Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Das Jahrhundertwerk des Theo Waigel sollte es werden; Wahlversprechen der Vergangenheit an die steuer- und auch an die abgabengeplagten Bürgerinnen und Bürger - die Abgaben darf man nämlich nicht vergessen - sowie jahrealte Urteile des Bundesverfassungsgerichtes sollten endlich eingelöst werden.
Es sind auch viele Steuergelder in aufwendige Expertisen eingeflossen, die nicht in diesen Entwurf Theo Waigels integriert wurden. Alle Vorschläge wurden in den Wind gesetzt. Wir müssen unter dem Strich leider feststellen: Außer Spesen nichts gewesen.
Steuerprivilegien werden nicht abgebaut, kosmetische Korrekturen durch die Einführung von Kurzveranlagung, Wahlrecht für Steuererklärungen nur alle zwei Jahre, einige Pauschalierungen bei Werbungskosten und Betriebsausgaben - das soll es gewesen sein? Uns reicht das nicht aus.
Die Perfektion der Kunst der steuerrechtlichen Vernebelung wird weiter gefördert. Auch von Steuervereinfachung, werte Herren, keine Spur! Außen vor bleibt der Familienlastenausgleich, außen vor bleiben leider auch die mehrfach angekündigte Klärung bei der Wohnungsbauförderung.
Wir fragen uns schon: Warum überhaupt diese Panik bei der dritten Stufe der Unternehmensteuerreform? Von der Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer profitieren - das ist mit Zahlen immer wieder belegt worden - nur sehr große Unternehmen. Mittelständische Unternehmen und Betriebe leiden unter den von Ihnen angestrebten Verschlechterungen bei den Abschreibungsmöglichkeiten.
Was wir brauchen, ist eine Gemeindefinanzreform, die ihren Namen verdient. Wir brauchen Förderprogramme für kleine und für mittelständische Unternehmen, die Arbeitsplätze schaffen helfen, die auch unter ökologischen Gesichtspunkten zukunftsfähig und innovativ sind. Dies erreichen wir nur über unsere ökologische Steuerreform. Ich freue mich, daß auch die SPD, wie sie gestern kundgetan hat, dieses Reformwerk jetzt in Angriff nehmen wird.
Lösen Sie den Bereich der sogenannten Gemeindefinanzreform aus dem Jahressteuergesetz heraus, und legen Sie bitte schön ohne Torschlußpanik ein
Konzept vor, das die Hoheit der Kommunen stärkt, ihre wirtschaftliche und ökologische Überlebensfähigkeit sichert und ordentlich mit den Vertretern und Vertreterinnen der Betriebskörperschaften beraten wurde.
Auch ihr halbherziger Versuch, die Bedingungen des Bundesverfassungsgerichtes ohne größere Tarifänderungen zu erfüllen, führt nicht zu mehr Steuergerechtigkeit, sondern vergrößert das Chaos im Steuersystem.
Ich gehe davon aus, daß Herr Waigel auch die „Wirtschaftswoche" gelesen hat. Wie wollen Sie denn, Herr Dr. Waigel, den Leuten erklären, daß ein Arbeitnehmer oder eine Arbeitnehmerin mit einem Bruttolohn von 18 700 DM im Jahr unter bestimmten Umständen nach Ihrem Tarif 262 DM weniger Geld in der Tasche hat als der Kollege oder die Kollegin, der oder die 1 000 DM weniger im Monat verdient? Soll diese Person jetzt zum Chef gehen und sagen: „Ich möchte gerne eine Gehaltssenkung haben, damit ich steuerlich besser dastehe"? Das ist ja wohl pervers.
Bravo, Herr Waigel, so schafft man auch die Schwarzarbeit vor allem in der Baubranche, die von diesen Regelungen insbesondere betroffen ist.
Oder wie wollen Sie erklären, daß, wenn Ihr Vorschlag durchkommt, Personen mit einem zu versteuernden Einkommen von rund 60 000 DM im Jahr nach Ihrem Vorschlag gegenüber dem jetzt geltenden Übergangstarif mit 217 DM entlastet werden, aber Personen mit dem doppelten Einkommen, also 120 000 DM, 630 DM weniger Steuern zahlen als heute?
Wieso ist das Existenzminimum hoher Einkommen - das ist ein Punkt, den die Bevölkerung nicht versteht - mehr wert als das der kleinen?
Vier Jahre hatten Sie nun Zeit, den Skandal aus der Welt zu schaffen, daß Sie den Bürgern und vor allem den Familien mit Kindern seit Jahren zuviel Geld wegsteuern. Und noch viel länger sind Sie den Rufen nach Steuervereinfachung und Abbau von Steuerungerechtigkeit ausgesetzt.
Auf der anderen Seite beklagen Sie die steigende Tendenz zu Steuerhinterziehung und Mißbrauch. Sie beklagen den allgemeinen Verfall der Steuermoral - das ist ja auch immer wieder nachzulesen -; Sie beklagen auch, daß der Steuerbetrug schon für mittlere Einkommen mittlerweile zum guten Ton gehört. Ja, woher kommt denn der Spruch, daß die Lohnsteuer eigentlich „Dummensteuer" sei? Wer ist denn Schuld an der Tatsache, daß nur 30 % der Steuerzahler glauben, daß ihre Steuern für sinnvolle Zwecke eingesetzt werden? Das hängt wohl damit zusammen, daß unser Einkommensteuergesetz - und nicht nur dieses - zu einem unbeherrschbaren Monstrum geworden ist.
Christine Scheel
Seien Sie doch ehrlich, vor allem meine Damen und Herren von der F.D.P.: Wer aus Ihrer Bestverdienendenklientel zahlt denn überhaupt den Spitzensteuersatz von derzeit 53 %? Wer schafft denn eigentlich das zu versteuernde Einkommen immer wieder ins Ausland und lebt Otto Normalverbraucher vor, wie schlau die Großkopferten sind? Wer sind denn diese Leute?
Die vielen Ausnahmeregelungen im Steuerrecht, die nur noch ein Spezialist versteht, konterkarieren den von Ihnen so hoch gehaltenen Anspruch der Leistungsgerechtigkeit, und Sie konterkarieren damit auch den progressiven Tarif und bestrafen dadurch die ehrlichen Steuerzahler.
Die Deutsche Steuergewerkschaft schätzt allein den Ausfall an Steuereinnahmen, die durch Steuerhinterziehung bzw. mangelnden Vollzug entstehen, auf etwa 150 Milliarden DM. Wenn diese Steuern eingetrieben würden, könnte man auch auf den Solidaritätszuschlag verzichten, den Steuerzahlerinnen und Steuerzahler in Ost- und Westdeutschland gleichermaßen zu zahlen haben.
Wir legen Ihnen zu diesem Jahressteuergesetz ein absolut seriöses, abgerundetes, finanzierbares und sozial ausgewogenes Reformpaket vor.
- Das ist bereits eine Drucksache, und ich freue mich auf die Diskussion mit Ihnen. Im Gegensatz zu den Kolleginnen und Kollegen von der SPD ist es uns gelungen, unsere Vorschläge nicht nur anzukündigen, sondern sie auch im Konsens mit unseren Landes- und Parteipolitikern und -politikerinnen abzustimmen und zu Papier zu bringen.
Ein verfassungskonformer Reformansatz bedeutet für uns erstens die Steuerfreistellung des Existenzminimums in Höhe von 14 000 DM für alle Steuerpflichtigen. Dabei gibt es bei uns - das ist der Unterschied, Herr Staatssekretär - kein Gehuddel mit außertariflichen Lösungen wie bei Ihnen, die neue Probleme und Ungerechtigkeiten schaffen. Bei uns bleibt der Progressionstarif erhalten, und das Existenzminimum bleibt ein Grundfreibetrag, wie es sich gehört. Nur so ist eine leistungsgerechte und soziale Freistellung zu erreichen.
Der zweite Schwerpunkt unserer Reform ist ein Familienlastenausgleich, der tatsächlich die Situation von Familien mit Kindern in diesem Lande verbessert. Jetzt zeige ich Ihnen einmal etwas.
Wissen Sie, meine Damen und Herren, was das ist? Dies ist das erste wesentliche Kleidungsstück für die Gruppe der Bevölkerung, die unsere Zukunft sichern soll. Diese Bevölkerungsgruppe wurde in Ihrem Entwurf eines Jahressteuergesetzes vollständig vergessen.
- Regen Sie sich hier doch nicht so auf! Das ist ja lächerlich!
Was bietet denn die Koalition unseren Familien? Wir meinen, es ist ein Skandal, daß der Familienlastenausgleich aus dem jetzt vorliegenden Entwurf ausgeklammert bleibt. Wenn Herr Waigel sagt, man habe dies nun umzusetzen, dann frage ich mich: Haben Sie in den letzten fünf Jahren gepennt, oder wußten Sie nicht, daß Sie die Familien verfassungswidrig besteuert haben?
Wir sehen in unserem Entwurf ein verfassungskonformes Grundkindergeld von 300 DM für jedes Kind vor, und wir wollen den Familien mit Kindern künftig 23 Milliarden DM mehr zukommen lassen, als sie heute mit Kindergeld und Kinderfreibetrag bekommen. Das sind wir auch den Familien mit Kindern in diesem Land schuldig.
Eingebettet in unser Gesamtkonzept zum Jahressteuergesetz zeigen wir auf, daß die Finanzierungsspielräume zur Realisierung unseres Vorhaben, wie wir es uns vorstellen, bestehen. Die sozialverträgliche Abschaffung steuerlicher Vergünstigungen von Verheirateten spielt dabei natürlich eine zentrale Rolle. Darüber sollten Sie so langsam auch einmal nachdenken.
An dieser Stelle müssen dringend neue Prioritäten gesetzt werden. Die steuerlichen Privilegien der Ehe, und zwar als eine frei gewählte Lebensgemeinschaft von Erwachsenen, müssen zugunsten der notwendigen Förderung aller Lebensgemeinschaften mit Kindern reduziert werden.
Wie sieht es - Sie kleben an dem alten Modell so fest - bei Ihnen aus? Der Kardinalfehler des Waigelschen Vorschlags ist doch der, daß nach Ihrem neuen Modell Familien mit mehr als drei Kindern künftig
Christine Scheel
schlechter gestellt werden als heute. Das gilt insbesondere für Familien mit kleinen und mittleren Einkommen trotz der Steuerfreistellung des Existenzminimums.
Ich nenne Ihnen ein Beispiel. Trotz des erhöhten Kindergeldes, das Sie demnächst präsentieren werden, und trotz der Grundentlastung beim Existenzminimum hat eine Familie mit fünf Kindern und einem jährlichen Bruttoeinkommen von 60 000 DM unterm Strich 33 DM im Monat weniger im Geldbeutel als heute. So, meine Damen und Herren von der CDU/ CSU und der F.D.P., geht das nicht.
Der Hammer ist: Wenn diese Familie, weil sie falsch beraten wurde oder es einfach nicht wußte, den Kinderfreibetrag wählt, hat sie sage und schreibe sogar 8 600 DM im Jahr weniger. Das müssen Sie erst einmal draußen erklären. Das kann kein Mensch mit einem gesunden Menschenverstand und einem christlich-sozialen Gewissen nachvollziehen.
Die Frage ist: Ist das die neue Familienpolitik der Bundesregierung? Bestrafung der kinderreichen Familie?
- Passen Sie auf, das sage ich Ihnen gleich.
In unserem Modell ist es so, daß eine Familie mit fünf Kindern enorme Vorteile hat, wenn das Reformpaket zur Einkommenssteuer mit dem neuen Tarif, den wir haben, mit den 14 000 DM Existenzminimum und der Kindergeldhöhe eingeführt würde. Denn durch unser integriertes Steuermodell hätte genau diese Familie mit einem Bruttoeinkommen von 60 000 DM im Jahr bei Abzug der Abgaben unterm Strich 2 490 DM mehr im Geldbeutel als bei Ihnen.
Wir sind der Auffassung, daß insbesondere kinderlose Ehen mit hohen Einkommen einen Beitrag zur Finanzierung des Familienlastenausgleichs erbringen müssen. Deswegen begrenzen wir den Splittingvorteil für Verheiratete und integrieren die anzuerkennenden Unterhaltsleistungen der Ehegatten mit 14 000 DM jährlich in einen neuen Splittingtarif für Verheiratete.
Zum zweiten, Herr Faltlhauser, schaffen wir die doppelte Vorsorgepauschale für Verheiratete mit einem Einkommen ab; denn wir sind der Auffassung: Wo nur einmal Vorsorgeleistungen aus dem Arbeitslohn gezahlt werden, sollen diese auch nur einmal steuerlich berücksichtigt werden können. Im Prinzip ist das auch logisch. Es wurde allerdings in den letzten Jahren, weil Sie die Ehe in den Vordergrund geschoben haben, von Ihnen nicht angekratzt.
- Das wird vor dem Bundesverfassungsricht auch Bestand haben.
Des weiteren schlagen wir einen umfassenden Abbau von Steuerprivilegien vor. Wir, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN, übernehmen im Gegensatz zu Ihnen die Forderung vieler Wirtschafts- und Finanzexperten und -expertinnen, die schon seit Jahren eine grundlegende Vereinfachung und eine Entrümpelung des Steuerrechts fordern, und zwar auch von Ihnen als Gesetzgeber.
Wir schaffen es mit unseren Vorstellungen, zumindest 19 Milliarden DM für die Umschichtung, mehr Kindergeld und für die Familien von denen wegzunehmen, die heute überprivilegiert sind und besondere Abschreibungen haben, die sie nicht brauchen und die kein Mensch mehr nachvollziehen kann und diese auch nicht brauchen.
Ich nenne als Beispiel die S-Klasse. Ich will aber keine Automarke nennen. Es ist für uns nicht einsehbar, warum dieses Auto, egal, wie teuer, von der Steuer abgesetzt werden kann, und zwar in der Regel als Geschäftswagen, und andere, die ein kleines Auto haben, das nicht ausnutzen sollen. Wir wollen eine Begrenzung auf 50 000 DM. Ich denke, das ist auch für S-Klasse-Fahrer sozialverträglich.
Wir erhöhen den Eingangssteuersatz auf 25 %. Bei einer solchen Forderung kommen immer die ollen Kamellen, das sei leistungsfeindlich usw. Aber wenn Sie sich einfach die tatsächlichen Entlastungen bei diesem Tarif anschauen, dann sehen Sie, daß diese Erhöhung bei den unteren und mittleren Einkommensgruppen in keinem Fall zu einer Schlechterstellung führt. Im Gegenteil! Wir haben unsere Vorschläge vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin überprüfen lassen. Ich kann Ihnen versichern, es wird kein einziges kleines und mittleres Einkommen geben, das bei diesem neuen Einkommensteuertarif schlechter gestellt ist als heute. Im Gegenteil, wir stellen die Menschen in den niedrigen Einkommensgruppen, vor allen Dingen Alleinerziehende mit Kindern, durch die Bank besser.
Unser Vorschlag ist allemal besser, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, als der merkwürdige, systemfremde und halbherzige Versuch von Herrn Waigel, Management by Känguruh - kennen Sie das? - zu betreiben, sprich: große Sprünge mit leerem Beutel zu machen.
Christine Scheel
Bei Herrn Waigel werden nämlich zu versteuernde Einkommen von bereits 14 000 DM, das entspricht heute 20 500 DM brutto im Jahr, gegenüber heute nur noch mit 438 DM entlastet. Bei uns betrüge die Entlastung 1 267 DM.
Dies ist eine hervorragende Besserstellung für kleine und mittlere Einkommen und vor allem für die Familien. Die Diskussionen führen wir in den Fachausschüssen weiter. Ich habe eine ganze Palette von Beispielen. Wir haben den Tarif durchgerechnet.
Lassen Sie mich zum Schluß etwas zu den föderalen Auswirkungen - auch sie bedenken wir - unseres Antrags sagen. Trotz der Steuerfreistellung von 14 000 DM bleiben durch die Abschaffung des Kinderfreibetrags und durch die Begrenzung der steuerlichen Vorteile für Verheiratete
- das Känguruh ist weggehüpft; ich weiß nicht, wo er ist -
sowie durch den Abbau von Steuervergünstigungen Mehreinnahmen bei den Ländern und Kommunen, die zwischen 5 und 7 Milliarden DM ausmachen. Wir meinen, daß ein Teil dieser Mehreinnahmen über den Länderfinanzausgleich zu kompensieren ist und ein Teil an den Bund zurückfließen muß. Wir sind aber der Auffassung, daß die 5 Milliarden DM, die bei unserem Vorschlag für die Kommunen unter dem Strich mehr herauskommen, auch den Kommunen verbleiben sollen. Wenn Sie schon nicht bereit sind, zur Finanzierung von Kindergärten ein Kriegswerkzeug zu opfern, dann geben Sie den Kommunen über unser Modell des Steuertarifs das Geld, das sie für diese Kindergärten dringend brauchen!
Es ist sehr, sehr bedenklich, daß Herr Dr. Waigel den Raum verlassen hat, denn ich habe noch ein nettes Geschenk für ihn.
Ich habe ein sehr großes Windelpaket mit Unterschriftenlisten dabei, das ich ihm in diesem Zusammenhang hier und heute im Auftrag von Vertretern und Vertreterinnen der katholischen Familienverbände überreichen werde. Die zentrale Aussage im Hinblick auf das steuerfreie Existenzminimum und
die Kinderkosten lautet: Was Sie tun, stinkt zum Himmel!