Rede von
Angelika
Beer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Herr Präsident! Herr Wehrbeauftragter!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach einer Studie der US-amerikanischen Agentur für Abrüstung und Rüstungskontrolle sind die Militärausgaben weltweit um 30 % gesunken. Was passiert in Deutschland? Fünf Jahre nach dem Ende des Ost-West-Konflikts, des Kalten Kriegs, erhöht die Bundesregierung zum erstenmal wieder ihren Militäretat. Die im Einzelplan 14 veranschlagten Ausgaben für Rüstung und Militär steigen zum erstenmal wieder an. Nach einem verfügbaren Soll von 47,2 Milliarden DM im Haushaltsjahr 1994 sollen es in diesem Jahr wieder 47,9 Milliarden DM sein.
Dieser Ansatz für eine Bundeswehr mit ca. 350 000 Mann entspricht dem Ansatz in einer Bundesrepublik mit einer Bundeswehr von etwa 495 000 Mann, wie es im Jahr 1984 der Fall war. Damit enttäuscht die Bundesregierung jegliche Hoffnung auf eine Demilitarisierung, auf eine Zivilisierung der Politik
und auf die Umlagerung der Mittel für zivile Produkte und für Konversionsprojekte.
Der Bundesfinanzminister spricht von Sparen, Sparen, Sparen. Kindergartenplätze können Sie nicht finanzieren.
Statt dessen schmeißen Sie Milliarden für eine Interventionsarmee hinaus.
In diesem Umsteuerungshaushalt wird unter Federführung von Bundesverteidigungsminister Rühe die endgültige Festschreibung der Bundeswehr als Interventionsarmee vorgenommen. Für die High-TechRüstung wird teures Material beschafft. Da ist es nur logisch, daß im Personalbereich Einsparungen getätigt werden.
Der vorläufig letzte Schritt der Umsetzung des Karlsruher Urteils vom letzten Jahr ist das von Ihnen, Herr Rühe, vor kurzem vorgelegte Ressortkonzept. Das Aufschreien der Kommunen und der Länder gegen die geplanten Streichungen von Standorten - die wir durchaus begrüßen, die aber nicht ausreichend sind - soll davon ablenken, daß mit dem neuen Ressortzuschnitt eine Kaderung der Armee stattfindet, daß wir eine Armee in der Armee bekommen, und zwar, wie sie verharmlosend heißen, Krisenreaktionskräfte, die in einem militärischen Ernstfall durch ein Führungszentrum, das erstmals in der Geschichte der Bundeswehr gegründet worden ist, und durch sogenannte Special Forces, die in dem Zuschnitt, den wir als Parlamentarier bisher kennen, durchaus mit den Green Barrets der Amerikaner zu vergleichen sind, angeführt werden. Das ist die sogenannte Sicherheitspolitik, die mit Sicherheit nichts mehr zu tun hat.
Konkret drückt sich die Tendenz der Militarisierung in der Erhöhung der Ausgaben für Forschung, Entwicklung und Erprobung um 3,8 % auf 2,8 Milliarden DM aus. Die Ausdehnung des Verteidigungsbegriffs auf weltweite Militäreinsätze bringt es mit sich, daß die Krisenreaktionseinheiten zu einer Armee in der Armee werden. Ob Ihnen dies gefällt oder nicht, ob Sie dies abstreiten oder nicht, die übrigen Teile der Armee werden, weil wir an den Außengrenzen Deutschlands keiner Gefahr mehr ausgesetzt sind, es nichts mehr zu verteidigen gibt und wir nicht mehr unter Bedrohung stehen, vernachlässigt, und die gekaderte Krisenreaktionsarmee von 53 000 Mann wird weltweit eingesetzt.
Zum Forschungsetat: Wir wissen wohl, daß die einzelnen Projekte zielgerichtet entwickelt werden, um die Voraussetzungen für das eben Gesagte zu schaffen. Wir wissen aber auch, daß der dicke Brocken erst noch kommt. Wir können uns schon heute ausrechnen, wie in Kürze entweder über einen Nachtragshaushalt oder im nächsten Etat, den Herr Rühe vorlegt, Milliarden auch für die Produktion der jetzt erforschten Waffen bereitgestellt werden müssen.
Dieser Interventionshaushalt spiegelt ein neues Verständnis von Sicherheit wider, das mit Sicherheits- und Friedenspolitik nichts mehr zu tun hat, sondern nur noch an der funktionalen Stabilität von Wirtschaftsabläufen interessiert ist. Diese Stabilität wird nicht von einem Feind bedroht, sondern ist permanent diffusen Risiken ausgesetzt. Wenn Rohstoffwege, Produktionsstätten oder Rohstoffpreise bedroht sind, dann sind dies Risiken, aus denen später Krisen werden, und wir werden dann nicht anfangen, die Krisen mit friedlichen Mitteln zu bekämpfen, sondern werden intervenieren, wenn aus den Krisen Kriege werden.
Menschenrechte: Das Wort „Menschenrechte" wird instrumentalisiert und zu einem ideologischen Begriff zur Durchsetzung der Interessen der Reichen und der Wohlhabenden pervertiert. Dann treten wir auf den Plan.
Sie, Herr Volker Rühe, versuchen gerade, die weltweiten Einsätze gesellschaftsfähig und akzeptierbar zu machen, indem Sie von Hilfe und Verantwortung sprechen. Ihr Vordenker, General Naumann, hat in den verschiedenen Richtlinien niedergelegt, was damit gemeint ist und was höchste Priorität hat, nämlich die klassischen Kampfeinsätze im Rahmen von NATO und WEU. Die UNO haben Sie in Ihrem ganzen Konzept vergessen.
Angelika Beer
Das Wort „Verantwortung" in Ihrem Mund ist eine Verrohung von Sprache. Wenn man Verantwortung nur noch militärisch definiert, dann ist das die Vergewaltigung eines Wortes,
das nach 50 Jahren gerade in Deutschland nicht für diese Militarisierung und die Legitimierung von Kampfeinsätzen mißbraucht werden sollte.
Wir haben dieser sogenannten humanitären Außenpolitik entgegenzusetzen, daß wir bei den Rüstungsexporten an führender Stelle liegen. Dieses Geschäft mit dem Tod macht nicht einmal - auch in diesem Haushalt nicht - vor jenen Waffen halt, die auf grausamste Weise, Herr Kollege Riedl, nicht in 20 Ländern, sondern in 62 Ländern dieser Welt Zivilisten grausam zerstückeln und töten. Ich rede von Landminen und einem Exportmoratorium, das großspurig für Anti-Personen-Minen verkündet wurde, und zwar aus dem einzigen Grunde, um zu verschleiern, daß in diesem Haushalt 350 Millionen DM für neue taktische Minensysteme ausgegeben werden, die später im Rahmen der Krisenreaktionen zum Einsatz kommen und die ebenso töten werden wie auch die alten.