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    Plenarprotokoll 13/8 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 8. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 14. Dezember 1994 Inhalt: Glückwünsche zu den Geburtstagen der Abgeordneten Wolfgang Vogt (Düren) und Dr. Alfred Dregger 313B Neubezeichnung eines Ausschusses 313 B Erweiterung und Ablauf der Tagesordnung 313 B Zur Geschäftsordnung Manfred Müller (Berlin) PDS 313 D Joachim Hörster CDU/CSU 314 B Werner Schulz (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 314 C Tagesordnungspunkt 1: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1995 (Haushaltsgesetz 1995) (Drucksache 13/50) b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Der Finanzplan des Bundes 1994 bis 1998 (Drucksache 12/8001) c) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht über den Stand und die voraussichtliche Entwicklung der Finanzwirtschaft (Drucksache 13/76) Dr. Theodor Waigel, Bundesminister BMF 315 C Ingrid Matthäus-Maier SPD 324 C, 366 D Hartmut Schauerte CDU/CSU 330 B Gunnar Uldall CDU/CSU 332 A Adolf Roth (Gießen) CDU/CSU 335 B Otto Schily SPD 336 D Christine Scheel BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 339 B Dr. Hermann Otto Solms F.D.P. 342 A Ingrid Matthäus-Maier SPD 343 B Dr. Barbara Höll PDS 347 C Joachim Poß SPD 349 C Dr. Hermann Otto Solms F.D.P. 349 D Dr. Kurt Faltlhauser CDU/CSU 351 D Hansgeorg Hauser (Rednitzhembach) CDU/ CSU 354 B Elisabeth Altmann (Pommelsbrunn) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 355 C Oswald Metzger BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 357 C Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) F.D.P. 359C Detlev von Larcher SPD 360 B Dr. Peter Struck SPD 361 D Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) F.D.P. 362 A, 364 A Dietrich Austermann CDU/CSU 364 B Dr. Uwe-Jens Rudi Rössel PDS 367 B Manfred Kanther, Bundesminister BMI 369 B Fritz Rudolf Körper SPD 371 A Erwin Marschewski CDU/CSU 374 C Johannes Singer SPD 374 D Dr. Burkhard Hirsch F.D.P. 375 D II Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Dezember 1994 Cern Özdemir BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 377 C Ina Albowitz F D P 379C Ulla Jelpke PDS 381 A Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin BMJ 381 D Dr. Herta Däubler-Gmelin SPD 384 A Norbert Geis CDU/CSU 388 A, 392 B Gerald Häfner BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 392 A Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 392 C Dr. Uwe-Jens Heuer PDS 393 C Nächste Sitzung 394 D Berichtigung 394 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten 395* Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Dezember 1994 313 8. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 14. Dezember 1994 Beginn: 9.00 Uhr
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    Berichtigung 7. Sitzung, Seite 307 A, Zeile 22: Statt „15 %" ist „50 %" zu lesen. Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 8. Sitzung. Borm, Mittwoch, den 14. Dezember 1994 395* Anlage zum Stenographischen Bericht (C) Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Antretter, Robert SPD 14. 12. 94 * Borchert, Jochen CDU/CSU 14. 12. 94 Conradi, Peter SPD 14. 12. 94 Dr. Eid-Simon, Ursula BÜNDNIS 14. 12. 94 90/DIE GRÜNEN Heym, Stefan PDS 14. 12. 94 Hörsken, Heinz-Adolf CDU/CSU 14. 12. 94 Iwersen, Gabriele SPD 14. 12. 94 Sauer (Stuttgart), Roland CDU/CSU 14. 12. 94 Schmidt-Zadel, Regina SPD 14. 12. 94 Schumann, Ilse SPD 14. 12. 94 Vergin, Siegfried SPD 14. 12. 94 Wallow, Hans SPD 14. 12. 94 Warnick, Klaus-Jürgen PDS 14. 12. 94 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Herta Däubler-Gmelin


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Leutheusser-Schnarrenberger, ich habe Ihren Ausführungen heute sehr aufmerksam und mit großer Freude zugehört.

    (Norbert Geis [CDU/CSU]: Das kann ich mir vorstellen!)

    — Ja, Herr Geis. — Ich möchte Ihnen ausdrücklich sagen, daß Sie in einigen der Punkte, die Sie genannt haben, sehr wohl mit unserer Unterstützung rechnen können. Gleichwohl erklärt dies, Herr Geis, warum unser sozialer Rechtsstaat und damit auch die Rechtspolitik Ihrer Koalition insgesamt nicht in so gutem Zustand sind, wie wir es gerne hätten.
    Die Justizministerin blockiert Gott sei Dank — da hat sie meine volle Unterstützung — einen Großteil des Unsinns, der aus Teilen der Koalition kommt.

    (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Von hier kommt nie Unsinn!)

    Auf der anderen Seite verweigert dieser Teil der Koalition, nämlich die Kolleginnen und Kollegen aus der CDU/CSU, die notwendigen Erneuerungsmaßnahmen auf dem Feld der Rechtspolitik. Das bringt uns, meine Damen und Herren, in eine schwierige Situation. Das stellen Sie fest, wenn Sie sich mit Ihren Nachbarn, mit Berufskollegen und anderen Menschen darüber unterhalten.
    Ich komme darauf noch zurück, werde Ihnen aber zuerst sagen, wo wir Ihnen zustimmen, Frau Bundesjustizministerin. Das fängt an bei Ihrem Vorhaben, die außergerichtliche Streitschlichtung stärker in den Vordergrund zu stellen und geht weiter mit der Harmonisierung des Sanktionensystems. Wir unterstützen, um einen dritten Punkt zu nennen, auch das, was z. B. der Richterbund vorgeschlagen hat, nämlich die Vereinfachung des Bußgeldsystems. Es muß möglich sein — und es ist auch möglich —, durch Entbürokratisierung zu vereinfachen, ohne den Sanktionszweck aufzuheben.
    Wir unterstützen Sie auch in einem anderen Punkt, Frau Leutheusser-Schnarrenberger, den Sie heute nicht ausdrücklich erwähnt haben, der aber mitverhandelt wird. Es handelt sich um den deutschen Beitrag dazu, daß der Internationale Gerichtshof zur Verfolgung der Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien in Den Haag endlich seine Arbeit aufnehmen kann.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

    Ich halte das für eine sehr gute Sache: nicht wegen der technischen Einzelheiten des vorgelegten Gesetzes, sondern deswegen, weil die Kriegsverbrecher, Mörder, Folterer und Vergewaltiger sowie ihre militärischen und politischen Hintermänner bald am eigenen Leibe erfahren müssen, daß sie in der zivilisierten Welt geächtet sind und es auf Dauer bleiben und nie mehr irgendwo in Ruhe leben können, so als sei nichts gewesen.
    Meine Damen und Herren, die haushaltspolitische Debatte gerade auch zur Rechtspolitik gibt uns Anlaß, über die Aufgaben des sozialen Rechtsstaates und damit auch der Rechtspolitik nachzudenken und zu prüfen, ob das, was die Regierungsmehrheit in den vergangenen zwölf Jahren gemacht hat, Erfolg hatte und ob das, was Sie jetzt vorhaben, Erfolg haben kann.
    Dabei komme ich zu den Zweifeln, die ich vorhin schon angedeutet habe. Die Aufgabe einer guten Rechtspolitk muß doch sein, in einer sich ständig wandelnden und verändernden Welt die Grundwerte unseres Grundgesetzes zur Geltung zu bringen, durchzusetzen und zu sichern.

    (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Da sind wir uns einig!)

    — Natürlich, ich hoffe, daß es auch bei Ihnen eine Menge vernünftiger Leute gibt, mit denen wir über so etwas reden können. — Die Grundwerte sind der Grundkonsens unserer Gesellschaft. Sie gilt es zu erhalten. Aber die Rechtspolitik muß dann auch
    — genau wie Gesellschaftspolitik — die veränderte Wirklichkeit wenigstens steuern und erhalten wollen und können.
    Und jetzt schauen Sie sich doch einmal an, Herr von Stetten, Frau Leutheusser-Schnarrenberger und Sie, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wie es mit der Wirklichkeit heute aussieht: Die Wirklichkeit ist Ihrer rechtspolitischen Gestaltung längst entglitten.

    (Norbert Geis [CDU/CSU]: Das meinen nur Sie!)

    — Ich meine das keineswegs allein, Herr Geis. Wenn Sie sich einmal die Mühe machen würden, sich die Veränderungen bei der Kriminalität, bei den technischen Neuerungen oder im Arbeitsleben wirklich genau anzusehen und darüber nachzudenken, dann wissen Sie auch, wieviel an Erneuerungsbedarf sich hier aufgehäuft hat. Dann würden auch Sie die Worte meines Kollegen Fritz Rudolf Körper unterstreichen,
    Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Dezember 1994 385
    Dr. Herta Däubler-Gmelin
    daß das, was Sie in den Koalitionsvereinbarungen zur Innen- und Rechtspolitik geschrieben haben, außerordentlich schwach ausgefallen ist.
    Zur Kriminalitätsbekämpfung: Ich beginne einmal mit der organisierten Kriminalität, über die schon gesprochen wurde. Richtig ist, daß die einzige Triebfeder dieser besonderen Kriminalitätsform das Geld ist. Richtig ist auch, daß alle unsere Initiativen und Mahnungen bei dieser Triebfeder, nämlich beim Geld, anzusetzen, nicht gefruchtet haben. Weil Sie sich, meine Damen und Herren der Koalition, gegenseitig blockieren, wird da nichts aufgegriffen und in die Tat umgesetzt.
    Herr Marschewski, welches sind denn die Schlupflöcher, die — wie es vorhersehbar war — das Geldwäschegesetz nicht zur vollen Funktionsfähigkeit haben kommen lassen? Zum einen die Tatsache, daß unsere Banken Auslandsdienststellen haben, die sich prächtig als Schlupflöcher für Geldwäsche eignen. Das wissen Sie. Aber Sie haben es nicht abgestellt, obwohl wir Sie dazu aufgefordert haben.
    Zum Zweiten geht es nicht nur um die Umkehr der Beweislast. Wenn Sie mit Praktikern, mit Polizeibeamten reden, sagen die Ihnen genau das gleiche wie mir, nämlich daß Mafia-Geld, Geld das — um es juristisch korrekt auszudrücken — mafiös bemakelt sein könnte, zunächst einmal aus dem Verkehr gezogen und beschlagnahmt werden kann — zunächst wenigstens einmal vorläufig! Lassen Sie uns das doch machen! Damit überwindet vielleicht auch die Koalition die Gefahr, sich gegenseitig zu blockieren. Dann wären wir im Bereich der organisierten Kriminalität, die wir gemeinsam bekämpfen müssen und wollen, einen Schritt weiter.

    (Beifall bei der SPD)

    Jetzt komme ich zum zweiten Bereich, den auch Herr Kanther und Frau Leutheusser-Schnarrenberger angesprochen haben, zur Kriminalität, die über die Grenzen zu uns kommt. Herr Marschewski und Herr Kanther, es ist ein wenig traurig, daß Sie in diesem Zusammenhang immer so unterschwellig auf Asylbewerber oder die ausländische Wohnbevölkerung in Deutschland abheben, obwohl Sie ganz genau wissen, daß dies nicht richtig ist.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

    Zu dem Bereich der Kriminalität, die über die Grenzen zu uns kommt, gehört der internationale Autodiebstahl mit Versicherungsbetrug, Waffenhandel, Drogenhandel, Prostitutionshandel und Organhandel. Dies alles sind Bereiche, in denen sich z. B. durch die unterschiedlichen Gesetze, die wir in unserem Teil der Welt haben, Geld verdienen läßt, sei es bei uns oder woanders. Jeder von Ihnen weiß genau wie wir, daß dagegen nur eines wirklich hilft: die effiziente Zusammenarbeit der Strafverfolgungsbehörden über die Grenzen hinweg und eine Abstimmung der materiellen Gesetzeslage auf der Basis gemeinsamer Grundsätze.
    Sehen Sie sich doch einmal an, wie weit Sie es in den letzten zwölf Jahren gebracht haben! Die Abstimmung der internationalen Grundsätze auf diesem
    Gebiet, ganz zu schweigen von der Angleichung z. B. der Strafgesetze oder des Datenschutzes, steckt doch noch in den Kinderschuhen. Sie wissen auch alle, was Herr Kanther zu Europol gesagt hat. Das war die Übertreibung des Jahrhunderts!

    (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Da haben wir mit der Arbeit gerade erst begonnen!)

    Die EU-Ratspräsidentschaft Deutschlands wäre ein Anlaß gewesen, die Existenzgründungsphase von Europol endlich zu Ende zu bringen und in die Arbeitsfähigkeit einmünden zu lassen.

    (Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl: Hat er doch geschafft!)

    — Nein, er hat es nicht geschafft,

    (Beifall bei der SPD)

    sondern die entsprechenden Beschlüsse sind auf die Zeit der französischen Ratspräsidentschaft verschoben worden. Es wäre gut, wenn Sie hier im Bundestag wenigstens die Wahrheit sagen würden.
    Dazu kommt ein Zweites: Wenn Sie heute einen Amtsrichter in Baden-Baden dazu auffordern, zusammen mit einem Kollegen im Elsaß Strafverfolgung zu betreiben, dann sehen Sie, daß wir heute noch nicht sehr viel weiter sind als vor zehn Jahren, obwohl Frankreich seit langen Jahren unser Partner und Freund ist.
    Dies sind die Punkte, die eine wirksame Kriminalitätsbekämpfung und damit auch den sozialen Rechtsstaat behindern. Hier haben Sie versagt!
    Herr Marschewski, wenn Sie als Forderung großartig herausstreichen, daß man nationalen Geheimdiensten, die im Ausland arbeiten, mehr Kompetenzen zur Verbrechensbekämpfung einräumen sollte, dann bitte ich Sie, noch einmal darüber nachzudenken. Das ist nun wirklich der größte Unfug.

    (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Jetzt bin ich aber dran! Jetzt kriege ich aber nur Prügel!)

    Wenn Sie schon keine rechtsstaatlichen Bedenken haben, dann prüfen Sie das Ganze doch einmal unter dem Gesichtspunkt der Effizienz. Es muß doch darum gehen, daß die Zusammenarbeit der Strafverfolgungsorgane, also Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichte, über die Grenzen hinweg besser wird. Wenn aber jedes Land seinen jeweiligen nationalen Auslands-Geheimdienst mit größeren Kompetenzen ausstattet, dann gibt es immer mehr Abstimmungsprobleme, schon deshalb, weil Geheimdienste nach anderen Grundsätzen arbeiten und auch in Zukunft anders arbeiten werden als Strafverfolgungsorgane. Das tut dem gemeinsamen Ziel der Kriminalitätsbekämpfung mit Sicherheit nicht gut.

    (Norbert Geis [CDU/CSU]: Gegen die Durchsetzung haben Sie sich gesträubt!)

    — Zu Recht, Herr Geis!
    Die Wirklichkeit ist Ihnen in einem weiteren Punkt sehr entglitten, der uns allen zunehmend Schwierigkeiten macht. Die Korruption breitet sich aus. Mittlerweile greifen dieses Thema immer mehr Juristen, Juristentage und auch Journalisten auf. Ich habe es
    386 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Dezember 1994
    Dr. Herta Däubler-Gmelin
    wirklich bedauert, daß Sie, Frau Bundesjustizministerin, und auch der Herr Bundesinnenminister kein einziges Wort dazu gesagt haben. Hier fehlt nicht nur Ihre Gesamtstrategie wie bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität; hier haben Sie überhaupt keine Strategie.
    Und dabei haben wir es Ihnen einfach gemacht. Wir haben Ihnen ein Fünf-Punkte-Programm vorgelegt, das relativ präzise sämtliche Ebenen des Gesamtstaats einbezieht.

    (Detlef Kleinert [Hannover] [F.D.P.]: „Relativ"! )

    — Herr Kleinert, es ist sehr viel präziser als alles, was Sie zu diesem Punkt jemals gesagt haben.

    (Beifall bei der SPD)

    Mir ist überhaupt nicht bewußt, daß Sie sich jemals dazu geäußert hätten. Das ist natürlich bedauerlich, weil Sie ganz genau wissen: Die Bekämpfung von Korruption ist keineswegs nur eine Frage der Moral, sondern zunehmend auch eine Frage des Geldes, das den Steuerzahler belastet. Sie wissen alle mittlerweile, daß durch Auftragsabsprachen, verbunden mit Bestechlichkeit, auf allen Ebenen staatlicher Entscheidungen dreistellige Millionenbeträge in jedem Jahr zuviel gezahlt werden.
    Wo ist denn nun Ihre Gesamtstrategie? Was tun Sie denn dafür, daß hier durchgegriffen wird? Meine Damen und Herren, Sie hätten es in der Hand, nicht nur im Innenbereich durch eine vernünftige Effektivierung der Kontrollmechanismen, sondern auch im Rechtsbereich — da allerdings weniger beim Strafrecht; da sind Änderungen nicht mehr so notwendig —eine Menge zu veranlassen.
    Mich bedrückt dieses Thema noch aus einem ganz anderen Grund. Wir alle beklagen gelegentlich, daß in unserer immer individualistischer und pluraler werdenden Gesellschaft nicht nur der Wertekonsens schwindet, sondern auch das Rechtsbewußtsein. Richtig! Dagegen müssen wir etwas tun. Zum Wertebewußtsein gehört auch, daß in dieser Gesellschaft wieder Konsens darüber hergestellt werden muß, daß sich niemand bestechen lassen darf und daß niemand bestechen darf — beides!

    (Beifall bei der SPD)

    Wie soll sich denn ein Wertekonsens in der Gesellschaft bilden oder auch stärken lassen, solange Sie die steuerliche Abzugsfähigkeit von Schmiergeldern nicht streichen?

    (Dr. Peter Struck [SPD]: Richtig! Sehr gut!)

    Wie soll denn ein Unternehmen, das seine Leute geradezu dazu ausbildet, wie mit Schmiergeldern umzugehen ist, im Ausland ohne jede Kontrolle und im Inland — so wie die Erlasse des Finanzministeriums aussehen — mit sehr begrenzter Kontrolle, dem Grundkonsens verpflichtet sein, daß man sich nicht bestechen lassen darf und nicht bestechen darf?

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Meine Damen und Herren, an diesem Punkt wird sich dann auch zeigen, ob das, was Sie hier im Parlament sagen, auch von Ihnen gewollt wird. Ich sage Ihnen: Wir werden Sie hier nicht aus der Verantwortung entlassen; wir werden darauf drängen, daß man nicht nur dann, wenn es Ihnen paßt, über schwindendes Rechtsbewußtsein redet, sondern wir werden mit großer Sicherheit Wert auch darauf legen, daß Sie, auch wenn es Ihnen nicht paßt, etwas für das Rechtsbewußtsein tun.

    (Beifall bei der SPD)

    Die Entwicklung in der Technik ist Ihnen entglitten. Rechtspolitik zur Steuerung findet in diesem Zusammenhang nicht mehr statt. Tele-Banking, Tele-Shopping, auch z. B. TeleArbeit, Faxe, Telekommunikation, Datennetze, Internet — all das bestimmt vielleicht nicht das Leben der Menschen, die hier im Bundestag sitzen

    (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Parlakom! — Ina Albowitz [F.D.P.]: Sie weiß gar nicht, womit wir uns jeden Tag quälen!)

    — so schlimm wird's nicht sein —, aber es prägt das Geschäftsleben und vor allen Dingen das tägliche Leben der Bürgerinnen und Bürger immer mehr. Aber der Verbraucherschutz, das Verbraucherrecht, der Datenschutz, das Arbeitsrecht und das Arbeitsschutzrecht sind nicht weiterentwickelt worden und nicht auf der Höhe dessen, was uns die technische Wirklichkeit ständig aufgibt. Meine Bitte ist: Es wäre wirklich sinnvoll, daß sich der Bundestag in den kommenden vier Jahren diesen Fragen stellt. Probleme und Verzerrungen zeigen sich jetzt schon an manchen Ecken. Ich denke, daß die Kolleginnen und Kollegen, die sich hier mit dem Schutz von Kindern oder von Frauen oder auch mit rechtspolitischen Fragen beschäftigen, davon schon etwas gehört haben. Heute werden Datennetze, Telekommunikationssysteme für die übelsten Auswüchse von Kinderpornographie und Kinderprostitution, von Frauenhandel und ähnlichem genutzt, alles, was in den Medien, in den Zeitungen und im Fernsehen sicher schon längst verboten wäre.

    (Norbert Geis [CDU/CSU]: Das können wir doch bestrafen!)

    — Nur, Herr Geis, jetzt kommt es doch darauf an: Diese Netze entziehen sich dank Ihrer Untätigkeit nicht nur der Kontrolle; vielmehr kann sich jeder, jeder, der's auf solche schmutzigen Geschäfte anlegt, auch der gesetzlichen Schlupflöcher bedienen.
    Ich sage Ihnen: Wenn wir es damit ernst meinen, daß rechtspolitische Gestaltung und Rechtspolitik den Auftrag haben, unsere Grundwerte in veränderten Wirklichkeiten umzusetzen, dann muß man an das Problem herangehen.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Ich hoffe, daß wir hier mit Ihrer Unterstützung rechnen können. Aber wir werden auch ohne Sie weiter darauf drängen.
    Lassen Sie mich zur Technik noch dies sagen: Ich hätte mich gefreut, wenn es nicht so lange gedauert hätte, bevor sich unsere Bundesregierung im Zusammenhang mit der Bioethikkonvention eindeutig
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    Dr. Herta Däubler-Gmelin
    äußerte und wenn es nicht so mühsam gewesen wäre, diese Stellungnahmen aus ihr herauszukitzeln.

    (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU.]: Damit haben wir überhaupt keine Probleme!)

    Es gibt eine ganze Menge sehr guter Aspekte in dieser Bioethikkonvention, die dem Erfordernis der Abstimmung im europäischen Bereich entsprechen. Daß man allerdings an Embryonen nicht forschen lassen darf, daß in menschliches Keimgut nicht eingegriffen werden darf, daß wir menschliches Leben nicht kategorisieren lassen dürfen und daß Eingriffe, zu welchen Zwecken auch immer, ohne Zustimmung bei hilflosen Menschen nicht erfolgen dürfen, all das sollte eigentlich klar sein.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Ich denke, das ist ein klassischer Fall für den Umgang unserer Rechtspolitik mit der Technik in diesem Haus. In diesem Haus haben die Bioethikkonvention und die Haltung der Bundesregierung keine Rolle gespielt, und als dann einige Kollegen sie noch in die Debatte einbringen wollten, wurde das auf einen Zeitpunkt verschoben, an dem alles zu spät gewesen wäre. So mußten wir mit Hilfe der Öffentlichkeit — leider nicht mit Ihrer Unterstützung — die Notbremse ziehen.
    Ich komme zum Arbeitsleben. Wir alle wissen, daß unser Grundgesetz die folgenden drei Elemente als Essentialia umschließt: die Tatsache, daß Arbeitnehmer Rechte haben und auch Möglichkeit, sie durchzusetzen, Arbeitsschutzrechte und Mitbestimmungsrechte. Bezogen sind alle diese Rechte auf eine Organisation der Arbeit, die sich bei uns längst in Auflösung befindet. Es gibt mittlerweile TeleArbeit, Teilzeitarbeit, ungeschützte Beschäftigungsverhältnisse in Millionenzahl. Immer mehr Menschen werden in die sogenannte unechte Selbständigkeit oder in Verträge der sogenannten freien festen Mitarbeit abgedrängt. Wo sind denn eigentlich Ihre Vorschläge, um genau für diesen wachsenden Personenkreis Recht und Schutz zu sichern? Das alles muß in unserem Parlament aufgegriffen, besprochen und beschlossen werden, auch das gehört zur Sicherung des sozialen Rechtsstaats. Das halten wir für eine Aufgabe der kommenden vier Jahre.

    (Beifall bei der SPD)

    Lassen Sie mich einen Punkt hinzufügen: Wir alle sind immer stolz darauf, daß wir unseren Rechtsstaat loben können und sagen können, er sei verteidigenswert und schützenswert, weil das Recht bekanntlich das Schwert des Schwachen und das geschriebene Recht seine Magna Charta sei und das Schutzsystem des Rechtsstaats dem Schwachen Recht und Gerechtigkeit garantiere.
    Nur, meine Damen und Herren der Regierungsmehrheit, wenn Sie sich einmal umhorchen, was daraus nach Ihren zwölf Jahren Rechtspolitik geworden ist, dann werden Sie uns zustimmen müssen, daß auch von dieser Seite her der Druck auf die Erneuerung des sozialen Rechtsstaats ständig steigt.
    Nehmen Sie nur den Umgang mit den Opfern von Verbrechen in unserem Staat. Man hat zwar jetzt endlich den ersten Schritt zum Täter-Opfer-Ausgleich gemacht. Wenn Sie aber sehen, was Opfer und Zeugen, seien es mißbrauchte Kinder oder vergewaltigte Frauen, heute noch an Quälereien, weniger bei der Polizei, sondern vor Gericht, erleiden müssen, dann wissen Sie genau: Wir werden unter voller Wahrung der Rechte der Beschuldigten hier mehr tun und auch ins Verfahrensrecht eingreifen müssen.
    Wenn Sie dazunehmen, daß die Opferentschädigung, die ohnehin zu gering ist, jetzt auch noch auf die Sozialhilfe angerechnet wird und daß sich Öffentlichkeit und Justizsystem insgesamt mehr um die Täter als um die Opfer kümmern, dann ist klar: Auch hier hakt es in Ihrer Rechtspolitik. Und das müssen wir ändern.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

    Uns alle hat der Satz von Bärbel Bohley: „Wir haben Gerechtigkeit gewollt und den Rechtsstaat bekommen" deswegen so geärgert, Herr Marschewski, weil wir vermutet haben, diesem Satz liege ein gigantisches Mißverständnis von Rechtsstaat zugrunde, weil Rechtsstaat nach unserem Verständnis ohne Gerechtigkeit ja nicht funktionieren kann, keiner ist. Aber ist es nicht doch so, daß Bärbel Bohley den Finger auf eine blutende Wunde gelegt hat? Sie drückt damit immer noch das Lebensgefühl vieler Menschen im Osten aus, die sich außerordentlich stark überfahren fühlen!
    Die Forderung, dies endlich zu verändern, richtet sich keineswegs nur an die neuen Länder selber, sondern geht auch uns hier im Bundestag an. Wir werden Beratungshilfe unterstützen und die Gesetze weiter vereinfachen müssen, wir werden mit Geduld und Hilfe auch den institutionellen Aufbau unterstützen müssen. Das muß sein.
    Wenn es Kritik am Zustand des Rechtsstaats nur im Osten gäbe, wäre das nicht so schlimm. Aber wir haben im Westen unseres Landes mittlerweile eine vergleichbare Lage. „Man geht lieber zum Zahnarzt als vor Gericht" war der Ausspruch, den Sie, Frau Leutheusser-Schnarrenberger, zitiert haben. Er ist die Überschrift über dem Bericht von einer Tagung, die jetzt in Triberg stattgefunden hat. Da haben sich lauter Praktiker, nicht irgendwelche Spinner getroffen. Die wissen, wovon sie reden.
    Sie wissen ganz genau, daß nicht nur Beschleunigung und rechtsstaatliche Vereinfachung, sondern auch die Rechtsdurchsetzung in unserem Staate dringend wieder aufpoliert werden müssen.
    Frau Leutheusser-Schnarrenberger, Sie haben heute nicht erwähnt, daß Sie dabei sind — ich hoffe, mit der Unterstützung der Kolleginnen und Kollegen der Union — die Dreistufigkeit in unserem Gerichtssystem wieder ernsthaft anzustreben.
    Ich sage Ihnen ganz deutlich: Wir wollten sie schon seit Anfang der 70er Jahre. Wir fordern Sie auf, diesen Weg endlich zusammen mit uns einzuschlagen, wenn Sie es mit der Erneuerung des sozialen Rechtsstaats ernst meinen.
    388 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Dezember 1994
    Dr. Herta Däubler-Gmelin
    Ich denke, ich sollte Ihnen am Ende meiner Ausführungen noch einmal den Satz von Gustav Heinemann in Erinnerung rufen, den ich bereits beim letzten Mal in diesem Hause zitiert habe. Heinemann hat in voller Erkenntnis des Wertes unseres Grundgesetzes und dessen, was Rechtspolitik bedeutet, darauf hingewiesen, daß nur derjenige bewahren kann, der zu verändern bereit ist.
    Meine Bitte lautet: Es wäre klug, in diesem Haus mehr über die — positiven und negativen — Erfahrungen mit den Gesetzen der letzten Jahre und mehr über die Ziele zu reden, die wir im Zuge der Erneuerung des sozialen Rechtsstaats anstreben müssen, als ständig diese vordergründigen Schlammschlachten zu führen, an denen wahrscheinlich nicht einmal mehr die Kollegen, die sie betreiben, Spaß haben. Die Zuhörer an den Radios oder Fernsehschirmen, die haben ihn schon lange nicht mehr.
    Herzlichen Dank.

    (Beifall bei der SPD)



Rede von Dr. Antje Vollmer
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Das Wort hat jetzt der Herr Kollege Norbert Geis.

(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ein bewährter innenpolitischer Schlammringer!)


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Norbert Geis


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Keine Vorschußlorbeeren! — Meine sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, wir Redner stimmen heute alle darin überein und jeder beginnt seine Rede damit, daß der Rechtsstaat eine der größten Errungenschaften der letzten 200 Jahre ist, weil er die Freiheit des einzelnen am ehesten gewährleistet. Wir stimmen auch darin überein, daß die Justiz im Rechtsstaat eine entscheidende Rolle spielt, weil sie dem Bürger aus dem Gewirr der Gesetze zu seinem Recht verhelfen muß.
    Frau Ministerin, ich habe mit Interesse gehört, daß Sie gesagt haben, Sie wollten sich mit uns zusammen Gedanken darüber machen, wie es gelingen könnte, die Belastung der Justiz, die zweifellos vorhanden ist, abzubauen. In der Tat haben die Justizminister der Länder Ende November dieses Jahres einstimmig beschlossen, dem Bundestag und der Bundesregierung Vorschläge im Hinblick auf Abbau, auf Straffung und Verbesserung des Prozeßrechts zu machen. Wir wissen, daß dies die Rechtspolitiker natürlich nicht in Begeisterung ausbrechen läßt, lieber Herr Kleinert. Wir haben erst in der vergangenen Legislaturperiode mit großer Mühe das Justizentlastungsgesetz durch die parlamentarischen Beratungen gebracht. Wir wissen auch, daß bei allzu starker Straffung und allzu großer Beschleunigung des jeweiligen Prozesses Rechte des einzelnen nicht so geachtet werden können — jedenfalls besteht diese Gefahr —, wie wenn der Prozeß eine gewisse Zeit lang dauern kann.
    Auf der anderen Seite wissen wir aber auch, daß viele Rechtsuchende sehr lange, oft jahrelang, auf die richtige richterliche Entscheidung warten müssen. Dies ist mit Sicherheit ein untragbarer Zustand. Der rechtsuchende Bürger verliert so das Vertrauen in die Justiz. Daher kann es schon passieren, daß eine Überschrift in eine Zeitung gesetzt wird, wonach es
    schöner ist, zum Zahnarzt zu gehen als zur Justiz, obwohl dabei sicherlich auch andere Momente eine Rolle spielen mögen.
    Wir müssen — das ist richtig — das Prozeßrecht gemeinsam erneut in dieser Legislaturperiode anpakken. Wir müssen das Prozeßrecht sowohl im Strafprozeß als auch im Zivilprozeß neu durchleuchten und abklopfen, ob wir nicht da und dort Erleichterungen, Straffungen, Beschleunigungen durchführen können.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Es wird auch darauf ankommen, daß wir im materiellen Recht nicht erneut den Gerichten zu viele Aufgaben zuweisen. Wir haben in der letzten Legislaturperiode das Insolvenzrecht neu geschaffen. Das Insolvenzrecht wird zweifellos — so notwendig es ist — zu einer neuen Belastung der Richter und der Gerichte führen. Das gleiche gilt für das Betreuungsrecht, das wir in der vorletzten Legislaturperiode bereits beschlossen haben und das vor drei Jahren in Kraft getreten ist; es hat natürlich ebenfalls zu einer großen Belastung der Gerichte geführt.
    Es ist auch nicht einzusehen, daß beispielsweise dann, wenn die Betreuung ganz offensichtlich notwendig ist, eigens eine Verfahrensbetreuung angeordnet werden muß oder daß wir dann, wenn die Gebrechlichkeit ganz offensichtlich ist, ausgiebige gerichtliche Gutachten brauchen, obwohl eine einfache fachärztliche Bestätigung ausreichen würde.
    Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland ungefähr 500 000 Personen, die derzeit einen Betreuer haben. Diese Zahl wird wachsen und damit natürlich zweifellos die Belastung der Gerichte. Das erfüllt uns mit Sorge. Das heißt aber nicht, daß wir das Betreuungsrecht nicht für eine im Prinzip gute gesetzliche Maßnahme halten, gerade angesichts der Altersstruktur unserer Gesellschaft. Es ist gut und richtig, daß die älteren Bürger wissen, daß ihnen ihre Rechte nicht einfach genommen werden können, sondern daß dazu jeweils ein richterlicher Beschluß und ein gewisses Verfahren notwendig sind.
    Die Fachleute sagen uns aber, daß einige Regelungen nicht praktikabel genug sind. Wir müssen darangehen, gerade beim Betreuungsrecht, weil uns dies ständig in der Diskussion vorgehalten wird, über Möglichkeiten nachzudenken, um Regelungen zu verbessern. Ich meine überhaupt, daß wir vielleicht in der jetzigen Legislaturperiode mehr darauf achten müssen — auch unter der Überschrift schlanker Staat —, daß wir eher Regelungen streichen als neue fassen.
    Ein weiteres Feld ist uns bereits jetzt vorgegeben. Wir haben natürlich durch die mögliche Schaffung der kleinen AG noch nicht die Notwendigkeit der Transparenz der AG-Organe geregelt.

    (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Was ist eine kleine AG?)

    — Aktiengesellschaft, Herr Fischer, falls Sie das nicht wissen.

    (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ich bin doch kein Fachmann!)

    Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Dezember 1994 389
    Norbert Geis
    — Na gut! Ich nehme ja gern Ihren Zwischenruf entgegen, um Ihnen klarzumachen, was wir unter AG verstehen. AG heißt Aktiengesellschaft.
    Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir brauchen eine größere Transparenz in den Vorstandsetagen. Wir brauchen eine Regelung, die die Interessenkollision in den Vorstandsetagen verhindert. Aber wir müssen auch dafür sorgen, daß nicht zu viele Vorstandsmitglieder in dem einen und dem anderen Unternehmen im Vorstand sitzen.
    Allerdings beteiligen wir uns nicht an der Polemik gegen die Banken.

    (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Aha!)

    Die Banken sind notwendig, und sie werden immer dann gerufen, wenn die Not am größten ist. Sie sind notwendig auch für Investitionen. Wir beteiligen uns nicht an dieser Polemik gegen die Banken.

    (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Das sind doch keine karitativen Organisationen!)

    Wir sind der Auffassung, daß es richtig ist, wenn die Banken auch in den einzelnen Aufsichtsräten sitzen.

    (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wenn die Not am größten ist, kommt das Rote Kreuz und nicht die Deutsche Bank!)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren, ein weiteres wichtiges Thema in der Rechtspolitik wird das Kindschaftsrecht sein. Hier haben wir ja bereits Gesetzentwürfe vorliegen, die in der letzten Legislaturperiode sogar schon der Bundesregierung vorgelegen haben.
    Hier ist eine Vorbemerkung notwendig: Wir werden keiner Gesetzgebung, Frau Ministerin, zustimmen, die auch nur im entferntesten die Familien schwächen wird. Wir haben im Wahlkampf verkündet, daß wir die Familien stärken wollen. Wir werden dies auch in der kommenden Legislaturperiode halten. Das steht auch im Regierungsprogramm.
    Es besteht ein langer Kampf gegen die Familien. Ich erinnere an den 2. Familienbericht der Bundesregierung aus dem Jahr 1975, in dem den Eltern vorgeworfen wird, sie seien Ungelernte, sie seien Erziehungsamateure,

    (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Unglaublich!)

    und man müsse ihnen bei der Kindererziehung helfen; ja, man müsse ihnen die Kindererziehung abnehmen.

    (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wer hat so etwas geschrieben?)

    Wir meinen, daß wir diesem späten Kulturkampf endlich ein Ende machen sollten.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat so etwas geschrieben?)

    Das heißt nicht, meine sehr verehrten Damen und Herren, Frau Ministerin, daß wir uns gegen notwendige Neuerungen sperren werden, was das Kindschaftsrecht angeht. Natürlich können wir uns Gedanken darüber machen, ob es richtig ist, daß im Falle der Scheidung die elterliche Sorge nur auf einen Elternteil bezogen werden soll, oder ob es nicht besser wäre, zunächst einmal diese elterliche Sorge beiden Elternteilen zu belassen; im Sinne des Kindes wäre dies ganz sicher. Darüber können wir reden.

    (Beifall des Abg. Detlef Kleinert [Hannover] [F.D.P.])

    Wir können auch darüber reden, wie wir es beim nichtehelichen Kind halten, etwa ob dem Vater nicht stärkere Rechte einzuräumen sind. Wir wissen ja, daß es darüber eine breite Diskussion im Land gibt. Der Vater hat bislang überhaupt keine Rechte. Die elterliche Sorge steht allein der Mutter zu.
    Sicher wäre eine Regelung richtig, daß dem Vater dann die elterliche Sorge übertragen wird, wenn die Mutter aus irgendeinem Grund ausfällt und wenn dies im Interesse des Kindes ist. Das gilt auch für das Recht des Vaters auf Umgang mit seinem nichtehelichen Kind, obgleich auch hier ganz brisante Fragen auftauchen, nämlich wie es ist, wenn das Kind in einem Familienverband ist und die Mutter partout nichts mehr mit dem Vater zu tun haben will.
    Hier müssen wir ganz vorsichtig vorgehen. Hier dürfen wir nicht Strukturen durch gesetzliche Regelungen — nur, weil wir meinen, das müßte unbedingt gemacht werden — zerstören. Da werden wir entsprechend reagieren. Wir werden in der Beratung darauf achten, eine gute Regelung zu finden.
    Meine sehr verehrten Damen und Herren, ob es jemandem paßt oder nicht paßt: Wer über das Kindschaftsrecht nachdenkt, kann natürlich nicht am Recht der ungeborenen Kinder vorbeigehen; zumal dies derzeit rechtspolitisch höchste Brisanz hat, wie Sie alle wissen. Ich glaube aber, daß die geplante Fristenregelung, meine sehr verehrten Damen und Herren von der SPD, den jetzigen bedauernswerten Zustand, den wir mit 300 000 Abtreibungen im Jahr haben, nur noch mehr zementieren wird.
    Nach wie vor ist eine der größten Aufgaben, die wir in der Rechtspolitik haben — da stimmen wir mit den Innenpolitikern überein —, die Sorge um die innere Sicherheit. Das Verbrechensbekämpfungsgesetz war ein erster Schritt, und so haben wir es immer gesehen.
    Die Sorge des Deutschen Anwaltsvereins, wir hätten mit der Verbesserung des beschleunigten Verfahrens den Rechtsstaat gefährdet, teilen wir nicht.

    (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Absurd!)

    Wir teilen auch nicht die Sorge eines Hamburger Juraprofessors, der gegen das Verbrechensbekämpfungsgesetz Verfassungsbeschwerde mit der Begründung eingereicht hat, es handele sich hier um einen Verfassungsumsturz. Wenn Professoren in solche Hysterie verfallen,

    (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Publicitysüchtig!)

    390 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Dezember 1994
    Norbert Geis
    dann darf man sich nicht wundern, daß sich Studenten ihr Examenswissen nicht in der Uni, sondern bei Repetitoren holen.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P. — Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber, Herr Geis!)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren, im Rahmen der inneren Sicherheit spielt natürlich der Kampf gegen die Mafia eine entscheidende Rolle. Die Mafia agiert international. Deutschland ist für sie ein hervorragender Standort.

    (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Es ist eine schwere Kritik an Kohl, wenn die Mafia hier einen hervorragenden Standort hat! In Aschaffenburg vor allem!)

    Sie ist deshalb ein hervorragender Standort, weil wir eine ausgezeichnete Infrastruktur haben. — Mein lieber Herr, wir haben in Aschaffenburg immerhin die höchste Aufklärungsrate in der ganzen Bundesrepublik Deutschland, nämlich 67 %.

    (Beifall des Abg. Eduard Oswald [CDU/ CSU])

    Wir liegen weit vor Hessen.

    (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ein Hort des Verbrechens! Wir haben viele unterfränkische Kriminelle in Hessen! Grenzüberschreitende Kriminalität!)

    Aber das wird sich in Kürze ändern, wenn Herr Kanther Ministerpräsident in Hessen wird.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Ohne internationale Zusammenarbeit wird diese Gefahr für unsere Zivilisation kaum zu bannen sein. Deswegen ist es notwendig, daß wir unsere Ermittlungsorgane in die Lage versetzen, die die Ermittlungsorgane in anderen Ländern haben.
    Meine sehr verehrten Damen und Herren von der F.D.P., auch ich würde lieber in einem Staat ohne technische Überwachung von Wohnraum oder ohne den verdeckten Ermittler leben. Aber ich meine, man darf um rechtspolitischer Ideale willen nicht die Sicherheit aufs Spiel setzen.

    (Zustimmung bei Abgeordneten der CDU/ CSU)

    Die Weimarer Republik ist nicht zugrunde gegangen, weil die Deutschen große Sehnsucht nach Hitler gehabt hätten, sondern weil der damalige Staat nicht in der Lage gewesen ist, die gestellten Aufgaben zu lösen. An der Ohnmacht des Staates sind die Menschen verzweifelt. Deswegen kam es zur Diktatur.

    (Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN — Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der ohnmächtige Staat und die Harzburger Front! DeutschNationale Volkspartei als ohnmächtiger Staat! Ich lache mich tot, Herr Geis! Das ist doch albern! Die Herren Krupp und Hugenberg als ohnmächtiger Staat! Wo waren Sie denn im Geschichtsunterricht?)

    Daß die Kriminalität und insbesondere die organisierte Kriminalität heute in der Tat eine Gefahr darstellen, können und dürfen wir nicht verschweigen. Wir müssen dies sehen und müssen entsprechend reagieren. Wer das nicht tut, der handelt nach meiner Auffassung verantwortungslos.
    Natürlich geht es uns dabei auch um das Abschöpfen der Gewinne der Mafia. Auch hier läuft allerdings nichts ohne internationale Zusammenarbeit. Was hilft uns alle berechtigte Kritik am Geldwäschegesetz, und was hilft uns das schönste Geldwäschegesetz, wenn die Verbrecher ihr Kapital ins Ausland transferieren und die Ursprungskriminalität bei uns verbleibt?
    Nach wie vor stehen wir fassungslos vor der Gewaltkriminalität vor allem bei Jugendlichen.

    (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: „Fassungslos" ist gut!)

    Wir erschrecken bei manchem jungen Täter über dessen Grausamkeit und Unempfindlichkeit, mit denen er die Taten begeht. Die Frage, woher dieser Vandalismus an manchen unserer Schulen kommt, ist sehr schnell mit der Behauptung beantwortet, es seien die schlechten sozialen Verhältnisse.

    (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Privatfernsehen!)

    Wenn wir aber genau hinblicken und wenn wir vor allen Dingen die ausländerfeindlichen Taten betrachten, dann sehen wir, daß die Täter aus sehr guten Familienverhältnissen gekommen sind, jedenfalls nach unseren Maßstäben.

    (Zuruf von der PDS: Ein bißchen differenzieren!)

    Ich glaube auch nicht, daß die irrationale Gewaltbereitschaft, die zweifellos da ist, auf ein Aufflackern des Nationalsozialismus zurückgeführt werden kann, was immer wieder behauptet wird. Es mag viele Ursachen haben.