Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Özdemir, ich kann Sie völlig beruhigen: Meine Partei und meine Fraktion haben keine Lust, sich aus der Politik zu verabschieden. Sie haben auch keine Lust, Wolkenschieberei zu betreiben.
— Natürlich gibt es nettere Tage; das habe ich mir in der letzten Zeit auch vorgestellt. Aber manchmal muß man es halt nehmen, wie es kommt. Es war bei euch auch schon einmal besser.
Ich hatte eben bei manchen Reden streckenweise den Eindruck — das sage ich mit aller Ernsthaftigkeit —, als lebte ich in einem anderen Land. Für das Land, in dem ich lebe, stimmen ein Teil der Szenarien, die hier dargestellt worden sind, nicht.
Darauf komme ich noch einmal zurück.
Die Koalitionsvereinbarungen im Bereich der Innen- und Rechtspolitik sind von dem Gedanken getragen, den liberalen Rechtsstaat zu stärken, die Bürgerrechte zu verteidigen, aber auch die Sicherheit der Bürger zu gewährleisten. Die liberale Bürgergesellschaft stellt an die Regierenden hohe Anforderungen. Der Bürger will wissen, daß er am demokratischen Staatsleben teilhaben kann, daß er sich sicher fühlen kann und daß ihm aus einer möglichen Bedürftigkeit herausgeholfen wird. Fragen der inneren Sicherheit, die Behandlung kultureller Angelegenheiten sowie die Politik für Minderheiten als Bestandteile der inneren Verfassung unseres Staates bieten Maßstäbe, mit denen sich die Ausrichtung der Regierungskoalition feststellen läßt.
Die Sicherheit der Bürger ist nicht zum Nulltarif zu haben. Ein Bürger, der ständig in Angst vor Bedrohung lebt, kann seine Freiheit nicht ausleben. Aber niemand darf glauben, daß man Sicherheit erkaufen kann. Es nützt nichts, eine immer weiter gehende technische Aufrüstung der deutschen Sicherheitsbehörden zu betreiben. Ein wesentliches Merkmal bei der Entwicklung technischer Geräte ist nämlich die Tatsache, daß in relativ kurzer Zeit die Entwicklung schon wieder überholt ist. Diese unendliche Spirale produziert meiner Ansicht nach ein ungesundes Kosten-Nutzen-Verhältnis.
380 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Dezember 1994
Ina Albowitz
Meine Auffassung von innerer Sicherheit definiert sich anders. Insoweit, glaube ich, Herr Bundesinnenminister, ist ein Teil der Szenarien, die Sie eben hier dargestellt haben, überzogen. Ich hatte den Eindruck, Sie wollen den Bürgern in diesem Land ein bißchen Angst machen. Ein Teil Ihrer Darstellungen ist Ländervollzugsangelegenheit. Wir sind weniger gefordert.
Neben einer staatlichen Pflicht zur Kriminalitätsbekämpfung ist vor allem der innere Frieden einer Gesellschaft wichtig. Die innere Sicherheit hängt dann davon ab, daß die Polizeibehörden bei der Prävention und bei der Verbrechensbekämpfung die erforderliche Unteistützung erhalten, sowohl in finanzieller und personeller als auch in ideeller Hinsicht. Hier greift die Aufstockung der Mittel für den Bundesgrenzschutz. Damit kann die noch bestehende Personallücke geschlossen werden.
Beim Bundeskriminalamt wird beim AFIS-Fingerabdrucksystem ein erheblicher Betrag zur Effizienzsteigerung aufgebracht. Ich denke, das ist zwingend erforderlich. Im übrigen hoffe ich, daß das neue Personalkonzept des Bundesministers des Innern Erfolg hat, damit beim BKA endlich wieder Ruhe einkehrt. Ein bißchen weniger Pressekonferenzen und ein bißchen mehr Eigenarbeit ständen dem BKA durchaus gut an.
Ebenso wichtig für mich und für meine Partei ist aber der innere Zusammenhalt der Bevölkerung. Eine gute Innenpolitik muß darauf achten, daß die Ränder nicht ausfransen, daß sich einzelne nicht ausgeschlossen fühlen und der Staat ihnen die kalte Schulter zeigt. Wir brauchen ein Klima der Toleranz in unserem Land, damit die Gesetze im Bereich der inneren Sicherheit dann auch akzeptiert werden können.
Ich möchte die Gelegenheit nutzen, der Bundesregierung und vornehmlich dem Herrn Bundeskanzler dafür zu danken, daß sie bei der wirklich schwierigen Menschenrechtslage in der Türkei einen sofortigen Abschiebestopp für Kurden bis zum 20. Januar verfügt hat.
Diese Reaktion auf die unglaublichen Urteile gegen acht Kollegen von uns — es sind Kollegen von uns — hat die volle Zustimmung meiner Partei und meiner Fraktion. Burkhard Hirsch und ich haben sie kurz vor Prozeßbeginn in Ankara besucht. Ich bin so deprimiert, daß ich es Ihnen überhaupt nicht beschreiben kann. Ich bin noch heute deprimiert, obwohl das inzwischen ein Vierteljahr her ist. Wir können einen solchen Anschlag auf die parlamentarische Demokratie gerade in mit uns befreundeten Staaten nicht schweigend hinnehmen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich das als persönliche Bemerkung noch mit einfügen: Es geht um ein Land, in dem ein Mann verhaftet wird, weil er eine Rede vor dem Europarat gehalten hat, nämlich der Mann von Leyla Zana. Leyla Zana ist selbst zu 15 Jahren Haft verurteilt worden, und seit wenigen Tagen weiß ich, daß inzwischen auch ihr Sohn verhaftet worden ist, weil er seine Mutter im Gefängnis besucht hat und sich dort natürlich auch zur Autonomie der Kurden geäußert hat. Ich denke, wir können das so nicht hinnehmen. Je lauter wir von hier aus reden, desto besser ist das.
Herr Innenminister, es geht uns dabei nicht um die Aufweichung des Asylkompromisses, sondern um die Wahrung der Menschenrechte im Fall der Bedrohung von Leib und Leben.
Dieser Verantwortung kann sich kein Politiker entziehen. Das Verfahren nach dem 20. Januar werden wir in diesem Hause mit aller Ernsthaftigkeit zu prüfen haben und dann unsere Entscheidung zu treffen haben.
Der innere Frieden in diesem Land ist auch wesentlich vom Zustand einer Kultur bestimmt. Ich möchte hier ganz kurz noch einmal betonen, daß radikale Kürzungen im Kulturbereich fast nie mehr umkehrbar sind. Die Diskussion, die wir vor einem halben Jahr hier gehabt haben und in deren Verlauf die Bedeutung der Kulturförderung des Bundes deutlich herausgestrichen wurde, gibt mir Hoffnung, daß alle den Stellenwert von Kultur in unserem Land verstanden haben. Dies muß auch in Zeiten knapper Haushalte und Mittelbereitstellungen gelten. Ein Staat, der die Kultur vernachlässigt, schickt seine Bürger in die Orientierungslosigkeit. Kulturförderung ist keine fehlgeleitete Subvention, deren Abbau zur Diskussion steht, sondern sie ist notwendig, um die gesellschaftlichen Kräfte zu erhalten. Neue Initiativen, Kreativität und das gemeinsame Bemühen aller zeigen, wie Kürzungen und Einsparungen auch im Kulturbereich vermieden werden können.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Abschluß noch etwas zum Beitrag der demokratischen Kultur sagen — das ist, so glaube ich, in diesem Hause zu kurz gekommen —, nämlich der politischen Bildung. In diesem Bereich kann, wenn wir uns ein bißchen intensiver damit beschäftigen, schon viel erreicht werden, was zur staatsbürgerlichen Bewußtseinsbildung insbesondere junger Menschen gehört. Unerwünschten radikalen Tendenzen, Ausländerfeindlichkeit, aber auch Politikverdrossenheit kann durch die wirklich wichtige Arbeit der Bundeszentrale für politische Bildung entgegengewirkt werden. Wir sollten sie dabei nicht alleine lassen, auch wenn uns die eine oder andere Publikation nicht gefällt.
Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen.