Rede von
Dr.
Uwe-Jens
Rössel
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(PDS)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (PDS)
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wie die einkommensschwachen Bürgerinnen und Bürger haben auch die Kommunen offenkundig keine Lobby in der Bundesregierung. Anders kann ich die heutige Rede des Bundesfinanzministers nicht sehen. Herr Kollege Austermann, es gehört schon Mut dazu, das Gegenteil zu behaupten. Sie erbringen den Beweis nicht.
Die Kommunen sind die letzten in der Reihe der öffentlichen Haushalte. Herr Struck, Sie haben völlig recht: Den letzten beißen die Hunde. Die Verschuldung der Kommunen hat sich vor allem in den 90er Jahren in einem schwindelerregenden Umfang entwickelt. Die Kreditmarktschulden liegen derzeit bereits bei 170 Milliarden DM. Besorgniserregend ist die Lage in Ostdeutschland: Die Pro-Kopf-Neuverschuldung der ostdeutschen Städte, Gemeinden und Landkreise ist bereits doppelt so hoch wie die im Altbundesgebiet. Ihre desolate Haushaltslage bringt die Kommunen vielerorts an den Rand ihrer Handlungsfähigkeit.
Der Bund und auch die Länder — diese im Rahmen ihrer Finanzausgleichsgesetze — tragen dafür eine große Verantwortung. Beide sorgen dafür, daß die vielgepriesene kommunale Finanzautonomie immer mehr zur Farce und die kommunale Selbstverwaltung damit überhaupt in Frage gestellt wird.
Die Bundestagsgruppe der PDS und die 6 000 PDS-Kommunalabgeordneten wenden sich entschieden gegen derartige Praktiken.
Denn Kommunen in Not heißt immer auch Menschen in Not. Im Ergebnis der finanziellen Knebelung der Kommunen werden in einem bisher nicht gekannten Ausmaß Kindertagesstätten, Jugendfreizeiteinrichtungen und Schwimmbäder geschlossen oder müssen ihren Betrieb stark einschränken. Dringend notwendige Investitionen in die kommunale Infrastruktur können nicht wie vorgesehen durchgeführt werden. Bekanntlich sind Investitionen immer der kurzfristig flexible Teil öffentlicher Haushalte. Sie lassen sich leichter strecken, aufschieben oder streichen als die meisten laufenden Ausgaben.
Damit läßt sich die Investitionsquote als ein guter Indikator für die Finanzlage der kommunalen Haushalte heranziehen. In den 60er Jahren lag diese Investitionsquote im Altbundesgebiet bei den Gemeinden noch bei rund 40 %. Derzeit beträgt sie 21 % — ein spürbarer Rückgang. Die Kommunen können damit ihrer Verantwortung als größter öffentlicher Auftraggeber und somit auch als eine wichtige Konjunkturlokomotive immer weniger gerecht werden.
In dieser für die Kommunen dramatischen Lage holt die Bundesregierung zu einem Rundumschlag aus. Zum 1. Januar 1996 sollen die Gewerbekapitalsteuer vollständig liquidiert sowie die Gewerbeertragsteuer weiter reduziert werden. Den Kommunen wird für den Ausfall des Gewerbesteueraufkommens ein fairer Ausgleich versprochen. Doch wie dieser aussieht, steht in den Sternen, wie auch die heutige Rede des Herrn Bundesfinanzministers zeigt.
Die Bundesregierung setzt mit den neuerlichen Einschnitten bei der Gewerbesteuer ihren Kurs der steuerlichen Entlastung der Großunternehmen auf Kosten der Kommunen fort. Nach der Abschaffung der Lohnsummensteuer noch unter der sozialliberalen Koalition wurde die Gewerbesteuer unter der KohlRegierung vor allem durch die drastische Reduzierung ihrer Bemessungsgrundlagen zunehmend ausgehöhlt.
Mit dem zum Jahresbeginn in Kraft getretenen Standortsicherungsgesetz finanzieren die Kommunen durch die Erhöhung der Gewerbesteuerumlage die Unternehmensteuerentlastung in einem Umfang von 1,1 Milliarden DM pro Jahr. Der Vorschlag von Kollege Dr. Schäuble, als Ersatz für den Gewerbesteuerausfall ein kommunales Hebesatzrecht auf die Lohn- und Einkommensteuer einzuführen, würde nach Ansicht des Deutschen Städtetages zum Krieg zwischen den Gemeinden sowie zu einem drastischen Anstieg der Einkommensteuer führen.
Auch einer teilweisen Substitution der Gewerbesteuer durch eine direkte Beteiligung der Kommunen an der Umsatzsteuer steht die Bundestagsgruppe der PDS kritisch gegenüber.
Ein solcher Vorschlag würde in seiner Konsequenz nämlich weg von der direkten Kapital- und Unternehmensbesteuerung und hin zu einer indirekten Besteuerung des privaten Konsums führen.
Ein weiteres Argument gegen den Vorschlag, die Kommunen direkt an der Umsatzsteuer zu beteiligen, ist folgendes: In einer Zeit anhaltender Knappheit der
368 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Dezember 1994
Dr. Uwe-Jens Rudi Rössel
öffentlichen Finanzen ist kaum zu erwarten, daß Bund und Länder ungefähr 3 % ihrer derzeitigen Beteiligung an den Einnahmen aus der Umsatzsteuer an die Kommunen weitergeben werden. Deshalb liegt eine entsprechende Erhöhung der Mehrwertsteuer in der Luft,
die wir im Interesse vor allem der einkommensschwachen Bürgerinnen und Bürger ablehnen müssen.
Nicht unerwähnt bleiben sollte auch, daß entscheidende technische Fragen bei der Beteiligung der Kommunen an der Umsatzsteuer ungeklärt sind. Das betrifft vor allem die Art und Weise der Verteilung des Umsatzsteueraufkommens auf die Gemeinden. Die Ermittlung der Schlüsseldaten kann nach jüngsten Erkenntnissen von Finanzexperten frühestens im Jahr 2000 erfolgen. Das heißt im Klartext: Die Bundesregierung will die Gewerbekapitalsteuer bereits in einem Jahr vollständig abschaffen, obwohl die Datenbasis zur Ausarbeitung vernünftiger Ausgleichsmaßnahmen für die Kommunen erst in sechs Jahren vorliegen kann. Das ist fürwahr eine Meisterleistung.
Solche Praktiken, meine sehr verehrten Damen und Herren, können nicht anders als mit dem Begriff „steuerpolitische Luftnummern" betitelt werden.
— Jawohl, Herr Kollege Fischer, dafür wird sich eine passende Gelegenheit ergeben.
— Ich sprach von einer steuerpolitischen Luftnummer, Herr Fischer.
Die Leidtragenden wären wiederum die Schwachen. Die Städte, Gemeinden, Landkreise, ihre Einwohnerinnen und Einwohner wären betroffen.
Die PDS-Bundestagsgruppe fordert die Bundesregierung auf, endlich eine umfassende Reform der Kommunalfinanzierung in Angriff zu nehmen, die kein bloßes Anhängsel einer Unternehmensteuerreform ist. Wir unterstützen nachhaltig den Vorschlag der kommunalen Spitzenverbände, dafür eine Enquete-Kommission beim Deutschen Bundestag einzurichten.
Von welchen Eckpunkten sollte eine umfassende Reform der Kommunalfinanzierung nach Ansicht meiner Gruppe ausgehen? Vor allem kommt es darauf an, das Band zwischen Wirtschaft und Kommunen nicht weiter zu zerschneiden, wie das die Bundesregierung
vorsieht. Es sollte im Gegenteil wieder enger geknüpft werden. Dazu ist es erforderlich, die Gewerbesteuer wiederzubeleben. Bestimmte Maßnahmen, die zu ihrer Demontage geführt haben, sollten schrittweise zurückgenommen werden. Die Gewerbekapitalsteuer darf 1996 nicht abgeschafft werden. Geprüft werden sollte, auch die freien Berufe ab einer angemessenen Einkommensgrenze zur Gewerbesteuerzahlung heranzuziehen.