Rede von
Hans-Ulrich
Klose
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort zu seiner ersten Rede im Deutschen Bundestag hat der Kollege Roland Richwien.
Roland Richwien (von der CDU/CSU mit Beifall begrüßt): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die gegenwärtige Situation auf dem Bildungssektor ist uns bekannt. Es ist ein deutlicher Run auf die Hochschulen zu verzeichnen. Während nämlich 1960 ca. 6 % eines Jahrgangs das Abitur machten, waren es 1993, gesamtdeutsch gesehen, fast 35 %. Das heißt, es läßt sich nicht mehr
Roland Richwien
wegdiskutieren: Die deutschen Hochschulen sind nicht nur nach meiner Meinung überlastet.
Im Gegensatz dazu fehlt den mittelständischen und kleinen Unternehmen, auf deren Leistungsfähigkeit unsere Wirtschaft unstrittig angewiesen ist, der qualifizierte Nachwuchs. Ebenso gibt es Nachwuchsbedarf an mittleren Führungskräften im Gesundheitswesen sowie im sozialpflegerischen, sozialpädagogischen Bereich. Die ernsthafte Beschäftigung mit der Frage, wie mit dieser sich abzeichnenden Disproportion umzugehen ist, ist unumgänglich.
Die Bundesregierung spricht sich mehr als je zuvor für die Gleichwertigkeit von schulischer, beruflicher, akademischer Bildung aus. Das findet seine konkrete Bestimmung im vorgelegten Konzept über die Perspektiven zur Förderung der beruflichen Aufstiegsfortbildung und zur Anpassung der BAföG- Sätze.
Es ist damit zu rechnen, daß in den nächsten Jahren über 200 000 Handwerksunternehmer aus dem aktiven Berufsleben ausscheiden. Das heißt, viele Meisterbetriebe sind an einen qualifizierten Nachfolger zu übergeben. Die derzeitige Situation ist aber, daß viele fähige Facharbeiter aus Kostengründen vor den Meisterprüfungen zurückschrecken, da Meisterschüler Kurs- und Prüfungsgebühren selbst tragen müssen.
Im Gegensatz dazu werden an deutschen Hochschulen in der Regel keine Studiengebühren erhoben; die Kosten werden aus allgemeinen Steueraufkommen getragen. Studenten können darüber hinaus die Länge eines Studiums und damit die Inanspruchnahme der öffentlichen Leistungen relativ frei gestalten. Das bedeutet letztlich: Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung ist augenblicklich kaum gegeben.
Handlungsbedarf in dieser Richtung signalisieren auch die neuen Länder. Beispielsweise verlangte der Thüringer Handwerkstag von der Landesregierung u. a. die Förderung einer Bildungsstätte des Handwerks und ein spezielles Programm für junge Handwerksmeister, die innerhalb von zwei Jahren nach der Meisterprüfung einen Betrieb gründen. Der Run auf eine solche Bildungsstätte und auch der Ruf danach ist berechtigt, da in den neuen Bundesländern eine Notsituation vorlag. Der auszubildende Mittelstand fehlte völlig, und die Großbetriebe waren nicht konkurrenzfähig. Deutschland ist aber auf leistungsfähige kleine und mittlere Unternehmen in besonderer Weise angewiesen.
Für die Bundesregierung steht in den nächsten Jahren die mittelständische Industrie im Vordergrund. Diese Unternehmen sind das Rückgrat der Wirtschaft in der Gemeinschaft. Sie stellen rund zwei Drittel der Arbeitsplätze und konnten in den letzten Jahren höhere Umsatzzuwächse verzeichnen als Großunternehmen. Fast fünf Jahre nach der Vollendung der deutschen Einheit hat sich der Mittelstand als potentieller Garant des Aufschwungs in den neuen Bundesländern erwiesen. Die Brüche in dem Bestand des übernommenen Wirtschaftssystems der neuen Länder waren dramatischer als jede Vorhersage. Die Reduzierung der Industrieproduktion auf kümmerliche Reste und einsame Neuanfänge ist heute der Hauptgrund für eine gesunde Mittelstandsentwicklung der Partner.
Sie hatten recht: Seit 1994 werden Gesellen im Handwerk, die sich auf die Meisterprüfung vorbereiten, nicht mehr nach dem Arbeitsförderungsgesetz unterstützt. Der kontinuierliche Rückgang der Förderung der vergangenen Jahre hat zu einer schwierigen und unbefriedigenden Situation bei der Finanzierung der Fortbildung zum Handwerksmeister geführt. Die Meisterprüfung ist die Basis für Existenzgründungen im Handwerk und wichtiger Bestandteil der beruflichen Qualifikation. Ein Rückgang der Zahl absolvierter Meisterprüfungen wird sich langfristig auf den Bestand mittelständischer Handwerksunternehmen und auf das berufliche Bildungsniveau insgesamt ungünstig auswirken.
Angesichts hoher Aufwendungen für die Ausbildung verwundert es nicht, daß heute fast ein Viertel aller Meisterschüler die Ausbildung durch Kredit finanziert und mit erheblichen Schulden in das Berufsleben startet. Für Existenzgründer steht dann eine neue Kreditaufnahme auf dem Programm. Hilfsmaßnahmen der Bundesländer, die bereits eingeleitet wurden, lösten das Problem bis heute nicht.
Die Förderung der Ausbildung von mittleren Führungskräften vor allem im sozialpädagogischen Bereich wäre gerade für die neuen Bundesländer ein wichtiger Schritt, da es bisher keine vergleichbare Ausbildung gegeben hat. Das Defizit an solchen Fachkräften wird derzeit über sogenannte Seiteneinsteiger reguliert. Das heißt, entsprechende Stellen sind von nicht ausreichend dafür ausgebildeten ehemaligen Lehrern, Erziehern usw. besetzt, die einer dringenden Fachausbildung bedürfen. Notwendige Fortbildungen bleiben leider noch oft dem Zufall überlassen. Das derzeit noch fehlende Förderinstrument soll im Sinne einer Gleichbehandlung - ähnlich wie beim Studenten-BAföG: zum Teil als Zuschuß, zum Teil als Darlehen - einkommens- und vermögensabhängig ausgestaltet werden.
Bei den bisher BAföG-Berechtigten führte das Ausbleiben der Anpassung der Bedarfssätze seit 1993 auf Grund der schwierigen Finanzsituation von Bund, Ländern und Gemeinden zu einer Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Situation.
Hinzu kamen natürlich noch Sonderprobleme in den neuen Ländern. Trotz eines insgesamt - im Vergleich zu den alten Ländern - niedrigen allgemeinen Mietenniveaus sind die Kosten für studentischen Wohnraum dort vielfach ebenso hoch wie im Westen. Der zur Deckung des Wohnbedarfs ausgewiesene Anteil des Bedarfssatzes ist dagegen niedriger als in den alten Ländern. Das hängt damit zusammen, daß die entsprechende Infrastruktur in den neuen Ländern mit dem plötzlichen Ansturm auf die dortigen Universitäten nicht mitgewachsen ist. Wohnheimplätze fehlen, Zimmer oder Wohnungen für studentische Wohngemeinschaften sind kaum noch zu bekommen bzw. auf Grund des Mangels schwer bezahlbar. Außerdem wirkt sich das geltende Förde-
Roland Richwien
rungsrecht auf in West-Berlin wohnende Auszubildende, die eine Ausbildungstätte in Ost-Berlin besuchen und für die dieselben Bedarfssätze anzuwenden sind, nachteilig aus.
Auf Grund des Prüfungsergebnisses zur wirtschaftlichen Situation der BAföG-Empfänger und der erneuten Prüfung der finanzwirtschaftlichen Entwicklung streben wir eine Anhebung der Bedarfssätze sowie eine Änderung der Härteverordnung zur Berücksichtigung besonderer Entwicklungen in den neuen Bundesländern an. Aus unserer Sicht ist bei der Ausbildungsförderung ein genereller Reformbedarf vorhanden, damit gemeinsam mit den Ländern eine Reform des Hochschulwesens aus einem Guß möglich gemacht wird. Der zur Regelung der Förderungshöchstdauer für den Besuch der Höheren Fachschulen, Akademien und Hochschulen erlassene § 15 Abs. 4 BAföG hat wegen der Vielfalt der Studiengänge und der Uneinheitlichkeit der Festsetzung der Regelstudienzeiten durch die Länder ein Maß an Differenzierung erreicht, das nur noch durch eine strukturelle Änderung überwunden werden kann.
Nicht zu unterschätzen ist sicher auch die Tatsache, daß der finanzpolitische Spielraum trotz der günstigen Wirtschaftsentwicklung weiterhin begrenzt ist; deshalb der Vorschlag, Universitätsstudiengänge künftig generell neun Semester, Fachhochschulstudiengänge acht Semester zu fördern. Auch das bedeutet natürlich einen wichtigen Schritt in Richtung der notwendigen Verkürzung der Studienzeit und stellt ebenso eine Form von Leistungsorientierung dar.
Vielleicht noch ein paar Worte zu Einschränkungen der Förderung von Studierenden, die einen Fachrichtungswechsel vorgenommen haben oder die ein Zweitstudium absolvieren: Dazu muß man bedenken, daß das BAföG bei seinem Inkrafttreten darauf ausgerichtet war, Förderungen in erster Linie für eine planvoll angelegte und zielstrebig durchgeführte Ausbildung bis zu einem berufsqualifizierenden wissenschaftlichen Abschluß zu leisten. Die Förderung einer weiteren Ausbildung soll auf Ausnahmen beschränkt bleiben. Diesem ursprünglichen Gedanken sollte in der Zukunft Rechnung getragen werden.
Bisher wird Ausbildungsförderung für eine andere Ausbildung nur geleistet, wenn der Auszubildende die Fachrichtung aus wichtigem Grund gewechselt hat. Als solche Gründe werden z. B. mangelnde intellektuelle, psychische oder körperliche Eignung für die Berufsausbildung oder -ausübung, ein Neigungswechsel von schwerwiegender Art oder ein Wandel der Weltanschauung bei weltanschaulich gebundenen Berufen angesehen. Nach einer Studie des Deutschen Studentenwerkes ist die Quote der Studienwechsler erheblich und zeigt noch zunehmende Tendenz.
Um den sinnvollen Einsatz der Fördermittel zu sichern, muß darauf hingewirkt werden, daß der Fachrichtungswechsel möglichst frühzeitig erfolgt. Hier kommt der Studienberatung nach meiner Meinung eine hohe Verantwortung zu.
Es wird vorgeschlagen, das Ergebnis der Studienberatung zur Entscheidung über die Förderung heranzuziehen. Ebenso ist daran gedacht, den Rechtsanspruch auf Förderung von Ergänzungs-, Aufbau- und Zusatzstudium aufzugeben, aber bei der Graduierten- oder Stipendienregelung zu berücksichtigen. Die Förderung von Ergänzungs-, Aufbau- und Zusatzstudium nicht ganz aufzugeben ist insofern sinnvoll, als dies dem künftigen Akademiker ermöglicht, auf die ständig wechselnden Arbeitsmarktanforderungen flexibel zu reagieren. Hier liegt sicher ein sehr sensibler Bereich vor. Weiter liegt durch Graduierten- und Stipendienregelung ein Leistungsanreiz für die Studierenden vor.
In den vergangenen Jahren sind zunehmend Berufsakademien eingerichtet worden, deren Abschlüsse durch Landesrecht den Abschlüssen der Fachhochschulen gleichstehen, was bedeutet, daß deren Absolventen zu einem weiterführenden Hochschulstudium zugelassen sind. Von ihnen wird daher auch aus unserer Sicht zu Recht als unbillig empfunden, daß diese weiterführende Ausbildung bei ihnen nicht unter denselben Voraussetzungen wie bei Fachhochschulabsolventen gefördert wird.
Abschließend: Das ganze Programm könnte nach meiner Meinung letztlich z. B. bewirken, die gegenwärtige Entwicklung zu Massenuniversitäten aufzuhalten. Eine Massenuniversität kann eigentlich fast nur noch Mittelmaß produzieren.
Qualität und Individualität bleiben zwangsläufig auf der Strecke, was sich wiederum bremsend auf die Innovationsfähigkeit der Wirtschaft und der Wissenschaft auswirkt. Für leistungsfähige Jugendliche müssen wir weiter attraktive Qualifikations- und Beschäftigungschancen eröffnen. Das könnte der Modellversuch zur Zusatzqualifizierung bei der beruflichen Bildung unbedingt leisten.
Es ist daher an alle politisch Verantwortlichen zu appellieren, dem vorgesehenen Gesetzentwurf im Bundestag und Bundesrat ihre Zustimmung nicht zu verweigern.
Vielen Dank.