Rede von
Hanna
Wolf
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Schmidt-Jortzig, zu Ihren Ausführungen: Es ist immer interessant, zu sehen, wie sich Männer an diesen Tag annähern. Ich möchte Ihnen nur antworten: Ihre Kolleginnen, die nicht in den Bundestag zurückgekehrt sind, werden erfahren haben, daß ihnen das Grundgesetz in dieser Frage überhaupt nicht geholfen hat. Denen wären Quoten in der Satzung der F.D.P. weitaus lieber gewesen.
- Warten Sie einmal ab!
Wir haben hier heute zwar eine gemeinsame Debatte, aber wir ziehen nicht am gleichen Strang, wie auch der dürftige Antrag der Koalition zeigt. Wenn ich mir die heutigen Reden aus der Koalition vergegenwärtige, muß ich feststellen: Wenn mehr Frauen dort in der Koalition wären - es sind leider weniger geworden -, dann wären Sie mit diesem dürftigen Antrag heute hier nicht erschienen, sondern die Frauen hätten in der Koalition mehr durchgesetzt.
Es ist also ein Ausdruck der Nichtteilhabe von Frauen in der CDU/CSU und der F.D.P.
Der dürftige Entschließungsantrag bezieht sich auch auf die Gewalt gegen Frauen. Auf diesen Aspekt möchte ich jetzt noch besonders eingehen. Heute, zum Internationalen Frauentag, wollen wir also nicht nur über die strukturelle Gewalt in Form von Benachteiligungen reden, sondern wir müssen auch die nackte physische Gewalt gegen Frauen nennen. Ich zitiere: „Gewalt gegen Frauen in allen Erscheinungsformen ist nicht hinnehmbar. Wir müssen ihr wirksam entgegentreten." So schrieb Ministerin Nolte anläßlich des Berichts der Bundesregierung an die UNO-Sonderberichterstatterin „Gewalt gegen Frauen".
Natürlich stimmen wir diesem zu. Gewalt ist in keinem Fall hinnehmbar. Wie aber mit Gewalt tatsächlich umgegangen wird, hängt davon ab, wer oder was typischerweise geschädigt ist. Handelt es sich um Eigentumsdelikte bzw. um sogenannte allgemeine Gewaltdelikte, so erfolgt selbstverständlich nach Möglichkeit der unmittelbare Zugriff auf den Täter. Bei Gewalt gegen Frauen begnügt sich die Bundesregierung aber fast nur damit, sich den Opfern zuzuwenden und einzelne Modellprojekte der Opferberatung zu fördern. Darüber hinaus gibt es Ankündigungen und schöne Worte, wie heute hier wieder.
Die Täter selbst scheinen zu verschwinden. Bei Gewalt gegen Frauen zeigt die Bundesregierung eine sonst nicht gekannte „Hemmschwelle" gegen die Täter. Jede Gesetzesinitiative, die wir zum besseren Schutz von Frauen eingebracht haben, wurde von Mal zu Mal von der Regierungsmehrheit abgelehnt oder verschleppt, selbst wenn im Parlament Zustimmung signalisiert wurde.
Ausdrücklich ausnehmen möchte ich hier die Bemühungen in der letzten Legislaturperiode, die schließlich zum Erfolg geführt haben: Das Ruhen der Verjährungsfrist bis zum 18. Lebensjahr des Opfers von sexuellem Mißbrauch. Hier konnten wir endlich eine parteiübergreifende Mehrheit herstellen.
Ich hoffe auf einen solchen Erfolg ohne faule Kompromisse auch im Falle der Vergewaltigung in der Ehe. Bisher gibt es dazu von der Regierung allerdings wieder nur Ankündigungen. Das Kabinett hat sich noch nicht geeinigt. Ich bin sehr gespannt, ob wir diesmal unseren Ansprüchen, die wir in Reden geäußert haben - die vor allem in Ihren Reden geäußert wurden -, gerecht werden.
Die Regierungsmehrheit kann ihre Ernsthaftigkeit in der Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen auch beweisen, indem sie unserem wieder eingebrachten Antrag zur Änderung des Ausländergesetzes zustimmt. Ich habe heute hier dazu einiges gehört. Das hätten wir schon in der letzten Legislaturperiode haben können, wenn Sie wirklich so empört sind, wie Sie es hier sagen.
Es ist nicht hinzunehmen, daß eine ausländische Frau, die noch kein eigenständiges Aufenthaltsrecht hat, der Willkür eines schlagenden oder sie verstoßenden Ehemannes ausgesetzt bleibt. Sie muß dann zu ihrem Schutz ein eigenständiges Aufenthaltsrecht bekommen können, unabhängig von der Dauer der Ehe in Deutschland.
Auch Frauenhändlern kann man damit das Handwerk erschweren.
Wir bringen auch ein Gesetz zur Stärkung der Opfer im Strafprozeß ein. Es geht nicht an, daß ein Vergewaltiger von Amts wegen einen Pflichtverteidiger bekommt und die Frau ihren Anwalt selbst bezahlen muß, um ihre Nebenklagerechte wahrnehmen und sich im Prozeß vor erniedrigenden Verhandlungsmethoden schützen zu können. Die Regierungsmehrheit hat auch hier wieder Gelegenheit, ihre Ernsthaftigkeit bei der Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen zu beweisen.
Hanna Wolf
Die angesprochenen Änderungen im Sexualstrafrecht, im Ausländerrecht und im Strafprozeßrecht wären dringende Beiträge zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen durch einen effektiven rechtlichen Schutz der Opfer.
Die Bundesregierung sagt in ihrem Bericht an die UN-Sonderberichterstatterin - ich zitiere wieder -:
Gewalt gegen Frauen kann ... nur durch eine umfassende Politik zur Förderung der Chancengleichheit von Frauen und Mädchen verhindert werden. Dieser Abbau von gesellschaftlichen Benachteiligungen und Diskriminierungen ist allerdings ein langwieriger Entwicklungsprozeß. Jahrhundertelange kulturelle Traditionen und Verhaltensweisen von Männern und Frauen können nur durch Bewußtseinsänderungen und Lernprozesse verändert werden.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, Tatsache ist doch, daß die Langwierigkeit dieses Bewußtseinsprozesses nur auf die schleppende Bewußtseinsänderung dieser Regierung zutrifft,
auf keinen Fall jedoch auf die Frauen, denen Sie das in Ihrer sogenannten Analyse unterschieben wollen. Frauen, die von Ungleichbehandlung betroffen sind, werden doch im Ernst nicht gegen die Aufhebung dieser Ungleichbehandlung sein. Eine Regierung aber, die nicht oder nur schleppend handelt, ist für die Verfestigung des Status quo voll verantwortlich.
Ist Ihnen schon aufgefallen, in welcher Deliktgruppe wir vor allem von dem Phänomen der Dunkelziffer, von nicht angezeigten Delikten reden? - Bei Gewalt gegen Frauen und Kinder! - Und wissen Sie, warum das so ist? - Die Opfer glauben - vielleicht zu Recht -, daß ihnen ohnehin keine Gerechtigkeit widerfahren wird. Oder sie glauben, sie selbst tragen - zumindest teilweise - Schuld an dem Verbrechen. Und so gehen die Verbrechen eben weiter.
Es gibt ein unausgesprochenes gesellschaftliches Schweigegebot - ich möchte sagen: ein patriarchalisches Schweigegebot -, das da heißt: Sprich nicht über Männergewalt. - Frauen, die dieses Tabu brechen, müssen mit Sanktionen rechnen, die irgendwo im Spektrum zwischen Geringschätzung und Mord anzusiedeln sind, je nachdem, wer sich durch die Offenlegung bedroht fühlt.
Nur Gesetze, die die Täter klar benennen und die Opfer eindeutig schützen, können eine Aufhebung dieses Schweigegebots bewirken.
Eine so genannte „jahrhundertelange kulturelle Tradition" der Gewalt und der Ungleichbehandlung kann keine Basis für einen modernen Rechtsstaat sein. Bei anderen Deliktformen ist der Rückgriff auf derartige Traditionen auch unbekannt. Die Regierung muß also handeln.
Ich habe heute darauf verzichtet, auf die weltweite Gewalt gegen Frauen hinzuweisen, weil wir erst vor unserer eigenen Tür kehren sollten. Ich ersuche jedoch die Bundesregierung - nicht nur bei der diesjährigen Weltfrauenkonferenz in Peking -, für die Beendigung der Gewalt gegen Frauen insgesamt energisch einzutreten, so wie es auch amnesty international anläßlich des heutigen Tages fordert.
Die meisten Kriegsopfer, die meisten Flüchtlinge, die meisten Opfer von Gewalt, die meisten Opfer von sogenannten kulturellen Traditionen sind Frauen. Unsere außenpolitischen, wirtschaftlichen und entwicklungspolitischen Handlungen müssen darauf ausgerichtet sein, dem entgegenzusteuern. Es hilft den Frauen nicht, Frau Nolte, wenn man aus Handelsinteressen Rücksichten nimmt und Menschenrechtsverletzungen nicht deutlich benennt, sondern lieber das Geschäft macht.