Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Grunde hätten wir uns schon in der letzten Legislaturperiode mit diesem Jugendbericht beschäftigen müssen. Das hat sich ein bißchen verzögert, und das hätte sich auch noch weiter verzögert. Der Bericht ist nämlich schon im Dezember vorgestellt worden. Jetzt sind wir kurz vor der Osterpause und hätten noch immer nicht darüber geredet. Aber wer sich die Haushaltsberatungen, wie sie zur Zeit laufen, einmal genauer anschaut und wer sich auch die Debatte hier genauer anschaut, der weiß, warum wir uns ganz dringend mit der Situation der Jugend in der Bundesrepublik Deutschland und damit natürlich auch in den neuen Ländern beschäftigen müssen.
Zu Anfang gestatten Sie mir noch eine Bemerkung. Jugendpolitik hat sehr viel mit der Ministerin für Jugend, der Frau Nolte, zu tun. Aber sie hat auch eine ganze Menge mit dem Herrn Kanzler zu tun, sie hat außerdem sehr viel mit dem Herrn Finanzminister und mit vielen anderen Leuten im Kabinett zu tun. Ich halte es für ein Unding, daß sie nicht hier sind. Wir haben gestern den Agrarbericht debattiert, da waren mehr von den Damen und Herren von der Regierung anwesend.
Ich hoffe, daß die Präsenz nichts mit deren Interesse an diesem Thema zu tun hat;
denn das wäre ziemlich erschreckend.
Der Neunte Jugendbericht selbst ist ein methodisch sehr vielfältiges, ein sehr ausführliches Werk. Ich halte ihn für sehr fundiert, und ich glaube, darin steht eine Menge Vernünftiges. Meine Erfahrung in Gesprächen mit vielen Leuten, die praktisch in der Jugendarbeit in den neuen Bundesländern tätig sind, zeigt auch, daß er dort großen Respekt genießt. Das weiß auch die Pressestelle des Ministeriums für Jugend; denn die Nachfrage nach diesem Jugendbericht ist sehr groß, und sie konnte anfangs auch kaum gestillt werden.
Sowohl die Stellungnahme der Bundesregierung als auch das, was auf grünem Papier steht - dabei frage ich mich: warum ist das nicht rosa? -, schlägt das Diskursangebot aus. Sie überzeichnet auch die Ergebnisse der eigenen Politik. Ich finde sie beschönigend und vor allem unzureichend.
Hier wird die Politik letzten Endes über den grünen Klee der blühenden Landschaften gelobt. Was Frau Nolte gesagt hat, klang auch ein bißchen wie eine Abschiedsrede aus der Jugendpolitik. Wie oft war das Thema: Was haben wir alles geleistet! Was haben wir alles vollbracht! Wie wenig war Thema, was wir in Zukunft alles leisten müssen. Davon habe ich nur sehr wenig gehört.
Die Grundfragen dieses Berichts - es sind ja nur einige Grundfragen, die er stellt - sind Grundfragen des Generationenverhältnisses. Wir als Parlament dürfen nicht den Fehler der Regierung machen, mit einer kleinen Propagandastellungnahme das Thema schnell abzuhaken und aus der Tagesordnung zu streichen. Dieser Jugendbericht ist Grundlage für die nächsten Jahre. Da gibt es wirklich viel zu tun. Deshalb bitte ich Sie, meine Damen und Herren hier im Parlament, lassen Sie uns einen anderen Weg gehen als den, den die Regierung gegangen ist!
Matthias Berninger
Ich möchte auf einige Bundesprogramme eingehen und beginne mit dem Programm AFT, Aufbau freier Träger. Ziel war es, freie Trägerstrukturen, die in den neuen Ländern Jugendarbeit machen können, zu schaffen. Das bundespolitische Engagegement hat ein jähes Ende gefunden; auch das kann man in den Haushaltsberatungen sehen. Ich habe den Eindruck, Frau Nolte, Sie glauben, nach vier Jahren sei das Problem schon gelöst.
Wir haben aber eine ganze Menge Leute, die auch praktisch arbeiten und die sagen: Bis wir die freien Trägerstrukturen haben, dauert es vielleicht zehn oder 15 Jahre. Das sind keine Pessimisten, die schwarzmalen, sondern Leute, die die konkreten Probleme der Verbände und der vielen anderen Träger vor Ort kennen. Damit werden die Kommunen und die Länder, wie ich finde, verdammt allein gelassen.
Vieles droht endgültig den Bach herunterzugehen. Fragen Sie einmal die Leute, die versuchen, junge Menschen in Verbände hineinzubekommen! Fragen Sie einmal die Leute, die versuchen, mit jungen Menschen etwas aufzubauen! Wenn wir uns hier in finanzieller Hinsicht heraushalten, meine Damen und Herren, dann geht vieles den Bach herunter.
Die Bundesregierung stellt hier auch die falsche Frage. Systemwidrigkeit von Sonderprogrammen ist die zentrale Fragestellung der Bundesregierung im Jugendbericht. Es sei systemwidrig, es sei mit der Verfassung nicht in Einklang zu bringen, wenn wir hier die Sonderprogramme fortsetzten. Ich halte das für falsch. Die Worte, die mich interessiert hätten, wären gewesen: Chancengleichheit, gleichwertige Lebensverhältnisse. Vergleichen Sie die freien Trägerstrukturen in den neuen Ländern mit denen in den alten Ländern; dann wissen Sie, was ich meine.
Zum zweiten Programm, dem Programm gegen Aggression und Gewalt, habe ich eine etwas andere Position als Sie, Frau Kollegin Niehuis.
Es ist viel kritisiert worden. Natürlich ist das Programm nicht präventiv gewesen. Natürlich ist es vor allem dort angelegt worden, wo sozusagen brisante Gewalt offen auftrat. Aber wir kennen alle die Situation, die es gab, als wir die Asylfrage neu regeln mußten. Ich halte die Überlegung der Regierung, das, was Frau Merkel damals gemacht hat, nämlich konkret zu reagieren, nicht für unvernünftig. Das liegt vor allem daran, daß ich mir einige Orte angesehen habe, wo das AgAG-Programm gegriffen hat und wo viele gute Sachen gemacht werden.