Rede von
Dr.
Cornelie
Sonntag-Wolgast
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Man sieht am Verlauf der Debatte: Dieser spezielle Anlaß und dieses Thema taugen nicht für pathetische Rundumschläge. Das sage ich sowohl an die Adresse des Kollegen Marschewski als auch zu Ihnen, Herr Kollege Lippelt.
Wir beschäftigen uns nicht zum erstenmal mit der Frage, unter welchen Umständen und Bedingungen man Menschen zurückschicken kann, soll und darf. Es gibt einerseits die rechtliche Situation, die mit Begriffen wie Ausreisepflicht oder Abschiebungshindernis umschrieben ist. Auf der anderen Seite kann es uns aber unter humanitären Erwägungen nicht gleichgültig sein, in welche Situation wir Flüchtlinge entlassen und welche Bedingungen sie bei einer möglichen Rückkehr vorfinden.
Ich will dazu Beispiele aus Debatten der letzten zwölf Monate nennen. Da gab es zu Beginn des vergangenen Jahres eine ziemlich erregte Diskussion um die Rückführung der kroatischen Bürgerkriegsflüchtlinge. Gottlob rückten seinerzeit die Innenminister von ihren zunächst pauschalen Abschiebungsplänen ab und verständigten sich auf ein abgestuftes Verfahren. Es war modifiziert und zeitlich gestreckt.
Selbst bei diesem Stufenprogramm werden jetzt Überlegungen angestellt, ob die Rückkehrer vor allem in die Regionen, in denen sie wieder heimisch werden sollen, vielleicht wegen der dort vorhandenen desolaten Verhältnisse doch nicht so schnell zurückgeschickt werden sollten. Was Wohnungen und Infrastruktur betrifft, ist die Rede von einer weiteren zeitlichen Verzögerung.
Dann gab es am Anfang dieses Jahres großspurige Ankündigungen für ein demnächst auszuhandelndes Rückführungsabkommen mit Vietnam, das mit Geld und Wirtschaftshilfe erkauft werden sollte. Das ist inzwischen geplatzt, zumindest bis auf weiteres. Ich konstatiere, daß wir Sozialdemokraten in dieser Debatte mit unseren kritischen Fragen und Einwendungen völlig recht hatten.
Jetzt geht es um die Möglichkeit, Flüchtlinge nach Serbien und Montenegro zurückzuschicken. Nichts anderes ist Gegenstand der heutigen Debatte. Wir gehen erst einmal ganz nüchtern auf die tatsächliche Lage ein: Faktisch besteht ein Abschiebungshindernis, wir haben es soeben von Herrn Lintner gehört. Belgrad ist nicht bereit, Staatsangehörige der Bundesrepublik Jugoslawien, wie sie sich nennt, aufzunehmen, wenn sie nicht freiwillig kommen.
Einige Versuche anderer Länder, nach der Aufhebung des Flugembargos ausreisepflichtige Serben abzuschieben, schlugen fehl. Belgrad ließ sie nicht einmal auf den Flughafen einreisen, Also werden die betroffenen Ausreisepflichtigen einstweilen geduldet. Ihre Lage ist hier wahrhaftig nicht rosig. Sie ist natürlich von Unsicherheit, Angst und einem Leben zwischen Hoffen und Bangen geprägt.
Am Beispiel Nordrhein-Westfalen aufgezeigt: I lier leben zur Zeit etwa 60 000 Serben, und etwa die hälfte von ihnen ist ausreisepflichtig. Selbst wenn
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast
ein Abkommen - oder wie immer Sie es auch nennen wollen - zustande käme, würde sich die Abschiebung über einen längeren Zeitraum hinziehen. Das sagen uns Experten.
Aber das politische Kernproblem besteht ja darin: In Belgrad gibt es praktisch kein Interesse, Gespräche oder Verhandlungen - wie wollen Sie es denn nun nennen, Herr Lintner? - über ein derartiges Abkommen zu führen. Es sei denn, die deutsche Seite würde die „Bundesrepublik Jugoslawien" völkerrechtlich anerkennen oder für eine solche Vereinbarung mit hohen Geldsummen zahlen. Das kann ja wohl nicht das Ziel von Verhandlungen und Gesprächen sein. Darüber mögen wir uns einig sein. Ich frage mich: Was sollen dann politische Kontakte, Gespräche, Verhandlungen, wie auch immer? Ich weiß gar nicht, worüber wir hier eigentlich reden. Das könnte man ja auch über Mittler machen, wenn man es klären oder vorklären will.
Ich nutze diese Gelegenheit, das Schicksal der Gruppe noch einmal aufzuzeigen, das auch viele Bürger hier in der Bundesrepublik sehr stark bewegt. Es geht um die schon angesprochenen ehemaligen Kriegsdienstverweigerer und Deserteure aus Serbien und Montenegro. Wir fordern die Bundesregierung auf - das, was wir fordern, ist, glaube ich, nicht zuviel verlangt -, daß die Abschiebung von Kriegsdienstverweigerern und Deserteuren, die sich zwischen Mai 1991 und dem 30. Juni 1992 dem Militärdienst in der jugoslawischen Volksarmee entzogen haben, ausgesetzt wird - das soll auch für die Ehegatten und die minderjährigen Kinder gelten -,
und zwar insgesamt so lange, bis die Rückkehrer durch ein wirksames Amnestiegesetz in Rest-Jugoslawien geschützt werden.
Wir haben diese Forderungen in enger Absprache mit der Vertreterin des UNHCR abgefaßt und gründlich erläutert.
Ich will zu diesem Zeitraum nur noch erklären: Dies war die Phase, Herr Marschewski, des offiziellen Kriegszustandes, also der tatsächlichen Kampfhandlungen. Wer sich damals in Serbien der Wehrpflicht entzog, tat es aus Gewissensgründen, aus politischer oder religiöser Überzeugung, daß man einem völkerrechtswidrigen, einem bewaffneten Konflikt nicht seine Hand reichen dürfe.