Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Morgen jährt sich zum fünftenmal der Tag, nämlich der 18. März 1990, an dem die Menschen in der damaligen DDR das erste Mal frei gewählt haben. Damals haben sie den Weg zur deutschen Einheit gewählt. Ich bin dankbar für diesen Tag.
Heute, fünf Jahre später, ist die deutsche Einheit staatlich vorhanden, aber noch nicht vollendet. Wir im Deutschen Bundestag - im letzten und auch in diesem - müssen uns mit der Gestaltung der deutschen Einheit beschäftigen. Heute eröffnen wir die Diskussion zu einem weiteren Baustein, nämlich zu dem Thema Mietenüberleitungsgesetz.
Wir sind uns alle darüber im klaren: Wir müssen in Deutschland ein einheitliches Mietrecht erreichen. Auch im Osten wollen wir das Vergleichsmietensystem. Was ist das Vergleichsmietensystem? Viele in den neuen Bundesländern wissen das nicht. Wir wollen nicht Westmieten im Osten einführen, sondern wir wollen, daß sich die Mieten im Osten entsprechend der Lage, der Ausstattung, dem Bauzustand und der Beschaffenheit der Wohnungen entwickeln. Das Vergleichsmietensystem hat das im Westen Deutschlands geschafft. Ich glaube, daß das Vergleichsmietensystem das auch im Osten Deutschlands erreichen wird.
Wie war die Ausgangssituation? In der DDR galten bis zur Wende die Mieten von 1937. Sie betrugen 0,35 Mark bis 1 Mark pro Quadratmeter. Das Ergebnis: Die Gebäudewirtschaft und die Wohnungseigentümer hatten kein Geld für die Sanierung. Letztendlich grassierte - weil es auch so war - der Slogan: Ruinen schaffen ohne Waffen.
Vierzig Jahre später kamen die deutsche Einheit und der Einigungsvertrag mit dem Auftrag, hier eine Veränderung zu schaffen. Die Bundesregierung wurde beauftragt, entsprechende Mietanpassungen vorzunehmen. Das hat sie mit der Ersten und Zweiten Grundmietenverordnung geleistet. Danach hat sich rechnerisch eine Mieterhöhung um maximal 3,85 DM ergeben. Aber es wurden auch Beschaffenheitsabschläge gemacht, in der Summe immerhin 2,25 DM, so daß sich heute eine maximale Miete in der Größenordnung von ca. 5 DM pro Quadratmeter,
mindestens jedoch 2 DM pro Quadratmeter - durchschnittlich 4,75 DM pro Quadratmeter - eingestellt hat. Hinzu - das ist richtig, Frau Gleicke - kommt natürlich, daß die Möglichkeit der Modernisierung gegeben ist. Entsprechend konnten nach § 3 des Miethöhegesetzes 11 % des Modernisierungsanteils umgelegt werden.
Um was geht es uns? Wir müssen erstens von dem fast kompletten mietpreisgebundenen System ausgehend vergleichsfähige Mieten erreichen. Zweitens müssen wir ermöglichen, daß die Wohnbaugesellschaften die Tilgungen entsprechend dem Altschuldenhilfegesetz leisten können. Wenn wir den Wohnbaugesellschaften Geld entziehen, werden sie keine Investitionsmittel haben. Das würde bedeuten, daß keine Arbeit in der Bauindustrie vorhanden wäre
Dr. Michael Luther
und daß sich die Wohnungssubstanz nicht verbessern würde. Drittens müssen wir dabei den Einigungsvertrag beachten, der uns aufträgt: Die Mietentwicklung muß entsprechend der Einkommensentwicklung verlaufen.
Die Lösung, die wir im Koalitionsentwurf vorlegen, sieht folgende Eckpunkte vor: Die Wohnbaugesellschaften können - wohlgemerkt: können - die Mieten um 15 %, bezogen auf die Grundmiete, erhöhen, und zwar ohne die bisher schon erfolgten Modernisierungszuschläge. Das bedeutet z. B. bei 4,75 DM pro Quadratmeter eine Erhöhung um 0,71 DM. In der zweiten Stufe, ab 1. Januar 1997, kommen weitere 5 %, d. h. 0,24 DM, hinzu. Abzüge von 5 % gibt es z. B. dann, wenn die Wohnung keine Zentralheizung oder kein Bad hat, Zuschläge von 5 % beispielsweise dann, wenn es sich um Einfamilienhäuser handelt.
Wir sind uns darüber im klaren, daß die Mieten dadurch steigen, aber ich glaube, das ist nicht sozial unverträglich. Trotzdem müssen wir dabei beachten, daß sich die Mieten nicht zu sehr erhöhen können. Bisher waren Modernisierungsumlagen unabhängig von der Höhe des Umlagebetrages pro Quadratmeter möglich. Jetzt müssen wir sie - ich denke, das ist richtig so - auf maximal 3 DM pro Quadratmeter kappen.
Weiterhin sehen wir vor, daß die Beschaffenheitszuschläge, die nach der Zweiten Grundmietenverordnung erhoben werden konnten, auch jetzt noch erhoben werden können, nämlich dann, wenn die Beschaffenheit hergestellt wird. Ich halte das für gerecht, weil diejenigen, die die Beschaffenheit bereits heute haben, die Mieterhöhung schon bekommen haben, und diejenigen, für die die Beschaffenheit erst hergestellt wird, das genauso erleben sollen.
Bei den Neuvertragsmieten sind wir uns darüber im klaren, daß wir uns heute nicht mehr generell nach den preisgebundenen Mieten richten wollen. Wir müssen noch darüber diskutieren, wie man das am vernünftigsten erledigt. Die Übergangszeit endet Ende 1997.
Meine Damen und Herren, beachten wir die Bedingungen, die wir uns selbst auferlegt haben:
Erstens folgt die Mietentwicklung entsprechend der Einkommenssituation. Bei Ausschöpfung des Mieterhöhungsspielraums von 15 % der Nettokaltmiete ergeben sich je nach Haushaltstyp Mieterhöhungen von durchschnittlich 35 DM bis 56 DM. Dem stehen allein im Zeitraum von 1992 bis 1994 Steigerungen der verfügbaren Haushaltseinkommen um 22 % gegenüber. Diese Entwicklung der Steigerung der Haushaltseinkommen im Durchschnitt wird sich auch über das Jahr 1995 hinaus fortsetzen.
- Diese Statistik will ich noch mit einem Beispiel untermauern. Bei der Inanspruchnahme von Wohngeld in Sachsen ergibt sich folgendes Bild: 1991 gab es 532 400 Haushalte, die Wohngeld beansprucht haben. 1994 waren es weniger als die Hälfte, nämlich 237 996.
Meine Damen und Herren, trotzdem müssen wir feststellen, daß der Durchschnitt eben nicht die ganze Wahrheit ist.
Es gibt Menschen mit niedrigerem Einkommen, die heute schon mehr als 20 %, 25 % oder sogar 30 % ihres Einkommens als Miete bezahlen. Deshalb sind wir uns darüber im klaren, daß wir diese Mietanpassung, die Einführung des Mietenüberleitungsgesetzes, durch ein vernünftiges Sonderwohngeld im Osten unterstützen müssen.
Das sieht die Gesetzesvorlage bereits für 1995 vor. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion geht davon aus, daß das über das Jahr 1995 hinaus auch im Jahr 1996 so sein sollte. Ich denke, wir müssen diese Diskussion klar von einer ganz anderen Diskussion trennen, nämlich von der über die Anpassung des Wohngelds in Gesamtdeutschland.
Herr Großmann, vielleicht darf ich an dieser Stelle Ihre Argumentation durch Ihre Worte unterstützen. Ich zitiere:
Eine wirksame Anpassung des Wohngeldsondergesetzes ist daher gerade für die Bezieher niedriger Einkommen unerläßlich. Ein entsprechendes Junktim ist ein unverzichtbarer Bestandteil der Entwicklung des Mietsystems in den neuen Bundesländern.
So Ihr Antrag, der heute ebenfalls zur Debatte steht. Ich denke, so sollten wir auch gemeinsam versuchen, die Argumentation zu führen. Ich fasse zusammen: Wir brauchen das Sonderwohngeld Ost.
Zweitens. Meine Damen und Herren, folgendes müssen wir dringend tun. Zu DDR-Zeiten hatten Miete und Wohnen keinen Wert. Deshalb war es z. B. nicht notwendig, Wohnungen zu tauschen, wenn sie denn zu groß waren. Dies war auch gar nicht möglich, weil der Wohnungsbestand dies gar nicht hergab.
Wenn heute z. B. eine alte Frau wünscht, aus einer großen Wohnung in eine kleine umzuziehen, dann müssen wir ihr das ermöglichen. Wenn der momentan bestehende maximale Spielraum bei Neuvertragsmieten dann für diese Frau wirksam wird, ist völlig klar, daß dann der Mietspareffekt des Umziehens weg ist. Deswegen denke ich, daß wir darüber nachdenken müssen, wie man Wohnungstausch erleichtern kann.
Drittens. Es ist festzustellen - ich habe viele Gespräche dazu in den neuen Bundesländern geführt -, daß der Umgang mit dem Begriff „ortsübliche Ver-
Dr. Michael Luther
gleichsmiete" unbekannt ist. Wir müssen wissen: Das Vergleichsmietensystem schützt den Mieter vor unkontrollierbarer Mieterhöhung im Bestandsmietvertrag.
Hier tut Aufklärung in den neuen Bundesländern not.
Ich fordere deshalb den Bundesminister auf, hierzu eine einfache und lesbare Informationsbroschüre zu erstellen.
Meine Damen und Herren, eine andere Seite will ich dabei gar nicht außer acht lassen. Auch bei der jetzt kommenden beschränkten Mieterhöhung müssen wir wissen, daß es für die Fortsetzung der Sanierungs-, der Instandsetzungs- und der Modernisierungstätigkeit in den neuen Bundesländern weiterhin staatlicher Fördermittel bedarf. Ich denke hier an KfW-Kredite, aber auch an die Kulminierung der Bundesmittel mit Landesmitteln.
Meine Damen und Herren, die Mietrechtsangleichung verlangt den Bürgern viel ab. Es ist ungewohnt, daß für Wohnen ein erheblicher Teil des Familieneinkommens ausgegeben wird. Das Mietrecht ist kompliziert, und sein Recht zu kennen, zu behaupten und auch durchzusetzen muß von vielen in den neuen Bundesländern erst gelernt werden. Auch das Suchen einer seiner persönlichen Situation entsprechenden Wohnung erfordert Zeit.
Das Mietenüberleitungsgesetz, das wir im ersten Halbjahr des Jahres 1995 verabschieden wollen, muß und kann das leisten. Wir brauchen dazu eine breite Zustimmung. Deshalb denke ich, daß wir uns in den Ausschußberatungen bemühen sollten, diese zu suchen.
Ich danke Ihnen.