Rede von
Markus
Meckel
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wieder einmal war es Vaclav Havel, der Bewegung in die deutsch-tschechischen Beziehungen gebracht hat. Wir haben ihm dafür zu danken. Obwohl es nicht üblich ist, möchte ich ausdrücklich begrüßen, daß uns die Freunde vom BÜNDNIS 90 dazu bewegt haben, hier so schnell öffentlich und klar zu reagieren.
Heute ist viel von Geschichte die Rede. 50 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und fünf Jahre nach dem Sieg der Demokratie über die kommunistische Diktatur, die Tschechen und einen Teil der Deutschen gemeinsam traf, gibt es allen Grund, über unsere Geschichte und unser Verhältnis zueinander und damit über uns selbst und unser Selbstverständnis nachzudenken. Ob uns das heute in angemessener Weise gelungen ist, sei dahingestellt.
Bevor ich auf die Zeit vor 50, 60 Jahren zu sprechen komme, die unsere Gegenwart in vieler Hinsicht so behindert, will ich erwähnen, daß für mich und viele andere, die in der DDR aufgewachsen sind, die Tschechoslowakei und Prag eine ganz andere, eine besondere Bedeutung hatten. Abertausende von uns trafen sich hier mit Freunden und Verwandten und wurden gastlich aufgenommen. Prag war für uns ein Magnet, ein erreichbarer Ort europäischer Kultur und Geschichte, an dem wir uns zu Hause fühlten und an dem wir gerne waren.
1968 wurde die CSSR ein Ort großer Hoffnung und dann ein Ort der Verzweiflung, der Wut und - wie wir mit Freude und Bewunderung erlebten - gleichzeitig ein Ort beherzten Widerstandes: ein Volk, waffenlos vor Panzern. Und 30 Jahre nach dem Einmarsch der Deutschen 1938 waren wieder Deutsche dabei. Mit Beschämung haben wir das in der ersten frei gewählten Volkskammer der DDR vor fünf Jahren ausgesprochen und uns dafür entschuldigt.
Dann kam die Charta 77. Hier wurde das Banner der menschlichen Würde und der Freiheit mitten in der Diktatur hochgehalten, dem auch wir folgen wollten. Da gab es eine tiefe Gemeinsamkeit und Solidarität, die ich auch heute nicht missen und vergessen möchte. Wir waren gemeinsam von der Diktatur betroffen und haben gemeinsam über sie gesiegt.
Markus Meckel
Im Herbst und im Winter 1989 ging der Sturm der Freiheit über die letzten Bastionen des verknöcherten Kommunismus hinweg, von der DDR über die CSSR nach Rumänien.
Heute geht es darum, diese Freiheit zu gestalten. Hier hat jeder das Seine zu tun, aber die wichtigsten Herausforderungen sind gemeinsame. Denn unsere Zukunft in Deutschland und in der Tschechischen Republik wird, wie unsere Vergangenheit, eng verflochten sein.
Wir müssen über diese unsere Vergangenheiten offen reden, gerade nach den Verdrängungen der letzten Jahrzehnte.
Nur dann können wir sie auch wirklich als Vergangenes hinter uns lassen. Doch diese belastete Vergangenheit darf uns nicht beherrschen. Uns von ihr zu befreien, indem wir uns ihr stellen, das ist genau die aktuelle Aufgabe, die vor uns liegt. Es ist offensichtlich noch eine schwierige Aufgabe, und wir müssen es lernen, unsere Geschichte gemeinsam zu erzählen und schreiben zu lernen.
Zu unterschiedlich sind noch die Erfahrungen aus der Zeit, die uns seit einem halben Jahrhundert unbewältigt begleitet, und zu lange haben sich viele Betroffene nur an das eigene Leid erinnert. Doch, wohlgemerkt, nicht alle. Es gab von Anfang an Betroffene, die auch den Weg der Versöhnung beschritten und in Anerkennung des Leids der anderen Schritte aufeinander zugingen.
Mit Polen gibt es seit zwei Jahrzehnten Gespräche über Schulbücher, um die gemeinsame Geschichte zu schreiben. Warum unternehmen wir es nicht auch mit der Tschechischen Republik und mit der Slowakischen Republik, solches zu tun? Ich hielte das für wichtig.
Das historische Unrecht, welches das Verhältnis unserer Völker belastet, kann nicht rückgängig gemacht werden. Genausowenig darf es gegenseitig aufgerechnet werden. Doch ist es wichtig, es als solches zu benennen, wie es in dem Nachbarschaftsvertrag zwischen unseren Staaten geschieht.
Es ist das Recht der Opfer, das ihnen angetane Unrecht in aller Unzweideutigkeit und Öffentlichkeit zu benennen. Und es ist das große Verdienst Vaclav Ravels, daß er dies für das tschechische Volk schon vor Jahren in aller Klarheit getan hat. Wenn er jetzt auch von historischen Zusammenhängen spricht, ist dies keine Zurücknahme der Position, wie es manche deutsche Zeitung geschrieben hat.
Meine Damen und Herren, Geschichte hat aber auch mit Verantwortung für die Folgen und für die Opfer zu tun. Hinsichtlich der Frage, wie wir mit den Opfern umgehen, kann ich es deshalb nur für eine Blamage deutscher Außenpolitik halten, wenn 50 Jahre nach dem heißen und nun schon fünf Jahre
nach dem Kalten Krieg für die heute im Durchschnitt schon fast 80 Jahre alten Opfer nationalsozialistischen Unrechts und Terrors trotz verschiedener Versprechungen nichts geschehen ist, um ihnen eine Entschädigung zu geben. Wir wissen, daß dies die persönliche Verantwortung des Kanzlers ist, und können ihn nur dringend auffordern, seine Position zu ändern.
Für Polen, Russen und andere hat es wenigstens symbolische Entschädigungen gegeben. Warum nicht für die tschechischen Opfer? Alte Menschen, die von Deutschen in der Zeit des Nationalsozialismus Schlimmes erlitten haben, zu Geiseln zu machen, um anderweitige politische Wünsche und Interessen zu befriedigen, ist kein sauberes Geschäft.
Ein Knackpunkt der Diskussion über die nach dem Krieg vor dem Hintergrund des Potsdamer Abkommens vollzogene Vertreibung der Deutschen aus dem Sudetenland sind die angesprochenen BenešDekrete, die das den Deutschen angetane Unrecht legitimierten. Es macht zutiefst betroffen, daß nun das tschechische Verfassungsgericht diese völkerrechtswidrigen und unmoralischen Dekrete nicht nur für rechtsgültig befand, sondern auch für legitim hält und moralisch rechtfertigt, werden sie doch in der Urteilsbegründung als adäquate Reaktion auf die Aggression des nazistischen Deutschland bezeichnet. In diesem Urteil lebt der Geist eines ethnischen Kollektivismus fort, den Vaclav Havel vor einem Monat als Gefahr nicht nur für die deutsch-tschechischen Beziehungen, sondern auch für das tschechische Volk selbst beschrieben hat.
Besonders belastend ist, daß vor diesem Hintergrund tschechische Staatsbürger deutscher Nation, was die Frage von Enteignungen in den letzten 50 Jahren angeht, weiter benachteiligt werden können. Wenn dem nun nach dem Urteil so ist - wir können Urteile der Verfassungsgerichte anderer Staaten nicht ändern -, wäre es eine gute und hilfreiche Geste, wenn es zu einem Signal des tschechischen Staates käme, das besonders hart Betroffenen Hilfe und Zeichen der Aussöhnung gewährt.
Nicht das Wort reden möchte ich dagegen den vertriebenen Deutschen, die nun seit langem in Deutschland leben, die insbesondere in Bayern in einem großen Akt der Solidarität aufgenommen und integriert sind und nun ebenso Forderungen nach Rückgabe früheren Eigentums aufmachen.