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ID1303105400

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 13/31 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 31. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 30. März 1995 Inhalt: Abwicklung der Tagesordnung 2321 A Erweiterung der Tagesordnung . . . 2439 D Tagesordnungspunkt II: Wahl des Wehrbeauftragten (Drucksache 13/1000) . . . . . . . . . . 2321 A Tagesordnungspunkt I: Fortsetzung der zweiten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1995 (Haushaltsgesetz 1995) (Drucksachen 13/50, 13/414) Einzelplan 04 Bundeskanzler und Bundeskanzleramt (Drucksachen 13/504, 13/527) in Verbindung mit Einzelplan 05 Auswärtiges Amt (Drucksachen 13/505, 13/527) in Verbindung mit Einzelplan 14 Bundesministerium der Verteidigung (Drucksachen 13/514, 13/527) in Verbindung mit Einzelplan 23 Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Rudolf Scharping SPD 2322 D Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU . . 2333 D Otto Schily SPD 2344 C Kerstin Müller (Köln) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 2344 D Dr. Hermann Otto Solms F.D.P. . . . . 2349 A Michael Glos CDU/CSU 2349 C Heidemarie Wieczorek-Zeul SPD . . 2349 D Dr. Uschi Eid BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 2354 C Dr. Gregor Gysi PDS 2354 C I fans Klein (München) CDU/CSU . . 2357 D Jochen Feilcke CDU/CSU 2358 C Dr. Helmut Kohl, Bundeskanzler . . . 2360 B Oskar Lafontaine, Ministerpräsident (Saarland) 2369 B Michael Glos CDU/CSU 2375 B Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister AA . 2379 D Karsten D. Voigt (Frankfurt) SPD . . 2384 B Gerd Poppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 2386 D Heinrich Graf von Einsiedel PDS . . . 2389 A Günter Verheugen SPD 2391 B Christian Schmidt (Fürth) CDU/CSU . 2395 C Antje Hermenau BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . 2396 D Ulrich Irmer F.D.P 2397 D Günter Verheugen SPD . . . . . . 2398 B Eckart Kuhlwein SPD 2399 D Dr. Werner Hoyer, Staatsminister AA . 2401 D Eckart Kuhlwein SPD . . . . . . . . . 2401 D Jürgen Augustinowitz CDU/CSU . 2403 A Dr. Erich Riedl (München) CDU/CSU . 2403 C Karsten D. Voigt (Frankfurt) SPD . . . 2406 B Paul Breuer CDU/CSU 2409 B Angelika Beer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 2411 A Günther Friedrich Nolting F.D.P. . . 2412 B Ulrich Heinrich F.D.P. 2412 D Jürgen Koppelin F.D.P 2413 B Volker Rühe, Bundesminister BMVg . 2415 B Angelika Beer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 2416 C Norbert Gansel SPD 2417 C Dietrich Austermann CDU/CSU . . . 2418 C Dr. Emil Schnell SPD 2421 A Armin Laschet CDU/CSU . . . 2422 B, 2431 B Michael von Schmude CDU/CSU . . . 2424 C Wolfgang Schmitt (Langenfeld) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 2425 D Carl-Dieter Spranger, Bundesminister BMZ 2427 B Dr. R. Werner Schuster SPD . . . . 2428 C Karl Diller SPD 2429 B Eckart Kuhlwein SPD 2429 C Dr. Ingomar Hauchler SPD 2430 A Dr. Winfried Pinger CDU/CSU . . . 2430 D Dr. Willibald Jacob PDS 2431 C Eckart Kuhlwein SPD (Erklärung nach § 31 GO) 2439 A Namentliche Abstimmungen . . . 2433 C, 2436 C Ergebnisse . . . . . . . . . . . 2433 C, 2436 C Haushaltsgesetz 1995 (Drucksachen 13/528, 13/529, 13/966) . . . . . . . 2439 B Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Der Finanzplan des Bundes 1994 bis 1998 (Drucksachen 12/8001, 13/530) . . . . . . . . . . 2439 C Zusatztagesordnungspunkt 5: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P.: Initiative zum Karabach-Konflikt (Drucksache 13/1029) 2439 D Vizepräsident Hans Klein 2441 C Joseph Fischer (Frankfurt) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 2441 C Tagesordnungspunkt VI a: Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus Francke (Hamburg), Peter Kurt Würzbach und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Karsten D. Voigt (Frankfurt), Uta Zapf und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Ulrich Irmer, Dr. Olaf Feldmann und der Fraktion der F.D.P.: Unbefristete und unkonditionierte Verlängerung des Nichtverbreitungsvertrages zu dem Antrag der Abgeordneten Andrea Lederer, Heinrich Graf von Einsiedel und der weiteren Abgeordneten der PDS: Beitrag der Bundesrepublik Deutschland zur Nichtverbreitung von Kernwaffen zu dem Antrag der Abgeordneten Angelika Beer, Ludger Volmer und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Reform und Stärkung des Nichtweiterverbreitungsvertrages für Atomwaffen und das Mandat der Bundesregierung für die Verlängerungskonferenz in New York (Drucksachen 13/398, 13/429, 13/537, 13/838) Uta Zapf SPD 2440 B Klaus Francke (Hamburg) CDU/CSU . 2441 D Ludger Volmer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 2442 B Dr. Olaf Feldmann F.D.P 2443 A Andrea Lederer PDS 2443 C Helmut Schäfer, Staatsminister AA . . 2444 C Nächste Sitzung 2445 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . 2447* A 31. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 30. März 1995 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Adler, Brigitte SPD 30. 03. 95 Blunck, Lilo SPD 30. 03. 95 Büttner (Ingolstadt), SPD 30. 03. 95 Hans Büttner (Schönebeck), CDU/CSU 30. 03. 95 Hartmut Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Hartenstein, Liesel SPD 30. 03.95 Heym, Stefan PDS 30. 03. 95 Meißner, Herbert SPD 30. 03. 95 Scheel, Christine BÜNDNIS 30. 03. 95 90/DIE GRÜNEN Tippach, Steffen PDS 30. 03. 95 Vergin, Siegfried SPD 30. 03. 95
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    Rede von Andrea Lederer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (PDS)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (PDS)

    Ich bin gleich fertig. - Ich habe eine Bitte: daß Sie mal in meine Abgeordnetensprechstunde kommen und einer Frau aus den neuen Bundesländern,

    (Widerspruch bei der CDU/CSU)

    die mir nachweist, daß sie im Monat 600 Mark hat, erklären, wie sie davon leben soll. Ich kann das nicht. Ich habe noch nie von so wenig Geld gelebt. Und Sie können es auch nicht!

    (Unruhe bei der CDU/CSU)

    Also legen Sie wenigstens Ihre reiche vermögensmäßige Arroganz ab, die Sie hier an den Tag legen, wenn Sie über Schicksale sprechen, von denen Sie nichts verstehen!

    (Lebhafter Beifall bei der PDS sowie Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Dem Haushalt können wir nicht zustimmen; denn er ist ein Haushalt der Rüstung, der Arbeitslosigkeit, des Sozial-, Kultur- und Bildungsabbaus. Sie werden verstehen: Das ist ein bißchen viel auf einmal.
    Herr Bundeskanzler, in Kürze begehen Sie Ihren 65. Geburtstag. Ich wünsche Ihnen wirklich aufrichtig Gesundheit, Wohlergehen, persönliches Glück - und den verdienten Ruhestand.

    (Heiterkeit und lebhafter Beifall bei der PDS)



Rede von Dr. Burkhard Hirsch
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl.

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    Rede von Dr. Helmut Kohl


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst bedanke ich mich für diese guten Wünsche. Wer 65 wird, kann gar nicht genug gute Wünsche bekommen. Wer Bundeskanzler ist, braucht sie um so mehr. Ich bin vor allem dankbar, daß Sie die Wünsche zur Gesundheit von den Wünschen zur Amtszeit abgesetzt haben. Wenn Sie Ihre Meinung zum letzten Punkt nicht ausgesprochen hätten, würden viele unserer Freunde in Deutschland an mir zweifeln. Ich denke, bei dieser Arbeitsteilung bleiben wir.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Wenn ich gesund bleibe, hoffe ich, daß der erste Teil Ihres Wunsches so in Erfüllung geht. Über den zweiten Teil, Herr Abgeordneter, entscheiden die Wähler. Da sehe ich - mit großer Genugtuung - die Dinge auch für die Zukunft auf einem guten Weg.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Günter Verheugen [SPD]: Aha! Joachim Poß [SPD]: Er ist wieder im Ring! Weitere Zurufe von der SPD)

    - Haben Sie jetzt schon wieder Angst wegen der zukünftigen Kandidatur? Ich muß Sie einmal ein bißchen aus Ihrer Lethargie herausreißen können.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Die Generaldebatte hat den Sinn, daß über die Regierungspolitik umfassend geredet wird. Diejenigen, die über sie schreiben und sie kommentieren, haben die Gewohnheit, schnell zu sagen: Die halten alle Fensterreden.

    (Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Richtig!)

    Man kann nicht über parlamentarische Arbeit lamentieren und gleichzeitig nicht zugeben wollen, daß ein Parlamentarier in der konkreten Situation an einem konkreten Tag ein bestimmtes Ziel hat. Der Oppositionsführer kann ja nun nicht das Ziel haben, zu sagen: Lieber Helmut Kohl, Sie werden 65, ich wünsche Ihnen ein langes Leben, eine lange Amtszeit. Dann ist er in seiner Partei ja ganz verloren,

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. Rudolf Scharping [SPD]: Ein langes Leben schon!)

    zumal sein Nachbar von den GRÜNEN schon unüberhörbar Zweifel daran hegt, daß er das Klassenziel überhaupt je erreicht.

    (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Na, wie kommt er denn auf die Idee?)

    Also muß er hier herkommen und - das gehört sich ja auch so - gewaltig losdonnern. Das haben wir heute erlebt. Es war schon angekündigt worden: In der Fraktion gibt es Geraune; deshalb muß er zeigen, was er bringt. Er hat es gebracht: in scharfen Angriffen, mit wilden Worten.

    (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Das hat er gut gemacht!)

    Es ist eine Republik entstanden, die mit der unsrigen gar nichts mehr zu tun hat.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Das blanke Elend quoll aus diesem Saal. Deswegen streben viele unserer Landsleute jetzt mit großem Tempo - Ostern steht bevor - in den zweiten Urlaubsabschnitt dieses Jahres.
    Also, Herr Kollege Scharping, ich will Ihnen ganz einfach sagen: Ich habe viel Verständnis für das, was heute bei Ihnen abgelaufen ist.

    (Zuruf von der SPD: Väterliche Masche!)


    Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
    Ich erinnere mich immer an meine eigene Situation.

    (Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Das hat er schon einmal erzählt!)

    - Ich kann das noch einmal erzählen.

    (Dieter Schanz [SPD]: Das ist aber langweilig!)

    - Sie können es gar nicht oft genug hören.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

    Vielleicht nehmen Sie an diesem Punkt auch in Ihrer eigenen Fraktion ein bißchen mehr Vernunft an. Eigentlich spreche ich im Moment in Ihrem Interesse.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU)

    Als ich heute früh hierher kam, stand einer mit seinem Mikrophon da und fragte mich; Was sagen Sie zur Schwäche der Opposition? - Er war dann sichtlich enttäuscht, als ich sagte, ich hätte jetzt nicht die Absicht, mit ihm über die Opposition zu reden, sondern würde gleich im Bundestag meine Politik verteidigen. Da ich das Auf und Ab der Politik länger erlebt habe als viele andere, bin ich gegen solche vorschnellen Behauptungen. Aber Sie werden mir erlauben, Herr Vorsitzender Scharping, daß ich mich an meine eigenen Oppositionsreden erinnere, als ich, wie Sie, von Mainz hier hergekommen war, aus einem relativ ruhigen Dasein als Ministerpräsident des Landes Rheinland-Pfalz.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Lachen bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und der PDS - Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Schönes Land!)

    Ich war gerade ein paar Wochen da, da ging es auch bei uns in der Fraktion los. Wir waren damals in einer besonderen Situation. Die haben Sie jetzt auch - ich komme noch darauf zu sprechen -; aber ein bißchen anders war es schon. Da hieß es: Der bringt das nie. Dann bin ich von Rede zu Rede - wenn ich das heute lese, frage ich mich, warum ich das gemacht habe - auch immer schärfer geworden. Ich habe mich immer weiter von den Leuten draußen entfernt, und die Fraktion hat großen Beifall gegeben. Sehen Sie, so geht es auch Ihnen.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Nur, Herr Kollege Scharping, die Moral von der Geschichte ist: Es hat dann noch sechs Jahre gedauert.

    (Heiterkeit)

    Wenn Sie sich einmal vorstellen: Jetzt schreiben wir 1995.

    (Zuruf der Abg. Ingrid-Matthäus Maier [SPD])

    - Darüber werden wir uns doch sicher einigen, gnädige Frau, daß es 1995 ist.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Und noch einmal sechs Jahre, lieber Herr Scharping, dann sind wir in einem neuen Jahrtausend. Überlegen Sie einmal, was das heißt!
    Ich will noch einmal auf das, was ich vorhin gesagt habe, zurückkommen. Die Lage bei Ihnen ist natürlich anders. Bei uns gab es wenigstens nur einen präsumtiven Gegenkandidaten; bei Ihnen ist jedesmal ein anderer da. Man muß sich richtig daran gewöhnen.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Herr Ministerpräsident Lafontaine scheint heute nicht so gut gelaunt zu sein. Seine übliche joviale Art ist vielleicht nachher beim Reden wieder da. Ich hoffe das.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Dann kommt der Kollege aus Hannover.
    Jetzt muß ich Ihnen schon sagen: Ich habe viel erlebt. Es haben auch manche meinen Sturz betrieben. Das ist ganz normal in einer demokratischen Partei. Aber eine der größten Unverfrorenheiten - das muß ich Ihnen schon sagen -, die einem Parteivorsitzenden zuteil wurde, ist der heutige Artikel Ihrer Stellvertreterin im „General-Anzeiger". Sie sollten diese Dame möglichst rasch ablösen. Das wäre ein Segen für die Sozialdemokratie und für die deutsche Demokratie. Das möchte ich Ihnen sagen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Denn ein solches Maß - ich habe keine Freude daran; und auch der Kollege Solms hat keine Freude daran - an Illoyalität sollten wir nicht auch noch dadurch belohnen, daß wir es zitieren. Das sage ich noch einmal klar und deutlich.
    Dann ein Zweites, das ich Ihnen auch sagen möchte: Ich habe noch einmal das Abstimmungsergebnis für die Frau Wehrbeauftragte angesehen, der ich an dieser Stelle noch einmal im Namen der Bundesregierung gratuliere.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Aber, lieber Herr Kollege Scharping, wenn Sie Führung anmahnen bei mir und der Bundesregierung, der Koalition: Wenn ich schon meiner Fraktion die Empfehlung gäbe, die Kollegin mit zu wählen, dann würde ich wenigstens versuchen, daß mindestens über 50 % sie wählen. Also, für Sie war es heute kein großer Tag mit diesem Ergebnis; wirklich nicht.

    (Zurufe von der SPD: Doch!)

    Sie sollten mit Ihrer Kritik, bevor Sie über andere reden - -

    (Horst Kubatschka [SPD]: Das können auch Ihre Leute gewesen sein!)

    - Ihr Dazwischenrufen zeigt doch nur Ihr schlechtes Gewissen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


    Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
    Meine Damen und Herren, wir sprechen heute im Rahmen der Generalaussprache nicht zuletzt auch über die wirtschaftliche Lage. Sehen Sie, in unserer Erinnerung stehen die Debatten zur wirtschaftlichen Lage am Vorabend der Bundestagswahl - das war im September 1994, bei den ersten Reden über diesen Haushalt - und vom November 1993, als es um den 94er Etat ging. Herr Abgeordneter Scharping, wenn Sie noch einmal alles nachlesen, was Sie und Ihre Kollegen alles prophezeit haben, dann müssen Sie sich doch eigentlich fragen: Was wollen Sie uns noch an Prognosen über Weltuntergang bei uns in der Bundesrepublik zumuten?
    Sie sind durch die Gegend gezogen und haben Katastrophengemälde gezeigt. Aber die Realität sieht doch bei allen Sorgen, die wir haben, ganz anders aus. Es ist doch nicht zu bestreiten, daß sich die Aufschwungkräfte in Deutschland durchsetzen. Wir erwarten für dieses Jahr ein Wachstum von ca. 3 %. Es ist doch unübersehbar, daß der Prozeß des wirtschaftlichen Aufschwungs vorankommt. In diesem Jahr werden wir in Ostdeutschland ein reales Wachstum von ungefähr 10 % haben. Wahr ist ebenfalls - das können Sie noch so lange bestreiten -, daß sich der Arbeitsmarkt zwar langsam, aber durchaus positiv entwickelt. Das gilt für Westdeutschland und ebenso für die neuen Länder.
    Aber diese Entwicklung ist noch kein Grund zur Genugtuung. Jeder hier im Saal weiß, daß das Ziel, neue Arbeitsplätze zu schaffen und Arbeitsplätze zu stabilisieren, die Herausforderung der deutschen Innenpolitik bleibt. In allen vergleichbaren modernen Industrienationen erleben wir seit vielen Jahren, daß am Ende jeder Rezession der Sockel der Arbeitslosigkeit höher ist als zuvor. Das macht uns betroffen. Wenn Sie genau hinschauen, dann können Sie überall, gerade bei uns in Deutschland, unschwer erkennen, daß die Welle von Rationalisierungen, die über die Betriebe hinweggegangen ist und -geht und die zum Teil dramatisch schnell die Betriebsergebnisse verbessert hat, in vielen Fällen durch den Abbau von Arbeitsplätzen erkauft worden ist.
    Hinzu kommt etwas, was ich für besonders wichtig halte, nämlich die Erkenntnis, daß im Wege des Ab- und Umbaus in den produzierenden Bereichen vor allem jene Arbeitsplätze abgebaut werden, die durch geringere Anforderungen gekennzeichnet sind. Anders ausgedrückt: Die geringer Qualifizierten haben schlechtere Möglichkeiten und bleiben eher außen vor oder werden freigesetzt. Deswegen ist die wichtigste Herausforderung der nächsten Jahre - das ist in anderen Ländern in Europa genauso -, daß wir Arbeitsplätze nicht nur im gehobenen Ausbildungssektor, sondern vor allem auch dort schaffen, wo früher etwa Hilfsarbeiter und ungelernte Arbeitskräfte ihre Chance hatten und wo heute besonders abgebaut wird.
    Wir müssen uns auch überlegen, wo es neue Möglichkeiten gibt. Wir müssen beispielsweise angesichts der Entwicklung der Altersstruktur in unserem Lande mit Blick auf die Pflege die Chance eröffnen, daß viele Leute, Männer wie Frauen, in diesem Bereich einen Arbeitsplatz finden. Ich halte es für sehr wichtig, daß wir die Anforderungen nicht so hoch setzen - ich sage das bewußt so -, daß später viele wiederum keine Chance haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    So schwierig dies ist, ich bin dennoch der Auffassung, daß wir durch gemeinsame Bemühungen der Arbeitgeber- und der Arbeitnehmerorganisationen, der Gewerkschaften und der Wirtschaft, der Politik und der öffentlichen Hand das Notwendige zur Transparenz und zur Flexibilisierung beitragen.
    Ich bin nach wie vor völlig unzufrieden, daß wir in der Frage der Teilzeitarbeit nicht richtig vorankommen. Ich erwarte mir von diesem Bereich nicht das Heil für alles. Aber es ist doch ganz unbestreitbar, daß es auf die Dauer nicht vernünftig sein kann, daß es in Deutschland nur 14 % oder 15 % Teilzeitarbeitsplätze gibt, während es z. B. in den Niederlanden 34 % oder 35 % sind. Es darf auch nicht so sein, daß jetzt wieder die Diskussion geführt wird - übrigens nicht zuletzt im öffentlichen Dienst; ich nehme hier Bund, Länder und Gemeinden durchaus zusammen -, daß Teilzeitarbeit eine Sache der Frauen ist. Das halte ich für ganz falsch. Die Chancen, die sich hier eröffnen, müssen wir wahrnehmen. Die gesetzlichen Voraussetzungen sind da.
    Es ist für mich kein Trost, daß wir im Verhältnis zu anderen Ländern immer noch besser dastehen. Wir haben vom Frühjahr 1983 bis 1990 über drei Millionen neue Arbeitsplätze in der alten Bundesrepublik geschaffen.
    Warum soll es denn nicht möglich sein, auch auf diesem Feld mit gemeinsamer Anstrengung wieder ein gutes Stück voranzukommen?

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Meine Damen und Herren, auch wenn es stimmt, daß die Bundesrepublik Deutschland unter den großen Industrieländern nach Japan die niedrigste Arbeitslosenrate aufweist, besteht keine Anlaß, sich auszuruhen und sich zu feiern.
    Wir haben Erfolge beim Thema Jugendarbeitslosigkeit. Es ist weniger ein Verdienst der heutigen Generation als der Generation vor uns, daß mit dem dualen System eine erstklassige Chance für junge Leute geschaffen wurde, rechtzeitig eine gute Ausbildung zu bekommen.
    Es ist doch bemerkenswert, daß unsere Jugendarbeitslosenrate nur ein Viertel des europäischen Durchschnitts beträgt. Der EU-Durchschnitt liegt bei 19,5 %, in der Bundesrepublik sind es knapp 5 %.
    Im Hinblick auf die Kapitalmarktzinsen in den großen Industrieländern haben wir eine günstige Position. Ich begrüße ausdrücklich die Entscheidung des Zentralbankrats vom heutigen Tag - ich bekomme dies gerade von Bundesminister Bohl gereicht -, die für die Entwicklung unserer Konjunktur und die mo-

    Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
    netäre Situation insgesamt förderlich ist. Die Entscheidung geht in die richtige Richtung.

    (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Was wurde denn nun beschlossen? Sie hätten es doch sagen können! Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl reicht das Papier an Ministerpräsident Oskar Lafontaine [Saarland] weiter Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    - Meine Damen und Herren, wenn ich dem Ministerpräsidenten des Saarlands schon nicht das Wasser reichen kann, kann ich ihm wenigstens das Papier reichen. Vielleicht ist das hilfreich.

    (Erneute Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Herr Abgeordneter Scharping, als Sie dauernd über die soziale Dimension der Politik klagten, haben Sie wie üblich völlig verschwiegen: Wir haben eine Inflationsrate, die jahrelang gesunken ist und jetzt bei 2,4 % liegt. Ich bleibe bei der These: Die beste Sozialpolitik für Rentner und viele Millionen Menschen mit kleinen Einkommen ist die Wahrung der Stabilität der Währung. Deswegen ist es entscheidend, daß wir uns darum kümmern.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Wolfgang Schäuble hat trotz Ihres Protestes vorhin zu Recht gesagt, daß wir eine Gratwanderung machen müssen: auf der einen Seite gewachsene internationale Verantwortung, auf der anderen Seite Verantwortung für unsere Währung und strikter Konsolidierungsbedarf. Bei allen Klagen, die von der deutschen Exportwirtschaft geäußert werden, ist doch unübersehbar, daß die Stabilität der D-Mark eine gute Sache ist. Können Sie sich die Debatte vorstellen, die heute stattfände, wenn die D-Mark in den Strudel geraten wäre?

    (Zustimmung bei der CDU/CSU und der F.D.P. Ina Albowitz [F.D.P.]: Das kann man wohl sagen!)

    Wir hätten gar nicht mehr anzutreten brauchen; Sie hätten doch im Chor vom Untergang der Republik gesungen.
    Ich bin stolz darauf, daß sich unsere Politik, nicht zuletzt auch die Politik des Bundesfinanzministers - sein hohes internationales Ansehen hat sehr viel damit zu tun -, im Vertrauen in die D-Mark widerspiegelt.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Daß wir die enormen Sonderbelastungen für den Staatshaushalt in den letzten vier Jahren nicht einfach wegstecken können, ist auch wahr. Ich habe jetzt erste Notizen über neue IWF-Zahlen, die in ein paar Tagen erscheinen werden, gelesen. Ich finde es schon sehr bemerkenswert, daß das Urteil über die Bundesrepublik Deutschland nicht nur sehr viel positiver ausfällt, sondern daß darin auch ein kleines
    Stück Anerkennung für die einmalige Leistung enthalten ist, die deutsche Einheit finanziell verkraftet zu haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Meine Damen und Herren, man muß auch das deutlich sagen: Bei alldem, der deutschen Einheit, dem Wiederaufbau und der Angleichung der Lebensverhältnisse in den neuen Ländern bei gleichzeitiger schwerer Rezession, der schwersten in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg, haben wir über 146 Milliarden DM Unterstützungsleistungen für Osteuropa gegeben. Allein für die neuen unabhängigen Staaten, vor allem für Rußland, haben wir pro Kopf zehnmal soviel gezahlt wie beispielsweise die Französische Republik und die Vereinigten Staaten von Amerika. Das gehört doch auch zum Bild Deutschlands in dieser Zeit.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Weil hier wieder zum Teil absurde Vorstellungen über den Bereich der Innenpolitik im Hinblick auf Asylbewerber geäußert wurden: Es ist doch auch wahr, und das hat viel mit der Solidarität im Bereich der finanziellen Unterstützung zu tun, daß die Bundesrepublik Deutschland mit weitem Abstand die meisten Flüchtlinge und Asylbewerber in der Europäischen Union aufnimmt, und zwar mehr als 70 %.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Meine Damen und Herren, wenn wir gleichzeitig im Vergleich der öffentlichen Verschuldung in Prozent des Bruttoinlandsprodukts im G-7-Bereich auf dem zweitbesten Platz stehen - die Bundesrepublik mit 53,7 %, die USA mit 64,2 %, bei einem OECD-Durchschnitt von 70,2 % -, dann ist natürlich viel zu tun. Ich bin der letzte, der sagt, wir hätten in diesen vier, fünf Jahren alles richtig gemacht. Wir haben dazugelernt und haben uns verbessern müssen, aber insgesamt ist das eine gewaltige Leistung, und sie wird in der ganzen Welt anerkannt.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Und dann, Herr Abgeordneter Scharping, haben Sie mich in der Auseinandersetzung mit meinem Amtsvorgänger in den 70er Jahren zitiert. Nun, meine Damen und Herren, die Schulden, die damals aufgelaufen waren, waren nicht Schulden infolge der deutschen Einheit und der Hilfe für Mittel-, Ost- und Südosteuropa. Es waren hausgemachte Probleme, die Sie damals zu vertreten hatten.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Ölpreiskrise!)

    Daß man das ändern konnte, haben wir ja ebenfalls bewiesen. Wir haben zwischen 1982 und 1990 den Anteil der Staatsausgaben am Sozialprodukt zurückgeführt und sind wieder auf eine Staatsquote in der Nähe von 46 % gekommen. Sonst wäre die deutsche Einheit 1990 und in den folgenden Jahren gar nicht finanzierbar gewesen. Das ist doch die Realität.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


    Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
    Das heißt - und dazu bekenne ich mich auch: Wir müssen jetzt von unseren Mitbürgerinnen und Mitbürgern verlangen, daß wir diese Finanzierung gemeinsam solidarisch tragen. Zugleich müssen wir den Kurs der Haushaltskonsolidierung fortsetzen. Die Begrenzung der Staatsausgaben wird natürlich nicht überall Freude erwecken. Dennoch, Theo Waigel hat recht mit dem, was er hier vor ein paar Tagen gesagt hat. Das Jahr 1996 wird ein Jahr der Steuersenkungen - immerhin mit einer Gesamtentlastung von 30 Milliarden DM - werden.
    Nun gibt es, weil Sie in der SPD sich vom solidarischen Denken verabschiedet haben, eine große Diskussion im Blick auf den Solidaritätszuschlag. Meine Damen und Herren, ich finde, das, was sich hier entwickelt, gehört zu den erbärmlichen Schauspielen der jüngeren deutschen Geschichte.

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

    Ich füge ausdrücklich hinzu: Sie sind bei dieser Haltung nicht allein, leider. Ich habe noch die vielen Stimmen im Ohr, die mir zugerufen haben: Du mußt nur Opfer verlangen! Die Leute sind gern bereit, Opfer zu bringen!
    Jetzt höre ich von dem einen oder anderen, daß Kirchenaustritte mit dem Solidaritätszuschlag zusammenhängen. Das ist theologisch eine sehr einfache Begründung.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

    Ich höre wiederum von anderen, daß das nicht zumutbar sei. Sie kennen das alles.
    Ich habe eine ganz einfache Frage an jeden von uns. Die meisten, die hier im Saal sitzen, vor allem die, die aus Westdeutschland kommen, aus der alten Bundesrepublik, und die in meinem Alter oder etwas jünger sind, aber trotzdem dabei waren, haben doch erlebt, wie wir in den 50er und 60er Jahren an Weihnachten Lichter in die Fenster stellten. Es war dann die Rede von den „Brüdern und Schwestern im anderen Teil Deutschlands".

    (Dr. Uwe-Jens Heuer [PDS]: Das ist lange her!)

    - An Ihrer Stelle würde ich diesen Zwischenruf nicht machen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Denn als wir von den Brüdern und Schwestern im anderen Teil Deutschlands sprachen, hatten Sie längst die endgültige Trennung im Kopf. Sie haben das Recht verwirkt, für Brüder und Schwestern in ganz Deutschland zu sprechen. Da waren Sie auf der falschen Seite.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Und, meine Damen und Herren, dann waren doch auch die Feiertage, der 17. Juni. Da haben wir uns versammelt.

    (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Die meisten waren im Freibad!)

    - Ja, Sie waren nicht dabei. Man konnte damals auch gern auf Sie verzichten, um das klar und deutlich zu sagen.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die meisten waren im Freibad! Geben Sie es doch zu!)

    Wir haben immer wieder gesagt: Wir wollen die Einheit. Wir wollen, wenn es auch Geld kostet, alles tun. Es sind damals in der deutschen Diskussion von den großen demokratischen Parteien ganz andere Summen genannt worden. Ich will sie gar nicht aufzählen.
    Jetzt haben wir für ein paar Jahre Opfer zu bringen. Wir werden den Solidaritätszuschlag so früh wie möglich abschaffen, aber erst dann, wenn es vertretbar und verantwortbar ist.
    Wenn auf Kirchentagen und bei anderer Gelegenheit von den Brüdern und Schwestern in Afrika, Asien und Lateinamerika gesprochen wird, dann ist es auch angemessen, von den Brüdern und Schwestern in Rostock und Frankfurt/Oder zu reden, die unsere Unterstützung brauchen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Besonders schäbig ist das Spiel, das Sie von der SPD jetzt in der Landtagswahl getrieben haben, indem Sie in Hessen den Leuten sagen: „Ihr zahlt zuviel" und Sie dann ein paar Kilometer über die Grenze nach Thüringen gehen und sagen: Ihr bekommt zuwenig. Das ist keine Politik!

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Dr. Wolfgang Weng [Geringen] [F.D.P.]: Das ist ganz übel! Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stoiber, Stoiber, sage ich da nur!)

    Wenn ich, meine Damen und Herren, über die wirtschaftliche Entwicklung rede, dann muß ich ein kurzes Wort - es war in der Debatte ja viel davon die Rede, nicht nur heute, sondern in diesen Tagen - zum Standort Deutschland sagen. Zu den Elementen des Standortes Deutschland gehört eine sichere, eine kostengünstige, eine umweltfreundliche Energieversorgung.
    Bis vor wenigen Jahren waren wir uns doch auch völlig einig, daß ein ausgewogener Energiemix von Mineralöl, Erdgas, Kohle, Kernenergie und erneuerbaren Energien sowie Energiesparen eine der entscheidenden Voraussetzungen ist, um Ökonomie und Ökologie miteinander zu verbinden.

    Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
    Sie, meine Damen und Herren von der SPD, haben sich davon verabschiedet. Die Begründung, die Sie bis heute geben, ist überhaupt nicht überzeugend, denn Ihre eigenen politischen Freunde in anderen Ländern Europas haben wenigstens einen Weg des Übergangs gefunden.
    In Schweden hat eine Volksabstimmung - nicht einmal eine parlamentarische Abstimmung - eine bestimmte Entscheidung gegen Kernkraft erbracht. Die folgende Regierung - die jetzige, sozialdemokratisch geführte Regierung macht es genauso - hat versucht, eine Übergangslösung über Jahrzehnte hinaus zu erreichen, trotz des Ergebnisses der Volksabstimmung.
    Man mag ja darüber streiten, was im Jahr 2020 oder 2030 sein wird. Aber es kann doch nicht vernünftig sein, jetzt dafür zu kämpfen, daß die weit über 20 Kernkraftwerke in der früheren Sowjetunion bzw. den Nachfolgerepubliken, die das Sicherheitsniveau von Tschernobyl haben, geschlossen werden. Es kann doch angesichts der wirtschaftlichen Lage in diesen Regionen nur ein Narr verlangen, daß diese Kernkraftwerke geschlossen werden. Also müssen sie sicherer gemacht werden.
    Wenn wir gleichzeitig die Chance, Sicherheitsverbesserungen vorzunehmen, unsere Industrie auf der Höhe der Zeit zu halten, vergeben, so ist das weder eine vernünftige Politik, noch nützt es dem Standort Deutschland. Es ist ein Ausstieg aus einem Stück Zukunft.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Im übrigen wissen Sie doch bei aller Diskussion um CO2-Einsparziele so gut wie ich, daß Sie das, was wirklich notwendig ist - das gilt jedenfalls für Deutschland und vergleichbare Länder in den nächsten Jahren gemeinsam -, mit einem Ausstieg aus der Kernkraft, wie Sie ihn proklamieren, nicht erreichen können.
    Bei aller Unterstützung für Energiesparen und Nutzung erneuerbarer Energien - Sie finden mich bei all diesen Dingen völlig offen für ein Gespräch und für Entscheidungen - kann doch niemand glauben, daß die eigentliche Gefährdung im CO2-Bereich auf diese Art und Weise gestoppt und beseitigt werden kann.
    Deswegen ist es wichtig, daß wir jetzt versuchen - in ein paar Wochen ist ja die Wahl in NRW vorbei; die saarländische Wahl war bereits -, zu einem Gespräch der Vernunft auch in Sachen Steinkohle zu kommen. Denn, meine Damen und Herren, so einfach, wie Sie es sich machen, vor allem der Ministerpräsident. von Nordrhein-Westfalen, ist es nicht. Er hat nun wirklich nichts getan. Seine Amtszeit ist lang, aber was er zur Strukturverbesserung mit Blick auf die Steinkohle getan hat, kann ich beim besten Willen nicht erkennen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Widerspruch bei der SPD Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Dummes Zeug!)

    Sie rufen lautstark: Wir brauchen das Geld aus Bonn. In der nächsten Stufe sagen Sie dann: Wenn das Geld nicht kommt, dann machen wir einen Marsch auf Bonn. Mich beeindrucken Sie mit beidem überhaupt nicht.

    (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Wann waren Sie zuletzt im Ruhrgebiet?)

    Sie können jetzt bei den Energiegesprächen Punkt für Punkt sagen, was Sie wirklich wollen. Aber es kann nicht angehen, daß, wenn es um die Sicherung der Arbeitsplätze der Bergarbeiter geht, wir, der Bund, dafür zuständig sind und Sie für die Propaganda vor Ort.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Vielmehr sind Sie genauso in Bund und Ländern - in den Ländern haben Sie die Mehrheit - für einen vernünftigen Energiemix in der Zukunft verantwortlich und dafür, daß in Deutschland Ökonomie und Ökologie versöhnt werden, daß wir die Schöpfung bewahren.
    Wenn Sie sich an Ihren Hoffnungspartnern, wie Sie glauben, bei den GRÜNEN, orientieren, werden Sie keine Zukunft gewinnen.

    (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Na!)

    Denn die GRÜNEN können diese Position nur vertreten, weil sie sicher sind, daß andere die Zukunft sichern.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Zu meinem Erstaunen sind heute von Ihrer Seite, Herr Abgeordneter Scharping, aber auch von anderen unsere Beziehungen und unser Verhältnis zum Nachbarn Polen in die Debatte gebracht worden. Es gehört schon ein ziemlich kurzes Gedächtnis dazu, den CDU-Vorsitzenden zum Thema Polen anzusprechen.
    Zunächst einmal lege ich Wert auf die Feststellung, daß wir in der Christlich Demokratischen und Christlich-Sozialen Union - das war immer auch die Politik in den Koalitionen mit den Freien Demokraten - den Satz aus der Regierungserklärung Konrad Adenauers von 1949 ganz wichtig nahmen. Er sagte damals ungefähr - ich formuliere das einmal aus dem Gedächtnis -: Wir wollen Aussöhnung und Frieden mit allen unseren Kriegsgegnern von gestern - vor allem mit Frankreich und mit Polen - und auch mit dem Staat Israel. Ich denke, unsere Politik hat in all diesen Jahren dazu beigetragen, dieses Ziel zu erreichen oder ihm näherzukommen.
    Mit Blick auf Israel hat das heute nacht der israelische Ministerpräsident in seiner öffentlichen Erklärung noch einmal deutlich gemacht. Im Blick auf Frankreich - auch da habe ich Sie überhaupt nicht verstanden - haben wir doch Beziehungen entwikkelt, von denen wir vor 50 Jahren nur träumen konnten.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


    Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
    Herr Abgeordneter Scharping, daß es da Interessengegensätze gibt und daß man nicht in Paris sagen kann: So wird es gemacht, und wir dem nur nachfolgen, sondern daß wir auch einmal sagen: Wir möchten etwas anderes, das ist doch unter Freunden normal.
    Wenn die Beziehungen so schlecht wären und die Repräsentanten der deutschen Politik, Klaus Kinkel oder Helmut Kohl, so schlecht wären, wie wäre es dann überhaupt zu erklären, daß die französischen Spitzenkandidaten so großen Wert darauf legen, mit Bildern von uns im Wahlkampf aufzutreten?

    (Lachen bei der SPD Detlev von Larcher [SPD]: So was von billig!)

    - Das ist doch die Wahrheit.
    Als Vorsitzendem der Sozialdemokraten in Europa muß Ihnen doch aufgegangen sein, daß Ihr Kollege Jospin nach Deutschland kam, um zu demonstrieren, wie sehr ihm an der deutsch-französischen Freundschaft und am Kontakt zu bestimmten Persönlichkeiten gelegen ist. Also, verschonen Sie uns wirklich damit.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Vive le roi!)

    Ich spreche das Thema Polen an, weil ich hier meine Erfahrungen mit deutschen Sozialdemokraten habe. Einige sind ja noch im Bundestag, die das miterlebt haben. Wir hatten in der CDU/CSU eine scharfe, schwierige Diskussion in den Jahren 1975/ 76, als es um den sogenannten großen Vertrag zwischen Deutschland und Polen ging; Sie wissen das. Es gab wilde Debatten hier im Bundestag, in denen die Mehrheit der CDU/CSU-Fraktion dagegen gestimmt hat. Wir haben dann nach einer dramatischen Entwicklung am 12. März 1976 mit der Mehrheit aller Stimmen der CDU/CSU-geführten Länder - ohne uns wäre nichts geschehen - im Bundesrat den Vertrag akzeptiert. Alle Ministerpräsidenten einschließlich meines Freundes Alfons Goppel, des Bayerischen Ministerpräsidenten, haben zugestimmt.
    Herr Scharping, ich erwähne es deswegen, weil ich damals erlebt habe, wie weit parteitaktisches Denken bei Ihnen gehen kann. Sie haben an jenem Tag fest damit gerechnet, daß wir auf Grund unserer großen inneren Schwierigkeiten keine Mehrheit zustande brächten. Sie hatten schon Millionen Fluglätter gedruckt, um uns im Wahlkampf als diejenigen anzuprangern, die die Polen-Verträge zerstören wollen. Sie haben damals schäbig gehandelt, und Sie haben heute zu diesem Punkt schäbig gesprochen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Dann war da noch das Wort von der Solidarnosc.

    (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Zur Sache, Kanzler! Sagen Sie einmal etwas zu Polen und zum 8. Mai!)

    - Ich komme zum 8. Mai, aber ich lasse mir von Ihnen überhaupt nicht vorschreiben, worüber ich zu reden habe. Sie sind der letzte in diesem Haus, der mir dazu einen Grund geben kann.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Zur Sache, Kanzler!)

    Also, dann war hier die Rede von Solidarnosc. Herr Fraktions- und Parteivorsitzender Scharping, wo war denn die deutsche Sozialdemokratie 1981/82? An der Seite der Solidarnosc? Wer hat denn von den deutschen Parteien dieser neu aufkommenden Gruppierung die ersten, auch materiellen, Unterstützungen gegeben? Hier sitzt Norbert Blüm, der Ihnen bestätigen wird, wer die Gespräche mit dem jetzigen Präsidenten der Polnischen Republik geführt hat. Ich habe keinen Bedarf an Nachhilfeunterricht in Sachen Polen, in Sachen Solidarnosc und in Sachen Freiheit in Polen.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    In Polen käme auch niemand auf den Gedanken, das zu sagen, was Sie hier gesagt haben.

    (Günter Verheugen [SPD]: Oh doch!)

    Denn die politische Führung, auch die jetzt gerade neu ins Amt gekommene polnische Regierung, der Ministerpräsident wie der Außenminister, und ganz gewiß der Staatspräsident, wissen sehr genau, daß die Bundesregierung und hier insbesondere der Bundesaußenminister und auch ich bei jeder Gelegenheit das Notwendige getan haben, um Polen etwa den Weg in die Europäische Union zu ebnen. Wenn Sie sehen, was Volker Rühe im Bereich der NATO tut, dann kommen Sie zur gleichen Erkenntnis. Sie konnten vor wenigen Wochen in den Zeitungen lesen, was der polnische Ministerpräsident anläßlich des EU-Gipfels in Essen zu diesem Thema gesagt hat und daß er sich bei den Deutschen bedankt hat.
    Was soll das also? Wenn Sie unsere Politik nicht mögen, ist das Ihre Sache. Sie sollten aber eine Grundausstattung an Fairneß haben und die Dinge nicht so ganz falsch darstellen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Jetzt erlauben Sie mir ein Wort zu der Gedenkfeier am 8. Mai. Ich versuche wieder zu dem Thema zu kommen, um das es hier eigentlich geht und das doch jeden von uns berührt, gleich, ob er in jenen Tagen schon dabei war oder später geboren ist.
    Meine Damen und Herren, am 8. Mai jährt sich zum 50. Mal das Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa. Das muß für uns alle in allererster Linie ein Tag des Gedenkens und der Selbstbesinnung sein, auch bei ganz unterschiedlichen Lebensläufen.
    Wir erinnern uns an diesem Tag an die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, an die Millionen ermordeter Juden, an die ermordeten Sinti und Roma und an viele andere. Wir erinnern uns auch an das Leiden unschuldiger Männer, Frauen und Kinder aus anderen Völkern wie auch aus unserem eigenen Volk.

    Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
    Millionen von Soldaten aus vielen Nationen ließen auf den Schlachtfeldern des Zweiten Weltkriegs, den Hitler entfesselt hatte, ihr Leben. Millionen gerieten in Kriegsgefangenschaft, viele kehrten als Kriegsversehrte in die Heimat zurück.
    Wir haben guten Grund, an diesem Tag auch derer zu gedenken, die bei Flucht und Vertreibung Schlimmes erlebt haben und die ganz unschuldig waren, die nicht für sich als einzelne die Verantwortung zu tragen hatten, die aber in die Kollektivschuld unseres Volkes geraten sind.
    Wir gedenken an diesem Tag der Frauen, die vergeblich auf ihre Männer gewartet haben, und der Mütter, die vergeblich auf ihre Söhne gewartet haben. Wir gedenken der vielen Kinder, die im Zweiten Weltkrieg Vater oder Mutter verloren haben.
    Das Kriegsende bedeutete für uns Deutsche die Chance zum Neubeginn. Es ermöglichte Frieden und Versöhnung zwischen den Völkern, hat dem größeren Teil unseres Volkes in der dann gegründeten Bundesrepublik 40 Jahre Freiheit geschenkt. 1990 kam dann die Wiedervereinigung.
    Wenn man noch einen Sinn für die Würde unseres Volkes hat, kommt man zu dem Ablauf des 8. Mai, den wir überlegt hatten. Wolfgang Schäuble sprach davon. In den allerersten Gesprächen des Bundespräsidenten, der Bundestagspräsidentin und des Bundesratspräsidenten, der Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts und des Bundeskanzlers waren wir uns einig, daß wir versuchen wollten, diesen Tag unter uns zu begehen. Es war gar keine Rede vom Einladen ausländischer Gäste. Das ist eine Überlegung, die man sehr wohl anstellen kann. Es war gedacht, daß der Bundespräsident wie schon vor zehn Jahren die Hauptrede hält und daß eine Ansprache der beiden Parlamentspräsidenten - Bundestagspräsidentin und Bundesratspräsident - die Rede des Bundespräsidenten einrahmt. Das war unsere Vorstellung.
    In diese Vorbereitung kam dann, und zwar plötzlich - ich bin dennoch dafür sehr dankbar -, der Wunsch des französischen Präsidenten François Mitterrand, an diesem Tag in Deutschland zu sprechen. Wenn François Mitterrand einen solchen Wunsch deutlich macht, muß man gleichzeitig auch bedenken, daß am Tag vor dem 8. Mai, am 7. Mai, die Stichwahl für die Wahl des Präsidenten der Französischen Republik stattfindet, daß heißt, daß in der darauffolgenden Woche seine Amtszeit endet.
    Er selbst hat ja auch öffentlich erklärt, daß seine Rede auf den Champs-Elysées am Grabmal des unbekannten Soldaten am Morgen des 8. Mai sein letzter öffentlicher Auftritt in Frankreich sein soll. Nun ist François Mitterrand nicht irgend jemand: Er hat mehr als viele andere dazu beigetragen, daß in seiner 14jährigen Amtszeit die deutsch-französische Freundschaft sprichwörtlich in der Welt geworden ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P., der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Er hat in vielen Stationen dieser Jahre gemeinsam mit uns und nicht zuletzt mit mir als Regierungschef in Deutschland die Sache Europas vorangebracht. François Mitterrand ist in seinem Leben dreimal aus deutscher Gefangenschaft ausgebrochen.
    Er hat unser Land - das ist in diesen Tagen in einer literarischen Würdigung deutlich geworden - in seinem kulturellen und geistigen Gehalt in einer Weise in sich aufgenommen wie wenige andere. Ich finde, wir haben allen Grund, stolz zu sein, daß dieser Mann am 8. Mai bei uns in Deutschland sprechen wird.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P., der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)

    Das kann jeder nachvollziehen.
    Angesichts der Tatsache, daß wir bis vor wenigen Jahren von den „vier Statusmächten" in Deutschland sprachen - diese Zeit liegt nicht so weit zurück, daß wir alles vergessen haben -, war es doch ganz naheliegend, die Überlegung anzustellen, daß wir die Vier Mächte, die für das, was dann zur deutschen Einheit führte, ganz entscheidend waren, einladen. Es ist nicht alles vergessen, was in diesen Jahrzehnten geschehen ist, beispielsweise die Garantie der Freiheit Berlins. So kommen Vizepräsident AI Gore, Premierminister John Major und der russische Ministerpräsident.
    So entstand das Konzept, das der Würde unseres Landes, den Beziehungen zu unseren Freunden und Partnern entspricht und das - was mir vor allem wichtig ist - nicht rückwärtsgerichtet ist, sondern Perspektiven für die Zukunft aufweist.
    In diesem Zusammenhang darf man, Herr Abgeordneter Scharping, auch daran erinnern, daß das Treffen jetzt in Berlin 50 Jahre nach Potsdam stattfindet. Auch jemand wie ich weiß noch, wer in Potsdam am Tisch gesessen hatte; ich brauche die Ermahnung nicht, die Sie mir vorhin gegeben haben. Es ist eigentlich ziemlich naheliegend, daß wir sagen: In diesen 50 Jahren haben wir - nicht allein die hier Sitzenden, sondern ganze Generationen vor uns; ich schließe alle meine Amtsvorgänger ausdrücklich ein - diesen Weg überhaupt möglich gemacht. Wir sollten das jetzt nicht kleinreden. Wir sollten stolz darauf sein, daß wir eine solche Möglichkeit haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Dann stellt sich die Frage, ob wir darüber hinaus noch andere einladen und ob wir, wenn wir jemanden einladen, jemanden einladen können, der nicht spricht. Ich brauche das nicht näher zu erläutern. Jeder spürt doch, wie schwierig so etwas ist.
    Man kann den Kalender zur Hand nehmen und festlegen, wann man anfängt. Wenn Sie von Polen reden, dann müssen Sie natürlich auch die Frage nach Tschechien und der Slowakei stellen; allerdings liegen die entsprechenden Ereignisse zeitlich davor. Dann müßten Sie auch Norwegen, Dänemark, die

    Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
    Niederlande, Belgien und Luxemburg - ich könnte die Liste fortsetzen - nennen.

    (Zuruf von der PDS)

    - Meine Damen und Herren von der PDS, das ist Ihre Meinung. Aber Ihre Meinung ist für mich deswegen völlig unerheblich, weil Sie über 40 Jahre mit all diesen Ländern ganz andere Beziehungen hatten. Sie sind doch in der Tschechoslowakei einmarschiert und nicht die Bundesrepublik Deutschland.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Ich empfinde es als ein starkes Stück Heuchelei, daß Sie vorhin von der Wiedergutmachung für die Juden gesprochen haben. Sie in der DDR haben doch überhaupt keine Wiedergutmachung an den Staat Israel geleistet.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Sie haben sich doch über Jahrzehnte hinweg vor Ihrer moralischen Verantwortung für das Unrecht, das in deutschem Namen geschehen ist, gedrückt. Insofern brauchen wir von Ihnen wirklich keinen Appell.
    Ich will noch einmal sagen: Wer ruhig darüber nachdenkt, wird unschwer erkennen, daß der gewählte Weg der richtige ist. Ich bedaure, daß von polnischer Seite - ich will ausdrücklich bestätigen: in einer gutwilligen Weise und mit voller Anteilnahme am Schicksal der Deutschen - der Vorschlag zu einem solchen Zeitpunkt kam, daß wir über die Gründe, die wir haben, noch gar nicht haben reden können. Ich bin ganz sicher, daß im Parlament - nicht auf meinen Rat hin, Herr Abgeordneter Scharping; auch da ist das, was Sie gesagt haben, der Wahrheit zuwider -, in seinen Gremien und auch im Bundesrat überlegt wird, erstens die Chance zu haben, einen Redner von Gewicht aus Polen bei uns in diesen Tagen als Gast zu sehen. Zum zweiten finden wir leicht eine Möglichkeit, bei dem Besuch des polnischen Staatspräsidenten hier im Deutschen Bundestag seine Rede mit jener Erwartung zu hören, die viele an diese Diskussion geknüpft haben.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Ich sage noch einmal: Wir wollen Ausgleich mit unseren polnischen Nachbarn. In den Ländern, die ich soeben angesprochen habe und die man bei einer solchen Einladung mit nennen muß, hat mir der eine oder andere bedeutet, daß er diese Einladung lieber nicht erhält, weil sie innenpolitisch Schwierigkeiten machen könnte. Das alles wissen auch Sie.
    Lassen Sie uns bitte zur sachlichen Betrachtung zurückkehren. Man mag ja unterschiedlicher Meinung sein; das respektiere ich doch. Aber diese Verbalinjurien - hätte ich beinahe gesagt -, die Sie damit verbunden haben, sind der Sache nicht gemäß.
    Ich komme zum letzten Punkt: Wissen Sie, Herr Abgeordneter Scharping, ich stelle mich gerne Ihrer Kritik an unserer Außenpolitik. Natürlich machen wir da auch Fehler, denn wir müssen ja fast täglich Entscheidungen treffen. Nur, die Vorstellung, daß die Regierung und ich isoliert seien, ist mir neu. Ich kenne nicht einen einzigen Amtskollegen in Europa - gleich welcher Partei -, der Ihren Wahlsieg am 16. Oktober gewünscht hat. Das wissen Sie doch wirklich selber.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Aber die müssen ihn doch auch nicht wählen!)

    Wenn Sie einmal unter echten Klausurbedingungen in der Sozialistischen Internationale mit Bezug auf die europäischen Länder nachfragen, werden Sie zu einem erstaunlichen Ergebnis kommen.
    Sie können übrigens auch über die europäischen Grenzen hinausgehen: Sie finden auch in anderen Teilen der Welt wenig Anklang, und zwar deswegen, weil Sie sich völlig isoliert haben. Sie vertreten doch die Politik, daß die Deutschen dort, wo es darum geht, Vorteile zu haben, Teil der Völkergemeinschaft sind, sich aber dort, wo es darum geht, Verantwortung zu übernehmen oder gar Opfer zu bringen, drücken. Das ist doch Ihre Position.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Herr Abgeordneter Scharping, Sie müssen uns wirklich nicht loben; das kann niemand erwarten. Aber ich wäre dann wenigstens ruhig bei der Frage, ob die Bundesregierung, der Bundesaußenminister, der Bundeskanzler und die Koalition, die diese Politik trägt, international nicht das notwendige Ansehen genießen. Am Ende dieses Jahrhunderts, in fünf Jahren, nach zwei schrecklichen Weltkriegen, nach zwei schrecklichen Diktaturen - erst einer braunen und dann einer roten Diktatur in einem Teil Deutschlands -, nach dem Furchtbaren, was in deutschem Namen geschehen ist und auf immer mit dem Namen Auschwitz verbunden sein wird - viele Jahrestage im Jahr 1995 erinnern uns daran -, bin ich glücklich und stolz, daß die großen demokratischen Kräfte - das ist nicht nur eine Frage meiner Partei - nach 1945 und vor allem nach 1949 nach Gründung der Bundesrepublik, ein neues Bild von Deutschland geschaffen, genauer gesagt: erarbeitet haben.
    Das ist uns nicht in den Schoß gefallen. Es waren Millionen Menschen daran beteiligt. Es waren die Gewerkschaften mit ihrer internationalen Arbeit genauso daran beteiligt wie auch viele deutsche Unternehmer und Unternehmungen, die weltweit arbeiten. Es war eine ganze Generation nachwachsender junger Leute - denken Sie nur an das Deutsch-Französische Jugendwerk - daran beteiligt. Denken Sie auch an die Sportverbände, denken Sie an die Arbeit der Kirchen. Ich könnte noch vieles hinzufügen.
    Wir haben die Wiedervereinigung trotz aller Bedenken und Befürchtungen, daß sich die Deutschen doch nicht geändert haben könnten, mit Zustimmung all unserer Nachbarn erreicht. Zugegeben: Die Zustimmung war zum Teil etwas reserviert. Aber sie ist letztendlich gekommen. Am 3. Oktober 1990 haben sich viele in Europa - jetzt spreche ich nicht nur von den Regierungen, sondern von den Menschen - daran erinnert.

    Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
    Wenn ich daran denke - er hat dann zwar Probleme bekommen, weil Kurzsichtigkeit überall zu Hause ist -, daß der Ihnen nicht gänzlich unbekannte Wiener Bürgermeister an diesem Tag - nicht in Erinnerung an 1938, sondern in der Hoffnung auf die Zukunft - Schwarz-Rot-Gold auf dem Wiener Rathaus aufziehen ließ, in Erinnerung an Freundschaft und Partnerschaft zwischen Deutschen und Österreichern nach dem Zweiten Weltkrieg wenn ich daran denke, was wir etwa auf den Champs-Elysées erlebt haben, als das deutsch-französische Korps an den Feierlichkeiten zum 14. Juli teilgenommen hat, finde ich: Damit können wir uns sehen lassen.
    Sie müssen das, was Sie glauben sagen zu müssen, sagen. Ich bin ganz zufrieden mit der Erkenntnis, daß Sie außerhalb und innerhalb der deutschen Staatsgrenzen für Ihre Meinung nicht nur keine Mehrheit, sondern nicht einmal eine minimale Zustimmung finden.

    (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Doch!)

    Wir werden unseren Weg weitergehen für eine Politik für Frieden und Freiheit, für eine Politik des Umdenkens in einer sich dramatisch verändernden Welt. Wolfgang Schäuble hat deutlich gemacht, Herr Solms hat deutlich gemacht, was angesagt ist: ein Umdenken, das eben nicht in der bequemen Form zu erreichen ist, indem wir überall Besitzstände erhalten. Vielmehr werden wir über Besitzstände reden müssen, um Prioritäten neu zu setzen und die Zukunft zu sichern.
    Die Bundesregierung wird auf diesem Weg vorangehen. In diesem Sinne bitte ich um Ihre Zustimmung für den Haushalt. Ich sage Ihnen auch: Bei allen Diskussionen - das gehört zu einem aktiven politischen Leben in der Koalition - werden die Koalition von CDU/CSU und F.D.P. und diese Bundesregierung ihr Ziel erreichen, so wie in den vergangenen zwölf Jahren auch. Das ist immerhin ein Wort. Sie besteht bald länger als die Weimarer Republik. Deshalb hat unsere Politik auch Zustimmung gefunden.

    (Langanhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)