Das sowieso. Aber Sie sehen heute auch nicht unbedingt gerade jung aus - heute früh jedenfalls.
- Manchmal sieht man ganz schön alt aus. Das geht auch mir so.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Neunte Jugendbericht macht Schluß mit der leichtfertigen Bemerkung, daß die Jugendlichen durch ihre Unbefangenheit am leichtesten mit dem tiefgreifenden Wandel durch die deutsche Einheit fertig werden.
Nein, der Jugendbericht fordert: Wer es ernst meint mit der deutschen Einheit, sollte nicht nur Dankbarkeit verlangen, in Freiheit leben zu können, sondern erkennen, daß besonders der Jugend gezielt Entfaltungsmöglichkeiten eröffnet werden müssen.
Der Bericht zeichnet dankenswerterweise ein differenziertes Bild. Wir müssen uns schon bemühen, die Vielfalt der Situationen genauer anzuschauen. Ich möchte bestimmte Punkte herausgreifen, die mich beim Lesen des Berichts berührt haben. So war ich natürlich neugierig, wie die Jugend die Politiker bewertet.
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, unser aller Ruf ist nicht nur schlecht, sondern saumäßig. So urteilen 85 %, daß es sich bei unserer Arbeit nur um Geld und Betrug dreht. Das sollten wir ernst nehmen. Wir sollten sehen, wo die Ursachen dafür liegen. Den Parteien geht es dementsprechend. Es ist kaum Genugtuung, wenn PDS und Reps besonders schlecht abschneiden. Die Ohrfeige sitzt insgesamt.
- Doch, das zeigt der Bericht.
Noch zeigen sie ihren Frust durch Nichtwahl, dabei muß es aber nicht bleiben. Wir müssen die Chance ergreifen, mit den Jugendlichen trotz aller beruflichen Belastung, die wir auch haben - Sie wissen das -, ins Gespräch zu kommen.
- Doch, das hilft schon, um hereinzukommen.
Ich tue das zunehmend in Schulen. Wir führen gute Gespräche, aber die Vervielfältigung durch die Medien fehlt; denn ich kann nicht alle Schulen in Brandenburg besuchen, das ist unmöglich. Randale läßt sich eben in den Medien viel besser verkaufen. Das ist ein Punkt. Es ist nicht der einzige, aber ein Punkt.
Daß wir noch eine Chance besitzen, zeigt, daß die Annahme des demokratischen Systems von einer überwältigenden Mehrheit der ostdeutschen Jugend getragen wird. Über 84 % lehnen Gewalt als Konfliktlösung ab, und Frieden, Familie und Freiheit haben den höchsten Stellenwert.
Die ostdeutsche Jugend ist weit davon entfernt, in politischen Extremismus abzudriften, wie das manchmal behauptet wird. Aber es gibt ein besorgniserregendes politisches Integrationsdefizit. Hier sind wir alle gefordert - ich sagte das bereits -, nachzudenken, woran das liegt.
Wir können Vertrauen zurückgewinnen, wenn wir der Jugend einen noch viel höheren Stellenwert einräumen und nicht erst dann reagieren, wenn gewalttätige Minderheiten spektakuläre und medienwirksame Ereignisse inszenieren.
Da gebe ich Ihnen recht.
Aber der Bericht belegt auch trotz aller Kritik an den Gegebenheiten und an uns, trotz der tiefgreifenden Umbrüche und der schwierigen Wirtschaftslage einen unverrückbaren Optimismus. Die Jugend will die Zukunft meistern, will ihre Chance haben. Dabei sind vor allem die ostdeutschen Jugendlichen von einem Problem betroffen, das ihre Altersgenossen in Westdeutschland so extrem nicht kennen, nämlich von der Arbeitslosigkeit.
- Natürlich ist das ein Problem. - In der Gruppe der jungen Erwachsenen waren im Jahre 1993 mehr als 20 % arbeitslos, in Westdeutschland dagegen nur 3 %. Deshalb sind die Anstrengungen der Bundesregierung für immer mehr Beschäftigung richtig und müssen fortgesetzt werden.
Wir hatten erst vor kurzem die Debatte, daß das nicht mehr so sein sollte. Das ist mit das Wichtigste. Jede Mark, die jungen Menschen eine Perspektive gibt, ist gut ausgegeben.
Jürgen Türk
Wir müssen tatsächlich aufpassen, daß keine Investitionsruinen entstehen. Ich meine das nicht nur aus bautechnischer Sicht. Wie sollen sich diese Jugendlichen sonst mit unserem Staat identifizieren, wenn ihre größte errungene Freiheit die Freiheit von Arbeit ist.
Es beschämt mich, daß sich 36 % der ostdeutschen Jugendlichen als Bürger zweiter Klasse fühlen. Diese vom Bericht als kollektive Selbstdegradierung bezeichnete Gefühlslage verdeutlicht den Druck, der auf ostdeutschen Jugendlichen lastet. Selbstverständlich vergleichen sie sich mit den Jugendlichen im Westen und deren Perspektiven und fordern gleiche Chancen. Ich meine, zu Recht.
Wenn der Bericht die jungen Familien als die Verlierer der Einheit ausweist, die sich nicht zu Wort gemeldet haben, wundert es mich nicht, daß die Geburtenrate in dieser Umbruchphase drastisch zurückgegangen ist und zurückgeht. Die jetzt gefundene Regelung des Familienlastenausgleichs war darum besonders aus ostdeutscher Sicht mehr als richtig.
Notwendig ist auch eine Jugendpolitik, die noch mehr auf die Bedürfnisse der Jugend eingeht. Wenn man sich den Vergleich der Einkommen von Jugendlichen in den alten und neuen Bundesländern ansieht, erkennt man, daß man sich die privaten Freizeiteinrichtungen, die gewachsen sind, nur in begrenztem Umfang leisten kann. Also brauchen wir weiterhin Überbrückungsinstrumente.
Ich hoffe, man wirft mir nicht Verschwendung vor, wenn ich mir die Forderung der Jugend zu eigen mache, daß die Kommunen kommunale Jugendfreizeitstätten schaffen müssen. Weitere Investitionen in die Wirtschaft sind wichtig, sie sind aber nicht alles.
Zum Schluß möchte ich kurz auf den Abschnitt Rechtsradikalität und Ausländerfeindlichkeit bei Jugendlichen im Osten eingehen. Wie meine vorangegangenen Ausführungen schon deutlich machten, handelt es sich um ein Minderheitenproblem. Der Bericht belegt, daß die ostdeutsche Jugend nicht von Rechtsextremismus infiziert ist. Aber ich möchte nichts herunterspielen. Laut Bericht haben 18 % ein gewisses Verständnis für Gewalt gegen ausländische Mitbürger. Das muß nachdenklich machen. Diese Problematik aber nur auf die Jugend abzuwälzen ist unfair, denn Jugend artikuliert ihre Meinung nur drastischer. 40 Jahre DDR-Inselmentalität prägen. Gewürzt mit den derzeitigen Arbeitsplatzängsten und einem geringen Selbstwertgefühl, entstehen daraus dann natürlich Vorurteile. Das entschuldigt keine Gewalttat, aber es erklärt zum Teil deren Entstehung.
Präventions- und Aufklärungsmaßnahmen sind das eine. Das andere sind Arbeitsplätze, Lehrstellen, Studienplätze und Freizeitangebote, sind Entfaltungsmöglichkeiten, die wir den Jugendlichen schaffen müssen.
Es ist - das muß man schon feststellen - in den letzten Jahren viel getan worden, aber es ist noch mehr als bisher zu tun. Packen wir es also gemeinsam an, wie man so schön sagt. Packen wir es mit den Jugendlichen gemeinsam an!
Der Neunte Jugendbericht ist natürlich nicht bequem, aber eine gute Grundlage dafür.
Vielen Dank.