Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Immer dann, wenn man über Mietrecht, über Wohnungsbaupolitik spricht, stößt man an eine Grundfrage, um die man sich auch nicht drücken sollte - nicht bei uns, nicht bei der SPD, nicht bei den GRÜNEN, allerdings auch nicht bei Konservativen -, nämlich an die Frage: Als was betrachtet man denn nun letztlich die Wohnung? Betrachtet man sie als ein Marktobjekt oder als ein Sozialobjekt, oder ist man unfähig, sich zwischen beidem zu entscheiden?
Ich darf daran erinnern, daß die UNO einmal einen Beschluß gefaßt hat, daß die Wohnung ein Sozialobjekt zu sein hat; denn sie dient in erster Linie der Befriedigung sozialer und kultureller Bedürfnisse; sie stellt meines Erachtens ein Grund- und ein Menschenrecht dar.
Ihre gesamte Mietpolitik geht in eine völlig andere Richtung. Sie geht in die Richtung, die Wohnung immer mehr zu einem Marktobjekt zu machen, zu einer Verdienstmöglichkeit, zu einer Kapitalanlage, und sie eben nicht in erster Linie als etwas anzusehen, das der Befriedigung eines sozialen Grundbedürfnisses dient.
Das war in der Bundesrepublik nicht immer so. Ich darf daran erinnern, daß bis 1960 in der Bundesrepublik 6 Millionen Wohnungen gebaut wurden, darunter 3,6 Millionen Sozialwohnungen. Erst zu diesem Zeitpunkt ist dann schrittweise das Vergleichsmietensystem eingeführt worden - übrigens mit erheblichen Übergangsfristen. Seitdem haben wir es mit einer unerträglichen Mietenexplosion in den alten Bundesländern zu tun. Wohnen wird immer mehr zum Luxus, obwohl es doch ein soziales Grundbedürfnis ist.
Deshalb habe ich auch meine Bedenken. Die Mieten- und die Wohnungsbaupolitik der DDR waren in
Dr. Gregor Gysi
der alten Form nicht länger durchsetzbar. Das ist völlig klar.
Da bedurfte es grundlegender Korrekturen.
Aber ich sage Ihnen auch folgendes: Ihre West\x7fietenpolitik kann mich keineswegs überzeugen.
Wenn wir nicht in der Lage sind, eine Vereinigung zu nutzen, um über etwas Neues nachzudenken,
sondern immer wieder nur den Maßstab der alten Bundesländer ansetzen, dann führt das auch zu einer entsprechend verfehlten Politik in den neuen Bundesländern.
Allein in diesem Winter erfroren 19 Männer und Frauen, die kein Dach über dem Kopf hatten. Ca. 800 000 Menschen sind obdachlos, darunter 50 000 Kinder. Es fehlen 2 Millionen Wohnungen. Vor allem bei Neuvertragsmieten sind Preise von 15 bis 25 DM pro Quadratmeter in den Ballungsgebieten der alten Bundesländer inzwischen die Regel.
Das soll das Vorbild sein? Dahin sollen wir auch in den neuen Bundesländern kommen? Das soll ein Anreiz sein? Ich glaube, dem muß ein Riegel vorgeschoben werden, um so etwas zu verhindern.
Keine der Chancen, die es gab, ist genutzt worden. Betrachten wir doch einmal den volkseigenen Wohnungsbestand: Wer hat eigentlich die Bundesregierung, die Koalitionsmehrheit daran gehindert, daraus einen beachtlichen Bestand an Sozialwohnungen zu machen?
Das wäre doch möglich gewesen.
Nicht die Hälfte der Wohnungen, nicht ein Drittel, nein, nicht eine einzige dieser Wohnungen ist zur Sozialwohnung erklärt worden, sondern nur die, die seitdem neu gebaut worden sind; das sind 50 000. Das heißt, wir haben so gut wie überhaupt keine Sozialwohnungen in den neuen Bundesländern, obwohl es dafür eine einzigartige Möglichkeit gegeben hätte.
Noch nie war die Bundesrepublik Deutschland in so großem Umfang Eigentümer von Wohnungen. Man hätte das realisieren können, aber Sie haben das sehr absichtsvoll verstreichen lassen, nämlich um jetzt die Mieten entsprechend anzuheben.
Sie begründen die Notwendigkeit von Mietsteigerungen u. a. mit Investitionen. Aber die Bürgerinnen und Bürger in den neuen Bundesländern sehen: Seit 1990 ist ganz beachtlich saniert worden. Also muß es ja auch mit den bisherigen Mieten gegangen sein. Sie können sie nicht davon überzeugen, daß Mietsteigerungen zwingend erforderlich sind, um bestimmte Sanierungsmaßnahmen durchzuführen.
Es gibt noch ein zweites Argument, das noch viel wichtiger ist: Die Genossenschaften können deshalb so wenig Sanierungsmaßnahmen durchführen, weil noch immer die Altschulden auf ihnen lasten. Dabei waren es doch Sie, die sich geweigert haben, eine Regelung zu finden, die die Genossenschaften endgültig von den Altschulden entlastet und ihnen damit Sanierungs- und Baumöglichkeiten gegeben hätte.
- Wissen Sie, Sie müssen in Ihrer Polemik immer aufpassen, daß Sie sich nicht zu sehr widersprechen. Ich sage Ihnen einmal ein Beispiel: Seit 1990 erklären Sie den Bürgerinnen und Bürgern in den neuen Bundesländern, daß ihre Wohnungen in einem miserablen Zustand sind - marode!
- Ja, danke schön. Ich habe dem nie widersprochen. Ich frage mich nur, wie Sie dann dazu kommen, solche maroden Dinger für einen Quadratmeterpreis von 2 000 DM zu privatisieren,
und wie Sie darauf kommen, dann dafür Mieten zu nehmen, als ob es sich um Luxuswohnungen handeln würde.
Was denn nun? Entweder Sie reden die Wohnungen herunter, dann müssen Sie auch die alten Mieten lassen;
oder Sie reden die Wohnungen dann hoch, wenn Sie die Mietsteigerungen durchführen wollen!
Dr. Gregor Gysi
- Wenn Sie etwas fragen wollen, müssen Sie sich an das Mikrophon begeben.
Ich nenne Ihnen noch einen Vergleich, den Sie natürlich auch nie zitieren. Von Januar 1991 - Ausgangspunkt sind die DDR-Zahlen - bis Januar 1994 sind die Nettoeinkünfte in den neuen Bundesländern um 82 % gestiegen. Im gleichen Zeitraum sind die Mieten um 626 % gestiegen.
Sie können mir nicht im Ernst erzählen, daß das sozial angemessen und einkommensverträglich ist.
Jetzt wollen Sie ab 1. Juli die Mieten durchschnittlich um 15 %, in einigen Fällen - bei Einfamilienhäusern - sogar um 20 % erhöhen. Jetzt sage ich Ihnen einmal, wie die Ist-Zahlen sind, da Sie es ja flächendeckend gestalten. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat ermittelt, daß die Mieten in Gemeinden mit unter 2 000 Einwohnern inzwischen bei 90 % des Westniveaus liegen, bei Ein- und Zweifamilienhäusern, die freistehend sind, bei 97 % des Westniveaus. Da hauen Sie noch einmal 15 bis 20 % drauf! Sie müssen sich doch überlegen, was dabei herauskommt: eine Miete, die weit über dem Westniveau liegt.
Was Sie immer vergessen, sind die sogenannten Nebengebühren. Denn die Betriebskosten steigen erheblich und werden ja auch auf die Miete aufgerechnet. Hinzu kommen die Wasser- und Abwassergebühren.
Wir haben in den neuen Bundesländern jetzt schon einen Preis von 3,50 DM pro m3 Wasser, im Westen von 2,50 DM. Das heißt, das alles ist schon teurer, obwohl die Einkommen nach wie vor wesentlich niedriger sind. Und sie wollen die Preise noch einmal steigern!
Wenn Sie sagen, das Ganze sei sozial verträglich, will ich Sie auch noch an zwei andere Zahlen erinnern. Von weiblichen Personen unter 65 Jahren müssen 55 V. Wohngeld in Anspruch nehmen. Bei weiblichen Personen von 65 und mehr Jahren handelt es sich um 45,9 %, bei Alleinerziehenden um 47,2 %.