Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gleichberechtigung, insbesondere im Erwerbsleben, haben wir Frauen noch längst nicht erreicht. Immer wieder stehen wir vor schwierigen Entscheidungen, werden uns Steine in den Weg gelegt.
Schauen wir uns die Situation einer jungen Frau von heute an! Sie studiert, macht einen für Frauen ungewöhnlichen Abschluß, lernt Elektroingenieurin. Die ersten Schwierigkeiten liegen bereits darin, dieses Studium gegenüber ihren Eltern durchzusetzen, weil es „kein Beruf für Frauen" ist. Nach dem Studium unter Männern macht sie zum Neid vieler Kommilitonen einen sehr guten Abschluß und bewirbt sich bei verschiedenen Firmen, wo sie sich in einer Sonderrolle befindet: Bisher haben sich nur männliche Ingenieure beworben.
Diese Frau gehört zu den weiblichen Studierenden, deren Zahl an deutschen Universitäten erfreulicherweise ständig zugenommen hat. Sie gehört zu der steigenden Zahl von Frauen, für die die Berufsausübung selbstverständlich mit einem eigenen Lebenswert und mit Freude verbunden ist. Diese jungen Frauen sehen Erwerbstätigkeit als Grundlage für Selbständigkeit und materielle Eigenständigkeit.
Leider sind wir heute jedoch weit davon entfernt, daß Frauen im Beruf die gleichen Chancen haben wie ihre männlichen Kollegen. Dies liegt bestimmt nicht an der Qualifikation. In meinem Beispiel wird
die junge Ingenieurin von ihren Kollegen akzeptiert. Beim beruflichen Aufstieg gibt es aber häufig Barrieren. Chancen von Frauen auf dem Arbeitsmarkt verschlechtern sich vor allem dann, wenn die Verpflichtungen und die Mehrbelastungen als Mutter hinzukommen. Denn in den meisten Familien bleibt die traditionelle Rollenverpflichtung der Familienarbeit bestehen. Das Berufsleben hingegen orientiert sich überwiegend an den Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen, die vollzeiterwerbstätig sind, Überstunden machen und ständig einsetzbar sind.
Diese Diskrepanz müssen wir überwinden. Die Familienaufgaben dürfen nicht allein auf den Schultern der Frauen liegen. Für eine verantwortlich gelebte Partnerschaft ist es selbstverständlich, daß sich die Männer an der Kindererziehung und der Hausarbeit beteiligen. Zudem müssen wir es Frauen und Männern ermöglichen, Beruf und Familie besser miteinander zu vereinbaren. Wir müssen ihnen Wahlmöglichkeiten geben, wegen der Kindererziehung eine Zeitlang aus dem Berufsleben auszuscheiden.
Mit den bisher umgesetzten Maßnahmen zur Vereinbarkeit sind wir auf dem richtigen Wege. Ich greife nur den Ausbau des Erziehungsurlaubs heraus. Dieser Ausbau hat übrigens, Frau Kollegin Holzhüter, auch bewirkt, daß während dieser drei Jahre für die Frau oder auch für den Mann ein Recht zur Rückkehr an den Arbeitsplatz besteht. Ich denke, das ist für die Rückkehr in den Beruf ganz wichtig. Es ist natürlich auch nicht ganz unproblematisch; darauf komme ich noch zu sprechen. - Weiter können wir auf die Erhöhung der Freistellungstage im Krankheitsfall des Kindes und wichtige Maßnahmen im Arbeitsförderungsgesetz verweisen.
Ein weiterer Ausbau der Infrastruktur familienunterstützender Maßnahmen ist jedoch erforderlich. Das heißt, der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz für Kinder ab drei Jahren muß realisiert werden. Versäumnisse aus der Vergangenheit dürfen nicht in die Zukunft verschoben werden.
Wir dürfen allerdings die Kinderbetreuung nicht allein auf den Bereich des Kindergartens beschränken. Neue Ideen sind notwendig. Ich erinnere nur an den Beruf der Tagesmutter oder auch des Tagesvaters, der weiter aufgewertet werden muß.
Wir brauchen in diesem Bereich eine unbürokratische Organisation, um auch für kurze Zeiten Betreuungspersonen abrufen zu können. Ganz wichtig ist mir auch, die Betreuung der Kinder in den Schulen so zu organisieren, daß ihre Freistunden nicht zu einem Problem der berufstätigen Eltern werden.
Erziehungsurlaub und Erziehungsgeld sind für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ganz wichtig; das haben wir heute schon mehrmals festgestellt. Deswegen wollen wir das Erziehungsgeld ausbauen, insbesondere die Einkommensgrenzen anheben, damit, wie bei der Einführung im Jahre 1986, ein hoher Prozentsatz der Familien wieder das volle Erziehungsgeld erhält.
Maria Eichhorn
Erziehungsurlaub darf für Väter kein Tabu bleiben. Ich appelliere heute an die Väter, sich endlich die Freiheit zu nehmen, auch wirklich Väter zu sein.
Allein die Möglichkeit, Erziehungsurlaub zu nehmen, löst aber nicht immer die Probleme. Ich komme zurück auf mein Beispiel: Nach sechs Jahren Unternehmenszugehörigkeit möchte diese Ingenieurin Erziehungsurlaub nehmen. Ihr Arbeitgeber macht ihr aber unmißverständlich deutlich, daß sie nach drei Jahren Abwesenheit keine Chance habe, Karriere zu machen. - Diese Diskrepanz zwischen Arbeitswelt und Familie werden wir nur dann überwinden können, wenn auch die Wirtschaft erkennt, daß sie auf die Kenntnisse und Fähigkeiten von Frauen nicht mehr verzichten kann. Es gibt dafür bereits beispielhafte Vorbilder.
Vor kurzem las ich, daß in einem Unternehmen Koordinierungsstellen zur Betreuung von Kindern eingerichtet wurden, um insbesondere Frauen an das Unternehmen zu binden. Auch die Fragen der Wiedereingliederung und Möglichkeiten zur Urlaubsvertretung oder Fortbildung während der Familienphase werden von Unternehmen erfreulicherweise immer mehr aufgegriffen. Das ist der richtige Weg, um berufliche Nachteile wegen Kindererziehung möglichst zu vermeiden.
Nicht nur für Großunternehmen, sondern auch für kleine und mittlere Betriebe müssen immer wieder neue Wege gefunden werden. Mit dem Modellprojekt „Beratungsangebote zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf in kleinen und mittelständischen Betrieben" sind wir auf guten Wegen. Damit ist eine Fortführung der bisherigen Arbeit der zusammengeführten Ministerien erreicht. Den Unternehmen können viele Hilfestellungen an die Hand gegeben werden; leider aber werden diese noch viel zu wenig genutzt. Für alle Unternehmen gilt: Das Angebot an flexibel ausgestalteten, familiengerechten Arbeitszeiten und das Angebot an Teilzeitarbeitsplätzen muß vergrößert werden. Das ist nicht nur eine Forderung der Eltern, die Kinder zu betreuen haben, sondern auch eine Forderung der Familien, die die Pflege von Angehörigen übernehmen. Hier müssen wir im Auge behalten, daß deren Zahl ständig steigen wird.
Die Teilzeitoffensive, die die Bundesregierung in den letzten Jahren gestartet hat, muß fortgeführt werden. Teilzeitbeschäftigung darf jedoch nicht als reine arbeitsmarktpolitische Maßnahme verstanden werden. Sie wird erst dann zu einer familienpolitischen Maßnahme, wenn sie nicht nur in weniger qualifizierten und damit auch geringer entlohnten Arbeitsbereichen eingesetzt wird, sondern auch in Schlüsselfunktionen möglich ist.
Daß dieses erfolgreich laufen kann, hat die bayerische Staatministerin für Arbeit und Soziales in einem Modellprojekt vor einigen Jahren bewiesen, in dem sie Teilzeitkräfte ganz bewußt in Führungspositionen eingesetzt hat.
Nach anfänglicher Skepsis bei manchen Vorsetzten
hat sich sehr schnell gezeigt, daß dies ohne Probleme
sogar in hervorragender Weise möglich ist. Heute ist es für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter selbstverständlich, daß auch Führungsfunktionen aufgeteilt werden können. Viele Unternehmen müssen davon jedoch noch überzeugt werden.
Meine Ingenieurin in dem Beispiel, die nach dem Erziehungsurlaub eine Teilzeitstelle übernehmen wollte, wurde mit einer Äußerung konfrontiert, wie sie heute oft vielfach anzutreffen ist, nämlich: Im Ingenieurbereich geht das nicht; dafür haben wir keine Möglichkeit. Oft ist es erst nach langen Diskussionen möglich, einen Betrieb zu überzeugen, daß auch in diesem Bereich Teilzeitarbeit möglich sein kann.
Meine Damen und Herren, neben der Aufforderung an die Arbeitgeber, Frauenförderung großzuschreiben, appelliere ich an die Frauen selbst, den wirtschaftlichen Strukturwandel, die wachsende Bedeutung des Dienstleistungsgewerbes und die Einführung neuer Technologien zu nutzen. Chancengleichheit hier setzt aber Chancengleichheit in Bildung und Ausbildung voraus. Das bedeutet insbesondere, daß der Anteil von Frauen an attraktiven Berufsausbildungen gerade in den gewerblich-technischen Bereichen, wie mein Beispiel zeigt, deutlich zunehmen muß. Denn ein zentrales Problem in den alten Bundesländern ist es, daß sich Mädchen nach wie vor auf wenige Ausbildungsberufe konzentrieren. Diese sogenannten Mädchenberufe bieten zum Teil nur geringe Aufstiegsmöglichkeiten. In den neuen Bundesländern nutzen sie ihre Chancen in den technischen Berufen weit besser, allerdings ist auch hier die Tendenz zum traditionellen Rollenverständnis gestiegen. Gerade aber hier sollten wir die Chance des Neuaufbaus nutzen, um zu einer breitgefächerten Ausbildungsstruktur zu kommen. Hier sind insbesondere die Lehrerinnen und Lehrer gefordert, die jungen Frauen immer wieder zu vielleicht ungewöhnlichen Schritten zu ermutigen.
Daß Frauen im Erwerbsleben benachteiligt sind, zeigt sich auch an der Arbeitslosigkeit von Frauen, besonders auch in den neuen Bundesländern. Die Situation ist vor allen Dingen dann prekär, wenn es sich um alleinerziehende Mütter handelt. Deswegen müssen wir immer wieder neue Wege der Unterstützung und der Förderung suchen. Wir brauchen neue Instrumentarien und Wege, insbesondere bei der Vermittlung von langzeitarbeitslosen Frauen. Hier gibt es bereits Modellprojekte, bei denen jungen alleinerziehenden Müttern, die bisher keinen beruflichen Abschluß erreicht haben, Qualifikationsmöglichkeiten auf der Basis ihrer ganz persönlichen Interesssen und Fähigkeiten eröffnet werden. Dabei wird nicht nur die besondere Lebenssituation berücksichtigt, sondern auch die Möglichkeit, auf dem regionalen Arbeitsmarkt eine Stelle zu finden.
Meine Damen und Herren, die Arbeitswelt muß sich der Familienwelt anpassen. Dies ist eine wichtige Voraussetzung zur Verwirklichung von Chancengleichheit von Frauen im Erwerbsleben. Ein gutes Stück sind wir schon vorangekommen. Die
Maria Eichhorn
Frauen haben sich auf dem Wege der Gleichberechtigung Schritt für Schritt nach vorne gearbeitet. Das gilt für alle Bereiche unserer Gesellschaft. Aber es gibt noch viel zu tun.
Die Verwirklichung der Gleichberechtigung ist nicht alleine eine Frauen-, sie ist auch eine Männerfrage. Wir haben bereits, Gott sei Dank, viele männliche Verbündete.
Ich rufe heute, am 8. März, alle Männer auf - vor allem die Männer, die noch zweifeln -, gemeinsam mit uns selbstbewußt diesen Weg zu gehen.