Rede von
Dieter
Grasedieck
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! In jeder Woche läuft eine andere Sau durchs Dorf. Die Zeit ist dynamischer geworden, die Zeit ist hektischer geworden. Das hat man u. a. bei der Entwicklung des Jahressteuergesetzes von Herrn Waigel gesehen. An jedem Tag ist ein neuer Vorschlag eingebracht und in der Presse verkündet worden. Sie haben den Ballon des Jahressteuergesetzes im Februar aufgeblasen und dann immer wieder, Tag für Tag, Luft abgelassen und etwas neue Luft hinzugegeben.
Die Zeitungen schrieben z. B. am 18. März 1995: Waigel will Müllsteuer. Am 19. März schrieben sie: Waigel sieht Gewinn für Gemeinden bei der Müllsteuer. Und am 21. März schrieben sie: Waigel zieht die Müllsteuer zurück.
Dieter Grasedieck
- Sie lesen das „Handelsblatt" genauso wie ich, Herr Hauser.
Ihr konzeptionsloses Handeln verstärkt das Steuerchaos.
Es ist wirklich erschreckend, meine Damen und Herren, wie leichtfertig Sie mit dem Steuerrecht umgehen.
Im Wahljahr 1994 kündigte der Minister ein Steuervereinfachungspaket an, und am 14. Dezember 1994 sagte der Minister hier im Bundestag:
Die Philosophie eines schlanken Staates muß auch für unser Steuersystem gelten. Das Steuersystem muß wieder einfach und transparent werden.
Richtig; diese Worte kann man nur unterstützen. Aber wie setzt die Bundesregierung diese begrüßenswerte Feststellung um? Die Bundesregierung kündigt an, doch die Umsetzung fehlt vollständig.
Im Jahressteuergesetz ist kein Konzept erkennbar. Ziel müßte es doch eigentlich sein, wieder zu einem gerechten Steuerrecht zurückzukehren: Erstens. Das Steuerrecht muß für den Bürger verständlich und akzeptabel sein. Zweitens. Das Steuerrecht muß für die Verwaltung überschaubar und damit anwendbar sein.
Herr Uldall, Sie sagten vorhin: Wir sind für alle Diskussionen offen. An einer Stelle haben Sie das nicht gezeigt: Wir wollten über die Vorschläge der BareisKommission sprechen, hatten aber im Finanzausschuß keine Chance.
Welches Ziel verfolgt die Bundesregierung eigentlich durch die Einbringung dieses Steuergesetzes? Ihr Ziel wird an vielen Stellen deutlich, meine Damen und Herren von der CDU/CSU und von der F.D.P. Sie belasten die Kleinverdiener und den Mittelstand und entlasten die Großverdiener, auch wenn Sie das nicht gerne hören.
- Das können Sie glauben!
Es ist schon paradox, daß nach geltendem Recht ein Montagearbeiter für die ersten drei Monate eine Verpflegungspauschale von 46 DM und danach von 16 DM pro Tag absetzen kann, während er nach neuem Recht in den ersten drei Monaten 50 DM und danach nichts mehr absetzen kann.
Herr Waigel hat heute morgen gesagt: Wir brauchen leistungsbereite Arbeitnehmer. Aber die Bundesregierung bestraft die flexiblen Facharbeiter, die Bundesregierung bestraft die flexiblen Angestellten.
Sie bestrafen z. B. die Facharbeiter und die Angestellten, die für ein Jahr in den neuen Bundesländern arbeiten möchten.
Ich möchte Ihnen noch ein weiteres Beispiel nennen. Es ist unverständlich, daß Bauarbeiter bei wechselnden Baustelleneinsätzen keinen Verpflegungsaufwand absetzen können. Die Bauindustrie rechnet mit 2 Milliarden DM Mehraufwand. Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie wollen doch den Mittelstand unterstützen. Ich frage Sie: Ist das keine Belastung für den Mittelstand?
Wenn es darum geht, die Versorgungspauschale zu vereinheitlichen, sind wir an erster Stelle mit dabei. Auch das würden wir unterstützen. Nur: Gegen Kahlschläge und Schnellschüsse sind wir natürlich.
Die sogenannte Steuervereinfachung durch eine Kurzveranlagung ist ein reiner Etikettenschwindel. Was die Bundesregierung bei der Kurzveranlagung nicht alles angekündigt und versprochen hat! So sollten z. B. die Werbungskosten pauschaliert werden. Aber nach dem neuen Jahressteuergesetz müssen alle Werbungskosten detailliert aufgeführt werden: die Fahrten zwischen Arbeitsplatz und Wohnung ebenso wie die Reisekosten. Die Fachliteratur muß exakt benannt werden. Ihre Kurzveranlagung bezieht sich nur auf die sonstigen Sonderausgaben, ausschließlich darauf.
Diese Kurzveranlagung wird bei den Finanzämtern zu Mehrarbeit führen.
- Ganz sicher, weil ja eine Flut von Anträgen auf unsere Finanzämter zukommt, Herr Hauser.
Bei dem Begriff „Steuervereinfachungen" vermutet man im Normalfall, daß Regelungen zusammengefaßt oder gestrichen werden. Aber ganz anders gehen Sie vor, z. B. bei der Pauschalierung von Betriebsausgaben und bei der Pauschalierung von Werbungskosten bei Vermietung und Verpachtung. Hier fügen Sie noch ein Gesetz hinzu und pfropfen einen Erlaß auf.
Sie wissen ganz genau, daß das zu Streitigkeiten führen kann, beispielsweise dann, wenn ein Bürger drei Häuser hat. Er pauschaliert zwei Häuser; das dritte rechnet er detailliert ab. Die Streitigkeiten, die bei der Abgrenzungsdiskussion auftauchen können, sind vorprogrammiert. Das wird auch zu mehr Gerichtsverfahren führen.
Dieter Grasedieck
Sie gehen an dieser Stelle genauso wie beim § 10 e - Förderung des Wohneigentums - vor: Das Gesetz wird verabschiedet, immer neue Gesetze kommen hinzu, Erlasse kommen hinzu. Der Minister hat im Fernsehen von vier Seiten Gesetzestext und 60 Seiten Erlassen gesprochen. Ich frage Sie: Wissen Sie eigentlich, wie viele Veränderungen Sie seit 1987 nur an dieser Stelle eingebaut haben? - Es sind 49 Veränderungen. Die Steuergewerkschaft spricht von einem Paradebeispiel des Steuerchaos.
Durch die sogenannte Steuervereinfachung der Bundesregierung wird das Steuerchaos immer größer, das Steuergesetz immer komplizierter. Die Finanzämter überschreiten ihre Grenzbelastung. Die Finanzgerichte werden überlastet und überfordert.
Es ist natürlich möglich, über bestimmte Maßnahmen eine Steuervereinfachung zu erreichen. Wir haben uns über das Familienleistungsgesetz und über die 250 DM lange unterhalten. Das wäre z. B. eine Vereinfachung.
Zudem könnte die steuerliche Wohneigentumsförderung vereinfacht werden. Ihr Vorschlag sieht weiterhin den Abzug von der Bemessungsgrundlage und nicht von der Steuerschuld vor. Das bedeutet doch, daß Steuerpflichtige, deren Einkommen mit dem Spitzensteuersatz belastet wird, die größte Steuerersparnis haben werden. Sie haben Ihre Position nicht geändert.
Wir sind dagegen. Wir schlagen vor, etwas anders vorzugehen. Die SPD fordert den Abzug des Förderungsbetrages von der Steuerschuld, nicht von der Bemessungsgrundlage.
Durch diese Maßnahme wird das Finanzamt entlastet und auch die Bauindustrie gefördert; denn wir erfassen neue Gruppierungen.
Weiterhin fordern wir die Abschaffung des Dienstmädchenprivilegs; auch das wäre eine Vereinfachung.
Ihr Entwurf zum Jahressteuergesetz stellt niemanden zufrieden. Sie besitzen kein Konzept zur Steuervereinfachung. Ihre Grundhaltung, die Belastung des Mittelstandes und der Kleinverdiener bei gleichzeitiger Entlastung der Großverdiener wird deutlich; das habe ich zu beweisen versucht.
Die SPD-Vorschläge, die im Finanzausschuß eingebracht wurden, haben Sie nach dem Motto „Meine Meinung steht fest; bitte verwirren Sie mich jetzt nicht durch Tatsachen! " beantwortet.
Herr Faltlhauser, nehmen Sie die unsinnigen Vorschläge zurück! Unternehmen Sie endlich einen wirksamen Anlauf zur Steuervereinfachung!