Rede von
Prof. Dr.
Edzard
Schmidt-Jortzig
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(F.D.P.)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sie haben mir den Gag meines Redebeitrags vorweggenommen; denn ich wollte natürlich darauf hinweisen. ich tue es gleichwohl, weil der Stolz unbegrenzt ist. Sie alle haben vorhin beim Beitrag von Frau Schmalz-Jacobsen geklatscht, als in diesem speziellen Bereich die Solidarität der Männer mit den Frauen eingefordert wurde. Alle haben geklatscht, die F.D.P. löst die Solidarität ein. Ich bitte Sie auch zu registrieren, daß wir damit eine 50prozentige faktische Geschlechlerbeteiligung haben, ohne eine normative Quote zu benutzen. Es wäre vielleicht ganz hübsch, wenn das auch woanders liefe.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe mich hier gezielt zu Wort gemeldet - ich will mich gar nicht lange mit Vorreden aufhalten, weil die Zeit eh knapp ist -, um auf etwas hinzuweisen, was immer wieder als wünschenswert angesprochen wurde, was aber - diesen Eindruck habe ich - zu wenig wirklich verinnerlicht ist. Erst vor vier Monaten - es ist in der Tat noch nicht länger her - ist der von vielen hier gepriesene Art. 3 Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes in Kraft getreten. Ich will nicht darauf zurück-
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
kommen, wie mühsam es gewesen ist, diese Ergänzung zu schaffen.
- Das will ich unkommentiert lassen, weil Sie nachlesen können, daß Schmidt-Jortzig dazu eine andere Meinung hatte.
Es steht im Art. 3 Abs. 2: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt." Und nun kommt es: „Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin. "
Meine Damen und Herren, das ist geltende Verfassung, nicht nur schönes politisches Programm, sondern normativ verbindlich.
Um es gleich einmal deutlich zu sagen: Viele Aussagen in allen Entschließungen, auch in Ihrer speziellen Entschließung, sind völlig unnötig. Ich möchte dazu aufrufen und dafür werben, sich der Verfassung anzunehmen und die Verfassung zu benutzen. Sie können mittlerweile nämlich mehr machen, als Sie - noch auf dem Stand von vor dem 1. November 1994 - glauben.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich Ihnen das erläutern. Selbst wenn dabei herauskommt, daß die Politik durch die Gerichte geknebelt werden wird, bleibe ich dabei: Das, was hier eingefügt ist, ist eine Staatszielbestimmung, also eine rechtsverbindliche Vorschreibung einer ganz bestimmten Zielfassung und Zielverwirklichung. Da haben wir in der Tat von vielen in der Diskussion über die Verfassungsreform gehört, es sei eine bedenkliche Auslieferung der Politik an die Gerichtsbarkeit, eine Verrechtlichung der Politik, wenn man das jetzt so verbindlich in die Verfassung hineinschreibe. Und die Warner haben recht. Das muß man nüchtern sehen. Deswegen ist das Grundgesetz relativ sparsam mit solchen Staatszielbestimmungen umgegangen. Aber bei den grundlegenden Werten und Leitbildern, insbesondere da, wo bisher die praktische Politik nicht ohne diese rechtliche An-die-Hand-Nahme auskam, ist es eben doch legitim und richtig.
Was bedeutet nun dieses „Der Staat fördert, verfassungsrechtlich verbindlich vorgeschrieben, die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin"?
Meine Damen und Herren, zunächst steht dort „Gleichberechtigung" drin - das will ich nicht verschweigen -, es steht nicht „Gleichstellung" drin. Es
geht also um eine Gleichheit in den Möglichkeiten, in den Chancen und nicht in den Ergebnissen. Aber immerhin ist Gleichberechtigung zu verwirklichen nun verfassungsrechtlich fest vorgeschrieben und der Staat verfassungsrechtlich verbindlich aufgefordert, zu fördern, was da noch nicht voll auf dein Stand der Norm ist.
Das ist erstens also ein verbindlicher Auftrag an den Gesetzgeber, in der angegebenen Richtung gestalterisch tätig zu werden, also etwa Gleichberechtigungsgesetze zu verabschieden. Deswegen ist noch längst nicht das Ende der Fahnenstange erreicht, wenn Sie mit dem Gleichberechtigungsgesetz, das dieser Bundestag beschlossen hat, noch nicht zufrieden sind. Gesetze sind nicht für die Ewigkeit, sondern nur immer erste Schritte, zweite Schritte, dritte Schritte; es kann weitergehen.
- Nein, man darf nicht nur immer auf andere warten, sondern man muß notfalls auch selber darangehen und um Mehrheiten werben.
Es geht um den Abbau rechtlicher Hemmnisse, es geht um die Inangriffnahme neuer Regelungsfelder. Ich sage ganz deutlich: Verfassungsrechtlich ist es jetzt möglich, Kompensationsformen zu schaffen. Das war vorher immer äußerst streitig und problematisch. Man muß sehen: Das ist nun geltende Rechtslage. Man ist da nicht mehr in der Position des Bittstellers.
- Ich will Sie zum Schluß herzlich gern dazu aufrufen, die Verfassung anzuwenden. Das Schönste an der Verfassung ist ja, daß man sie eben auch anwenden muß.
Staatszielbestimmung bedeutet als zweites: Befehl an Regierung und Verwaltung, beim Gesetzesvollzug die Gleichberechtigung zu optimieren. Das gilt für Ermessenssituationen, wobei dann bei bestimmten Belangen die Gleichberechtigung ein besonderes Gewicht erhält. Das gilt bei Gestaltungs- und Entwicklungsvorhaben, wo Gleichberechtigung nun vom Verfassungsrecht her ein Planungsziel mit dem ganzen Gewicht normativer Authentizität ist.
Staatszielbestimmung bedeutet drittens für die Gerichtsbarkeit - gleich welcher Stufe - eine Auslegungsdirektive bei der Anwendung von offenen Rechtsbegriffen, bei Güterabwägungen etc.
Meine Damen und Herren, ergehen Sie sich also bitte nicht immer nur in schönen Forderungen, sondern sehen Sie, was wir - ich will das im Sinne der Geschlechtersolidarität ganz deutlich auch für die Männer sagen - zum 1. November 1994 bereits in Kraft gesetzt haben.
Dr. Edzard Schmidt-Jontzig
Gehen Sie mit Ihren Forderungen nicht hinter diesen Stand zurück, sondern bauen Sie darauf auf. Ich hoffe, daß wir alle zusammen an diesem Ziel, weil es Verfassung ist, selbstbewußt weiter arbeiten.
Danke sehr.