Was Sie voraussetzen, ist, daß die Mittel so begrenzt sind und daß man nicht beides hätte machen können. Wenn Sie es alternativ diskutieren, sind die freien Trägerstrukturen wichtiger. Das wissen Sie, Aber ich diskutiere es nicht alternativ. Beides hätte gemacht werden müssen, und beides ist halbherzig gemacht worden. Das kritisiere ich auch,
Das AgAG-Programm an sich war aber nicht so schlecht wie sein Ruf. Das sagen mir zum Teil auch die, die damit gearbeitet haben.
Wenn man mit den Rechten, mit rechtsextremen Jugendlichen redet - ich nehme einmal das Beispiel Zittau -, dann stellt man plötzlich fest, daß es ihnen etwas geholfen hat. Das hat auch dazu geführt, daß weniger Gewalt verübt wurde. Ich lasse mich nicht auf die Frage einengen, ob man das eine oder das andere hätte machen müssen. Beides mit mehr Mitteln, das wäre richtig gewesen.
Die Diskussion, die wir hier führen, ist aber ein bißchen feuilletonistisch; denn wenn wir so weitermachen wie die Bundesregierung zur Zeit, dann hinterlassen wir in beiden Bereichen sozialpolitische Bauruinen. Das, was die Bundesregierung dort angestoßen hat, kann so nicht weitergemacht werden, wenn wir uns hier nicht weiter engagieren. Das ist das Kernproblem, nicht die Frage, welches von den beiden Programmen besser oder schlechter ist.
Das Gewaltproblem hat für uns natürlich immer dann eine Dimension, wenn wir die Gewalt sehen, z. B. wenn Scheiben eingeschlagen werden oder wenn geprügelt wird. Ich möchte hier auf einen Punkt eingehen, der auch sehr viel mit Gewalt zu tun
Matthias Berninger
hat, von dem wir aber gar nicht so viel merken. Der Jugendbericht fragt, wie junge Frauen auf die Einigungssituation reagieren, und er sagt, daß Frauen oft mit Gewalt gegen sich selbst reagieren. Sie kennen das: Eßstörungen, Bulimie, Magersucht. In diesem Bereich gibt es - ich finde, das ist ein großes Problem - kein Engagement, auch kein Programm gegen Aggression und Gewalt, obwohl dieses Problem mindestens genauso wichtig ist. Hier, denke ich, muß die Bundesregierung neue Programme entwickeln. Die Gruppe der Frauen, die dort angesprochen wird, ist mir wirklich sehr wichtig.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will zur Situation der Frauen in den neuen Bundesländern nicht mehr viel sagen. Was zu diesem Thema am Mittwoch zu hören war, und zwar von allen Fraktionen, macht mir Mut, weil es zeigt, daß wir uns in diesem Parlament nicht damit abfinden, daß Frauen zu den Verliererinnen der Einheit werden. Relativ gesehen sind sie auf jeden Fall die Verliererinnen der Einheit, Ich hoffe einmal, daß die Bundesregierung das merkt und daß sie ihre Politik in diesem Bereich ändert.
Die Personalsituation in der Jugendarbeit ist angesprochen worden. Jugendarbeit ist nur durch den zweiten Arbeitsmarkt mit Hilfe von ABM-Programmen und Maßnahmen nach dem Arbeitsförderungsgesetz geschaffen worden. Aber auch hier stehen tiefe Einschnitte bevor. Ich will versuchen, das an einem Beispiel zu erläutern. In Ilmenau gibt es ein Kulturzentrum an der Technischen Universität - früher war das ein Studentenklub -, in dem drei Leute arbeiten, die versuchen, gemeinsam mit Menschen aus dem Landkreis, mit Jugendlichen und mit Studenten Jugendarbeit zu machen. Finanziert wurden sie nach dem § 249h des Arbeitsförderungsgesetzes. Niemand ist in der Lage, den notwendigen zehnprozentigen Eigenanteil zu erbringen. Das bedeutet, daß dieses kleine Projekt stirbt. Das sind nur drei von tausend Stellen allein in Thüringen, die gefährdet sind.
Ich vermute, daß es da wieder brennen wird. Wenn ich mir das anschaue, kann ich die Hitze schon spüren, die dort entsteht, Wenn wir uns hier hinstellen und sagen, das müssen andere lösen, dann wird es, glaube ich, große Probleme geben.
Damit bin ich beim lieben Geld, und damit bin ich auch bei dem Punkt, daß der Kollege Finanzminister nicht anwesend ist. Es ist völlig richtig: Jugendarbeit muß zu einem großen Teil über Kommunen laufen. Aber das Problem ist, daß die Qualität und die Standards von Jugendarbeit nicht so klar definiert sind wie beispielsweise ein Kindergartenplatz, so daß Jugendzentren letzten Endes ganz oft zum Spielball einer kommunalen Haushaltskonsolidierung werden. Ich will nicht mit dem Finger auf andere zeigen; denn Länder und Bund tragen hier nun einmal die Mitschuld. Wie viele Pflichten werden den Kommunen dauernd aufgebürdet? Darf man sich da wundern, wenn die Kommunen von den neuen Pflichtaufgaben erdrückt werden und die Jugendarbeit nicht in den Griff bekommen?
Es gibt eine Menge Kommunalpolitiker - gerade in den neuen Ländern habe ich viele kennengelernt -, die sich wahnsinnig anstrengen. Es gibt einen breiten Konsens darüber, daß die Jugendarbeit nicht einbrechen darf. Aber es gibt auch eine Finanzsituation bei den Kommunen, die diesen Kurs nicht mehr lange möglich macht. Das müssen wir im Bundestag zur Kenntnis nehmen. Wir müssen Angebote machen und dürfen die Leute nicht im Regen stehenlassen
Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung gesagt: Wir müssen für die kommenden Generationen haushaltspolitisch sparen. „Kommende Generationen" ist eines seiner Lieblingsworte. Ich glaube, auch hier hat er wieder eine ideologische Nebelkerze geworfen. Denn was hier tatsächlich passiert - das Zurückfahren von Bundesprogrammen -, ist nicht das Sparen für, sondern das Sparen bei kommenden Generationen. Das ist im doppelten Sinne, wie ich finde, ziemlich ärgerlich. Man sagt den Leuten, die heute unter dieser Sparpolitik zu leiden haben: Wir sparen für eure Zukunft. Zugleich schafft man es aber nicht - das sollten Sie in Ihre Haushaltsberatungen mitnehmen -, kommenden Generationen - jungen Leuten, die heute schon leben -, einen vernünftigen Haushalt für die nächsten Jahre zu hinterlassen. Daran sieht man auch den Widersinn der Finanzpolitik der Bundesregierung.
Der Jugendbericht setzt sich ja nicht nur mit Problemgruppen auseinander, sondern zeichnet auch ein Bild von jungen Leuten. Da wird gesagt, es gebe eine Menge junger Leute, die optimistisch sind und in diesem Einigungsprozeß etwas bewegen wollen. Das ist völlig richtig; das beruhigt mich allerdings nicht, da diese Bundesregierung keine konkreten Angebote dazu macht, wie junge Leute an diesem Einigungsprozeß teilhaben sollen.
Ich selber mache seit 1989 Politik. Ich kenne Politik nur aus Sicht des vereinten Deutschland. Ich habe das nie vorher gemacht. Ich sehe aber viele meiner Altersgenossinnen und Altersgenossen, die fragen: Was will dieser Bundestag eigentlich von uns? Sie sagen, diese Institution interessiere sie nicht mehr. Die sind nicht politikverdrossen, weil die sehr wohl raffen, was los ist. Die verstehen das. Sie kennen die Probleme; sie sehen, wie mit ihnen umgegangen wird.
Ich bin also ein bißchen in einer kuriosen Situation, weil ich immer sage, der Bundestag schaffe es noch nicht so richtig - das Kabinett scheint ja sowieso nicht interessiert zu sein -, aber wir müßten mehr Angebote machen. Wir müssen deutlicher die Hand reichen, und wir müssen das konkreter machen. Da
Matthias Berninger
sind die Partizipationsangebote, die Sie, Frau Nolte, angesprochen haben, völlig richtig. Das ist ein Weg; aber das ist eben nur einer. Wir sollten uns gemeinsam Gedanken über noch mehr Angebote machen, weil sonst die Wahlbeteiligung noch weiter sinkt, und zwar, wie ich behaupte, ins Bodenlose.
Wenn der Herr Bundeskanzler von Jugend redet, dann spricht er immer davon, daß man die junge Generation mehr in die Pflicht nehmen müsse. Wenn Herr Schäuble über junge Leute schreibt, dann zeichnet er das Bild des folgsamen konservativen Jugendlichen, den er sich so als Traum vorstellt. Im Kleinen gipfelt das dann in Äußerungen wie der des Kollegen Lintner, der zu Beginn dieser Woche gesagt hat, er finde die Techno-Discos sehr suspekt und wolle den Kids verbieten, in diese Techno-Discos zu gehen.
- Ich vermute es nicht.
Es ist Luther zitiert worden, gestern auch Schiller; das fand ich o.k. In diesem Zusammenhang sollten Sie, Frau Nolte, im Kabinett und ich hier im Bundestag aber auch andere zitieren. Ich nehme einmal Pink Floyd. Pink Floyd hat in einem Text geschrieben: „We don't need no education, we don't need no thought control." Das ist Ihre Rolle! Wir sollten nicht die Objektsicht der älteren Herren nach außen verkaufen, sondern dem etwas entgegensetzen und deutlich machen, daß wir eben keine knetbare Masse sind, daß wir auch keine Leute sind, die all das machen, was die älteren Damen und Herren dieses Parlaments ihnen vorschreiben. Vielmehr sollten wir konkret Überlegungen anstellen, wie wir Dinge anders machen wollen.
Nehmen Sie das auch mit, meine Damen und Herren, wenn wir in der nächsten Woche über den Klima-Gipfel diskutieren.
Ich danke Ihnen.