Rede von
Dr.
Cornelie
Sonntag-Wolgast
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man merkt es schon am Ton dieser Debatte: Zu den schwierigsten
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast
und heikelsten Themen, mit denen wir seit Inkrafttreten der Asylrechtsänderung immer wieder zu tun haben, gehört tatsächlich die Abschiebehaft, genauer gesagt: ihre Dauer, ihr Ablauf und die Art und Weise, wie mit den „Schüblingen" - so heißt es im Behördenalltag - umgegangen wird.
Es gibt Wohlfahrtsverbände, Kirchen und Menschenrechtsorganisationen, die scharfe Kritik üben. Berichte über Selbstmorde, Selbstverstümmelungen und andere Verzweiflungstaten müssen die Öffentlichkeit alarmieren.
Auch Jutta Limbach, die Präsidentin des Bundesverfassungsgerichtes, hat das Thema kürzlich im Zusammenhang mit ihrer Auffassung von mutmaßlichen Schwächen des Asylkompromisses angesprochen. Ich finde, dazu hat Frau Limbach das Recht. Wir als Parlamentarier tun gut daran, solche Kritik nicht auf die leichte Schulter zu nehmen;
denn man kann, man muß das alles ernst nehmen und darauf eingehen, ohne gleich, wie es leider nur allzuoft vorkommt, von der Regierungsbank den Vorwurf zu hören, man wolle die Asylrechtsreform kippen oder unterlaufen.
Im Gegenteil, meine Damen und Herren: Auch gut eineinhalb Jahre nach Inkrafttreten sind wir als Parlamentarier verpflichtet, ein so umfangreiches, ein so einschneidendes und schwieriges Gesetzespaket aufmerksam und immer wieder selbstkritisch auf die Wirksamkeit und auch auf die Rechtsstaatlichkeit seiner Einzelteile hin zu überprüfen.
Deshalb haben wir, die Innenpolitiker der SPD, vor, in den nächsten Tagen intensive Gespräche mit Vertretern von Kirchen, Wohlfahrtsverbänden und Flüchtlingshilfegruppen zu führen und dabei besonderes Gewicht auf das Problem zu legen, das uns hier heute mittag beschäftigt. Übrigens müssen wir uns auch mit der scharfen Kritik der Deutschen Bischofskonferenz, die wir soeben hören und lesen, auseinandersetzen,
anstatt mit wohlfeilen Stellungnahmen alles im Galopp abzuwiegeln, Herr Marschewski.
Ich will Ihnen einmal eines sagen: Ich bin dem Kollegen, der aus Ihren Reihen eben vor mir gesprochen hat, Herrn von Klaeden, für seine besonnenen Worte ausgesprochen dankbar. Ich wäre froh, wenn ich diesen Ton öfter aus Ihren Reihen, aus den Reihen der Union, hören würde, wenn es um dieses Thema geht.
Die Bischöfe und mit ihnen andere sagen - ich rufe es Ihnen noch einmal in Erinnerung, falls Sie es noch nicht gelesen haben sollten -, daß zu schnell,
zu lange und zu häufig inhaftiert wird. Das heißt, nicht die Abschiebehaft als solche steht zur Disposition; zu fragen ist hier, ob sie zu rabiat vollzogen wird.
Ein Asylbewerber - um auch das klarzustellen - muß es akzeptieren, daß er, wenn sein Antrag rechtskräftig abgelehnt worden ist, daraufhin zur Ausreise verpflichtet wird, unter der Voraussetzung, daß es keine Abschiebungshindernisse oder humanitäre Gesichtspunkte gibt, die dagegen sprechen. Auch die Europäische Menschenrechtskonvention läßt zu, einem Menschen die Freiheit zu entziehen, wenn eine gesetzliche Verpflichtung durchgesetzt werden soll. Dazu gehört z. B., daß die Betroffenen bei der Beschaffung ihrer Ausreisepapiere mitwirken sollen.
Nur, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, entscheidend ist, daß wir alle, die Bevölkerung insgesamt, die zuständigen Ministerien, die Polizisten und die Justizbeamten, uns immer wieder klarmachen: Ein abgelehnter Asylbewerber ist kein Straftäter. Deswegen muß strikt darauf geachtet werden, ob der Entzug der Freiheit wirklich als letztes Mittel zur Durchsetzung eines Verwaltungsaktes nötig ist und ob das Prinzip der Verhältnismäßigkeit der Mittel gewahrt ist.
Ihr Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, greift die bedrückende Lage der Menschen in Abschiebehaft auf, und das ist sicherlich wichtig. Aber, mehrere Vorschläge, die Sie machen, entsprechen im Grunde der geltenden Rechtslage.
Sie werden aber nicht oder höchst unzureichend praktiziert. Damit haben wir uns auseinanderzusetzen.
Das will ich jetzt einmal an Beispielen erläutern. Nach Ihrem Antrag sollen diejenigen Menschen, die aus humanitären oder tatsächlichen Gründen ohnehin nicht abgeschoben werden können, nicht in Haft genommen werden. Nimmt man jetzt den Text des § 57 des Ausländergesetzes genau, so darf das tatsächlich nicht geschehen. Es geht aber meistens um fragliche Fälle. Ist die Lage eindeutig, z. B. für Flüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina, darf die zuständige Ausländerbehörde keine Sicherungshaft beantragen,
Nun wollen Sie außerdem die Abschiebehaft auf höchstens drei Monate beschränken. In der Regel - ich betone: in der Regel - wird nach Auskunft des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge dieser Zeitraum nicht überschritten.
Doch ist es auch richtig, Herr Schlauch, daß Menschen vor allem aus Algerien, Pakistan und Indien oft länger als ein Jahr hinter Gittern sitzen. Ich leugne das ja gar nicht. Oft liegt dann das Problem bei der Paßbeschaffung. Speziell bei Algerien ist das schwie-
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast
rig. Das ist außerordentlich belastend. Trotzdem können die Ausländerbehörden aus den Gründen, die ich eben nannte, nicht völlig auf eine mögliche Verlängerung verzichten. Ihrer Forderung nach einer pauschalen Grenze von drei Monaten können wir deswegen so nicht folgen.
Wir fordern aber, was z. B. in Schleswig-Holstein schon so gehandhabt wird, automatisch nach drei Monaten gewissenhaft nachprüfen zu lassen, ob die Haft noch aufrechterhalten werden kann. Sie ist unverzüglich dann aufzuheben, wenn die Abschiebung ohnehin nicht möglich ist.
Die Praxis der Abschiebehaft ist in den einzelnen Bundesländern in der Tat bedrückend und unwürdig. Die Haftanstalten sind vielerorts überfüllt, die Behörden und ihre Beamten sind überfordert. In einigen Bundesländern liegt die Zuständigkeit beim Justiz-, in anderen beim Innenministerium. Vor allen Dingen sind die Abschiebehäftlinge von Straftätern oft nicht getrennt. Das ist schlecht, und das sollte sich so rasch wie möglich ändern.
Die zuständigen Landesbehörden können und müssen sich bemühen, den Menschen in Abschiebehaft trotz ihrer ohnehin traurigen Situation wenigstens das Gefühl zu vermitteln, daß sie keine Strafe verbüßen. So schwierig das auch sein mag, mit Einfühlungsvermögen und Ideen kann das in den Ländern gelingen, z. B. durch getrennte Unterbringung von Abschiebehäftlingen und Strafgefangenen, z. B. durch großzügigere Umschlußregelungen, z. B. durch soziale Hilfen, Gesundheitsfürsorge, Rücksicht auf kulturelle und religiöse Bedürfnisse der Flüchtlinge, vor allem aber dadurch - und darin haben Sie mit Ihrem Antrag recht -, daß Kontakte zu Familienangehörigen, zu Freunden und zu humanitären Organisationen ermöglicht, vermittelt und erleichtert werden.
Das bedeutet gleichzeitig liberale Besuchsregelungen, berufliche und schulische Förderungsangebote. So etwas hat z. B. das Land Niedersachsen in seinen Richtlinien festgeschrieben. So etwas nimmt den Menschen natürlich nicht den Druck in der Abschiebehaft, aber es kann wenigstens Spannungen und Angst abbauen. Es hilft, lindert, erleichtert. Vor allem aber: Es kann dem Selbstwertgefühl und der Würde der Betroffenen dienen; und manchmal ist das, wörtlich gesprochen, lebenswichtig.
Danke schön.