Rede von
Ulrike
Mascher
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Ich hoffe, daß alle Frauen im Deutschen Bundestag der Forderung, unbequem zu bleiben, Folge leisten, um endlich unsere Ziele hier auch durchzusetzen.
Aber ich möchte mich auf eine andere, sehr viel poetischere Formulierung und Forderung von Frauen beziehen: Brot und Rosen. So hat eine Forderung von Frauen zum Internationalen Frauentag und zu vielen Frauenstreikaktionen gelautet. Leider ist diese Forderung noch immer ganz aktuell. In vielen Ländern der Erde hungern Frauen, verhungern Mädchen. Frauen beim Weltsozialgipfel, aber auch bei der Bevölkerungskonferenz in Kairo haben versucht, die elende Lage vieler Frauen ins öffentliche Bewußtsein zu rücken und Konzepte und Hilfe für eine dauerhafte Verbesserung der Lebenssituation von Frauen mit den Frauen zu entwickeln.
Jede von uns und jeder, der durch die Fülle der Schreckensbilder noch nicht abgestumpft ist, erinnert sich an Bilder von Frauen auf der Flucht, von Frauen als Opfer von Kriegen. Amnesty International spricht davon, daß ca. 80 % der Kriegsopfer Zivilisten sind, überwiegend Frauen und Kinder.
Neben solchen Bildern scheint die Lebenssituation von Frauen in Deutschland gesichert. Also Brot und Rosen für alle? Auch wenn die Bundesregierung alle vorgelegten Berichte über Armut in Deutschland wegzudefinieren sucht und die Zeiten, als Heiner Geißler die „neue Armut" in der CDU/CSU thematisiert hat, lange vorbei sind, ist Armut für Frauen in Deutschland immer noch eine Lebensrealität. Warum ist Armut auch in Deutschland immer noch weiblich?
Der fast schon klassische Fall der weiblichen Armut sind die armen alten Frauen, Frauen, die ein Leben lang gearbeitet haben, vor allem in der Familie, bei der Erziehung von Kindern und bei der Pflege von Angehörigen, und die im Alter nur eine geringe Rente bekommen und den Gang zum Sozialamt aus Scham und aus Angst vor dem Rückgriff auf die Kinder scheuen. Oft sind das Frauen, die erwerbstätig waren, aber ohne eine soziale Sicherung. „Geringfügig beschäftigt" nennt man das dann.
Diese Altersarmut von Frauen ist kein unabwendbares Schicksal.
Eine kontinuierliche Erwerbstätigkeit, ermöglicht durch ein ausreichendes Kinderbetreuungsangebot für alle Altersgruppen, verbessert die Einkommenssituation von alten Frauen entscheidend. Das zeigen die Renteneinkommen der Frauen in den neuen Bundesländern. Ich bin froh, daß wir das erreicht haben. Eine Sozialversicherungspflicht für alle Beschäftigungsverhältnisse und eine Ergänzung der gesetzlichen Rentenversicherung um eine bedarfsabhängige soziale Grundsicherung - damit Frauen mit niedrigen Renten nicht mehr auf das Sozialamt angewiesen sind - sind weitere wichtige Schritte für eine bessere Alterssicherung von Frauen. Ich freue mich schon auf einen Gesetzentwurf - das konnte ich den Ankündigungen von Frau Süssmuth entnehmen -, der das Ziel hat, die geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse abzuschaffen. Wir werden Sie dabei nachhaltig unterstützen.
Am 21. Juni hat sich der Bundestag in einer gemeinsamen Entschließung im Anschluß an die Verabschiedung des RentenÜberleitungsgesetzes eine wichtige Aufgabe gestellt. Ich zitiere:
Die Zeit bis zum Auslaufen der Bestandsschutzregelungen des RentenÜberleitungsgesetzes 1997 muß nun dazu genutzt werden, die Alterssicherung der Frauen in der leistungsbezogenen Rentenversicherung zu verbessern. Eine solche Reform der Alterssicherung der Frauen soll vor aller die Anerkennung von Zeiten der Kinder-
Ulrike Mascher
erziehung und der Pflege verbessern und dabei die Tatsache berücksichtigen, daß Familienarbeit oft auch gleichzeitig mit Erwerbsarbeit geleistet wird,
- das sollte schon in der letzten Legislaturperiode passieren -
zweitens eigenständige Anwartschaften der Frauen ausbauen und drittens einen wichtigen Beitrag zur Lösung des Problems der Altersarmut leisten. Das Gesamtkonzept soll bis zum Jahresbeginn 1997 verwirklicht werden.
Aufmerksam habe ich die Koalitionsvereinbarungen und die Ankündigungen des Bundesarbeitsministers verfolgt. Ich finde leider überhaupt keinen Hinweis auf irgendeine Aktivität, um diese gemeinsam beschlossene Entschließung des Parlamentes umzusetzen.
Aber vielleicht werden wir ja zum Internationalen Frauentag 1996 plötzlich mit einem Gesetzentwurf überrascht. Ich fürchte allerdings, daß es ohne nachhaltigen Druck, ohne Initiativen von Frauen, ohne Arbeit auf seiten der Opposition dabei nicht vorangehen wird.
Aber längst ist Armut von Frauen in Deutschland nicht mehr die Armut der alten Frauen, bei der man sich vielleicht damit beruhigen kann, daß es neue Aktivitäten gegeben hat und daß junge Frauen, die gut ausgebildet sind, davon nicht mehr betroffen sind. Nein, immer mehr junge Frauen mit Kindern, alleinerziehende Frauen leben an der Armutsgrenze, leben von Sozialhilfe. Diese Frauen leben oft in einem Teufelskreis ohne eigene Erwerbstätigkeit, auf Sozialhilfe angewiesen, ohne ausreichende Kinderbetreuung kaum in der Lage, eine ausreichende Erwerbstätigkeit zu finden, als Alleinerziehende mit Kind eine schwer vermittelbare Arbeitskraft, als geringfügig Beschäftigte nicht sozialversicherungspflichtig und künftig eine arme alte Frau. Noch einmal: Auch hier ist Armut kein unabwendbares Schicksal von Frauen, sondern das Ergebnis fehlender Erwerbschancen, deshalb fehlender Beitragsleistungen für die Alterssicherung.
Der Dreh- und Angelpunkt ist die Schaffung von ausreichenden altersgerechten Kinderbetreuungsangeboten, um wenigstens eine Chance für eine Erwerbstätigkeit zu eröffnen. Ich halte die Aufrechnung, in welchem Bundesland es nun vielleicht annäherungsweise ein wirklich angemessenes Kinderbetreuungsangebot gibt, langsam für ziemlich lächerlich und unwürdig. Vielmehr denke ich, wir müssen uns alle gemeinsam anstrengen, in allen Bundesländern, in den großen Städten und in den kleinen Gemeinden, den Frauen diese Chance zu eröffnen. Da gibt es für jede Partei und für jede Regierung - in welcher Koalition auch immer - genug zu tun.
Die SPD hat in ihrem Entschließungsantrag die Forderungen zur Erwerbstätigkeit von Frauen in den Mittelpunkt gestellt. Erwerbstätigkeit ist zwar sicher nicht alles im Leben. Frauen wissen, daß auch andere Formen von Arbeit für die Familie und für unsere Gesellschaft unverzichtbar sind. Aber Frauen haben auch lernen müssen, daß sich unsere Gesellschaft über die Erwerbsarbeit definiert. Deshalb müssen Frauen ihr Recht auf Erwerbsarbeit, ihre verfassungsrechtlich verankerte Gleichberechtigung auch im Arbeitsleben, einfordern. Ich hoffe, daß der Ankündigung von Frau Nolte, daß die Ergänzung des Grundgesetzartikels von Elisabeth Seibert kein totes Papier bleiben soll, auch Taten folgen. Denn bisher frage ich mich: Was tut diese Frauenministerin, was tut diese Bundesregierung, um Frauen Erwerbsarbeit zu eröffnen, die eine menschenwürdige Existenz sichert? Wenn ich mir die Arbeitslosenstatistik, wenn ich mir die Sozialhilfestatistik ansehe, stelle ich fest, daß es leider noch sehr viel zu tun gibt, bis wir die symbolische und poetische Forderung der Frauen von vor 80 Jahren nach Brot und Rosen, nach materieller Sicherung, aber auch nach gesellschaftlicher Teilhabe, nach der Teilhabe an Kultur, an Wissenschaft und auch an Schönheit in unserem Leben, wenigstens in unserem Land erfüllt haben.
Vielen Dank.