Rede von
Heidemarie
Lüth
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(PDS)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (PDS)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Lanfermann, so schön, wie Sie Ihre Rede begonnen und wie Sie sie auch beendet haben, können meine paar Worte allerdings nicht sein; denn auch in dieser Debatte geht es eigentlich um die Beseitigung einer Altlast der Bundesregierung, nämlich um die Veränderung eines in der vergangenen Legislaturperiode beschlossenen Gesetzes.
Vor fast genau zwei Jahren, am 5. März 1993, erklärte die damalige Familienministerin Frau Rönsch:
Korrekturen beim Erziehungsgeld bringen mehr Gerechtigkeit - eine Kürzung findet nicht statt.
Hervorgehoben wurden in dieser Erklärung für 1993 Einsparungen von 146 Millionen DM - die Kollegin Wester hat es schon erwähnt -, und für 1994 wurden 575 Millionen DM sowie Einsparungen für 1995 und 1996 von 600 Millionen DM beim Erziehungsgeld benannt.
Am 1. Juni 1994 erklärte Frau Rönsch zur Einbringung der Großen Anfrage der SPD zu diesem Thema:
Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub sind aus dem Leben junger Mütter und Väter nicht mehr wegzudenken. Sie sind eine grundlegende Errungenschaft für Familien und gehören fest zum Leistungskatalog einer humanen Politik.
Das Licht der Familienpolitik in dieser „humanen Politik" brennt meines Erachtens im Kronleuchter der anderen Ministerien, allerdings auf einer sehr flackernden Sparflamme. Ich bin sehr gespannt, wie die Rahmenbedingungen der Regierung, von denen Frau Nolte am 8. März sprach und die Herr Link vorhin angekündigt hat, für diesen Teil der Familienförderung dann wirklich aussehen werden; denn die jetzige Vergabepraxis des Erziehungsgeldes erinnert mehr an einen Gnadenakt, denn an eine humane Politik.
Die dreimalige Antragstellung, die entsprechenden Bearbeitungszeiten und die Unsicherheit, ob Erziehungsgeld gezahlt wird, und nicht zuletzt die Höhe führen dazu, daß Mütter auf die Errungenschaft Erziehungsgeld zum Teil verzichten und, wenn es sich bietet, eine Arbeit aufnehmen.
Alleinerziehende Mütter, die nicht in einer Partnerschaft leben, werden in der Zeit des Erziehungsurlaubes häufig gleich zu Sozialhilfeempfängerinnen.
Antragstellung, Bearbeitung und Kontrolle haben sich zu einer Inflation der Bürokratie entwickelt, die in den Ländern jährlich bis zu ca. 170 Millionen DM kostet. Wenigstens hier hat der schlanke Staat Arbeitsplätze geschaffen.
In diesem Sinne ist der Entwurf des Bundesrats, ist die Rückkehr zum alten Verfahren ein Fortschritt, den sicher auch die betroffenen Mütter so sehen;
denn Überschaubarkeit und Sicherheit sind Ergebnisse dieses Antrags. Die wahren Probleme löst dieser Gesetzentwurf nicht; denn auch hier heißt der Grundtenor Einsparung.
In einem Punkt ist es in der Tat eine Schlechterstellung; denn für die ersten sechs Lebensmonate des Kindes würde das Erziehungsgeld einkommensunabhängig gezahlt. Die Mütter und Väter - die Antragsteller - wird es sicher nicht brüskieren, würde der Begriff Einkommen überschaubarer definiert.
Wirkliche Wahlfreiheit, die ökonomisch abgefedert wird, wird so allerdings nicht erreicht. Denn Erziehungsgeld wird weder an Einkommensgrenzen noch an die Höhe der Lohnentwicklung gekoppelt. Lebenshaltungskosten in ihrer dynamischen Entwicklung spielen dabei natürlich auch keine Rolle.
In der „Frankfurter Rundschau" vom 8. März ist das Durchschnittseinkommen der Arbeiter und Angestellten in Industrie und Baugewerbe Ost mit 3 220 DM und West mit 4 773 DM angegeben. Wehe diesen Durchschnittsverdienern, wenn sie ein Kind bekommen, denn sie brauchen einen Antrag auf Erziehungsgeld überhaupt nicht zu stellen.
Drei Jahre Erziehungsurlaub, drei Jahre Erziehungsgeld - das ist unsere Forderung, angebunden an eine entsprechende Grundsicherung. Als minimal betrachten wir natürlich die Forderung auf eine entsprechende Angleichung an die Lebenshaltungskosten und Lohnentwicklung.