Rede von
Gerd
Poppe
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich halte Ihnen, Herr Kollege, zugute, daß es Ihre erste Rede war. Aber das Problem ist leider, daß Sie die Lage in Serbien und besonders im Kosovo ebenso vernachlässigt haben wie Ihre Vorredner aus der Koalition und wie leider auch die SPD-Rednerin, Frau Sonntag-Wolgast.
Diese Verharmlosung der Situation, der schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen beispielsweise im Kosovo gab es schon im vergangenen Jahr in einer vergleichbaren Debatte. Auch da ging es um die Kosovo-Albaner. Was ist denn so skandalös an dem ganzen Vorgang, den Sie, Herr Lintner und Herr Hirsch, nicht „Verhandlungen" nennen wollen, sondern „Gespräche"? Mir ist es ziemlich egal, ob Sie das „Verhandlungen" oder „Gespräche" nennen.
Aber mit einer Regierung, die für Kriegsverbrechen und die sogenannten ethnischen Säuberungen verantwortlich ist, mit einem mörderischen Regime, das zu Recht von der internationalen Gemeinschaft geächtet wird, mit einem solchen Regime führt man keine Verhandlungen und redet auch nicht in dieser Weise mit ihm.
Die Aufwertung Belgrads, die Sie damit betreiben, ist eine De-facto-Anerkennung dieses Regimes und unterläuft direkt die Sanktionen der Vereinten Nationen.
Worüber wird verhandelt? Über die zwangsweise Rückführung von Menschen, die sich nicht am serbischen Aggressionskrieg beteiligen wollen, von Menschen, deren Rechte massiv verletzt worden sind und deren Rechte dann, wenn sie zurückkommen, noch einmal verletzt werden; denn dann landen sie nämlich entweder im Gefängnis oder eben in der serbischen Armee.
In welcher Weise wird verhandelt? Geheim. Die deutsche Öffentlichkeit sollte nichts erfahren. Zum Glück hat Herr Wimmer gegenüber einer Regionalzeitung überhaupt einmal von dem Vorgang berichtet.
Sonst wüßte überhaupt niemand etwas davon.
Welche Argumente werden benutzt? - Ich stelle fest: Auch das Auswärtige Amt ist nicht da. Ich bin sehr verwundert.
- Ich will trotzdem noch einmal darlegen, was aus dem Auswärtigen Amt gesagt wird.
Etwas erinnert mich da auf fatale Weise an die berühmten Tschetschenien-Briefe. Da wird einer Fraktionsmitarbeiterin nach Bekanntwerden unseres Antrags aus dem Auswärtigen Amt gesagt, wir sollten uns überlegen, ob wir nicht die „ethnischen Säuberungen" unterstützen, wenn durch uns die sogenannten Rückführungen beeinträchtigt werden. Welch ein Zynismus ist das! Die Opfer sollen dahin zurück, wo ihnen eben dieses Schicksal droht. Die
Gerd Poppe
Kritiker der Verhandlungen werden dann sogar noch als Unterstützer großserbischer Pläne denunziert, während die eigentliche Komplizenschaft als humanitäre Aktion gefeiert wird.
Zu welchem Zeitpunkt, meine Damen und Herren, finden diese Verhandlungen statt? Zu einem Zeitpunkt, wo der Waffenstillstand in Bosnien-Herzegowina außerordentlich brüchig geworden ist, wo nach der kroatischen Entscheidung alle Welt befürchtet, daß dieser Krieg eine neuerliche Eskalation findet.
- Herr Marschewski, Sie sollten mal da hinfahren und sich die Situation ansehen; dann würden Sie vielleicht anders reden.
Sie verhandeln, nachdem befürchtet wird, daß auch Serbien wieder stärker involviert wird und wieder am Krieg teilnehmen will, und nachdem Rußland vor einer Woche mit Serbien einen Militärvertrag abgeschlossen hat und massenhaft Waffen nach Serbien schickt. Das ist der Skandal.
Wer sind die Opfer? Natürlich in erster Linie die Albaner. 80 % der Betroffenen sind Albaner. Jeder kann sich informieren, welches Ausmaß die Menschenrechtsverletzungen dort haben.
Es ist ja richtig, daß Milosvevic diese Leute nicht zurücknehmen will. Aber warum wollen Sie ihn denn überreden? Warum sagen Sie, es wurde kein Fortschritt erreicht, weil er sie nicht zurücknehmen will? Vergleichen Sie mal. Ich komme aus Ostdeutschland. Ich habe damals erlebt, wie Sie Flüchtlinge aufgenommen und noch dafür bezahlt haben. Jetzt wollen Sie dafür bezahlen, daß Sie sie loswerden.
Den Kriegsdienstverweigerern und den Deserteuren, die sich im Ausland befinden, drohen Strafen von zehn Jahren bzw. im Kriegszustand sogar von 20 Jahren. Vergessen Sie das nicht!
Wenn bisher die Strafen in Belgrad niedriger ausgefallen sind, nämlich bis zu zwei Jahre, dann betrafen sie Leute, die eben nicht ins Ausland gegangen sind.
Noch ein Wort zum Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen; Sie haben sich auf ihn bezogen. Er hat schon 1993 zur Situation der Kosovo-Albaner, also immerhin 80 % derer, von denen hier die Rede ist, gesagt, sie würden diskriminiert; die Handlungen der serbischen Regierung seien von Willkür geprägt; ganz speziell bedroht seien die Kriegsdienstverweigerer und die Deserteure. Das Forschungsinstitut für Friedenspolitik in Weilheim hat am 31. Januar dieses Jahres gesagt - ich zitiere -:
Die aus dem von der Administration Milosvevic geschürten Klima resultierende Unverhältnismäßigkeit des Strafmaßes unter den bekannt extremen Haftbedingungen sollte für den Rechtsstaat Bundesrepublik Deutschland Anlaß sein, auf jede Abschiebung eines unter die Militärgesetzgebung fallenden Mannes zu verzichten und sich die Position von Amnesty Internatipnal und des Hochkommissars für Flüchtlingsfragen der Vereinten Nationen dabei zu eigen zu machen.