Rede von
Günter
Rixe
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Rüttgers, Zukunft ja. Aber wir werden Sie, bevor ich gleich zur Zukunft komme, aus der Vergangenheit natürlich nicht entlassen,
weil ich persönlich der Meinung bin, daß Zukunft auch immer etwas mit Vergangenheit zu tun hat. Damit sind wir bei der Aufstiegsförderung. Deswegen stehe ich hier. Da haben Sie nun erst einmal eine Rolle rückwärts gemacht. Jetzt versuchen Sie, die Rolle vorwärts zu machen. Nach außen hin aber verkauft die Bundesregierung dies als dreifachen Salto nach vorne,
als großen Schritt auf dem Wege zur Gleichwertigkeit der verschiedenen Ausbildungswege. Mit großen Worten eingeleitet, täuscht dieser Teil des Berichts der Bundesregierung doch über Tatsachen hinweg.
Die erste Täuschung besteht darin, daß durch dies en Gesetzesvorschlag ein Zustand wiederhergestellt werden soll, der in ähnlicher Weise bis Ende 1993 im Arbeitsförderungsgesetz geregelt war. Die jetzt hier vorgelegten Vorschläge der Bundesregierung zur Förderung der Aufstiegsfortbildung können also nicht als Erfolg verkauft werden. Ich sage das einmal so deutlich.
In dem Bericht ist zu lesen - ich zitiere -:
Derzeit fehlt ein geeignetes Förderungsinstrument, durch das die Heranbildung künftiger Meister, Techniker und anderer mittlerer Führungskräfte stärker unterstützt werden kann.
Diese Feststellung ist zwar richtig, und die Notwendigkeit einer individuellen Förderung bei der Aufstiegsfortbildung ist auch unbestritten, es muß aber doch ganz deutlich gesagt werden: Diese Bundesregierung hat Ende 1993 die AFG-Förderung mutwillig zerschlagen. Sie war weg.
Die SPD-Bundestagsfraktion hatte zuvor vehement dagegen gekämpft, daß diese Förderung von einem vollen Zuschuß auf eine Darlehensregelung umgestellt werden sollte.
Die zweite Täuschung - zugleich eine Enttäuschung - besteht darin, daß diese Vorschläge zur Förderung der Aufstiegsfortbildung unter dem Stichwort der Gleichwertigkeit von schulischer, akademischer und beruflicher Bildung abgefeiert werden soll, obwohl mit diesen Vorschlägen dazu nichts Neues organisiert wird. Dieses ist also eine Art von Etikettenschwindel.
Gleichwertigkeit bedeutet doch zweierlei: Für die im Beruf Qualifizierten muß es erstens genauso einen Zugang zur weiterführenden Bildung geben wie für diejenigen mit allgemeinbildenden Abschlüssen. Das heißt: Eine Öffnung der Hochschule muß endlich bundesweit - und in der ganzen EG - erreicht werden.
- Klatschen Sie nicht zu früh!
Eine Zwischenbemerkung: Ich habe mit Freude im Jahreswirtschaftsbericht auf Seite 28 gelesen, daß die Bundesregierung jetzt auch für den Hochschulzugang eine bundeseinheitliche Regelung für erforderlich hält. Das steht da wortwörtlich. Ich war ganz erstaunt.
Wir haben das im letzten Jahr bereits gefordert.
Unser Gesetzentwurf - deswegen sagte ich vorhin „Vergangenheit"; der ist nämlich erst ein Dreivierteljahr alt - ist damals mit dem Argument abgelehnt worden, dieses sollten die Länder regeln. Wenn die Aussage der Bundesregierung im Jahreswirtschaftsbericht ernst gemeint ist, dann müßten Sie jetzt unserem Gesetzentwurf die Zustimmung geben. Wir überlegen uns, den gleichen Gesetzentwurf hier demnächst ins Hohe Haus einzubringen.
Zweitens bedeutet Gleichwertigkeit, daß auch während der beruflichen Tätigkeit die beruflich Qualifizierten den von der Hochschule kommenden Absolventen gleichgestellt sein müssen. Man muß sich doch um den betrieblichen Aufstieg kümmern und die damit verbundenen Einkommenschancen auch als Anreiz sehen und zu verbessern suchen. Warum sonst sollten die Leute eine Qualifizierung machen, wenn nicht entsprechende berufliche Aussichten bestehen?
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir die Vorschläge der Bundesregierung zur Aufstiegsfortbildung nicht mit so großen Vokabeln versehen und Erwartungen damit verknüpfen, die hiermit überhaupt nichts zu tun haben, dann verbinden wir damit eine Hoffnung: Wie können wir gemeinsam für den in Frage kommenden Personenkreis etwas erreichen? Dazu müssen aber in der weiteren Diskussion noch viele Unklarheiten beseitigt werden - da sind wir uns fast einig; diese Unklarheiten müssen wir in der Tat beseitigen -, von denen ich jetzt die wesentlichsten Probleme benennen will.
Erstens. Da ist zunächst die immer wieder in den Raum gestellte Formulierung, daß die nach diesem Gesetz vorgeschlagene Förderung analog dem BAföG organisiert werden sollte. Nun hat der Minister letzte Woche in der Regierungsbefragung ja schon gesagt, daß ein Unterschied zum BAföG sein wird, daß dieses Gesetz vom Bund allein finanziert werden soll.
Günter Rixe
Herr Rüttgers hat weiter gesagt, daß bei der Finanzierung ja doch der ganze Haushalt zu sehen sei und insofern aus einer Einigung und SPD-Zustimmung bei der Kohleförderung, beim Jahressteuergesetz und bei der Gewerbesteuerreform auch notwendige Finanzmittel zu erzielen wären.
Es ist ja gut, Herr Minister, wenn Sie glauben, daß Sie ohne uns dieses gar nicht finanziert bekommen.
Aber den von Ihnen angedeuteten Weg werden wir so nicht mitmachen. Sie sollten dem Kanzler statt dessen empfehlen, Steuerausfälle auf Grund herabgesetzter Spitzensteuersätze wieder hereinzuholen. Dann haben wir das Geld.
Im übrigen werden wir auch keiner Finanzierung in Ihrem Hause zustimmen, die zu Lasten des BAföG-Topfes oder zu Lasten anderer Titel im Haushalt Bildung und Forschung geht. Das werden wir nicht mitmachen. Das Geld für das neue Gesetz muß schon woanders weggenommen werden.
Zweitens. Bei der Bemessung des individuellen Bedarfs sind die besonderen Lebenssituationen der Teilnehmer zu berücksichtigen, die völlig anders sind als die der BAföG-Empfänger. Die Teilnehmer sind häufig älter als Studierende und haben vielfach eine Familie zu ernähren, Miete zu zahlen und vielerlei sonstiger Verpflichtungen. Bei den vorliegenden Vorschlägen ist noch völlig offen, wie dieser Bedarf bemessen werden soll. Man darf auf die Regierungsvorschläge gespannt sein.
Angesichts der Tatsache, daß jetzt über ein Jahr lang eine Meisterförderung nur sehr eingeschränkt über das Darlehensprogramm aus Mitteln des Bundeswirtschaftsministeriums stattgefunden hat, gibt es eine Meisterlücke. Darüber wird schon diskutiert. Da ist die Frage: Wie hoch ist denn der Anspruch? - Da haben Sie, Herr Minister, gesagt, daß Sie von ungefähr 90 000 Förderfällen ausgehen. Ich wage zu behaupten, daß die Zahl höher sein wird, weil das 1994 nur sehr wenige in Anspruch genommen haben.
Drittens. Es muß viel stärker berücksichtigt werden, daß die Qualifizierung sowohl in Vollzeit- wie in Teilzeitmaßnahmen durchgeführt wird, für die erhebliche Maßnahmekosten anfallen. Häufig erhalten die Teilnehmer auch Zuschüsse von ihren Arbeitgebern zu den Kursgebühren. Das müssen wir alles berücksichtigen. Die Absolventen von Teilzeitmaßnahmen arbeiten nebenher, und es stellt sich die Frage, wie ihnen dabei Erleichterung, aber auch Arbeitsplatzsicherung verschafft werden kann; denn nicht alle, die von diesen Maßnahmen erfaßt werden, sind Meistersöhne und kehren automatisch wieder in den Handwerksbetrieb ihres Vaters zurück.
Viertens. Zu der BAföG-ähnlichen Gestaltung dieses Gesetzes gibt es einen weiteren diskussionswürdigen Punkt: Die Durchführung der Förderung soll nach den Vorstellungen der Regierung als Bundesauftragsangelegenheit Sache der Länder werden. Ich frage: Wollen Sie etwa neue Verwaltungsstellen für diese Aufgaben schaffen, wo doch immer von
Einsparungen im Personalbereich die Rede ist? Oder haben Sie etwa die Absicht, die Vergabe der Gelder aus dem staatlichen Bereich heraus in private Hände übergehen zu lassen? Das würde erheblichen Widerstand von unserer Seite zur Folge haben.
Warum nehmen Sie nicht die bestehenden Strukturen, die bereits früher die Meisterförderung organisiert haben? - Die Arbeitsverwaltung als durchführende Stelle bietet zudem die Möglichkeit, daß auf Entwicklungen schneller reagiert werden kann als bei anderen Verfahren. Wir sind hier nicht festgelegt, aber diskutieren wollen wir es mit Ihnen, Herr Minister, mit den Ländern, mit der Wirtschaft und mit den Gewerkschaften. Nach der Anhörung werden wir unsere Meinung dazu sagen.
Fünftens. Eine wichtige Diskussion wird sich mit der Frage befassen müssen, ob dieses Gesetz nicht eine Verschiebung in der Angebotsstruktur hin zu den Vollzeitmaßnahmen bewirkt. Durch die Subventionierung durch den Staat könnte sich auch eine Verlagerung bisher betrieblicher Förderung auf den Staat ergeben. Ob dies bildungs- und finanzpolitisch wünschenswert ist, muß sorgfältig geprüft werden. Ich denke, das werden wir machen.
Die Notwendigkeit einer individuellen Förderung zur beruflichen Aufstiegsfortbildung ist unbestritten. Wir haben das immer gesagt. Dankenswerterweise haben auch die Kammern im letzten Jahr erheblichen Druck auf die Bundesregierung ausgeübt, so daß diese ihre eigene Fehlentscheidung aus dem Jahre 1993 korrigieren mußte.
Die SPD wird im Bundestag wie auch im Bundesrat die Pläne der Bundesregierung zur Förderung der Aufstiegsfortbildung genau prüfen, zugleich aber auch auf beschleunigte Verwirklichung drängen. Wir werden auch an diesem Gesetzentwurf mitarbeiten. Deshalb begrüßen wir es, daß die Bundesregierung, nachdem zu Jahresbeginn noch sehr viel Dunkel in dieser Sache herrschte, nun endlich ihre Vorstellungen etwas konkretisiert hat. Wir können jetzt etwas damit anfangen, auch wenn es noch nicht ausreicht. Dies macht eine Auseinandersetzung in der Sache selbst und im Interesse der an weiterführender Bildung und beruflichem Aufstieg interessierten jungen Menschen möglich.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.