Rede von
Christian
Sterzing
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
3) Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was kann man eigentlich gegen einen Appell zur „Wahrung strikter Haushaltsdisziplin" und gegen eine „strenge Prüfung neuer Programme" und Personalausgaben in der EG haben? - Eigentlich nichts. Wer wollte sich dem Ruf nach einer „grundsätzlichen Neuordnung" der EG-Finanzen und nach einer „gerechteren Lastenverteilung" - alles wörtliche Zitate aus dem Antrag - verschließen? - Eigentlich niemand.
Dennoch sehe ich mich nicht in der Lage, dem gemeinsamen Entschließungsantrag der Regierungskoalition und der SPD zuzustimmen. Hier wird nämlich versucht, unter der populistischen Devise „Sparankündigungen dort, wo es populär ist" haushaltspolitisch einen Blumentopf zu gewinnen, ohne zu bedenken, welches europapolitische Porzellan in diesem Zusammenhang möglicherweise zerschlagen wird. Es ist, wie so oft, der Ton, der die Musik macht. Hier sind es vor allem die Untertöne, die Mißklang erzeugen.
Teilweise durchaus sinnvolle Forderungen werden in diesem Antrag in die Klage über überproportional gestiegene Bruttoleistungen Deutschlands an die Europäischen Gemeinschaften eingebettet. Mit diesem Klagelied über Deutschland als dem „Zahlmeister Europas" werden bestehende antieuropäische Vorurteile in Schwingung gebracht und nationale Töne angeschlagen.
Wer kennt nicht dieses Lied mit seinen drei Strophen und dem immer wiederkehrenden Refrain: Wir wollen weniger zahlen? Der Finanzminister gibt dabei den Ton an.
In der ersten Strophe beklagt man den ach so riesigen Haushalt der EU, in der zweiten Strophe werden über die Höhe des deutschen Bruttobeitrags klagende Töne angestimmt, und in der dritten Strophe schließlich folgt das ergreifende Lamento über die negative deutsche Nettozahlerposition: Wir zahlen oben mehr ein, als unten herauskommt.
Dabei müssen wir doch bedenken, daß 80 % des EU-Haushaltes in die Agrar- und Strukturfonds gehen. An diesen Töpfen partizipiert Deutschland zwar unterdurchschnittlich, aber das ist doch seit Jahren die erklärte Politik des innergemeinschaftlichen Lastenausgleichs zwischen den reicheren und den ärmeren Regionen. Soll denn nun diese Politik des sozialen Ausgleichs, ein Grundpfeiler der europäischen Integration, aufgekündigt werden?
Dieses Klagelied ist voller finanzpolitischer Dissonanzen und europapolitischer Untertöne. Die politische Substanz des Entschließungsantrages liegt in der Forderung nach Verbesserung der deutschen Nettozahlerposition. Aber wer auf diese Weise unter falschen Voraussetzungen nationale und antieuropäische Töne anschlägt, wer die labile finanzielle Balance der Europäischen Union in Frage stellt, der darf sich nicht wundern, wenn in diesem Lande Europamüdigkeit, Europaverdrossenheit, ja -überdruß um sich greifen.
Ich habe durchaus nichts gegen ein europäisch komponiertes und integrationspolitisch abgestimmtes Streichorchester; aber ich habe viel gegen eine deutsch-nationale, auf billigen Applaus ausgerichtete Blasmusik.