Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der generelle Abschiebestop für Kurden, mehrfach verlängert, letztlich befristet bis zum 15. März 1995, ist abgelaufen. Kein Land hat eine Verlängerung beantragt. Die
Frage eines Einvernehmens mit dem Innenminister steht daher nicht zur Diskussion.
Die Entscheidung über eine Abschiebung von türkischen Kurden liegt nun wieder ausschließlich bei den Ländern. Sie richtet sich nach unserem Ausländerrecht, das eine gerechte, mit dem Menschenrecht in Einklang befindliche Einzelfallentscheidung vorsieht. Dies bedeutet: Ein Ausländer, eigentlich zur Ausreise verpflichtet, wird dann nicht abgeschoben, wenn ihm die Gefahr unmenschlicher Behandlung, die Gefahr der Folter oder gar die Gefahr der Todesstrafe droht.
Diese individuelle Prüfung berücksichtigt das Einzelschicksal. Sie trägt dem Anliegen des einzelnen, des tatsächlich Betroffenen ebenso Rechnung wie dem Grundsatz, daß namentlich illegal Eingereiste sowie Straftäter abzuschieben sind. Das gilt natürlich für alle Ausländer in Deutschland, natürlich auch für alle Kurden. Bestehen für sie jedoch individuelle Gefahren, so werden sie nicht abgeschoben. Sie dürfen in Deutschland bleiben. Nur dies bedeutet Einzelfallentscheidung. Dies ist gerecht, dies ist humanes Recht, meine Damen und Herren.
Deswegen wird dies auch von Menschenrechtsorganisationen, vom hessischen Verwaltungsgerichtshof und vom Hohen Flüchtlingskommissar begrüßt. Deswegen hätte die CDU/CSU, hätte ein Bundesland dies beantragt, dem Bundesminister empfohlen, diese gerechtere Einzelfallentscheidung einem generellen Abschiebestopp vorzuziehen. Deswegen werden wir bei Kurden, die öffentlich für mehr Autonomie eingetreten sind und deshalb in der Türkei wegen des Vorwurfs Separatismus strafrechtlich verfolgt werden können, sorgfältig prüfen, ob im Einzelfall eine Abschiebung verantwortet werden kann. Es besteht also keine Regelungslücke zu Lasten eventuell Verfolgter.
Nein, meine Damen und Herren, wir nehmen es keineswegs leicht, daß z. B. amnesty international in der vorgestrigen Anhörung eine Verfolgung der Kurden in der Türkei beklagte. Aber für uns hat auch die Feststellung des Auswärtigen Amtes und unserer Botschaft Gewicht, die lautet: Eine unmittelbare
Erwin Marschewski
staatliche Verfolgung bestimmter Personengruppen findet nicht statt. Insbesondere - so wird weiter gesagt - wird ein Kurde nicht deshalb verfolgt, weil er ethnisch Kurde ist.
Trotz dieser Einschätzung verkennen wir keineswegs, daß Rechtsstaatlichkeit und Beachtung der Menschenrechte, gemessen an westeuropäischen Maßstäben, in der Türkei verbesserungsbedürftig sind. Auch dies hat die Anhörung ergeben.
Deshalb werden wir alle uns zu Gebote stehenden Mittel einsetzen, um zu einer Verbesserung der Lage innerhalb der Türkei beizutragen. Dies geht doch nur, Herr Kollege Fischer, wenn wir die reformbereiten Kräfte in der Türkei unterstützen.
Dies geht doch keineswegs durch manchmal ein wenig überheblich wirkende, Herr Kollege Fischer, und in der Türkei kaum verstandene Meinungsäußerungen.
Sie nützen genau dem Gegenteil: Sie entmutigen die Reformer, anstatt ihnen Mut zu machen. Das wollen wir nicht, meine Damen und Herren.
Aus diesem Grunde begrüßen wir es, daß sich die Türkei uns gegenüber verpflichtet hat, die Leute, die in ihr Heimatland zurückzuführen sind, nicht nur strikt nach Recht und Gesetz zu behandeln, sondern darüber hinaus auch vor Abschiebungen über Art und Maß etwa zu erwartender Strafverfolgungsmaßnahmen zu informieren.
Nein, meine Damen und Herren, es gibt keinen Grund, von einer Einzelfallbeurteilung, der tragenden Säule unseres Rechtssystems, ja, unseres Grundgesetzes abzugehen. Auch das hat die überwiegende Zahl der Anhörpersonen in der Anhörung vertreten. Das ist die Auffassung der Union, und das müßte auch Ihre Auffassung sein, meine Damen und Herren insbesondere der SPD-Fraktion, weil die Einzelfallentscheidung gerechter ist, weil sie im Einklang mit dem geltenden Recht steht. Oder kritisieren Sie jetzt besonders den Bundesinnenminister nur deshalb, weil Sie ihm bereits vor der Anhörung gesagt haben, er möge den generellen Abschiebestopp verlängern?
Ich denke, das ist eine sehr merkwürdige Auffassung von einer Anhörung,
die Sie selber beantragt haben.
Ich würde Ihnen, Herr Kollege Schily, empfehlen: Setzen Sie sich doch mit den Äußerungen Ihrer Kollegin Schüller auseinander. Vielleicht dürften Sie gar nicht mehr reden, wenn sie hier das Sagen hätte oder Ministerin im Schattenkabinett geworden wäre.
Ich komme zur Sache, weil dies ernst ist, meine Damen und Herren. Ich frage mich, ob Sie vielleicht andere Gründe haben, dem Bundesinnenminister diese Auffassung nahezulegen. Ich will einmal Ihre ausländerrechtlichen Forderungen aus den letzten Wochen zusammenfassen. Sie, die SPD-Fraktion, wollen eine neue Altfallregelung für Asylbewerber.
Sie wollen ein kommunales Wahlrecht für Ausländer aus Staaten außerhalb der Europäischen Union bereits nach acht Jahren.
Sie wollen ein Aufenthaltsrecht für Ausländer in Deutschland zum Teil nach fünf Jahren.
Sie wollen ein asylunabhängiges Bleiberecht.
Sie wollen die generelle Zulassung der doppelten Staatsbürgerschaft.
Wollen Sie eigentlich, meine Damen und Herren, mit diesen Forderungen die Vereinbarungen über das Asylrecht aushöhlen? Das können wir so nicht akzeptieren.
Das ist die Gesamtschau der Dinge, meine Damen und Herren.
Wir haben durch eine humane Asylrechtsregelung wieder die Identität der Bevölkerung mit der Politik erzielt.
Wir haben Rechtsradikale aus den Parlamenten ferngehalten. Das war der Erfolg dieser Regelung. Dies
wollen Sie offensichtlich anders machen, meine Da-
Erwin Marschewski
men und Herren. Wir werden dies durchkreuzen, weil es auch eine andere Gesellschaft zur Folge hätte, und das werden wir nicht akzeptieren, meine Damen und Herren.
Ein Wort zur Anordnung des Saarlandes und Nordrhein-Westfalens, eine Sonderregelung bezüglich des Abschiebestopps durchzuführen. Dieser Alleingang Nordrhein-Westfalens, seines Innenministers Schnoor, oder des Saarlandes ist politisch falsch. Er widerspricht der Meinung der Bevölkerung, und ich gehe so weit, zu sagen: Dies steht nicht im Einklang mit dem geltenden Recht, dies ist Rechtsbruch.
Es geht darum, meine Damen und Herren, daß Außenpolitik vom Bund gemeinsam für uns alle und nicht z. B. vom Saarland betrieben wird.
Ich bitte Nordrhein-Westfalen, das Saarland und deren Innenminister, zu Recht und Gesetz, zu unserem Ausländerrecht zurückzukehren. Denn dieses Ausländerrecht tritt für gerechte Lösungen ein, für humane Entscheidungen, für Entscheidungen im Einzelfall zugunsten der politisch Verfolgten. Dies wollen wir hier in unserem Land, meine Damen und Herren, und danach werden wir uns richten.
Herzlichen Dank.