Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als erstes möchte ich mich ganz herzlich bei der Regierungskoalition dafür bedanken, daß ich erst kurz vor Beginn der Debatte erfahren habe, daß ich nicht, wie bisher übliche Praxis, zehn Minuten Redezeit erhalten habe, sondern daß die PDS-Gruppe ihre Redezeit splitten muß, so daß ich somit nur siebeneinhalb Minuten reden darf, während die kleinen Fraktionen F.D.P. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sehr wohl ihre gesamte Redezeit an einem Stück ausschöpfen dürfen. Ich muß sagen, das zeugt wirklich von Weltoffenheit und kulturvollem Umgang mit Wählerwillen auch kleiner parlamentarischer Minderheiten.
Wenn wir heute in die abschließende Beratung des ersten Haushaltes der neuen Legislaturperiode eintreten, so muß ich sagen, daß man das doch messen sollte an dem, was der Kanzler in seiner Regierungserklärung am 23. November vergangenen Jahres postulierte. Wir dürfen nicht nur für vier Jahre planen; denn - ich zitiere - es gilt, „alle Kräfte anzuspannen, ganz Deutschland fit zu machen für das nächste, das 21. Jahrhundert". Wohl denn, Herr Waigel, der Haushalt als in Zahlen gegossene Politik: Sie werden sich daran messen lassen müssen, ob Sie tatsächlich dabei „das Wohl künftiger Generationen stets im Blick" behalten.
Zukunft, das ist für die Mehrheit der Menschen Frieden, soziale Sicherheit, Arbeit, eine gesunde Umwelt, ein kulturvolles Leben und ein kinderfreundlich gestaltetes Land. Der dem Plenum vorliegende
Haushalt zeigt, daß Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, ganz wie Ihr Kanzler nur schöne Worte machen, Sie jedoch nicht gewillt sind, diese Erwartungen und Ansprüche der Mehrheit der Bevölkerung umzusetzen.
Die Verteidigungsausgaben bemessen sich noch immer auf die immense Summe von 47,85 Milliarden DM. Sie fühlen sich verpflichtet, diese Höhe als materielle Basis zu verstetigen, um mit einer von einer regionalen Territorialverteidigungsarmee zu einer rein globalen Interventionstruppe umstrukturierten Bundeswehr auf „hard power" in der internationalen Politik setzen zu können. So forderte es kürzlich Bundespräsident Roman Herzog.
Mit Waffengewalt statt durch eine Politik des friedlichen Interessenausgleichs wollen Sie weltweit die unmittelbaren deutschen Interessen wie „Sicherung und Bewahrung von Wohlstand" - Herr Herzog - durchsetzen. Demgegenüber haben Sie sich weiter denn je von der Verwirklichung der auch von der Bundesregierung unterzeichneten Verpflichtung entfernt, 0,7 % des Bruttosozialproduktes als Entwicklungshilfe bereitzustellen. Wir haben in diesem Jahr sogar eine Kürzung um 260 Millionen DM.
Wir demokratischen Sozialistinnen und Sozialisten fordern, daß Sie sich endlich den weltweiten Problemen stellen. Deutschland ist wie Europa keine Insel. Sie können versuchen, Mauern zu bauen, wie Sie wollen, es wird nicht funktionieren.
Herr Bundeskanzler, ich darf Sie nochmals zitieren:
Wir müssen manche ... davon überzeugen, daß geistige Unbeweglichkeit und vor allem ideologische Verbohrtheit in die Sackgasse führen.
Wachen Sie aus Ihrer Selbstgenügsamkeit auf, Herr Kanzler! Der Kapitalismus hat nicht gesiegt, er ist nur übriggeblieben.
Sie sind gerade den zukünftigen Generationen den Nachweis schuldig, daß dieses gesellschaftliche System in der Lage ist, die weltweiten Probleme tatsächlich zu lösen. Es bleibt dabei: Wir haben nur diese eine Erde, und sie braucht nicht unbedingt die Menschen.
Herr Waigel, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, Sie handeln zudem wider besseres Wissen. Wie z. B. der Parlamentarische Staatssekretär, Herr Faltlhauser, im Finanzausschuß in diesem Jahr äußerte, liegt der reale Stand der Arbeitslosigkeit in den neuen Bundesländern bei etwa 30 %, auch wenn Sie es geschafft haben, die Statistik bis auf 15 % zu frisieren. Wo ist denn nun, frage ich Sie, bei diesen Problemen auch nur der Ansatz einer aktiven Arbeitsmarktpolitik? Arbeit als wichtiger Bestandteil menschlichen Lebens wird bei Ihnen zur reinen Jongliermasse.
Dr. Barbara Höll
Wir demokratischen Sozialistinnen und Sozialisten hatten beantragt, wenigstens so viele Mittel für die Bundesanstalt für Arbeit in den Haushalt 1995 einzustellen wie im vergangenen Jahr. Dieser Antrag wurde im Haushaltsausschuß geschoben und geschoben, aber nicht etwa in der Hoffnung - die wir vielleicht noch hatten -, daß Sie dann sehen, daß einige Mittel übrig sind und Sie sich wenigstens der Höhe von 14,8 Milliarden DM annähern, die auch vom Verwaltungsrat der Bundesanstalt für Arbeit gefordert wird. O nein, weit gefehlt. Unmittelbar vor Abschluß der Beratungen des Haushaltes stellten die Koalitionäre fest, daß wohl noch 3 Milliarden DM fehlen, um dem von ihnen selbst gesteckten Ziel zu entsprechen, die Nettokreditaufnahme nach dem Regierungsentwurf um 10 Milliarden DM zu senken. Genau diese Summe entnahmen Sie dann flugs dem Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit. Ganze 8 Milliarden DM haben Sie noch etatisiert.
Die schmale Aufstockung des Programms zur Weiterführung der Beendigung der Langzeitarbeitslosigkeit muß da schon wirklich anmuten wie der Schwanz, in den sich die Katze beißt.
Die geplante Streichung der originären Arbeitslosenhilfe ab dem 1. Oktober 1995 und die Begrenzung der Arbeitslosenhilfe, die nach dem Bezug von Arbeitslosengeld zwei Jahre gezahlt wird, werden sich katastrophal auf das Leben vieler Menschen auswirken. Die Menschen werden in die Sozialhilfe gedrängt und die Kommunen zusätzlich belastet.
Wie sieht es mit der Kulturförderung aus? Herr Bundeskanzler, Sie sollten doch wohl wissen, daß Kultur etwas mehr als repräsentative Bauten in Berlin ist, wofür Ihnen die Koalition 30 Millionen DM zur Verfügung stellen will - allerdings bis auf 2 Millionen DM gesperrt. Die in Berlin benötigten weiteren 118 Millionen DM haben Sie einfach abgeschmettert. Wir werden einen Antrag dazu einbringen. Gerade die Berliner Abgeordneten der CDU sollten sich überlegen, wie sie sich dann zu diesem Antrag der PDS verhalten.
Zu einem kulturvollen Leben gehört natürlich auch das Recht auf angemessenen Wohnraum. Doch was tun Sie? Mit Brachialgewalt wollen Sie in den neuen Bundesländern die Vergleichsmieten einführen, ohne wenigstens das Wohngeld zu reformieren. Durch die gestrige Sitzung des Haushaltsausschusses haben wir erfahren, daß man einmal schnell 50 Millionen DM aus dem sozialen Wohnungsbau herausnehmen kann, um damit die Privatisierung von Wohneigentum zu fördern. Es geht nicht um die Schaffung neuen Wohnraums, nein, es geht Ihnen nur um Wohneigentum.
Von den Investitionsausgaben des Bundes in Höhe von rund 72 Milliarden DM sollen 1995 nur knapp ein Prozent in den Umwelt- und Naturschutz fließen und davon über 521 Millionen DM dem Bundesamt für Strahlenschutz zur Verfügung stehen, dessen Aufgabe es wohl mehr ist, die radioaktive Strahlung zu schützen.
Die Ausgaben für den Neu- und Ausbau der Hochschulen werden bis 1998 festgeschrieben und nicht mehr erhöht. Die Förderung des öffentlichen Personennahverkehrs und des kommunalen Straßenbaus wird bis 1998 mit 3,3 Milliarden DM fast halbiert. Der Gemeinschaftsaufgabe „Agrarstruktur und Küstenschutz" werden die Mittel gegenüber 1994 um 80 Millionen DM gekürzt und bis zum Ende des Finanzplanungszeitraums nicht mehr erhöht.
Das BAföG wird gegenüber dem Soll 1994 um 120 Millionen DM gekürzt und nach einer Erhöhung um 20 Millionen DM in 1996 bis 1998 mit gerade 760 Millionen DM ebenfalls festgeschrieben. 1993 hatten die Ausgaben immerhin noch 904 Millionen DM betragen. Das Investitionsprofil der Bundesregierung ist nicht einmal mehr konservativ, nein, es ist destruktiv.
Herr Waigel, in der ersten Lesung am 14. Dezember vergangenen Jahres stellten Sie fest:
Entschlossen und konsequent werden wir unseren finanzpolitischen Weg weitergehen.
Jawohl! Mit dem Bundeshaushalt 1995 setzt die Bundesregierung ihre haushalts- und finanzpolitische Flickschusterei vergangener Jahre fort. Sie versucht, das volle Ausmaß ihrer chaotischen und sozial ungerechten Finanzpolitik zu verschleiern. Dieser Haushalt verstößt gegen die Bundeshaushaltsordnung und die darin enthaltenen Gebote der Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit, vor allem aber gegen das Vollständigkeitsgebot. Der Haushalt ist eine Gleichung mit mehreren Unbekannten, und das wahre Ausmaß des Haushaltsdefizits ist noch nicht bekannt. Herr Diller hat dafür sehr ausführlich viele Beispiele gebracht.
Dasselbe gilt für die mittelfristige Finanzplanung. Sie bietet ebenfalls seit Jahren das gleiche Bild. Auf dem Papier wird die Neuverschuldung am Ende des jeweiligen Planungszeitraums stets halbiert. In der Realität wurden diese Prognosen noch stets blamiert. Im Jahre 1992 sagte die Bundesregierung für das Haushaltsjahr 1995 einen Haushalt in Höhe von rund 450 Milliarden DM voraus, der mit etwas mehr als 25,1 Milliarden DM kreditfinanziert werden sollte.