Rede von
Ingrid
Holzhüter
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe wenige Männer, die ich besonders begrüßen möchte! Soweit ich das überblicken kann, sitzt kein einziges Mitglied der Regierung auf der Regierungsbank.
- Das sind Staatssekretäre, aber keine Ministerinnen und Minister. Ich denke, da fehlt bei manchem die nötige Leidenschaft, die Ziele bei denen anzufordern, die sie letztendlich politisch zu verantworten haben.
Die Minister sind gewählt, die Ministerinnen sind gewählt, die Staatssekretärinnen und Staatssekretäre sind ernannt. Ich denke, daß die unterschiedliche Anwesenheit auch Unterschiede in der Bewertung des Themas hier im Hause zum Ausdruck bringt.
Wir haben ja schon einmal Herrn Kanther zurückholen müssen. Ich verkneife es mir, hier dieses Ansinnen an die gesamte Regierungsriege zu richten. Ich meine, ich sollte das sagen, was ich sagen will.
In den vorangegangenen Redebeiträgen hier im Hohen Hause ist mir deutlich vor Augen geführt worden, daß auch 1995 der Internationale Frauentag in Deutschland kein Tag zum Feiern ist, sondern zum Protestieren,
wie im übrigen aus den Entschließungsanträgen aller Parteien hervorgeht, die darüber hinaus im wesentlichen von Männern unterzeichnet wurden.
Leider haben die bundesweiten Frauenstreik- und -protestaktionen vor einem Jahr nicht den Erfolg gebracht, den deutsche Frauen sich auf Grund von Erfahrungen mit Frauenstreiks in anderen Ländern erhofft hatten. Als Neuling im Deutschen Bundestag kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, auch wenn dies der erste Tag ist, an dem dieses Thema hier besprochen wird, daß anläßlich des Internationalen Frauentages Pflichtveranstaltungen stattfinden mit Hinweisen auf die immer noch nicht verwirklichte Gleichstellung von Frau und Mann. Das führt hier und anderswo, namentlich aber auch von seiten der Regierung, alle Jahre wieder nur zu Lippenbekenntnissen.
Einmal im Jahr werden bestehende Benachteiligungen von Frauen beklagt, um dann wieder 364 Tage wenig kreativ zu sein. Anders lassen sich die kümmerlichen frauenpolitischen Initiativen von CDU/CSU und F.D.P. nicht erklären. Was also ist die
Ingrid Holzhüter
Kernfrage, Frau Schmalz-Jacobsen, die Sie von uns anmahnen? Sie und die Regierung hätten die Möglichkeit, diese Kernfrage zu stellen und auch zu beantworten. -
Andernfalls läuft diese Debatte Gefahr, zur Alibiveranstaltung zu werden. Davon haben die Frauen bereits mehr als genug.
Mein Redebeitrag konzentriert sich auf die Angleichung der Lebensverhältnisse zwischen Ost und West. Auch das ist ein zentrales Thema für den Internationalen Frauentag; denn die besagte Angleichung hat - wenn überhaupt - bisher nur unter negativen Vorzeichen stattgefunden.
Viel wurde in den Jahren seit 1989 von einem dramatischen frauenpolitischen Rollback geredet. Ich denke, diese Beschreibung ist nicht übertrieben. Als Berlinerin weiß ich das aus eigener Anschauung. Denn bis zum Herbst vergangenen Jahres habe ich in Ausübung meines Mandats als frauenpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus von Berlin tagtäglich mit Frauen aus Ost und West zu tun gehabt, die Berlin als Brennpunkt der Unterschiede mit allen für sie nachteiligen Auswirkungen am eigenen Leibe erfahren haben. Mir wurde sehr deutlich vor Augen geführt, daß man den Menschen in den neuen Ländern, Männern wie Frauen, nicht 40 Jahre ihrer Biographie stehlen darf, indem man alles, was geschehen ist, per se als schlecht und minderwertig definiert.
Es gibt unzählige Frauen, die arbeitslos sind, obwohl sie über umfangreiche Ausbildungen, Zusatzqualifikationen und Universitätsabschlüsse verfügen. Aber all diese Abschlüsse haben einen entscheidenden „Nachteil": Sie wurden in der ehemaligen DDR erworben. Meine Damen und Herren, Hand aufs Herz! Ich frage Sie, ob das wirklich alles untaugliche Qualifikationen aus dem „Tal der Ahnungslosen" sind. Warum ist es so schwierig, z. B. die Berufsausbildung von Frauen im Gesundheitswesen anzuerkennen? Können wir uns die massenhafte Vergeudung von gut ausgebildeten Arbeitskräften wirklich leisten?
Vielen dieser Frauen wird vom Arbeitsamt ernsthaft die „Perspektive" eröffnet, sie sollten sich als ungelernte Aushilfskräfte verdingen. Oder ihnen wird gesagt, sie müßten sich erst einmal in einen frauentypischeren Beruf umschulen lassen. In ähnlicher Weise werden offenkundig auch Mädchen bei der Auswahl ihrer Berufsausbildung „beraten".
Mir ist in Gesprächen mit Berlinerinnen sehr schnell der Gedanke gekommen, einmal zu fragen: Wo sind denn all die Kranführerinnen und die anderen gestandenen Frauen in sogenannten Männerberufen abgeblieben, die es in der DDR ja in großer Zahl gegeben hat? Sieht so etwa die von Herrn Blüm angestrebte Angleichung der Lebensverhältnisse auf Westniveau aus? Oder ist damit gar die Angleichung der Frauenerwerbsquote gemeint, frei nach der Devise: zurück zu Heim und Herd bzw. zur stillen Reserve, weil sich das in den Statistiken immer so gut macht?
Sagen wir doch einmal ehrlich, wie es ist: Es wird den im Stich gelassenen Frauen als Arbeitsmarktinitiative z. B. das sogenannte Dienstmädchenprivileg in Aussicht gestellt.
Wo sind die anderen Initiativen? - Fehlanzeige!
- Natürlich, beschäftigt, klar: Die Männer machen Karriere, und die Frauen sind beschäftigt. Dann können sie nicht soviel meckern.
Das war schon in der Wilhelminischen Zeit eine Möglichkeit: Wenn eine Frau da aufmuckte, dann wurde dem Mann anempfohlen, ihr ein Kind zu machen, damit sie eine Beschäftigung hat. Das können wir heute ja auch einmal wieder anbieten.
Trotz aller angesprochenen Widrigkeiten bei der Suche nach einem neuen Arbeitsplatz ist der Wunsch der Ost-Frauen, wieder berufstätig zu sein, unvermindert hoch. Sie machen bei Vorstellungsgesprächen aber die Erfahrung, daß Arbeitgeber es als ein untragbar hohes Risiko betrachten, sich für eine Bewerberin zu entscheiden, die Kinder hat oder noch gebärfähig ist. Wie Sie alle in verschiedenen Publikationen immer wieder nachlesen können, hat dies ein starkes Ansteigen der Sterilisationen sowie einen starken Geburtenrückgang zur Folge gehabt. Diese Entwicklung hält unvermindert an.
Der jüngst bekanntgewordene Erziehungsurlaubsskandal hat zutage gefördert, daß annähernd jede zweite Frau in den neuen Ländern, die ihren Anspruch auf Erziehungsurlaub geltend macht, ihren Arbeitsplatz verliert. Wo bleiben angesichts all dessen die Angebote, die Frauen ihre Entscheidung für ein Kind erleichtern sollen? Bestehende Betreuungseinrichtungen müssen mangels Kindern schließen. Für Kinder und Jugendliche außerhalb der Lebensjahre drei bis sechs fehlen Einrichtungen, Einrichtungen, ohne die Frauen nicht ohne schlechtes Gewissen erwerbstätig sein können. - Frau Schmalz-Jacobsen hat hier dankenswerterweise zu diesem Thema schon etwas gesagt.
Mein Fazit: In Ost und West ist von einer frauen-
und kinderfreundlichen Gesellschaft keine Spur. Der Silberstreifen am Horizont, der in der frauenpoliti-
Ingrid Holzhüter
schen Wüste Hoffnung geben soll, heißt laut offiziellem deutschem Statement für die im kommenden Herbst stattfindende Pekinger Frauenkonferenz: politische Teilhabe der Frauen im Jahre 2005.
Spätestens in zehn Jahren also ist garantiert, daß Politik auch Fraueninteressen häufiger als einmal pro Jahr in den Blickwinkel rückt. Ob die Geduld der Frauen so lange reicht?
Frau Süssmuth hat heute früh gesagt, die Frauen müßten wieder den Druck der Straße mobilisieren. Recht hat sie. Nur die Ungeduld der Frauen bricht die Macht der Männer. Eine kluge Frau hat einmal gesagt: Wir haben die Gleichberechtigung erst dann erreicht, wenn es überall so viele mittelmäßige Frauen wie Männer gibt. Recht hat sie.