Rede von
Annelie
Buntenbach
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Selten hat eine Bundesregierung in der Vergangenheit ihr formuliertes Ziel mit einer Gesetzesinitiative so deutlich verfehlt. Angeblich sollte die Neufassung des § 116 Arbeitsförderungsgesetz eine gesetzliche Verankerung der Neutralität der Bundesanstalt für Arbeit bringen. Erreicht hat sie das Gegenteil: eine strukturelle Schwächung der Gewerkschaften und damit eine weitere Störung des empfindlichen Gleichgewichts zwischen den Tarifparteien. Genau dieses Gleichgewicht der Kampfmittel ist eine unabdingbare Voraussetzung der Funktionsfähigkeit von Tarifautonomie.
Mir fällt es allerdings schwer, von einem Gleichgewicht zwischen den Tarifparteien in der Bundesrepublik zu sprechen; denn schließlich ist im Unterschied zu den meisten europäischen Ländern die Aussperrung hier nicht verboten.
Unsere Position zu diesem Mittel der Arbeitgeberwillkür kennen Sie. Wir haben das Aussperrungsverbot schon vielfach, auch hier im Bundestag, gefordert. Aber daß die heiße Aussperrung noch immer nicht verboten ist, ist nun wirklich kein Grund, noch einen draufzusetzen und durch § 116 AFG darüber hinaus die kalte Aussperrung zu legalisieren und
Annelle Buntenbach
dann auch noch so zu tun, wie soeben Sie, Herr Storm, und auch Herr Blüm in seinen Reden, als werde damit die Parität im Arbeitskampf wiederhergestellt. Meine Damen und Herren, Sie haben sich in der Richtung ausgesprochen gründlich geirrt. Kalte Aussperrung ist, wenn man sie in Alltagsdeutsch übersetzt, im Klartext eiskalte Erpressung der Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmerseite.
Mit ihr können die Arbeitgeber beliebig manipulieren, und zwar heute noch, z. B. durch heiße Aussperrung oder durch zu knappe Lagerhaltung, oder sie behaupten einfach, Lieferanten seien ausgefallen.
Dazu ein Beispiel aus dem Jahre 1984: Damals teilte BMW seinem Getriebezulieferer in Ludwigsburg mit, daß er nicht mehr zu liefern brauche. Dessen Geschäftsführung schrieb ihrem Betriebsrat, daß BMW nichts mehr abnehme. BMW wiederum informierte seinen Betriebsrat, der Lieferant sei ausgefallen. Folge: kalte Aussperrung bei BMW und bei dem Zulieferer. Diese Manipulation, Herr Storm, wäre auch durch eine Stellungnahme des Betriebsrates nicht aufgefallen. Der wußte nämlich, zumindest solange der Streik lief, davon nichts.
Für die Gewerkschaften bedeutet diese Praxis eine enorme Schwächung ihrer Position.
- Sehr exotisch. - Hätte die IG Metall in dem soeben erwähnten Tarifkonflikt an die kalt Ausgesperrten Streikgeld bezahlt, dann hätte sie zusätzlich 859 Millionen DM ausgeben müssen. Wer will da ernsthaft noch von - ohnehin fragwürdiger - Waffengleichheit reden?
- Ja, das wollten die.
Die Dreistigkeit der Arbeitgeber hat - das zeigt der gerade beigelegte Metall-Konflikt - enorm zugenommen. Ohne die katastrophale Fassung des § 116 des Arbeitsförderungsgesetzes ist kaum vorstellbar, daß ein Arbeitgeberverband mit Aussperrungen schon droht, bevor er ein Tarifangebot überhaupt vorlegt. So kann doch nur auftreten, wer sich in seiner Rolle als Herr im Hause völlig sicher fühlt.
Daß dieses Kalkül in diesem Jahr nicht aufgegangen ist, hat eine Menge damit zu tun, daß die Konflikte in den Reihen der Arbeitgeber offenkundig beträchtlich waren. Aber das Instrumentarium des § 116 des Arbeitsförderungsgesetzes ist schon vom Ansatz her falsch. Wir fordern: Die Neutralität der Bundesanstalt für Arbeit muß wiederhergestellt werden.
Da hilft ein Blick in die Verfassung. Das Streikrecht ist ein im Rahmen der Koalitionsfreiheit im Grundgesetz verbrieftes Recht. Es zu schützen ist daher eine selbstverständliche Aufgabe unseres Handelns. Mit den heute vorliegenden Gesetzentwürfen wird versucht, einen wichtigen Schritt zur Wiederherstellung des Gleichgewichts zwischen den Tarifparteien zu tun. Dazu sind zwei Dinge erforderlich: erstens in der Substanz den Zustand von 1986 wiederherzustellen und dabei zweitens eine Reihe von unklaren Formulierungen deutlicher zu fassen.
Die Kritik, die im Vorfeld der Neufassung 1986 sowohl von Arbeitgeber- als auch von Gewerkschaftsseite eben wegen dieser unkaren Formulierungen geäußert worden ist, ist von den Regierungsfraktionen und speziell von Herrn Blüm immer wieder dafür ins Feld geführt worden, daß die Änderung des § 116 AFG wirklich nötig gewesen sei. Nach dem vorhin vom Kollegen Dreßler schon erwähnten Franke-Erlaß von 1984 mußte es damit allerdings auch schnell gehen, weil mit Frankes Sperrung der Zahlung von Lohnersatzleistungen an kalt Ausgesperrte versucht wurde, für die Ungerechtigkeit der Änderung des AFG den Weg freizumachen. Der Franke-Erlaß konnte zu dem damaligen Zeitpunkt heute oder morgen für illegal erklärt werden. Leider ist das erst 1991 geschehen.
Nun behauptet Herr Blüm, mit der Neufassung sei
- im Interesse beider Tarifparteien - die Neutralität der Bundesanstalt wiederhergestellt worden. Aber dann soll er doch bitte erklären - oder Sie, Herr Storm -, warum es - das ist zumindest mir bekannt - zahllose Proteste aus den Reihen der Gewerkschaften gegen diese Neufassung des AFG gibt, aber keinen einzigen Protest aus den Reihen der Arbeitgeber. Das ist dann doch verwunderlich!
- Ich halte es nicht für ein Wunder; denn schließlich war es eine Entscheidung, die absolut einseitig und ausschließlich zugunsten der Arbeitgeber ergangen ist.
Wohlverstanden: Auch wir wissen, daß wir mit diesem Schritt, den wir heute vorschlagen, noch nicht am Ziel einer Parität zwischen den Tarifparteien sind. Wir sind heute so bescheiden, weil wir es Ihnen, verehrte Kolleginnen und Kollegen der Regierungsfraktionen, gerne leichtmachen möchten, aus der Sackgasse wieder herauszufinden, in die Sie uns alle mit Ihrer Fassung des § 116 AFG geführt haben.