Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zu Beginn einige Bemerkungen zu zwei vorhergehenden Rednern machen.
Zunächst zum Kollegen Schmidt von der CSU: Ich liebe Bilder in Debatten, weil sie etwas klarmachen können, was man in langen Reden nicht immer so deutlich vermittelt bekommt; die Bilder müssen jedoch stimmen. Wenn Sie den SPD-Mitgliedern dieses Hauses vorwerfen, daß wir unsere Außenpolitik wie eine Dame ohne Unterleib betrieben - ich lasse einmal den sexistischen Aspekt dieser Bemerkung weg -, dann stimmt immerhin noch, daß der Kopf in der Außenpolitik wichtiger ist als der Bauch.
Insofern ist dies kein Vorwurf, sondern eher ein Lob.
Eine weitere Bemerkung, eine sachliche Richtigstellung, zu dem Kollegen Irmer: In der SPD ist nicht umstritten, daß wir uns bei einem von uns, von Ihnen und von allen in diesem Hause nicht gewünschten Abzug aus Bosnien militärisch beteiligen.
Es gibt einen Streit hinsichtlich des Tornados. Darüber kann man legitimerweise streiten. Ich persönlich halte das jedoch mehr für eine technische Frage.
Herr Irmer, Sie dürfen aber nicht umgekehrt so tun, als entschiede sich an dieser Frage das Verhältnis der SPD zum Bündnis oder das Verhältnis Deutschlands zum Bündnis. Das ist eine dieser sich wechselseitig hochschaukelnden Diskussionen, bei denen Einzelheiten des Problems zu einer moralischen oder grundsatzpolitischen Frage hochstilisiert werden.
- Ich glaube, Sie sollten besser aufpassen. Dann wäre das für Sie nicht erklärungsbedürftig gewesen.
- Es wäre genuß- und lehrreich für Sie, wenn Sie die SPD-Verlautbarungen stets verfolgen würden.
Nun zu dem Verlauf der Debatte selber: Parallel zu unserer Debatte heute findet in Berlin die Weltklimakonferenz statt, in einer Stadt, von der der Zweite Weltkrieg ausging, die im Mai 1945 besetzt werden mußte - ich betone: mußte -, damit Deutschland und Berlin befreit werden konnten, und die, wie keine andere Stadt, 50 Jahre lang vom Ost-West-Konflikt geprägt worden ist.
Durch die Weltklimakonferenz steht in dieser Stadt, die vom Ost-West-Konflikt geprägt worden war, heute ein Thema im Vordergrund, das für die Probleme der Außenpolitik in der Zukunft typisch sein sollte und typisch sein wird. Das will ich nur als Beispiel dafür nehmen, daß in Zukunft Prioritäten der Außenpolitik, an die wir uns 50 Jahre lang gewöhnt haben, nicht mehr die gleichen Prioritäten sein können und sein werden.
So sehr ich schätze, daß Bundesumweltministerin Merkel auf dieser Konferenz war, so halte ich es auch für erforderlich, daß sich in Zukunft klassische Außenpolitiker dieses Bundestages und auch der Bundesaußenminister selber um solche neuen Fragestellungen kümmern, und zwar auch in dem Sinne, daß wir eine Erfahrung aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg aufgreifen.
Karsten D. Voigt
Damals hat der Westen als Antwort auf die Bedrohung, die ökonomisch, in bezug auf die Ideologie und in bezug auf die Sicherheit von Osteuropa empfunden wurde, Institutionen gebildet, die diesen Problemen gerecht wurden: den Europarat, die NATO und die Europäische Union, damals noch EWG. Er hat auch weltweite Institutionen gebildet, um weltweit stabilisierend zu wirken, wie den Weltwährungsfonds, die Weltbank oder die OECD.
Unsere heutige Aufgabe ist, adäquat zu den neuen Problemen - Umwelt, Energie, Weltbevölkerung - nicht nur Konventionen im Rahmen der UNO zu unterzeichnen, sondern Institutionen zu bilden, Normen zu bilden und möglicherweise auch Regeln, die man durchsetzen kann, zu prägen und zu vereinbaren, eben um den neuen Problemen Rechnung zu tragen.
Wir müssen lernen, daß mit dem Fall der Mauer eine tiefgreifende außen- und sicherheitspolitische Wende eingetreten ist. Wenn Leute in der Außenpolitik in irgendeinem Argument zu mir sagen, sie hätten das bereits vor zehn Jahren gesagt, weiß ich in 90 % der Fälle schon, daß ihre Antwort falsch ist. Denn wer das gleiche wie vor zehn Jahren sagt, hat die Veränderungen, die inzwischen in der Welt und besonders im Umfeld von Deutschland passiert sind, nicht verarbeitet.
Natürlich müssen die europäische Einigung, das transatlantische Bündnis und das Prinzip der multilateralen Einbettung auch weiterhin zu den berechenbaren Konstanten deutscher Außenpolitik gehören. Aber ansonsten haben sich die Probleme und Problemlösungen in zahlreichen Punkten grundlegend verändert.
Ich will Beispiele nennen. Wir fürchten nicht mehr den Angriff mit nuklearen, chemischen oder konventionellen Waffen, sondern unsere Furcht besteht primär vor der weltweiten Proliferation dieser Waffensysteme. Wir fürchten nicht mehr die sowjetische Aufrüstung, ich wenigstens nicht mehr, sondern, daß die Nachfolgestaaten der Sowjetunion, die ökonomisch und sozial so schwach sind, die Probleme der Abrüstung nicht bewältigen können.
In diesem Zusammenhang ist es nicht nur schlimm, daß die Rüstungshilfe an die südlichen NATO-Partner - übrigens nicht nur die Türkei, sondern auch an Griechenland, Spanien und Portugal - nach 1990 weiter gegeben worden ist, weil sie in der Türkei im Bürgerkrieg eingesetzt werden könnte, sondern das ist eine falsche Prioritätenbildung. Wir hätten Rußland, der Ukraine und Belorus bei der Abrüstung helfen müssen, statt diese NATO-Partner weiter bei der Aufrüstung zu unterstützen.
Wir brauchen heute nicht mehr die Unterdrückung des Selbstbestimmungsrechts unserer unmittelbaren östlichen Nachbarn durch die Sowjetunion und den Warschauer Pakt zu fürchten, sondern wir müssen uns vielmehr vor einer Renationalisierung ihrer Sicherheitspolitik fürchten. Das ist übrigens einer der entscheidenden Gründe dafür, warum wir für die Osterweiterung der NATO und der Europäischen Union sind.
Wir brauchen heute nicht mehr die scharfen Grenzkontrollen zu beklagen oder die mangelnde Reisefreiheit, sondern wir fürchten uns ganz anders als am Beginn des KSZE-Prozesses vor der großen Zahl von illegalen Einreisen, vor Flüchtlingsströmen und grenzüberschreitender Kriminalität.
Wir müssen uns in Osteuropa heute glücklicherweise weniger davor fürchten, daß die Inhaber öffentlicher Gewalt den einzelnen Bürger unterdrükken, sondern wir müssen uns darum kümmern, weil es ihr und unser Problem ist, daß die Gewaltausübung durch kriminelle mafiose Strukturen zum erneuten Ruf nach dem autoritären Staat führen könnte, weil der Staat in bezug auf die kriminellen Strukturen zu schwach geworden ist und selber von privaten Gewaltstrukturen penetriert worden ist, nämlich von der Mafia.
Diese neuen Probleme in der Außenpolitik können nicht mit alten Antworten gelöst werden. Am wichtigsten ist es, zu verhindern, daß das Verbot der Weiterverbreitung von nuklearen, chemischen und auch konventionellen Waffen blockiert wird. Die Verhinderung der Weiterverbreitung nuklearer und chemischer Waffen ist eine Frage von Verträgen, weil wir selber glücklicherweise keine chemischen und nuklearen Waffen besitzen.
Dort sollten wir die Amerikaner und die Russen dazu drängen, den Vertrag über die Abschaffung chemischer Waffen endlich zu unterzeichnen. Bei den nuklearen Waffen können wir legitimerweise die Großmächte, die Nuklearwaffen haben, dazu drängen, sie schrittweise zu reduzieren, keine Nukleartests mehr durchzuführen. Wir haben das moralische Recht dazu, weil wir selber keine eigenen Waffen dieser Art haben.
Beim Punkt der Rüstungsexporte ist es nicht eine Frage des Appells an andere. Dort ist es eine Frage an uns selber. Bei den Rüstungsexporten sind wir zu einem der Vorreiter, ein negatives Vorbild geworden.
- Nein, es ist wahr. Es ist Unsinn, daß solche Politik betrieben wird. Es ist nicht Unsinn, wenn ich sage, daß diese Politik betrieben wird.
Wenn unser wichtigster Bündnispartner, die USA, in diesem Punkt der bei weitem stärkste Vorreiter von Rüstungsexporten ist, kann es keine Bündnissolidarität mit diesen USA geben, sondern hier muß ihnen unsere scharfe Kritik gelten.
- Ja.
Karsten D. Voigt
Ich glaube, daß die Osterweiterung der NATO, die von allen Rednern der SPD bisher unterstützt worden ist, ein wichtiges Instrument gegen die Renationalisierung von Sicherheitspolitik ist. Das könnte übrigens auch den Russen nutzen, selbst wenn die meisten Russen es heute so nicht sehen.
Wir haben ein Interesse an nicht nervösen Nachbarn. Die Russen haben auch ein Interesse an nicht nervösen Nachbarn. Die kleineren Staaten zwischen Rußland und Deutschland sind nervös, wenn Russen und Deutsche zusammenarbeiten. Ich bin aber - auch als Vorsitzender der Deutsch-Russischen Parlamentariergruppe - an einer noch engeren Zusammenarbeit mit Rußland interessiert.
Eine Form, in der die Polen keine Angst mehr vor den Russen haben, in der sie die deutsche Politik beeinflussen können, in der wir mit den Russen kooperieren können, ohne daß Polen und andere Nachbarn Angst bekommen, ist die Integration dieser Staaten in die Europäische Union und die NATO.
Daß die Russen das überwiegend aus den traditionellen Konzepten des Kräftegleichgewichts sehen, zeigt, daß sie die Wende, die 1989 begonnen hat, noch nicht verstanden haben. Aber ich glaube, daß es unsere Aufgabe ist, nicht an diesem Konzept etwas zu verändern, sondern es ihnen gegenüber genauso ehrlich zu erläutern wie gegenüber den Polen.
Ich bin für die vorbeugende Konfliktlösung und Verhinderung von Bürgerkriegen. Der Kollege Verheugen hat hierzu in bezug auf Ruanda/Burundi schon vieles gesagt. Aber warum geschieht dieses vorbeugende Konfliktmanagement so selten und so ungenügend? Eine Ausnahme bildet van der Stoel, der Nationalitätenkommissar in der OSZE. Aber sonst geschieht es selten, weil es, wie das Beispiel von van der Stoel zeigt, nicht spektakulär ist. Weil es nicht spektakulär ist, wird es häufig zuwenig finanziert.
Es geschieht auch deshalb zuwenig, weil viele Staaten sich verweigern, bei einer vorbeugenden Konfliktlösung zu kooperieren, wenn diese Konflikte, wie heute meistens üblich, innerhalb von Staaten stattfinden.
Bei einer frühzeitigen Konfliktlösung innerhalb von Jugoslawien hätten Konflikte verhindert werden können. Aber Jugoslawien war damals gegen eine Einmischung in seine inneren Angelegenheiten. Konflikte hätten auch in Tschetschenien verhindert werden können, aber die Russen waren damals gegen eine vorbeugende Präsenz der OSZE.
Konflikte könnten auch in den von Kurden besiedelten Gebieten verhindert oder verringert werden, aber gerade die Türken empfinden die Präsenz von Ausländern, ausländischen Beobachtern und internationalen Delegationen, nicht als Hilfe - was sie sein sollte und sein könnte -, sondern primär als Einmischung.
Deshalb ist eine unserer wichtigen Aufgaben, damit Vorbeugung funktionieren kann, das Bewußtsein und das Konzept der klassischen Souveränität der Staaten schrittweise dadurch zu modernisieren, daß Fragen der Menschenrechte nicht mehr als Einmischung gelten, sondern daß das als ein Element gilt, mit dem man Staaten helfen muß und an dem man sich frühzeitig vorbeugend beteiligen kann.
Es gibt auch Probleme, weil wir nicht überall in der Welt mit gleichen Normen konfrontiert werden. Das klassische Konzept der Abrüstung zwischen Ost und West hat funktioniert, weil beide Seiten gleichermaßen an Kriegsverhinderung interessiert waren und ähnliche Vorstellungen vom Wert des Lebens und des Überlebens hatten.
Dies ist im ehemaligen Jugoslawien nicht gegeben. Wenn wir unsere Lernprozesse und Lernerfahrungen aus der Phase des Kalten Krieges und der Entspannungspolitik auf diesen Konflikt übertragen, aber dort Politiker bereit sind, Leben kalkuliert aufs Spiel zu setzen, wenn sie dort Menschenleben zynisch behandeln, dann stellt sich doch die Frage, ob dort Kategorien der Abschreckung überhaupt noch funktionieren. Dies führt zu schwerwiegenden Problemen.
Ich sage nur, daß klassische Mechanismen nicht mehr funktionieren. Das kann bedeuten, daß man früher mit der Abschreckung hätte beginnen müssen, z. B. bei Vukovar oder Dubrovnik. Das sagen heute viele, die damals dagegen waren.
Das kann bedeuten, daß man die Sache laufen läßt. Ich halte es für eine durchaus legitime Position, daß man eigene Interessen, das Risiko der eigenen Soldaten so hoch einschätzt, daß man das laufen läßt. Das ist eine durchaus legitime Position. Man sollte sie nur nicht noch als moralisch überhöht darstellen.
Es ist eine legitime Position, daß ich das Leben der eigenen Soldaten nicht riskiere. Aber man sollte das nicht als moralisch darstellen.
Oder man kann wie die Beck-Oberdorf von den GRÜNEN und manche in der SPD und in der CDU sagen: Man muß militärisch intervenieren. Moralisch kann man dieser Meinung sein, aber die Konsequenzen könnte, glaube ich, niemand verantworten.
So kompliziert, wie es viele dieser Fragen sind, wo klassische Mechanismen nicht funktionieren, werden in Zukunft generell die außenpolitischen Fragen für die deutsche Außenpolitik sein.
- Natürlich.
Deshalb warne ich davor und kritisiere alle, die voreilig und frühzeitig jetzt erstens die alten Antworten geben -