Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir diskutieren jetzt über den Einzelplan 23. Ich finde es angemessen, Herr Finanzminister, daß Sie bei der Beratung dieses Etats anwesend sind. Unangemessen finde ich, wie Sie seinen Plafond ausgestattet haben; das werde ich noch näher erläutern.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Entwicklungspolitik hat nach der Wende, nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes, nach dem Fall der Mauer, eine neue Bedeutung bekommen. Wir sind froh darüber, daß wir uns jetzt um die GUS-Staaten kümmern können und die Möglichkeit haben, in den mittelosteuropäischen Ländern, in den neuen unabhängigen Staaten helfen zu können. Das hat leider auch die Konsequenz, daß wir in den Entwicklungsländern, in denen wir bisher aktiv waren, nicht mehr das leisten können, was wir einmal geleistet haben und weiterhin gerne leisten möchten. Wir Sozialdemokraten fordern deshalb eine deutliche Stärkung der Anstrengungen im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit und der internationalen Hilfe. Die Konzentration der Mittel, die internationale Koordinierung und neue Kooperationsmodelle sind dringlich vonnöten.
Die internationalen Herausforderungen sind: Dämpfung und Verhinderung eines weltweiten Kampfes der Religionen; die Umkehrung des Prozesses einer Degeneration der Sozialen Marktwirtschaft zum „Raubtierkapitalismus", wie Helmut Schmidt dies kürzlich treffend nannte; der konsequente Kampf gegen den Protektionismus - dazu sage ich Ihnen: GATT war sicherlich wichtig; doch für die ärmsten der armen Länder hat GATT bisher nichts gebracht -;
die Erhaltung der Umwelt und schließlich die Eindämmung des rasanten Bevölkerungswachstums. Das alles sind Querschnittsaufgaben der wirtschaftlichen Zusammenarbeit und der Entwicklungspolitik.
Wir könnten sie als Aufgaben eines neuen Zukunftsministeriums für globale Entwicklungs- und Strukturfragen definieren. Ich denke, dieses Schlagwort ist an dieser Stelle sinnvoll.
Die tatsächliche Entwicklung des BMZ-Etats 1995 sieht nicht gut aus. Der Regierungsentwurf belief sich ursprünglich auf 8,26 Milliarden DM. Durch die Haushaltsberatungen wurde dieser Betrag um 150 Millionen DM abgesenkt. Ich möchte erläutern, wie das zustande kam: Die Festlegung des Ziels der Koalition, 1 % einzusparen, erfolgte im Prinzip fernab jeder Schwerpunktsetzung. Für mich selbst war dies nicht nachvollziehbar und auch nicht akzeptabel. Man kann nicht einfach eine Einsparung in Höhe von 1 vorsehen und ohne Sinn und Verstand kürzen, egal, wo. Der Koalition hat in der Tat die Kraft gefehlt, Schwerpunkte zu setzen und zu sagen, in welchen Einzelplänen gekürzt werden soll. Das jedoch hätte ich erwartet.
Eine weitere Kürzung um 1 % kam durch die Wechselkursanpassung zustande, so daß letztendlich rund 8,1 Milliarden DM übrigblieben. Das ursprüngliche Volumen des Einzelplans 23 wurde also deutlich reduziert.
Ich darf in diesem Zusammenhang auf einige Artikel in einer nicht unbekannten und nicht ganz kleinen Zeitung hinweisen. Dort steht folgendes: „Entwicklungshilfe stößt an die Schmerzgrenze". Ich sage: Auch uns schmerzt, wie die Entwicklungshilfe bedient wurde. An anderer Stelle heißt es: „Der Staatssekretär beklagt Spardruck". Da geben wir ihm völlig recht. Wir stehen unter Spardruck, und die Schmerzgrenze ist erreicht.
Der Kollege Hedrich von der CDU sagt folgendes: Wie soll deutsche Entwicklungspolitik glaubwürdig bleiben, wenn Bundeskanzler Helmut Kohl auf dem Weltsozialgipfel in Kopenhagen das legendäre 0,7 %-Ziel der Hilfeleistungen hochhält, tatsächlich aber deren Anteil am deutschen Bruttosozialprodukt ständig sinkt? - Da können wir ihm nur zustimmen.
Es ist nicht gottgewollt, daß dieser Etat so niedrig ist. Das war vielmehr Ziel und Wille der Bundesregierung, letztendlich auch des Kanzlers und des Finanzministers, die nicht ermöglicht haben, daß sich Minister Spranger in irgendeiner Weise durchsetzen konnte. Er war letztlich in ihrem Würgegriff. Es ist bedauerlich, daß die Koalition nicht den Willen gezeigt hat, den Entwicklungsetat etwas aufzustocken.
Eine weitere Schlagzeile lautet: „Für Zukunftsicherung schlecht gewappnet - Spranger beklagt Stellenwert der Entwicklungspolitik". Es ist schon etwas Besonderes, wenn ein Minister beklagt, daß seine eigene Arbeit keinen Erfolg gehabt hat. Er kritisiert sich hier selber, in dem er darauf hinweist, daß Entwicklungspolitik keinen Stellenwert mehr hat. Ich kann mich erinnern: Heute früh hat der Kanzler meinem Fraktionsvorsitzenden eine Personalentscheidung vorgeschlagen. Also, wenn ich als Chef hören
Dr. Emil Schnell
würde, daß meine Mitarbeiter nichts bringen, dann wüßte ich, was ich mit denen zu tun hätte. Insofern wäre das vielleicht eine Empfehlung zurück an den Bundeskanzler.
Die tatsächliche Entwicklung des Haushalts sieht folgendermaßen aus: Seit 1990 ist der Anteil des BMZ-Haushaltes am Gesamthaushalt von 2,5 % auf 1,7 % gesunken.
Die Inflationsrate der Jahre 1990 bis 1995 beträgt zusammen etwa 20 %, meine Damen und Herren. Den so entstandenen Geldwertverlust müssen Sie ebenfalls in Ansatz bringen. Das heißt: Was übrigbleibt, ist in der Tat äußerst wenig. Es ist der absolute Tiefstand in der Ära Kohl.
- Da brauchen wir keinen Applaus. Es ist traurig genug, daß das BMZ momentan als politikunfähiges Gerippe dasteht. Da kann man in der Tat darüber nachdenken, ob man diesen „Laden" nicht auflöst und seine Abteilungen dem Auswärtigen Amt, dem Wirtschaftsministerium, Minister Blüm oder Ministerin Merkel oder auch dem Landwirtschaftsminister zuordnet. Ich werde Ihnen gleich noch erläutern, was an politischer Handlungsmasse für diese wichtige Aufgabe, die wir weltweit haben, übrigbleibt.