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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 13/31 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 31. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 30. März 1995 Inhalt: Abwicklung der Tagesordnung 2321 A Erweiterung der Tagesordnung . . . 2439 D Tagesordnungspunkt II: Wahl des Wehrbeauftragten (Drucksache 13/1000) . . . . . . . . . . 2321 A Tagesordnungspunkt I: Fortsetzung der zweiten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1995 (Haushaltsgesetz 1995) (Drucksachen 13/50, 13/414) Einzelplan 04 Bundeskanzler und Bundeskanzleramt (Drucksachen 13/504, 13/527) in Verbindung mit Einzelplan 05 Auswärtiges Amt (Drucksachen 13/505, 13/527) in Verbindung mit Einzelplan 14 Bundesministerium der Verteidigung (Drucksachen 13/514, 13/527) in Verbindung mit Einzelplan 23 Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Rudolf Scharping SPD 2322 D Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU . . 2333 D Otto Schily SPD 2344 C Kerstin Müller (Köln) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 2344 D Dr. Hermann Otto Solms F.D.P. . . . . 2349 A Michael Glos CDU/CSU 2349 C Heidemarie Wieczorek-Zeul SPD . . 2349 D Dr. Uschi Eid BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 2354 C Dr. Gregor Gysi PDS 2354 C I fans Klein (München) CDU/CSU . . 2357 D Jochen Feilcke CDU/CSU 2358 C Dr. Helmut Kohl, Bundeskanzler . . . 2360 B Oskar Lafontaine, Ministerpräsident (Saarland) 2369 B Michael Glos CDU/CSU 2375 B Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister AA . 2379 D Karsten D. Voigt (Frankfurt) SPD . . 2384 B Gerd Poppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 2386 D Heinrich Graf von Einsiedel PDS . . . 2389 A Günter Verheugen SPD 2391 B Christian Schmidt (Fürth) CDU/CSU . 2395 C Antje Hermenau BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . 2396 D Ulrich Irmer F.D.P 2397 D Günter Verheugen SPD . . . . . . 2398 B Eckart Kuhlwein SPD 2399 D Dr. Werner Hoyer, Staatsminister AA . 2401 D Eckart Kuhlwein SPD . . . . . . . . . 2401 D Jürgen Augustinowitz CDU/CSU . 2403 A Dr. Erich Riedl (München) CDU/CSU . 2403 C Karsten D. Voigt (Frankfurt) SPD . . . 2406 B Paul Breuer CDU/CSU 2409 B Angelika Beer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 2411 A Günther Friedrich Nolting F.D.P. . . 2412 B Ulrich Heinrich F.D.P. 2412 D Jürgen Koppelin F.D.P 2413 B Volker Rühe, Bundesminister BMVg . 2415 B Angelika Beer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 2416 C Norbert Gansel SPD 2417 C Dietrich Austermann CDU/CSU . . . 2418 C Dr. Emil Schnell SPD 2421 A Armin Laschet CDU/CSU . . . 2422 B, 2431 B Michael von Schmude CDU/CSU . . . 2424 C Wolfgang Schmitt (Langenfeld) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 2425 D Carl-Dieter Spranger, Bundesminister BMZ 2427 B Dr. R. Werner Schuster SPD . . . . 2428 C Karl Diller SPD 2429 B Eckart Kuhlwein SPD 2429 C Dr. Ingomar Hauchler SPD 2430 A Dr. Winfried Pinger CDU/CSU . . . 2430 D Dr. Willibald Jacob PDS 2431 C Eckart Kuhlwein SPD (Erklärung nach § 31 GO) 2439 A Namentliche Abstimmungen . . . 2433 C, 2436 C Ergebnisse . . . . . . . . . . . 2433 C, 2436 C Haushaltsgesetz 1995 (Drucksachen 13/528, 13/529, 13/966) . . . . . . . 2439 B Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Der Finanzplan des Bundes 1994 bis 1998 (Drucksachen 12/8001, 13/530) . . . . . . . . . . 2439 C Zusatztagesordnungspunkt 5: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P.: Initiative zum Karabach-Konflikt (Drucksache 13/1029) 2439 D Vizepräsident Hans Klein 2441 C Joseph Fischer (Frankfurt) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 2441 C Tagesordnungspunkt VI a: Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus Francke (Hamburg), Peter Kurt Würzbach und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Karsten D. Voigt (Frankfurt), Uta Zapf und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Ulrich Irmer, Dr. Olaf Feldmann und der Fraktion der F.D.P.: Unbefristete und unkonditionierte Verlängerung des Nichtverbreitungsvertrages zu dem Antrag der Abgeordneten Andrea Lederer, Heinrich Graf von Einsiedel und der weiteren Abgeordneten der PDS: Beitrag der Bundesrepublik Deutschland zur Nichtverbreitung von Kernwaffen zu dem Antrag der Abgeordneten Angelika Beer, Ludger Volmer und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Reform und Stärkung des Nichtweiterverbreitungsvertrages für Atomwaffen und das Mandat der Bundesregierung für die Verlängerungskonferenz in New York (Drucksachen 13/398, 13/429, 13/537, 13/838) Uta Zapf SPD 2440 B Klaus Francke (Hamburg) CDU/CSU . 2441 D Ludger Volmer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 2442 B Dr. Olaf Feldmann F.D.P 2443 A Andrea Lederer PDS 2443 C Helmut Schäfer, Staatsminister AA . . 2444 C Nächste Sitzung 2445 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . 2447* A 31. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 30. März 1995 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Adler, Brigitte SPD 30. 03. 95 Blunck, Lilo SPD 30. 03. 95 Büttner (Ingolstadt), SPD 30. 03. 95 Hans Büttner (Schönebeck), CDU/CSU 30. 03. 95 Hartmut Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Hartenstein, Liesel SPD 30. 03.95 Heym, Stefan PDS 30. 03. 95 Meißner, Herbert SPD 30. 03. 95 Scheel, Christine BÜNDNIS 30. 03. 95 90/DIE GRÜNEN Tippach, Steffen PDS 30. 03. 95 Vergin, Siegfried SPD 30. 03. 95
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Klaus Kinkel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Nein, ich möchte jetzt wirklich nicht.

    (Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das verlängert die Debatte!)

    Ich möchte im übrigen die Vertreter der SPD auffordern, so wie ich das getan habe, in Gesprächen mit Herrn Cetin, der ja jetzt der Vorsitzende der beiden zusammengeschlossenen sozialdemokratischen Parteien ist, in der Türkei das zu sagen, was sie hier sagen, hinzufahren und bei der Sozialistischen Internationale und bei ihren Partnern darauf hinzuwirken, daß das, was sie so gern hätten, in der Praxis geschieht, statt hier bloß herumzuposaunen und in der Praxis nichts zu machen.

    (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der CDU/CSU Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Das ist doch unverschämt!)

    Es geht um einen schwierigen Balanceakt. Ich sage es noch einmal: Wir dürfen nicht übersehen, in welcher Zerreißprobe sich die Türkei befindet. Wenn Sie Verantwortung tragen würden, müßten Sie sich anders verhalten.
    Ich möchte gern noch etwas anfügen, was mir sehr wichtig zu sein scheint. In der Zeit des Ost-WestKonfliktes mußten wir zum Teil unwahrscheinlich viel Geduld mit Regierungen aufbringen, die mit Freiheit und Menschenrechten wenig im Sinn hatten.

    (Zuruf des Abg. Dr. Helmut Lippelt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

    - Ausgerechnet Sie! - Diese Politik hatte damals einen guten Grund und war letztlich auch erfolgreich; sie hat mit zum Wandel beigetragen. Heute behandeln wir die Staaten, die um Demokratie ringen, zum
    Teil wesentlich strenger und schlechter - unter Hinweis auf unsere Wertmaßstäbe, zu denen sie sich im übrigen auch bekennen und die sie gern einhalten würden, wenn sie denn die Kraft hätten, es zu tun.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr wahr!)

    Das sollten wir uns sehr genau überlegen. Das mag theoretisch Sinn machen, wir müssen jedoch sehr aufpassen, daß dies im praktischen Ergebnis nicht zu einer Bestrafung ausgerechnet der Staaten führt, die ernsthaft zu uns hin wollen, aber eben noch mit großen eigenen Problemen zu kämpfen haben. Das kann letztlich, wenn ich es richtig sehe, nicht unser Ziel sein.
    Sie müssen sich auch anhören, daß ich natürlich mehr als Sie bei meinen Auslandsreisen und gerade in der Türkei, und zwar immer als erstes, auf folgendes angesprochen werde: Lieber deutscher Außenminister, was haben Sie eigentlich zu über 95 Anschlägen auf türkische Einrichtungen in den letzten drei Wochen in Deutschland zu sagen?

    (Karsten D. Voigt [Frankfurt] [SPD]: Ja, sagen Sie es mal! Was machen Sie?)

    - Ja, das haben wir ja gestern in der Debatte gesagt.
    - Was haben Sie eigentlich zu den Ereignissen in Mölln und Solingen zu sagen, die Jahre zurückliegen? Sie als deutscher Außenminister, waren ja - Herr Lippelt, hören Sie genau zu - im letzten Jahr dabei, als die ermordeten Kinder und Erwachsenen in der Türkei zu Grabe getragen worden sind! - Ich habe als Außenminister eine Gesamtschau vorzunehmen. Ich kann Ihnen nur sagen: Solange wir nicht in der Lage sind, im eigenen Haus Ordnung zu halten - ich will das allerdings nicht vergleichen -, sollten wir - ich sage das noch einmal - mit aufgeblasenen Bakken nach draußen etwas vorsichtiger sein.

    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, seit dem 1. Januar dieses Jahres ist Deutschland zum drittenmal im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. So wie für uns die globale Vertretung unserer Wirtschaftsinteressen noch stärker in den Vordergrund rückt, so wird von einem Industriestaat unserer Größenordnung globale Mitverantwortung erwartet.
    Ich habe gerade auf meiner Reise in die Golfstaaten, nach Ägypten und nach Ankara in der letzten Woche wieder gemerkt, über welch großes Freundschaftskapital wir gerade in der arabischen Welt verfügen. Viele dieser Staaten ringen mit vergleichbaren Problemen, nämlich mit dem Fundamentalismus. Algerien ist das allerbeste Beispiel, das der Europäischen Union die größten Sorgen bereitet. Da ist erneut guter Rat teuer. Es hat keinen Sinn, hier große Erklärungen abzugeben, sondern es wird draußen gefragt: Wie kann geholfen werden? Wie sind denn die Deutschen bereit zu helfen? Da wird dann alles ein wenig kleinlauter.
    Wir müssen diese bedrängten Staaten in ihren Bemühungen um Modernisierung unterstützen. Vergessen Sie bitte nicht: 23 % der Weltbevölkerung hängen dem Islam an. Das sind 1,3 Milliarden Men-

    Bundesminister Dr. Klaus Kinkel
    schen auf dieser Erde. Wir sind in einer riesigen Gefahr, daß wir die Religion des Islam gleichsetzen mit Terrorismus und Fundamentalismus. Ich kann nur sagen: Bitte keine neuen Feindbilder aufbauen.

    (Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Dasselbe gilt für Burundi. Der deutsche Außenminister und der deutsche Verteidigungsminister werden mehr als früher gefragt: Wenn ihr wohlfeile Ratschläge habt, seid ihr dann bereit, dort mit Soldaten hineinzugehen und zu helfen, die Situation in den Griff zu bekommen? Die Frage würde ich dann, wenn es ernst wird, an Sie richten.

    (Günter Verheugen [SPD]: Warum haben Sie nicht?)

    Ich komme gleich noch auf dieses spezielle Problem.
    Der Einsatz für die Menschenrechte - ich möchte das noch einmal sagen; ich habe es schon vorher angedeutet - bleibt der moralische Imperativ unserer Außenpolitik. Er wird auch nicht auf anderen Altären geopfert. Ich weise das zurück. Ich bin in der Außenpolitik überhaupt mehr für Einsichten als für Altäre, z. B. für die Einsicht, daß wir neben unseren Wertvorstellungen auch Interessen haben, daß aber diese Interessen nicht von den Wertvorstellungen getrennt werden dürfen bzw. zu trennen sind.

    (Karsten D. Voigt [Frankfurt] [SPD]: Das eine sind die Wertvorstellungen, das andere sind die Mehrwertvorstellungen!)

    Meine Damen und Herren, ich komme auf das, was Herr Verheugen und Herr Voigt offensichtlich von mir als Antwort wollen, zu sprechen. Mir wird ja vorgeworfen, daß ich Militarisierung der deutschen Außenpolitik betreibe, Druck entwickele in Richtung auf ständige Mitgliedschaft im Sicherheitsrat - im übrigen als erstes gefordert von der SPD. Sie haben recht, Herr Verheugen, daß wir uns auf Grund der deutschen Vergangenheit, daß sich insbesondere die SPD auf Grund ihrer Vergangenheit nicht schämen muß, die Debatte über Bundeswehreinsätze zu führen. Das haben Sie mir mehrfach entgegengehalten. Da haben Sie recht. Andere Parteien haben das auch getan.
    Aber: Sie in der SPD brauchten sich auch nicht zu schämen, wenn Sie sich bei so wichtigen Fragen wie der gesamten transatlantischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik und den schwierigen Einsätzen bei friedenserhaltenden Maßnahmen in der Welt bald zu einer klaren Position durchringen würden, einer Position, die Deutschland, die NATO und die WEU nicht ins Abseits stellt. Noch sind Sie dazu nicht bereit.

    (Beifall bei der F.D.P.)

    Es wird immer alles mögliche erklärt und gefordert. Wenn es notwendig ist, sich in den Fragen praktisch zu bewegen, sind Sie leider Gottes sehr stark in der Vergangenheit verhaftet. Ich will keine Militarisierung oder „Germans to the front". Ich möchte nur gern, daß uns unsere Partner und Freunde nicht weiter scheel ansehen und uns vorhalten, daß wir zwar gern Vorteile für uns in Anspruch nehmen, aber uns mehr oder weniger davor drücken, Pflichten zu übernehmen. So auf jeden Fall meinen einige.

    (Karsten D. Voigt [Frankfurt] [SPD]: Sie nicht auch? Abg. Karsten D. Voigt [Frankfurt] [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

    - Ich unterhalte mich nachher mit Ihnen, Herr Voigt.
    Ich komme zum Schluß. Meine Damen und Herren, ein Nachbar, mit dem wir geschichtlich immer eng verbunden waren und der besonders unter den Untaten des Nationalsozialismus gelitten hat, sind die Tschechen. Ich bin für die Diskussion, die zum Thema Polen geführt worden ist, dankbar. Ich bin glücklich darüber, daß wir im Verhältnis zu Polen entscheidende Schritte vorangekommen sind. Ich wünsche mir sehr - ich habe das hier bei der Regierungserklärung gesagt -, daß das mit der Tschechischen Republik genauso geht. Ich habe in der Regierungserklärung gesagt: Wir schulden den Opfern des nationalsozialistischen Unrechts Gerechtigkeit und Genugtuung. Ich habe mich über die Reaktion - weil das ja nicht so sicher war - meines tschechischen Kollegen gefreut.
    Wir rechnen Unrecht nicht auf. Ich bin zuversichtlich, daß wir hier im Geiste einer echten Versöhnung bald zu einer guten Lösung kommen werden.
    Das ist nicht nur für Deutsche und Tschechen wichtig - ich sage das bewußt am Schluß -, das ist für ganz Europa von Bedeutung. Havel hat einmal gesagt: „Wenn Westeuropa nicht den Schlüssel zu Osteuropa findet, verliert es den Schlüssel zu sich selbst. " Wir Deutsche sollten uns in besonderer Weise dieser Wahrheit, wie ich meine, bewußt sein. Wir haben jedenfalls vor, als Regierung so und in diesem Sinne zu handeln.
    Vielen Dank.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Rede von Hans-Ulrich Klose
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Kollege Gerd Poppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN).

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Gerd Poppe


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Bundesaußenminister, sicherlich sind wir uns in manchen außenpolitischen Fragen einig, aber es ist eine Verwischung der Unterschiede zwischen den Aufgaben von Regierung und Opposition, wenn Sie von uns hier fordern, als Opposition das zu erledigen, was Sie als Außenminister nicht schaffen.

    (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

    Ich kann Sie sehr wohl beruhigen: Wir fahren und wir sind gefahren nach Bosnien, in die Türkei, nach Rußland, und wir versuchen dort, Politik zu machen, die diese Konflikte lösen hilft.

    Gerd Poppe
    Wir sind uns sicherlich auch einig, daß Einsparungen im Haushalt notwendig sind. Aber es ist eine Binsenweisheit, daß man auch an den falschen Stellen sparen kann. Wenn Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, den Rüstungshaushalt ungeschoren lassen oder erstmalig seit 1989 gar anheben, andererseits bei der Entwicklungshilfe oder der humanitären Hilfe sparen, dann sparen Sie an der falschen Stelle.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)

    Nachdem ich vorhin den Bundeskanzler gehört habe, der die Lage der Menschen in Asien und Afrika mit der von denen in Rostock und Dresden in einem Atemzug genannt hat, wundert mich nichts mehr, was den Entwicklungshaushalt angeht.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Meine Damen und Herren, das Ungleichgewicht im Haushalt beruht auf einer politischen Fehlorientierung, über die wir heute nicht zum erstenmal reden. Es sind vor allem zwei grundsätzliche Fehler, meine Damen und Herren von der Bundesregierung, die wir Ihnen vorhalten.
    Erstens. Sie akzeptieren nach wie vor die Ergebnisse sogenannter militärischer Lösungen. Sie nehmen sie hin, obwohl jeder angesichts der täglichen Schreckensbilder in aller Welt weiß, daß mit militärischer Gewalt Konflikte nicht zu lösen sind, sondern nur durch die Beseitigung ihrer Ursachen. Der hohe Stellenwert des Militärischen in Ihrer Außenpolitik ist die zwangsläufige Konsequenz aus der systematischen Weigerung, Armut und Unterentwicklung endlich angemessen zu bekämpfen.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Zweitens. Sie greifen immer noch in die politische Mottenkiste zur Bewahrung eines Status quo, von dem inzwischen jeder weiß, daß er nicht zu der erwünschten Stabilität führt. Das Hinnehmen einer abenteuerlichen Politik autoritärer Regierungen oder gar ihre Unterstützung führt nicht zu mehr, sondern zu weniger Sicherheit. Trotz entsprechender Erfahrungen mit den verblichenen kommunistischen Regimes, deren Lebensdauer Sie ja verlängert haben, und anderen Diktaturen wiederholen Sie mit erstaunlicher Konsequenz frühere Fehler.

    (Zuruf von der F.D.P.: Ich höre wohl nicht recht!)

    Warum setzen Sie auch nach den türkischen und russischen Militäreinsätzen gegen das kurdische bzw. tschetschenische Volk immer noch auf Regierungen, die offenkundig nicht willens oder nicht in der Lage sind, die Menschenrechte zu wahren und demokratische Verhältnisse zu entwickeln? Warum sichern Sie ausgerechnet solchen Regierungen Ihre Unterstützung, ja Freundschaft zu, während Sie andererseits Irritationen gerade bei denjenigen schaffen - wie Polen und der Tschechischen Republik -, die auf dem Weg zur Demokratie sind?

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Herr Schäuble hat vorhin einen Anlauf genommen und wollte uns erklären, worin denn die Fehler bestanden bezüglich der Rangelei um die Einladung an Polen. Er hat diesen Satz nicht beendet, aber er hat von Solidarnosc gesprochen und von der großen Rolle, die Solidarnosc gespielt hat, und wie sehr er sie schätzt. Nun frage ich: Wenn es auf der einen Seite die unbezweifelbaren Verdienste von Mitterrand gibt, auf der anderen Seite die unbezweifelbaren Verdienste des Vorsitzenden der Solidarnosc und heutigen polnischen Präsidenten - warum soll dann nicht eine andere Behandlung möglich sein, als sie geschehen ist?

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Sie, meine Damen und Herren von der Regierung eines der reichsten Länder der Erde, unterschätzen chronisch die Folgen von sozialen Krisen im ärmeren und größeren Teil der Welt. Sie nehmen politische Krisen immer erst dann wahr, wenn sie zum offen ausgetragenen Konflikt führen. Wenn dann das von vielen Sachverständigen lange erwartete Ergebnis eintritt, sind Sie, Herr Außenminister, überrascht oder enttäuscht oder schockiert. Wäre es da, herr Kinkel, nicht angebracht, nach den vielen schönen Worten über die Menschenrechte diesen endlich den angemessenen Stellenwert zu verschaffen, anstatt im Zweifelsfall immer wieder dem unmittelbaren außenwirtschaftlichen Interesse den Vorrang zu geben?

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Heinrich Graf von Einsiedel [PDS])

    Die mindestens unklare Haltung der Bundesregierung läßt sich mit vielen Beispielen belegen. Ich erwähne nur die Politik gegenüber China und gegenüber dem Iran. Ich würde sehr gerne noch zu dem reden, was Sie über Bosnien und über Tschetschenien gesagt haben, möchte mich aber jetzt auf den aktuellen Fall, der uns beschäftigt, den Umgang mit der türkischen Intervention im Nordirak, beschränken.
    Niemand bestreitet, daß Terrorismus bekämpft werden muß. Aber es ist die verfehlte türkische Politik gegenüber dem kurdischen Volk, es sind die Aktionen der türkischen Militärs, die die PKK seit Jahren stärken, jede politische Lösung verhindern und die Demokratisierung blockieren.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der PDS)

    Wenn Sie ungeachtet dessen die türkische Regierung bis heute gebetsmühlenartig als Garanten des laizistischen Staates und demokratischen Partner in Europa darstellen, so ist das keine angemessene und ausreichende Reaktion. Ebensowenig reichen ein Sperrvermerk für die Finanzhilfe oder die halbherzige Ankündigung einer vorläufigen Aussetzung noch ausstehender Militärhilfe. Die türkische Regierung kann beruhigt abwarten, bis die Schamfrist verstrichen ist. Das Verfahren ist bekannt: Denken Sie

    Gerd Poppe
    nur an die sogenannte Normalisierung der Beziehungen zu China, ohne daß die Menschenrechtssituation sich auch nur im mindesten geändert hätte.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der PDS)

    Es genügt auch nicht, schockiert zu sein, Herr Kinkel, wenn ein NATO-Partner in einen Nachbarstaat einmarschiert und verkündet, sich dort für ein Jahr einzurichten.

    (Birgit Homburger [F.D.P.]: Was soll man denn machen?)

    Die Initiative zur Anwendung der OSZE-Mechanismen hätte schon viel früher ergriffen werden können und müssen. Es reicht nicht aus, einmal mit dem Fuß aufzustampfen

    (Lisa Peters [F.D.P.]: Sondern was, Herr Poppe?)

    und dann nach wenigen Wochen wieder zur sogenannten Normalität, zur Tagesordnung überzugehen. Das gilt für Ihre Besuche in Moskau wie in Ankara.
    Meine Damen und Herren, hierzulande ist fast nur vom Einsatz des türkischen Militärs gegenüber der PKK die Rede. Kaum erwähnt werden z. B. die Übergriffe der Polizei in Istanbul gegen die protestierenden Alawiten. Inzwischen besteht die reale Gefahr, daß extreme Islamisten auch in der Türkei die Oberhand gewinnen.
    Es geht also nicht allein um die politische Lösung der sogenannten Kurdenfrage, d. h. den Beginn des Dialogs mit den Vertretern des kurdischen Volkes und den Abbau der kemalistischen Staatsdoktrin. Es geht um die demokratisch verfaßte Türkei schlechthin. Damit es sie geben kann, muß Druck auf die nationalistischen bzw. autoritären Kräfte ausgeübt werden. Zugleich müssen die demokratischen Kräfte gestärkt werden.
    Dafür ist es natürlich unverzichtbar - darin stimmen wir mit Ihnen überein -, der Türkei eine deutliche europäische Perspektive zu eröffnen. Andererseits wäre eine Aufnahme in die Zollunion zum gegenwärtigen Zeitpunkt jedoch das falsche Signal.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

    Sie würde die Verfechter der gegenwärtigen Politik nur ermuntern. Es ist auch legitim, über eine Aussetzung der Mitgliedschaft im Europarat nachzudenken, wenn dessen Aufnahmekriterien glaubwürdig bleiben sollen.
    Hilfe für die Türkei, d. h. für alle Menschen in der Türkei, unabhängig von ihrer Volkszugehörigkeit, bedeutet deshalb, das Angebot der europäischen Integration an Bedingungen zu knüpfen, die nicht aufgeweicht werden dürfen. Die Forderungen nach demokratischer Justiz und Verfassungsreform, nach
    Aufhebung des Ausnahmezustands in Kurdistan und nach der Freilassung gewaltfreier politischer Gefangener müssen deutlich artikuliert und mit praktischer Unterstützung verbunden werden.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Es gibt für die Lösung der Probleme der Türkei sicher kein Patentrezept, keine einfache, holzschnittartige Lösung. Etwas anderes haben wir auch nie behauptet. Diese Aufgabe ähnelt einer Gratwanderung. Jedoch könnte Deutschland durchaus eine Schlüsselrolle einnehmen, natürlich unter der Voraussetzung, daß die innenpolitischen Fragen in Deutschland gelöst werden.
    Das, was ich hier zur Türkei gesagt habe, sollte grundsätzlich für unsere Politik gelten. Ohne praktizierte Demokratie, ohne Garantie der Menschenrechte, ohne den besonderen Schutz der Minderheiten ist eine auf Interessenausgleich gerichtete Entwicklung nicht möglich. Auch wer den außenpolitischen und wirtschaftlichen Interessen die Priorität beimißt - um das für einen Außenminister und zugleich Vorsitzenden einer erklärten Wirtschaftspartei hinzuzufügen -, sollte die Vorzüge eines demokratischen Systems kennen, z. B. im Hinblick auf Risiken bei Auslandsinvestitionen.
    Die Forderung, die genannten Kriterien zum Maßstab von Außenpolitik zu machen, sollte endlich Konsens in diesem Hause werden, unabhängig davon, wer die deutsche Außenpolitik gestaltet.
    Gestern haben Sie, Herr Kinkel, im Ausschuß gefragt: Was würden Sie denn an meiner Stelle tun?

    (Bundesminister Dr. Klaus Kinkel: Richtig!)

    Weiter haben Sie gesagt: Sie würden sich schon auf den Moment freuen, wenn wir vor derartigen Problemen stehen.

    (Bundesminister Dr. Klaus Kinkel: Ich nicht!)

    Auch wir freuen uns darauf.

    (Bundesminister Dr. Klaus Kinkel: Das verstehe ich!)

    Aber vielleicht sollten Sie die Hoffnung nicht so schnell aufgeben.
    Ich will Ihnen deshalb noch abschließend zwei kleine Ermutigungen mit auf den Weg geben: die eine für den Bundeskanzler, die andere für den Bundesaußenminister.
    Der russische Oppositionspolitiker Jawlinskij hat mir neulich im Gespräch gesagt: Die deutsche Demokratie könne funktionieren, da sie fähig sei, sich selbst zu korrigieren. Der Kanzler habe Sergej Kowaljow nicht empfangen, was in Deutschland Unmut ausgelöst habe. Daraufhin habe er nun immerhin ihn, Jawlinskij, empfangen, wobei - in Klammern - die Frage sei, ob Jelzin überhaupt davon erfahre.
    Zweites Beispiel, Herr Kinkel: Sie haben es selbst genannt. Den Versuch, mit den Petersberger Gesprächen die bosnische Föderation in Gang zu bringen, halte ich für eine begrüßenswerte deutsche Initia-

    Gerd Poppe
    tive, auch wenn zu befürchten ist, daß sie zu spät kam. Von den bosnischen Freunden gab es viel Lob für Herrn Steiner und für Sie. Sie sind also mitunter lernfähig, fähig, sich zu korrigieren, und Sie könnten diese Lernfähigkeit auch heute einmal beweisen, indem Sie unseren Anträgen zum Haushalt zustimmen.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)