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    Plenarprotokoll 13/8 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 8. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 14. Dezember 1994 Inhalt: Glückwünsche zu den Geburtstagen der Abgeordneten Wolfgang Vogt (Düren) und Dr. Alfred Dregger 313B Neubezeichnung eines Ausschusses 313 B Erweiterung und Ablauf der Tagesordnung 313 B Zur Geschäftsordnung Manfred Müller (Berlin) PDS 313 D Joachim Hörster CDU/CSU 314 B Werner Schulz (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 314 C Tagesordnungspunkt 1: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1995 (Haushaltsgesetz 1995) (Drucksache 13/50) b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Der Finanzplan des Bundes 1994 bis 1998 (Drucksache 12/8001) c) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht über den Stand und die voraussichtliche Entwicklung der Finanzwirtschaft (Drucksache 13/76) Dr. Theodor Waigel, Bundesminister BMF 315 C Ingrid Matthäus-Maier SPD 324 C, 366 D Hartmut Schauerte CDU/CSU 330 B Gunnar Uldall CDU/CSU 332 A Adolf Roth (Gießen) CDU/CSU 335 B Otto Schily SPD 336 D Christine Scheel BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 339 B Dr. Hermann Otto Solms F.D.P. 342 A Ingrid Matthäus-Maier SPD 343 B Dr. Barbara Höll PDS 347 C Joachim Poß SPD 349 C Dr. Hermann Otto Solms F.D.P. 349 D Dr. Kurt Faltlhauser CDU/CSU 351 D Hansgeorg Hauser (Rednitzhembach) CDU/ CSU 354 B Elisabeth Altmann (Pommelsbrunn) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 355 C Oswald Metzger BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 357 C Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) F.D.P. 359C Detlev von Larcher SPD 360 B Dr. Peter Struck SPD 361 D Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) F.D.P. 362 A, 364 A Dietrich Austermann CDU/CSU 364 B Dr. Uwe-Jens Rudi Rössel PDS 367 B Manfred Kanther, Bundesminister BMI 369 B Fritz Rudolf Körper SPD 371 A Erwin Marschewski CDU/CSU 374 C Johannes Singer SPD 374 D Dr. Burkhard Hirsch F.D.P. 375 D II Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Dezember 1994 Cern Özdemir BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 377 C Ina Albowitz F D P 379C Ulla Jelpke PDS 381 A Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin BMJ 381 D Dr. Herta Däubler-Gmelin SPD 384 A Norbert Geis CDU/CSU 388 A, 392 B Gerald Häfner BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 392 A Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 392 C Dr. Uwe-Jens Heuer PDS 393 C Nächste Sitzung 394 D Berichtigung 394 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten 395* Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Dezember 1994 313 8. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 14. Dezember 1994 Beginn: 9.00 Uhr
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    Berichtigung 7. Sitzung, Seite 307 A, Zeile 22: Statt „15 %" ist „50 %" zu lesen. Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 8. Sitzung. Borm, Mittwoch, den 14. Dezember 1994 395* Anlage zum Stenographischen Bericht (C) Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Antretter, Robert SPD 14. 12. 94 * Borchert, Jochen CDU/CSU 14. 12. 94 Conradi, Peter SPD 14. 12. 94 Dr. Eid-Simon, Ursula BÜNDNIS 14. 12. 94 90/DIE GRÜNEN Heym, Stefan PDS 14. 12. 94 Hörsken, Heinz-Adolf CDU/CSU 14. 12. 94 Iwersen, Gabriele SPD 14. 12. 94 Sauer (Stuttgart), Roland CDU/CSU 14. 12. 94 Schmidt-Zadel, Regina SPD 14. 12. 94 Schumann, Ilse SPD 14. 12. 94 Vergin, Siegfried SPD 14. 12. 94 Wallow, Hans SPD 14. 12. 94 Warnick, Klaus-Jürgen PDS 14. 12. 94 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Manfred Kanther


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die Kriminalitätsbekämpfung ist eine der wichtigsten Aufgaben der Innen- und natürlich auch Rechtspolitik. Weil sich die Kriminalitätslage in unseren Zeiten so schnell wandelt wie noch nie, haben wir schnelle und unterschiedliche Antworten zu geben.
    Wir erleben eine erschreckende Zunahme an Brutalität im Alltag, die auf Menschen keine Rücksicht nimmt. Wir müssen mit neuen Formen der Bedrohung leben: neuen Rauschgiftrouten, ungeahntem Waffenhandel sowie Plutoniumschmuggel, einer Form von Kriminalität mit ungeahnter Gefährlichkeit für die Zukunft. Zudem haben die politischen Veränderungen in Osteuropa dazu geführt, daß Deutschland wieder zu einem Tor zwischen Ost und West geworden ist, leider aber auch mit negativen Begleiterscheinungen: nämlich zu einem Tor, durch das zunehmend die grenzüberschreitende Kriminalität, die sich ständig verstärkt, ihren Weg gefunden hat.
    Das verlangt Zusammenarbeit zwischen den demokratischen Parteien in der Bekämpfung dieses Phänomens und Zusammenarbeit weit über unsere Grenzen hinaus. Daß wir das intern, wenn es not tut, leisten können, ist mit dem Verbrechensbekämpfungsgesetz bewiesen worden. Es wäre durchaus wünschenswert, wenn es in Zukunft mit weniger Gezerre geleistet werden könnte, weil es auf die Bürger überzeugender wirkt, wenn ein gemeinsamer politischer Wille zum Handeln in diesen Fragen, die man nicht sonderlich zwischen Parteien trennen kann, zu bemerken wäre.
    Das Verbrechensbekämpfungsgesetz stellt nach meiner Überzeugung einen ersten bedeutenden Schritt dar. Es werden weitere Maßnahmen folgen müssen, um dem Anstieg der Kriminalität und dem damit verbundenen materiellen, aber auch gesellschaftlichen Schaden mit der erforderlichen Konsequenz entgegenzutreten. Sonst drohen angesichts der rasanten weltweiten Kriminalitätsentwicklung infolge Internationalisierung und Technisierung des organisierten Verbrechens gewaltige Schäden. Wir müssen verstärkt dazu kommen, die präventiven, die vorbeugenden Möglichkeiten der Kriminalitätsbekämpfung zu nutzen. Es darf nicht so bleiben, daß sich die Verbrecher zwar modernster Kommunikationsmittel bedienen können, international arbeiten und die neuesten Managementmethoden aus der Wirtschaft abgucken,

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    die Sicherheitsbehörden aber nicht gleichermaßen in der Lage sind, z. B. mit modernster Technik zu arbeiten.

    (Zuruf von der SPD: Ja, dann machen Sie es doch!)

    Deshalb ist das Abhören von Gangsterwohnungen eine ebenso unentbehrliche Maßnahme wie etwa die Verwendung von Ermittlungsergebnissen der Geheimdienste im Kampf gegen das Verbrechen oder die Verlängerung der Kronzeugenregelung.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Technische Sicherungen gegen den bandenmäßigen Kraftfahrzeugdiebstahl, den Mißbrauch von Kreditkarten oder drohende Gefahren im Bereich elektronisch gesteuerter Dienstleistungen beweisen neue Chancen der Technik in der Verbrechensbekämpfung. Ich sage voraus, daß sich sogar neue Chancen wirtschaftlicher Art für diejenigen erweisen werden, die zuerst den werblichen Faktor der Sicherheit in Produkten und Dienstleistungen richtig erkennen.
    Die Koalition stellt sich diesen Herausforderungen, die sich für den Rechtsstaat aus der weiter ansteigenden Bedrohung durch das Verbrechen ergeben. Daß wir in der Koalition nicht in allen Punkten völlig einig sind, ist offenkundig. Wir werden dieses Einvernehmen im Laufe der Zeit herstellen. Wir befinden uns im ersten Monat der Legislaturperiode, und ich meine, wir werden ein anderes Ergebnis in ihrem letzten Monat haben, nämlich eines, das der Verbrechensbekämpfung mit modernsten Methoden weiteren Raum gegeben hat.
    Wir werden also die jetzt geschaffenen Vorschriften des Gesetzes zur Bekämpfung des organisierten Verbrechens oder des Verbrechensbekämpfungsgesetzes bis Anfang 1996 sorgfältig analysieren, praktische Erfahrungen in diese Überprüfung einfließen lassen und dies alles in einem nationalen Kriminalitätsbekämpfungsplan unterbringen, unter Beteiligung von Bund und Ländern, die dabei unverzichtbar mitwirken müssen. Wir haben in der Koalitionsvereinbarung in einer Vielzahl von Punkten den dringlichsten
    370 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Dezember 1994
    Bundesminister Manfred Kanther
    Handlungsbedarf angesprochen: z. B. Verfahrensbeschleunigung, Opfer- und Zeugenschutz, die Notwendigkeit, die Untersuchungshaft bei Jugendlichen und den Jugendstrafvollzug zu überprüfen. Das alles wird schnell angepackt. Wir werden haushaltsmäßig durch eine entsprechende Prioritätensetzung wirksame Bedingungen für die Verbrechensbekämpfung schaffen. Der Haushalt der Sicherheitsbehörden steigt deutlich höher, wofür ich dankbar bin, als der Haushalt im Ganzen.
    Deutschland ist keine Insel bei der Kriminalitätsbekämpfung, sondern Deutschland ist durch seine zentrale Lage ein schlimmes Betätigungsfeld für international operierende Straftäter. Insbesondere die Grenzöffnungen zu unseren östlichen Nachbarn haben auch die Kriminalitätsszenerie in Deutschland nachhaltig verändert. Es ist leider wahr, daß die Gruppen der Asylbewerber oder Pseudotouristen besonders kriminalitätsbelastet sind, und zwar diejenigen, die nur kurze Zeit in unserem Land verweilen, kriminell hineingeschleppt werden, häufig schon zum Zwecke illegaler Arbeit oder von Straftatenbegehung. Dies kann niemanden freuen. Hier zeigt sich eine schlimme Verbindung zwischen grenzüberschreitender Schleuserkriminalität, weltweit wirkenden Verbrecherorganisationen und den Reflexen im Inland. Auf diese Wechselwirkungen stellen wir uns ein, insbesondere durch den Ausbau der Grenzsicherung, was den BGS vor besonders wichtige Aufgaben stellt. Das findet sich übrigens auch im Haushalt wieder.
    Wir müssen die europäische Seite der Verbrechensbekämpfung stärken. Wir haben dort einen erheblichen Nachholbedarf im Bewußtsein unserer Partner. Unsere Bemühungen in dieser Präsidentschaft sowohl zum Thema Europol wie zum Thema burden sharing im Bereich von Asyl- und Flüchtlingswesen, wie in der Frage von Wegfahrsperren für Kraftfahrzeuge werden nun einmal zu meinem Bedauern nicht gleichermaßen von all unseren Partnern beantwortet. Ich bin froh, daß der Gipfel in Essen wichtige Leitentscheidungen zum Thema Europol oder auch z. B. zum Ausbau der EDE (Europäische Drogeneinheit) als Vorstufe von Europol gegeben hat, um Menschenhandel, um Nuklearkriminalität und gewerbsmäßigen Kraftfahrzeugdiebstahl in einen großen Straftatenkatalog aufzunehmen, der schrittweise in die Arbeit von Europol hineinführt. Kein Zweifel, Herr Kollege, mir wäre mehr lieber gewesen. Aber ich kann nicht darüber hinweg, daß es in Europa immer noch Staatsmänner gibt, die sich über die Frage der Rechnungsprüfung bei Europol tagelang mit anderen streiten können und das für wichtiger halten als die Bekämpfung von Terrorismus oder organisiertem Kraftfahrzeugdiebstahl. Das zu ändern liegt nicht in der Hand der Bundesregierung.

    (Johannes Singer [SPD]: Dafür ist Überzeugungskraft nötig!)

    — Ich glaube nicht, daß es an meiner Überzeugungskraft gelegen hat. In anderen alten Nationalstaaten haben die Fragen der Souveränität bei der Verbrechensbekämpfung und bei Angelegenheiten von Polizei und Justiz einen derart herausgehobenen Stellenwert, daß sie selbst zu kleinen weiteren Schritten nur
    mühsam zu bewegen sind. Solche Schritte sind getan und werden weiter getan.

    (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Die haben begriffen, daß sie ihre Souveränität nicht so schnell aufgeben wollen!)

    Von besonderer Bedeutung ist das Zusammenwirken mit den Ländern in der Kriminalitätsbekämpfung ebenso wie anderen Fragen des inneren Friedens, in der Frage der Ausländerpolitik ganz besonders. Es geht nicht an, daß die Länder freihändig, je nachdem, wie es einem gerade am bequemsten ist, der eigenen Verantwortung auszuweichen, ihre Abschiebestopps verhängen und damit den Asylkompromiß durch die Hintertür unterlaufen. Das geht nicht.

    (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sie verbieten die PKK und zwingen jeden Kurden, sich zur PKK zu bekennen, wenn er abgeschoben wird! Was für eine groteske Situation!)

    Ich bin in der letzten Innenministerkonferenz von den Abschiebestoppvorschlägen betreffend Aserbaidschan, Armenien, türkische Christen, Kurden, Togo, Zaire und sämtliche Altfälle heimgesucht worden. Sie müssen sich nur einmal an einem Beispiel die sozialdemokratische Politik vorführen lassen.
    Da wird von Bremen ein Abschiebestopp für Togo verlangt. Weil sich dafür niemand erwärmt, wird der Antrag in der Sitzung zurückgenommen. Heute morgen lese ich in der Zeitung, daß Schleswig-Holstein die Abschiebung nach Togo wieder gestoppt hat.
    In der vorigen Woche habe ich die Visumfreiheit für Togo — und einige andere schwarzafrikanische Staaten — aufheben müssen, weil übelstes Schlepperwesen die Visumfreiheit in Togo und die Tatsache, daß Rußland nicht sicheres Herkunftsland ist, zum Einschleppen von Tausenden von Togolesen von Togo über Moskau nach München — weil es da ein Togo-Generalkonsulat gibt benutzt hat. Das ist die Realität einer Länderpolitik, die der Verantwortung ausweicht. Das geht nicht.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wir werden in dem derzeit wichtigsten Fall der Abschiebeproblematik bis zum 20. Januar einen Abschiebestopp miteinander beachten. Dem habe ich zugestimmt, weil das türkische Abgeordnetenurteil in der Tat von so besonderer Bedeutung auch für die beidseitigen Beziehungen unter den Aspekten von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit ist, daß es gründlich geprüft werden möge.
    Wenn es hingegen lediglich Bezüge zum Thema PKK hat, was nicht unser reales Abschiebeproblem darstellt, und keine Bezüge zum allgemeinen Kurdenthema besitzt — Herr Schnoor hat mir erklärt, daß er im vergangenen Jahr 1 000 Kurden als normale Asylbewerber abgeschoben hat, die keinen Berechtigungsstatus in Deutschland gewinnen konnten —, dann ist es selbstverständlich, daß die Abschiebung wieder aufgenommen werden muß.
    Denn wenn wir in der Welt den Eindruck entstehen lassen, daß man nach Deutschland nur hereinkommen muß, um dann vor Abschiebung sicher zu sein, kann es
    Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Dezember 1994 371
    Bundesminister Manfred Kanther
    nicht zweifelhaft sein, daß wir den Zugang nicht beherrschen werden und erneut die innenpolitischen Probleme wie in der Zeit vor dem Asylkompromiß haben werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Es sind zu viele und aus aller Welt, die überwiegend kriminell geschleppt in dieses Land drängen, als daß wir unter bevorzugt humanitären Aspekten dieses dulden könnten. Das wird nicht geschehen.
    Das Ausländerrecht hat nicht nur die Funktion, ausländerrechtliche Probleme im Sinne von Rechtsansprüchen der Ausländer zu regeln, sondern natürlich auch die Funktion, die inländische Gesellschaft vor einem solch unbeherrschbaren Zustrom von Ausländern oder gar rechtswidrigen Verhalten im Inland zu sichern. Beide Komponenten des Ausländerrechts werden diese Bundesregierung und diese Koalition weiter wesentlich beachten.
    Ich danke Ihnen.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da klatscht ja keiner von der F.D.P.! Was ist denn los?)



Rede von Dr. Antje Vollmer
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Das Wort hat nun der Abgeordnete Fritz Rudolf Körper.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Fritz Rudolf Körper


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn man die Rede des Bundesinnenministers hört, stellt sich einem insbesondere bei dem Thema der Verbrechensbekämpfung die Frage: Wer regiert hier eigentlich?

    (Beifall bei der SPD)

    Man kann Ihnen, Herr Kanther, auch etwas zurufen: Machen Sie es doch!

    (Beifall bei der SPD)

    Offensichtlich — ich werde nachher noch darauf eingehen — haben Sie einige Probleme innerhalb Ihrer Koalition. Die Kolleginnen und Kollegen von der CDU sollten, wenn es um das Thema „Innere Sicherheit" geht, nicht in Richtung der SPD-Fraktion sehen. Sie sollten sich vielmehr an die Kolleginnen und Kollegen aus der F.D.P.-Fraktion wenden, die hier eine andere Position vertreten.

    (Ina Albowitz [F.D.P.]: Schlimm genug, daß Sie sie nicht vertreten!)

    Herr Kollege Kanther, Sie haben gesagt, daß Sie heute aus bestimmten Gründen nicht ausführlich über Ihre Koalitionsvereinbarung reden. Ich will aber einmal einen Punkt aufgreifen. Wenn man Ihre Koalitionsvereinbarung liest, kann man sehr viel zu den Themen „Bürokratie abbauen" , „Verwaltung straffen", „Verfahren vereinfachen" oder „Rechtsschutz konzentrieren" zur Kenntnis nehmen. Angesichts Ihres vorgebrachten, notwendigen Veränderungsbedarfs zum Thema „Modernisierung des Staates" stellt sich für mich die Frage: Wer hat eigentlich in den letzten zwölf Jahren regiert?
    Mein Eindruck ist, daß diese Bundesregierung ihre alten Privatisierungsideologien beibehält. Sie sieht
    Privatisierung als das Allheilmittel zur Modernisierung des Staates an.

    (Norbert Geis [CDU/CSU]: Das sagt doch keiner!)

    Das scheint mir ein falscher Weg zu sein.

    (Beifall bei der SPD)

    Es geht vielmehr — hören Sie gut zu — um die Handlungsfähigkeit unseres Staates, um die Zukunft für unsere nachfolgenden Generationen. Wir müssen bei unseren Vorstellungen weg davon, daß es ausschließlich um Kosten und Köpfe geht. Auch stellt sich die Frage, wie der Staat zukünftig seine neu zu bestimmenden Aufgaben in öffentlich-rechtlicher Verantwortung wahrnimmt: durch Privatisierung oder beispielsweise durch die Delegation an privatrechtliche Organisationen.
    Bei der Modernisierung des Staates, bei einer Veränderung unserer Verwaltungsstrukturen geht es nicht in erster Linie um das Sparen, nicht nur um die Erhaltung finanzieller Spielräume des Bundes, der Bundesländer und der Kommunen. Nein, es geht um eine moderne, effiziente und sparsame Verwaltung als Standortvoraussetzung für unsere Bundesrepublik Deutschland als investitionsfreundliches Land. Es geht hierbei um Bürgerfreundlichkeit und Bürgernähe der Verwaltung, die zu jeder Zeit deutlich machen muß, daß sie für die Bürgerinnen und Bürger da ist und nicht umgekehrt.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich sage ganz deutlich: Alle denkbaren Reformbemühungen müssen davon ausgehen, daß eine Reform nur mit den Beschäftigten und nicht gegen sie möglich ist.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Herr Kollege Kanther, das Zurückschneiden von Vorschriften und die Verbesserung von Qualität, allerdings auch mit der notwendigen Personalkostenreduktion, sind zu verbinden. Ich halte das in der Koalitionsvereinbarung beschlossene Personalwirtschaftskonzept für außerordentlich dürftig. Die Forderung, den Personalbestand in den Bundesbehörden in den nächsten vier Jahren um insgesamt 1 % jährlich zu senken, wird im Grunde genommen der von uns eingebrachten Zielvorstellung zur Modernisierung unseres Staates nicht gerecht. Hier wird mit der Rasenmähermethode vorgegangen. Hier wird nicht darauf geachtet, wie Staat und staatliche Aufgaben verändert, ja angepaßt werden müssen.
    Kostendenken und Kostenbewußtsein sind gefragt; weg von der Kameralistik, hin zum betriebswirtschaftlichen Denken. Dazu müssen aber bessere Feststellungsmethoden und Kontrollmechanismen entwickelt werden, mit denen auch der erforderliche Personalaufwand ermittelt und ein Überaufwand vermieden wird.
    Ich möchte ein paar Bemerkungen zum Dienstrecht machen. Was das Dienstrecht anbelangt, möchte ich kurz skizzieren, worum es nach meiner Überzeugung geht. Wir brauchen eine funktionsgerechte Bezahlung. Die heutigen Stellenobergrenzen sind leistungsfeindlich. Statt ein mangelhaftes Beurteilungswesen
    372 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Dezember 1994
    Fritz Rudolf Körper
    partiell außer Kraft zu setzen, muß das Beurteilungswesen reformiert werden. Die Personalsteuerung sollte im Rahmen einer Personalentwicklungsplanung erfolgen. Nach meiner Auffassung verkennen das Bundesinnenministerium und die Bundesregierung, daß eine grundlegende und umfassende Reform des Laufbahnrechts notwendig ist. Im Prinzip muß künftig der Aufstieg ebenso wie der Laufbahnwechsel nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung möglich sein.

    (Beifall bei der SPD)

    Herr Bundesinnenminister, Sie haben sich sehr stark mit der Verbrechensbekämpfung und der Kriminalität auseinandergesetzt. In den letzten zwölf Jahren — das stellen Sie auch fest — hat insbesondere die organisierte Kriminalität unbekannte Dimensionen erreicht. Im Jahre 1992 waren in Deutschland 641 Ermittlungsverfahren im Bereich der organisierten Kriminalität anhängig. In diesen Verfahren wurden insgesamt 60 564 Einzeldelikte erfaßt. Die Bandbreite dieser Delikte erstreckte sich auf nahezu den gesamten Straftatenkatalog der polizeilichen Kriminalstatistik. Die Bekämpfung der organisierten Kriminalität erfordert eine Gesamtstrategie, die die Bundesregierung nicht hat und auch heute nicht aufgezeigt hat.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

    Wer dem widerspricht, den möchte ich auf die Koalitionsvereinbarung verweisen. Zu dem Thema „Innere Sicherheit" stehen sage und schreibe zwei nichtssagende Sätze in fünf oder sechs Zeilen. Dies zeigt die Wichtigkeit, die Sie diesem Thema beimessen. Ich meine, dies wird der Sache nicht gerecht.

    (Beifall bei der SPD)

    Das Schlimme ist, daß Sie, Herr Kanther, mit Ihren Positionen handlungsunfähig sind, weil Sie in Ihrer eigenen Koalition für Ihre Vorstellungen keine Mehrheiten bekommen.

    (Beifall bei der SPD)

    Dies wird beispielsweise an dem Zustandekommen des Geldwäschegesetzes deutlich. Obwohl die Bundesregierung erkannt haben soll, daß die Bekämpfung der organisierten Kriminalität bei der wirtschaftlichen Attraktivität ansetzen muß, hat sie entgegen unseren Forderungen das Zustandekommen eines wirksamen Geldwäschegesetzes verhindert. Man beachte, daß nach vorsichtigen Schätzungen des Bundesnachrichtendienstes jährlich in Deutschland sage und schreibe 100 Millionen DM gewaschen werden — ich wiederhole: 100 Milliarden DM.

    (Ina Albowitz [F.D.P.]: Man muß sich schon entscheiden! — Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In der Bundesrepublik Deutschland ist beides möglich!)

    — Entschuldigung, Milliarden. Herr Fischer, wenn ich mich versprochen haben sollte, korrigiere ich: Milliarden. Es geht nicht um lächerliche Millionen.

    (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sehr gut!)

    — Vielen Dank. Ich freue mich, wenn Sie gut aufpassen. Das erleichtert es dem Redner, seine Rede zu halten.
    Meine Damen und Herren, die Aussage der Regierung in ihrer Koalitionsvereinbarung, erst auf der Grundlage eines Erfahrungsberichtes 1996 den möglichen Gesetzgebungsbedarf festzustellen, ist bezeichnend. Es steht nämlich jetzt schon fest, daß dieses Geldwäschegesetz in der Praxis unbrauchbar
    — schlicht gesagt: eine Farce — ist.

    (Beifall bei der SPD)

    Da brauche ich keine sozialdemokratischen Experten zu zitieren.

    (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Gibt es so einen?)

    Ich verweise nur auf die Aussage des BKA-Präsidenten Zachert, der sagt: Ganze 2,4 Millionen DM wurden in den letzten zwölf Monaten beschlagnahmt. Präsident Zachert sieht weiteren Reformbedarf.
    Wenn Sie, meine Damen und Herren, dem BKA- Präsidenten keinen Glauben schenken, sehen Sie sich doch einmal ein wenig in anderen Erfahrungsberichten um. Wir sind der Auffassung: Wer nicht am Hauptpunkt der wirksamen Geldwäsche ansetzt, verurteilt im Grunde genommen Polizei und Justiz zur Statistenrolle.

    (Beifall bei der SPD)

    Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat auch in ihrer repressiven Drogenpolitik versagt und damit den gewaltigen Bereich der Beschaffungskriminalität maßgeblich mitzuverantworten.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Wer das Strafrecht für ein geeignetes Mittel der Drogenpolitik hält, sollte der Ehrlichkeit halber zugeben, daß es ihm nicht um die Hilfe für verelendete Menschen geht, sondern um eine repressive Ordnungspolitik und die Demonstration exekutiver Potenz.

    (Beifall bei der SPD — Norbert Geis [CDU/ CSU]: Aber jetzt werden Sie wieder links! — Vorher war er rechts!)

    Wir wollen den Grundsatz „Hilfe statt Strafen" stärken und erweitern. Ich sage auch, Herr Geis: Der Verelendung langjährig Abhängiger ist mit sozialtherapeutischen Maßnahmen zu begegnen, anstatt sie mit repressiven Mitteln zu verstärken. Daher muß das organisierte Rauschgiftwesen richtig und gut bekämpft werden.
    Meine Damen und Herren, ich will auch der Wirtschaftskriminalität hier noch kurze Beachtung schenken. Ich sage ganz deutlich: Mit der SPD wird es keine Politik geben nach dem Motto, die Kleinen zu hängen und die Großen laufen zu lassen.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich will das ein bißchen konkret machen, lieber Erwin Marschewski. Es ist unfaßbar und auch unverantwortlich, daß diese Bundesregierung noch immer nicht in der Lage ist, die längst überfällige Novellierung der
    Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Dezember 1994 373
    Fritz Rudolf Körper
    gesetzlichen Grundlagen für die Arbeit des Bundeskriminalamtes vorzulegen.

    (Dieter Wiefelspütz [SPD]: Schämen Sie sich!)

    Hier liegt bis heute kein ernstzunehmender Entwurf vor.

    (Norbert Geis [CDU/CSU]: Das stimmt nicht!)

    Dies ist im Hinblick auf Schengen und den gescheiterten Verhandlungen mit der EU zur Verabschiedung der Europol-Konvention unverantwortlich und zeigt nach meinem Dafürhalten deutlich das Desinteresse und das Unvermögen dieser Bundesregierung.

    (Norbert Geis [CDU/CSU]: Maßlos übertrieben, Herr Kollege!)

    Ich sage, Herr Kanther: Sie können im Grunde genommen über den EU-Gipfel in Essen sagen, was Sie wollen. Thema bleibt, daß Europol im Moment versagt. Unsere Aufgabe ist es — ich will die Schwierigkeiten überhaupt nicht wegdiskutieren —, gemeinsam die nationalen Egoismen in der Verbrechensbekämpfung beiseite zu schieben und damit wirksamere Methoden an den Tag zu legen.
    Ich will auch ein paar Sätze über die Kulturpolitik verlieren, die ebenfalls zu dem Bereich der Innenpolitik gehört. Lieber Herr Kanther, es ist schon erstaunlich, daß Sie das Thema Kulturpolitik, das auch im Zuge dieser Haushaltsberatungen letztendlich eine Rolle spielen sollte, nicht erwähnt haben. Aber in den Koalitionsvereinbarungen wurde sich ja auch nur mühsam etwas abgerungen. Ich will in diesem Zusammenhang Richard von Weizsäcker zitieren. Er bat in seiner Abschiedsrede am 1. Juli 1994 die Haushälter und Finanzverantwortlichen in Bund, Ländern und Kommunen, sich auch in diesen finanziell schwierigen Zeiten für die Kultur einzusetzen. Denn — so sagte er — „Kultur ist eben kein entbehrlicher Zierat, sondern humane Lebensweise der Bürger". Dem habe ich nichts hinzuzufügen.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Meine Damen und Herren, ich komme zur Zuwanderungspolitik. Ob wir wollen oder nicht, wir tragen hierbei auf zwei Schultern. Das eine ist die Steuerung und Begrenzung des Zuzuges, und das andere betrifft die Integration der auf Dauer mit uns und unter uns lebenden ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern.
    Um mit letzterem zu beginnen: Die alte wie die neue Bundesregierung zeigt hierbei eine — lassen Sie es mich einmal so sagen erbärmliche Kontinuität, die in einem Wort zusammenzufassen ist: Fehlanzeige.

    (Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD])

    Fehlanzeige vor allem bei der überfälligen Reform des Staatsangehörigkeitsrechts. Insbesondere die verehrten Kolleginnen und Kollegen von der F.D.P. können sich schon einmal darauf einstellen, daß sie erneut Gelegenheit bekommen werden, den traurigen Spagat zwischen hehren Parteitagsbeschlüssen einerseits und Koalitionsdisziplin andererseits vorzuführen, indem wir uns konkret für eine deutliche Erleichterung der Einbürgerung mit Zulassung der doppelten Staatszugehörigkeit einsetzen.

    (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Der Entwurf von der Frau Schmalz-Jacobsen ist hervorragend! Dem stimmen wir gemeinsam zu! — Gegenruf des Abg. Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Taugt überhaupt nichts!)

    — Wenn Sie den Dialog beendet haben, mache ich weiter.

    (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Machen Sie ruhig weiter!)

    Kommen Sie uns jetzt bitte nicht mit Ihrer Mißgeburt einer sogenannten Kinderstaatszugehörigkeit. Diesem merkwürdigen Konstrukt haben Sie in Wahrheit selbst doch nur eine Lebensdauer von ca. 48 Stunden zugedacht, die Zeit zwischen der Veröffentlichung der Koalitionsvereinbarung und der Wahl des Kanzlers. Jetzt können Sie dieses Ausstellungsstück aus dem Kuriositätenkabinett dorthin tun, wo es hingehört, nämlich in den Papierkorb.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD — Ina Albowitz [F.D.P.]: Schwacher Beifall bei den Sozialdemokraten!)

    Meine Damen und Herren, was den europäischen Vergleich anbelangt, ist Ihre Kinderstaatszugehörigkeit ein nationaler Irrweg. Wie erklären Sie uns, daß das einzige greifbare Ergebnis zum Schengener Abkommen eine weitere Verschiebung seines Inkrafttretens war? Wo sind die Ansätze einer gerechten Verteilung der Flüchtlinge und der mit ihrer Aufnahme zusammenhängenden Lasten?
    Ihre Erfolglosigkeit in Europa paart sich mit Ideenlosigkeit und Reformunwilligkeit auf nationaler Ebene. Das betrifft nicht zuletzt die Asyl- und Flüchtlingspolitik. Ich werde Ihnen jetzt nicht den Gefallen tun, den mittlerweile zwei Jahre alten Asylkompromiß in Frage zu stellen, im Gegenteil. Dazu stehen wir. Sie aber verschanzen sich hinter ihm. Sie wollen nicht wahrhaben, daß Asylpolitik eine lebendige Materie ist, weil sie mit lebendigen Menschen zu tun hat.

    (Ina Albowitz [F.D.P.]: Für tote Menschen braucht man keine!)

    Sie stellen sich taub gegenüber der Kritik zahlreicher Flüchtlingsorganisationen am neuen Asylrecht. Sie, die Sie das große „C" im Parteinamen führen, wollen den Kirchen nicht zuhören. Richtig ist: Die Politik muß sich dieser Kritik stellen.

    (Dr. Burkhard Hirsch [F.D.P.]: Wollen Sie es nun ändern oder nicht?)

    Ich wäre einstweilen ja schon damit zufrieden, wenn der Herr Bundesinnenminister ab und an auf seine Kollegen Innenminister in den Ländern hören würde. Dann gäbe es beispielsweise einen richtigen Abschiebestopp für Kurdinnen und Kurden aus der Türkei und nicht nur ein halbgares Moratorium über die Festtage bis zum 20. Januar.
    Auch beim Aufenteltsstatus für Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge müssen Sie Ihre Sprachlosigkeit überwinden und den Ländern ein vernünftiges finan-
    374 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Dezember 1994
    Fritz Rudolf Körper
    zielles Angebot unterbreiten, damit dieser sogenannte B-Status endlich angewandt werden kann.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Burkhard Hirsch [F.D.P.]: Können die Länder vielleicht auch einmal ein vernünftiges Angebot machen?)

    — Herr Kollege Hirsch, ich bin der Auffassung, daß auch die Bundesländer ihren Beitrag dazu leisten müssen. Darüber haben wir überhaupt keinen Streit.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Ich will noch einen Satz zu dem Thema der Aussiedlerpolitik sagen. Leider muß ich feststellen, daß die Aussiedlerpolitik gerade in den letzten beiden Jahren aus den Fugen geraten ist, deshalb, weil die Balance zwischen Zuzug und Integration der Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler nicht mehr stimmt. Einst wurde das System der Aussiedlereingliederungsleistungen als Modell für eine erfolgreiche Integration von Einwanderern schlechthin gepriesen. Heute kann davon keine Rede mehr sein. Das Tor bleibt offen, verkünden Sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Aber Sie kümmern sich nicht darum, was hinter der Tür passiert. Damit lassen Sie die Spätaussiedler allein; das lassen Sie die Sozialhilfeträger und andere ausbaden.
    Sie sollten zugeben, daß die Hilfen für die deutschen Minderheiten in Rußland und anderswo nur mäßig wirksam sind. Sie sollten sich eingestehen, daß der Auswanderungsdruck unverändert hoch ist. Erst dann sind die Voraussetzungen für eine notwendige Neubesinnung in der Aussiedlerpolitik dieser Bundesregierung geschaffen.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD — Ina Albowitz [F.D.P.]: Spärlicher Beifall bei den Sozialdemokraten!)

    Immerhin knirscht es schon im Gebälk der Bundesregierung, und ich habe aufmerksam registriert, daß sich der Kollege Blüm als Angehöriger der Bundesregierung jüngst aus arbeitsmarktpolitischen Gründen für eine Begrenzung des Aussiedlerzuzugs ausgesprochen hat. Ich bin der Auffassung, darüber muß man weiter nachdenken.
    Meine Damen und Herren, die Innenpolitik kann mit Sicherheit auf vielen Feldern zum notwendigen sozialen Frieden beitragen. Innerer Friede und innere Sicherheit können nicht ausschließlich mit staatlichen Maßnahmen gewährleistet werden. Nein, es ist eine gemeinsame, eine gesellschaftspolitische Aufgabe, in der wir uns klar und deutlich mit Gewalt und Aggression auseinandersetzen müssen.
    Aber Zivilcourage zu stärken, solidarisches Handeln zu fördern und persönliches Engagement zu unterstützen ist notwendiger denn je. Sie, Herr Kanther, haben aber mit Ihrer Politik dazu bisher nicht viel beigetragen.
    Schönen Dank.

    (Beifall bei der SPD und des Abg. Rolf Kutzmutz [PDS])