Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Verschärfungen im Ausländer- und Asylrecht haben dazu geführt, daß der Umfang der Abschiebehaft in den letzten Jahren erheblich zugenommen hat. Laut amnesty international sitzen derzeit etwa 3 000 Menschen in Abschiebehaft. 1 020 waren es im Jahre 1994 allein in Nordrhein-Westfalen.
In vielen Fällen sitzen Menschen in Abschiebehaft, obwohl ihre Abschiebung in absehbarer Zeit überhaupt nicht durchführbar ist, und zwar aus Gründen, die sie nicht selber zu vertreten haben, z. B. wenn die Heimatländer keine Papiere ausstellen. Nach ihrer Festnahme werden diese Leute oft ohne entsprechende inhaltliche Prüfung in Abschiebehaft genommen. Flüchtlinge sind ja bekanntlich lediglich zum Zweck der „Sicherung" der bevorstehenden Abschiebung und nicht etwa zur Verbüßung einer Straftat inhaftiert. Sie sind keine Kriminellen.
Tatsächlich werden sie aber genauso behandelt wie Kriminelle und manchmal sogar noch schlechter, weil durch die vielfältigen Nationalitäten der Menschen in solchen Hafthäusern überhaupt keine vernünftige Übersetzung und keine Kommunikation gewährleistet sind. Zur Angst dieser Leute vor der Abschiebung in die Heimat kommen noch die Isolation, die Vereinsamung und die Unmöglichkeit, sich zu äußern, hinzu.
Das Eingesperrtsein in Zellen während einer Haftdauer von mittlerweile bis zu 18 Monaten und die Angst vor den Folgen einer Abschiebung in die ehemaligen Verfolgerländer haben bereits zu zahlreichen Selbstmorden geführt. Ich finde es unheimlich wichtig, daß auch hier im Bundestag, wo in der Regel nur über Paragraphen und Gesetzeswortlaut diskutiert wird, die Menschen wieder in den Blick genommen werden.
Mir ist es wichtig, einige dieser Menschen, die sich aus dieser Angst, Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit umgebracht haben, mit Namen zu nennen. Ich möchte an Pfarrer Kwaku aus Ghana erinnern, der am 4. Januar 1993 in der Abschiebehaft in München Selbstmord begangen hat. Herr Massivi Daniel Lopes aus Angola tötete sich selber am 25. Oktober 1993 in der Abschiebehaft in Trier. Herr Emanuel Thomas Tout aus Sudan brachte sich am 25. Dezember 1993 in der Abschiebehaft in Herne um. Herr Emanuel Ehi aus Nigeria beging am 25. Dezember 1993 in der Abschiebehaft in Regensburg Selbstmord. Herr Son-HaHoang aus Vietnam starb am 27. Januar 1994 in München an den Folgen einer Selbstverbrennung aus Angst vor der Abschiebung. Ihnen allen bekannt ist sicherlich der Fall von Herrn Kola Bankole aus Nigeria, der an den Folgen einer Beruhigungsspritze und der Knebelung während der Abschiebung auf dem Frankfurter Flughafen starb.
Die Tatsache, daß die Flucht von Menschen nach Deutschland immer häufiger so endet, wirft ein scharfes Licht auf die Auswirkung des Asylrechts.
Flüchtlinge unter den genannten Bedingungen, und dazu noch aus Gründen, die sie nicht zu verantworten haben, einzusperren, ist eine krasse Verletzung der Menschenrechte. Diesen Zustand möchte meine Fraktion nicht mehr hinnehmen.
Seit dem Inkrafttreten des sogenannten Asylkompromisses stellen die Ausländerbehörden massiv Anträge nach § 57 des Ausländergesetzes. In diesem Paragraphen werden die Voraussetzungen und der Umfang von Abschiebungen geregelt. In der Vorstellungswelt nicht nur der Ausländerbehörden wollen alle Asylsuchenden wegen der drohenden Abschiebung angeblich untertauchen. Wegen dieser pauschal behaupteten, aber im Einzelfall sehr oft überhaupt nicht nachgewiesenen Fluchtgefahr stellen viele Richter auf Antrag der Behörden Haftbefehle aus, ohne die betroffenen Menschen selber überhaupt angehört zu haben. Das derzeitige Asylverfahren ist völlig unzureichend. Das ist nicht - das sage ich an Ihre Seite von der CDU/CSU und der F.D.P. hier im Hause - eine Erfindung von irgendwelchen ideologisch verblendeten GRÜNEN, sondern das belegt ganz klar auch der Erfahrungsbericht der Caritas von 1994. Auch auf der Bischofskonferenz in dieser Woche hat man dazu kritische Töne gehört.
Dieses völlig unzureichende Asylverfahren bewirkt bei den Flüchtlingen Hoffnungslosigkeit, Angst und Verzweiflung dergestalt, daß, weil sie in unseren Rechtsstaat kein Vertrauen mehr haben, immer mehr im Vorfeld tatsächlich in die Illegalität abgleiten. Im Klartext: Ein Teil der Probleme, gegen die mit der inhumanen Abschiebehaftpraxis angeblich vorgegangen wird, ist die Auswirkung der Politik der Bundesregierung. Wir produzieren diese Probleme also selbst. Eine Verbesserung ist bisher leider nicht in Sicht, denn bislang bestehende Abschiebestopps für die meisten Teilstaaten des ehemaligen Jugoslawiens, für die Türkei, Togo, Zaire und einige weitere Länder sind schon abgelaufen oder laufen demnächst ab. Mit diesen Problemen sind wir im Augenblick massivst konfrontiert.
Die Folgen des Asylkompromisses sind bekannt. Wir dürfen diese Folgen nicht feige verdrängen. Vielmehr wird es Zeit, daß wir uns damit auseinandersetzen und auch die einzelnen Menschen in den Blick nehmen. Meiner Meinung nach geht es nicht, daß wir uns als Mitglieder dieses Parlaments, als Gesetzgeber, nur mit dem Wortlaut von Paragraphen und mit Papier befassen. Wir müssen uns auch mit den Auswirkungen bei den lebendigen, real existierenden Menschen befassen und diese Auswirkungen in den Blick nehmen.
Mit dem Grundgesetz und den Menschenrechten ist es unseres Erachtens nicht zu vereinbaren, daß Flüchtlinge über viele Monate hin unter unmenschlichen Haftbedingungen im Gefängnis eingesperrt und ohne Kommunikationsmöglichkeiten „gehalten" werden. Ich benutze dieses Wort, weil es oft einfach so ist. Ich bin in vielen Gefängnissen gewesen und habe auch mit den Bediensteten gesprochen. Sie sind selber unglaublich unglücklich und haben damit auch Probleme. Normalerweise sind sie gewohnt,
Christa Nickels
Straftäter, die etwas auf dem Kerbholz haben, zu betreuen. Aber hier sind sie mit Flüchtlingen, die Angst haben und deren Schicksal sie als Beamte teilweise kennen, konfrontiert. Sie fühlen sich unheimlich mies, wenn sie diesen Job tun müssen und dabei allein gelassen werden. Denken Sie bitte auch an die Beamten, wenn Sie immer Ideologie auffahren!
Wir sind also der Auffassung, daß eine Reform des § 57 des Ausländergesetzes unumgänglich ist. Eine Neuregelung der Abschiebehaft muß die Bedeutung des Grundrechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und die Freiheit der Person in den Vordergrund stellen. Die Freiheit der Person, die in unserem Rechtsstaat zu Recht als höchstes Gut gepriesen wird, darf nur aus besonders wichtigen Gründen eingeschränkt werden, und sie müssen nachgewiesen werden. Ich betone: Dieses Grundrecht gilt für alle, die in unserem Land leben, auch für Ausländer, auch für Asylbewerber und auch für solche, die man abschieben will.
Die Abschiebehaft darf nicht mehr, wie bisher möglich, auf 18 Monate ausgedehnt werden können. Wir halten das aus menschenrechtlichen und verfassungsrechtlichen Gründen für nicht tragbar. Wir fordern daher in unserem Antrag, daß die Haftdauer deutlich eingeschränkt wird und drei Monate nicht mehr übersteigen darf. Wir sagen darüber hinaus, daß Flüchtlinge aus humanitären Gründen nicht abgeschoben und daß auch Minderjährige und Kranke nicht mehr in Abschiebehaft genommen werden dürfen.
In unserem Antrag haben wir ganz bewußt keine Maximalposition formuliert, sondern Bedingungen genannt, die eigentlich in einem demokratischen Rechtsstaat selbstverständlich sein müßten.
Ich möchte darauf hinweisen, daß ich in meiner Arbeit im Petitionsausschuß im Augenblick mit sehr vielen Einzelfällen zu tun habe. Es ist mir darum nicht möglich, daß ich mich hinter Paragraphen verschanze. Jeden Tag sehe ich, was die Leute vorbringen und was für Schicksale sie hinter sich haben. Ich appelliere an Sie alle: Setzen Sie sich bitte mit diesen einzelnen Menschen auseinander! Gehen Sie in die Abschiebegefängnisse! Reden Sie auch mit den Bediensteten! Reden Sie mit den Leuten in Deutschland, die nicht nur auf Kommerz aus sind und mehr haben wollen, sondern sich auch um solche Leute kümmern, im Rahmen von Flüchtlingsgruppen, die ebenfalls zunehmend an unserem Rechtsstaat verzweifeln! Lassen Sie uns gemeinsam eine Lösung finden, die dieser Problematik angemessen ist!
Danke schön.