eine Eigenschaft, die einem Redner manchmal ganz gut ansteht. Insofern wollen wir das nicht übertreiben.
Diese Art von Wortwahl sollten wir uns gegenseitig vielleicht ersparen. Denn solche Worte sind natürlich
- wie Sie genau wissen - mit historischen Reminiszenzen belastet. Ich möchte nicht, daß die Diskussion zwischen Fraktionen - welchen auch immer - hier im Hause durch solche historischen Reminiszenzen belastet wird. Wir werden uns weiterhin an Recht und Gesetz halten.
Ich weise das, was hier von seiten der Grünen im Zusammenhang mit dem Europäischen Gerichtshof und der EG gesagt worden ist, zurück. Meine Damen und Herren, am 1. Juli 1990 ist auf dem Gebiet der ehemaligen DDR das Umweltrahmengesetz in Kraft getreten. Dadurch wurde das Umweltrecht des Bundes auf die neuen Bundesländer übergeleitet. Dazu gehörte das UVP-Gesetz. Die UVP-Richtlinie der EG galt in den neuen Ländern dagegen erst ab 3. Oktober 1990. Jetzt kommt es: Eine unmittelbare Geltung der Richtlinie vor diesem Zeitpunkt ist deshalb auch nach Auffassung der Europäischen Kommission ausgeschlossen. Die UVP-Richtlinie gilt generell - so hat es jüngst der Europäische Gerichtshof noch einmal bestätigt - im übrigen nur für Verfahren, die nach dem 3. Juli 1988 eingebracht wurden. Davon kann hier überhaupt keine Rede sein. Weder die EG-Richtlinie noch das UVP-Gesetz begründen eine nachträgliche Pflicht zur Durchführung einer UVP; denn durch die Überleitungsregelung in § 57a des Atomgesetzes wurde keine neue Genehmigung erteilt und auch kein neues Verfahren eingeleitet.
Meine Damen und Herren, ich habe gesagt, anders sieht es bei dem 1992 eingeleiteten Planfestellungsverfahren hinsichtlich des Weiterbetriebs des Endlagers in Morsleben für die Zeit ab dem Jahre 2000 aus. Hier wird eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt. Das ist rechtlich und politisch ganz selbstverständlich. Es ist überhaupt nicht zutreffend,
daß die notwendigen Grunddaten etwa für ein Stilllegungskonzept fehlten. Ich kann auch sagen, daß bereits auf Grund von Untersuchungen in der ehemaligen DDR, aber auch auf Grund der Sicherheitsanalyse der Gesellschaft für Reaktorsicherheit aus dem Jahr 1990 so viele Daten vorliegen, daß man sowohl zur Langzeitsicherheit als auch hinsichtlich des Stillegungskonzeptes Aussagen treffen kann.
Meine Damen und Herren, alles, was hier dagegen vorgebracht wird, ist reine Polemik. Es ist ganz sicher, daß eine Endverwahrung im Sinne der einschlägigen Sicherheitskriterien erreicht werden kann. Aussagen zur Langzeitsicherheit enthält der letzte Sicherheitsbericht 1989/90 für das Endlager Morsleben.
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, ich möchte zum Ende kommen. - Maßstab für den Sicherheitsnachweis waren die internationalen Grundsätze der IAEO und die damals geltenden gesetzlichen Grundlagen der DDR. Diese Sicherheitseinschätzung ist durch die GRS 1990 bestätigt worden. Auch diese Analysen liefern keinen Hinweis, der Anlaß zur Besorgnis hinsichtlich der Sicherheit geben könnte.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung redet hier keine Sicherheit herbei, wie unterstellt worden ist. Die Daten sind vorhanden. Es ist abenteuerlich, wenn anderes gesagt worden ist. Ich bedaure sehr, daß in der richtigen, politisch korrekten Konjunktivform von Ihnen, Herr Behrendt - Sie sagten immer „würde, würde, würde", und dahinter kam die Unterstellung - versucht wurde, ein Gebäude aufzubauen, das die Unsicherheit erst erzeugt. Dieser Vorwurf geht in Ihre Richtung. Wir sind bereit, alles zu prüfen, was an echten Einwänden und Sorgen auf den Tisch kommt.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zusammenfassen: Eine Einstellung des Einlagerungsbetriebes in Morsleben ist weder aus rechtlichen noch aus sicherheitstechnischen Gründen gerechtfertigt. Der Betrieb erfolgt derzeit auf Grund einer gültigen Dauerbetriebsgenehmigung, die infolge sicherheitserhöhender Selbstbeschränkung des Betreibers nicht voll ausgeschöpft ist. Die sicherheitstechnischen Anforderungen werden vollständig eingehalten. Das 1992 beantragte Planfeststellungsverfahren für den Weiterbetrieb über 2000 hinaus wird nach Recht und Gesetz durchgeführt. Insoweit spielen die Aspekte der Langzeitsicherheit und der Stillegung eine besondere Rolle. Die Arbeiten sind längst angelaufen.
Parl. Staatssekretär Walter Hirche
Vor diesem Hintergrund entbehrt der Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN jeder Grundlage. Er ist reine Polemik nach dem Motto: „Irgend etwas wird schon hängenbleiben". Aber das werden wir nicht zulassen.
Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Dr. Wolf, PDS.
Sehr geehrter Herr Staatssekretär Hirche, ich wollte Ihnen eine Frage stellen. Sie hatten nicht die Kraft, eine Frage zuzulassen.
Deswegen gleich Klartext, und zwar drei Punkte: Ich glaube, es ist ziemlich billig, wenn Sie die Sozialdemokraten hier mit Verweisen auf die 50er Jahre vorführen, eine Zeit, in der die Worte „Atomkraft" und „Kernkraft" positiv besetzt waren, in der Atomversuche durchgeführt wurden und das Bikini-Atoll als Namensgeber für ein bescheidenes Textil herhalten mußte
- ich habe nicht davon geträumt; Sie verwechseln mich mit jemandem - und in der sich Marxistinnen und Marxisten eine weitere Entwicklung auch gar nicht anders als im weiteren Wachstum von Produktivkräften vorstellen konnten.
Zweitens. Es gab inzwischen eine Entwicklung, Herr Staatssekretär Hirche, die im Jahr 1973 mit Wyhl angefangen hat und mit Brokdorf, Gorleben und Wackersdorf weitergegangen ist. Am Ende dieser Entwicklung war klar, daß sie ein neues Bewußtsein in der Bevölkerung geschaffen hat, das heute in Mehrheiten mündet, die für einen Ausstieg aus der Kernkraft sind. Der gerade präsidierende Vizepräsident des Deutschen Bundestags, Herr Klose, hat damals als Hamburger Regierender Bürgermeister im Zusammenhang mit dem AKW Brokdorf den Satz geprägt, daß man hier einen staatsmonopolistischen Kapitalismus beobachten könne.
Dritter und letzter Punkt. Ihnen müßten doch zwei Punkte zu denken geben. Sie schwören auf privates Kapital und Mehrheiten im Volk. Erstens gibt es kein einziges privates Unternehmen auf der Welt, das bereit wäre, für Atomkraft volles Risiko von Anfang bis Ende zu übernehmen, weil sie nicht kontrollierbar ist. Immer muß hier die Gesellschaft einschreiten. Zweitens haben wir heute, spätestens seit Tschernobyl, klare Mehrheiten in der deutschen Bevölkerung für einen Ausstieg. Wenn es schon Mehrheiten gibt, dann sollten Sie ihnen in diesem Fall auch konkret Rechnung tragen.
Danke schön.
Ich frage Sie, Herr Staatssekretär, der guten Ordnung halber: Ich habe noch zwei weitere Kurzinterventionen. Könnten Sie danach antworten?
Ja, gerne.
Dann ist jetzt der Kollege Reinhard Weis an der Reihe.
- Nein, das können Sie nicht, weil ich jetzt dem Kollegen Reinhard Weis das Wort erteilt habe. Es tut mir leid.
Herr Präsident! Herr Staatssekretär, ich möchte klarstellen, daß ich mit dem Begriff „Sondergesetz" keine besonderen Assoziationen wecken wollte. Ich habe ihn im Zusammenhang mit der Feststellung gebraucht, daß dadurch, daß heute erkennbar ist, daß die Planfeststellungsunterlagen für das Land Sachsen-Anhalt offensichtlich nicht mehr Mitte 1996 zur Verfügung stehen werden, höchstwahrscheinlich auch die Auflage des Bundesverwaltungsgerichtes, die Eignung des Endlagers für den Zeitraum nach dem 30. Juni 2000 festzustellen, bis zu diesem Datum nicht mehr erfüllt werden kann und dann eine besondere Gesetzgebung den weiteren Umgang mit dem Endlager regeln müßte. Ich bitte darum, daß der Begriff „Sondergesetz" in diesem Zusammenhang nicht so polemisch bewertet wird.
Jetzt hat der Kollege Helmut Wilhelm das Wort zu einer Kurzintervention.
Der Herr Staatssekretär hat darauf hingewiesen, daß das Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung auf dem Gebiet der ehemaligen DDR erst am 3. Oktober in Kraft getreten sei. Zum gleichen Zeitpunkt, zur gleichen logischen Sekunde aber trat die Genehmigungsfiktion des Einigungsvertrages in Kraft, also zu einem Zeitpunkt, als das Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung nach Ihren eigenen Ausführungen bereits galt. Ich möchte darauf hinweisen, daß das Bundesverwaltungsgericht diese Norm des Einigungsvertrages in seiner Entscheidung als Genehmigungsfiktion qualifiziert und damit einer Genehmigung nach dem Atomgesetz gleichgesetzt hat.
Herr Staatssekretär.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst die Gelegenheit wahrnehmen, Herrn Minister Blüm herzlich zu gratulieren. Vor 20 Minuten ist sein erstes Enkelkind auf die Welt gekommen.
Herzlichen Glückwunsch. Ich denke, das ist würdig, daß es sich im Protokoll des Deutschen Bundestages findet, wenn wir schon über Dinge sprechen, die mehrere Generationen betreffen.
Herr Kollege Weis, ich nehme das, was Sie eben erläutert haben, gerne entgegen und freue mich, daß Sie diese Erklärung gegeben haben. Ich verstehe, daß Sie in diesem Zusammenhang Fragen und Sorgen angemeldet haben. Auf dieser Basis läßt sich gut diskutieren. Die Bundesregierung wird den Versuch machen, Ihnen gegenüber nachzuweisen, daß Ihre Sorgen und Ängste unbegründet sind.
Herr Wolf, ich finde es immer sehr putzig - das ist das Allerschönste -, wenn aus der PDS West Belehrungen - in diesem Fall nicht an die Bundesregierung, sondern an die SPD - oder Verwahrungen im Namen der SPD kommen. Etwas Erstaunlicheres kann ich mir eigentlich gar nicht vorstellen. Da muß eine sehr enge Realitätswahrnehmung vorliegen. Aber ich nehme es zur Kenntnis und habe auch schon andere Diskussionen erlebt.
Herr Wilhelm, ich bleibe auch nach Ihrer Intervention bei dem, was ich zur rechtlichen Situation hier vorgetragen habe. Es ist heute nicht das erste Mal, daß diese Auseinandersetzung stattfindet. Kollege Klinkert und ich haben auf viele Anfragen, die hier gestellt worden sind, die Rechtsauskünfte schon gegeben. Ich bleibe dabei, daß Sie diese Rechtslage kennen und daß die wiederholte Infragestellung der Rechtslage nicht einer Klärung dient, sondern der Versuch einer Verunsicherung vor dem Hintergrund der totalen Ablehnung von Kernenergie ist.
- Diese Meinung Ihrerseits, Frau Altmann, respektiere ich. Aber eine Meinung rechtfertigt noch nicht, jedes Mittel einzusetzen, d. h. etwa auch Rechtstatbestände zu verdrehen und Unsicherheit zu erzeugen.
Auf diese Weise instrumentalisieren Sie Angst für politische Zwecke, aber suchen nicht den Weg zur Wahrheit.
Ich schließe die Aussprache.Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 13/1378 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Außerdem soll die Vorlage dem Rechtsausschuß und dem Ausschuß.für die Angelegenheiten der Europäischen Union überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? -Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist die Überweisung so beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Robert Antretter, Wolf-Michael Catenhausen, Klaus Kirschner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENEntwurf einer Bioethik-Konvention des Europarates- Drucksachen 13/321, 13/1816 -Berichterstattung:Abgeordnete Peter Altmaier Margot von RenesseDazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vor.Nach interfraktioneller Vereinbarung soll die Aussprache eine halbe Stunde dauern. Es ist aber ebenfalls interfraktionell vereinbart worden, daß Redebeiträge zu Protokoll gegeben werden können. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Folgende Kolleginnen und Kollegen haben ihren Redebeitrag zu Protokoll gegeben, also von der Möglichkeit Gebrauch gemacht: der Kollege Peter Altmaier, CDU/CSU-Fraktion, die Kolleginnen Gudrun Schaich-Walch und Margot von Renesse von der SPD, der Kollege Volker Beck vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der Kollege Heinz Lanfermann (F.D.P.), der Kollege Dr. Uwe-Jens Heuer von der PDS und desgleichen die Bundesministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. S )
Andere Wortmeldungen liegen mir nicht vor.Dann kommen wir zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses zu dem Antrag der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN zu dem Entwurf einer Bioethik-Konvention des Europarates.Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 13/1839 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dieser Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD abgelehnt.Der Rechtsausschuß empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 13/1816 die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthal-*) Anlage 6
Metadaten/Kopzeile:
3908 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995
Vizepräsident Hans-Ulrich Klosetungen? - Mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD ist die Beschlußempfehlung bei Stimmenthaltung von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und PDS angenommen.Unter Nr. 2 seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 13/1816 empfiehlt der Rechtsausschuß, den Antrag der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 13/321 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD sowie zwei Stimmen der PDS bei zwei Enthaltungen aus der Gruppe der PDS angenommen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 15a bis 15c auf:
- Drucksache 13/742 —Überweisungsvorschlag:Finanzausschuß
InnenausschußRechtsausschußAusschuß für WirtschaftAusschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und EntwicklungHaushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GOb) Beratung des Antrags der Abgeordneten Christine Scheel, Manfred Such, Elisabeth Altmann , weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENMaßnahmen gegen Korruption - Drucksache 13/617 —Überweisungsvorschlag:Finanzausschuß InnenausschußRechtsausschußAusschuß für WirtschaftHaushaltsausschußc) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Ingomar Hauchler, Frank Hofmann , Ingrid Becker-Inglau, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPDEindämmung der internationalen Korruption - Drucksache 13/1717 —Überweisungsvorschlag:Finanzausschuß
Auswärtiger AusschußRechtsausschußAusschuß für WirtschaftAusschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und EntwicklungNach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die gemeinsame Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch und eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Frank Hofmann, SPD.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Korruption und Bestechung haben sich national und international zu einem Krebsgeschwür entwickelt. Millionenbeträge gehen der öffentlichen Hand an Einnahmen jährlich verloren. Millionenbeträge zahlen die öffentlichen Haushalte für überhöhte Rechnungen.
Der wirklich Betrogene ist der Steuerzahler; denn im Durchschnitt liegen die Preise bei abgesprochenen Auftragsvergaben um bis zu 30 % über den Marktpreisen. Der hessische Oberstaatsanwalt Schaupensteiner schätzt allein die durch Korruption und Absprachen im öffentlichen Bauwesen verursachten Schäden auf bundesweit ca. 10 Milliarden DM pro Jahr. Und wer zahlt? Der Steuerzahler.
Auffällig und neu an der Korruption ist der aggressive Einsatz von Schmiermitteln auch bei bisher als seriös geltenden Unternehmern, mußte der Korruptionsspezialist Schaupensteiner kürzlich bei einer Tagung berichten.
Sichtbar werden vorzüglich funktionierende Manipulationsverfahren und Handbücher mit Handlungsanweisungen für Bestechung. Wer hier noch die Schwarze-Schafe-Theorie vertritt und weiterhin die Augen vor der Wirklichkeit verschließt, verharmlost nicht nur, sondern trägt zur weiteren Ausbreitung von Korruption bei.
Meine Damen und Herren, es ist nicht hinnehmbar, daß sich Korruption in unserer Gesellschaft bis zur Salonfähigkeit einrichtet. Es ist nicht hinnehmbar, daß sich eine Autobahn neben dem Dienstweg entwickelt, die durch Korruption entsteht. Die SPD schlägt deshalb vor, Schmier- und Bestechungsgelder nicht länger auch noch steuerlich zu begünstigen.
Die jetzige Regelung verleiht der Korruption die Aura des Erlaubten. Sie hat fatale Wirkungen im Hinblick auf Steuermoral und Steuerwiderstand, und sie widerspricht der Werteordnung unserer Verfassung. Wir müssen vermeiden, .daß das, was die eine Hand des Staates, Staatsanwaltschaft und Polizei, bekämpft, durch die andere Hand des Staates, das Finanzamt, begünstigt wird.
Frank Hofmann
Unser Steuerrecht fördert nationale und internationale Korruptionspraktiken als übliches Geschäftsgebaren. Es kann doch nicht richtig sein, wenn wir die Bestechung mit steuerlichen Streicheleinheiten belohnen. Hier steht die Glaubwürdigkeit des Gesetzgebers auf dem Spiel.
Ich kenne die Argumentation der Gegenseite, unser Vorschlag widerspreche der Steuersystematik, das Steuerrecht sei noch nie mit Moral verknüpft gewesen, wie der finanzpolitische Sprecher der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion, Herr Hauser, in der Presse zitiert wird. Im Steuerrecht gelte der Grundsatz der wertneutralen Besteuerung.
Meine Damen und Herren, hier zeigt sich, wie weit sich die CDU/CSU-Bundestagsfraktion vom Bürger entfernt hat. Dafür hat der Steuerzahler zu Recht kein Verständnis.
Zum einen möchte ich darauf hinweisen, daß der Grundsatz der wertneutralen Besteuerung, wie er in § 40 AO zum Ausdruck kommt, nicht immer gilt, und er gilt auch heute nicht in allen Fällen.
Herr Kollege Hofmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Sehr gern.
Herr Kollege, darf ich Sie darauf hinweisen, daß die Wertneutralität oder Wertungsneutralität, die Sie gegenüber der CDU/CSU so vorwurfsvoll instrumentalisieren wollen, im Text der Abgabenordnung ausdrücklich festgelegt ist, und dies schon seit ewigen Zeiten?
Herr Staatssekretär Faltlhauser, ich gebe Ihnen insoweit recht, daß sie schon sehr lange festgelegt ist. Sie können aber nachlesen, wie die Wertneutralität entstanden ist, wie sie in der Reichsfinanzordnung etwa 1935 formuliert worden ist. Wenn Sie das verfolgen, werden Sie feststellen, wie das entstanden ist. Dann sollten wir uns auch im Finanzausschuß noch einmal darüber unterhalten.
Ich möchte darauf hinweisen, daß der § 40 AO so,
wie er jetzt ist, eine Entstehungsgeschichte hat.
Diese Entstehungsgeschichte müssen wir betrachten.
Das Gesetz gilt auch heute nicht in allen Fällen. So sind z. B. Geldstrafen seit jeher nicht abzugsfähig, und nach § 4 Abs. 5 Nr. 8 des Einkommensteuergesetzes werden Geldbußen, Ordnungs- und Verwarnungsgelder auch dann vom Steuerabzug ausgeschlossen, wenn sie dem Grunde nach Betriebsausgaben darstellen.
Herr Faltlhauser, Sie hören mir zu? Es zeigt sich also: Wenn die enge steuerjuristische Logik zu unsinnigen Ergebnissen führt und der ethischen Grundüberzeugung eklatant widerspricht, war auch schon bisher der Gesetzgeber in der Lage, sich für das Sinnvolle und Richtige zu entscheiden.
Ich fordere die Fraktionen der Regierungskoalition deshalb dazu auf: Tun Sie das auch hier, stimmen Sie für die Streichung der steuerlichen Abzugsfähigkeit von Schmier- und Bestechungsgeldern!
Sie behaupten, ein deutscher Alleingang sei nicht opportun. Er schade deutschen Firmen im internationalen Wettbewerb.
Ich möchte zwei Gegenargumente vortragen. Zum einen: Seit 18 Jahren sind die USA der einzige Staat, der ein Gesetz gegen die Bestechung im Ausland erlassen hat. Eine steuerliche Begünstigung ist in den USA ausgeschlossen, und die amerikanischen Firmen haben gelernt, wie man fast überall auf der Welt konkurrieren kann, ohne Bestechungsgelder zu zahlen. Ich meine, das können unsere innovativen Firmen auch leisten.
Zum anderen: In fast allen westlichen Industriestaaten sind die steuerlichen Regelungen schärfer als in der Bundesrepublik Deutschland. Von einem Alleingang könnte bei Annahme unseres Gesetzentwurfs keine Rede sein. Im Gegenteil: Derzeit spielt die Bundesrepublik eine Sonderrolle, durch die den deutschen Unternehmen im internationalen Vergleich ein massiver Wettbewerbsvorteil verschafft wird. Die deutschen Finanzämter interessieren sich nämlich nicht für Schmiergelder, die ins Ausland fließen. Meine Damen und Herren, das ist ein Freibrief für die internationale Korruption.
Nach den neusten Erkenntnissen, vorgetragen von Herrn Geiger von der OECD, sind Schmier- und Bestechungsgelder nicht abzugsfähig - das dürfte auch für Sie neu sein - in fünf der G-7-Staaten. In Frankreich, dem sechsten G-7-Staat, muß auch der ausländische Empfänger genannt werden, und Deutschland steht am Ende der Skala der G-7-Nationen. Nur noch Staaten wie Luxemburg, Belgien und Griechenland haben ähnlich großzügige Regelungen.
Die vom Finanzministerium noch immer vorgetragene Auffassung, daß die in den westlichen Industrienationen betrieblich veranlaßten Schmiergeldzahlungen grundsätzlich als Betriebsausgaben anerkannt werden, ist völlig veraltet und überholt. Ich fordere daher Sie, Herr Staatssekretär, hier auf, uns für die Diskussion im Finanzausschuß eine aktualisierte Übersicht vorzulegen, die auch die Erkenntnisse der OECD berücksichtigt.
Frank Hofmann
Fest steht: Die Bundesrepublik Deutschland ist weder Vorreiter in der Bekämpfung der Korruption noch Mitläufer. Nein, sie ist Bremser. Sie verschafft den deutschen Unternehmen Sonderrechte und erschwert die Bekämpfung der internationalen Korruption auch in den Entwicklungsländern.
Mit dem von uns eingebrachten Gesetzentwurf zur steuerlichen Korruptionsbekämpfung haben wir, hat das Parlament, Gelegenheit, die Bundesrepublik auch im internationalen Ansehen ein wichtiges Stück nach vorne zu bringen und den Anschluß an die übrigen G-7-Staaten wiederherzustellen.
Mit der jetzigen Regelung fördern wir die Korruptionskriminalität. Kriminalisten und Kriminologen wissen: Korruptionsdelikte entfalten Ansteckungs-, Nachahmungs-, Sog- und Spiralwirkungen. Wo ist in dieser Gesellschaft dann noch Platz für den ehrbaren Kaufmann? Wenn der redliche Unternehmer kalkuliert, hat er sich verkalkuliert, wenn der kriminelle Unternehmer schmiert.
Wer sagt, es gehe in unserer Exportwirtschaft heute nicht mehr ohne den Einsatz von Schmiergeldern, der muß wissen, daß erst die Nachahmungseffekte, die Sog- und Spiralwirkungen die Korruption auf das heute hohe Niveau gehievt haben. Die steuerliche Abzugsfähigkeit der Bestechungs- und Schmiergelder hat dazu beigetragen, daß wir und die Entwicklungsländer heute so tief im Korruptionssumpf stecken.
Die Industrie und die Wirtschaft müßten die eigentlichen Vorreiter der Korruptionsbekämpfung sein; denn sie wären die eigentlichen Gewinner. Sie könnten Kosten sparen und damit ihre Produkte billiger auf den Weltmärkten anbieten. Deshalb fordere ich Industrie und Wirtschaft erstens auf, sich zusammen mit uns für eine internationale Regelung zur Korruptionsbekämpfung einzusetzen. Die OECD-Richtlinie gegen die Korruption im internationalen Geschäftsverkehr ist hierbei ein wichtiger Schritt in diese Richtung. Ich fordere Industrie und Wirtschaft zweitens auf, die Korruptionsbekämpfung endlich zu einem Ziel im Rahmen ihrer Unternehmenskultur zu machen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wissen, Korruption ist auch Wegbereiter der organisierten Kriminalität. Nicht umsonst bezeichnet man in diesen Bereichen Geld auch als Knete, weil man damit Menschen weichmachen kann. Wir können aber den Schmiergeldstrom, der das Fahrwasser der organisierten Kriminalität ist, zum Austrocknen bringen. Gerade die CDU/CSU versteht sich doch sonst immer als die Partei, die es mit der Verbrechensbekämpfung besonders ernst nimmt. Hier und heute können Sie es unter Beweis stellen.
In unserem Gesetzentwurf räumen wir den Finanzbehörden ein besonderes Mitteilungsrecht in Sachen aktiver und passiver Bestechung ein. Das ist zwingend notwendig, wenn man die Korruption nicht nur
symbolisch, sondern tatsächlich bekämpfen will; denn bei der Korruption gibt es in aller Regel keinen Anzeigeerstatter. Deshalb hat das Steuergeheimnis in den eng umgrenzten Fällen zurückzutreten, wo Korruption öffentliche Rechtsgüter verletzt.
Meine Damen und Herren, ich kenne den Vorwurf, wir würden damit das Steuergeheimnis aushebeln. Nein, dies ist nicht der Fall. Wir sind uns der außerordentlichen Sensibilität in diesem Bereich sehr wohl bewußt. Deshalb haben wir das Informationsrecht der Finanzbehörden eng auf die Fälle der aktiven und passiven Bestechung eingegrenzt. Damit wird nicht das Steuergeheimnis gelüftet, aber trotzdem den Ermittlungsbehörden die Möglichkeit zum Tätigwerden eröffnet. Auch für die Finanzverwaltung hat unser Vorschlag große Vorteile. Er schafft Rechtssicherheit gerade für den einzelnen Finanzbeamten.
Ich sehe gute Chancen für die Initiative der SPD-Bundestagsfraktion; denn Fachleute von IHK, Handwerkskammer und Staatsanwaltschaften unterstützen unsere Vorschläge, und die Parteien bewegen sich. Ich erinnere hier an den F.D.P.-Parteitagsbeschluß, jüngst in Mainz gefaßt. Ich hoffe, Herr Thiele, die F.D.P. bleibt nicht auf halber Strecke stecken.
Auch die Bayerische Staatsregierung will - so ist in der „Bayerischen Staatszeitung" vom 5. Mai 1995 zu lesen - den Abzug von Schmiergeldzahlungen als Betriebsausgaben im Steuerrecht generell ausschließen. Finanzstaatssekretär Zeller wird mit den Worten zitiert: „Wer Korruption ächten will, muß auch im Steuerrecht klar Position beziehen." Recht hat er, liebe Kolleginnen und Kollegen der CSU. Schließen Sie sich den Worten Ihres bayerischen Finanzstaatssekretärs an! Stimmen Sie unserer Initiative zu! Denn unser Gesetzentwurf zur steuerlichen Korruptionsbekämpfung ist ein wichtiger Beitrag zur Bekämpfung des Krebsübels Korruption, dient der Wiederherstellung der Steuermoral und der gerechten Behandlung der Entwicklungsländer. Die Ermittlungsbehörden brauchen ihn dringend zur wirkungsvollen Verbrechensbekämpfung.
Deshalb: Nehmen wir dem Geld seine bestechenden Eigenschaften! Streichen wir die Abzugsfähigkeit von Schmier- und Bestechungsgeldern aus unserem Steuerrecht!
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat die Kollegin Christine Scheel, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.
- Wenn es denn so war, gratuliere ich herzlich. Aber ich kann erst gratulieren, wenn ich es weiß.
Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Korruption wächst und gedeiht, Korruption in den deutschen Amtsstuben, im internationalen Geschäftsverkehr und auch bei Regierungsaufträgen. Dies ist mittlerweile fast täglich in den Zeitungen nachzulesen.
Wir haben uns in den letzten Monaten bei Staatsanwaltschaften informiert, die uns mitgeteilt haben, daß die Zahl der Fälle zunimmt. Dies hängt natürlich auch damit zusammen - das muß man ehrlicherweise einschränkend sagen -, daß heute mehr ermittelt wird, als dies noch vor einigen Jahren der Fall war. Allerdings ist unklar, wie groß der Zuwachs ist. Man wird sehen, zu welchem Ergebnis die Statistiken, die im Moment erst aufgebaut werden, kommen.
Fest steht, daß Korruption im nationalen und internationalen Geschäftsverkehr System hat und daß es hier mehr oder weniger ausgefeilte Praktiken gibt, die für die Steuerbehörden, für die Staatsanwaltschaften und auch für die Partner im Geschäftsleben mittlerweile immer schwerer durchschaubar sind.
Fest steht auch - das muß man in diesem Zusammenhang leider immer wieder ansprechen -, daß Korruption der geeignetste Einstieg zur Unterwanderung des Rechtsstaates ist und zu einer ernsten Bedrohung der moralischen Grundlagen unserer Gesellschaft führt. In dieser Aussage sind wir uns auch fraktionsübergreifend, denke ich, einig.
Fest steht ferner - ich hoffe, daß wir uns darin ebenfalls einig sind -, daß Korruption in internationalen Entwicklungsprogrammen dazu geführt hat, daß viele Projekte untergraben wurden und kontraproduktive Entwicklungen mehr oder weniger vonstatten gegangen sind über Aufträge, die überdimensioniert waren, nicht notwendig gewesen wären und die viele Länder noch stärker in die Verschuldung hineingetrieben haben, als es leider sowieso schon der Fall war.
Fest steht auch, daß Korruption eines der größten globalen Hindernisse für die wirtschaftliche und die politische Entwicklung ist und daß sie im Geschäftsverkehr zu erheblichen ökonomischen Kosten führt.
Vor Jahren war es noch so, daß bei der Auftragslage etwa 5 % des Volumens als Schmiergelder angesetzt und mitverrechnet wurden. Nach Aussagen von Leuten, die in diesem Bereich arbeiten und nachforschen, sind wir mittlerweile auf Zahlen gestoßen, die bis zu 30 % gehen. Dies hat fatale Auswirkungen auf die wirtschaftspolitische Gestaltung und überhaupt auf die Markte gerade auch im Zusammenhang mit dem internationalen Handel.
- Jetzt kommt es. Passen Sie auf.
Wir werfen der Bundesregierung vor, daß sie in den letzten Jahren nichts Konkretes - ich betone: nichts Konkretes - unternommen hat, um die Korruption im In- und Ausland systematisch zu unterbinden. Es gäbe die Möglichkeit, daß Behörden eine Mitteilungspflicht bekommen; sie könnte viel stärker ausgebaut werden. Es gäbe auch die Möglichkeit einer Prüfung des Tatbestandes Haushaltsuntreue. Man versucht, das Ganze immer wieder zu umgehen, und sagt: „Die bestehende Gesetzeslage reicht aus", obwohl Richter, Staatsanwälte, Polizei und Finanzbehörden wissen, daß es in diesem Bereich genug Lücken gibt, die es zu schließen gälte.
Wir wissen auch, daß die Korruption erst etwa seit dem letzten Jahr in den Kriminalitätsstatistiken der Polizei extra ausgewiesen auftaucht. Das ist ein kleines Problem, was die Ermittlungen und auch die Statistik betrifft, das ist vollkommen klar. Das Problem wurde aber mittlerweile erkannt, und die Korruption wird jetzt extra ausgewiesen, d. h., es wird uns in den nächsten Jahren hilfreich sein, daß wir wenigstens die Datenlage einigermaßen klar haben.
Wir finden es jedoch ungeheuerlich - das ist der zentrale Punkt -, und - ich sage das einmal ganz flapsig - ich finde es schon fast pervers, wenn auf der einen Seite der Gesetzgeber Polizei und Justiz auffordert zu ermitteln und die Verfolgung von Korruptionsfällen verlangt, auf der anderen Seite aber die steuerliche Abzugsfähigkeit von Schmiergeldern auch noch ausdrücklich bestätigt wird.
Genau das ist der zentrale Punkt, wenn es um die Moral und die Grundhaltung in dieser Gesellschaft bei dieser Frage geht.
Ich setze Ihnen noch einen drauf: Das gipfelt in der Aussage des Bundesamtes für Finanzen: Kosten - gemeint sind die Schmiergeldzahlungen - werden in Form nützlicher Abgaben - das sind die Betriebsausgaben - bei der Kalkulation des Auftragsentgeltes berücksichtigt.
Des weiteren - so heißt es - würde das steuerliche Abzugsverbot Exportunternehmen bis zur Gefährdung von Arbeitsplätzen benachteiligen. Das bedeutet, daß hier die Arbeitsplätze herangezogen werden, um dieser bestehenden Praxis - ich sage es bewußt so - weiter Vorschub zu leisten.
Der Kollege Frank Hofmann hat die OECD-Aufstellungen angesprochen. Ich versuche dies so, wie ich es mir gedacht habe, zu ergänzen: Es ist faktisch so, daß zehn Länder, Herr Staatssekretär Faltlhauser, Korruption bei in- und ausländischen Geschäften bestrafen. Dazu gehören nicht nur die USA, sondern dazu gehören interessanterweise - für mich war dies bis vor wenigen Tagen neu - auch Japan, Dänemark und das Vereinigte Königreich. Es gibt noch eine zweite Kategorie. Dazu gehören sechs OECD-Länder, die verlangen, daß auch im Ausland ein Empfänger angegeben wird. Dazu zählen z. B. Australien, Österreich, Schweden und Finnland. Nur in vier Ländern - Herr Hofmann hat sie bereits genannt; ich kann darauf verweisen -, also in drei Ländern außer der Bundesrepublik Deutschland, ist dies nicht notwendig.
Christine Scheel
Ich sage Ihnen ganz klar: Ich bezeichne dies als einen unzeitgemäßen Merkantilismus, der den Vorstellungen von Moral und einem ehrlichen Wettbewerb ganz klar widerspricht. Es ist unsere Aufgabe als Parlament, sowohl alle Mittel im Steuerrecht als auch die Organisation und die Zusammenarbeit der zuständigen Behörden zu Hilfe zu nehmen. Dazu gehören die Staatsanwaltschaft genauso wie das Kartellamt, die Finanzbehörden und all diejenigen Gremien - Steuerfahndung, Rechnungshof -, die an Daten herankommen können. Es müssen Daten offengelegt werden können. Es muß eine Vernetzung, die Sie oft in anderem Zusammenhang wünschen - ich denke an die Innenpolitik -, stattfinden, um diesen Sumpf der Bestechung, von dem ich befürchte, daß er sich weiter ausweitet, austrocknen zu können.
Es ist Aufgabe der Bundesregierung, ihrer Verantwortung hier gerecht zu werden. Wir brauchen konkrete Initiativen und gesetzliche Vorgaben auf nationaler, aber auch auf internationaler Ebene. Wir haben sie in unserem Antrag sauber formuliert. Wir waren die ersten, die einen solchen Antrag gestellt haben. Ich gehe davon aus, daß auch Sie der Auffassung sind, daß Korruption keine Kaffeetassenkriminalität ist.
- Wir haben unseren Antrag zuerst eingereicht, Sie müssen einmal auf die Drucksachennummer sehen.
- Das ist nicht mein Problem.
Auf jeden Fall sind die einzelnen Maßnahmen in diesem Antrag dargestellt. Ich hoffe, daß wir sie ausführlich diskutieren und daß diejenigen aus der Koalition, die in den letzten Wochen bestimmten Medien gegenüber geäußert haben, daß man in diesem Land gegen Korruption vorgehen muß, diese Ansicht auch bei den Ausschußberatungen und der Endabstimmung zu diesem Antrag zum Ausdruck bringen.
Vielen Dank.
Frau Dr. Höll, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit den heute zu beratenden Vorlagen unternimmt die Opposition einen wiederholten Versuch, Maßnahmen zur wirksamen Bekämpfung von Korruption und Bestechung gesetzlich zu verankern. Durchforstet man die Drucksachen des Bundestages der letzten Jahre, so findet sich u. a. auch eine Anfrage der PDS aus der letzten Legislaturperiode.
Als Resümee meiner nochmaligen Sichtung der vielfältigen Anfragen, Vorschläge und Initiativen von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und meiner
Gruppe gehe ich allerdings mit sehr gedämpftem Optimismus in die Ausschußberatungen.
Vielleicht höhlt steter Tropfen doch noch einmal den Stein, und die Koalition bewegt sich. Aber ich glaube, hier können wir nicht sehr viel erwarten.
Als gelernte DDR-Bürgerin war ich ja bereit, die von dem Herrn Bundeskanzler an uns überbrachte Botschaft, daß sich mit der Wende Leistung nun für alle lohne, in der Praxis zu überprüfen. Leider erweist sich jedoch, daß Karl Marx in seiner Analyse wohl gründlicher war:
Die formale Möglichkeit, einen doch beachtlichen Anteil am gesellschaftlich erarbeiteten Reichtum durch eigene Leistung zu erlangen, bestehe für jede und jeden - eine wichtige Triebkraft menschlichen Handelns in der kapitalistischen Produktionsweise. Das ist ja das, was auch Herr Kohl damit ausgedrückt hat.
Die wissenschaftliche Begründung der sehr eingeschränkten Realisierungsmöglichkeiten durch Karl Marx hat aber Herr Kohl, denke ich, nie zur Kenntnis genommen. Wir durften in den letzten fünf Jahren sehr gründlich miterleben, wie das tatsächlich funktioniert. Dabei denke ich an Herrn Schneider in Leipzig oder an die vielfältigen Verkäufe der Treuhand von vormals volkseigenem Eigentum, d.h. Eigentum der Bevölkerung der DDR, für 'nen Appel und ein Ei an honorige Nadelstreifenherren aus den alten Bundesländern. Wo Geld ist, kommt immer noch etwas hinzu. Ich denke, der Volksmund trifft da den Nagel auf den Kopf.
Über das Wie wird meist geschwiegen. Kleine Begünstigungen oder Dankzahlungen bis in Millionenhöhe werden gedeckelt, denn eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus.
Wozu auch? Entgegen der öffentlich verkündeten Lauterkeit - massiv bekundet anläßlich nicht mehr zu vertuschender Affären - wird die Zahlung von Schmier- und Bestechungsgeldern nicht nur geduldet, sondern durch ihre steuerliche Absetzbarkeit als nützliche Abgaben staatlicherseits regelrecht befördert.
Derjenige, der soviel Geld besitzt, sich Vorteile bei Auftragsvergaben, bessere Kauf- und Verkaufsmöglichkeiten und Informationen zu kaufen, erhält de facto einen Teil seiner verauslagten Mittel vom Finanzamt zurück. Das heißt dann wieder: Die Allgemeinheit der braven Steuerzahler darf sich beteiligen, allerdings nur als tölpelhafte Zahler, die brav ihr Geld abgeben.
Zum Trost wird dann von seiten der Regierung verkündet - so sinngemäß die Antwort auf unsere Kleine Anfrage aus dem Jahr 1993 -: Die Streichung der Abzugsfähigkeit der nützlichen Abgaben könnte
Dr. Barbara Höll
zu einem Standortnachteil werden und zu Auftragseinbrüchen führen und die im Standortsicherungsgesetz eindrucksvoll zum Ausdruck gekommenen Bemühungen der Bundesregierung zur Sicherung und Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der bundesdeutschen Wirtschaft gefährden.
Statt sich endlich - wie in den Anträgen der SPD und der Grünen gefordert - national und international im Rahmen der OECD-Empfehlung vom vergangenen Jahr zu engagieren und beginnend mit der Änderung des Steuerrechts auch im Straf-, Zuwendungs- und Subventionsrecht entsprechende Schritte zur Korruptionsbekämpfung einzuleiten, gefallen sich die Koalition und die Regierung gemeinsam in scheinheiligen Beteuerungen.
Ich möchte dazu ein aktuelles Beispiel aus der gestrigen Sitzung des Haushaltsausschusses anbringen. Auf der Tagesordnung stand ein Antrag der PDS zur sofortigen Streichung der Schulden der 30 ärmsten Länder der Welt. Er wurde - für mich erwartungsgemäß - abgelehnt. Ein Hauptargument dafür - leider auch von seiten der SPD - war, daß genau ein solcher Schritt zu einer weiteren Bereicherung der reichen Oberschichten in diesen Staaten führe und Korruption dort befördere.
Unseren Vorschlag zur Installierung möglicher Fondslösungen und der Beförderung demokratischer Kontrollmechanismen vor Ort wischte die Mehrheit im Ausschuß vom Tisch, wohl wissend, daß nicht unerhebliche Bereicherungsquellen tatsächlich existierender privilegierter Oberschichten gerade im Wirtschaftsgebaren der Industriestaaten bestehen. Unterstützt wird dies politisch durch Portokassen wie beim Auswärtigen Amt in Millionenhöhe.
Zeit!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich komme zum Ende. - Die Frage der Bestechungs- und Schmiergelder ist eben nicht nur ein wirtschaftliches und moralisches, sondern tatsächlich auch ein demokratiezerstörendes oder -zersetzendes Problem. Der jetzige Zustand führt meines Erachtens tatsächlich zur Zersetzung der Gesellschaft und des individuellen Leistungswillens. Ich möchte deshalb ausdrücklich erklären, daß die PDS das Anliegen der vorliegenden Anträge unterstützt.
Ain Ende meiner Rede komme ich zurück zu Marx: Wenn schon Kapitalismus, dann bitte so organisiert, daß die ihm innewohnenden Triebkräfte noch wirken können und sich entfalten. Die Unterstützung der demokratischen Sozialistinnen und Sozialisten ist Ihnen dann gewiß.
Ich danke.
Das Wort hat Herr Professor Hauchler, SPD.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muß mit einer Entschuldigung beginnen. Wir haben unsere Reden nicht zu Protokoll gegeben. Das konnte ich auch gar nicht, weil ich mir nur Stichworte gemacht habe. Die Koalition hat ihre Reden zu Protokoll gegeben.
Für sie ist offenbar Korruption kein Thema.
- Wir wollten auch einen Beitrag zur Parlamentsreform dadurch leisten, daß wir das Parlament ernst nehmen bei einem so wichtigen Thema, auch wenn es am späten Abend behandelt wird. Wenn das nicht mehr möglich ist, können wir uns die Parlamentsreform sparen.
Herr Hauchler, darf ich Sie einen Augenblick unterbrechen?
Herr Präsident.
Es gibt die Möglichkeit, zu Protokoll zu geben, und es gibt die Möglichkeit, dies nicht zu tun. Aber aus der einen wie der anderen Verhaltensweise ein Werturteil abzuleiten ist, finde ich, nicht zulässig und entspricht nicht der Übung in diesem Hause.
Also, ich treffe dieses Werturteil, weil ich glaube, daß das Parlament die Möglichkeit haben muß, über ein so wichtiges Thema zu debattieren und sich auszutauschen, sonst hat das keinen Sinn, sonst können wir uns nur noch über abgegebene Reden verständigen.
Herr Präsident, da bin ich anderer Meinung als Sie.
Meine Damen und Herren, die OECD hat 1994 Empfehlungen zur Bekämpfung der internationalen Korruption verabschiedet. Die Bundesregierung hat zugestimmt.
Herr Kollege Hauchler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Thiele?
Nein, jetzt noch nicht; später gerne.
Die Bundesregierung hat diesen Empfehlungen zugestimmt, aber nichts unternommen.
Unsere Fraktion hat bereits 1993 einen Antrag eingebracht. Die Koalition hat unsere Empfehlung niedergestimmt, die steuerliche Abzugsfähigkeit von Bestechungsgeschäften abzuschaffen.
Dr. Ingomar Hauchler
Sie haben immer wieder argumentiert, wo alle bestechen, müsse auch die Bundesrepublik mitmachen. Wo englische und amerikanische Konzerne bestechen, müßten auch die deutschen Unternehmen bestechen können, und das müsse begünstigt werden.
Nun, dieses Argument ist ja widerlegt. Frank Hofmann und Frau Scheel haben dargelegt - das ist ja in OECD-Listen jetzt festgehalten -, daß eben dieses Argument nicht stimmt. Es ist so, daß wir praktisch ganz am Schluß der Staaten, die dieses Problem überhaupt angehen, stehen.
Wir ziehen also als große Industrienation aktiv Vorteil aus dieser Situation.
Meine Damen und Herren, es entsteht großer Schaden durch internationale Korruption. Das werden Sie auf dieser Seite des Hauses auch nicht bestreiten wollen. Der internationale Wettbewerb wird verfälscht, die Marktfunktionen werden erheblich eingeschränkt, ja gar in ihr Gegenteil verkehrt. Wo der Markt keine Wettbewerbsordnung und keinen Wettbewerbsschutz hat, löst sich Wettbewerb immanent selbst auf.
Die optimale Allokation durch freie Preisbildung durch Konkurrenz wird gestört, und das ist ein ökonomischer Schaden von Riesenausmaßen.
Ein zweiter Schaden: Das Rechtsbewußtsein wird weltweit ausgehöhlt, nicht nur die geschäftliche Moral - das wäre ja nicht das Schlimmste -; das hat aber auch Auswirkungen auf die gesamte gesellschaftliche Moral. Wo die Großen das in ihrem Interesse tun, werden die Kleinen sich nicht abhalten lassen. Warum sollte sich eigentlich der Bürger noch an Regeln halten, wenn der Staat ein solches Verhalten der großen Konzerne unterstützt?
Ein dritter Schaden: Die internationalen Handelsbeziehungen werden dadurch belastet. Es kommt praktisch zu einem Kampf der Staaten um Märkte. Nach einer liberalen Auffassung haben die Unternehmen und nicht die Staaten um Märkte zu konkurrieren. Die Korruption leistet der Belastung der internationalen Handelsbeziehungen Vorschub.
Vierter Schaden: Es kommt zu einer schweren Fehllenkung von Mitteln der öffentlichen Entwicklungszusammenarbeit und auch zu überhöhten Kosten der Entwicklungsprojekte, weil natürlich die sogenannten Provisionen, wie das manchmal genannt wird, und die Bestechungsgelder mit in den Preis einkalkuliert werden.
Es entsteht also ein schwerer Schaden. Die Effizienz staatlicher Mittel der Entwicklungszusammenarbeit wird gemindert.
Herr Faltlhauser, das nächste Argument richte ich direkt an Sie: Das reißt doch auch ein Riesenloch in die Staatskasse.
Ist der Finanzminister nicht mehr für die Staatskasse verantwortlich? Sind Sie nicht in einer Zeit der Finanzkrise verantwortlich, daß diese Löcher gestopft werden? Warum greifen Sie in die Tasche des kleinen Steuerzahlers, um die reichsten Minister und Eliten in Entwicklungsländern mit dem zu bedienen, was die Steuerzahler dann dafür teilweise mit bezahlen müssen?
Es entsteht also schwerer Schaden, und es gibt Gewinner und Verlierer in diesem Geschäft. Die Gewinner sind wenige große Konzerne und reiche Eliten in den Entwicklungsländern. Sie spielen bei diesem Geschäft zusammen. Die Verlierer sind die kleinen und mittleren Unternehmen, die bei diesen Praktiken gar keine Chance mehr haben; es sind jene in den Entwicklungsländern, die auf effiziente Hilfe angewiesen sind; es sind die Steuerzahler; und es ist die internationale Gemeinschaft insgesamt, weil durch solche Maßnahmen tatsächlich der Zusammenhalt, das Rechtsbewußtsein international zersetzt werden.
Die SPD fordert von der Bundesregierung endlich energisches Handeln. Überlegen Sie sich das! Wir haben in dem von uns gestellten Antrag die verschiedenen Maßnahmen aufgezählt.
Ich denke, die Bundesregierung muß sich wirklich entscheiden. Sie muß ihre Haltung überdenken. Das Ministertrio, das hier vor allem betroffen ist - der Finanzminister, der Entwicklungsminister, der Wirtschaftsminister -, muß endlich zusammenwirken, um hier nach vorn zu gehen.
Der Finanzminister muß sich entscheiden, ob er wirklich in die Tasche des Steuerzahlers greifen und sich verschulden will - man spricht von 10 Milliarden DM -, um Konzerne und korrupte Eliten zu bedienen und zu fördern, oder ob er unverzüglich diese kriminelle und marktwirtschaftswidrige Praxis stoppt.
Der Entwicklungsminister muß sich überlegen, ob er die von ihm hochgehaltenen Ziele der Entwicklungspolitik, nämlich vor allem Rechtsbewußtsein und Marktwirtschaft in Entwicklungsländern - die obersten Ziele von Herrn Spranger! -, jetzt revidieren will; denn wenn er im Kabinett dem zustimmt, wenn er nichts gegen diese Praxis tut, wird die Bundesregierung mit den von ihr hochgehaltenen Zielen und Kriterien völlig unglaubwürdig. Kein Mensch wird uns hinsichtlich solcher Kriterien noch ernst nehmen.
Er muß endlich im Kabinett dafür kämpfen, daß das zumindest im Entwicklungsbereich endlich gestoppt wird. Das ist seine Aufgabe.
Dr. Ingomar Hauchler
Der Wirtschaftsminister muß sich überlegen, ob er als Liberaler entgegen allen Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft und auch eines progressiven Liberalismus Wettbewerbsverzerrungen im Welthandel weiterhin Vorschub leisten oder ob er selbst Initiativen ergreifen will, um im Rahmen der OECD oder auch der G 7 endlich Vereinbarungen zu treffen, damit man hier tatsächlich einvernehmlich weiterkommt.
Meine Damen und Herren, ich denke, daß die Bekämpfung der internationalen Korruption ein Test auf die staatliche Handlungsfähigkeit ist. Sollen wir alles nur laufen lassen? Ist Korruption gottgegeben? Ist Spekulation gottgegeben? Ist denn alles gottgegeben, oder hat der Staat noch die Kraft, in diesen Fragen einzugreifen? Das ist wirklich seine genuine Aufgabe.
Die Zeit, Herr Kollege!
Ich bin bald am Ende.
Nicht bald, sondern in drei Sätzen!
Der Mensch ist in seiner ganzen Geschichte immer fehlbar gewesen. Wir alle sind egoistisch. Unternehmen wollen Geschäfte machen. Jeder versteht das. Nur, der Staat ist dafür da - das ist seine ureigenste Aufgabe -, die Grenzen zu ziehen, um Markt zu ermöglichen, um Handel flüssig zu machen und um einen Rest von geschäftlicher Moral und von Wettbewerb zu sichern. Überlegen Sie sich das einmal!
Vielen Dank.
Folgende Kolleginnen und Kollegen haben ihre Reden zu Protokoll gegeben: Dr. Susanne Tiemann, Dr. Winfried Pinger und Hans Michelbach, alle CDU/CSU-Fraktion, und Gisela Frick, F.D.P.-Fraktion.*) Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/742, 13/617 und 13/1717 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Sind Sie damit einverstanden? - Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Amke Dietert-Scheuer, Angelika Beer, Dr. Angelika Köster-Loßack, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
*) Anlage 7
Keine Hermes-Bürgschaften für Handelsgeschäfte mit dem Iran
- Drucksache 13/1620 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wirtschaft Auswärtiger Ausschuß
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fünf Minuten erhalten soll. Interfraktionell wurde auch vereinbart, daß Redebeiträge zu Protokoll gegeben werden können. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Folgende Kolleginnen und Kollegen haben ihre Reden zu Protokoll gegeben: Erich Fritz , Siegmar Mosdorf (SPD), Amke Dietert-Scheuer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN), Paul Friedhoff (F.D.P.), Winfried Wolf (PDS) sowie der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Kolb.*)
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 13/1620 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung soll beim Auswärtigen Ausschuß liegen. Sind Sie damit einverstanden? - Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe Zusatzpunkt 5 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Ergänzung des Pflegeversicherungsgesetzes
- Drucksache 13/99 -
Erste Beschlußempfehlung und erster Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
- Drucksache 13/1845 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Karl-Josef Laumann
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Redebeiträge können auch zu Protokoll gegeben werden. Kein Widerspruch? -
Ist das ein Widerspruch? - Bitte.
Herr Präsident! Ich will den Widerspruch so formulieren: Angesichts der Tatsache, daß der Bundesarbeitsminister am heutigen Tage zum erstenmal Opa geworden ist,
Anlage 8
Gerd Andres
würde es sich lohnen, die Aussprache durchzuführen. Wir verbinden diese Tatsache mit dem Hinweis, daß es sehr sinnvoll ist, sich nachdrücklich und ausführlich diesem ersten Enkelkind zu widmen und daraus entsprechende Schlüsse zu ziehen. Ansonsten sind wir einverstanden, daß alle Reden zu Protokoll gegeben werden.
Schönen Dank.
Dann ist das so beschlossen.
- Ich freue mich sehr über die Heiterkeit im Plenum. Es scheint überhaupt ein heiterer Tag zu sein. Auch so etwas muß es ja einmal geben.
Folgende Kolleginnen und Kollegen haben ihre Redebeiträge zu Protokoll gegeben: Karl-Josef Laumann , Gerd Andres (SPD), Andrea Fi-
scher , Dr. Gisela Babel (F.D.P.), Petra Bläss (PDS).*) Auch der Bundesminister Blüm hat mir gesagt, daß er seine Rede zu Protokoll gibt. Wir wünschen Ihnen einen schönen Abend.
Wir kommen dann zur Abstimmung über die erste Beschlußempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu dem Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Ergänzung des Pflegeversicherungsgesetzes. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe) - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen.
Wir sind damit, meine Damen und Herren, am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 30. Juni 1995, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.