Meine Damen und Herren, die Äußerungen des Kollegen Scharping, der offensichtlich jetzt nicht anwesend sein kann, zum 8. Mai habe ich als peinlich, unangemessen und insbesondere völlig unnötig empfunden.
Das ist nicht die Art, das kann nicht die Art sein, in der wir mit so einem Anlaß umgehen und über Staatsgäste reden, die sich damit angesprochen fühlen müssen.
Ich hätte ihn gerne gefragt, ob er ein so geringes Erinnerungsvermögen hat, daß er nicht weiß, welche Staaten für die Sicherheit und Freiheit unserer Bürger nach 1945 Mitverantwortung getragen haben und welche Staaten mit uns zusammen an den Zweiplus-Vier-Gesprächen, die ja der Bundeskanzler und Hans-Dietrich Genscher geführt haben, beteiligt waren und dafür gesorgt haben, daß die Einheit Deutschlands zustande kommen konnte.
Das war eben die ganz besondere Verantwortung dieser Staaten. Und wenn diese von sich aus bereit sind und es sogar wünschen, mit uns zusammen den 8. Mai festlich zu begehen, die Beendigung des Krieges, die Niederschlagung des Naziterrors ebenso wie 50 Jahre Frieden und die deutsche Einheit zu feiern, dann sollten wir darüber froh und stolz sein und das nicht in typisch deutscher Art niedermachen und darüber lamentieren.
Meine Damen und Herren, Politik ist, wie Max Weber unübertroffen formuliert hat, ein starkes, langsames Bohren dicker Bretter. Und in schwierigen Zeiten muß man das mit großer Geduld tun, und zwar - das fordert er von den Politikern - mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich. Der Haushalt 1995 weist aus, daß er ein Ergebnis solcher Politik ist. Die Reduzierung der Neuverschuldung auf 49 Milliarden DM ist ein nicht erwartetes positives Ergebnis. Dabei wird immer vergessen, daß wir im Haushaltsvollzug 1994 die Neuverschuldung bereits um über 20 Milliarden DM gegenüber der Planung unterschritten hatten.
Auch das ist ein positives Ergebnis, das nicht richtig gewürdigt worden ist.
Jetzt müssen wir eine Doppelstrategie verfolgen, die wir einige Jahre durchhalten müssen, nämlich Konsolidierung einerseits und Steuersenkungen andererseits. Das ist ein ehrgeiziges Ziel - zugegeben -, aber eines, das man erreichen kann.
Aber lassen Sie mich nochmals an Max Weber erinnern: Er hat von Politikern verlangt, daß sie über zwei Dinge verfügen müssen, nämlich über Gesinnungsethik und Verantwortungsethik. Beides gehört zusammen. Verantwortliches Handeln ohne eine dazugehörige Gesinnung im demokratischen, liberalen und toleranten Sinne ist genauso gefährlich wie eine Gesinnung ohne verantwortliches Handeln.
Heute stelle ich in der Bundesrepublik fest, daß immer mehr Politiker ihre Gesinnung vor sich her tragen - Max Weber nennt solche Leute Windbeutel - und in Wirklichkeit nicht bereit sind, zu sagen, daß die Wohltaten, die sie landauf, landab wohlfeil versprechen, andere bezahlen müssen. Auf Kosten anderer ist leicht gut Stimmung machen.
Das reicht jedoch nicht aus.
Die Engländer haben einen guten Begriff für diese Menschen; sie nennen sie die Good-doers. Solche Menschen laufen überall in der Welt herum und erklären, was alles gut gemacht werden muß. Sie erklären den Menschen auch noch, wie schlecht es ihnen gehe und daß sie selber nötig seien, damit es den Menschen bessergehe. Sie sagen jedoch nicht, wie das geschehen soll. Leider ist die Zahl derjenigen im
Dr. Hermann Otto Solms
Bundestag, die ich zu den Good-doers zähle, durch den Einzug der GRÜNEN und der PDS noch dramatisch gestiegen. So kann man aber keine Politik machen.
Zur Politik gehören vor allem Verantwortung und der Beweis des Handelns sowie der Beweis für den Bürger, daß er in seiner Belastungsfähigkeit nicht über alle Maßen beansprucht wird. Wer die Menschen und gerade die Jugend nicht zu eigenverantwortlichem Handeln erzieht, wird die Anspruchsmentalität, die wir uns erzogen haben, natürlich nicht loswerden.
Verantwortung für die Gemeinschaft kann nur aus eigenverantwortlichem Bewußtsein entstehen. Man muß diesen Zusammenhang erkennen, um konsequenterweise sagen zu können, daß wir das Subsidiaritätsprinzip in allen Bereichen der Gesellschaftspolitik durchsetzen müssen und daß es nicht reicht, das Gute nur zu wollen, sondern daß man es auch verantwortlich tun und finanzieren können muß. Erst dann entsteht eine Erziehung für die Jugend, aus der ein liberaler, demokratischer, freiheitlicher und toleranter Rechtsstaat erwachsen und bestehen kann.
Wir haben in dieser Legislaturperiode eine Reihe von Aufgaben zu erfüllen, an denen wir von den Wählern und Bürgern gemessen werden.
Ich will zunächst auf die Steuer- und Abgabenbelastungen eingehen. Wir haben - Herr Schäuble hat darauf hingewiesen - ein Maß an Steuer- und Abgabenbelastung erreicht, welches die Leistungsbereitschaft der Menschen und die Investitionsfähigkeit der Unternehmen einschränkt, ja, geradezu abschnürt. Eine durchschnittliche Steuer- und Abgabenbelastung von 47 % ist nicht auf Dauer durchhaltbar. Zwar ist das unter der besonderen Veranlassung der deutschen Einheit befristet machbar, aber wenn die Sonderlasten abgebaut werden, muß die Steuerentlastung Vorrang haben.
Deswegen haben wir die Auseinandersetzung um die Ersatzfinanzierung des Kohlepfennigs geführt. Die Bürger dürfen nicht den Eindruck haben, bei der ersten Problemsituation werde sofort wieder in ihre Tasche gegriffen. Jetzt geht es auf Grund des moralisch wichtigen, aber auch effizienten Drucks der leeren Kassen darum, eine vernünftige, eiserne Sparpolitik durchzuführen und unsere Ausgaben daraufhin zu überprüfen, ob sie in der Weise, mit den Zielen, mit der Organisation richtig sind oder ob man das Ganze nicht auch effizienter, besser und zielgerichteter gestalten kann.
Es ist schon ein starkes Stück, wie einige noch immer versuchen, die Kohlepfennig-Ersatzsteuer als eine Art ökologischer Wohltat zu verklären. Ausgerechnet eine CO2-/Energiesteuer zur Finanzierung des am meisten CO2 emittierenden Energieträgers, der Steinkohle, kann doch keinen Sinn machen.
Gerade in dieser Frage habe ich die Äußerung der GRÜNEN hier in Bonn vermißt. Ihr Kollege in Düsseldorf, Herr Vesper, hat sich dazu sehr vernünftig im „Focus" geäußert. In Bonn kein Wort! Ich weiß nicht, wie ernst Sie es mit Ihren energie- und umweltpolitischen Zielsetzungen nehmen.
Ich kann Ihnen nur sagen, daß es völlig ungerechtfertigt ist, dies mit der Frage der Notwendigkeit der Einführung einer CO2-/Energiesteuer zu vermischen.
Wir werden und wollen ebenfalls eine ökologische Steuerreform machen, und wir werden in der Koalition über die Einführung einer CO2-/Energiesteuer beraten und unseren Vorschlag hier einbringen. Aber dies wird natürlich unter der Voraussetzung geschehen, daß die Steuerbelastung insgesamt nicht steigt und die Bürger nicht zusätzlich belastet werden. Ich hatte ja vorher darauf hingewiesen, daß es notwendig ist, sie zu entlasten. Wir wollen eine CO2-/ Energiesteuer möglichst auf internationalem Weg einführen; aber wenn das nicht möglich ist, dann sollte man auch national vorangehen.
Diese Aufgabe liegt vor uns, und ihr werden wir uns entschlossen annehmen.
Meine Damen und Herren, morgen wird - das widerspricht auch dem Vorwurf, die Steuerentlastung würde insbesondere die Besserverdienenden begünstigen - das Jahressteuergesetz im Bundestag eingebracht und auf den Weg gebracht werden. Die dort geplanten Steuersenkungen in Höhe von 30 Milliarden DM betreffen ja insbesondere die Niedrigverdienenden, weil das Existenzminimum von jeder Besteuerung freigestellt werden soll. Deswegen geht dieser Vorwurf auch völlig an der Sache vorbei.
Im Rahmen dieser Steuerreform wollen wir auch die Unternehmensteuerreform fortsetzen. Das haben wir zugesagt, und das werden wir einhalten. Dazu ist hier der Vorwurf von Herrn Scharping gemacht worden, die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer sei eine mittelstandsfeindliche Maßnahme. Das Gegenteil ist der Fall.
Ich habe gerade gestern eine Konferenz mit Obermeistern des Handwerks abgehalten. Sie haben geschlossen die Position vertreten, daß die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer und die mittelstandsfreundliche Senkung der Gewerbeertragsteuer voll
Dr. Hermann Otto Solms
in ihrem Sinne seien und daß sie auch nicht so kurzsichtig und engstirnig seien, nicht zu sehen, daß Entlastungen auch da, wo sie nicht direkt bei ihnen ankämen, sie auch indirekt betreffen würden,
weil das Handwerk natürlich mit der großen Wirtschaft und der Industrie zusammenarbeitet und mit auf deren Entlastung angewiesen ist.
Hierzu gehört noch eines. Herr Metzger von den GRÜNEN hat vorgestern erklärt, die Gegenfinanzierung, nämlich die Senkung der Abschreibungssätze bei der degressiven MA, hätten insbesondere die Kleinen zu bezahlen. Das Gegenteil ist der Fall. Die kapitalintensive Wirtschaft ist die Großindustrie. Die Kleinen sind ja besonders personalintensiv und werden von der Gegenfinanzierung wesentlich weniger betroffen als die Großen.
Die Unternehmensteuerreform muß fortgesetzt werden. Sie wird ein Prüfstein für die SPD sein, insbesondere, wenn es darum geht, über die Verfassungsänderungen zu beschließen und damit zu entscheiden, ob die Gemeinden einen eigenen Anteil an der Umsatzsteuer erhalten sollen.
Meine Damen und Herren, das ist eine Jahrhundertchance für die Gemeinden. Die Gemeindeväter, auch Sozialdemokraten oder Christdemokraten, sind geschlossen der Überzeugung, daß eine Beteiligung der Gemeinden an der Umsatzsteuer für sie wesentlich besser als das alleinige Angewiesensein auf die Beteiligung an der äußerst zyklisch anfallenden Gewerbesteuer wäre. Deswegen interessiert mich, wie die SPD auf diesen Antrag reagieren wird, der morgen mit eingebracht werden wird.
Der Städtetag hat ja in dem Papier, daß er zusammen mit der Wirtschaft erarbeitet hat, bereits erklärt, daß er eine solche Beteiligung wünsche, und im Städtetag führen Oberbürgermeister und Bürgermeister, die der SPD angehören, ja ein gewichtiges Wort.
Darüber hinaus - das ist in der Öffentlichkeit verkündet worden - wollen wir den Familienlastenausgleich umgestalten. Die Kritik, die Herr Scharping heute gegen diesen Plan vorgebracht hat, war mir nun wirklich total unverständlich. Wir lösen das Problem in nahezu genialer Weise; denn das System, das wir vorschlagen, ist familienfreundlich, es ist durch die Finanzamtslösung verwaltungseinfach, und es ist solide finanzierbar. Wir halten die Vorgabe des Finanzministers, 6 Milliarden DM nicht zu überschreiten, ein. Im Gegensatz zum SPD-Vorschlag ist dieser Vorschlag verfassungskonform. Das ist das Entscheidende.
Der Vorschlag, 250 DM Kindergeld für alle unabhängig vom Steuertarif, vom Einkommen und der Steuerbelastung, ist eindeutig verfassungswidrig.
Deswegen werden Sie zum Schluß, auch wenn Sie Widerstand leisten wollen, zustimmen müssen.
Ein Wort zum Solidaritätszuschlag: Wir haben gefordert, daß dieser Zuschlag so schnell abgebaut werden muß, wie die Lasten, die daraus finanziert werden sollen und die aus dem Solidarpakt zugunsten der neuen Bundesländer vom Frühjahr 1993 stammen, sinken. Auf Grund der wirklich äußerst günstigen wirtschaftlichen Entwicklungen in den neuen Bundesländern können wir heute sagen, daß ab dem nächsten Jahr diese Lasten allmählich auch abgebaut werden können. Der Solidaritätszuschlag muß jährlich überprüft und so schnell wie möglich abgebaut werden.
Wer die Idee hat, den Solidaritätszuschlag mit dem Kohlepfennig zu verrechnen, den möchte ich daran erinnern, wie er geschaffen worden ist. Der Solidaritätszuschlag war für den Aufbau Ost und nicht für die Steinkohle West gedacht. Deswegen besteht überhaupt kein Zusammenhang zwischen beiden.
Meine Damen und Herren, leider ist es so - das ergibt sich immer wieder aus der Debatte -, daß Gutes versprochen wird, und man nicht zu handeln bereit ist. Man erweckt öffentlich den Eindruck, immer nur das moralische Gute und Hehre zu tun, hält sich aber in Wirklichkeit nicht immer daran.
Vor kurzem habe ich gesehen, wie sich beispielsweise die Kollegin Antje Vollmer gegen das Reisen der Kollegen ins Ausland verwehrt oder wie sich der Kollege Such in der Boulevard-Presse gegen diese Reisen äußert, gleichzeitig hat er aber einen Antrag eingebracht, solche Reisen zu machen.
Die Frauen der GRÜNEN befinden sich in einem Wettbewerb, wer zum Frauenkongreß nach China fahren darf. Frau Kollegin Vollmer hat all diesen Reisen im Präsidium des Deutschen Bundestages zugestimmt.
- Das nenne ich Doppelzüngigkeit oder doppelte Moral.
So geht das nicht. Man kann ja auf der Woge des Zeitgeistes schwimmen, aber die Fakten holen Sie ein.