Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Geschichte des 8. März, also in der Geschichte des Internationalen Frauentages, ist es das erste Mal, daß der Deutsche Bundestag aus diesem Anlaß über die Probleme von Frauen in unserer Gesellschaft eine Debatte führt.
Der 8. März verliert zunehmend seine ideologische Überfrachtung, die an diesem Tag vor allem in den sozialistischen Ländern bis zum Überdruß zelebriert wurde. Ich erinnere mich noch gut an die Berichte über die Frauen, die ihre Arbeit im besonderen Maße erfüllt haben und deshalb auch ein Lob erhielten. Solche Zeremonie diente nicht der Gleichberechtigung, sondern solche Aktionen sollten die vielen Probleme, insbesondere die mangelnde Freiheit, überdecken.
Heute geht es in der Gleichberechtigungspolitik um die Anerkennung der Verschiedenartigkeit und Gleichwertigkeit unterschiedlicher Lebensentwürfe. Die erwerbstätige Frau will Gleichberechtigung mit den Kollegen im Berufsleben. Die in der Familie tätige Frau will Gleichberechtigung durch Anerkennung ihrer Arbeit. Für die Alleinerziehende bedeutet Gleichberechtigung die Möglichkeit, Erwerb und Kindererziehung miteinander vereinbaren zu können.
Will Politik für sich beanspruchen, Gleichberechtigung durchsetzen zu wollen, dann muß sie solche Rahmenbedingungen schaffen, daß diese Vielfalt ohne Benachteiligung der Frauen verwirklicht werden kann. Gleichberechtigung bedeutet, Frauen und Männern in allen Bereichen von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft die gleichen Mitwirkungsmöglichkeiten, die gleichen Rechte und Pflichten zu eröffnen. Gleichberechtigungspolitik bleibt insofern mühsame Kärrnerarbeit, und sie kann ohne die Veränderung der Situation des Mannes nicht erfolgreich sein.
Wenn wir bilanzieren, was wir in der Gleichberechtigungspolitik erreicht oder auch verändert haben, dann sollten wir unseren Blick für die Probleme öffnen, denen sich Frauen weltweit gegenüber sehen.
Der zur Zeit in Kopenhagen stattfindende Weltsozialgipfel zeigt, daß es nicht wenige Länder gibt, in denen sich die Situation der Frauen in den letzten Jahren rapide verschlechtert hat. Dort geht es nicht um die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen an der Macht wie bei uns und in den anderen nordischen Staaten, sondern da stehen Frauen, die mit allen Kräften gegen die Armut kämpfen müssen, für die der Zugang zu Bildung und ausreichende Gesundheitsvorsorge oft noch eine ferne Utopie sind. In diesem Spannungsverhältnis steht die Gleichberechtigungspolitik weltweit. Diese Spannung wird auch die Weltfrauenkonferenz im September in Peking bestimmen.
Die Benachteiligung von Frauen zeigt sich in den verschiedenen Ländern und Regionen auf sehr verschiedene Weise. Wir müssen uns vor allem fragen, welchen Beitrag wir zu einer Verbesserung der Situation leisten können. Zum einen durch unsere Unterstützung: durch finanzielle Mittel und durch Know-how. In unseren Bemühungen um aktive Entwicklungshilfe dürfen wir nicht nachlassen. Hier müssen wir umdenken und vor allem solche Projekte fördern, die auch den Familien und Frauen in den Ländern Afrikas und Lateinamerikas zugute kommen.
Es verdient hervorgehoben zu werden, daß nach unseren Grundlinien der Entwicklungspolitik von 1991 die Frauenförderung zu den fachlichen Schwerpunkten der Entwicklungszusammenarbeit gehört. Danach sind die Interessen und Bedürfnisse von Frauen in die Planung und Durchführung aller Vorhaben der Entwicklungszusammenarbeit einzubeziehen. Nachteilige Auswirkungen von Vorhaben auf Frauen sollen vermieden und vorgefundene Benachteiligungen durch gezielte Fördermaßnahmen abgebaut werden.
Aber die Bereitschaft der Bundesregierung, die Entwicklungszusammenarbeit zur Förderung von Frauen zu ändern, kann nur dann zu konkreten Verbesserungen führen, wenn auch die Regierungen dieser Länder in der Auswahl und Umsetzung von Entwicklungsvorhaben, in der Änderung von Gesetzen und im Verwaltungshandeln darauf eingehen.
Die Bundesregierung hat sich intensiv für die Berufung einer UN-Beauftragten für Menschenrechtsverletzungen an Frauen eingesetzt. Hier sehe ich eine der wesentlichen Aufgaben in den nächsten Jahren. Wie können wir international wirkungsvoller die Rechte von Frauen schützen? Was können wir tun, damit Mädchen nicht bereits im Mutterleib getötet werden, weil sie Mädchen sind? Was können wir tun, damit Frauen nicht länger Eigentum eines Man-
Bundesministerin Claudia Nolte
nes sind, sondern ein Recht auf eine eigenständige Entwicklung bekommen? Und was können wir gegen den modernen Sklavenhandel von Frauen vor unserer Haustür tun?
Auch zur Lösung globaler Probleme werden Frauen immer wichtiger. Das haben die großen internationalen Konferenzen der letzten Jahre, so der Umweltgipfel in Rio, die Weltmenschenrechtskonferenz in Wien, die Bevölkerungskonferenz in Kairo sowie der Sozialgipfel in Kopenhagen gezeigt. Auch die Weltfrauenkonferenz in Peking wird dies dokumentieren.
Diese Konferenzen machen klar: Gleichberechtigungspolitik steht vor einem bedeutenden Wandel. Sie sprengt den Rahmen einer Politik von Frauen für Frauen. Immer mehr setzt sich die Erkenntnis durch, daß sich die weltweiten Probleme ohne den Beitrag der Frauen nicht lösen lassen. Insofern ist es folgerichtig, daß es um die gleichberechtigte Teilhabe der Frauen an den wirtschaftlichen, politischen und sozialen Ressourcen geht.
Aber dazu gehört auch, daß internationale Organisationen wie die Vereinten Nationen die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen immer wieder einfordern und diese auch in den eigenen Reihen praktizieren, z. B. wenn es um die Besetzung wichtiger Positionen oder um eine institutionelle Verankerung geht. Dies gilt im übrigen auch für die Europäische Union, wo wir erreichen müssen, daß Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern in den Statuten besser verankert wird, als dies zur Zeit der Fall ist.
- Es geht nicht darum, Beifall zu erheischen. Es geht um die Inhalte, über die wir hier sprechen.
In der Bundesrepublik Deutschland sind in den vergangenen Jahren wichtige Fortschritte erreicht worden. Gleichberechtigungspolitik hat einen institutionellen Unterbau erhalten. Ich denke da an die mehr als 1 300 Gleichstellungsstellen, an die Frauenministerien in Bund und Ländern sowie die etablierten Frauenbeauftragten in den Kommunen. Zunehmend greifen Maßnahmen der Frauenförderung, im öffentlichen Dienst und in vielen privaten Unternehmen.
Aber wir haben die Erfahrung gemacht, daß mit wachsender wirtschaftlicher Entwicklung, mit den Absicherungen wichtiger Risiken wie Krankheit oder Alter nicht automatisch die Benachteiligung von Frauen endet. Es bleiben Probleme, die aufgearbeitet werden müssen. Denn auch in Industriestaaten sind es vor allem Frauen, die schlechter bezahlt, als erste entlassen und als letzte wieder eingestellt werden. Auch bei uns ist die finanzielle Not weiblich, und auch bei uns sind es vor allem Frauen, die unter Gewalt zu leiden haben.
Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern ist solange nicht erreicht, wie nur 1,5 der Väter Erziehungsurlaub nehmen, nur 5,7 % der deutschen Hochschullehrer Frauen sind, obwohl sie fast die Hälfte aller Studienanfänger stellen, Frauen in Führungspositionen der deutschen Wirtschaft lediglich mit einem Anteil von 3 % vertreten sind, obwohl sie mehr als 40 % der Mitarbeiter stellen, und nur 7 % Frauen in wichtigen Entscheidungsgremien vertreten sind, obwohl die Entscheidungen alle Frauen betreffen.
An diesem 8. März, an dem neben Erreichtem auch vor allem Schwachstellen benannt werden, möchte ich an die Erweiterung des Grundgesetzes erinnern, die wir gemeinsam beschlossen haben. Wir haben Art. 3 Abs. 2 ergänzt um den Satz:
Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frau und Mann und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.
Wir sind uns darüber im klaren: Damit haben wir die nach wie vor bestehenden Benachteiligungen von Frauen nicht aus der Welt geschafft. Grundgesetzartikel sind eine Sache, das alltägliche Leben eine andere.
Dennoch hat das Grundgesetz mit dieser Ergänzung eine neue Qualität erhalten. Erstmals in der deutschen Verfassungsgeschichte wird der Staat verpflichtet, aktiv die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung zu fördern, und erstmals wird ihm zur Aufgabe gemacht, aktiv auf die Beseitigung bestehender Nachteile hinzuwirken.
Frauen sollen da, wo sie benachteiligt sind, aktiv gefördert werden. Um so mehr muß schon geltendes Recht mit Leben erfüllt werden. Wir können es nicht hinnehmen, daß notwendige Schutzgesetze, wie z. B. beim Erziehungsurlaub, unterlaufen werden. Unser Wirtschaftssystem ist eben keine unkontrollierte Wirtschaftsform, wie sie noch im letzten Jahrhundert die Realität bestimmte, sondern sie ist eine soziale Marktwirtschaft, die Verantwortung für die Menschen, die in ihr arbeiten, trägt.
Es geht in Zukunft darum, daß die Ressourcen unserer Gesellschaft nicht an den Frauen vorbei verteilt werden. Frauenpolitik muß fester Bestandteil im Prozeß der Neustrukturierung sein, wenn es um die Schaffung neuer Arbeitsplätze, die Sicherung des sozialen Systems, die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft und die Sicherung der ökologischen Grundlagen geht.
Das macht die Gleichberechtigungspolitik nicht einfacher. Denn zum einen ist mehr Phantasie nötig,
Bundesministerin Claudia Nolte
um übernommene Denkweisen zu verändern. Zum anderen muß es auch gelingen, daß Frauenpolitik stärker als bisher in die Gesellschaft hineinwirkt, daß sie sich einmischt und den Veränderungsprozeß aktiv mitgestaltet.
Was heißt das konkret? Frauen dürfen nicht vom Arbeitsmarkt verdrängt werden. Insbesondere in den neuen Bundesländern muß sich die Strukturförderung stärker an den Bedürfnissen von Frauen ausrichten. Die ehrenamtliche soziale Tätigkeit von Frauen muß aufgewertet werden und ihr Beitrag auch im Rahmen der sozialen Sicherung stärker Beachtung finden.
Bessere Bedingungen für die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit müssen sich gleichermaßen an Frauen und Männer richten. Auch die Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen müssen dies als ihre Aufgabe ernster nehmen und die Möglichkeiten zu Fortschritten in diesem Bereich verstärkt in ihren Tarifvereinbarungen nutzen. Die Durchsetzung des Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz ist zu einer Frage des Vertrauens vieler Frauen in die Fähigkeit des Staates, seine Versprechen auch einzuhalten, geworden. Wir müssen darauf bestehen.
Die eigenständige soziale Sicherung von Frauen muß auch in Zukunft weiter ausgebaut werden. Frauen müssen verstärkt da beteiligt werden, wo die Entscheidungen fallen.
Wir müssen alles tun, damit sie ein natürliches Verhalten zur Macht bekommen. Macht ist nicht etwas Unmoralisches, sondern die Grundlage von Einfluß-, Gestaltungs- und Entscheidungsmöglichkeiten.
Wir wissen alle: Viele Aufgaben liegen vor uns. Es ist schon richtig, daß wir über den jeweiligen Weg in der konkreten Frage gemeinsam streiten und beraten müssen, denn in der Tat gibt es unterschiedliche Auffassungen darüber, wie wir diese Ziele erreichen können. Ich bin schon skeptisch, liebe Frau Kollegin Dobberthien, ob einfachgesetzliche Reglementierungen den Frauen in jedem Fall weiterhelfen.
- Es gibt sehr wohl differenzierte Lösungsmöglichkeiten, die in vielen Unternehmen - wenn Sie genau hinschauen, können Sie dies feststellen - sehr phantasievoll genutzt werden.
Wir müssen uns gemeinsam anstrengen, um unserem Anspruch gerecht zu werden, Frauen und Männern eine gleichberechtigte Teilhabe in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik zu ermöglichen. Ich füge hinzu, daß ich in diesen Bereichen viel machen werde. Ich wäre dankbar, in konkreten Fällen dann auch Ihre Unterstützung zu bekommen.
Danke.