Rede von
Dietmar
Schlee
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach meinem Informationsbesuch in der Türkei und nach der Anhörung im Innenausschuß steht für mich folgendes fest:
Erstens. Die Türkei ist ein demokratischer Staat,
ein Rechtsstaat mit Defiziten,
wie unsere türkischen Freunde uns immer wieder sagen. Die Defizite liegen zum einen in den rechtlichen Grundlagen, zum anderen aber auch in der tagtäglichen Praxis.
Was sind die Defizite? Das Parlament in Ankara versucht, die Verfassung zu ändern. Alles spricht dafür, daß die Verfassungsänderung noch vor der Sommerpause verwirklicht wird.
Des weiteren liegt dem Parlament ein Gesetzespaket zur weiteren Demokratisierung des Landes vor. Dessen Behandlung hat sich verzögert, weil die politischen Verhältnisse - auch im Parlament - labil sind. Aber alles spricht dafür, daß man auch in diesem Punkt weiterkommt.
Natürlich gibt es konkrete Defizite, was die Meinungsäußerungsfreiheit angeht. Die Mehrheit der Abgeordneten will das ja auch ändern. Es hat doch gar keinen Sinn, es so zu machen wie Sie, nämlich das Kind mit dem Bade auszuschütten, Frau Sonntag. Was hilft denn das den Menschen in der Türkei?
Zweitens. Defizite - das ist bei dem Besuch in Ankara und in Istanbul deutlich geworden - gibt es auch, was die Polizei angeht. Dies festzustellen ist das eine. Die Türkei bei der Lösung der Probleme zu unterstützen ist das andere.
Wir alle in diesem Hause müßten uns eigentlich einig sein, daß der Türkei im polizeilichen Bereich Hilfe geleistet wird, damit sie ihre Probleme lösen kann. Denn es gibt offensichtlich besondere Probleme im Umgang mit den Bürgern. Mit einer entsprechenden Ausbildung könnte ein Teil dieser Probleme minimiert werden. Mißhandlungen könnten reduziert werden. Damit würden wir etwas Konkretes zur Lösung der Probleme in der Türkei tun.
Darüber hinaus müßte alles nur Denkbare versucht werden, die Entwicklung im Südosten voranzubringen: durch wirtschaftliche Hilfe, dadurch, daß wir unsere Hilfe anbieten, die kommunale Selbstverwaltung weiter auszubauen, die Verwaltung zu dezentralisieren, eine gezielte Regionalpolitik zu machen. Das wäre etwas, was die Türkei konkret weiterbrächte, was die Situation im Innern entscheidend verbessern könnte.
Drittens. Die Anhörung hat deutlich gemacht, daß es für den generellen Abschiebestopp überhaupt keine Argumente mehr gibt. Die weit überwiegende Zahl der Sachverständigen hat das doch konkret gesagt.
Dazu: Erstens. Es gibt in der Türkei keine generelle ethnische Verfolgung, was der Ansatz für einen generellen Abschiebestopp wäre. Kurden werden nicht verfolgt, weil sie Kurden sind.
Zweitens. Die innerstaatliche Fluchtalternative ist doch leicht einsehbar. Zwei Drittel der Kurden leben im Westen und im Süden des Landes, wo sie mit den Türken im wesentlichen ohne Probleme zusammenleben. Zu sagen, es gebe keine innerstaatliche Fluchtalternative, ist einfach falsch.
Dietmar Schlee
Drittens. Wir müssen auch daran denken, was passiert, wenn wir es bei diesem generellen Abschiebestopp lassen: Der Zuwanderungsdruck wird größer. Hunderttausende, die arbeitslos sind, die in Armut leben, werden sich auf den Weg in unser Land machen. Das können wir nicht vertreten, meine Damen und Herren.
- Lieber Herr Fischer, es gibt offensichtlich Leute wie Sie, die über das Beibehalten des generellen Abschiebestopps den Asylkompromiß aushebeln wollen. Dann stellen Sie sich hier hin und sagen Sie, daß Ihnen die ganze Richtung nicht paßt!
Lassen Sie mich noch ein Wort zu den Ländern sagen. Die Frage der Abschiebung der Kurden ist eine Frage, die bundeseinheitlich geregelt werden muß. Da kann man Neugierige in dem einen oder anderen Land nur warnen.
Früher war das so, Herr Kollege Körper, daß man im Kreise der Innenminister einig war, so einen Vorgang wie diesen tunlichst zu vermeiden, nicht zuletzt deshalb - das sollte man auch Herrn Schnoor und Herrn Zuber so sagen -, weil wir eine Wanderungsbewegung - ich will es mal so nennen - innerhalb der Republik verhindern wollten. Ich bin einmal gespannt, was Herr Schnoor und Herr Zuber sagen, wenn eine solche Wanderungsbewegung in ihre Länder in Gang kommt.
Schlußbemerkung, meine Damen und Herren: Die Türkei ist natürlich ein nicht ganz einfach einzuordnendes Land. Es gibt Positives, es gibt Negatives. Es gibt Bemühen, die Situation zu verbessern, es gibt Erfolge, es gibt Versagen. Wir müssen die Menschen in der Türkei ermutigen, die dieses Land modernisieren wollen,
die die Gesamtsituation verbessern wollen. Es kann doch nicht angehen, daß wir die westlich orientierten Türken entmutigen, daß wir sie in die Arme der Islamisten treiben. Was sich in den letzten Tagen in der Türkei und bei uns abgespielt hat, macht deutlich, wie labil die Situation ist. Wer sich in unserem Land strafbar macht, wer das Gastrecht mißbraucht, muß abgeschoben werden. Deshalb muß der generelle Abschiebestopp weg, und zwar sofort, meine Damen und Herren.