Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn man die Rede des Bundesinnenministers hört, stellt sich einem insbesondere bei dem Thema der Verbrechensbekämpfung die Frage: Wer regiert hier eigentlich?
Man kann Ihnen, Herr Kanther, auch etwas zurufen: Machen Sie es doch!
Offensichtlich — ich werde nachher noch darauf eingehen — haben Sie einige Probleme innerhalb Ihrer Koalition. Die Kolleginnen und Kollegen von der CDU sollten, wenn es um das Thema „Innere Sicherheit" geht, nicht in Richtung der SPD-Fraktion sehen. Sie sollten sich vielmehr an die Kolleginnen und Kollegen aus der F.D.P.-Fraktion wenden, die hier eine andere Position vertreten.
Herr Kollege Kanther, Sie haben gesagt, daß Sie heute aus bestimmten Gründen nicht ausführlich über Ihre Koalitionsvereinbarung reden. Ich will aber einmal einen Punkt aufgreifen. Wenn man Ihre Koalitionsvereinbarung liest, kann man sehr viel zu den Themen „Bürokratie abbauen" , „Verwaltung straffen", „Verfahren vereinfachen" oder „Rechtsschutz konzentrieren" zur Kenntnis nehmen. Angesichts Ihres vorgebrachten, notwendigen Veränderungsbedarfs zum Thema „Modernisierung des Staates" stellt sich für mich die Frage: Wer hat eigentlich in den letzten zwölf Jahren regiert?
Mein Eindruck ist, daß diese Bundesregierung ihre alten Privatisierungsideologien beibehält. Sie sieht
Privatisierung als das Allheilmittel zur Modernisierung des Staates an.
Das scheint mir ein falscher Weg zu sein.
Es geht vielmehr — hören Sie gut zu — um die Handlungsfähigkeit unseres Staates, um die Zukunft für unsere nachfolgenden Generationen. Wir müssen bei unseren Vorstellungen weg davon, daß es ausschließlich um Kosten und Köpfe geht. Auch stellt sich die Frage, wie der Staat zukünftig seine neu zu bestimmenden Aufgaben in öffentlich-rechtlicher Verantwortung wahrnimmt: durch Privatisierung oder beispielsweise durch die Delegation an privatrechtliche Organisationen.
Bei der Modernisierung des Staates, bei einer Veränderung unserer Verwaltungsstrukturen geht es nicht in erster Linie um das Sparen, nicht nur um die Erhaltung finanzieller Spielräume des Bundes, der Bundesländer und der Kommunen. Nein, es geht um eine moderne, effiziente und sparsame Verwaltung als Standortvoraussetzung für unsere Bundesrepublik Deutschland als investitionsfreundliches Land. Es geht hierbei um Bürgerfreundlichkeit und Bürgernähe der Verwaltung, die zu jeder Zeit deutlich machen muß, daß sie für die Bürgerinnen und Bürger da ist und nicht umgekehrt.
Ich sage ganz deutlich: Alle denkbaren Reformbemühungen müssen davon ausgehen, daß eine Reform nur mit den Beschäftigten und nicht gegen sie möglich ist.
Herr Kollege Kanther, das Zurückschneiden von Vorschriften und die Verbesserung von Qualität, allerdings auch mit der notwendigen Personalkostenreduktion, sind zu verbinden. Ich halte das in der Koalitionsvereinbarung beschlossene Personalwirtschaftskonzept für außerordentlich dürftig. Die Forderung, den Personalbestand in den Bundesbehörden in den nächsten vier Jahren um insgesamt 1 % jährlich zu senken, wird im Grunde genommen der von uns eingebrachten Zielvorstellung zur Modernisierung unseres Staates nicht gerecht. Hier wird mit der Rasenmähermethode vorgegangen. Hier wird nicht darauf geachtet, wie Staat und staatliche Aufgaben verändert, ja angepaßt werden müssen.
Kostendenken und Kostenbewußtsein sind gefragt; weg von der Kameralistik, hin zum betriebswirtschaftlichen Denken. Dazu müssen aber bessere Feststellungsmethoden und Kontrollmechanismen entwickelt werden, mit denen auch der erforderliche Personalaufwand ermittelt und ein Überaufwand vermieden wird.
Ich möchte ein paar Bemerkungen zum Dienstrecht machen. Was das Dienstrecht anbelangt, möchte ich kurz skizzieren, worum es nach meiner Überzeugung geht. Wir brauchen eine funktionsgerechte Bezahlung. Die heutigen Stellenobergrenzen sind leistungsfeindlich. Statt ein mangelhaftes Beurteilungswesen
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Fritz Rudolf Körper
partiell außer Kraft zu setzen, muß das Beurteilungswesen reformiert werden. Die Personalsteuerung sollte im Rahmen einer Personalentwicklungsplanung erfolgen. Nach meiner Auffassung verkennen das Bundesinnenministerium und die Bundesregierung, daß eine grundlegende und umfassende Reform des Laufbahnrechts notwendig ist. Im Prinzip muß künftig der Aufstieg ebenso wie der Laufbahnwechsel nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung möglich sein.
Herr Bundesinnenminister, Sie haben sich sehr stark mit der Verbrechensbekämpfung und der Kriminalität auseinandergesetzt. In den letzten zwölf Jahren — das stellen Sie auch fest — hat insbesondere die organisierte Kriminalität unbekannte Dimensionen erreicht. Im Jahre 1992 waren in Deutschland 641 Ermittlungsverfahren im Bereich der organisierten Kriminalität anhängig. In diesen Verfahren wurden insgesamt 60 564 Einzeldelikte erfaßt. Die Bandbreite dieser Delikte erstreckte sich auf nahezu den gesamten Straftatenkatalog der polizeilichen Kriminalstatistik. Die Bekämpfung der organisierten Kriminalität erfordert eine Gesamtstrategie, die die Bundesregierung nicht hat und auch heute nicht aufgezeigt hat.
Wer dem widerspricht, den möchte ich auf die Koalitionsvereinbarung verweisen. Zu dem Thema „Innere Sicherheit" stehen sage und schreibe zwei nichtssagende Sätze in fünf oder sechs Zeilen. Dies zeigt die Wichtigkeit, die Sie diesem Thema beimessen. Ich meine, dies wird der Sache nicht gerecht.
Das Schlimme ist, daß Sie, Herr Kanther, mit Ihren Positionen handlungsunfähig sind, weil Sie in Ihrer eigenen Koalition für Ihre Vorstellungen keine Mehrheiten bekommen.
Dies wird beispielsweise an dem Zustandekommen des Geldwäschegesetzes deutlich. Obwohl die Bundesregierung erkannt haben soll, daß die Bekämpfung der organisierten Kriminalität bei der wirtschaftlichen Attraktivität ansetzen muß, hat sie entgegen unseren Forderungen das Zustandekommen eines wirksamen Geldwäschegesetzes verhindert. Man beachte, daß nach vorsichtigen Schätzungen des Bundesnachrichtendienstes jährlich in Deutschland sage und schreibe 100 Millionen DM gewaschen werden — ich wiederhole: 100 Milliarden DM.
— Entschuldigung, Milliarden. Herr Fischer, wenn ich mich versprochen haben sollte, korrigiere ich: Milliarden. Es geht nicht um lächerliche Millionen.
— Vielen Dank. Ich freue mich, wenn Sie gut aufpassen. Das erleichtert es dem Redner, seine Rede zu halten.
Meine Damen und Herren, die Aussage der Regierung in ihrer Koalitionsvereinbarung, erst auf der Grundlage eines Erfahrungsberichtes 1996 den möglichen Gesetzgebungsbedarf festzustellen, ist bezeichnend. Es steht nämlich jetzt schon fest, daß dieses Geldwäschegesetz in der Praxis unbrauchbar
— schlicht gesagt: eine Farce — ist.
Da brauche ich keine sozialdemokratischen Experten zu zitieren.
Ich verweise nur auf die Aussage des BKA-Präsidenten Zachert, der sagt: Ganze 2,4 Millionen DM wurden in den letzten zwölf Monaten beschlagnahmt. Präsident Zachert sieht weiteren Reformbedarf.
Wenn Sie, meine Damen und Herren, dem BKA- Präsidenten keinen Glauben schenken, sehen Sie sich doch einmal ein wenig in anderen Erfahrungsberichten um. Wir sind der Auffassung: Wer nicht am Hauptpunkt der wirksamen Geldwäsche ansetzt, verurteilt im Grunde genommen Polizei und Justiz zur Statistenrolle.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat auch in ihrer repressiven Drogenpolitik versagt und damit den gewaltigen Bereich der Beschaffungskriminalität maßgeblich mitzuverantworten.
Wer das Strafrecht für ein geeignetes Mittel der Drogenpolitik hält, sollte der Ehrlichkeit halber zugeben, daß es ihm nicht um die Hilfe für verelendete Menschen geht, sondern um eine repressive Ordnungspolitik und die Demonstration exekutiver Potenz.
Wir wollen den Grundsatz „Hilfe statt Strafen" stärken und erweitern. Ich sage auch, Herr Geis: Der Verelendung langjährig Abhängiger ist mit sozialtherapeutischen Maßnahmen zu begegnen, anstatt sie mit repressiven Mitteln zu verstärken. Daher muß das organisierte Rauschgiftwesen richtig und gut bekämpft werden.
Meine Damen und Herren, ich will auch der Wirtschaftskriminalität hier noch kurze Beachtung schenken. Ich sage ganz deutlich: Mit der SPD wird es keine Politik geben nach dem Motto, die Kleinen zu hängen und die Großen laufen zu lassen.
Ich will das ein bißchen konkret machen, lieber Erwin Marschewski. Es ist unfaßbar und auch unverantwortlich, daß diese Bundesregierung noch immer nicht in der Lage ist, die längst überfällige Novellierung der
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gesetzlichen Grundlagen für die Arbeit des Bundeskriminalamtes vorzulegen.
Hier liegt bis heute kein ernstzunehmender Entwurf vor.
Dies ist im Hinblick auf Schengen und den gescheiterten Verhandlungen mit der EU zur Verabschiedung der Europol-Konvention unverantwortlich und zeigt nach meinem Dafürhalten deutlich das Desinteresse und das Unvermögen dieser Bundesregierung.
Ich sage, Herr Kanther: Sie können im Grunde genommen über den EU-Gipfel in Essen sagen, was Sie wollen. Thema bleibt, daß Europol im Moment versagt. Unsere Aufgabe ist es — ich will die Schwierigkeiten überhaupt nicht wegdiskutieren —, gemeinsam die nationalen Egoismen in der Verbrechensbekämpfung beiseite zu schieben und damit wirksamere Methoden an den Tag zu legen.
Ich will auch ein paar Sätze über die Kulturpolitik verlieren, die ebenfalls zu dem Bereich der Innenpolitik gehört. Lieber Herr Kanther, es ist schon erstaunlich, daß Sie das Thema Kulturpolitik, das auch im Zuge dieser Haushaltsberatungen letztendlich eine Rolle spielen sollte, nicht erwähnt haben. Aber in den Koalitionsvereinbarungen wurde sich ja auch nur mühsam etwas abgerungen. Ich will in diesem Zusammenhang Richard von Weizsäcker zitieren. Er bat in seiner Abschiedsrede am 1. Juli 1994 die Haushälter und Finanzverantwortlichen in Bund, Ländern und Kommunen, sich auch in diesen finanziell schwierigen Zeiten für die Kultur einzusetzen. Denn — so sagte er — „Kultur ist eben kein entbehrlicher Zierat, sondern humane Lebensweise der Bürger". Dem habe ich nichts hinzuzufügen.
Meine Damen und Herren, ich komme zur Zuwanderungspolitik. Ob wir wollen oder nicht, wir tragen hierbei auf zwei Schultern. Das eine ist die Steuerung und Begrenzung des Zuzuges, und das andere betrifft die Integration der auf Dauer mit uns und unter uns lebenden ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern.
Um mit letzterem zu beginnen: Die alte wie die neue Bundesregierung zeigt hierbei eine — lassen Sie es mich einmal so sagen erbärmliche Kontinuität, die in einem Wort zusammenzufassen ist: Fehlanzeige.
Fehlanzeige vor allem bei der überfälligen Reform des Staatsangehörigkeitsrechts. Insbesondere die verehrten Kolleginnen und Kollegen von der F.D.P. können sich schon einmal darauf einstellen, daß sie erneut Gelegenheit bekommen werden, den traurigen Spagat zwischen hehren Parteitagsbeschlüssen einerseits und Koalitionsdisziplin andererseits vorzuführen, indem wir uns konkret für eine deutliche Erleichterung der Einbürgerung mit Zulassung der doppelten Staatszugehörigkeit einsetzen.
— Wenn Sie den Dialog beendet haben, mache ich weiter.
Kommen Sie uns jetzt bitte nicht mit Ihrer Mißgeburt einer sogenannten Kinderstaatszugehörigkeit. Diesem merkwürdigen Konstrukt haben Sie in Wahrheit selbst doch nur eine Lebensdauer von ca. 48 Stunden zugedacht, die Zeit zwischen der Veröffentlichung der Koalitionsvereinbarung und der Wahl des Kanzlers. Jetzt können Sie dieses Ausstellungsstück aus dem Kuriositätenkabinett dorthin tun, wo es hingehört, nämlich in den Papierkorb.
Meine Damen und Herren, was den europäischen Vergleich anbelangt, ist Ihre Kinderstaatszugehörigkeit ein nationaler Irrweg. Wie erklären Sie uns, daß das einzige greifbare Ergebnis zum Schengener Abkommen eine weitere Verschiebung seines Inkrafttretens war? Wo sind die Ansätze einer gerechten Verteilung der Flüchtlinge und der mit ihrer Aufnahme zusammenhängenden Lasten?
Ihre Erfolglosigkeit in Europa paart sich mit Ideenlosigkeit und Reformunwilligkeit auf nationaler Ebene. Das betrifft nicht zuletzt die Asyl- und Flüchtlingspolitik. Ich werde Ihnen jetzt nicht den Gefallen tun, den mittlerweile zwei Jahre alten Asylkompromiß in Frage zu stellen, im Gegenteil. Dazu stehen wir. Sie aber verschanzen sich hinter ihm. Sie wollen nicht wahrhaben, daß Asylpolitik eine lebendige Materie ist, weil sie mit lebendigen Menschen zu tun hat.
Sie stellen sich taub gegenüber der Kritik zahlreicher Flüchtlingsorganisationen am neuen Asylrecht. Sie, die Sie das große „C" im Parteinamen führen, wollen den Kirchen nicht zuhören. Richtig ist: Die Politik muß sich dieser Kritik stellen.
Ich wäre einstweilen ja schon damit zufrieden, wenn der Herr Bundesinnenminister ab und an auf seine Kollegen Innenminister in den Ländern hören würde. Dann gäbe es beispielsweise einen richtigen Abschiebestopp für Kurdinnen und Kurden aus der Türkei und nicht nur ein halbgares Moratorium über die Festtage bis zum 20. Januar.
Auch beim Aufenteltsstatus für Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge müssen Sie Ihre Sprachlosigkeit überwinden und den Ländern ein vernünftiges finan-
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zielles Angebot unterbreiten, damit dieser sogenannte B-Status endlich angewandt werden kann.
— Herr Kollege Hirsch, ich bin der Auffassung, daß auch die Bundesländer ihren Beitrag dazu leisten müssen. Darüber haben wir überhaupt keinen Streit.
Ich will noch einen Satz zu dem Thema der Aussiedlerpolitik sagen. Leider muß ich feststellen, daß die Aussiedlerpolitik gerade in den letzten beiden Jahren aus den Fugen geraten ist, deshalb, weil die Balance zwischen Zuzug und Integration der Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler nicht mehr stimmt. Einst wurde das System der Aussiedlereingliederungsleistungen als Modell für eine erfolgreiche Integration von Einwanderern schlechthin gepriesen. Heute kann davon keine Rede mehr sein. Das Tor bleibt offen, verkünden Sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Aber Sie kümmern sich nicht darum, was hinter der Tür passiert. Damit lassen Sie die Spätaussiedler allein; das lassen Sie die Sozialhilfeträger und andere ausbaden.
Sie sollten zugeben, daß die Hilfen für die deutschen Minderheiten in Rußland und anderswo nur mäßig wirksam sind. Sie sollten sich eingestehen, daß der Auswanderungsdruck unverändert hoch ist. Erst dann sind die Voraussetzungen für eine notwendige Neubesinnung in der Aussiedlerpolitik dieser Bundesregierung geschaffen.
Immerhin knirscht es schon im Gebälk der Bundesregierung, und ich habe aufmerksam registriert, daß sich der Kollege Blüm als Angehöriger der Bundesregierung jüngst aus arbeitsmarktpolitischen Gründen für eine Begrenzung des Aussiedlerzuzugs ausgesprochen hat. Ich bin der Auffassung, darüber muß man weiter nachdenken.
Meine Damen und Herren, die Innenpolitik kann mit Sicherheit auf vielen Feldern zum notwendigen sozialen Frieden beitragen. Innerer Friede und innere Sicherheit können nicht ausschließlich mit staatlichen Maßnahmen gewährleistet werden. Nein, es ist eine gemeinsame, eine gesellschaftspolitische Aufgabe, in der wir uns klar und deutlich mit Gewalt und Aggression auseinandersetzen müssen.
Aber Zivilcourage zu stärken, solidarisches Handeln zu fördern und persönliches Engagement zu unterstützen ist notwendiger denn je. Sie, Herr Kanther, haben aber mit Ihrer Politik dazu bisher nicht viel beigetragen.
Schönen Dank.