Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als Neuling im Haushaltsausschuß steht es mir als erstes an, dem neuen Vorsitzenden Helmut Wieczorek für seine Arbeit in den letzten Monaten zu danken. Kollege Wieczorek, ich denke, Sie haben sich gut in Ihr Amt eingefunden und eine faire Verhandlungsführung im Ausschuß an den Tag gelegt.
Dann möchte ich eine Bilanz ziehen, wie sich mir die Beratung in dieser Woche darstellt. Nicht weniger als 35 Stunden haben wir in diesem Raum den Haushalt diskutiert. 30 Stunden lang war ich persönlich anwesend - eine ordentliche Tortur, aber ich
wollte es mir gönnen, um eine inhaltliche Bewertung vornehmen zu können.
Wenn vorgestern nacht um 1.30 Uhr annähernd 100 Kolleginnen und Kollegen von der Koalition im Raum waren, 22 bei der SPD, zehn bei uns und vier bei der PDS
- fünf -, so ist das eine beachtliche Leistung für das Haus insgesamt, aber vor allem natürlich auch ein Zeichen dafür, daß sich der gestrige Diadochenkampf zwischen Scharping und Kanzler Kohl auch in der Präsenz der Koalition niedergeschlagen hat. Sie sind zur Zeit einfach disziplinierter; das muß man neidlos anerkennen.
Allerdings: Disziplin allein bringt nichts.
Der Finanzminister hat in dieser Woche versucht, seinen Haushalt dieses Jahres schönzureden, wozu auch die Haushaltsgruppe der Koalitionsfraktionen im Ausschuß ihren Beitrag geleistet hat. Ihnen wird das Drücken der Nettoneuverschuldung auf unter 50 Milliarden DM im Plan dieses Jahres noch wie ein Bumerang um die Ohren fliegen, wenn Sie sie im nächsten Jahr um 13 Milliarden DM bis 15 Milliarden DM nach oben ziehen müssen.
Wenn, Kolleginnen und Kollegen von der F.D.P., Ihr vom Finanzminister als „adeliger Klugscheißer" titulierter Graf Lambsdorff hier in der Debatte von einem Haushaltssicherungsgesetz im Hinblick auf den 96er Haushalt geredet hat, dann muß man sich doch schon vor Augen führen, was dies eigentlich für die Solidität der mittelfristigen Finanzplanung und für das heißt, was uns jetzt hier vom Hause Waigel verkauft wird. Hier stellt sich ein Finanzminister allen Ernstes ans Pult und sagt, 1996 werde das Jahr der Steuererleichterungen mit einem Volumen von 30 Milliarden DM, und zur gleichen Zeit liest der Bürger oder die Bürgerin, daß im nächsten Jahr die Rentenversicherungsbeiträge um einen halben Prozentpunkt steigen und daß die Pflegeversicherung 0,7 Prozentpunkte mehr verlangt,
wodurch in der Summe schon wieder 18 Milliarden DM an zusätzlichen Abgaben einkassiert werden. Das ist doch das Faktum. Also von wegen „Steuersenkungsjahr" 1996!
Der Verkehrsminister Wissmann hat vom Finanzminister eine Aufgabe übertragen bekommen, um die er nicht zu beneiden ist. Er soll im nächsten Jahr
Oswald Metzger
aus seinem Haushalt 6,5 Milliarden DM für die Finanzreform der Bahn abzweigen. Wie soll er das, bitte schön, machen, ohne an eine Straßenbenutzungsgebühr oder an eine Mineralölsteuererhöhung zu denken? Schon können Sie auf die 18 Milliarden DM eine weitere Abgabenerhöhung in Höhe von 6,5 Milliarden DM darauflegen. Das wird unter dem Strich doch ein Nullsummenspiel für die Bevölkerung, für die Bürgerinnen und Bürger draußen.
In dieser Runde wird viel zu häufig undifferenziert diskutiert. Es gibt ganz wenige Debattenbeiträge, bei denen man das Gefühl hat, es werde mit dem Florett und nicht mit dem Degen gefochten. Das, was mein Vorredner, der Kollege Seibel, hier vorgetragen hat, war für mich auch eine Rede aus der Sparte „Degen".
Ich möchte ein konkretes Beispiel nennen, an dem man sieht, wie undifferenziert in der Politik inzwischen agiert wird, weil die Nerven blank liegen. Theo Waigel hat, nachdem er drei Tage lang die Mehrwertsteuer auf kommunale Gebühren in die Debatte eingebracht hat, seinen Vorschlag ängstlich wieder zurückgezogen, weil die kommunalen Spitzenverbände gänzlich undifferenziert aufgeschrien haben. Sehr viele kommunale Praktiker wissen doch, daß die Einführung einer Mehrwertsteuer z. B. im Abwasserbereich von 7 % für die Kundschaft bei gleichzeitiger Vorsteuerabzugsoption von 15 % ein Refinanzierungsmittel darstellt, das unter dem Strich eher gebührensenkend als gebührenerhöhend wirkt.
Obwohl das Finanzministerium das genau weiß, hat das Haus diesen Antrag zurückgezogen, weil auch von der Opposition auf diese Geschichte undifferenziert eingeschlagen wurde.
Von unserer Fraktion gab es zu diesem Bereich keine kritische Anmerkung. Wir haben uns nicht aus dem Fenster gehängt, weil wir wissen, von was wir reden.
Es sind noch ein paar Sätze zu dem zu sagen, was Herr Schäuble gestern in der Debatte angesprochen hat. Anschließend findet ja die Diskussion zum Jahressteuergesetz statt. Ich habe gestern dreimal gehört: Ökologischer Umbau - und Energie nicht verbilligen, sondern verteuern. Für mich war das ein Signal, daß die Öko- und Energiesteuerdebatte in diesem Haus noch nicht gelaufen ist. Sie wird bis zur nordrhein-westfälischen Landtagswahl zurückgestellt. Wenn sich die F.D.P. dann verabschiedet hat, haben Sie wirklich ein Problem, Disziplin hin oder her. Auf jeden Fall wird die Energiesteuerdebatte nach der nordrhein-westfälischen Landtagswahl in diesem Hause auf der Tagesordnung stehen. Wir werden versuchen, die Regierung zu jagen
und mit Konzepten darauf hinzuweisen, daß wir bei der Steuergesetzgebung endlich den Einstieg weg von der direkten Steuerbelastung der Beschäftigten hin zur Besteuerung von Ressourcen bekommen, damit endlich ein echter Umbau des Steuersystems stattfindet.
Ich möchte einen weiteren Punkt zum Abschluß ansprechen. Ich denke, wir brauchen im Bereich der Verwaltungs- und Haushaltsreform in dieser Legislaturperiode gewaltige Veränderungen. So, wie wir zur Zeit Haushaltspolitik im Parlament und im Haushaltsausschuß machen, kann es nicht weitergehen; denn wir brauchen Budgetverantwortung für die Ressorts, wir brauchen ein besseres Berichtswesen, mehr Haushaltskontrolle im laufenden Vollzug und nicht nur im Nachgang.
Dieser Aufgabe, die nicht nur für Fachleute, sondern auch für die Bevölkerung draußen wichtig ist, will sich unsere Fraktion stellen. Dabei werden wir sicher Rückendeckung auch von anderen Fraktionen dieses Hauses bekommen.
Daß wir den Haushalt 1995 ablehnen, haben wir gestern in verschiedenen Debattenbeiträgen deutlich gemacht. Wir sind gespannt, wie im Mai die Steuerschätzung, die die Basis für die neue mittelfristige Finanzplanung sein wird, aussieht, damit man wieder eine tagesaktuelle, realistische Datenbasis hat. Vor diesem Hintergrund können Sie dann erwarten, daß es von uns finanzpolitische Antworten gibt und nicht nur eine Beteiligung an dem Konzert „Wohltaten verteilen, wenn man nichts mehr in der Tasche hat".
Vielen Dank.