Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Zum Abschluß dieser Haushaltswoche sollten wir in dritter Lesung den Haushalt des Bundes in den gesamtwirtschaftlichen Kontext stellen. Die Staatsquote erreicht 1995 weit über 50 % - für mein ordnungspolitisches Verständnis vom Verhältnis zwischen öffentlicher Hand und Privaten ein unerträglicher Zustand. Ich kann ihn politisch erdulden und mittragen, weil das überaus erfreuliche Ereignis deutsche Wiedervereinigung diesen Tatbestand rechtfertigt.
Seit 1967 verlangt das sogenannte Stabilitätsgesetz von uns allen im Bundestag die Verfolgung von vier gleichwertigen Zielen: Geldwertstabilität, ausgeglichene Handelsbilanz, Wachstum und Vollbeschäftigung. In vielen - wie ich persönlich meine: zu vielen - Reden dieser Woche ist mit aufgeblähter Rhetorik, übertriebener Empörung und viel zuviel Polemik der objektive Befund darüber hier nicht geleistet worden, wenn nicht sogar absichtlich verhindert worden.
Wir können diskutieren und Verteilungskämpfe ohne Ende führen: Wir schließen die weltweite Konkurrenz für unsere Produkte nicht aus. Die Wahrheit ist, daß wir nur dann wettbewerbsfähig bleiben, wenn wir mit unseren Produkten weltweit konkurrieren können.
Nur wenn es flexiblere Arbeitszeiten, andere Maschinenlaufzeiten, offene Tarifstrukturen gibt und mehr Bereitschaft gezeigt wird, auch auf den internationalen Märkten für den Absatz unserer Produkte einzutreten, wird es uns gelingen, auf Dauer unser außenwirtschaftliches Gleichgewicht zu behalten, Beschäftigung im Lande zu haben und den hohen Standard sozialer Fürsorge zu sichern.
Das Jahr 1994 hat eine gute Außenhandelsbilanz erbracht. Die Zeichen für 1995 stehen so, daß es noch besser werden kann.
Jeder von uns verfolgt die Turbulenzen an den Währungsmärkten. Die Tatsache, daß große Geldbeträge nach Deutschland fließen, hat Vorteile, birgt aber auch Gefahren. Dennoch gibt es kein besseres Kompliment für die Bundesbank und für die deutsche Regierung als die Tatsache, daß diejenigen Menschen, die Geld anlegen können, dies zuallererst in Deutscher Mark tun. Die Wertschöpfung ist in anderen Teilen der Welt nicht schlechter als bei uns; aber die Flucht in die D-Mark hat ihre Hauptursache darin, daß unsere politischen Verhältnisse als die stabilsten angesehen werden. Dieses Vertrauen der internationalen Geldanleger in unseren Staat, in unsere Regierung dauert an, obwohl die SPD nicht müde wird, Tag für Tag zu erklären, daß sich Wirtschaft und Gesellschaft in Deutschland geradezu im Desaster befinden.
Die Wirtschafts- und Finanzpolitik eines Staates wird wesentlich daran gemessen, welche Summen sie im Haushalt bewegt. Aber - das wissen wir seit Ludwig Erhard und auch seit Karl Schiller in ganz besonderer Weise - es gibt auch psychologische Effekte in der Wirtschaftspolitik. Ich behaupte, diese Effekte sind oft wichtiger als die Geldströme, die durch die öffentlichen Haushalte gehen. Insofern, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der SPD, tragen Sie mit Ihrer Darstellung - oder sollte ich besser sagen, mit Ihrer Verfälschung - unserer realen Situation Mitverantwortung für negative psychologische Effekte in der Wirtschaftspolitik.
Wenn Sie mit dieser falschen Beschreibung fortfahren, wirkt sich das kontraproduktiv aus.
Für das Jahr 1994 haben alle wissenschaftlichen Institute relativ übereinstimmend ein Wachstum von 1,5 % vorausgesagt. Eine höhere Instanz deutscher
Wilfried Seidel
Politik, jemand, der es immer besser weiß, hat kein Wachstum vorausgesagt: der Schattenminister Oskar Lafontaine. Er hat sich getäuscht, und deswegen bleibt er vorerst auch im Schattenreich.
Wir alle wissen es: Tatsächlich haben wir 1994 nicht nur die vorausgesagten 1,5 % Wachstum erreicht, sondern 2,5 %. So wird es auch 1995 sein. Dieses Wachstum hat mehr Menschen Arbeit gebracht. Deshalb können wir uns bei den Zuschüssen an die Bundesanstalt für Arbeit entlasten. Es hat aber auch mehr Steuern erbracht, die uns die Möglichkeit eröffnet haben, Notwendigkeiten in der deutschen Politik mit Geld auszustatten, so z. B. in der Familienpolitik. Es gibt keine bessere Beschäftigungspolitik und keine bessere Politik, zu mehr Staatseinnahmen zu kommen, als ein wirtschaftliches Wachstum.
Richtig ist: Die offene Wunde deutscher Politik ist die zu hohe Arbeitslosigkeit. Manche rhetorische Verrenkung dieser Woche hat sich bemüht, für diesen Zustand einen Alleinschuldigen zu nennen, nämlich die Bundesregierung. Für mein Gefühl überschreitet eine solche Polemik die Grenze der Redlichkeit und des guten Geschmacks.
Tatsächlich gibt es mindestens drei leicht einsehbare Ursachen für die Arbeitslosigkeit. Erstens sind es die strukturellen Effekte, die sich aus einer schärfer gewordenen weltweiten Konkurrenz ergeben. Zweitens ist es der konjunkturelle Verlauf, drittens die Umstrukturierung einer kommunistischen Wirtschaft der ehemaligen DDR, die zwar auf dem Papier jedermann Arbeit gab; aber es gab halt auch Betriebe, die noch vor fünf Jahren 350 Beschäftigte hatten und heute mit 20 Beschäftigten auskommen, und das bei gleicher Produktion.
Der Haushalt für 1995 braucht zur Deckung immer noch eine Staatsverschuldung; aber sie ist deutlich auf einen Wert von unter 50 Milliarden DM zurückgeführt worden. Der Haushalt paßt in die wirtschaftliche Landschaft. Er wird den Notwendigkeiten gerecht und ermöglicht Wirtschaft, Staat und Gesellschaft die Verfolgung der hier eben näher beleuchteten vier Ziele. Er ist ein verantwortungsbewußter Haushalt. Wir alle können ihm zustimmen und damit unserer Verantwortung gerecht werden.
Zum Beweis für diese These sollten Sie - das rate ich Ihnen - die Bemerkungen im letzten Monatsbericht der Deutschen Bundesbank lesen.
Ein klarer Beweis für die effektive, zukunftsorientierte Finanz- und Wirtschaftspolitik der Bundesregierung ist der Beschluß des Zentralbankrates der Bundesbank vom gestrigen Tage. Die deutschen Währungshüter, zu denen ja auch qualifizierte Finanzpolitiker der SPD gehören, haben die Leitzinsen gesenkt.
Ganz anders stellt sich die Bewertung durch die große Oppositionspartei hier im Bundestag dar. Frau Matthäus-Maier hat den Bundeshaushalt mit den Worten kommentiert:
Die Steuer- und Abgabenbelastung der Bürger ist die höchste aller Zeiten; die Staatsverschuldung ist die höchste aller Zeiten; die Zinsbelastung . . . ist die höchste aller Zeiten.
- Klatschen Sie nicht zu früh! - Schuld daran sei der Finanzminister Waigel.
Der I-lerr Kollege Scharping hat von Erstarrung, Stagnation und der Unfähigkeit gesprochen, unser Land wirtschaftlich und sozial stark zu machen.
- Ich würde mich freuen, wenn Sie gleich noch einmal klatschen würden.
Ich halte den Bundestag für den besten Ort, an dem die Konkurrenz von Ideen und politischen Vorstellungen ausgetragen werden kann.
Die Regierung hat ihre Vorstellungen mit dem Haushaltsentwurf auf den Tisch gelegt. Alle Kollegen im Haushaltsausschuß haben diesen Entwurf intensiv beraten und verändert. Es war der Haushaltsausschuß - und nicht die Regierung -, der noch eine zusätzliche Ersparnis durchgesetzt hat.
Im Verlauf der Beratungen im Haushaltsauschuß sind von der SPD und den GRÜNEN - auch die PDS wollte nicht hintanstehen - unzählige Änderungsanträge auf Steigerung der Ausgaben des Haushalts in Milliardenhöhe gemacht worden. Seit Eintritt in die zweite Lesung des Haushalts im Plenum ist der Berg der rosa Zettel mit Ausgabenerhöhungsanträgen immer stärker angeschwollen. Stündlich kommen neue dazu.
Wie dies alles bezahlt werden soll, wenn man die Steuern nicht erhöhen will, die Arbeitskosten entlasten will und die Verschuldung des Staates zurückführen will, hat uns die SPD nicht gesagt.
Nicht ein einziger ernstzunehmender Kürzungsvorschlag ist zu finden; und dann wagen Sie es, in
Wilfried Seidel
dem heute vorgelegten Entschließungsantrag davon zu reden, daß energische Konsolidierungsmaßnahmen zu ergreifen sind.
Ich hätte es als beglückend empfunden, wenn in den Beratungen des Ausschusses oder in den Debatten des Plenums in dieser Woche vom sozialdemokratischen Gegenentwurf zur Politik der Bundesregierung nicht nur geschwärmt worden wäre, sondern wenn er als Konkurrenzmodell, ausgerechnet in Mark und Pfennig, hier vorgelegt worden wäre.
Wenn das nun in der Bundestagsfraktion der SPD derzeit nicht machbar ist, kommt das Alternativmodell zu dem behaupteten Jammertal vielleicht aus denjenigen Bundesländern, in denen die SPD mit absoluter Mehrheit regiert.
Also habe ich mich am Donnerstag der vergangenen Woche zur dritten Lesung des niedersächsischen Landeshaushaltes in den hannoverschen Landtag begeben. Der Weg dorthin war schwierig, verstellt mit Tausenden von protestierenden Schülern. Ich denke, ich kann mir Details ersparen.
Aber wenn Ihr Urteil über den Bundeshaushalt, das man hier während der ganzen Woche aus sozialdemokratischen Mündern hören konnte, zuträfe, dann ist das, was der Hoffnungsträger Gerhard Schröder in Hannover macht, die Zerschlagung aller staatlichen Tätigkeit schlechthin.
Warum nutzt denn die deutsche Sozialdemokratie nicht die Chance, in den Städten und Gemeinden und in den Ländern, in denen sie die absolute Mehrheit hat, eine Politik zu praktizieren, die das Soziale vornanstellt, die Abgaben und Gebühren senkt, die Verschuldung zurückführt und gleichzeitig staatliche Impulse für eine Zukunftssicherung der Wirtschaft gibt?
Wie ist das denn in Niedersachsen mit dem neuen Konzept für Ökonomie und Ökologie? Die Fraktionsvorsitzende der GRÜNEN, Frau Hoops, hat es auf den Punkt gebracht: Die einzige Politikerin in Niedersachsen, die es für den Geltungsbereich ihrer Familie verstanden hat, Ökologie und Ökonomie zusammenzuführen, ist Frau Monika Griefahn.
- Ach, Herr Wagner, fällt Ihnen nichts Besseres ein? Armer Wicht!
Nun hat Herr Scharping gestern hier im Bundestag ausgeführt, daß die SPD in Kürze eine Reihe von Gesetzentwürfen in den Bundestag einbringen werde, die eine Alternative zur Regierungspolitik z. B. bei der Familienförderung und auf anderen Feldern darstellen würden.
An dem guten Willen und der Entschlossenheit zweifele ich nicht. Unter Umständen liegen diese Entwürfe der SPD zum Haushalt 1996 ja auch vor. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie es doch für den Haushalt 1995 nicht auf die Reihe kriegen, dann sollten Sie doch den Mut haben, einzugestehen, daß man für diesen Haushalt keine Alternativen vorlegen kann
und daß man in Ermangelung eigener besserer Vorschläge dem Haushalt 1995 zustimmt.
Aber nein, Sie beschreiten einen anderen Weg: Sie erliegen - ich möchte das einmal so sagen - dem WDR-Syndrom. Der WDR ist die größte öffentliche Sendeanstalt in Deutschland. Dort hat man das Weihnachtsprogramm für 1995 schon längst produziert. Im Moment arbeitet man an der Planung für das Osterprogramm 1996. Das setzt nun voraus, daß sich die verantwortlichen Redakteure irgendwann im Mai oder Juni entscheiden müssen, ob es Ostern 1996 regnet, schneit oder ob die Sonne scheint. Danach wird produziert. Eine Änderung ist später nicht mehr möglich.
- Ich komme gleich darauf.
Hier in Bonn hat es völlig gegen die Normalität des Kalenders vor wenigen Tagen geschneit. Der WDR sendete aber Frühlingslieder, Frühlingsgedichte und regte die Menschen zum Spaziergang draußen an. Das hatte man ja vor einem Jahr so geplant. Wer morgens vor dem Weg zur Arbeit Radio hörte, ist mit Sommerreifen losgefahren und fand sich unter Umständen danach im Straßengraben wieder.
Andere Sender, die nicht soviel Geld und Bürokratie haben, machen ihr Programm anders: Dort betritt der Redakteur morgens das Studio, macht das Fenster auf und hält den Finger heraus. Wenn es regnet, macht er ein Regenprogramm, und wenn die Sonne scheint, macht er ein Sonnenprogramm.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, nutzen Sie die bevorstehende Osterpause des Parlaments, nutzen Sie die Zeit bis zur Beratung des Haushalts 1996! Machen Sie in der Anstalt SPD die Fenster auf! Halten Sie den Finger heraus! Achten Sie auch darauf, was die Leute sagen, die Ihnen nicht nur Beifall zollen, und korrigieren Sie Ihr Bild von dieser Republik in harter Konfrontation mit den Realitäten in diesem Staate! So, wie Sie unser Land beschreiben, sieht es die Mehrheit der Bürger - Gott sei Dank, sage ich - nicht.
Daß es bei der SPD so laufen könnte wie beim WDR, beweist der heute von Ihnen vorgelegte Entschließungsantrag auf ca. 30 Seiten. Ich habe den Eindruck, Ihr Intendant hat alle Redaktionen in der
Wilfried Seidel
Sendeanstalt SPD aufgefordert, ihre Programmwünsche für das nächste Jahr aufzuschreiben. - Abgabetermin gestern. Dann ist das alles brav zusammengeschrieben worden: 27 Seiten!
Ein beachtlicher Katalog an Ausgabenwünschen liegt hier vor. Aber Gedanken darüber, wie das alles bezahlt werden soll, findet man in diesem Programm natürlich nicht.
Dafür hat man ja den Gebührenzahler. Wenn das Geld für das Programm nicht reicht, dann werden eben die Gebühren erhöht.
Genau das wollen wir nicht. Die Koalition will die Staatsquote deutlich unter 50 % senken und damit entstaatlichen und Raum für private Initiative geben.
Meine Damen und Herren, CDU und CSU stimmen dem Haushalt in der vorliegenden Ausschußfassung zu.
Wir wissen, daß dieser Haushalt der Verantwortung für unseren Staat gerecht wird und daß er in die konjunkturelle Landschaft unserer Wirtschafts- und Finanzpolitik paßt.
Die Bürger in diesem Land wissen sehr genau, warum sie der Koalition aus CDU/CSU und F.D.P. die Mehrheit gegeben haben. Unsere Politik für den Bürger ist eine Garantie dafür, daß sie nicht morgens mit Sonnenschein-Musik aus dem Haus gelockt werden, obwohl es draußen schneit, und von Machern falscher Programme dem Risiko ausgesetzt werden, in den Graben zu fahren.